Qualitative Auswertungsmethoden in digitalen Lernumgebungen

Ein Blended-Learning-Konzept im Praxistest

Bettina Ülpenich

Journal für Psychologie, 31(2), 109–130

https://doi.org/10.30820/0942-2285-2023-2-109 CC BY-NC-ND 4.0 www.journal-fuer-psychologie.de

Zusammenfassung

Im Rahmen eines Werkstattberichts reflektiere ich die Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Jahr 2022 entstandenen Blended-Learning-Konzepts zu qualitativen Auswertungsmethoden der Sozialwissenschaften. Dieses besteht aus einem onlinebasierten Kurs, dessen Module in Präsenzseminare integriert werden, aber auch zur Begleitung eigenständiger Lernprozesse geeignet sind. Neben der Vermittlung qualitativer Auswertungsmethoden umfasst das Angebot erste Einblicke in und das Erproben von Auswertungspraxis durch die Studierenden. Vor dem Hintergrund erster Erfahrungen aus dem Praxiseinsatz werden Herausforderungen und Chancen der Lehre qualitativer Auswertungsmethoden in digitalen Lernumgebungen diskutiert.

Schlüsselwörter: Qualitative Forschung, Auswertungsmethoden, E-Learning, digitale Hochschullehre, Blended Learning, Open-Educational-Resources

Qualitative Analysis Methods in Digital Learning Environments

Implementation of an E-Learning Course

This article reflects on the development, implementation, and testing of a blended learning course on qualitative data analysis methods which are used in social sciences. The course was created and tested at Heinrich-Heine-University Düsseldorf in 2022. The e-learning offer is an online-based course whose modules can be integrated into face-to-face seminars but can also accompany independent learning processes by students. In addition to teaching qualitative data analysis methods, the course aims to provide students with first insights into the practice of qualitative data analysis. Summing up first experiences from the practical use of the e-learning offer, challenges and opportunities of teaching qualitative data analysis in digital learning environments are also discussed.

Keywords: qualitative research, data analysis methods, e-learning, digital higher education, blended-learning, open educational resources

1 Einleitung

Als typisch für die qualitative Methodenlehre beschreiben Margrit Schreier und Franz Breuer (2020) eine »Einsozialisierung« von »Methoden-Lehrlingen« in gemeinsamen Projekten, in denen praktische Methodenkompetenzen vermittelt werden. Dabei zeichnen sich Lehrveranstaltungen für Schreier und Breuer durch eine Anwendungscharakteristik aus, in deren Rahmen die Beteiligten den qualitativen Forschungsprozess in einem Learning by Doing umsetzen. Auch wenn die Vorstellung von Lehrlingen die hierarchische Gestaltung der Lehr-Lern-Situation in der qualitativen Methodenlehre mitunter überbetont, so kann man hier doch im Kern den Verweis auf die direkte Interaktion ausmachen, in deren Rahmen die Aneignung von Methodenkompetenz vorgestellt wird (Pfaff und Tervooren 2020). Hierfür wird das Interpretieren in Gruppen als Goldstandard des qualitativen Forschens, wenn nicht gar der qualitativen Methodenlehre angesehen (Reichertz 2013). Als favorisiertes Lehrformat für die kollektive interpretative Arbeit am Material gilt die Forschungswerkstatt (Fuhrmann et al. 2021).

Angesichts der Priorisierung bestimmter Veranstaltungsformate und damit verbundener Lehr- und Ausbildungspraxis erklärt sich – als Reaktion auf die im Rahmen der Covid-19-Pandemie erlassenen Kontaktbeschränkungen – die schnell gestellte Diagnose, dass vor allem digitale Lehre und die qualitative Forschung in den Sozialwissenschaften unzureichend verzahnt seien, mitunter als inkompatibel beschrieben werden (Reichertz 2020, 2021). Insofern verwundert es auch nicht, dass bis zu diesem Zeitpunkt Lehr-Lern-Prozesse mit digitalen Lernumgebungen kaum erforscht bzw. umgesetzt sind.1

Das hier vorgestellte Blended-Learning-Konzept zu qualitativen Auswertungsmethoden der Sozialwissenschaften kann als Reaktion auf diese Entwicklungen bzw. Reflexionen des Sommers 2020 verstanden werden, auch wenn sich Ausrichtung und Rahmenbedingungen im Laufe der Umsetzung zusehends verschoben haben. Mangelnde Technikausstattung und Erfahrungen mit Onlineformaten seitens der Universität machten synchrone digitale Lehre anfangs nur für ausgewählte Veranstaltungen zugänglich. In Anbetracht der plötzlichen Notwendigkeit, den Seminarraum in eine Onlineumgebung zu überführen, wurde zunächst über asynchrone Selbstlernsettings nachgedacht, das Konzept aber dann ausgeweitet und in das hier vorgestellte Blended-Learning-Angebot überführt. Nicht nur, weil die Folgen der Pandemie zunehmend in den Hintergrund traten und die für digitale Selbstlernsettings notwendigen Serverkapazitäten an den Universitäten mehrheitlich vorhanden waren, verlagerten sich die Diskussionen: Es ging nun weniger darum, die drängende technische Neuerung zum Ausgangspunkt der Umsetzung von Lehrangeboten zu machen, sondern didaktisch-methodische Überlegungen in den Mittelpunkt zu stellen und die technische Umsetzung daran zu orientieren (Seufert und Meier 2016).

Im Rahmen eines Werkstattberichts reflektiere ich in diesem Beitrag die Entwicklung, Umsetzung und Erprobung eines an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) im Jahr 2022 realisierten Blended-Learning-Konzepts auf der Lehrplattform Moodle zu qualitativen Auswertungsmethoden der Sozialwissenschaften.2 Dieses Blended-Learning-Konzept basiert auf im Rahmen eines »Fellowship für Innovationen in der digitalen Hochschullehre« entwickelten E-Learning-Materialien, die im Wintersemester 2022/23 erstmalig in einem konkreten Blended-Learning-Arrangement mit einer Präsenzlehrveranstaltung verzahnt wurden. Im Zentrum des Werkstattberichts stehen das übergeordnete Blended-Learning-Konzept und die E-Learning-Materialien. An verschiedenen Stellen gehe ich zudem auf die Verzahnung der Materialien mit der Präsenzlehre ein, um deren Einsatz in der Lehrpraxis sichtbar zu machen. Deutlich wird dabei das Potenzial der E-Learning-Materialien für Blended-Learning-Arrangements anderer Dozierender und Hochschulen. Mit diesem Beitrag ist weiter das Ziel verknüpft, die Verschränkung von digitalen Angeboten und Präsenzlehre und deren Bedeutung für das Lehren und Lernen qualitativer Auswertungsmethoden zu reflektieren. Insgesamt leistet die Kritik des hier vorgestellten Blended-Learning-Konzepts einen Beitrag zur Debatte rund um die Lehr- und Lernbarkeit qualitativer Forschungsmethoden im Kontext digitaler Lernumgebungen.

Zunächst werden die Rahmenbedingungen der Lehr- und Lernbarkeit qualitativer Forschungsmethoden erörtert, um die Zielorientierung des Blended-Learning-Konzepts zu plausibilisieren (2). Daran anschließend wird die curriculare Ausgangssituation an der HHU geschildert, um über institutionelle Bedarfe und Restriktionen zu orientieren (3). Schließlich wird das hier fokussierte Blended-Learning-Konzept skizziert (4), um dessen Potenziale zu reflektieren. Zu diesem Zweck wird in einem ersten Schritt die thematische Ausrichtung dargestellt (4.1), um anschließend die didaktische Gestaltung zu umreißen (4.2), der die Diskussion der technischen Umsetzung folgt (4.3). Die Reflexion der Lernsituation in einer Lehrveranstaltung, in der erste Erfahrungen aus der Umsetzung des Blended-Learning-Konzepts gebündelt werden (5), führt schließlich zu einem resümierenden Fazit, in dem die zuvor aufgerufenen Argumente zusammengeführt und an die vorab formulierte Zielorientierung zurückgebunden werden (6).

2 Die Lehr- und Lernbarkeit qualitativer Forschungsmethoden

Didaktisch geprägte Vorüberlegungen bilden den Ausgangspunkt der Konzeption, Umsetzung und Reflexion des hier vorgestellten Blended-Learning-Konzepts. Dem Anspruch folgend, dass ein Blended-Learning-Konzept »in Umfang und Darreichungs-/Arbeitsform den methodischen Ansprüchen aus der (Forschungs-)Praxis Rechnung trägt« (Flick et al. 2014, 234), gilt es hinsichtlich der methodischen Ansprüche aus der Forschungspraxis eine Orientierung zu gewinnen. Wichtige Hinweisgeber sind die Forschungsergebnisse und konzeptionellen Überlegungen des MethodenLab Qualitative Forschung der Universität Duisburg-Essen. Tina-Berith Schrader et al. (2020) arbeiten drei zentrale Bedingungen des Methodenlernens heraus:

Erstens ist der praktische Vollzug qualitativer Methoden für den Lernerfolg bedeutsam und zwar als eine direkte, unvermittelte Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand bzw. dem Material der Analyse. Daher sind die Grundprinzipien und Anwendungsformen einzelner Auswertungsmethoden konsequent im Akt des Interpretierens selbst zu vermitteln.

Zweitens und daran anknüpfend, wird der Lernerfolg an eine gemeinsame Praxis zurückgebunden, sodass die Lernenden durch Teilhabe forschungspraktische Fähigkeiten ausbilden und ihre Kompetenzen durch Unterstützung und Validierung gegenseitig absichern. Ziel ist also die Auseinandersetzung mit dem Forschungshandeln anderer.

Drittens gilt als Bedingung und Ziel des Methodenlernens die Reflexionsfähigkeit der Lernenden. Hier geht es um die Fähigkeit, Interpretationsarbeit nachzuvollziehen und nachvollziehbar zu machen.

Im Anschluss an diese dritte Bedingung des Methodenlernens bedeutet Reflexion im hier interessierenden Zusammenhang,

»die Konstruktivität oder Produktivität der eigenen Forschung wird explizit einbezogen, d.h. das Wissen darum, dass die Forschungsinstrumente und die Perspektiven der Forschenden ihren Gegenstand notwendig strukturieren oder, radikaler, hervorbringen, wird nicht eingeklammert, sondern auf methodisch kontrollierte Weise berücksichtigt« (Dausien 2007, § 5; Hervorhebungen im Original).

Diese Zielformulierungen dienen dem hier vorgestellten Blended-Learning-Konzept genauso als orientierender Rahmen, wie sie die Diskussion der Lehr- und Lernbarkeit qualitativer Forschungsmethoden im Kontext digitaler Lernumgebungen in diesem Beitrag anleiten. Im Anschluss an die Frage, wie gelehrt werden soll, stellt sich also die Frage: Wie wird gelernt?

Ergebnisse der Begleitforschung des MethodenLab zum forschungsmethodischen Lernen von Lehramtsstudierenden im Rahmen ihrer Onlinekurse zur qualitativen Sozialforschung zeigen differenzierte Praktiken des Forschens und Lernens der Studierenden (Pfaff et al. 2022). Die Forschungsergebnisse verweisen auf intuitive, instrumentelle und reflexive Typen des Methodenlernens, »die sich im Hinblick auf Kriterien der Methodenwahl und in der Differenziertheit methodischer Auseinandersetzungen, in der Wahrnehmung des Verhältnisses von Forschung und pädagogischer Professionalisierung sowie in der Studienphase (Bachelor oder Masterstudium)« (ebd., 228) unterscheiden. Während es für den intuitiven und instrumentellen Zugang zum Methodenlernen um eine Erweiterung hin zu einem reflexiven Zugang zum Methodeneinsatz geht, steht beim reflexiven Typ des Methodenlernens das Erlangen von Sicherheit im Umgang mit den Forschungsmethoden im Mittelpunkt (Schrader et al. 2020).

Lehrangebote im Kontext qualitativer Methodenlehre werden also von Studierenden mit unterschiedlichen Bedürfnissen nachgefragt. Für den hier interessierenden Zusammenhang bedeutet dieser Befund einmal, die von den Autorinnen aufgestellte Forderung nach der Ausrichtung von Lehr-Lern-Instrumenten auf unterschiedliche Orientierungen ernst zu nehmen (ebd.). Es gilt also, das Blended-Learning-Konzept daraufhin zu reflektieren, welche Formen des Methodenlernens favorisiert werden, welche vernachlässigt werden und wie eine darauf reagierende Weiterentwicklung gestaltet werden kann.

Ziel ist es, die unterschiedlichen Ausgangspunkte der Lernenden mit den Instrumenten des Blended-Learning-Konzepts anzusprechen. Gleichzeitig ergibt sich die Aufgabe, unterschiedliche Orientierungen hin zu einer (selbst-)reflexiven Haltung zu befördern, gilt diese doch gerade vor dem Hintergrund des Anspruchs der Einsozialisation als ein zentraler Zielhorizont für die Lehre qualitativer Forschung (Schreier und Breuer 2020). Eine solche Haltung beinhaltet, die »Subjekthaftigkeit im Sinne der individuellen Personcharakteristik des Forschers« (Lettau und Breuer 2007, 15) nicht als Störung, sondern als dem Erkenntnisprozess inhärent zu betrachten (ebd.).

3 Die curricularen Bedingungen der Entwicklung des Blended-Learning-Konzepts: Die Ausgangssituation an der Heinrich-Heine-Universität

An der Heinrich-Heine-Universität (HHU) ist die Methodenausbildung fester Bestandteil der Bachelor- sowie Masterstudiengänge der Sozialwissenschaften. Sie findet im Rahmen von Vorlesungen und Seminaren statt, die in der Regel als wöchentliche Präsenzveranstaltungen durchgeführt werden. Ergänzt wird die Methodenlehre durch obligatorische Lehrforschungs- und Teamprojekte mit qualitativer und quantitativer Ausrichtung, in deren Rahmen die Studierenden bei der Umsetzung eigener Forschungsarbeiten begleitet werden. Qualitative Forschung und qualitative Methodenlehre sind Teil dieser Methodenausbildung, auch wenn Lehrinhalte zu quantitativen Methoden und quantitativ ausgerichtete Lehrforschungs- und Teamprojekte das Angebot dominieren. Studierende können sich also für die Durchführung eigener qualitativer Forschungsprojekte entscheiden, haben aus Vorlesungen und Seminaren zumeist allerdings wenig Vorkenntnisse und Vorstellungen von der qualitativen Forschungspraxis.

Die geringen Vorkenntnisse der Studierenden hinsichtlich qualitativer Forschung lassen sich weiter spezifizieren. Nach ihren Vorkenntnissen befragt, beziehen sich die Studierenden in erster Linie auf Vorlesungsinhalte zu Erhebungs- und Auswertungsmethoden und nur selten auf detailreiche Kenntnisse einzelner Methoden. Dies deutet auf eine vor allem rezeptive und primär auf deklaratives Wissen abzielende Auseinandersetzung mit qualitativer Forschung und ihren Methoden hin. Wenngleich Abschlussarbeiten für Studierende typischerweise einen »Kulminationspunkt ihrer Auseinandersetzung mit qualitativer Forschung« (Stamann, Lehwald und Ruppel 2023, 392) darstellen, so kann dennoch als spezifische Herausforderung markiert werden, dass sich Studierende im Rahmen ihrer empirischen Abschlussarbeit häufig erstmalig mit der Forschungspraxis qualitativer Methoden befassen. In Ermangelung einer begleitenden Forschungswerkstatt oder etablierter Interpretationsgruppen können sie den Lern- und Erfahrungsrückstand an diesem Punkt oft nicht mehr aufholen. Eine Überführung von theoretischem Wissen in die praktische Anwendung ist dann von der Selbstsozialisierung der Studierenden abhängig (Fuhrmann et al. 2021). Das Blended-Learning-Konzept soll daher einen niedrigschwelligen Einstieg in die qualitative Auswertungspraxis ermöglichen, um Vorlesungen und Lehrforschungsprojekte zu verzahnen (Otten und Hempel 2022).

Daraus ergibt sich der Bedarf, mit einem neuen Lehrangebot vor allem an deklaratives Wissen anzuknüpfen und dieses um prozedurales bzw. Handlungswissen zu ergänzen. Das heißt, hier gilt es, eine Grundlage für Handlungswissen bzgl. qualitativer Methoden zu schaffen bzw. zu aktualisieren und daran anschließend die praktische Anwendung in »Forschungszusammenhängen« (Knoblauch 2007, § 19) zu adressieren. Ziel ist es, ein Angebot zu schaffen, das die Vermittlung qualitativer Auswertungsmethoden unterstützt und darüber hinaus erste Einblicke durch die Erprobung von Auswertungsmethoden erlaubt. Sowohl die Bewilligung entsprechender Mittel für die Umsetzung als auch die Nachfrage erster Seminare auf Basis des Blended-Learning-Konzepts vonseiten der Studierenden können als Hinweis darauf gelesen werden, dass eine so angelegte Methodenausbildung von Studierenden wie Universität als erstrebenswert angesehen wird.

Formal gilt es, sich mit einem knappen Zeitbudget – was insbesondere für die qualitative Sozialforschung als Problem gilt (Keller 2014) – und differenzierten Veranstaltungsformaten auseinanderzusetzen. Eignen sich wöchentliche Seminarzeiten im Umfang von 90 Minuten für die Vermittlung forschungsrelevanten Wissens über Methoden, wird die Erprobung von Methoden im Rahmen dieser Seminare und Vorlesungen zur Herausforderung. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Veranstaltungsformate sowie divergierender Lehrziele und didaktischer Überlegungen seitens der Dozierenden ist es notwendig, das Blended-Learning-Konzept so auszuarbeiten, dass es für unterschiedliche Zeithorizonte und -rhythmen adaptierbar ist und die Aneignung qualitativer Auswertungsmethoden der Sozialwissenschaften im Selbststudium genauso wie in Blended-Learning-Arrangements ermöglicht. Dabei sollte es sich themen- und formatbezogen flexibel in die Lehre bzw. – im Rahmen studentischer Abschlussarbeiten – in die eigenen Lern- und Arbeitsprozesse integrieren lassen.

4 Thematische Ausrichtung, didaktische Gestaltung und technische Umsetzung des Blended-Learning-Konzepts zu qualitativen Auswertungsmethoden

Das hier vorgestellte Konzept umfasst flexibel einsetzbare E-Learning-Module zur Einführung in qualitative Auswertungsmethoden und zum ersten Einstieg in die Interpretationsarbeit. Der Fokus auf qualitative Auswertungsmethoden ergibt sich aus den konkreten Bedarfen am sozialwissenschaftlichen Institut der HHU, da die Studierenden neben Interviewstudien häufig an Dokumenten- und Medienanalysen arbeiten, was die Beschäftigung mit Auswertungsmethoden gegenüber Erhebungsmethoden priorisiert.

Die E-Learning-Module sind zu einem Moodle-Kurs integriert, dessen Inhalte auch als E-Learning-Kurs ein eigenständiges Selbstlernangebot bilden können. Gleichzeitig kann der Kurs von Dozierenden für Blended-Learning-Arrangements und zur Begleitung von Präsenzseminaren genutzt werden.3 Darüber hinaus bilden die einzelnen Module des Kurses in sich geschlossene Lehr-Lern-Einheiten, auf die Studierende und Dozierende selektiv zugreifen können. Der Kurs ermöglicht dadurch genauso einen Überblick über verschiedene qualitative Auswertungsmethoden der Sozialwissenschaften zu erlangen, wie er die gezielte Vorbereitung auf konkrete empirische Projekte und die Adressierung spezifischer Fragestellungen und Probleme unterstützen kann. Durch diesen Aufbau wird nicht nur die Anschlussfähigkeit des Angebots an unterschiedliche Studienphasen und Offenheit für die Bedürfnisse einer heterogenen Studierendenschaft befördert, auch die mögliche Integration in verschiedene Veranstaltungsformate wird so gewährleistet.

Die Module geben nicht zwingend den für wöchentliche Präsenzseminare typischen Rhythmus 90-minütiger Lehreinheiten vor. Allerdings sind die einzelnen Module und ihre Elemente einheitlich und orientiert an den Schritten der jeweiligen Analysemethoden aufgebaut, perspektivisch auf den gleichen Forschungsgegenstand ausgerichtet und bieten sich dadurch für die Strukturierung eines klassischen Seminarrhythmus durchaus an. Um den Einsatz der einzelnen Module dennoch flexibel zu gestalten, sind die Module und ihre Elemente nicht nummeriert und nehmen nicht explizit aufeinander Bezug. Auf diesem Wege lässt sich die Reihenfolge der Inhalte bearbeiten, gleichzeitig lassen sich einzelne Module und Elemente löschen, aber auch herauslösen, um exklusiv bearbeitet zu werden.

4.1 Der thematische Schwerpunkt

Eingeleitet wird der Moodle-Kurs durch ein Modul zur Einführung in qualitative Auswertungsmethoden. Hier wird ein Überblick über die aktuelle Lehrbuchlandschaft präsentiert und es werden methodologische Positionen der interpretativen Sozialforschung thematisiert. Das Herzstück bilden vier Module zu den Auswertungsmethoden Grounded-Theory-Methodologie (Glaser und Strauss 1998 [1967]; Strauss und Corbin 1996 [1990]), Narrationsanalyse (Schütze 1977), objektive Hermeneutik (Oevermann et al. 1979) und dokumentarische Methode (Bohnsack, Nentwig-Gesemann und Nohl 2001). Ergänzt werden die Methodenmodule durch ein Feedbackmodul für Studierende, worüber diese Rückmeldung geben und die fortwährende Weiterentwicklung der Materialien unterstützen können. Darüber hinaus wird ein Modul mit Hinweisen für Lehrende angeboten, das weitere Materialien, Lösungsvorschläge und Übungen (auch für Präsenzphasen) bereithält. Das thematische Spektrum orientiert sich einmal an einem in den Sozialwissenschaften etablierten Kanon an Methoden, die helfen, in der Methodenlehre zentrale Logiken der Analyse, aber auch methodische und methodologische Unterschiede herauszustellen.4 Darüber hinaus bilden die Module zur Grounded-Theory-Methodologie, Narrationsanalyse, objektiven Hermeneutik und dokumentarischen Methode eine meines Erachtens passende Ergänzung der in den Sozialwissenschaften der HHU angebotenen Methodenlehre, die sich bisher vor allem auf die qualitative Inhaltsanalyse (Mayring 2010) fokussiert.

Den roten Faden durch die Methodenmodule bildet ein einheitliches Forschungsthema, nämlich die Erfahrung des Homeoffice während der Pandemie, das aus unterschiedlichen Perspektiven entsprechend der vier Methoden bearbeitet wird. Dadurch entsteht ein gemeinsamer Bezugspunkt, an dem anschaulich wird, wie sich Fragestellungen, Materialgrundlagen, Argumentationen sowie Interpretationen in Abhängigkeit der jeweiligen Auswertungsmethode unterscheiden. Neben der Variation der Materialgrundlage unterstützt die Bearbeitung des gleichen Datenmaterials mit verschiedenen methodischen Zugängen die Sichtbarkeit der Unterschiede, Potenziale und Grenzen eben jener Auswertungsmethoden. Somit eröffnen die E-Learning-Materialien den Studierenden die Möglichkeit, sich einen reflexiven Umgang mit Auswertungsmethoden anzueignen und sie unterstützen informierte forschungspraktische Entscheidungen.

4.2 Die didaktischen Gestaltungselemente

Um die Lernenden und Lehrenden durch den Kurs zu leiten und einen einfachen – auch selektiven – Zugriff zu ermöglichen, sind alle Module ähnlich strukturiert und die Kursoberfläche ist entsprechend klar gestaltet. Die Module weisen ein einheitliches Design auf, welches Gestaltungsprinzipien wie Segmentierungs-, Signalisierungs- und Kontiguitätsprinzipien (Mayer 2021) folgt. Die einzelnen Module umfassen bis zu fünf Screencasts mit zugehörigen Übungen, Materialen und Kontextinformationen (siehe Abbildung 1).

Beispiel eines Modulteils mit einführendem Screencast und zugeordneten Lehr-Lern-Materialien zur Narrationsanalyse

Eröffnet wird jedes Modul mit einem Screencast, der eine Einführung in die jeweilige Auswertungsmethode präsentiert. Dieser einführende Screencast folgt einer wiederkehrenden thematischen Struktur: kommentierte Grundlagenliteratur, historische Entwicklungen, Beispielforschung, Grundannahmen sowie Ziele und Auswertungsschritte der Methode. An diesen Überblick anschließend folgt der Aufbau jedes Moduls in seiner inhaltlichen Logik dem Ablauf des jeweiligen Auswertungsverfahrens in der Forschungspraxis. Am Beispiel des übergeordneten Forschungsthemas werden in weiteren Screencasts die zuvor präsentierten Verfahren und Verfahrensschritte anhand einer exemplarischen Forschungsfrage und am empirischen Material plausibilisiert. Kurze Anwendungsbeispiele führen den Vollzug der jeweiligen Auswertungsmethoden vor Augen.

Um die Rezeption zu steigern, ist jedem Screencast eine Instruktion vorangestellt, die darüber informiert, was die Studierenden von dem jeweiligen Video zu erwarten haben und welche Lernziele verfolgt werden können.5 Im Anschluss an jeden Screencast folgen (interaktive) Übungen, in denen die vorher präsentierten Inhalte aufgegriffen und die Studierenden zu einer ersten aktiven Anwendung angeregt werden. Die Übungen sind unterschiedlich komplex und zielen darauf ab, das zuvor präsentierte Wissen zu verfestigen und durch erste Transferleistungen Handlungskompetenzen auszubilden (Pfaff et al. 2022). Sie sind dabei so gestaltet, dass sie auf den Screencasts aufbauen und nur nach deren Rezeption gewinnbringend bearbeitet werden können. Mit den Screencasts wird mittels darbietender Lehrverfahren auf den Erwerb des Grundlagenwissens abgezielt, wohingegen mit den Übungen das Handlungswissen adressiert wird. Die vertiefenden, das methodische Vorgehen illustrierenden Screencasts, stellen dabei eine Scharnierfunktion dar.

Neben Quiz-Übungen, Rätseln oder Lernkarten, in denen Inhalte wiederholt werden, werden Übungen angeboten, die dabei unterstützen, die Aneignung des Grundlagenwissens in eine praktische Anwendung zu überführen. Die Übungen sind so aufgebaut, dass sie den Interpretationsprozess nachbilden und die Studierenden durch das Material führen (Kminek 2020). In diesen Übungen geht es beispielsweise darum, methodische Entscheidungen zu kritisieren und Alternativen zu formulieren, aber auch Interpretationsvorschläge zu formulieren oder zu ergänzen. Zu diesem Zweck werden die in den Screencasts präsentierten Auswertungssequenzen in den sich anschließenden Übungen fortgeschrieben und die Studierenden können auf diesem Wege Auswertungsschritte nachvollziehen und selber am Material ausprobieren. Übungsergebnisse können zum Abschluss gesichert und dadurch gesammelt, wieder aufgegriffen und in Präsenzphasen integriert werden (siehe Abbildung 2).

Im Modul »Grounded-Theory-Methodologie« schließen die Studierenden beispielsweise im Anschluss an den Screencast »Grounded-Theory-Methodologie – Axiales Kodieren« eine Übung an, in der sie aufgefordert werden, eine im Screencast erarbeitete Kodeliste nach dem Kodierparadigma zu sortieren (Strauss und Corbin 1996). Ihre Arbeitsergebnisse können die Studierenden dann mit einem in der Übung hinterlegten Vorschlag vergleichen, um ihre Sortierung zu prüfen, zu schärfen und gegebenenfalls zu revidieren. Die präsentierten Vorschläge werden gezielt nicht als Musterlösungen bezeichnet, um die Studierenden zu eigenen Deutungen zu ermutigen und die Gültigkeit mehrerer Lösungswege anzuzeigen. Integriert in ein Blended-Learning-Arrangement können die Studierenden schließlich aufgefordert werden, in der Präsenzsitzung ihre entwickelte Ordnung in Kleingruppen zu diskutieren und weiteres Material zu kodieren, um zu erkennen, welche Ordnungsversuche sich an zusätzlichem Material bewähren und wie Vorschläge überarbeitet werden müssen, um neue Kodes zu integrieren. Methodisch können die Studierenden auf diesem Weg den zirkulären Forschungsprozess der Grounded-Theory-Methodologie in der Praxis erleben.6

»Übung Kodierparadigma« im Modul Grounded-Theory-Methodologie mithilfe des H5P-Elements »Drag and Drop«

Erste Einblicke in die Auswertungspraxis durch Screencasts und Übungen im Selbststudium eröffnen die Möglichkeit, Präsenzsitzungen in einem Blended-Learning-Arrangement mit einer Kleingruppenarbeit zu eröffnen, ohne die Studierenden durch die Arbeit am Material zu überfordern. Ziel der Gruppenarbeit zur Eröffnung der Präsenzphase ist die Aktivierung von Vorwissen aus dem Selbststudium über den Austausch untereinander. Darüber hinaus lässt die direkte Eröffnung einer Präsenzsitzung durch eine Gruppenarbeitsphase ohne vorhergehende Sammlung der Selbstlerninhalte und der Synchronisation von Wissen in der Regel leistungsdifferenzierte Gruppen entstehen. In Anlehnung an die handlungsorientierte Unterrichtsmethode des Lernens durch Lehren (Berger, Spannagel und Grzega 2011) können Studierende dadurch ihrem individuellen Lernstand entsprechend Beiträge zur Gruppenarbeit leisten und von den Wissensbeständen der Kommiliton*innen profitieren. Im Rahmen eines Peer-Teachings werden folglich leistungsstarke Studierende zu Vermittelnden, die den Lerngegenstand auf diesem Wege noch einmal aus anderer Perspektive und unter Berücksichtigung neuer Aspekte durchdringen, wodurch allen Gruppenmitgliedern ein Lernfortschritt ermöglicht wird. Die dadurch identifizierten Wissenslücken bilden schließlich die Grundlage für eine die Präsenzsitzung abschließende Sammlungsphase. Im Plenum werden ungelöste Probleme und offene Fragen besprochen.

Betrachtet man das E-Learning-Material, so kann der Aufbau des Kurses mit gleichförmig strukturierten Modulen für die Studierenden Dimensionen sichtbar machen, anhand derer die Methoden sinnvoll verglichen und Bezüge zwischen ihnen hergestellt werden können. Dies eröffnet Potenziale für eine Reflexion der methodischen Charakteristika und – komparativ gesprochen – Spezifika. Wenngleich dies nicht immer und von allen Studierenden erreicht wird, so wird damit doch eine Tiefe der Auseinandersetzung möglich, die über eine unverbundene Aneignung von Grundlagenwissen hinausgeht. Die Eröffnung jedes Modulteils mit einem Screencast nutzt die Vorteile der audiovisuellen Wissensvermittlung, indem die Anwendung der jeweiligen Methode am Material gezeigt werden kann. Die Kombination aus Screencasts, Übungen, Präsentationen und Texten antwortet darüber hinaus auf differenzierte habituelle Lerntypen (Otten und Hempel 2022; Schrader et al. 2020; Wintzer 2023).

4.3 Die technische Infrastruktur

Ausgangspunkt der technikorientierten Überlegungen bildet die formale Anforderung, eine möglichst einfach zu bedienende, niedrigschwellige Anwendung sicherzustellen. Studierende und Lehrende sollen ohne große Einarbeitungszeit selbstständig mit den E-Learning-Materialien arbeiten können. Die technische Umsetzung des Blended-Learning-Konzepts erfolgt daher im Rahmen eines Kurses auf der Lernplattform Moodle, zu der die Studierenden und Dozierenden der Sozialwissenschaften an der HHU Zugang haben. Das User-Interface von Moodle kann daher als vertraut gelten. Studierende wie Lehrende können auf den Kurs und seine Inhalte zugreifen, um nach Bedarf den Kurs, einzelne Module und Elemente zu bearbeiten bzw. für die eigene Lehre zu nutzen und zu adaptieren. Gleichzeitig können Inhalte einfach aktuell gehalten werden (Wintzer 2023). Über Moodle steht Lehrenden ein breites Spektrum möglicher Anwendungen und Lernenden eine relativ leicht zugängliche Kursoberfläche zur Verfügung. Die Plattform eignet sich genauso für E-Learning-Angebote, da Inhalte zur orts- und zeitunabhängigen Bearbeitung zur Verfügung stehen sowie zur digitalen Anreicherung und Unterstützung von Präsenzlehre.

Konkret wird Moodle im Rahmen des hier vorgestellten Blended-Learning-Konzepts zur Bereitstellung von Lehr-Lern-Materialien in Form von Screencasts und Textdokumenten genutzt, die mit interaktiven Lernaktivitäten in Form von H5P-Anwendungen verknüpft sind. Die Screencasts liegen auf einem externen Server und sind über einen Link eingebunden, um den jeweiligen Moodle-Server nicht zu überlasten. Bei H5P handelt es sich um ein Tool zur Erstellung interaktiver Lernmaterialien, die zwischen verschiedenen Lernmanagementsystemen interoperabel sind (H5P 2023). Die H5P-Übungen sind also nicht an Moodle als Plattform gebunden und können daher auch in andere Kontexte eingebunden und für diese adaptiert werden.7

Im Zentrum der Entscheidung für eine virtuelle Plattform stehen Überlegungen hinsichtlich Verbreitung, Kompatibilität und Adaptionsmöglichkeiten der darüber zur Verfügung gestellten Inhalte, auch über die Projektzeit hinaus. Einheitliche Plattformlösungen schaffen technische Synergieeffekte und erleichtern dadurch die Nachnutzung von Lehrmaterialien in Lehrkonzepten anderer Dozierender und Hochschulen. Gleichzeitig können dadurch E-Learning-Angebote anderer Hochschulen in das hier vorgestellte Konzept integriert werden (Hartung 2022). Aber nicht nur die Nachnutzung und das Teilen von Lehrinhalten wird Lehrenden durch kompatible Formate ermöglicht, auch die Bearbeitung und Anpassung fremder Lehrinhalte für den eigenen Lehr-Lern-Zusammenhang wird durch den – geübten – Umgang mit übertragbaren Techniklösungen erleichtert. Daran anknüpfend sind alle in diesem Projekt entstandenen E-Learning-Materialien unter CC-Lizenz veröffentlicht und stehen als Open Educational Resources (OER) zur Verfügung.8 Zusätzlich sind alle Materialien als editierbare Dateien in den Moodle-Kurs integriert, um deren Bearbeitung und Weiterentwicklung zu gewährleisten.

5 Die Umsetzung auf dem Prüfstand: Technische und didaktische Anschlussüberlegungen

Die hier vorgestellten Überlegungen resultieren in erster Linie aus den Erfahrungen mit einem Blended-Learning-Arrangement aus dem Wintersemester 2022/23 an der HHU, in dem die Seminarteilnehmenden alle Module des Moodle-Kurses in asynchronen, individuellen Selbstlernsettings durchgearbeitet und in den Präsenzphasen im Plenum diskutiert haben. Zu jeder Präsenzsitzung wurden Screencasts angeschaut, um Grundlagenwissen anzueignen und mit der Bearbeitung zugehöriger Übungen zur Auswertungspraxis die Gruppenarbeiten in der Präsenzphase vorbereitet. Die ersten Ansätze von Handlungswissen aufgreifend wurde in der Kleingruppenarbeit im Präsenzseminar an erste Auswertungsversuche angeschlossen und diese wurden in der Gruppe fortgesetzt. Bei den Studierenden handelte es sich um Bachelorstudierende unterschiedlicher Studiengänge der philosophischen Fakultät der HHU, die sich im letzten Drittel ihres Studiums befanden. Ergänzt werden die hier zusammengetragenen Evaluationen durch Beobachtungen in einem aktuellen Seminar in den Masterstudiengängen der Sozialwissenschaften, das im gleichen Modus mit den E-Learning-Materialien verzahnt ist.

Im Zuge der Lehrveranstaltungen konnte der angesetzte Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand der Module im Austausch mit den Studierenden eingeschätzt, Lücken und Verständnisprobleme aufgedeckt, aber auch Lernerfahrungen kritisch diskutiert werden. Durch die Selbstbeobachtung nahmen die Studierenden darüber hinaus eine Metaperspektive auf ihre eigenen Lernerfahrungen und Lernkompetenzen ein. Die Rückmeldungen dieser ersten Testphase bilden die Grundlage für die Überarbeitung und Erweiterungen des Blended-Learning-Konzepts. Auf diesem Weg haben Studierende nicht allein als Lernende Anteil an den Angeboten, vielmehr wurden sie Teil der digitalen Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung. Einige Beobachtungen werden im Folgenden gebündelt dargestellt.

Auch wenn sich das Blended-Learning-Konzept an einem Standard orientiert und bei Konzeption und Umsetzung der E-Learning-Materialien auf kompatible Anwendungen geachtet wurde, so verweist der Praxiseinsatz doch mitunter auf Einschränkungen in der Nutzbarkeit und auf Schnittstellenprobleme, die system- und endgeräteabhängig sowie browserabhängig sein können. Unterschiede hinsichtlich der digitalen Kompetenzen der Studierenden zeigen sich vor allem in dem Vermögen, mit technischen Problemen umzugehen und auf diese zu reagieren. Während ein Teil der Studierenden passiv auf auftretende technische Probleme reagiert, ist bei anderen die selbstständige Suche nach Lösungen für technische Probleme zu beobachten. Sie berichten über fehlgeschlagene Lösungsversuche und bringen eigenständig Lösungsvorschläge in das Seminar ein, von denen auch die anderen Teilnehmenden profitieren.

Schließlich ist zu beobachten, dass auch in der Präsenzlehre auf die E-Learning-Materialien zur Auswertungspraxis zugegriffen wird und diese für die Gruppenarbeit in Präsenz genutzt werden. Um ein Endgerät versammelt, arbeiten die Studierenden am Material, diskutieren ihre Interpretationen und halten ihre Deutungen über die Eingabemaske schriftlich fest (siehe Abbildung 3).

»Übung Strukturelle Beschreibung« mit Eingabemaske im Modul Narrationsanalyse mithilfe des H5P-Elements »Documentation Tool«

Auch wenn die Eingabemaske der Übungen Einschränkungen mit sich bringt (es ist nur Texteingabe möglich), können Ergebnisse auf diesem Weg leicht gesichert, geteilt oder eingereicht werden. Übungen werden so ohne großen materiellen Aufwand und ressourcenschonend realisiert, was ein Hinweis für eine im Kontext qualitativer Forschung vernachlässigte Diskussion hinsichtlich umwelt- und klimarelevanter Implikationen sein kann (Ruppel 2020).

Betrachtet man die Gruppenarbeiten am Material im Seminarraum, so tritt hervor, was Oliver Berli (2017, 441) in Interpretationsgruppen als »Ordnungsruf« fasst. Studierende diskutieren die eingebrachten Interpretationen nicht nur inhaltlich, sie kritisieren sie auch hinsichtlich der Form und des Zustandekommens der Deutungsangebote. In diesen Auseinandersetzungen werden implizit und mitunter explizit Kriterien und Prinzipien der qualitativen Sozialforschung und einzelner Methoden zur Sprache gebracht und so Lerninhalte des digitalen Selbststudiums mit der kommunikativen Präsenzerfahrung verknüpft. Gleichzeitig wird durch den Rekurs auf Kriterien und Prinzipien ein intuitives Vorgehen der Studierenden im Interpretationsprozess herausgefordert. Hier zeigt sich ein Absichern von Deutungsangeboten durch gegenseitige Validierung. In Auseinandersetzung mit dem Forschungshandeln anderer Studierender werden Qualitätserwartungen thematisiert, zu denen sich die Lernenden verhalten müssen. Deutungen werden überdacht, erweitert, verfeinert oder begründet verworfen. Ergebnisse »sind auch deswegen detailliert und schlüssig, weil sie auf die Probe gestellt wurden« (ebd.).

Durch die Vorstrukturierung der Gruppenarbeiten mittels digitaler Übungen und Screencasts werden die Studierenden an einzelne Auswertungsschritte erinnert und dazu angehalten, methodisch vorzugehen. Sie können im Präsenzseminar nachvollziehen, was sie im digitalen Raum kennengelernt haben. Positiv zu bewerten ist der lebhafte und zielgerichtete Austausch und das damit verbundene Fortschreiten der Arbeit am Material. Gleichzeitig zeigt sich in den Gruppenarbeiten durch den Rekurs auf Auswertungsschritte und Prinzipien bei der Arbeit am Material eine Tendenz hin zu einer Befürchtung, die Reiner Keller hinsichtlich der Anleitung qualitativer Forschung in Lehrbüchern formuliert:

»Solche Kondensierungen werden jedoch im Lehreinsatz sehr schnell als Bedienungsanleitungen für korrektes Forschen rezipiert, weil sich die Aufmerksamkeitsökonomie weniger auf das jeweilige Gegenstandsverständnis und die damit verbundenen Fragestellungen als vielmehr auf das Rezeptwissen verlagert. Die Einhaltung der Schrittfolge ist Selbstzweck, der die Zuverlässigkeit und Bedeutung der Ergebnisse begründet, garantiert« (2014, 174f.).

Dem entspricht in den Rückmeldungen der Studierenden die Forderung nach weiteren Musterlösungen im E-Learning-Material. Gerade die interaktiven Übungen zu ersten Interpretationsversuchen sind darauf ausgelegt, den Deutungen der Studierenden Raum zu geben und einen breiten Möglichkeitsraum erfahrbar zu machen. Sich auszuprobieren steht hier im Mittelpunkt. Die Vielfalt zulässiger Deutungen wird von den Studierenden mitunter allerdings als problematisch empfunden. In den Vordergrund tritt ein instrumenteller Umgang mit den E-Learning-Materialien, der auf eine Lösung zustrebt. In diesem Modus probieren sich Studierende weniger aus und sind darum bemüht, das Richtige zu tun. Nachfragen kreisen dann um ein Rezeptwissen, mit dem auf eine positive Bewertung des eigenen Forschungshandelns durch die Dozierenden hingearbeitet werden soll. Eine reflexive Haltung, die Deutungen und Forschungshandeln auf Grundlage methodologischer und methodischer Argumente favorisiert oder zurückweist, findet sich an dieser Stelle weniger ausgeprägt. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, die Module in der Lehrpraxis in einem Blended-Learning-Arrangement einzusetzen, das die Möglichkeit eröffnet, Studierende unterschiedlicher habitueller Orientierungen direkt zu unterstützen und sie dazu zu motivieren, das Material aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.

6 Fazit

Geänderte Rahmenbedingungen während des Umsetzungsprozesses sowie erste Praxiserfahrungen mit dem Blended-Learning-Konzept haben den Fokus der Einsatzmöglichkeiten in Lehr-Lern-Szenarien verschoben. War ursprünglich die Ermöglichung, sich qualitative Methodenkompetenz außerhalb des Seminarraumes in asynchronen Zusammenhängen anzueignen Ausgangspunkt der Überlegungen und Konzeptionen, fand schließlich eine Verschiebung hin zu Möglichkeiten der Verschränkung von digitalen Angeboten und Präsenzlehre statt. Infolgedessen geht es abschließend darum, Hinweise auf einen didaktischen Mehrwert dieser Verschränkung für die Lehre qualitativer Methoden zusammenzutragen.

Die Einbindung der E-Learning-Materialien kann – je nach didaktischem Konzept – helfen, Präsenzphasen für Interpretationsprozesse zu öffnen. Folgt man beispielsweise dem Flipped-Classroom-Konzept (für eine Umsetzung in der qualitativen Methodenausbildung siehe Wintzer 2023), können der Erwerb des Grundlagenwissens und die damit verbundenen Übungen zur Auswertungspraxis in die asynchron angelegten Onlinephasen des Seminars verschoben werden. Darauf aufbauend bringen die Studierenden Eindrücke, Probleme und Ideen mit in den Seminarraum, die einen schnellen Diskussionseinstieg herbeiführen und in der Großgruppe besprochen werden können, wodurch die aufgeworfenen Fragen, Argumente und Lösungen allen Teilnehmenden zugänglich werden. Damit geht der schnelle und lebhafte Einstieg in Interpretationsprozesse im Präsenzseminar einher. Mit neuem Material konfrontiert, ahnen die Studierenden, was nun zu tun ist, und wagen schnell(er) eigene Deutungsversuche. Die vorhergehende asynchrone Onlinephase scheint geeignet, das Eis zu brechen und die Effektivität der Präsenzphase zu steigern. Die Präsenzphase ist durch Austausch geprägt und in den Gruppen findet – auch ohne Präsenz der Seminarleitung – eine breite Beteiligung an Interpretationsversuchen statt, was in Anbetracht des tendenziell noch niedrigen, gleichzeitig sich im Zuge der Auseinandersetzung auch divergierenden Kompetenzniveaus in und zwischen den Gruppen als Herausforderung gelten kann.9 Gleichwohl wird die Präsenzveranstaltung so zum Ort des praktischen Vollzugs von Auswertungsmethoden und einer gemeinsam etablierten Praxis.

Der Fokus auf qualitative Auswertungsmethoden ergibt sich aus den konkreten Bedarfen am sozialwissenschaftlichen Institut der HHU. Daraus entsteht die Gefahr der künstlichen Linearisierung des qualitativen Forschungsprozesses durch die isolierte Betrachtung von Auswertungsmethoden, der in den einzelnen Lehr-Lern-Modulen durch die punktuelle Bezugnahme auf Fragestellungen und Erhebungsmethoden begegnet werden soll. Die im Kurs angebotene Bandbreite an Auswertungsmethoden bietet den Studierenden eine erste Orientierung über Positionen im Feld der qualitativen Sozialforschung. Durch den strukturell identischen Aufbau der Module samt einem einführenden Überblick zu Hintergrundannahmen, Zielen und Verfahrensschritten der einzelnen Methoden und einem ersten Einblick in praktische Interpretationsarbeit werden vor den Augen der Studierenden Vergleichsdimensionen der Methoden sichtbar, die Ähnlichkeiten und Unterschiede beobachtbar machen. Für das eigene forschende Handeln werden dadurch methodologisch informierte und begründbare Entscheidungen in Bezug auf geeignete Methoden unterstützt.

Mit Blick in die Zukunft wird es darum gehen, das Angebot an Übungen zum Methodenspektrum zu erweitern. Aufbauend auf dem präsentierten Überblick und damit verknüpften impliziten Vergleichen sollen die Studierenden befähigt werden, systematisierend Vergleichsprozesse auszuführen. Gewissermaßen greifen hier Form und Inhalt der Aneignung qualitativer Sozialforschung ineinander, stellt der Vergleich – zum Beispiel in der GTM als Constant Comparison Method (Glaser 1965) oder in der relationalen Hermeneutik (Straub und Ruppel 2023) – doch eine Basistechnik qualitativen Forschens dar. So scheint es sinnvoll, die Studierenden als Expert*innen anzusprechen und sie – konfrontiert mit verschiedenen Forschungsszenarien – zu begründeten Entscheidungen hinsichtlich angedachter Auswertungsstrategien zu befragen. Dies hat zum Ziel, die Entscheidungskompetenz und damit den reflexiven Umgang der Studierenden mit Auswertungsmethoden weiter zu stärken.

Um den gesamten qualitativen Forschungsprozess begleiten zu können, ist zudem geplant, das Angebot um qualitative Erhebungsmethoden und methodologische Grundlagen zu erweitern und es so für das selbstgesteuerte Lernen weiterzuentwickeln und auszudifferenzieren. In der aktuellen Pilotphase bearbeiten alle Studierenden eines Seminars alle Module des Moodle-Kurses in einem vorgegebenen wöchentlichen Rhythmus. Zukünftig soll diese synchronisierende Vorgabe aufgebrochen werden und der Kurs den Studierenden als offenes Angebot zur Verfügung stehen, mit dessen Hilfe sie selbstgesteuert Seminare und Seminaraufgaben nach dem Prinzip eines Problem-based-Learning bewältigen (Müller, Schäfer und Thomann 2016). Sie können dann orientiert am individuellen Erkenntnisprozess einzelne Module entsprechend ihrer Lern- und Forschungsrelevanzen sukzessive auswählen.

Grundprinzipien und Anwendungsformen qualitativer Auswertungsmethoden im praktischen Vollzug des Interpretierens zu vermitteln, kann im Rahmen des Blended-Learning-Konzepts nur in Ansätzen realisiert werden. Allerdings deutet sich an, dass sich das Blended-Learning-Konzept dazu eignet, schneller an den Punkt der gemeinsamen Interpretationsarbeit im Präsenzseminar zu gelangen und Prozesse einer gegenseitigen, kriterienorientierten Validierung zwischen den Studierenden anzustoßen.

Anmerkungen

[1]
Eine frühe Ausnahme bildet die 1999 gegründete »NetzWerkstatt«, in der das moderierte Peer-to-Peer-Prinzip in eine onlinebasierte Forschungsumgebung transformiert wurde (Ruppel und Mey 2012).
[2]
In den vorliegenden Beitrag ist vielfältige Unterstützung eingegangen. Bedanken möchte ich mich für die engagierten Rückmeldungen der Studierenden der Sozialwissenschaften der HHU sowie die produktive Unterstützung durch Kira Freier und Georgia Tsatsaroni bei der Umsetzung des Blended-Learning-Konzepts. Mein besonderer Dank gilt der HHU, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW für die Förderung im Rahmen des »Fellowship für Innovationen in der digitalen Hochschullehre« und den Herausgebern dieses Themenheftes für die Unterstützung der Finalisierung dieses Beitrags.
[3]
Zur Vielfalt der Verknüpfungen von Online- und Präsenzphasen an der Hochschule vgl. Wipper und Schulz (2021).
[4]
Hier sei beispielhaft auf die folgenden Lehrbücher verwiesen: Kleemann, Krähnke und Matuschek (2013), Mey und Mruck (2020), Przyborski und Wohlrab-Sahr (2021).
[5]
Für einen barrierearmen Zugang sind jedem Screencast Untertitel beigefügt.
[6]
Durch Übungen und Screencasts zum narrativen Interview oder zur Gruppendiskussion wird die Verzahnung von qualitativen Erhebungs- und Auswertungsverfahren zusätzlich unterstrichen.
[7]
Auch das E-Learning-Angebot des Methodenzentrums der Ruhr-Universität Bochum basiert auf H5P-Anwendungen. Explizit werden Lehrende durch das Methodenzentrum darauf verwiesen, dass »alle interaktiven Elemente in unserem Angebot […] leicht in Moodle-Kurse und andere E-Learning-Umgebungen übernommen werden« können (Ruhr-Universität Bochum Methodenzentrum 2023).
[8]
Die Screencasts sind online abrufbar unter: https://bit.ly/3ScwZCV
[9]
Zur Homogenität und Heterogenität von Gruppen als Bereicherung oder Erschwernis gelingender Werkstattarbeit vgl. Hoffmann und Pokladek (2010).

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Die Autorin

Bettina Ülpenich, Dr., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Soziologie I und II an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Soziologie der Kategorisierung, die Soziologie des Wertens und Bewertens, Studienerfolgsforschung, Geschlechtersoziologie und qualitative Sozialforschung.

Kontakt: Dr. Bettina Ülpenich,
Heinrich-Heine Universität-Düsseldorf, Universitätsstr. 1, D-40225 Düsseldorf
E-Mail: bettina.uelpenich@uni-duesseldorf.de