Marie-Cécile Bertau
Journal für Psychologie, 29(2), 99–119
https://doi.org/10.30820/0942-2285-2021-2-99 CC BY-NC-ND 4.0 www.journal-fuer-psychologie.deIn Die Krise der Psychologie (1927) strebt Bühler eine Klärung des Konzepts von Psychologie an. Die drei hierfür unentbehrlichen Aspekte umfassen einen Lebenszusammenhang mindestens zweier Partner. Damit eröffnet Bühler einen Raum theoretischen Fragens pragmatischer Stoßrichtung und macht von hier aus das Phänomen der Sprache zum Paradigma der Untersuchung der Aspekte (Sprachtheorie, 1934). Ein wesentliches Theorieelement ist die Zweifelderlehre mit Zeig- und Symbolfeld. Ist das Zeigfeld im Sinnlichen verankert, so führt das Symbolfeld in unanschauliche Sphären – ein qualitativer Ordnungswechsel. Es ist bemerkenswert, dass Bühler einerseits die beiden Felder scharf voneinander abgrenzt, andererseits ihren Zusammenhang nicht zerreißt, sodass eine Dynamik zwischen Sinnlichem und Symbolischem in der Sprache sichtbar wird. Der Beitrag folgt dieser Idee des sinnlich-symbolischen Moments in den zeitgenössischen Arbeiten des Linguisten Jakubinskij und des Psychologen Vygotskij. Der Zusammenhang von Sprache, Körper und Andere/r wird Grundlage der Funktionsweise sprachlicher Symbole. Die Leistung des sprachlichen Symbols wird realisiert, ohne sie dem unkörperlichen und individuellen Denken zuzurechnen und aus der gesellschaftlichen Tätigkeit herauszunehmen.
Schlüsselwörter: Sprache, sprachliche Tätigkeit, Sprechen, Symbol, Körper, Zweifelderlehre, Bühler
Summary
The dynamics between the sensorial and symbolic aspects in language
An articulation through Karl Bühler, Lev Jakubinskij, and Lev Vygotsky
In The Crisis of Psychology (1927), Bühler aims at clarifying the notion of psychology. The three indispensable aspects for that clarification encompass the life context of at least two partners. Therewith, Bühler opens a space of pragmatic questioning which he further pursues in his Theory of Language (1934) where he confers language a pivotal role in his investigation of these aspects. An essential element here is the two-field theory with its deictic and symbolic field. Whereas the deictic field is anchored in the sensorial, the symbolic field leads into abstract, invisible spheres; a qualitative shift from one field to the other. It is remarkable that Bühler distinguishes sharply the two fields, but is not tearing them apart so that a dynamic at play between the sensorial and the symbolic becomes visible. The contribution follows the idea of the sensorial-symbolic moment in the work of two contemporaries of Bühler: the linguist Jakubinskij and the psychologist Vygotsky. The encompassing connections between language, body, and other is shown as basis for the functioning of language symbols. The power of language symbols is realized without attributing them to bodyless, individual thinking and without separating them from societal activity.
Keywords: Language, language activity, speech, symbol, body, two-field theory, Bühler
Bühlers Krise der Psychologie (1927) und seine Sprachtheorie (1934) gehören zu einem historisch-epistemologischen Kontext, in welchem sowohl Sprache als auch Denken explizit nicht individualistisch, sondern gesellschaftlich gedacht werden. Die Pragmatik miteinander tätiger Menschen in ihrem Lebenszusammenhang wird als theorierelevant angesehen und nicht als fakultatives Moment der Anwendung einer abstrakten, vorgeschalteten Größe »Sprache«. Es wird ein ganzheitlicher Blick entwickelt, der Denken nicht von Sprache und Sprache nicht vom Körper und beides nicht von gesellschaftlichen Anderen trennt, sondern als notwendige Elemente in Theoriebildung und empirische Erforschung einbezieht. Diesen ganzheitlichen Blick findet man ebenfalls in der dialogisch-pragmatischen Linguistik Jakubinskijs (Über die dialogische Rede, 1923, vgl. Jakubinskij 2004) sowie in den psychologischen Arbeiten Vygotskijs (1992, entstanden 1931, und zentral Denken und Sprechen, insbesondere Kap. 7, Gedanke und Wort von 1934, vgl. Vygotskij 2002).
Ich möchte in der Artikulation dieser drei Denker der Verbindung von Sprache – Denken – Körper – Gesellschaft nachgehen. Bühlers Sprachtheorie (1934), und insbesondere seine Zweifelderlehre, sehe ich dabei als heuristisch interessanten Ausgangspunkt an, weil hier ein Bruch im Theoretisieren von Sprache aufscheint. Der Bruch zeigt sich als Zweifel, den Bühler verschiedentlich äußert und der die Verschiedenartigkeit und den Zusammenhang von Symbolischem und Sinnlichem thematisiert. Daran lässt sich mit Jakubinskijs (2004) dialogischer Sprachansicht anknüpfen, der zufolge die dynamische, formstiftende Verschränkung von Sprache und Körper jeden Sprachakt bestimmt. Wie das Sinnliche und Symbolische der Sprache nicht nur in der Kommunikation, sondern auch in Denkvorgängen manifest wird, kann mit Vygotskij (2002), der Jakubinskijs Sprachidee für das innere Sprechen aufgreift, nachvollzogen werden.
Der Grund, auf den Bühler die Frage nach der Sprache stellt, wird gebildet von seiner Problematisierung der Psychologie zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Bühler visiert eine andere Psychologie an als die zeitgenössische, an einer Psycho-Physik orientierte und weist dabei der Sprache eine zentrale Rolle zu. Er sucht eine Sprachkonzeption zu entwickeln, in der die sprachliche Tätigkeit nicht okkupiert wird von einer Psychologie, die sie mentalisiert, subjektiviert und atomisiert. In einem ähnlichen Sinn muss sie sich auch von der Philosophie fernhalten, die Sprache oft aus einer epistemologischen Grundhaltung heraus thematisiert (vgl. Bühler 1982, xxiv).
Die Wirklichkeit, im Rahmen derer Sprache untersucht werden soll, ist für Bühler das gemeinschaftlich erzeugte Lebensfeld, in welchem und zu welchem sich »Gemeinschaftsglieder« gegenseitig orientieren und sinnvoll verhalten (Bühler 1929, 60). Diese gleichermaßen semantische wie verhaltensmäßige Verankerung der Sprache findet im Rahmen seines Psychologieprojekts statt, das mit der Grundidee des Lebens als Selbstregulierungsprozess und Signalverkehr arbeitet (Friedrich 2018). In diesem Kontext konzipiert Bühler Sprache als Geschehen eines nicht-reduzierbaren »Zweiersystems« (Bühler 1929, 60). Es kann daher nicht um »Einzelsubjekte« mit »Einzelseele« gehen (ebd., 32), nicht um eine autonome Semantik jenseits des gemeinschaftlichen Handelns. Bühler argumentiert damit konsequent gegen den Solipsismus, den er bei Wundt und Darwin konstatiert, und mit dem, wie er es ausdrückt, Darwin auf eine »Sandbank« geriet (ebd., 33) und der Wundts Theoriebildung »zerfasert«: Von beiden wurde »der notwendige Schritt vom Individuum zur Gemeinschaft« nicht vollzogen (ebd., 34). Damit wird von vornherein ein ganzheitliches Geschehen vorgestellt, in dem Partner sprachlich in einem konkreten Wahrnehmungs- und Handlungsfeld in Bezug auf eine Wirklichkeit handeln, die ohne den Mittler Sprache weder sichtbar noch denkbar wäre (Friedrich 2009).
Die Sprachtheorie ist also Teil des Bühler’schen Psychologieprojekts, zu dem auch die Unterscheidung von drei Aspekten gehört. Folgt man Bühler, so ist »jeder möglich und keiner von ihnen entbehrlich [ist] in der einen Wissenschaft der Psychologie«, denn sie stehen in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander und erzeugen erst dann ein »geschlossenes System wissenschaftlicher Erkenntnisse« (ebd., 29). Es sind dies die »Erlebnisse, das sinnvolle Benehmen der Lebewesen und ihre Korrelationen mit den Gebilden des objektiven Geistes« (ebd.). Mit dieser Dreiheit wählt Bühler einen klaren pragmatischen Rahmen für das Theoretisieren der Sprache, denn es sind mindesten Zwei, die miteinander-zueinander handeln, sinnvolles Benehmen einander anzeigen und für einander unter Bezugnahme auf den objektiven Geist erlebbar machen.
Bühlers Sprachtheorie wendet sich vor dem Hintergrund dieses Projekts der Sprache zu, ohne das »sinnvolle Leben« hinter sich zu lassen – die »Lebensumstände« (Bühler 1982, 24) des Zweiersystems bilden den Ausgangspunkt für die Modellierung des sprachlichen Zeichens. So führt Bühler zum Organonmodell hin: »Wir suchen […] ein Modell des ausgewachsenen konkreten Sprechereignisses samt den Lebensumständen, in denen es einigermaßen regelmäßig auftritt« (ebd.). Die Greifbarkeit eines tatsächlichen Ereignisses des Sprechens leitet die Modellierung.
Die drei psychologischen Aspekte, die Bühler in der Krise (1927) festgestellt hat, entsprechen im Organonmodell der Sprachtheorie (1934) den drei Funktionen oder Sinndimensionen des sprachlichen Zeichens. Den Erlebnissen entspricht der Ausdruck innerer Wahrnehmungen; das sinnvolle Benehmen, Ankerpunkt der »gemeinschaftsbildende[n] und gemeinschaftstragende[n] Funktion semantischer Einrichtungen« (Bühler 1929, 60) und Verbindungsmoment in die Gemeinschaft, führt zum Steuerungsaspekt der Sprache und ist mit der Sinndimension des Appells verknüpft. Schließlich verweisen die Gebilde des objektiven Geistes auf die Funktion der Darstellung – als Korrelationen des sinnvollen Benehmens. Das Organonmodell stellt klar die drei Aspekte nicht als Addition dar (1 + 1 + 1), sondern als gebundene Ganzheit (stets 3), die jeweils am sprachlichen Zeichen kristallisiert sind, auch wenn dies mit verschiedenen Gewichtungen der Sinndimensionen geschieht. Diese gebundene Ganzheit ist durch das sprachliche Zeichen als Gerät (organon) begründet, das Sprachzeichen ist Mittler im Feld und spannt die Dreiheit »einer – dem anderen – über die Dinge« (Bühler 1982, 24) auf.
Die Vermittlung durch das Sprachzeichen entfaltet sich über die drei Sinndimensionen und generiert dabei einen spezifischen Kontakt zwischen den Personen und zu ihrer Wirklichkeit. Der Kontakt ist deshalb spezifisch, weil er durch den öffentlichen, konventionellen Charakter der Sprache führt und also nicht im Einzelseelischen hängen bleiben kann. Zugleich ist der Kontakt auch feldspezifisch. Die Zweifelderlehre der Sprachtheorie (1934) trägt dieser Spezifizität Rechnung, die Kontaktidee aus der Krise (1927) leistet den übergreifenden Zusammenhang.
So spricht Bühler in der Krise von Hand und Körper, die in der Dynamik von Druck und Gegendruck die Realität des Dings verspüren, und diese »lebendige Materialität« findet sich ihm zufolge analog im Verstehen eines/r Anderen wieder:
»Meine tastende Hand verspürt die Elastizität doch nur in einem Wechselspiel von bewegendem Druck und bewegten Gegendruck, das sich hin und her zwischen ihr und dem geprüften Dinge vollzieht. Halten wir am Ausdruck ›verspüren‹ als terminus technicus fest. […] Der Verstehende ist aktiv, er streckt seine Fühler aus und die Fühler begegnen einer fremden Aktivität. Die Gegenaktionen meines lebenden Partners, die ich tastend etwa im Handgemenge verspüre, sind etwas komplizierter, kapriziöser, wenn man so will, als das einfache Zurückschnellen des elastischen Körpers, wenn ich mit dem Druck nachlasse. Aber verspüren werde ich das eine wie das andere« (Bühler 1929, 96).
Die Idee des »seelischen Verspürens« ist von hier aus gebildet, ein Kontakt »höherer Ordnung« wird erklärbar (ebd., 41). Dies ist der Fall beim Kontakt unter Gemeinschaftsgliedern, wo der Kontakt »eine Einstellung der Individuen aufeinander« ist, der erst die dynamische Konkordanz generiert, eine »nachweisbare Regulierung«, die »ohne Semantik, d. h. ohne Verständigungsmittel nicht möglich« wäre (ebd., 39). Mit der übergreifenden Idee des Kontakts beschreibt Bühler einen Bogen, der die objektive Realität und das Wahrnehmen und Gegenwahrnehmen des Gegenübers als Moment dieser Realität im Körperlichen und Seelischen umspannt. Ein Wahrnehmen, das ein Sich-Ausstrecken nach dem Anderen, ein Verspüren der fremden Aktivität im »Gegendruck zur eigenen« ist. Es ist bemerkenswert, dass Bühler von Fühlern spricht und nicht etwa von Fühlen, das man sich enger mit dem Verspüren denken könnte, es geht ihm offenbar um eine materiell-konkrete, körperliche Begegnung und ein ebensolches »Ineinandergreifen« (ebd., 83). An dieser Art von Begegnung mit ihrer dynamischen Konkordanz wird Verstehen gebildet. So, wie wir uns im Handgemenge gegenseitig verspüren und aufeinander einstellen, tun wir dies über sprachliche Mittler im »Wortgemenge«. Beides geschieht nach dem Prinzip des realen wechselseitigen Kontakts, der sich schließlich auch im »seelischen Kontakt« findet. Die Macht der Sprache als Organon entfaltet sich hier auf eine Weise, die wie die greifende oder zeigende Hand wirkt, und doch nicht mehr ganz so, weil eben sprachspezifische Steuerungsmittel das Ineinandergreifen gestalten, und zwar sowohl von seiner Außenansicht her im Benehmen als auch von der inneren Erfahrung her als Erleben: »Faktum ist, daß im seelischen Kontakt eine gegenseitige Steuerung des Benehmens und des Erlebens der Partner stattfindet« (ebd.).
Die drei Sinndimensionen des Zeichens erweisen sich somit als Formen der vermittelten Berührung, die eine sinnvolle Bezugnahme der sprachlich sich Benehmenden und Erlebenden zur Welt und zum/r Anderen über bestimmte Mittler herstellt. Der Ausdruck ist dann zwar mit den inneren Zuständen der Sprechenden verbunden, dennoch nicht schierer Aus-Druck intimer Subjektivität, weil durch das öffentliche (öffentlich-machende) Zeichen vermittelt, das seine spezifische Kontaktform herstellt. Es geht nicht um den Ausdruck jeder »seelischen Regung« (ebd., 41), sondern um den des sinnvollen Benehmens: Nur jene Ausdrucksmomente sind relevant, die »das Benehmen anderer Gemeinschaftsglieder zu steuern berufen sind« (ebd., 42). Ausdruck ist daher sowohl sprachspezifisch als auch feldspezifisch, weil abhängig von der Art des Felds, in welchem sich die »Kontaktpartner« (ebd., 85) bewegen. Dementsprechend bildet der Appell, der mit dem Sprachzeichen vollzogen wird, ebenfalls einen Kontakt höherer Ordnung, mit ihm »appelliert der sprechende Mensch […] an die Vorstellungen und Begriffe seines Hörers«, dem/der Kundnehmer/in der Kundgabe, wie Bühler es zunächst bezeichnet. Die Anziehungsstärke dieses Anrufs vergleicht Bühler mit dem sex appeal, der speech appeal ist für ihn eine »ebenso greifbare Tatsache« (1982, 29), ein reales, körperlich-seelisch erlebtes Hingezogen-Werden. Sprachliche Steuerung ist immer auch am Rande der Entführung, weil sie das Ineinandergreifen sucht. Sie appelliert an den/die Andere/n und nimmt ihn/sie mit, versetzt ihn/sie dahin und dorthin und setzt dabei (wie beim Roulette) auf eine affektiv-kognitive (Vorstellungen, Begriffe), zum Teil auch körperliche Umstellung (Blick, Körperhaltung) als ein Nachfolgen der Steuerungsanweisung. Dieser Vorgang ist daher in seinem Ausgang nie sicher und nicht über eine Passung mentaler Repräsentationen zwischen den Partner/innen zu haben.
Und auch die sprachliche Darstellung zeigt die Form der vermittelten Berührung, die Ausdruck und Appell eigen ist. Die Darstellung, mit der das Sprachzeichen seine Symbolfunktion vollzieht, präsentiert über symbolfeldspezifische Mittler und Ordner die abwesende Welt. Die mit dieser Sinndimension des Zeichens verbundene Abstraktionsleistung löst Sprache vom Hier und Jetzt des gegebenen gemeinsamen Wahrnehmungsfeldes ab und führt die Partner/innen vom Zeigfeld in das Symbolfeld. Nicht mehr Zeigen, sondern Nennen – für Bühler besteht hier ein entscheidender Unterschied, an dem sich die Medialität der Sprache zeigt. Die sprachliche Darstellung erweist sich als ein
»mediales Gerät, in welchem bestimmte Mittler als Ordnungsfaktoren eine Rolle spielen. Es ist nicht so in der Sprache, daß die Lautmaterie kraft ihrer anschaulichen Ordnungseigenschaften direkt zum Spiegel der Welt erhoben wird und als Repräsentant auftritt, sondern wesentlich anders. Zwischen der Lautmaterie und der Welt steht ein Inbegriff medialer Faktoren, stehen […] die sprachlichen Mittler, steht z. B. in unserer Sprache das Gerät der indogermanischen Kasus« (ebd., 151).
Die beiden Modalitäten Zeigen und Nennen definieren die zwei Felder, in welchen das Sprachzeichen funktioniert. Im Zeigfeld orientieren sich die Partner/innen in einem gemeinsamen Wahrnehmungsraum über sinnliche Zeighilfen, die zum einen tatsächlich sinnlich sein können (wie in der »demonstratio ad occulos und ad aures«, wenn eine/r beim Sprechen mit dem Finger auf das verweist, worum es geht) oder – falls man sich aus dem Auge verloren hat – mit einem Hier!, das eine klare »Herkunftsqualität« hat und so den/die Zuhörer/in orientiert. Die Zeigwörter (Deiktika oder indexikalische Mittel wie Pronomen und Zeit- und Ortsadverbien) »steuern den Partner in zweckmäßiger Weise« (ebd., 105). Die Origo des Hier-Jetzt-Ich ist der anschauliche (und hörbare) Ausgangspunkt, um alle anderen Positionen, Zeitpunkte und Personen anzuzeigen, Bühler spricht in diesem Zusammenhang von »Marken« für Orte, Positionen und Individuen (ebd., 107; vgl. Friedrich 2007 zur Diskussion des Index bei Bühler).
Zum andern können die Zeighilfen in einer imaginierten sinnlichen Wirklichkeit funktionieren, wie in der Deixis am Phantasma, einer zeigenden Bezugnahme auf Personen, Dinge und Orte, die nur noch in der Vorstellung stattfindet. Anders als in der sinnlichen Augen-und Ohren-Deixis gibt es hier also keinen sinnlich gegebenen, gemeinsamen Wahrnehmungsraum mehr und damit keine Ordnung, in der »alles beisammen ist: Zeigobjekte, Sender und Empfänger der Zeiganweisungen, und worin sich die beiden Kontaktpartner harmonisch-sinnvoll benehmen« (ebd., 125). Bühler weist darauf hin, dass das sinnlich-tatsächliche Orientiertsein in den »Phantasieraum« hinein, »in das Reich des Irgendwo der reinen Phantasie und in das Reich des Da-und-da der Erinnerung« (ebd., 126) herüber genommen wird. Das setzt allerdings beim/bei der Hörer/in eine besondere, ganz andere Aktivität und Verstehensleistung voraus, ein gewisses Ausmaß an Orientierung im zu Zeigenden muss mitgebracht werden. Dann kann es gelingen, das Abwesende präsent zu machen.
Mit der Darstellung, die Bühler zufolge nicht ohne ein Symbolfeld möglich ist, kommt es zu einer andersartigen Qualität der Orientierung und Steuerung. Nun sind es nicht mehr tatsächliche oder imaginiert sinnliche Zeiggeräte, die eingesetzt werden, um Abwesendes präsent zu machen, sondern symbolfeldspezifische Mittler und Ordner (zum Beispiel das indogermanische Kasussystem). Syntaktische und lexikalische Einheiten sind nun die Steuerungsmittel. Ordnungshilfen, die im Symbolfeld das Sprechdenken steuern, sind für Bühler die Wortsphären, Wortklassen und Kasussysteme (für das Deutsche, vgl. ebd., 171f., 179). Hier erweist sich die Andersartigkeit des Symbolfelds, mit dem Sprecher/in und Zuhörer/in gemeinsam ein Abwesendes und dennoch Erlebbares präsent machen. Sie stoßen dabei in Denk- und Sagbarkeiten vor, die nur so gegeben sind, nämlich durch das die Sprache charakterisierende Zweiklassensystem, bestehend aus der Klasse der Sprachgebilde des Lexikons und jener der Sprachgebilde der Syntax. Es handelt sich um Denkbares, also auch um das, was nicht mehr in Verbindung zu außersprachlichen Vorbildern steht, sondern durch die Strukturierungspotenziale der Sprache erzeugt wird.
Verbindungsglied zwischen Zeig- und Symbolfeld ist die Anaphora: Sie ist Zeigen, und doch zeigt sie nicht im tatsächlichen oder imaginierten Wahrnehmungsraum, sondern in der Ordnung der Sprache selbst. Der/die Sprecher/in verweist auf sein/ihr Gesprochenes als solches. Dies kann die ganze Rede betreffen (wie oben angesprochen) oder auch Redeteile (die Tram fuhr da mehrmals durch, sie ratterte immer laut). Für Bühler ist dies ein Zurückwenden der Sprache auf sich selbst, ein Reflexionsmoment, das die Anaphora gegenüber beiden Zeigmodi des Zeigfelds auszeichnet. Die Sprache wird sich selbst zum Feld und kann daher aus der unmittelbaren Situation entbunden werden. Sie ist es, die zeigend die Ordnung der Sprache einleitet und so zum Symbolfeld führt. Diese Übergangsleistung der Anaphora hebt Bühler hervor: »[D]ie Anaphora [erscheint] in eminentem Maße dazu berufen […], das Zeigen mit dem eigentlichen Darstellen zu verknüpfen« (ebd., 123).
Die Art und Weise, wie Bühler beide sprachlichen Felder – das Zeig- und das Symbolfeld – mit ihrem Verbindungsglied – der Anaphora – inhaltlich-argumentativ und rhetorisch aneinander entfaltet, macht deutlich, dass sie phänomenal (im tatsächlichen Sprechen-Zuhören) als ein Ganzes mit einem Hin und Her, besser: mit einem Umschlag von einem Feld ins andere funktionieren. Dieser Umschlag als eine Passage »von – zu« ermöglicht den Wechsel von der Wahrnehmungsordnung, die zum Zeigen und zum direkten Sprechverkehr gehört, zur Äußerungsordnung, zu der das Nennen gehört. Dieser Ordnungswechsel bedeutet nicht einfach ein Abstraktwerden des sinnlichen Zeigens, sondern das Eröffnen eines neuen Raums, in dem die Sprecher/innen zwar mit ähnlichen Mitteln handeln, aber woanders: in der Sprache selbst. Dieser Qualitätssprung ist eben das, was mit dem Symbol eintritt. Bühler grenzt scharf ab: »Hindeuten ist Hindeuten und nie etwas mehr«, ob nun nur mit der Geste oder auch mit einem sie begleitenden Sprachlaut (1982, 87). Symbolisieren arbeitet dagegen über Syntax und Lexik, wobei die Syntax die regelhafte, sprachspezifische Fügung der Sprachelemente zu einer relational-konzeptuellen Ordnung ist. Im Symbolisieren sind die Relationen und Konzepte jeweils verallgemeinert und nicht mehr aus der gegebenen Wirklichkeit verstehbar. Sie sind in diesem Sinne objektiv, das heißt, sie entsprechen dem objektiven Geist einer bestimmten Sprachgemeinschaft. Symbolisieren steht daher jenseits des kontextgebundenen Zeigens, wo Konzepte und Bezüge an der sinnlichen Wirklichkeit ausgerichtet werden. Wirklichkeit wird nun über die Symbole gemäß dem objektiven Geist dargestellt.
Gerade weil Bühler klar die zwei Felder unterscheidet, stellt sich ihm die Frage nach der Trennschärfe zwischen den beiden Ordnungen und damit nach der Möglichkeit des vollständigen Verlassens des gemeinsamen und gemeinsam erlebbaren Wahrnehmungsraums ins rein Symbolische. Es handelt sich um die Frage nach dem Ausmaß des Entbindens der Sprache aus dem Sinnlichen. Am Ende des Kapitels zum Symbolfeld der Sprache formuliert Bühler dies als Zweifel. Er verwendet dabei das intensive Wort »Erlösung«, das hier als Steigerung des vorher gebrauchten Verbs »entbinden« (ebd., 53, 168) gesehen werden kann – ein endgültiges Lösen der Bindungen an Hier-Ich/Wir-Jetzt: »Vielleicht überschätzen wir die Erlösung vom Zeigfeld, vielleicht unterschätzen wir das Faktum der prinzipiellen Offenheit und das Ergänzungsbedürfnis jeder sprachlichen Darstellung eines Sachverhaltes vom Wissen her um diesen Sachverhalt« (ebd., 255).
Mit der Anaphora erschien der Moment, in dem Sprache sich selbst Kontext genug wird. Aber da schon stellte sich die Frage, wie weit diese Selbstgenügsamkeit reicht und tragfähig bleibt, in welchem Ausmaß also Sprache »erlöst« ist von der je gegebenen Wirklichkeit mit tatsächlichen Personen, Dingen und Orten. Bühler stellt immer wieder die gleiche Frage: »Wie weit erstreckt sich in den ganzen Bau der Sprache hinein das ›Anschauungsbild‹ und seine Ausnützung für den Darstellungszweck der Sprache?« (ebd., 84). Die Anaphora zeigt dieses Erstrecken, sie zeigt den Weg an, welche die sich entbindende Sprache nimmt, denn sie zeigt im Darstellen. Und auch wenn die »sprachliche Darstellung in hohem Maße erlöst [ist] aus den konkreten Situationshilfen« (ebd., 120; kursiv MCB), muss sie an die Sinnlichkeit des Ineinandergreifens der Partner/innen im sinnvollen Lebenszusammenhang zurückgebunden werden. Dies bedeutet eine Bewegung zwischen dem Anschaulichen und dem Symbolischen, die – ist die Relation einmal gebildet – auf beide Relata zurückwirkt: Das Anschauliche vertieft die symbolische Dimension des Zeichens, das Symbolische entbindet in dem Maße, wie es mit dem Anschaulichen verbunden bleibt. Insofern Sprache Praxis ist, hat dann jede Passage – auch jenseits ihrer Ausbildung im Spracherwerb – eine erneute »Versinnlichung« des Geistigen (Symbolfeld) zur Folge, ebenso wie eine erneute Vergeistigung des Sinnlichen (Zeigfeld). Das Zusammenlassen der beiden Ordnungen bedeutet letztlich, dass wir sie beide in einer unaufhörlichen Bewegung miteinander vollziehen – Sprache wäre dann genau das.
Die Verankerung von Sprechenden in einem gemeinsamen Feld des koordinierten Handelns, und damit auch in ihrer gegenseitig wahrnehmbaren körperlichen Anwesenheit, lässt sich zeitgenössisch zu Bühler in der frühen Sowjetunion finden. Die Sprachdenker rezipieren hier intensiv Sprachphilosophie und -theorie aus Westeuropa und arbeiten sie in eigene epistemologische Kontexte ein (Bertau 2011). So bildet sich in der Sowjetunion vor dem Stalinismus und dem Zweiten Weltkrieg ein aktives interdisziplinäres Forschungsfeld zur dialogischen Sprache mit dem Fokus auf die lebendige Sprache heraus, welche im Sinne Humboldts (1907) als sprachliche Tätigkeit aufgefasst wird (Naumova 2004; Bertau 2014). Im Mittelpunkt steht die Sprache des Alltags und nicht die erstarrte, von Autorität und Bürokratie gesprochene und geschriebene Sprache. Ein normativer Dualismus von monologischer und dialogischer Sprache wird artikuliert (Romashko 2000). Feldforschungen entstehen, die auf das Gesprochene hören und auf Sprechende sehen und von diesen Wahrnehmungen aus einen pragmatischen und prozessorientierten Sprachbegriff bilden.
Die Idee der Lebendigkeit kristallisiert sich am Konzept des Wortes, slovo, das zum Gegenstand einer regelrechten Diskussionswelle am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird (Ivanova 2008). Philosophen, Literaturkritiker und Linguisten interessieren sich für die verbale Kreativität, und ihre verschiedenen Herangehensweisen vereinen sich im Konzept des lebendigen Worts, in dem die Inkarnation göttlicher oder kosmischer oder kollektiver Energie und Vernunft (je nach den Ideologien, die hier zusammenkommen) gesehen wird. Denken und Sprache werden als im lebendigen Wort untrennbar verbunden angesehen, es steht für ein trans-individuelles schöpferisches Prinzip, das sprechend angeeignet und auf diese Weise individuell rekonstruiert wird. Ivanova (ebd.) konstatiert, dass die Vorstellung eines untrennbaren Zusammenhangs von Sprache und Denken in der russischen Linguistik am Beginn des 20. Jahrhunderts stark vertreten ist und die Verbindungen zwischen Linguistik und Psychologie mitbestimmt. Die Schrift Über die dialogische Rede (1923) des Linguisten Jakubinskij stellt eine wichtige Brücke zwischen beiden Disziplinen dar. Sie übt einen deutlichen Einfluss sowohl auf Bachtins als auch auf Vološinovs Sprachdenken und ihren Bewusstseinsbegriff aus (Friedrich 1993), wird auch von Vygotskij (2002) bei seiner Analyse des inneren Sprechens rezipiert und kann somit als markanter Anfangspunkt für die Entwicklung des modernen Dialogismus in den Sprach- und Literaturwissenschaften wie auch in der Psychologie (z. B. Larrain und Haye 2012; Salgado und Clegg 2011) angesehen werden (vgl. Bertau 2021a).
Jakubinskij (2004) interessiert sich für die Bewegungen des lebendigen Worts in der Rede, für die Dynamik, welche die »sprachliche Tätigkeit« (ebd., §1, 383) in der von den Sprecher/innen gemeinsam erlebten Situation als »vielgestaltige Erscheinung« annimmt; für das Sprechen als eine »für die lebendige Wahrnehmung unmittelbar gegebene Erscheinung« (ebd., §1, 383). Die beobachtbaren Formen entsprechen den Gesprächspartner/innen und ihrer Situation funktional, das heißt für Jakubinskij, dass sie sowohl von soziologischen als auch von psychobiologischen Faktoren mitbestimmt werden. Mit dieser Eingangsfeststellung umgreift Jakubinskij Sprache und Sprecher/innen in einer Ganzheit, die Gesellschaftlichkeit, Körperlichkeit und Psychisches in den Blick nimmt und diese Ganzheit in der gelebten und erlebten Realität situiert. Es ist bemerkenswert, dass Jakubinskij als Linguist weder von dieser Ganzheit noch von der phänomenalen Pluralität der Sprache ablässt. Sprache ist und bleibt ein plurales Phänomen (Bertau 2011, 2008a). Die Idee des Kontakts lebendiger, sich gegenseitig regulierender Partner/innen kann hier verortet werden, und wie bei Bühler wird mit der Konkretheit einander wahrnehmender und wechselseitig koordinierender Partner/innen gearbeitet.
Folglich ist der Ausgangspunkt von Jakubinskijs Sprachkonzeption der Dialog in einem sowohl konkreten Sinn als Konversation als auch in einem grundsätzlichen Sinn, denn Sprache lässt »ihr wirkliches Sein nur im Dialog zutage treten« – so Jakubinskij, den Linguisten Ščerba zitierend (2004, §25, 401). Sprache ist als Phänomen dialogisch und ihre monologischen Formen lassen sich von hier aus als Formen verstehen, welche die Dialogizität der Sprache bewahren, denn sie bleiben adressiert und erwarten eine Antwort, sei diese auch zeitlich noch so versetzt oder ganz imaginiert. Der von Jakubinskij geprägte und von Vygotskij (2002, 437) übernommene Begriff des »schriftlichen Sprechens« zeigt an, dass auch diese Form der Sprache ihre dialogische Qualität behält. Zentral ist daher die »Erforschung der dialogischen Form als einer allgemeingültigen« (Jakubinskij 2004, §25, 401), von dieser Form aus lässt sich das Phänomen Sprache verstehen.
Die Systematisierung der funktionalen sprachlichen Gestalten verläuft daher an Kriterien, die von dem Lebenszusammenhang mit einem/r anwesenden Anderen bestimmt sind, nämlich der Anwesenheitsweise der/des Anderen (geistig-körperlich kopräsent oder in irgendeinem Sinn vermittelt) sowie der Organisation von gelebter Zeit (kurz dauernd oder lang andauernd). Die tabellarische Übersicht der vier Grundtypen der sprachlichen Formen veranschaulicht dies (vgl. Tab. 1).
Die vier Grundtypen sprachlicher Formen nach Jakubinskij (2004, 393–395) mit seinen Beispielen, moderne Beispiele in Klammern
Jakubinskij (2004) bindet Sprache (als sprachliche Tätigkeit im Sinne Humboldts, 1907) an den sprechenden Körper und den sprechenden Körper an die Sprache. Es gibt keine nachträgliche Verkörperung der Sprache, vielmehr eine unhintergehbare Verschränktheit von Sprache und Körper. Dies artikuliert sich durch die vier Grundtypen als gegengleiche Bewegung zwischen Sprache und Körper: Je unmittelbarer die Partner/innen einander gegenwärtig sind und visuell-auditiv wahrnehmen, desto eher und stärker kann der Körper in Gesten, Mimik und Stimme die sprachliche Bedeutung nicht nur modulieren, sondern auch ihre symbolischen Mittel ersetzen (Jakubinskij 2004, §18). Sprache kann dann verkürzt sein, ihre Mittel einfach (Lexik, Syntax). Das Beispiel der Liebenden Kitty und Ljewin aus Tolstois Anna Karenina, das in Vygotskijs Diskussion des inneren Sprechens aufgenommen wird, stellt hier das Paradigma des fast wortlosen Verstehens und quasi-symbiotischen Einverständnisses dar, das sich stärkster Verkürzungen bedienen kann. Dies verdankt sich der »gleichen Gerichtetheit des Bewußtseins« der Liebenden, ihrer Einstellung aufeinander, die wechselseitig als so stark übereinstimmend erlebt wird, dass »die Rolle der sprachlichen Reize auf ein Minimum […] reduziert ist« (ebd., §40, 414). Die Gerichtetheit der Bewusstseine wird von Jakubinskij über das psychologische Konzept der Apperzeption diskutiert: Sprechen ist apperzeptionsgebunden, dies ist ein wesentliches Moment der von Jakubinskij in §1 festgestellten psychischen Bedingtheit der sprachlichen Tätigkeit (Friedrich 2005): Sprechen findet vor dem Hintergrund bereits gemachter sprachlicher und nicht-sprachlicher Erfahrungen statt, und Kommunikationspartner/innen können über wiederholte gemeinsame Praxis eine gemeinsame »Apperzeptionsmasse« ausbilden und sich dann auf wenige sprachliche Mittel beschränken, denn sie wissen, was gemeint ist. Hier wird Vygotskij ansetzen, um das innere Sprechen als maximal verkürzt zu beschreiben, denn »[w]ir wissen immer, um was es in unserem inneren Sprechen geht« (2002, 444). Umso weniger die Partner/innen sich in einer unmittelbaren Beziehung befinden, desto mehr müssen über die Sprache und ihre spezifischen Mittel Bedeutungen erzeugt werden, das heißt elaborierte sprachlichen Formen benutzt werden – jene, die das Symbolfeld in Bühlers (1982) Zweifeldersystem bilden. In vermittelter sprachlicher Tätigkeit muss Sprache »symbolfeldlich« werden, das heißt ins Symbolfeld umschlagen. So würde die Schlussfolgerung Bühlers lauten.
Sprachliche Genres repräsentieren kulturhistorisch und sozial codierte Vorgaben bezüglich der Art und Weise, wie Sprache und Körper zu verschränken, das heißt formhaft zu präsentieren sind, und dies spielt bereits in der dialogischen unmittelbaren Form eine Rolle (z. B. intimes Gespräch versus Prüfungsgespräch). In den westlichen Dominanzkulturen ist sprachliche Erziehung größtenteils Erziehung zur Körperlosigkeit, Sprachbeherrschung wird als Körperbeherrschung verstanden und das monologische, möglichst entkörperte Wort zum idealen Wort erklärt. Gegenüber dieser auch epistemologisch dominanten Vorstellung der mentalen Beherrschung von Sprache und Körper ist Jakubinskijs (2004) Festhalten an der Pluralität der Sprache und sein Insistieren auf den Dialog erhellend. Sein Herangehen widerspricht dem Dualismus von Sprache und Körper und der Vorordnung von Sprache (entkörperter Geist) vor Sprechen (verkörpertes sekundäres Tun) und konzentriert sich auf das gesellschaftlich situierte lebendige Wort. Es zeigt sich, dass Jakubinskijs Vorstellung des lebendigen Worts nichts Mystisches hat, nicht einmal Metaphorisches. Die Lebendigkeit, die sich Jakubinskij mit dem Wort denkt, ist die von agierenden-reagierenden Organismen, die die sprechenden-zuhörenden-erwidernden Partner/innen sind. Diese sind durch eine basale Dynamik orientiert, eine Tendenz (im wörtlichen Sinn von Anspannen und Hinziehen) zum/zur Anderen, ein unumgänglicher Wunsch, den/die Andere/n sprechend-zuhörend wahrzunehmen, ein »instinktives Bemühen« (ebd., §19). Die Replik ist die Antwort auf die erlebte Aktion, und sie ist zugleich Provokation für weitere, einander unterbrechende, ineinandergreifende Aktionen im dialogischen Wortgemenge. So drängt die Reaktion des Zuhörers/der Zuhörerin nach außen, eine unterbrechende Replik, die sich kaum unterdrücken lässt, denn sie ist dem menschlichen Organismus natürlich (ebd., §§26, 27). Sie muss jedoch oft unterdrückt, auf später verschoben werden und kann sich dann in inneren Repliken oder Notizen äußern, die den wahrgenommenen Monolog begleiten (ebd., §27).
Nicht zufällig ist Jakubinskijs Wortwahl verhaltenspsychologisch geprägt, die Unmittelbarkeit der dialogischen Form ist auch die Unmittelbarkeit der Verbindung von Reiz und Reaktion. Tatsächlich sind die reflexologischen Arbeiten Pawlows und Bechterews in der Zeit von Jakubinskijs Schrift in der Sowjetunion sehr populär, und Jakubinskij war mit ihnen vertraut (Ivanova und Sériot 2012). Aber Jakubinskij weicht mit seiner Verwendungsweise des Terminus »Replik« von den reflexologischen Modellen ab. Die Replik provoziert eine Verkettung, in der Ursache und Wirkung nicht mehr eindeutig lokalisiert und zugeordnet werden können, sie werden mindestens »zweiseitig«. Repliken erzeugen und benötigen einander, um komplementär und koordiniert für die Sprechenden jeweils eine »Gesamtäußerung« (ebd., §30) zu erzeugen, die damit zum komplexen, mehrstimmigen Akt wird.
Weil Jakubinskij Reaktion und Replik qualitativ und dialogisch denkt, halte ich es für möglich, dass er sich an der Reaktologie Kornilows orientiert hat (Bertau 2021b). Kornilow untersucht die dynamische Struktur und Form der Reaktion und nicht nur ihre Zeitlichkeit: Jede Reaktion zeigt eine spezifische Latenzzeit und eine spezifische Intensität. Er betont einerseits die Ganzheit der Reaktion, zum anderen erkennt er die Interdependenz physiologischer und psychischer Prozesse an, wobei letztere auf soziale Situationen bezogen werden; van der Veer und Valsiner (1991, 122) bezeichnen Kornilows Verhaltenspsychologie daher als »consciousness-oriented behaviorism«. Bühlers Psychologieprojekt schreibt sich ebenso in einen Kontext von nicht-reduktionistischem Behaviorismus ein, und wie für Tolmans intentionalistischen Behaviorismus und Uexkülls Biosemantik ist die Phänomenalität und Funktionalität von Verhalten für ihn zentral, um sinnvolles Verhalten aufeinander bezogener Lebewesen zu verstehen (Samain 2018).
Wie oben gesehen (vgl. Tab. 1), ist Jakubinskijs (2004) Systematisierung der sprachlichen Formen anhand zweier Achsen organisiert: der Anwesenheitsweise der/des Anderen und der Organisation von gelebter Zeit. Mit dem Begriff der »Anwesenheitsweise« versuche ich das zu erfassen, was sich in Jakubinskijs Begriffspaar mittelbar – unmittelbar ausdrückt. Die Fragen, die sich dann ergäben, wären zum Beispiel: Wie nah oder fern in Zeit, Raum und Zugewandtheit ist der/die Andere? Sind Zeit, Raum, Zugewandtheit medial vermittelt (Dunkelheit, Schrift, Kommunikationsgeräte) in dem Sinn, dass etwas »zwischen« den Personen steht und ihre gegenseitige Zuwendung und dynamische Konkordanz mitformt? Darüber hinaus und im Sinne der Dialogizität der Sprache soll mit dem Begriff auch angezeigt werden, dass alle sprachlichen Akte adressiert sind, das heißt, sie wenden sich an eine/n Zuhörer/in und/oder eine Zuhörerschaft. Anwesenheitsformen und Adressierungsqualität können daher als ein Zusammenhang angesehen werden: Wer ist in der Situation der sprachlichen Tätigkeit in welcher Weise körperlich-psychisch-sprachlich zu wem orientiert? Wie finden die Wechsel und Verschiebungen zueinander statt und welche sprachlichen Mittel begleiten oder steuern sie? Es geht um konkrete Hin- und Wegwendungen (Blick, Körperhaltung, sprachliche Mittler) der sprechenden-zuhörenden Partner/innen voneinander, die beispielsweise für die Erwachsenen-Kind-Interaktion sowie den Sprach(-denk-)erwerb von großer Bedeutung sind. Ein sprechendes-spielendes Kind kann in der »flottierenden« Aufmerksamkeit der Mutter sein, die nur wenige Zuhörsignale kundtut, während sie mit einer Alltagshandlung beschäftigt ist und nicht direkt auf das Kind sieht. Diese Situation kann sich verändern und zu einem fokussiert gegenseitigen Gespräch werden, was sich wiederum verändert, wenn die Mutter weiter sprechend im Raum herumgeht. Es gibt hier wie auch zwischen Erwachsenen sehr viele Möglichkeiten, die Anwesenheitsform zu modulieren, und ich gehe davon aus, dass es gerade der Wechsel zwischen diesen Formen ist, der die Ausbildung des sprachlichen Zeig- und Symbolfeldes erlaubt und erforderlich macht.
Schließlich stellen diese skizzierten Formenwechsel Vorformen der Ablösung vom Hier-Jetzt-Wir dar, die für die Interiorisierungsbewegungen charakteristisch sind (Bertau und Karsten 2018). Denn die Adressierungsqualität existiert nicht nur in der sozialen Kommunikation mit Anderen, sondern auch ohne diese und ist auch für die psychologischen Prozesse charakteristisch. Genau dies diskutiert Lev Vygotskij bei seiner Analyse des inneren Sprechens. Indem das soziale, gemeinschaftliche Sprachzeichen im dialogischen Akt auf sich selbst (als ein/e Andere/r) angewendet wird, bleibt der/die Andere erhalten, ohne anwesend zu sein und zwar in transformierter Weise (Vygotskij 1992; Bertau 2008b). Das innere Sprechen erscheint bei Vygotskij (2002) als die Fortsetzung der sozialen dialogischen Formen Jakubinskijs.
Mit Bühlers (1982) Feldsystem artikuliert ist die Bewegung durch die Grundtypen der sprachlichen Tätigkeit nach Jakubinskij (2004) nicht einfach als eine Korrespondenz zwischen dialogisch-unmittelbar und Zeigfeld sowie zwischen monologisch-mittelbar und Symbolfeld aufzufassen, weil etwa dort der sprechende, bedeutende Körper im Vordergrund steht und hier stark zurücktritt. Mit Vygotskijs (2002) Übernahme von Jakubinskijs (2004) Begriff der sprachlichen Formen und dessen psychologischer Weiterentwicklung im Hinblick auf die Objektivierung des Gedankens im Wort kann etwas anders gedacht werden. Im Folgenden möchte ich kurz erkunden, wie in der Artikulation der drei Denker Bühler, Jakubinskij und Vygotskij das Sinnliche und Symbolische der Sprache auch in Denkvorgängen manifest wird.
Die Objektivierung des Gedankens im Wort beschreibt Vygotskij als ein über das innere Sprechen vermittelter Prozess. Vygotskij betont, dass es dabei nicht zum Ausdruck des gewissermaßen fertigen Gedankens im Wort kommt, sondern zu seinem »Vollzug« im Wort (2002, 463). Damit verweist er auf eine Dynamik, die das Werden sowohl des Gedankens im/am Wort als auch das Formungsmoment des sprachlichen Mittels anzeigt – inneres Sprechen ist eben nicht äußeres, sozial verständliches Sprechen, aber es vermittelt zu diesem hin. Insofern kann die Objektivierung des Gedankens im Wort als Artikulation des Gedankens als Gebilde des objektiven Geistes (Bühler 1929) verstanden werden. Vermittelt über das innere Sprechen wird dabei der Gedanke »objekthaft«, das heißt materialisiert in sprachliche Zeichen, und objektiv, das heißt, er gewinnt sprachliche Zeichenhaftigkeit, die über die Ich-Idiosynkrasie hinausgeht und gemeinschaftlich relevant wird und daher mit den Gebilden des objektiven Geistes korrelieren kann: eine Verallgemeinerung (Vygotskij 2002), die eine kategoriale Einstellung widergespiegelt (Goldstein 1969; Friedrich 2005). Wie kann dieser Vorgang im Sinne von Zeig- und Symbolfeld und der Dialogizität der Sprache konzipiert werden?
Objekthaft wird der Gedanke im Zeigfeld des/der Denkers/in anhand kontextbezogener Zeigwörter (das … und das), die Gleichgerichtetheit des eigenen Bewusstseins erlaubt dies in dialogisch verkürzten Formen, denn du weißt, was ich meine (mit anwesendem/r Anderen) ist jetzt ich weiß, was ich meine (ohne anwesendem/r Anderen). Ausdruck und Appell sind eng verschränkt, wie Fühler und Hände treffen sie einander ganz passend, entsprechend der Adressierung an das Selbst in vorgestellter Abwesenheit von Anderen. Dennoch können sprachliche Mittel des Symbolfelds auch schon im prädikativ verkürzten inneren Sprechen auftreten, sie sind wie Inseln im Zeigfeld und können funktionieren, weil die Notwendigkeit einer deutlicheren sprachlichen Explizierung des Gedankens (noch) nicht gegeben ist. Diese tritt ein, wenn die Gleichgerichtetheit des Bewusstseins nicht mehr gegeben ist: wenn etwa die Artikulation für fremde, gar öffentliche Andere geschehen soll und damit die Adressierungsqualität und also die Ausformung oder Entfaltung in sprachliche soziale verstehbare Formen notwendig wird. Aber bereits für die denkende Person kann es eine Ungleichgerichtetheit geben – was meine ich eigentlich? –, die ebenfalls zur deutlicheren Artikulation des inneren Sprechens führen kann und damit ins Symbolfeld umschlägt, die denkende Person verwendet dann Termini mit öffentlich (»objektiv«) verstehbarer symbolischer Bedeutung (das sich selbst zeigende das – und das wird zu einem auch anderen verständlichen die Kurve – die Sättigung des Werts, vgl. das Beispiel des Schreibens eines wissenschaftlichen Artikels in Karsten 2014a, b). Die Verstärkung der Anwesenheit des/der Anderen (imaginiert, tatsächlich) intensiviert die Artikulation des Wortes als Gebilde des objektiven Geistes, die Sinndimension der Darstellung ist deutlich vorhanden. Sprachliche Mittel des Zeigfelds können dennoch weiter verwendet werden, und es lässt sich denken, dass insbesondere die Anaphora zusammen mit den symbolfeldlichen Mitteln auftritt.
Die Bewegung zwischen den Polen dialogisch – monologisch im Sinne der Formen Jakubinskijs (2004; vgl. Karsten und Bertau 2019) entspricht dieser Bewegung zwischen Verkürzung und Entfaltung, die von der Gerichtetheit des Bewusstseins als Ausdruck der erlebten Anwesenheitsform des/der Anderen bestimmt wird. Strukturelle Verkürzungen (Syntax) und semantische Kondensierungen als Sinn gehen über in strukturelle Entfaltungen und konventionellere, öffentlich-allgemeine Bedeutungen (Vygotskij 2002). Die Objektivierung des Gedankens im Wort zeigt sich dann als eine Dynamik von Zeig- und Symbolfeld, die mit auf der Basis erlebter (vorgestellter) Anwesenheitsformen von Anderen verkürzte und entfaltete Formen generiert. Ein Wort zwischen Familienmitgliedern kann so ganz dialogisch verkürzt sein und im Zeigfeld funktionierend, während es in einem veröffentlichten Aufsatz weitaus mehr im Sinne der monologischen Form entfaltet sein und im Symbolfeld funktionieren muss.
Denken wir an »Bühlers Zweifel«. Wie weit (er-)löst Sprache aus dem Zeigen? Wo werden Zeig- und Symbolfeld füreinander durchlässig und bleiben doch verschieden? Wenn man die Bewegung über die Bühler’schen Felder (1982) mit den sprachlichen Formen Jakubinskijs (2004) zusammenliest, dann kann man, meine ich, tatsächlich ihre Durchlässigkeit denken und dennoch den Qualitätssprung bewahren, der vom Zeigen ins Nennen führt. Der Zweifel Bühlers kennzeichnet meines Erachtens, dass es keine dichotome Kluft zwischen den beiden Feldern gibt, sondern ein Ineinandergreifen der Felder mit einem sie verbindenden Umschlag, der in beide Richtungen funktioniert. Dann kann Sprache nicht vollständig aus dem sinnlich gebundenen Zeigen im gemeinsamen Wahrnehmungsraum ins rein Symbolische abgelöst werden, und die Verbindung ins Sinnliche findet stets in gewissem Grade statt, und zwar auch im Denkprozess. Das Symbolfeld ist zwar erzeugt von der Reflexivität der Sprache auf sich selbst und ihre sprachlichen Mittel schaffen Verweisformen und Zusammenhänge, die nur so sagbar und denkbar sind, weil sie eben nicht Welt sind und Welt auch nicht widerspiegeln, sondern eine sprachliche Ordnung präsentieren. Dennoch leitet die Reflexivität der Sprache im Erzeugen einer eigenen Ordnung das Denken dabei gerade nicht in solitäre Abstraktionen, sondern verbindet es mit dem Gemeinschaftlichen, Öffentlichen, weil das sprachliche Mittel ein gemeinschaftliches ist, es dort erworben wird und da funktioniert – in den gemeinschaftsgegründeten Lebensumständen des Zweiersystems. Die Erfahrung der sprachlichen Ordnung, des Symbolfeldes ist notwendig, um sowohl komplexe sprachliche als auch denkerische Mittel auszubilden und sozialisierte Personen zu sein.
Es ging mir darum zu zeigen, dass es möglich und interessant ist, die von Bühler entwickelte Idee des Funktionierens sprachlicher Zeichen in einem Zweifeldersystem mit dem von Jakubinskij aufgezeigten Typen sprachlicher Ausformung in Funktion der jeweiligen Adressierungsbedingungen zusammenzudenken. Auf diese Weise lässt sich die Leistung des sprachlichen Zeichens als Symbol zeigen, die eben nicht ohne Zeigfeld und ohne das Zweiersystem des Sprechenden und Hörenden auskommt. Dies lässt sich auch durch empirische Untersuchungen nachweisen.
In Bertau (1999) werden Protokolle lauten Denkens zum Problemlösen analysiert, die zeigen, dass es bei steigendem Schwierigkeitsgrad zu einer Zunahme an dialogischen, das heißt klar adressierten sprachlichen Mitteln kommt, wie etwa Fragen und Antworten oder Hypothesen, die in einem Replikenformat erwogen werden. Bei geringem Schwierigkeitsgrad wird kaum gesprochen und eher mit Zeigwörtern agiert, die als sprachlich-körperliche (Zeigefinger auf Material) Orientierungs- und Analysewerkzeuge funktionieren. Die Arbeiten von Karsten (2014a, 2014b) erforschen den Schreibprozess in dialogischer Perspektive über die Methode der Video-Konfrontation, bei der eine gefilmte Schreibtätigkeit in einem zweiten Moment mit dem Subjekt der Tätigkeit besprochen wird, sodass es im (ebenfalls aufgenommenen) Dialog zu einer spezifischen Refraktion der ersten Tätigkeit kommt. In Karsten und Bertau (2019) haben wir dieses Material im Hinblick auf verschiedene Objektivierungsgrade beim Schreiben untersucht, die sich in unterschiedlichen Materialitäten mit jeweiliger Adressierungsqualität und sprachlicher Form zeigen: Von Momenten des einhaltenden Nicht-Schreibens, die verbunden sind mit spezifischen Körperhaltungen, zu Notizen auf kleinen Zetteln, einer skizzierten Grafik auf einem Schreibblock und schließlich Schreibversuchen am Computer zeigen sich sprachliche Formen, die über Zeig- und Symbolfeld wandern und dabei Verkürztes entfalten und es dem monologischen elaborierten Genre des wissenschaftlichen Aufsatzes anpassen. Die Adressierungsqualität wird dabei ebenso genrespezifisch gestaltet, unter Annahme einer bestimmten Bewusstseinsgerichtetheit der adressierten Community. Arbeiten von Larrain und Haye (2012, 2014) weisen in eine ähnliche, die Dynamik des Dialogs und der sprachlichen Form aufnehmende Richtung.
Diese Forschungen können die Leistung des Zeichens als Symbol zeigen, ohne das Zeigfeld und das Zweiersystem hinter sich zu lassen. Die sinnliche Materialität sowohl der verwendeten semiotischen (oder semiotisierten) Gegenstände als auch des geschriebenen (Handschrift, Computerschrift) oder gesprochenen Wortes, die wir insbesondere in Karsten und Bertau (2019) herausarbeiten, erweist sich als Anker, von dem aus kontextgesättigte Verkürzungen und Andeutungen entfaltet und damit auch aus dem Wahrnehmungsfeld in das Sprachfeld und damit ins Symbolische »umgeschlagen« werden können.
Multimodalitätsforschungen in der Gesprächsanalyse (z. B. Goodwin 2000) akzentuieren die gleiche Problemlage, wenn sie die Körperlichkeit des Sprechens-Zu in der gemeinsamen sprachlichen Tätigkeit berücksichtigen und damit für Adressivität von Sprache in einem semiotischen Feld argumentieren. Zugleich können sie Gefahr laufen, im Zeigfeld zu verbleiben und den Moment des Umschlags ins Symbolfeld ungeklärt zu lassen. Das belässt dann auch den Körper und den/die Andere/n im Sozialen und verkürzt Sprache auf Sprechen. Wenn aber der Umschlag von Zeig- zu Symbolfeld zusammen mit der Ausbildung verschiedener sprachlicher Formen mit jeweiliger Adressierungsqualität angenommen wird, wofür ich hier plädiere, kann die Leistung des sprachlichen Symbols realisiert werden, ohne diese Leistung wiederum dem unkörperlichen und ganz individuellen Denken zuzurechnen und aus der gesellschaftlichen Tätigkeit herauszunehmen. Es geht darum, den Zusammenhang von Sprache, Körper und Anderem/Anderer nicht gelegentlich und als fakultativ anzunehmen, sondern als gegebenen Grund, auf dem im Gemeinschaftlichen Symbole entwickelt werden und funktionieren können. Der Umschlag bildet diesen Grund aus, weil er Sinnliches und Symbolisches verbindet, ohne sie zu vermengen.
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Marie-Cécile Bertau, Dr. phil. habil., ist Associate Professor für Psychologie am Department for Anthropology, Psychology and Sociology, Program of Psychology, University of West Georgia (USA), sowie Leiterin des Doktorandenprogramms Consciousness in Society. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Verschränkung von Sprache und Selbst im Rahmen einer kulturhistorisch fundierten dialogischen Psycholinguistik; Funktionen der sprachlichen Tätigkeit in inter- und intrapsychologischen Prozessen; Theorie und Methodologie der Formen und Funktionen von Stimme als psychophysischer Materialität in der sprachlichen Tätigkeit für Prozesse des Problemlösens, Schreibens, Lesens, der Identitätsbildung.
Kontakt: Dr. Marie-Cécile Bertau,
Department of Anthropology, Psychology, and Sociology, University of West Georgia,
1601 Maple Street, Carrollton, GA, 30118, USA,
E-Mail: mbertau@westga.edu