Journal für Psychologie, 30(1), 3–5
https://doi.org/10.30820/0942-2285-2022-1-3 CC BY-NC-ND 4.0 www.journal-fuer-psychologie.deMit der vorliegenden Ausgabe »Psychologien im Gespräch« und den darin versammelten Gesprächsbeiträgen verbindet sich die Einladung, über vergangene, gegenwärtige und mögliche zukünftige Entwicklungen (in) einer sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlich orientierten Psychologie nachzudenken.
Wir haben diese Ausgabe anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Journals für Psychologie zusammengestellt, weniger als eine Jubiläumsausgabe denn vielmehr als eine Art Standortbestimmung, wozu uns die Form des Dialogs besonders geeignet erschien, und zwar als Gespräche mit und zwischen Wissenschaftler*innen aus der Psychologie sowie angrenzenden Disziplinen und Forschungsfeldern, deren Arbeiten mit einer sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlich orientierten Psychologie resonieren und sie geprägt haben.
Wir freuen uns, dass folgende Gespräche versammelt werden konnten:
Wenn auch die Form des Dialogs die verbindende Klammer ist, so sind die Gesprächsbeiträge thematisch sehr unterschiedlich gelagert. Mal bieten sie mehr Retrospektiven, mal mehr Gegenwartsdiagnosen, aber auch – vorsichtig angedeutete – Markierungen möglicher Entwicklungen. Nicht zuletzt geben sie einen plastischen Eindruck von Lebensformen in der Wissenschaft, da sich in den sechs Beiträgen fachliche sowie eng an diese geknüpfte biografische Perspektiven finden. Sie handeln vom Ausloten konkurrierender Menschenbildannahmen, dem Ringen um angemessene methodologische Zugänge und methodische Verfahrensweisen, dem Suchen nach bzw. Eintreten für als überzeugend angesehene ethisch-moralische Positionen und dem Versuch des Einbezugs unterschiedlicher Formen der Erfahrung in die Erkenntnisbildung. Dabei verdeutlichen die Gespräche, wie notwendig Reflexionen und Debatten hierzu in der Psychologie – und das heißt selbstredend im Fach als Ganzes – sind oder wären. Die Gesprächspartner*innen artikulieren ihre Sichtweisen und Überlegungen nicht selten aus einer vermeintlichen Peripherie und damit verbundenen selbst- und/oder fremdzugeschriebenen »Außenseiter*innen«-Rollen an der Grenze innerhalb und außerhalb der akademischen Psychologie. Schwache Positionen sind dies indes keineswegs. Im Gegenteil. Es sind starke Perspektiven – die vielleicht auch deswegen keines zu stark polarisierenden, inkludierenden und exkludierenden Sprechens (mehr) bedürfen. Sie könnten allenfalls als »schwach« gekennzeichnet werden, wenn damit angezeigt werden soll, dass sie in weiten Teilen, wenn überhaupt, einen nicht-dominierenden, eher marginalen Stellenwert innerhalb des sogenannten Mainstreams besitzen. In Nischen haben sie aber mitunter einen ehemals wohl kaum vorstellbaren Etablierungsgrad erreicht und sind hier und da fest institutionalisiert. Es wird deutlich: Die Etablierung einer sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlich orientierten Psychologie verlief nicht ohne Abgrenzungen zum Hauptstrom des Faches, ihre Binnendifferenzierungen bisweilen aber durchaus. Die Gespräche konturieren nicht nur Entwicklungen (in) einer sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlich orientierten Psychologie. Sie zeigen in der Gesamtschau auch, wie ausdifferenziert und unterschiedlich deren theoretische und methodologische Zugänge sowie methodischen Vorgehensweisen sind.
Damit leisten sie genau die kritische Bestandsaufnahme für das Fach, die wir uns als Herausgebende des Journals für Psychologie anlässlich des Erscheinens des 30. Jahrgangs der Zeitschrift erhofft haben. Denn die plurale Verfasstheit des Faches zu bewahren, sie zu entwickeln und (wieder) sichtbarer werden zu lassen war und ist zentrales Anliegen des Journals für Psychologie. Im Editorial des ersten Heftes, das im Oktober 1992 mit dem Themenschwerpunkt »Die Psychologie wird selbstreflexiv« erschien, wird entsprechend als Ziel für die Zeitschrift ausgegeben, sie »als ein Forum [zu] entwickeln, in dem die Vielfalt der Ansätze und Diskurse in der Psychologie, der Pluralismus von Methoden und Perspektiven zur Geltung kommen können« (Die Redaktion des Journals für Psychologie [o. N.], 1992, Editorial, Jahrgang 1, Heft 1, S. 3).
Das Ringen um Pluralität war auch in der Gestaltung der Zeitschrift deutlich erkennbar. Ab der ersten Ausgabe und in vielen der Folgejahre existierten neben dem seit jeher etablierten Format des Themenschwerpunktes bzw. Themenheftes unterschiedlichste Rubriken – »Debatten und Kontroversen«, »Aktuelles Thema«, »Im Gespräch«, »Aus dem Elfenbeinturm« und »Psychologie in der Berufspraxis«. Diese »Rubriken der Zeitschrift repräsentieren das Ziel, psychologische Themen, Theorien, Ansätze in ihren vielfältigen Bezügen und politisch-institutionellen Verflechtungen offenzulegen, wie auch die Verbindung zur beruflichen Praxis und zur eigenen Lebensgeschichte zu bewahren« (ebd.).
Auch wenn diese Rubriken heute nicht mehr existieren, knüpfen wir mit der vorliegenden Ausgabe und den darin enthaltenen Gesprächsbeiträgen über die Psychologie(n) an die Tradition der Zeitschrift an, in der seit dem ersten Heft immer wieder einzelne Interviews abgedruckt wurden. Dass wir nun eine gesamte Ausgabe aus Gesprächsbeiträgen kompilieren, schien uns anlässlich des »Jubiläums« prädestiniert. Ist dem Gespräch – selbst nach seiner Aufbereitung – doch vielleicht noch mehr als anderen Formen der (wissenschaftlichen) Kommunikation Prozesshaftigkeit, prinzipielle Unabschließbarkeit, das gemeinsame vorsichtige Ertasten, Ver- und Aushandeln eigen.
Wir hoffen im Namen aller Herausgebenden des Journals für Psychologie, dass die gewählte Form und inhaltliche Ausgestaltung dieser Ausgabe das Anliegen der von 30 Jahren begonnenen Entwicklung einer selbstreflexiven Psychologie fortschreibt.
Unser Dank gilt den Gesprächspartner*innen. Ebenso aber gilt unser Dank allen Autor*innen und Leser*innen der zurückliegenden drei Jahrzehnte.
Paul S. Ruppel und Günter Mey
(für die Herausgebenden des Journals für Psychologie)
Paul Sebastian Ruppel, Dipl.-Psych., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften, sowie am Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie an der Fakultät für Sozialwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum, und freier Mitarbeiter im Institut für Qualitative Forschung in der Internationalen Akademie Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Qualitative Forschung, Kulturpsychologie, Identitätsforschung, Klimawandel und Mobilität.
Kontakt: Paul Sebastian Ruppel,
Hochschule Magdeburg-Stendal, Angewandte Humanwissenschaften,
Osterburger Str. 25, D-39576 Hansestadt Stendal;
E-Mail: paul-sebastian.ruppel@h2.de
Günter Mey, Prof. Dr. habil., ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Privatdozent an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth sowie Co-Leiter des Instituts für Qualitative Forschung in der Internationalen Akademie Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Qualitative Forschung sowie Wissenschaftskommunikation und performative Sozialwissenschaft; inhaltliche Themenfelder: Biografie, Kultur, Identität und Transgenerationalität.
Kontakt: Prof. Dr. habil. Günter Mey,
Hochschule Magdeburg-Stendal, Angewandte Humanwissenschaften,
Osterburger Str. 25, D-39576 Hansestadt Stendal;
E-Mail: guenter.mey@h2.de