Träume riechen und vom Riechen träumen

Einige Überlegungen zum olfaktorischen Potenzial des Traums

Amelie Zadeh

Journal für Psychologie, 32(2), 107–126

https://doi.org/10.30820/0942-2285-2024-2-107 CC BY-NC-ND 4.0 www.journal-fuer-psychologie.de

Zusammenfassung

Für die Genese der Psychoanalyse war das Olfaktorische ein wichtiger Wegbegleiter: Die Fährten des Riechens und Stinkens ziehen sich von den Geruchshalluzinationen der Hysterikerinnen, Freuds Selbstanalyse und der Konzeption der Verdrängung bis hin zum »Unbehagen in der Kultur«. Der Geruch ist also ein Medium, in dem zeitliche und räumliche Vektoren diffundieren – er haftet Ursprünglichem an, das sich in Form von Reminiszenzen mit intensiver olfaktorischer Qualität immer wieder seinen Weg bis zum System »Vorbewusst/Bewusst« in voller Kraft bahnt. Besonders an der Grenze von Traum, Fantasie und realem Erleben birgt das Olfaktorische nicht nur als somatischer, sondern auch als virtueller Grenzgänger wertvolles analytisches Potenzial.

Schlüsselwörter: Traum, Traumdeutung, Fantasie, Geruch, olfaktorisch, Ekel

Smelling Dreams and Dreaming of Smells

Some Considerations on the Olfactory Potential of Dreams

For the genesis of psychoanalysis, the olfactory sensation was a significant companion: The traces of smelling and stinking extend from the olfactory hallucinations of hysterics, Freud’s self-analysis, and the conception of repression to »Civilization and Its Discontents«. Smell is thus a medium through which temporal and spatial vectors diffuse – it adheres to the primal, manifesting in the form of reminiscences with intense olfactory quality, repeatedly finding its way to the preconscious/conscious system in full force. Especially at the border between dream, fantasy, and experienced reality, the olfactory not only serves as a somatic but also a virtual border crosser with valuable analytical potential.

Keywords: dreams, interpretation of dreams, phantasy, smell, olfactory, disgust


LE CHIEN ET LE FLACON
»— Mon beau chien, mon bon chien, mon cher toutou, approchez et venez respirer un excellent parfum acheté chez le meilleur parfumeur de la ville.«

Et le chien, en frétillant de la queue, ce qui est, je crois, chez ces pauvres êtres, le signe correspondant du rire et du sourire, s’approche et pose curieusement son nez humide sur le flacon débouché; puis, reculant soudainement avec effroi, il aboie contre moi en manière de reproche.

»— Ah! misérable chien, si je vous avais offert un paquet d’excréments, vous l’auriez flairé avec délices et peut-être dévoré. Ainsi, vous-même, indigne compagnon de ma triste vie, vous ressemblez au public, à qui il ne faut jamais présenter des parfums délicats qui l’exaspèrent, mais des ordures soigneusement choisies.«

Charles Baudelaire, 1868

Charles Baudelaire verstand es, auf verführerische Weise die olfaktorischen Landschaften des Urbanen, des rasanten Fortschritts und der Industrialisierung in Sprache zu gießen, um bei seiner Leserschaft prägnante, innere Bilder zu evozieren. Als somatische Grenzgänger begleiten das Riechen und der Geruch unausweichlich unser alltägliches Sensorium. Anders als beim Sehsinn entkommen wir beim Olfaktorischen unserem Köper und dessen Eigensinn und eigenen Sinnen jedoch nicht. Kein Entkommen, kein »Ent-riechen«.

Der Wohlgeruch der Nymphe Mentha, der Weihrauch der Heiligen Drei Könige oder der betörende Geruch des Holunderstrauchs, unter dem das Kleist’sche Käthchen von Heilbronn entschlummert und träumt – quer durch die Kulturgeschichte markiert das Olfaktorische dramaturgische Schwellen, an denen Bewusstseinszustände ineinander übergehen, das Erhabene sich mit dem Ekel verbindet, Verführung und Tod, Gegenwart und Vergangenheit kollidieren. Das Olfaktorische beinhaltet also das Potenzial, seine eigene Zeitlichkeit zu schaffen, genauso wie es – neben dem tatsächlichen Verweis auf seine jeweilige Quelle, also indexikalisch (»ich rieche XY«) – auch selbst zur Quelle von Erinnerung und Affekt – also selbstreferenziell – wird (»ich rieche«). Anders ausgedrückt: Das Verbum »riechen« kann im Deutschen transitiv und intransitiv verwendet werden, kann ein Objekt nach sich ziehen, oder auch nicht.

Dass dem Olfaktorischen nicht nur eine physische, sondern auch eine »virtuelle« (Menninghaus 2002, 312) Körperhaftigkeit zugrunde liegt, wird besonders deutlich, wenn es auf Sprache trifft. Anders als Baudelaire ist es uns in der Alltagssprache ein Schwieriges, die sensorische Qualität eines Geruchs in Worte zu fassen. Jeglicher Versuch, sprachlich exakte Analogien zu finden, gleicht dem Unterfangen, Luft oder Licht einfangen zu wollen. Nicht umsonst leitet sich die Herkunft des Wortes »Parfum« vom Lateinischen »per fumare« – wörtlich »durch Rauch« – her. Wörter scheinen sich also im Angesicht des Olfaktorischen aufzulösen und gehen in einen anderen Aggregatszustand über, der sich gerne unserem Bewusstsein entzieht.

Gleich dem Baudelaire’schen Hund lohnt es sich allerdings als Leserschaft, die Nasen nicht nur dem Wohlgeruch, sondern auch dem »Kehricht« auf dem Boden, dem stinkenden Schmutz, Dreck und Morast zuzuwenden. Der Traum und seine Darstellungen – und in diesem Sinne auch das Werk der Traumdeutung – strotzen vor Verunreinigungen, die unser psychischer Apparat Nacht für Nacht auswirft. Es ist erstaunlich, dass diese in der Rezeption der Traumdeutung, und besonders in Bezug auf das Olfaktorische, bisher wenig Beachtung fanden, obwohl der Geruchssinn in der Genese der Psychoanalyse immer wieder wichtiger Begleiter war.

1 Historische Spuren

Ein kurzer Blick in die abendländische Kulturgeschichte des Olfaktorischen könnte durchaus als eine Geschichte der Verschiebungen und Schwellen zwischen Wahrnehmung und Verdrängung, zwischen archaischer Vergangenheit und kulturisierter Gegenwart gelesen werden. Dabei sind es soziologische, psychologische, biologische und auch politische Implikationen, die diese Grenzbereiche immer wieder überschrieben und neu definierten.

Die ephemere Qualität des Olfaktorischen macht es zu einem Forschungsgegenstand, der sowohl die Naturwissenschaften als auch die Philosophie vor die Frage stellte, wie subjektive Erfahrung in objektive Erkenntnis transponiert werden kann – oder anders formuliert: Welche Form von Wissen produziert der Geruchssinn?

Dass dieses durch das Riechen und den Geruch erfasste Wissen im Vergleich zu jenem der Fernsinne (Seh- und Hörsinn) als nahezu verachtenswert erscheint und Ablehnung erfährt, verwundert nicht: Olfaktorisches Erleben und Wahrnehmen lässt sich nicht abstrahieren und quantifizieren, trotz seiner Omnipräsenz gleiten wir bei seinem sprachlichen Erfassen ab. Diese Widerständigkeit und das Oszillieren zwischen Nah- und Fernsinne werden mit Degradierung bestraft, die sich als Traditionslinie von der Antike bis in die Moderne (mit wenigen Ausnahmen) zieht und sowohl von Jazani als auch La Guérer in ihren rezenten Überblickswerken ausführlich beschrieben und betont wird (vgl. Jazani 2024; La Guérer 2002).

Als wesentliche Zäsur in dieser Kontinuität sieht Alain Corbin in seinem 1982 erschienen Grundlagenwerk »Le Miasme et la Jonquille« die von ihm beschriebene olfaktorische Revolution: Ausgehend von den gesellschaftlichen Umwälzungen der aufkommenden Industrialisierung und dem medizinischen Fortschritt wurde das Sensorium in den Großstädten des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts neu kalibriert: Geruch und Gestank waren nicht nur das Insignium für Krankheit und Tod, sie wurden zum Medium sozialer Distinktion, die Desodorierung urbaner Lebensräume trug wesentlich zur Genese des bürgerlichen Individuums, des modernen Großstadtmenschen bei:

»It permits a new interpretation of the rise of narcissism, the retreat into private space, the destruction of primitive comfort, the intolerance of promiscuity. Distinctions and disagreements were deeply rooted in two opposed conceptions of air, dirt, and excrement; they were expressed in the antithetic conduct of the rhythms and fragrances of desire. Only an absence of smell in a deodorized environment-our own-achieved resolution of the conflict« (Corbin 1966, 232).

In Anlehnung an Marc Jenner beschreibt William Tullet zwei Tendenzen in der Bewertung des Olfaktorischen, die sich als Fortführung der von Corbin angemerkten Widersprüchlichkeit einordnen lassen: Einerseits führte die »okularzentristische Moderne« (Tullet 2023, 40) zu einer Desensibilisierung gegenüber Gerüchen und Ausdünstungen, andererseits versuchte man durch die sinkende Toleranzschwelle gegenüber dem Gestank unliebsame Gerüche zu neutralisieren.

In diesem Spannungsfeld von der eingangs erwähnten Wahrnehmung und Verdrängung bietet die Psychoanalyse unterschiedliche und ergiebige Fährten zu einer Auseinandersetzung mit dem Olfaktorischen, wenngleich auf den ersten Blick der Verdacht nicht ganz abwegig ist, der Geruchssinn könnte selbst der Verdrängung im analytischen Diskurs anheimgefallen sein (Le Guérer 2002, 7). Dennoch lassen sich kursorisch einige Positionen und Konzeptionen in Anschluss an Freud nennen, die dem Geruchssinn auf der Spur waren bzw. sind, jedoch in ihrem Umfang den Rahmen der hier vorliegenden Arbeit überschreiten würden. Freuds Schüler Sándor Ferenczi erkannte den Geruch (und damit einhergehend auch den Gestank) als wichtigen Bedeutungsträger in seiner klinischen Arbeit. Neben Ausdünstungen der Patienten und deren Funktion im analytischen Setting beschrieb er den Zusammenhang von Geld und Analerotik (Ferenczi 1927) und würdigte in seinen Untersuchungen zur Genitalität den Geruchssinn als quasi Vorläufer bewusster Denkleistung:

»Was aber ist, nach Freud, die Funktion des Denkorgans? Eine Probehandlung mit kleinsten Energiequantitäten. Und die Aufmerksamkeit? Ein intentionelles periodisches Absuchen der Umwelt mit Hilfe der Sinnesorgane, wobei nur kleine Kostproben der Reize zur Wahrnehmung zugelassen werden. – Denkorgan und Geruchsinn: beide stehen im Dienste der Realitätsfunktion, und zwar sowohl der egoistischen, wie auch der erotischen« (Ferenczi 1924, 95).

Die französische Analytikerin Françoise Dolto versteht die Funktion des Olfaktorischen als eine grundlegende in der Subjektwerdung des Menschen. Während die Mutter während des Stillens noch als Teilobjekt – als milchgebende Brust – wahrgenommen wird und das Kind dabei hauptsächlich taktile, orale, vokative und olfaktorische Sinneserfahrungen macht, ermöglicht der Geruchssinn, die Mutter als den/die Andere(n), als eigenständiges Objekt wahrzunehmen – er steht für die Anwesenheit einer Abwesenheit, da er nicht örtlich nur an die Brust als für das Baby lebenswichtiges Organ gekoppelt ist:

»The subtlety of smell spreads in the surrounding space; the child bathes in it, in the vicinity of his mother. The smell is no longer assigned to this or that part of the maternal body, […] the pituitary erogenous zone is always linked with breathing in through the nose […]. Thus, desire and discrimination of the pleasure caused by the mother’s presence occur through smell, while the need to breathe is satisfied by any sort of air however it smells coming in as much through the mouth as through the nose« (Dolto 2022, 73).

Aus Perspektive der strukturalen Psychoanalyse bezieht sich Jazani auf Jacques Lacan, der in seine Konzeption des »Anderen« in Seminar IX den Geruchssinn und die damit verbundene organische Regression, die Freud in der Analyse des »Wolfsmannes« (Freud 1909, 462) als Ursache neurotischer Konflikte anführt, als wichtigen Ausgangspunkt erachtet (Jazani 2024, 55ff). Zurecht thematisiert Jazani das Fehlen eines »olfaktorischen Triebes« in der psychoanalytischen Theorie (man denke an den Fetisch oder Perversionen), da beispielsweise im Lacan’schen Spiegelstadium die Subjektwerdung durch vorrangig visuelles und auditives Erleben erfolgt, obwohl das olfaktorische Erleben und vor allem Wissen um den Geruch der Mutter (der Hand in Hand mit dem oralen und taktilen Sinn geht) ihre Anwesenheit und Abwesenheit (in diesem Sinne »den Anderen«) für das Baby von Geburt an markiert:

»The subject’s relation to the sense of smell is present from birth to such a degree that one cannot imagine the formation of the subject without a significant role for olfaction. […] At the level of language, ›smelling a truth‹ or ›smelling a reality‹ is just as valid as observing/witnessing, hearing an echo of, or being in touch with/perceiving the touch of a subjective reality. The sensory references in a subject’s narrative can also point to an unconscious phantasy as a scenario of his or her symptom, which has its roots in the drive« (Jazani 2024, 57).

Anhand klinischen Materials zu olfaktorischen Halluzinationen und Träumen von psychotischen und depressiven Patienten zeigen George G. Wayne und Arthur A. Clinco, dass olfaktorische Manifestationen oft in Verbindung stehen mit oralen Fixierungen und der regressiven Befriedigung, die der Patient durch diese Wahrnehmungen und Fantasien erfährt. Auch sie beziehen sich auf die frühe kinästhetische Erfahrung an der Mutterbrust als Grundlage für die psychosexuelle Entwicklung (vgl. Wayne und Clinco 1959).

Die hier im Text folgenden theoretischen Positionen, das Haut-Ich von Anzieu und der post-kleinianischen Ansatz von Segal mit der Betonung auf den »primitiven, somatischen Phantasien«, erweisen sich besonders in Bezug auf den Traum, das Olfaktorische und deren Funktionen im therapeutischen Prozess als sehr ergiebig. Denn nicht nur die sprachliche Dimension, sondern vor allem das sensorische Erleben im Traum als auch in seiner sensorischen Verarbeitung und der Übertragungsbeziehung findet Beachtung. Ausgehend von den Geruchshalluzinationen der Hysterikerinnen, dem Briefwechsel zwischen Freud und Fliess und dem »Urtraum« der Psychoanalyse – Irmas Injektion – soll die Verbindung von Olfaktorischem mit dem Traumerleben als Bedeutungsträger eines »prä-linguistischen« (Le Guérer 2002, 34), intuitiven und vor allem sinnlich-sensorischen Wissens markiert werden.

2 Verbrannte Mehlspeisen

Bereits in den 1895 veröffentlichten Studien über Hysterie zeigt sich, dass die PatientInnen verfolgende Geruchsempfindungen keine Seltenheit darstellen (man denke ebenso an spätere Fallgeschichten wie »Dora« oder den »Rattenmann«), so auch im Fall der jungen Gouvernante »Miss Lucy«, deren Behandlung 1892 erfolgte. Obwohl Freud ihre wiederkehrende Geruchshalluzination als »hysterischen Anfall« zu lesen vermochte, verwunderte ihn die spezifische Geruchsqualität – »verbrannte Mehlspeise« – und er wollte diese an ein »reales Objekt« gekoppelt wissen. Als Erinnerungssymbol erschien ihm neben meist visuellen oder auditiven Sensationen der Geruch als ungewöhnlich. Zunächst wollte er dies der akuten Erkrankung der Nasenhöhlen der Patientin zuschreiben. Freud bemängelte die Schwierigkeiten der Hypnose und den Widerstand der Patienten, sich in diesen so besonderen Zustand versetzen zu lassen. Jedoch seien seiner Ansicht nach die unterschiedlichen Grade der Hypnose nebensächlich. Konzentration und Rückenlage (man denke an die große Relevanz des Horizontalen bei der Geruchswahrnehmung) seien entscheidend. Freud arbeitete in weiterer Ausdifferenzierung der Hypnosemethode mit manualem Druck auf die Stirn. Interessant ist, dass genau bei dieser Fallgeschichte ausführlicher Rekurs auf diese sehr körperliche Methode genommen wird: das Berühren der Stirn, das auch sicher olfaktorische Übertragung und Gegenübertragung beinhaltet, zum Zwecke der Wiedererweckung von Vergessenem. Der Geruch der verbrannten Mehlspeise war Akteur in einer Szene, die den Konflikt, in dem die Patientin stand, augenscheinlich werden ließ. Sie berichtet von der Ankunft eines Briefs ihrer Mutter kurz vor ihrem Geburtstag, den die Kinder im Spiel verstecken wollten, gleichzeitig verbrannte eine Mehlspeise in der Küche. Einerseits sollte die Patientin einen anstehenden Besuch bei der kranken Mutter in Glasgow absolvieren, gleichzeitig quälten sie das Zurücklassen der zu beaufsichtigenden Kinder, die ihr sehr zugetan waren (deren Mutter verstorben war), und die Unstimmigkeiten mit der Familie, für die sie arbeitete. Die Kündigung ihrerseits sollte folgen. Trotz Schnupfen konnte sie den Geruch der Mehlspeisen wahrnehmen. Es gab also einen »inneren«, inkorporierten Geruch als Zeugen von traumatisch Erlebtem, der völlig abgeschlossen (ähnlich wie in einer »Krypta«) bewahrt wird. Freud konstatiert:

»Der Konflikt der Affekte hatte den Moment zum Trauma erhoben, und als Symbol des Traumas war ihr die damit verbundene Geruchsempfindung geblieben. Es bedurfte noch der Erklärung dafür, dass sie von all den sinnlichen Wahrnehmungen jener Szene gerade den einen Geruch zum Symbole ausgewählt hatte. Ich war aber schon darauf vorbereitet, die chronische Erkrankung ihrer Nase für diese Erklärung zu verwerten« (Freud 1985d, 173).

Wie sich kurze Zeit später herausstellte, lag es nicht an der augenscheinlichen Erkrankung der Nase, sondern an dem von Freud richtig gedeuteten Umstand, dass sich Miss Lucy in ihren Dienstherren verliebt hatte. Die Scham über den Wunsch, den Platz der Mutter an Seite des Dienstherren einzunehmen, und gleichzeitig das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern, diese zu verlassen, führten zu Konflikten mit den übrigen Angehörigen des Haushalts. Die Geruchsempfindung trat nun seltener auf, war aber nicht vollständig verschwunden. Nach einer krankheitsbedingten Pause wurde die Behandlung fortgesetzt, die Konflikte mit der Belegschaft des Hauses hatten sich entspannt. Anstelle der verbrannten Mehlspeise trat ein anderer Geruch: Zigarrenrauch. Wieder kommen bei der Patientin Bilder hoch unter dem »Druck der Hand« – erstaunlicherweise bezeichnet Freud Lucy R. als »Visuelle« (Freud 1985d, 178), als ob er seine Methode rechtfertigen wollte. Gleichzeitig sind in seinen Schilderungen immer Geruchssensationen der Patientin Ausgangspunkt. Ähnlich dem gemeinsamen Betrachten einer Fotografie fragt Freud weiter, um das Bild zu präzisieren. Die Abschiedsszene beim Mittagessen, dem ein alter Freund des Dienstherrn beiwohnte, wird zur unangenehmen Szene: Der Besuch möchte die Kinder am Kopf zum Abschied küssen, dies wird äußerst energisch und wütend vom Gastgeber unterbunden, die Patientin verspürt »einen Stich ins Herz«. Das Küssen der Kinder führt zu einer noch früheren Szene, die Freud als das »eigentlich wirksame Trauma« beschreibt. In dieser wurden die Kinder von einer befreundeten Dame zum Abschied auf den Mund geküsst. Der Vater wies Lucy R. energisch zurecht, dass sie dies als Erzieherin zu unterbinden habe, und drohte mit der Kündigung des Dienstverhältnisses. Dieser Vertrauensbruch markierte eine Zäsur, die amourösen Hoffnungen waren zunichte gemacht durch die krude Zurechtweisung ihres Dienstherren: »Der eigentlich traumatische Moment ist demnach jener, in dem der Widerspruch sich dem Ich aufdrängt und dieses die Verweisung der widersprechenden Vorstellung beschließt. Durch solche Verweisung wird letztere nicht zunichte gemacht, sondern bloß ins Unbewußte gedrängt« (Freud 1985d, 182).

Der aus dieser »Urszene« hervorgehende unangenehme Affekt wurde in seinem Wiederauftreten mit Gerüchen gekoppelt aus den beiden rezenteren Szenen. Dass, wie wir später feststellen, die Erinnerung innerlich »stinkt« (Menninghaus 2002, 312), findet hier eine seiner ersten Entsprechungen.

3 Freud, Fliess und die Nase

Beachtet man die zeitnah geschriebenen Briefe an Fliess als ideengeschichtliche »Basisnote« zu den Hysteriestudien und der Veröffentlichung der Traumdeutung, entwickelt sich darin der Grenzgang zwischen Physischem und Psychischem zunehmend zu einem Konflikt und einer Rivalität, gleichzeitig aber auch zur Triebfeder der Konzeption der Verdrängung; so auch das Verhältnis zwischen Fliess und Freud. Beide waren zu Beginn ihrer Freundschaft (die sich parallel zur Distanzierung Breuers zutrug) nicht nur Brüder im Geiste, sondern auch der Nase nach. Fliess spezialisierte sich auf Hals- und Nasenkrankheiten und der Erforschung physiologischer Prozesse. Ähnlich wie bei Freud erfolgte seine wissenschaftliche Genese im Dunstkreis der großen Physiologen wie Helmholtz und dessen Nachfolger. Seine Forschung über den Zusammenhang von Nase und weiblichem Geschlecht (Die Beziehungen zwischen Nase und weiblichen Geschlechtsorganen aus dem Jahre 1896) fand bei Freud großen Anklang. Seine Hoffnung wuchs, in Fliess jenen »Anderen« zu finden, mit dem physiologische Erkenntnisse und Psychologie in Einklang zu bringen sind. Fliess befasste sich mit dem Zusammenhang der weiblichen Menstruation, Geburt und den damit vermuteten Veränderungen und Pathologien an der Nasenschleimhaut, formulierte Thesen zur »nasalen Reflexneurose«, die es zu behandeln galt via Kokainisierung bzw. Anästhetisierung der betroffenen nasalen Areale. In einem Brief vom 1.1.96 lässt sich Freuds Enthusiasmus und Interesse für Fliess kaum verbergen:

»Es fragt sich nun, welches die Quelle der Reizzustände in den Nasenorganen sein mag […]. Die Riechstoffe sind, wie Du ja meinst und wie wir von den Blumen wissen, Zerfallsstoffe des Sexualstoffwechsels; sie würden als Reize auf beide Organe wirken. Bei der Menstruation und anderen Sexualvorgängen produziert der Körper eine gesteigerte Quantität (Q) solcher Stoffe, also solcher Reize. Man müßte sich entscheiden, ob diese durch die Exspirationsluft oder durch die Blutbahnen auf die Nasenorgane wirken« (Freud und Bonaparte 1950, 155–156).

Man könnte meinen, Freud drängte unbewusst förmlich darauf, die ideale Passung für Fliess’ Konzeption der Periodizitätstheorie und seine eigene Forschung zu finden, doch das Scheitern daran war unumgänglich. Gleichzeitig erwies sich dieses Scheitern als einer der produktivsten Momente in der Konzeption der Psychoanalyse: Freuds Selbstanalyse, mit der er 1897 begann. Die Bruchstelle zeigt sich also buchstäblich am Geruchsorgan: man denke an die missglückten Behandlungen bei Fliess, denen sich Freud unterzog, als auch an die fatale Operation bei Emma Eckstein. Doch auch inhaltlich konnten Fliess’ naturwissenschaftlicher Reduktionismus und dessen Forderung, psychodynamische Konflikte seiner Konzeption der Periodizität unterzuordnen, nicht fruchten:

»Seine Versuche, die Forschungen Freuds durch seine eigenen einzuschränken, die Dynamik des seelischen Geschehens im Wesentlichen auf periodische Intoxikationen zurückzuführen oder die Verdrängungslehre ›zu biologisieren‹, mussten wie Fremdkörper wirken. Fliess’ Vorwurf aber, dass die Psychoanalyse keine wissenschaftlichen Ergebnisse liefere, dass Freud seine Deutungen ›projiziere‹, musste Freud umso schmerzlicher treffen, als die Technik seines Verfahrens sich noch in den Jahren des engen Gedankenaustausches entscheidend weiterentwickelt hatte« (Freud und Bonaparte 1950, 54).

Diese sehr treffende Beschreibung im Vorwort zur ersten Ausgabe des Briefwechsels von 1950 beinhaltet wichtige Koordinaten für das weitere Schaffen Freuds.

Der Begriff der »Intoxikation«, die Periodizität, der Ekel (vor der weiblichen Menstruation, dem Exkrementellen), die Verdrängung und die äußerst volatile Beziehung zu Fliess finden sich in Freuds erster Traumbeschreibung »Irmas Injektion« in faszinierender Weise wieder. Ähnlich einem Mycelium oder Nervengeflecht breiten sich Freuds eigene Konflikte über und durch die Selbstanalyse bis hin zur späteren Schrift Das Unbehagen in der Kultur aus und hinterlassen Spuren, vor allem von großer sensorischer – also auch olfaktorischer – Qualität. Nicht umsonst bezeichnet er in der Traumdeutung die Traumgedanken als Mycelium. Ein Bild – ich musste an Organismen wie den »Blobb«, einen Schleimpilz von unermesslicher Ausdehnung, oder die Plazenta denken –, das durchaus mit Ekel und Faszination verbunden sein kann; ebenso der unauflösbare Rest, der jedem Traum innewohnt, nämlich »der Nabel des Traumes«. Ein von Freud äußerst akkurates Bild: der Nabel als wülstige Vertiefung und Narbe, die uns als einziges Überbleibsel an unsere eigene intrauterine, ozeanische Vergangenheit erinnert und immanenter Teil infantiler Sexualtheorien ist. Doch auch aus rein biologischer Sicht ist das Bild des Nabels als unauflösbaren Rests schlüssig. Er ist schließlich ein Eldorado für allerhand Bakterien des humanen Mikrobioms, die sich in der Hautfalte hochkonzentriert sammeln, und lässt uns genau an diese Eigenschaft immer wieder erinnern: Er stinkt.

Freud sieht im Nabel

»die Stelle, an der er (der Traum) dem Unerkannten aufsitzt. Die Traumgedanken, auf die man bei der Deutung gerät, müssen ja ganz allgemein ohne Abschluß bleiben und nach allen Seiten hin in die netzartige Verstrickung unserer Gedankenwelt auslaufen. Aus einer dichteren Stelle dieses Geflechts erhebt sich dann der Traumwunsch wie der Pilz aus seinem Mycélium« (Freud 1900a, 530).

Man könnte meinen, man befinde sich bereits in einer virtuellen, gedanklichen Geruchswolke, einem Miasma, in dem sich die Bedingtheit von Verdrängung und Sexualität, Natur und Kultur, von Organischem und Psychischen langsam verdichtet. Diese Sphäre spannt sich von der Begegnung mit Fliess und dessen Loslösung bis zum Unbehagen in der Kultur, in dem sich früh formulierte Gedankenstränge aus den Briefen als wichtige Essenz wiederfinden.

Das Aufbegehren im Konflikt mit Fliess, die Verdrängung zu »biologisieren« anstatt sie einem psychodynamischen Verständnis zuzuführen, bahnt sich seinen Weg und lässt sich bereits in der Auseinandersetzung mit hysterischen Symptomen wie bei Lucy R. erahnen: »Grund der Verdrängung selbst konnte nur eine Unlustempfindung sein, die Unverträglichkeit der einen zu verdrängenden Idee mit der herrschenden Vorstellungsmasse des Ich. Die verdrängte Vorstellung rächt sich aber dadurch, daß sie pathogen, wird« (Freud 1895d, 174).

Dass der Mechanismus der Verdrängung an Körperliches gekoppelt und nicht trennbar davon ist, erkennt Freud ebenso kurz später in einem Brief an Fliess vom 14.11.97, in dem vor allem die veränderte Rolle des Geruchssinns durch den Wechsel zum aufrechten Gang richtungsweisend wird:

»Daß bei der Verdrängung etwas Organisches mitwirkt, habe ich oft geahnt, daß es sich um die Auflassung von ehemaligen Sexualzonen handelt, konnte ich Dir schon einmal erzählen. […] bei mir hatte sich die Vermutung an die veränderte Rolle der Geruchssensationen geknüpft: Aufrechter Gang, Nase vom Boden abgehoben, damit eine Anzahl von früher interessanten Sensationen, die an der Erde haften, widerlich geworden – durch einen mir noch unbekannten Vorgang. (Er trägt die Nase hoch = Er hält sich für etwas besonders Edles)« (Freud und Bonaparte 1950, 246).

Dieser noch damals Freud unbekannte Vorgang findet spätestens in Freuds später Schrift Das Unbehagen in der Kultur fruchtbare Erklärung, besonders in zwei wichtigen Fußnoten. Demnach habe der aufrechte Gang unsere Kulturprozesse in Gang gesetzt, jedoch hohen Tribut gefordert: der Geruch der Menstruation und Sexualsekrete, die Verbindung von Anal- und Genitalregion erführen eine Umwertung. Die Vertikale mache vorher geschützte Körperregionen schutzbedürftig und sichtbar, die Scham begleite von nun an den neuen Kulturmenschen (Freud 1930a, 459). Der Geruchssinn verkümmert im Wettstreit um die Gesichtsreize, vor allem angesichts der visuellen Wahrnehmung. Es scheint zunächst durch den aufrechten Gang, dass das Bild, respektive der Gesichtssinn und das Visuelle, den olfaktorischen Sinn regelrecht domestiziert (Rother 2000, 80–97). Allerdings zeigt die Konzeption der Verdrängung, dass diese Unterwerfung des Olfaktorischen, um den grundlegenden Kulturanforderungen zu entsprechen, nie vollständig gelingt. Die Erinnerung an Horizontales, in der Sexuelles und Exkrementelles noch nicht dem Ekel unterworfen waren, wird in der Analerotik zum wieder spürbaren, und vor allem riechbaren Echo: Obwohl der »organischen Verdrängung« (Freud 1930a, 459) ausgeliefert, stören wir uns, genauso wie das Kleinkind, am Geruch unserer eigenen Exkremente nicht. Erst der Eintritt ins Symbolische – also das sprachliche Benennen – bietet Scham und Moral die notwendige Grundlage. Der Geruch, respektive Gestank, ist anstößig und den Mitmenschen gegenüber respektlos. Dies hindert aber besonders die Psychoanalyse nicht daran, in Form der Perversion und des Fetisches genau jene verdrängte »koprophile Riechlust« (Freud 1905d, 54) wieder freizulegen: Der Fuß, der Pelz, das Haar sind nur einige von vielen möglichen Duftträgern, die in den mannigfaltigen Spielarten menschlicher Sexualität zu unverzichtbaren Akteuren werden.

Bereits 1897 hatte Freud in einem Brief an Fliess eine erste Ahnung bezüglich der Verdrängungsmechanismen formuliert:

»Grob gesagt, die Erinnerung stinkt aktuell, wie in der Gegenwart das Objekt stinkt, und wie wir das Sinnesorgan (Kopf und Nase) im Ekel abwenden, so wendet sich das Vorbewusste und der bewusste Sinn von der Erinnerung ab. Das ist die Verdrängung« (Freud und Bonaparte 1950, 246).

Da die Verdrängung sich immer auf Triebrepräsentanzen – also innere Vorstellungen einer »untergegangenen (virtuellen) Sexualität« (Freud und Bonaparte 1950, 247) – bezieht, ist die »virtuelle« Qualität des Stinkens und sich Ekelns, die sich nachträglich aufgrund von Kulturisierung – sprich Moral, Erziehung und Reinlichkeit – einstellt, von großer Bedeutung. Diese Einschreibungen – oder besser gesagt: Narben und Verletzungen – der Kulturisierung, denen besonders der weibliche Körper ausgesetzt ist, lassen sich im Traum von Irmas Injektion nachverfolgen.

4 Infektionen und Injektionen: Irma

Der biografische Vorspann zu Freuds Traum und den Torturen, die die Protagonistin über sich ergehen lassen musste, liest sich wie die Beschreibung eines wahr gewordenen Albtraums. Wir befinden uns im Jahre 1894: Freud unternimmt mit der befreundeten Emma Eckstein, die bei ihm wegen hysterischer Symptome in Behandlung ist, eine Reise zu Fliess nach Berlin, um von ihm behandelt zu werden. Freud ist geplagt von Problemen mit seinen Nasennebenhöhlen, Emma Eckstein wird an der Nase operiert – ein Umstand, der in eine fatale Katastrophe mündet. Fliess vergisst, zentimeterlange Gazestreifen zu entfernen; es folgen etliche, teils lebensbedrohliche Blutungen, Eckstein ist entstellt und definitiv nicht geheilt.

Im Wörterbuch der Psychoanalyse wird dieser Traum als Mythos über die Entstehung der Psychoanalyse tituliert, an dem sich viele AnalytikerInnen abgearbeitet haben (Roudinesco und Plon 2004, 470). Zurecht, wenn man die sensorische Reichhaltigkeit und komplexe Figurenkonstellation (neben unzähligen weiteren Anknüpfungspunkten über die Entwicklung psychoanalytischen Denkens) betrachtet. Ich möchte daher den Fokus auf die Körperlichkeit des Traumes setzen, die Didier Anzieu in seiner Abhandlung über Freuds Selbstanalyse (Anzieu 1986a, 122–174) konstatiert. Penibel zerpflückt Anzieu den Traum Blatt für Blatt, ähnlich einer gekochten Artischocke (Freuds Lieblingspflanze!), um den »Traumkörper« zu enthüllen.

Bereits die Anfangsszene erinnert an ein Theaterstück Schnitzlers oder an einen Familienroman (Roudinesco und Plon 2004, 470). Tatsächlich befindet sich Freud auf Sommerfrische am Kahlenberg im Haus Bellevue, seine Frau ist mit dem sechsten Kind schwanger, ihre Geburtstagsfeier steht kurz bevor. Die Nachricht über eine nur mäßige gesundheitliche Besserung einer befreundeten Patientin – Irma (Emma Eckstein) – verunsicherte Freud und veranlasste ihn, ihre Krankengeschichte niederzuschreiben und an Dr. M. (Breuer) zu schicken. Dieses Rohmaterial mündet in Freuds Traum, in welchem Irma erneut von ihm und Kollegen begutachtet wird. Das Scheitern am Körper setzt sich kaskadenartig fort – von der kollektiven Empfangshalle geht es zur individuellen »Empfangshalle« und der Examination von Mund und Rachen. »Hals, Magen und Leib« (Freud 1900a, 113) schnüre es Irma zusammen; der Widerstand, Einlass zu gewähren, also den Mund zu öffnen, wird deutlich. Anzieu bringt bereits diese Szene, das Eindringen in das Innere der Patientin, mit dem weiblichen Fortpflanzungsorgan und der Schwangerschaft (sowohl Martha Freud als auch Fliess’ Frau ist schwanger) in Verbindung (Anzieu 1986a, 144).

Fliess’ Theorie der Periodizität und deren kontrazeptiver »Benefit« erwies sich in Freuds Fall und im Falle der sechsten Schwangerschaft seiner Frau als fehlbar, wie der entdeckte weiße Fleck in Irmas Rachen und die desolaten Nasenmuscheln zeigen. Die Angst und der Zweifel, organische Symptome zu übersehen, als hysterische Symptome zu banalisieren oder zu überwerten, zieht sich durch Freuds Selbstanalyse und erinnert an das wachsende Spannungsverhältnis zwischen ihm und Fliess, so auch die Präsenz seiner medizinischen Weggefährten Ernst von Fleischl-Marxow (Leopold) und Oskar Rie (Otto), Fliess’ Schwager. Auch die eigene Behandlungsstrategie mit Kokain gerät ins Wanken, deren potenzielle Folge nekrotisierendes, also absterbendes Gewebe der Nase ist oder gar der Tod, wie im Falle des Kollegen Fleischl, der an seiner Kokainsucht verstarb. Die Intoxikationen und Infektionen der Körper im Traum, könnte man meinen, nehmen kein Ende. Verunreinigte Spritzen, die Vergiftung einer früheren Patientin mit Sulfonal, die Dyphterie der eigenen Tocher, die Dysenterie – also Durchfallerkrankung – eines Patienten Freuds, die Infiltration aufgrund einer möglichen Tuberkulose: Die Beispiele der desolaten, siechenden Körper – Freuds eigener Körper miteingeschlossen – sind endlos. Freud scheint dieser Flut an Körpersensationen im Traum Einhalt gebieten zu wollen – so meine Interpretation – mit der Visualiserung der »körperlosen« chemischen Formel von Trimethylamin, die ihm durch Fliess’ Forschungen an Sexualbotenstoffen bekannt ist. Doch die Erscheinung der Formel ist – wie auch Anzieu bemerkt – nicht »körperlos«, sondern fettgedruckt, bekommt somit visuell physischen, also körperlichen Nachdruck verliehen und wird Teil des »Traumkörpers«: »Dieser Körper führt mich also auf die Sexualität, auf jenes Moment, dem ich für die Entstehung der nervösen Affektionen, welche ich heilen will, die größte Bedeutung beilege« (Freud 1900a, 121). Dass dieser Botenstoff auch Teil des olfaktorischen Sensoriums ist, wird durch die Erinnerung an den Ananaslikör deutlich:

»Diesem Likör entströmte ein solcher Fuselgeruch, daß ich mich weigerte, davon zu kosten. Meine Frau meinte: Diese Flasche schenken wir den Dienstleuten, und ich, noch vorsichtiger, untersagte es mit der menschenfreundlichen Bemerkung, sie sollen sich auch nicht vergiften. Der Fuselgeruch (Amyl) hat nun offenbar bei mir die Erinnerung an die ganze Reihe: Propyl, Methyl usw. geweckt, die für den Traum die Propylenpräparate lieferte. Ich habe dabei allerdings eine Substitution vorgenommen, Propyl geträumt, nachdem ich Amyl gerochen, aber derartige Substitutionen sind vielleicht gerade in der organischen Chemie gestattet« (Freud 1900a, 121).

Neben dem Geschmack, dem Taktilen, Olfaktorischen und Visuellen trägt der Traum Spuren des Unreinen, der Verunreinigung und des Ekels mit sich. Wie Anzieu anführt, scheidet der Traumkörper immer wieder Unverdauliches (Durchfall) und Sekrete aus (Nase) oder nimmt Infektiöses, Verunreinigtes auf. Irma, eine Mischperson aus Emma Eckstein, Freuds Ehefrau und Anna Hammerschlag-Lichtheim (einer weiteren besonders geschätzten Patientin Freuds, nach der er seine jüngste Tochter benannt hat), stinkt, wenn man sich eines Wortspiels bedient, das Anzieu in Bezug auf Eva Rosenblums Interpretation des Traums anführt: Die »Ananas ist AnnaNass« (Anzieu 1986a, 154).

5 Haut an Haut

Der weibliche Körper ist hier der »battle ground« der Ekelsensationen, des »inneren« Stinkens und Drecks – man denke an das Tabu und den Ekel vor der Menstruation. Gleichzeitig – oder besser formuliert: gerade deswegen – ist er Ursprung und erster Schauplatz frühester Fantasien von Verschmelzung, Einverleibung und Ausstoßung.

Hanna Segal zeigt in ihrer bemerkenswerten Auseinandersetzung mit dem Traum in ihrer Schrift Traum, Phantasie und Kunst (Segal 1996), wie wichtig es ist, Fantasien als grundlegend für die Genese des Traumes anzusehen. Anders als Freud, der Fantasien als eine erst spätere und reifere psychische Leistung ansah, beruft sich Segal auf Melanie Klein, für die »unbewusste Phantasien also Träumen, Symptomen, Wahrnehmungen, Gedanken und der Kreativität zugrunde [liegen]« (Segal 1996, 48). Segal vermisst in Freuds Konzeption die Idee primitiver Fantasien »auf präverbaler, prävisueller, psychosomatischer Ebene« (Segal 1996, 32), auf der auch das Olfaktorische verortet werden könnte. Anders als eingangs erwähnt kann es also auch deswegen nie dem visuellen vollständig unterworfen werden, sondern gewinnt besonders durch die Wechselwirkung von körperlichem Erleben und unbewusster Fantasie seine Durchschlagskraft.

Segal nennt sie »primitive somatische Phantasien« – sie erweisen sich als sehr fruchtbar, um den Körper im Traum als auch den Traum des Körpers zu untersuchen: »Wenn Phantasien von Anfang an wirksam sind, also bereits in den primitivsten Entwicklungsstadien, so bedeutet das, dass diese Phantasien zunächst körperlicher Natur sind: Die halluzinierte Brust ist zunächst kein Bildliches, sondern ein körperliches Erleben« (Segal 1996, 35).

Haut an Haut – ein besonderer Ort, an dem diese ersten psychosomatischen Fantasien entstehen und sich jenes Bild generiert, das Anzieu als das »Haut-Ich« bezeichnet (Anzieu 1998, 60). Durch die Wahrnehmung und Empfindungen der Körperoberfläche entwickelt das Kind »eine Vorstellung von sich selbst […] als Ich, das die psychischen Inhalte hält« (ebd., 60). Auch er betont, dass die Differenzierung in dieser frühkindlichen Phase zwischen »psychischem Ich« und »Körper-Ich« zwar in Handlungen, aber (noch) nicht in der Vorstellung vollzogen ist. Das Phantasma der Verschmelzung, die unversehrte »Haut-Fusion mit der Mutter« (Anzieu 1998, 63) ist ein archaisches Echo, an dessen Ursprung das taktile und das olfaktorische Empfinden zu setzen sind. Umso wichtiger ist es, auch dessen Umkehrung, die Zerstörung dieser gemeinsamen Haut, deren Läsionen und Risse in den Blick zu nehmen. Wo die Haut von einer unversehrten zu einer versehrten wird und die gemeinsame Hülle zerreißt, vollzieht sich eine Trennung von der Mutter und womöglich auch eine erstes Anerkennen ihrer Ambivalenz: Sie kann die gemeinsame Haut zerstören, als auch reparieren (ebd., 63). Anzieu schreibt der Haut für das Haut-Ich eine wichtige Funktion zu: Neben ihrer Eigenschaft als »Tasche« bzw. Hülle für das Selbst und als Grenzfläche (»Leinwand«) ist sie »Ort der Kommunikation« (Anzieu 1998, 60f.), an dem Beziehungen entstehen und sich einschreiben. Diese Funktion der unmittelbaren Kommunikation schiebt Anzieu vor Freuds erste Topik im Sinne einer »archaischen« Topik, in der das Selbst einer »auditiven und olfaktorischen Hülle entspricht, eines Selbst, um welches sich herum ein Ich auf Basis der Berührungserfahrung differenziert […]« (Anzieu 1998, 130).

Die Haut als Trägerin des Olfaktorischen vermag als halbdurchlässige – also semipermeable – Membran aufzunehmen als auch auszustoßen, ähnlich einem Sieb. Dieser Vorgang wird in einer Patientengeschichte von Anzieu tragend, in der der Patient während der Analyse in extremes Schwitzen verfällt. Als seltenes Beispiel innerhalb der psychoanalytischen Literatur wird das Stinken des Patienten zur wichtigsten Kommunikationsform. Alles an Aggression, das nicht formuliert, nicht gedacht werden kann, bahnt sich seinen Weg durch die porösen Löcher der Geruchshülle, des »olfaktiven Haut-Ichs« (Anzieu 1998, 236) und kann nicht gehalten werden. Statt sich bewusst mit den aggressiven Impulsen auseinanderzusetzen, sie also im Sinne des Sekundärprozesses denken zu können, schwitzt er sie aus. Seine scheinbar willkürlichen Ausscheidungen erlaubten zu Beginn keine Verbindung zwischen den bewussten Anteilen seiner Aggression und seinem Körper-Ich. Anzieu erkannte, dass sein Widerstand in der Gegenübertragung dem Eingehülltwerden in dieses stinkende Miasma des Patienten galt. Erst die Differenzierung von Köper-Ich und psychischem Ich innerhalb des analytischen Prozesses ermöglichte es dem Patienten, »die Funktion des psychischen Behälters, welche ihrerseits Voraussetzung für das Funktionieren des Systems Wahrnehmung-Bewusstsein ist, auf der Grundlage der Haut zu entwickeln« (Anzieu 1998, 240).

Dieser kurze Exkurs in die Konzeption des olfaktorischen Haut-Ichs ermöglicht eine Verbindung vom Körperlichen als Inhalt und Ursprung von Fantasie und Traum zur Funktion des Traumes als einer Körperlichen. Der Traum beinhaltet nicht nur Verschmutztes und Ekelerregendes, er funktioniert im analytischen Prozess als Ausscheidungsorgan, ähnlich wie die Haut in der Patientengeschichte Anzieus oder Irmas Traum als solcher.

Hanna Segal beschäftigte sich intensiv mit dem »Unverdauten« des Traumes, das ihre Patienten in den Stunden loswerden wollten und ihr vor die Nase setzten.

Zwischen unbewusstem Konflikt und Wunscherfüllung oszillierend sind der Traum und die Traumarbeit für Segal vor allem Kommunikation zwischen dem Unbewussten und Bewussten. Allerdings gibt es in der Traumarbeit neben der neurotischen Konfliktverarbeitung auch jene Inhalte, derer sich der Patient entledigen möchte, anstatt sie zu symbolisieren (Segal 1996, 90). Diese Patienten benutzen den Traum als Medium des Ausagierens, als »acting-in« (ebd., 90). Von einem Überfluten an Trauminhalten bis hin zu einer »Re-Inszenierung« des Geträumten in der Stunde: Das Erzählen der Träume ist bereits eine Art »Ausscheidung« in ein Objekt – also hier in den Analytiker –, um die unangenehmen Inhalte loszuwerden und im Gegenüber eine projektive Identifizierung auszulösen (Segal 1996, 91). Allerdings verschwimmen die Grenzen von innerer und äußerer Welt nicht vollkommen wie bei psychotischen Patienten, vielmehr finden die Trauminhalte eine Gleichstellung mit real erlebten Ereignissen. Segal nennt eine Patientin, die ihr vorwarf, es rieche in der Praxis nach Gas. In der Analyse fand sich die Ursache der Geruchshalluzination im Traum: Ein war Ballon explodiert. Ähnlich wie bei Anzieus stinkendem Patienten quillt all jenes, das durch die Traumarbeit nicht gehalten werden kann, über und bahnt sich seinen Weg in das analytische Setting in Form von Ausdünstungen, Kot und riechendem, stinkendem Morast. Segal kommt – unter der Berücksichtigung von Bions Konzept der Seelischen Funktion (Segal 1992, 123) – zu einer ähnlichen Schlussfolgerung wie Anzieu, wenn es um die Rolle des Analytikers geht. Die Symbolbildung kann nur hergestellt werden, wenn Symbol und symbolisiertes Objekt nicht mehr aneinanderkleben und ein Prozess der Trennung in Gang kommt (Segal 1992, 120). Hierzu stellt der Analytiker durch die aufgenommen projektiven Identifizierungen und Deutungen, die das Ausagieren des Traumes und seine Funktion in der analytischen Situation mitaufnehmen, »einen Behälter zur Verfügung, der den inneren Raum des Patienten wiederherstellt und dazu beiträgt, die Funktion der Symbolbildung wiederherzustellen« (Segal 1996, 99).

Jeder Inhalt bedarf eines Behältnisses, das wiederum zum Inhalt wird. Dieses Prinzip der »Verschachtelung« ist allerdings nur denkbar, wenn auch die Beschaffenheit der Behältnisse, ihre Membran, Haut oder Hülle, miteinbezogen wird. Anzieu verdichtet diesen Gedanken (Anzieu 1998, 277), wenn er dem Traum an sich eine eigene Hülle zuschreibt. Der »Traum-Film«, wie er sie in seinem letzten Kapitel des »Haut-Ich« nennt, ist, anders als die Hülle des »Haut-Ich«, eine »vergängliche« und »empfindliche« Membran (Anzieu 1998, 271). Er repariert die erlittenen äußeren und inneren Läsionen und Löcher des Haut-Ich und versucht, seinen Reizschutz im Schlaf wiederherzustellen. Da auf dem »Traum-Film« wie bei einem analogen Fotofilm latente Inhalte als manifeste Bilder belichtet werden, können sie »entwickelt« und – vor allem sprachlich im analytischen Prozess – vermittelt, sprich symbolisiert werden. Der Umstand, dass Anzieu die Hülle des Traumes und die belichteten Spuren auf dem Traum-Film als primär visuelle sieht, mag verwundern und wird der Kapazität seiner Konzeption des Haut-Ich, das zu Beginn aus einer Berührungs-, Laut-, Geschmacks- und Geruchshülle besteht (Anzieu 1998, 277), nicht gerecht und darf ergänzt werden: Manifeste Inhalte bieten nicht nur ein rein visuelles Behältnis für latente Inhalte, genauso wenig erfolgt das Mitteilen über Geträumtes und dessen manifeste Inhalte ausschließlich verbal, wie die Patientengeschichten von Segal zeigen. Besonders an den Schwellen und Bruchlinien von Fantasie, Halluzination, Traum und deren Wiedergabe in der Analyse sind die Eindrücke der Nahsinne wichtige Bedeutungsträger als Widerhall »primitiver somatischer Phantasien« (Segal 1996, 35). Auch hier wird deutlich, dass – wie Segal betont hat – nicht nur der Inhalt des Traumes, sondern auch seine Funktion in all ihrer sensorischen Reichhaltigkeit nicht außer Acht gelassen werden darf.

In Anbetracht der sensorischen und vor allem olfaktorischen Sinneseindrücke der Träumenden – von Freud selbst über die erwähnten Patienten bis hin zu den Ausscheidungen des Traumes selbst – überschreiten diese das Primat des Visuellen, da sie zwischen innerer und äußerer Welt, psychischem Ich und Körper-Ich oszillieren lassen. Diese Transgression schreibt dem Olfaktorischen, und im Besonderen dem Stinkenden und Ekelerregenden, seine Präsenz im Virtuellen zu, wie Menninghaus konstatiert: Das vermeintlich aktuelle Stinken werde zu einem »inneren Stinken«, das sich also aus dem Inneren, der Er-Innerung, generiere, wenn nicht sogar auf noch Früheres, also das Urverdrängte, verweise: »Freuds Symptom des (neurotischen) ›Ekels‹ […]entsteht nicht nur ausschließlich in der Erinnerung, es ist auch bereits bei seinem ersten Auftreten verspätet und nachträglich, ursprünglich nicht-ursprünglich« (Menninghaus 2002, 312).

Eine Traumszene, die Freud seinem Freund Fliess in einem Brief vom 15.10.1897 schilderte (Freud und Bonaparte 1950, 234f.), kann als Initiation in die Welt des Widerständigen, des Ekelerregenden und Verdrängten gelesen werden. Freud beschreibt darin eine Amme als seine »Urheberin«: ein »hässliches, altes aber kluges Weib«, das ihm »eine hohe Meinung« von seinen »eigenen Fähigkeiten beigebracht hat«. Sie badete ihn in rot gefärbtem Wasser, im eigenen Menstruationsblut – eine Szene, deren auch olfaktorische Qualität sicher nicht zu unterschätzen ist. Der kleine Sigmund wurde also – so der Wunschgedanke in Freuds Selbstanalyse – durch das Bad im blutigen Sekret der »prähistorischen Alten« immunisiert gegen den Ekel der Menstruation und befähigt, sämtliche kulturellen Ekelschranken und Tabus für die Entwicklung psychoanalytischen Denkens zu überwinden (vgl. Menninghaus 2002, 305ff).

Doch nicht nur das Tabu der Menstruation, auch die Proust’schen Madeleines, verbrannten Mehlspeisen und lädierten Nasen haben uns gelehrt, dass nicht nur das »innere Stinken«, sondern auch das »innere Riechen« – also die transitive, ein (inneres) Objekt nach sich ziehende Variante des Verbums »riechen« – von großem analytischen Wert ist und mehr Beachtung erfahren sollte. Dem Geruch wohnt eine eigene innere und äußere Körperhaftigkeit inne, die aktive und passive, psychische und physische, virtuelle und reale Vorgänge miteinander vereint. Doch nicht nur das: Die Beispiele von Segal und Anzieu zeigen, dass das Olfaktorische sich genau an jenen Stellen zeigt, an denen Symbolisierungsprozesse – das heißt die Sprache – abgleiten oder versagen.

Hier generiert es jenes zu Beginn erwähnte prä-semantische, sinnlich-sensorische Wissen, das wie der Traum eine Schutz- und Symbolisierungsfunktion einnehmen kann: Als »Hüter des Schlafs« schützen sowohl das Olfaktorische als auch der Traum uns vor den Einbrüchen des Traumatischen, des Nicht-Symbolisierbaren, also vor den Einbrüchen des Realen. Gleichzeitig bewegen wir uns innerhalb dieser »terra incognita« immer wieder an den Rändern zum Realen. Wir alle kennen die Situation, genau in besonders verstörenden Momenten des Träumens erschreckt aufzuwachen oder durch einen Geruch blitzartig in stark affektiv besetzte Erinnerungen und Fantasien geworfen zu werden.

Spätestens seit der Covid-Pandemie ist auch der traumatische Verlust des Geruchssinns oder dessen massive Beeinträchtigung in den Fokus gerückt, nicht nur durch den alltäglichen Leidensdruck, den die Patienten erleben, sondern sogar im Traum. Dies beschreibt Jazani eindrücklich in einer Fallvignette: ein von Anosmie betroffener Patient hatte olfaktorische Wahrnehmungen im Traum, die als »räumliches und zeitliches Maß« dienten, wiederkehrende Symptome in Bezug zueinander zu setzen (Jazani 2024, 29).

Das sinnlich-sensorische Wissen, das durch das olfaktorische Erleben freigesetzt wurde, ermöglicht eine Symbolisierung, die durch Traumatisierung, Verdrängung und die daraus folgenden Widerstände nicht möglich war. Dabei wird auch die virtuelle Kraft des Olfaktorischen ersichtlich: Auch ohne tatsächlichen, externen Reiz ist Geruchserfahrung möglich. Dabei erlangt das Riechen im Traum eine ähnliche Intensität wie externes Riechen im Wachzustand und zeigt, dass je besser die Fähigkeit der Differenzierung und Kopplung an Erinnerung mit einem Geruch ausgeprägt ist, desto intensiver bewusste als auch unbewusste olfaktorische Inhalte ohne physische Reizquelle wahrgenommen werden können (vgl. Stevenson und Case, 2005).

Anstatt das Olfaktorische (und in weiterer Folge den Körper per se) also zugunsten des Kulturisierungsprozesses ständig zu zähmen, zu unterwerfen und zu verdrängen, sollte genau das Widerständige wie auch stark Affizierende dieses so wichtigen Nahsinnes wieder in den Fokus analytischer Betrachtung rücken. Dieses Potenzial zeigt sich besonders in Verbindung mit dem Traum, in dem das Riechen (und Stinken) sowohl als Inhalt als auch Funktion und Form nicht nur ein Denken und Wissen über, sondern auch mit dem Traum in der Analyse bietet.

Die theoretischen Konzeptionen von Anzieu und Segal rücken den Körper, seine Sinne und das ihm innewohnende sinnlich-sensorische Wissen in den Mittelpunkt analytischen Arbeitens – das heißt, dass das Verständnis um die menschliche Psyche und all ihre Differenzen sich erst durch den gemeinsamen intersubjektiven Raum zeigt zwischen AnalytikerIn und PatientIn, durchzogen von allen bewussten und unbewussten körperlichen Äußerungen. Hier lässt sich auch wieder an Freud anschließen, denn er betonte in Das Ich und das Es die Verflechtung von Psyche und Körper:

»Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. […] Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche« (Freud 1923b, 253).

Und vielleicht verhält sich das Körperliche zur Analyse wie der Geruch zum Körper: Trotz aller noch so intensiven Intellektualisierung und Abstraktionsleistung sind beide immer anwesend, wenn auch nicht immer bewusst wahrnehmbar. Wir riechen und stinken, ob wir wollen oder nicht.

Literatur

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Anzieu, Didier. 1986a. »Chapter 2. The Discovery of the Meaning of Dreams«. In Freud’s Self-Analysis: Translated from the French by Peter Graham. With a Preface by M. Masud R. Khan, The International Psychoanalytic Library, Bd. 118: 122–174. London: Hogarth Press.

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Die Autorin

Amelie Zadeh studierte Kulturwissenschaften und Bildende Kunst in Wien und Hamburg. Seit 2022 ist sie Ausbildungskandidatin am Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse. Ihre Arbeit konzentriert sich auf verschiedene Bereiche der visuellen Kultur, Identität und Bildpolitik sowie psychoanalytische Kulturtechniken in Theorie und Praxis.

Kontakt: amelie.zadeh@gmail.com