Von der Erzählung zur Illustration in der intersubjektiven Artikulation von Widerstand

Monique Kaulertz

Journal für Psychologie, 33(2), 149–171

https://doi.org/10.30820/0942-2285-2025-2-149 CC BY-NC-ND 4.0 www.journal-fuer-psychologie.de

Zusammenfassung

In intersubjektiven Artikulationsprozessen mit Geflüchteten eröffnen sich multimodale Artikulationsformen, die auch präsentative Modi wie Zeichnungen umfassen. Anhand eines Artikulationsmomentes während der Feldforschung wird gezeigt, wie sich in ko-produktiver Artikulation zwischen Interaktionspartner und Ethnografin ein Moduswechsel von narrativer zu illustrativer Symbolisierung vollzieht. Die spontane Zeichnung einer Szene des erzählten Widerstands gegen militärische Zwänge durch die Forscherin lädt zur Reflexion über die Unterschiede und Potenziale der Artikulationsmodi in den ethnografischen Begegnungen ein. Der Beitrag plädiert für eine kulturpsychologisch fundierte Erweiterung qualitativer Forschung um bildbasierte Ausdrucksformen, die nicht nur als Forschungsgegenstand, sondern als methodische Artikulationsmittel in der Interaktionsforschung ernst genommen werden. Er wirbt in diesem Zuge dafür, Artikulation als kulturpsychologischen Grundbegriff nutzbar zu machen.

Schlüsselwörter: Artikulation, Bildlichkeit, Interaktionsgeschichte, Widerstand, qualitative Forschung, Multimodalität, Kulturpsychologie

From Narrative to Illustration in the Intersubjective Articulation of Resistance

In intersubjective processes of articulation with refugees, multimodal forms of expression emerge, including presentational modes such as drawing. Using a moment of articulation during the fieldwork, this paper explores a co-constructed shift between researcher and researched from narrative to illustrative symbolization. The spontaneous drawing of a scene by the researcher depicting resistance to military constraints invites reflection on the differences and potentials of symbolic modes within ethnographic encounters. The contribution advocates for a culturally and psychologically grounded expansion of qualitative research to include image-based forms of expression—not merely as objects of analysis but as methodological means of articulation within interaction research. In doing so, it argues for the conceptualization of articulation as a foundational term in cultural psychology.

Keywords: articulation, visuality, interaction narratives, resistance, qualitative research, multimodality, cultural psychology

Gesellschaftliche Relevanz der Artikulation von Leiderfahrungen

Wenn es um Erfahrungen kollektiver Gewalt, struktureller Diskriminierung, politischer Verfolgung und Fluchtmigration geht, stellt die Frage nach den Artikulationsmöglichkeiten und der Anerkennung von Leiderfahrungen in den heutigen superdiversen (Vertovec 2007), postmigrantischen Gesellschaften (Foroutan 2021) eine besondere Herausforderung dar. Politische Gewalt ist dabei nicht als »Sonderfall des Sozialen« (Koloma-Beck und Schlichte 2018, 125) und als Fremdes zu verstehen, das sich vor allem anderswo ereignet, sondern als etwas, das uns – nicht zuletzt angesichts aktueller Kriege und autoritärer Dynamiken– alle (be-)trifft (Nayar 2021). Es stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten und Räume der Artikulation jenseits des begrenzt zu Verfügung stehenden therapeutischen Raums existieren, in denen der Ausdruck und die Bearbeitung leidvoller Erfahrungen, aber auch Widerstand, möglich werden. Artikulation von Verletzung und Trauma sind dabei nicht als solitärer Prozess, sondern als soziales Geschehen zu begreifen, in welchem wir von anderen abhängig sind (van de Ven 2022). Gerade in Zeiten autoritärer Umbrüche, in denen geflüchtete Menschen als »unerwünscht« deklariert werden und die Anerkennung von Fluchtgründen erschwert wird, ist es wichtig, auch qualitative Forschung als Artikulationsraum ernst zu nehmen, in dem mit unterschiedlichen performativen und partizipativen Modi narrativer, musikalischer und bildlicher Art nicht nur Wissen generiert, sondern Beziehungen geknüpft und alternative Artikulationen ermöglicht werden.

Anliegen dieses Beitrags

In meiner Forschungsarbeit zum Thema »Artikulation von Leid- und Gewalterfahrungen in Begegnungen mit geflüchteten Menschen« untersuche ich mittels ethnografischer, performativer und partizipativer Methoden, welche Erfahrungen geflüchtete Menschen mit welchen Mitteln artikulieren (wollen). Es zeigt sich, dass Menschen, die Leid erfahren haben, eine Vielzahl artikulatorischer Ressourcen nutzen, um Erlebtes auszudrücken. Dabei kommen sowohl präsentative als auch diskursive Modi (Langer 1984 [1942]) zum Einsatz, ebenso wie unwillkürliche Formen »aktionaler Erinnerung« (Straub 2015). Unterschiedliche Medien wie Bilder, Filme oder Musik werden von den Beteiligten verwendet, um persönliche Erfahrungen und die Kontexte der erlittenen Gewalt zu vermitteln. Sprachliche Differenzen und verschiedene »konjunktive Erfahrungsräume« (Mannheim 1980 [1922–1925], 215) regen diesen multimodalen und multimedialen Austausch an und machen ihn teilweise sogar notwendig.

In diesem Beitrag möchte ich zunächst einen Begriff der Artikulation vorstellen, der multimodale Ausdrucksformen und somit auch visuelle Modi der Sinnstiftung integriert. Exemplarisch werde ich eine ko-konstruktive Artikulationssituation während meiner Begegnungen im Feld untersuchen, in welcher ein intersubjektiv vollzogener Moduswechsel von einer »small story« (Dausien und Thoma 2023), einer kleinen, in einer Alltagsinteraktion (und nicht Interviewsituation) entstandenen Erzählung, hin zu einer Illustration eine Rolle spielte. Mein Forschungspartner Baltazar erzählt in dieser Situation von seinem Militärdienst im Iran und seinen Widerstandshandlungen in dieser »totalen Institution« (Goffman 2020 [1961]), während ich davon eine Zeichnung anfertige. Zu beantworten ist, was die Zeichnung im Vergleich zum Erlebnisbericht als symbolische Ressource auszeichnet und welche Bedeutung das Zeichnen für »participatory sense-making« (Fuchs und De Jaegher 2009) in der Situation zwischen Forscherin und Forschungspartner hat.

Zum Begriff der Artikulation

Der Begriff der Artikulation, der meiner Arbeit zugrunde liegt, ist vor allem von Matthias Jung (2009) in einer enaktivistischen und pragmatistischen Perspektive ausgearbeitet worden. Unter Artikulation versteht er die »meist okkasionelle, manchmal planmäßige Explikation menschlicher Erfahrung durch die Performanz von symbolischen Akten (in der Regel: von Sprechakten), in denen die implizit-qualitative Gestalt gelebter Erfahrung in die explizit-semantische Gestalt eines prägnanten Symbolismus transformiert wird« (Jung 2005, 105). An seiner Theorie ist hervorzuheben, dass er Artikulation u.a. als erfahrungsbasiert, verkörpert, genuin intersubjektiv und als multimodal und multimedial begreift. Mit der Bezeichnung des »expressiven Kontinuums« (ebd., 131) kritisiert er die Reduzierung menschlicher Expressivität auf sprachlichen Ausdruck und betont die Möglichkeit, sich unterschiedlichster Ausdrucksformen zu bedienen (womit er nicht meint, dass diese immer bewusst und intentional genutzt werden können), die von einem expressiven Schrei hin zu hoch elaborierten und komplexen Gestaltbildungen viele Formen der Sinn- und Bedeutungsbildung umfassen können. Das Konzept der Artikulation vermag daher eine Brücke zu schlagen zwischen semiotischen Zugängen sowie Ansätzen, die psychologische und interaktionale bzw. intersubjektive Dimensionen menschlicher Sinn- und Bedeutungsbildung berücksichtigen. Es ist hochgradig anschlussfähig an aktuelle Entwicklungen der multimodalen und multisensorischen Ethnografie, die explizit auch visuelle Ausdrucksformen einbezieht (e.g. Eitel und Simon 2025; Pink 2011).

Zur Berücksichtigung bildlicher Artikulation

Da ich in diesem Beitrag eine Artikulationssituation vorstelle, in welcher neben einer narrativen eine bildliche Artikulation, nämlich eine Zeichnung, eine Rolle spielt, möchte ich hier auf einige Aspekte zu sprechen kommen, die für eine bildtheoretische Erweiterung von Jungs Artikulationstheorie hilfreich sind1. Für eine qualitativ orientierte Psychologie, die die Bildlichkeit menschlichen Daseins und zwischenmenschlicher Interaktion berücksichtigen möchte, sehen Jürgen Straub, Aglaja Przyborski und Sandra Plontke (2021) die Aufgabe »Bilder als Bestandteile praktischer, emotional gefärbter Selbst- und Weltverhältnisse, kognitiver Selbst- und Weltverständnisse sowie kommunikativer Selbst- und Weltbeziehungen« (ebd., 575) von Menschen zu untersuchen. Interpretationen berücksichtigen dabei, so schreiben sie, »wie bestimmte Personen bestimmte Bilder in je gegebenen Situationen verwenden, wie sie sie sehen, auslegen, welche Bedeutungen hier und dort ausgehandelt und angesprochen werden« – und zwar immer unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen Kontexte (ebd.). Daran anschließend gilt es, Bilder hinsichtlich ihrer pragma-semantischen Bedeutung für die Artikulation von Leiderfahrungen in den Blick zu nehmen, also nicht nur zu berücksichtigen, was sie zeigen, sondern auch, wie sie produziert und genutzt werden.

Eine Frage, die in der Multimodalitätsforschung diskutiert wird, betrifft die Potenziale von Bildern und anderen Medien als symbolische oder semiotische Ressourcen (für visuelle Ausdrucksformen siehe Kress und van Leeuwen 2020). Insbesondere der Ansatz von Susanne K. Langer (1984 [1942]) ist für eine Differenzierung instruktiv und wird in verwandten Feldern rezipiert (e.g. Sauer 2016; Innis 2020; Chaplin 2021). In Philosophie auf neuem Wege unterscheidet sie zwischen diskursiven und präsentativen Modi der Symbolisierung (Langer 1984 [1942]). Unter diskursiven bzw. sprachlichen, mathematischen oder wissenschaftlichen Symbolismen fasst Langer jene, die eine Syntax, Grammatik und lexikale Struktur besitzen. Ihre Bestandteile (etwa Worte) erscheinen nacheinander und können nicht auf einmal erfasst werden. Bedeutungen lassen sich wiedergeben, definieren und erklären, etwa in einem Lexikon. Für einzelne Bestandteile (Begriffe) bestehen zudem häufig Analogien (z.B. in anderen Sprachen), sodass verschiedene Darstellungsweisen möglich sind (ebd., 99f.).

Demgegenüber besitzen präsentative Symbolisierungsweisen, zu denen Langer Bilder, Gesten, Rituale, Mythen, Musik und auch Gedichte zählt, keine grammatikalische und konventionalisierte, in einem Lexikon erklärbare Struktur. Bilder bieten ihre Elemente nicht nacheinander, sondern gleichzeitig dar, sodass ihre Beziehungen in einem Akt des Sehens erfasst werden. Diese Elemente (etwa Linien, Farben, Flächen) können nur situiert und kontextgebunden verstanden, nicht jedoch einzeln aufgezählt und erklärt werden (ebd., 100f.). Deshalb seien präsentative Symbolismen besonders für den Ausdruck von Ideen, Empfindungen und Vorstellungen geeignet, »die sich der sprachlichen ›Projektion‹ widersetzen« (ebd., 99).

Die Unterscheidung der Symbolisierungsformen ist auch hinsichtlich ihrer Nähe zur enaktivistischen Artikulationstheorie von Jung (2009) interessant – nicht so sehr aufgrund der unterschiedlichen Prinzipien der Formgebung, die teils nur graduell und analytisch differenziert werden können (Straub et al. 2021, 557f.), sondern wegen der Betonung sinnlicher Wahrnehmung und affektiv grundierter Bedeutungsbildung, die sich sprachlicher Reflexion entzieht: »Der Haut- und Tastsinn, das Riechen und Schmecken oder das Hören schaffen, wie das Sehen, praktisches, leiblich-implizites Wissen, lange bevor Laute zu verständlichen Wörtern einer erst ganz allmählich vertrauten Sprache geformt und als solche verstanden werden« (ebd., 547). Die gilt auch und gerade in Bezug auf die Artikulation von Leiderfahrungen. Hier hat der Mensch die Möglichkeit, neben sprachlichen bzw. diskursiven Darstellungsformen eben jene präsentativen Symbolisierungen zu nutzen, die nicht darauf abzielen, etwas möglichst passgenau und ohne Übertragungsverluste durch Nutzung konventionalisierter Zeichen zu explizieren, sondern eine sinnliche und emotionale Bedeutungsbildung im Sinne einer »affektiven Semiose« (Innis 2020, 54) zu ermöglichen, die jenes zum Ausdruck bringt, was uns laut Waldenfels betrifft, affiziert und zu einer Antwort herausfordert (Waldenfels 2007).

Interaktionstheoretische Erweiterung

In meiner (ethno-)psychoanalytischen Herangehensweise interessiert besonders die Interaktionsebene – etwa spielen Moments of Meeting (Stern 2004) und szenisches Verstehen von unbewussten Sinngehalten (Lorenzer 2006; Nadig 1997) sowie Fragen nach Anerkennung (Benjamin 2019) eine Rolle. Sinnbildung in Interaktionssituationen findet durch »participatory sense-making« statt, das bedeutet, soziales Verstehen ereignet sich in »the moment-to-moment interaction of two subjects« (Fuchs und De Jaegher 2009, 466) und beinhaltet ein »active engagement of each individual in the joint activity of sense-making« (Candiotto 2019, 246). Es geht um Ko-Kreationen von Individuen in sozialen Situationen, »which neither of you could have done alone, or outside of its particular context« (De Jaegher et al. 2016, 1). Für eine interaktionstheoretische Erweiterung der Artikulationstheorie eignet sich zudem die psychoanalytische, auf Langers Symbolisierungsformen basierende Unterscheidung zwischen unbewussten, sprachsymbolischen und sinnlich-symbolischen Interaktionsformen (Lorenzer 1981). Gerade sinnlich-symbolische Interaktionsformen stellen nicht nur Re-Inszenierungen vergangener Interaktionsfiguren dar, die im Laufe der Sozialisation verinnerlicht wurden, sondern ermöglichen auch kreative Erkundungen des noch nicht Verbalisierbaren:

»Das kreativ-utopische Potenzial der sinnlich-symbolischen Interaktionsformen liegt, bedingt durch ihre Nähe zu (noch) unbewussten Praxisfiguren, in der größtmöglichen Unabhängigkeit von Wahrnehmungsvorgaben des bestehenden normsetzenden Diskurses. Eine ihrer wesentlichen Funktionen ist es, sowohl individuell wie kulturell, sozial verdrängten und marginalisierten Potenzen auf eine spielerische Art und Weise eine symbolische Gestalt zu geben. Tabuiertes wird fassbar, Unsagbares vertont, Unbeschreibliches artikuliert, kontroverse Elemente geeint, bisher Gedachtes veräußerlicht, Gefühltes ausgetauscht und damit öffentlich verhandelbar« (Klein 2016, 210f.).

Für das Verstehen solcher oftmals nichtsprachlichen Handlungen und Interaktionsmomente spricht Lorenzer (2007) vom »szenischen Verstehen« das nicht nur das inhaltlich ausgedrückte, sondern auch das in einer Interaktionssituation in ko-konstruktiver Bedeutungsbildung implizit und sinnlich Performierte zu ergründen vermag (Klein 2016, 216f.). Dazu bedarf es der »szenischen Anteilnahme« und eines Sich-Einlassens auf die Situation (Lorenzer 1986, 62).

In der relationalen Psychoanalyse wird der Aspekt der ko-konstruktiven Sinnstiftung zumeist noch stärker betont, was sich mit dem Begriff »Moment of Meeting« verdeutlichen lässt. Dieser bezeichnet aus der Perspektive relationaler Psychoanalyse einen Moment der Begegnung und der Passung, eine Art affektiv aufgeladenen »Knotenpunkt«, in dem die Interagierenden sich begegnen und wechselseitiges Verstehen und tiefere Einsichten potenziell möglich werden – unter der Voraussetzung, dass entsprechende Antworten gegeben werden:

»A moment of meeting requires an authentic response finely matched to the momentary local situation. It must be spontaneous and carry the therapist’s personal signature, so to speak. In that way, it reaches beyond a technical, neutral response and becomes a specific fit to a specific situation« (Stern 2004, 370).

Auch in unserer Interaktionsgeschichte gab es solch einen besonderen Moment der Artikulation bzw. Übersetzung, in welcher neben einer Erzählung eine andere »semiotische Ressource« (Van Leeuwen 2005, 3) bzw. ein präsentativer oder auch sinnlich-symbolischer Artikulationsmodus (e.g. Langer 1984 [1942]) zum Einsatz kam. Die Anfertigung der Zeichnung durch mich in der gemeinsamen Szene kann im Sinne einer »responsiven« Ethnografie als alternative Antwort auf die Erzählung meines Forschungspartners aufgefasst werden.

Fallbeispiel aus der Interaktionsgeschichte mit Baltazar

Methodisches Vorgehen: Interaktionsgeschichten und Artikulationsmodi

Bei meinen ethnografischen Forschungsaufenthalten entwickelten sich einige freundschaftliche Kontakte mit nach Deutschland geflüchteten Personen, die ich während der Zeit im Feld kennengelernt und über mehrere Jahre begleitet habe – so auch mit Baltazar2. Unsere Interaktionen sind Gegenstand der Analyse, wobei meine eigenen Beiträge zu unserem Austausch ebenfalls berücksichtigt werden, um Artikulation als ko-konstruktiven Prozess in den Blick nehmen zu können. Die Momente unserer zahlreichen Begegnungen habe ich in sogenannten Interaktionsgeschichten (vgl. Pfab und Klemm 2022, 83–86) zusammengestellt, die sich aus einer Vielzahl ausgewählter Szenen zusammensetzen, welche ich dokumentiert habe. Für die Analyse habe ich vor allem Szenen berücksichtigt, in denen die Artikulation von Gewalt- oder Leiderfahrungen eine Rolle spielten.

In meinen Analysen fokussiere ich exemplarisch verschiedene Modi der Interaktion. Ich unterscheide zwischen medienvermittelten, medienrezipierenden oder -integrierenden und medienproduzierenden Interaktionsmodi. Bei medienvermittelten Modi geht es um den Gebrauch verschiedener Medien in einem weiteren Sinne, d.h. von Sprache oder schriftlicher Kommunikation in Form von Erzählungen, E-Mails o.ä. Bei medienrezipierenden bzw. -integrierenden Interaktionsmodi geht es um den Einbezug von und die Auseinandersetzung mit bereits existierenden und von anderen (Künstler:innen, Autor:innen, Regisseur:innen) hergestellten Medienprodukten oder Objektivationen im engeren Sinne, etwa Musikstücken, Filmen oder Bildern. Die Arrangements, etwa Bildkompositionen, sind hier von anderen zusammengestellt und nicht von den Interagierenden, werden von diesen aber in die Interaktionen einbezogen, »importiert« und zu eigenem Erleben und zur eigenen Biografie in Beziehung gesetzt. Sie sind somit Artikulationsvehikel, die an verbalen Austausch anschließen, diesen aber auch initiieren und Gesprächsanlässe anstoßen können. Bei medienproduzierenden Modi geht es um die Herstellung von solchen Objektivationen der Sinnstiftung, etwa Texten, Bildern, Filmen oder Musikstücken, durch die Beteiligten selbst. Die verschiedenen Modi sind nicht trennscharf zu unterscheiden, vielmehr erfolgt die Trennung aus analytischen Gründen.

In meinen Analysen unterscheide ich zudem zwischen verschiedenen Ebenen der Artikulation: Welt-, Selbst-, und Beziehungsartikulation. Weltartikulation meint die intentionale, inhaltliche Ebene des Artikulierten, also das, worauf sich die Artikulation vornehmlich thematisch bezieht. Bei der Auswahl der Szenen und Situationen liegt der Fokus auf Leid- und Gewalterfahrungen. Es kann sich um bestimmte Phänomene und Ereignisse handeln, die artikuliert werden, oder um Vorgänge, die mit Leiderfahrungen in Verbindung stehen. Selbstartikulation betrifft, was eine Person über sich im Zuge der Artikulation selbst preisgibt oder vermitteln will. Beziehungsartikulation umfasst das Verhältnis der Interagierenden zueinander, insbesondere die Aushandlung von Machtverhältnissen und Asymmetrien zwischen Forschungspartner:innen und Forscherin, die Art und Weise, wie sie sich aufeinander beziehen und miteinander inter-agieren.

Zudem betrachte ich ausgewählte Aspekte der Artikulation vertieft, in diesem Beitrag die Praktiken des Widerstands während Baltazars Militärdienst im Iran. Welche Aspekte bei der Analyse jenseits der o.g. Artikulationsmodi vertiefend in den Blick geraten, hängt dabei von Auffälligkeiten, Besonderheiten und Irritationen ab (Richter et al. 2023; kritisch Chakkarath 2006), die im Interaktionszusammenhang der Situationen und bei der Analyse auftauchen. Auf solche zu achten, gehört auch zum Instrumentarium psychoanalytischer Methoden (Nadig 1997, 36ff.; Bonz et al. 2017). Was mir auffällt, besonders hervorsticht oder mich irritiert, ist dabei unvermeidbar verknüpft mit meinen eigenen Perspektiven, Verstehensmöglichkeiten und Wissenshintergründen, aber auch mit Dingen, auf die mich die Forschungspartner:innen aufmerksam gemacht haben oder die durch Lektüre auffällig werden und meine Deutungen infrage stellen. Durch den Wechsel von Artikulationsmodi oder den Einbezug verschiedener Vergleichshorizonte (etwa unterschiedlicher theoretischer Zugänge), wie sie in der relationalen Hermeneutik differenziert wurden (Straub und Ruppel 2022), lassen sich Wahrnehmungswechsel befördern, die dabei helfen, latente Sinngehalte aufzuspüren.

Artikulation von Widerstand in »totalen Institutionen«

Meine Forschungspartner:innen zeigten ein deutliches Interesse daran, sich in kritisch-politischer Absicht mit unterschiedlichen Gewaltformen, ihren Mechanismen und Folgen auseinanderzusetzen – um sich und ihre Geschichte vorzustellen, diese in meine Forschung einfließen zu lassen, aufzuklären, zu erinnern, zu verarbeiten und zu reflektieren, Tabus zu brechen, Widerstand zu artikulieren und politische Veränderungen einzufordern. Baltazar war während seines Militärdienstes im Iran zahlreichen Repressionen ausgesetzt, denen er durch subversive Handlungen zu widerstehen suchte. Von diesen Handlungen erzählte er mir zu unterschiedlichen Gelegenheiten, was ich in Feldprotokollen festhielt. Auf Grundlage der Erzählungen fertigte ich bei einem unserer Treffen aus einem spontanen Impuls heraus und noch während erzählt wurde eine Illustration seiner Erlebnisse an. Der thematische Schwerpunkt der Artikulation liegt dabei auf einem Moment des »flachen« Widerstands (Därmann 2021, 12) oder einer »sekundären Anpassung« (Goffman 2020 [1961], 185), der während eines Appells im iranischen Militär stattfand, das auch als »totale Institution« (Goffman 2020 [1961]) bezeichnet werden kann3. Laut Erving Goffman lässt sich eine totale Institution »als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen« (ebd., 11). Goffman sieht die Folgen dieser institutionellen Unterbringung für das Individuum und dessen Selbst, besonders wenn es sich um erzwungene Verhältnisse handelt, als »verhängnisvoll« an (ebd., 53). Er nimmt die Methoden der Internierung in ihrer Rolle für die soziale Identität von Individuen in den Blick, die gezwungen werden, ihre Selbstentfaltung massiv einzuschränken, um als soziales Wesen oder als Mensch überhaupt überleben zu können. In totalen Institutionen werden Menschen durch degradierende und demütigende Aufnahmeprozeduren (ebd., 28) in das System der Institution einsozialisiert und erleiden in diesem Zuge durch zahlreiche Verluste von Rechten, Privatsphäre, Gestaltungsmöglichkeiten des Tages und individuellen Freiheiten einen »bürgerlichen Tod« (ebd., 26f.). Ihre »Identitäts-Ausrüstung« wie Kleidung und persönliche Gegenstände wird ihnen weggenommen, wodurch sie entindividualisiert und entmündigt werden (ebd., 29ff.). Sie werden nicht über Vorgänge informiert und ihre Lebenszeit wird »verplant«. Auf diese Weise können sie kein privates Sozialleben bzw. kaum soziale Rollen aufrechterhalten, wodurch sie einen Teil ihrer Selbstbestimmung verlieren und einen Kontrollverlust erleben (ebd., 20f.). Demgegenüber werden sie in soziale Beziehungen (etwa mit Vorgesetzten oder Zimmergenossen) hineingezwungen, denen sie sich teils nicht entziehen können (ebd., 37). Mangels ablenkender Beschäftigungen und sinnstiftender Tätigkeiten leiden Menschen in solchen Institutionen unter psychisch beeinträchtigender Langeweile und Deprivation (ebd., 21). Bei all dem handelt es sich um verschiedene Formen des verletzenden Eindringens in »Territorien des Selbst« oder »Reservate des Selbst« (Goffman 1982 [1971], 54ff.), die etwa den privaten Raum, persönliche Gegenstände und Besitztümer oder Entscheidungsmacht über Gespräche und Beziehungen umfassen. Dies sind Sphären, die im Alltag normalerweise durch »Interaktionsrituale der Achtung, der taktvollen Distanz und der höflichen Reihenfolge« geschützt und bewahrt werden (Därmann 2021, 86).

Menschen fügen sich aber oftmals nicht widerstandslos ihrem Schicksal. Goffman beschreibt Widerstände in seinem Konzept des institutionellen »Unterlebens«, in dessen Rahmen verschiedene Formen der Anpassung oder subversive Strategien im Umgang mit der Internierungssituation entwickelt und praktiziert werden (Goffman 2020 [1961], 194). Er nennt »sekundäre Anpassungsmechanismen« als eine Sammlung von Handlungen, die sich nicht direkt gegen das Personal der Institution richten, es aber den Menschen erlauben, sich durch verbotene Mittel Genüsse zu verschaffen, einen Zugewinn an Kontrolle über ihr Leben zurückzuerlangen oder ein Stück ihrer Autonomie und ihres Selbst zu bewahren (ebd., 59f.). Auch Iris Därmann (2021) würdigt die Praktiken des Widerstands in solchen Situationen bzw. Institutionen, in denen der persönliche Handlungsspielraum aus verschiedenen Gründen teils massiv eingeschränkt ist. Sie plädiert dafür, jenseits der Untersuchung von

»Attentaten, revolutionären Großereignissen, Klassenkämpfen, Massenaufständen […] einen radikal erweiterten Widerstandbegriff zu konturieren sowie flache Widerstandformen in den Blick zu nehmen, die sich in der Spanne und Spannung zwischen vita activa und vita passiva, Überleben und Freitod, Entgegentreten und Sich-Entziehen, öffentlicher Sichtbarkeit und Verborgenheit, Präsenz und historischer Nachträglichkeit, Intention und Effekt, Singularität und Kollektivität bewegen, in ihren Eskalationskräften einerseits, in ihren Spurenbereichen und geringfügigen Resten andererseits« (ebd., 12).

Dies bedeutet auch, nicht nur von den Effekten der Gewalt oder von den Ergebnissen und den Erfolgen dieser Widerstände auszugehen, sondern anzunehmen, dass Widerstände eine temporäre »Gewaltenteilung in statu nascendi« einsetzen können, indem sie die Gewaltwirkungen unterbrechen (ebd.).

Von solchen flachen Widerstandsformen handeln auch Baltazars Erzählungen, die er mir per E-Mail geschickt hat oder die ich in Feldprotokollen dokumentiert habe. Er erzählte mir von seiner Zeit im iranischen Militär. Er war unfreiwillig zum verpflichtenden Militärdienst gegangen, da er keinen Reisepass hätte bekommen können, wenn er den Wehrdienst nicht angetreten hätte. Sein Plan, das Land zu verlassen, wäre für ihn dann ungleich schwieriger umsetzbar gewesen. Seine Erfahrungen schilderte er mit einer Reihe von Szenen und Anekdoten.

Die Rolle bestimmter Gegenstände und Räume für die Wahrung von »Territorien des Selbst« etwa sind ein Aspekt, der von ihm thematisiert wird. Baltazar war Musiker und erzählte mir, wie er aus einem Stück Pappe das Modell eines Griffbretts einer E-Gitarre (ein verbotenes Instrument) bastelte, um während seiner Dienstzeit darauf zu üben. Auch wird ein MP3-Player beim iranischen Militär als bedeutsamer Gegenstand hervorgehoben, der die virtuelle Aufrechterhaltung von »Reservaten des Selbst« für Baltazar ermöglicht. Der Besitz solcher Dinge hätte zu Sanktionen führen können – bestimmte Bücher oder Musik waren nicht erlaubt. So versteckte er private Gegenstände dieser Art in verborgenen Nischen des Gebäudes und machte sich Eigenschaften des Ortes zunutze.

Schließlich erzählte er von den Situationen, in denen er es wagte, etwas offener Widerstand gegen die Regeln und Abläufe im Militär zu leisten. Ihn quälten die frühmorgendlichen Apelle und der Zwang, zu den Gebeten zu erscheinen, obwohl er kein gläubiger Muslim war, wie ich notiert habe: »Mit einem Freund hätte er während der Zeit der Gebete eine Ecke gefunden, in der sie sich vor den Apellen drücken konnten. ›4 Uhr morgens sollten wir beten‹, meinte er, ›wozu‹? Sie haben Musik gehört und Filme geguckt und der Colonel hätte sich immer gefragt, wo sie seien, sie aber nicht gefunden« (Auszug aus dem Feldprotokoll). Oftmals erschien er nicht oder kam zu spät, womit er sich Tadel und sogar unangenehme Verhöre einhandelte, wie er mir ein anderes Mal schrieb: »During the military service the army intelligence agents several times examined (assayed) me, because of disobeying the religious issues and also the military commands« (Baltazar in Mail 11, 2015). Baltazar schilderte, wie er dennoch unordentlich und müde beim morgendlichen Apell erschien und nicht recht mitmachte. Er behielt die Kopfhörer seines MP3-Players auch während des Appells im Ohr und hörte seine eigene, verbotene Musik. Seine Kleidung saß schlecht und die Schuhe hatte er nicht zugebunden, sein Gewehr hielt er achtlos und nachlässig im Arm.

Die Situation erschien mir lebhaft vor Augen. Noch während er erzählte, griff ich spontan zu Stift und Papier und begann, die Szene aus Baltazars Leben zu zeichnen. Ich nutzte das Medium in diesem Moment, ohne zu reflektieren, warum es passend sein könnte. Zeichnen war mir keineswegs fremd, denn vor dem Studium hatte ich eine Ausbildung als Grafik-Designerin absolviert. Dennoch stellte die Nutzung dieses Mediums im Moment des Zuhörens eine eher ungewöhnliche »Reaktion« dar. So war es Aufgabe der nachgelagerten Reflexion und Analyse, den Moduswechsel vom Zuhören zum Zeichnen und seine Funktionen für die geschilderte Artikulationsituation genauer in den Blick zu nehmen4. Im Folgenden gehe ich dazu auf die Ebenen der Welt-, Selbst- und Beziehungsartikulation ein. Durch »szenisches Verstehen« versuche ich zudem, die Sinnschichten zu ergründen, die die Situation ausmachen.

Abbildung 1: Baltazar beim Militärdienst (1. Reihe, 2. von links)

Ebene der Weltartikulation

Das Bild, das ich gezeichnet habe, zeigt Baltazar bei einem Appel der Militärdienstleistenden. Baltazar steht in der ersten Reihe als zweiter von links. Ich habe versucht, die Figur seinem Aussehen nachzuempfinden und äußerliche Merkmale wiederzugeben, aber noch mehr habe ich mich beim Zeichnen auf die Wiedergabe der Unterschiede zwischen ihm und den anderen Wehrdienstleistenden konzentriert. In der Situation, die Baltazar mir beschrieb, hörte er während des Appells verbotene Musik über seinen MP3-Player. Es ist zu sehen, dass er Kopfhörer im Ohr hat, deren Kabel aus seiner Hemdtasche ragen, er verbirgt also nicht, dass er seine Aufmerksamkeit etwas anderem zuwendet, als er soll, was sich mit Goffman (2009 [1963], 65ff.) als fehlendes »Kernengagement« bezeichnen ließe. Man erkennt ihn auch daran, dass er im Gegensatz zu den anderen exerzierenden, strammstehenden Soldaten das Gewähr nicht ordentlich in der Hand hält – aufrecht, wie es bei der Parade gefordert wird. Seine Schuhe sind nicht zugebunden und die Schnürsenkel hängen unordentlich herab. Auch trägt er seine Kappe tief ins Gesicht gezogen.

Mit der Zeichnung wird eine Deutung des Geschehens angeboten. Därmanns Begriff des »flachen« Widerstands scheint hier als theoretischer Vergleichshorizont passend für eine Interpretation. Die Handlungen von Baltazar sind gerade klein und indirekt genug, als dass er keine größeren Sanktionen befürchten muss, denn es ist für Betrachter:innen der Zeichnung und auch Teilnehmer der geschilderten Situation nicht ganz klar, ob sie aus Unachtsamkeit und Unvermögen geschehen oder aus Absicht vollzogen werden. Baltazar riskiert, dass er sich mit diesen Verhaltensweisen selbst zum Gespött der Truppe macht und von den anderen ausgegrenzt und vom Befehlshabenden sanktioniert wird. Denn man könnte ihm zuschreiben, er sei nicht in der Lage, sein Erscheinungsbild zu kontrollieren und in Ordnung zu halten. Dies kann aber auch ein Schutzfaktor für seinen Ungehorsam sein. Er nutzt sich selbstironisch als ein Instrument der Parodie des Appells, indem er dessen synchronen Ablauf und ordentliches, uniformes, symmetrisches und gleichförmiges Erscheinungsbild stört. Selbst wenn man ihn als Clown oder als Schuldigen für die Störung der Ordnung brandmarkt, wird dadurch doch die Störung nicht aufgehoben und fällt auf die ganze Gruppe zurück, kontaminiert zumindest deren regelkonformes Auftreten.

Die Handlungen sind gleichsam »groß« genug, um die Deutung nahezulegen, dass er die Normen, Regeln und Konventionen missachtet und verachtet, deren Befolgung von ihm erwartet und verlangt wird. Denn was auch immer die Ursache ist, zeigen sie doch ein »aus der Reihe tanzen« im militärisch verlangten Einheitsgebahren. Das gleichmäßige Erscheinungsbild der Soldaten in Reih und Glied – alle in Uniform und mit derselben Haltung – wird durch eine Unregelmäßigkeit dekonstruiert und infrage gestellt. Das Verhalten Baltazars irritiert und demontiert letztlich temporär eine Ordnung, die symbolisch nicht nur für das iranische Militär, sondern allgemeiner für Gewaltausübung und die Disziplinierung oder gar Auslöschung von Individualität steht.

Diese Unterbrechung der Ordnung ist, was Därmann mit der »Gewaltenteilung in statu nascendi« (Därmann 2021, 12) meint. Die Momentaufnahme repräsentiert Baltazars Kritik an der »totalen Institution« des Militärs. Sie hält fest, mit welchen kleinen Mitteln und Handlungen er versucht hat, seiner Missbilligung gegenüber dem Militärdienst, seinen Regeln und der Institution selbst Ausdruck zu verleihen – trotz der Gefahr, in die er sich begibt. Dabei ist es die Wahrnehmung und Würdigung der Details seiner Erzählung in der Zeichnung, die hier das subversive Potenzial seiner Handlung anerkennt und hervorhebt. Dieses wird durch die Illustration in einer Art »Screenshot« festgehalten und bildlich und grafisch in Szene gesetzt.

Das Bild eignet sich hier besonders als semiotische Ressource (Van Leeuwen 2005, 3), da Baltazars Handlung gerade eine Anordnung stört, die sich in einer visuellen Struktur bzw. im Muster, in der gleichmäßigen »Reihe« und der geraden Linie, im Anblick der einheitlichen und geordneten Formation der Soldaten beim Apell, performativ zeigen sollte. Im Bild des Appells lassen sich die Widerstandsgesten unmittelbarer nahebringen als in einer Erzählung, da sie gleichzeitig in ihrem Zusammenspiel gezeigt werden können und nicht nacheinander dargestellt werden müssen. Die Illustration dieser subversiven Intervention hebt die Gleichzeitigkeit und die Anordnung der Elemente durch den Einsatz der Linie hervor. Die Irritation der Symmetrie und Uniformität, die intendierte Unordnung der Soldatenreihe und die Ablehnung der institutionellen Ordnung durch Baltazar und seine Nutzung von Kleidung, Köperhaltung und Gegenständen werden durch die Zeichnung sichtbar gemacht. Sie erhalten auch eine andere Materialität und Abbildhaftigkeit, die mittels Tinte auf Papier realisiert werden kann. Doch ist es hier nicht die spezifische ikonische Erkenntnisleistung, die mit einem Bezug auf Langers präsentativen Symbolismus betont werden soll. Das Bild ist nicht als das passendere oder angemessenere Medium der Artikulation zu sehen, sondern als Beitrag zur intersubjektiven Sinnbildung in der multimodalen Artikulationssituation.

Ebene der Selbstartikulation

Nicht nur in Bezug auf Baltazars Geschichte, sondern auch in Bezug auf meine Zeichnung lässt sich fragen, welche Aspekte meiner Selbst ich durch den Moduswechsel artikuliere. Was hat mich eigentlich dazu gebracht, eine Zeichnung anzufertigen, anstatt zu Baltazars Geschichte einfach aufmerksam zu nicken und dadurch mein »Engagement« (Goffman 2009 [1963], 59) zu signalisieren? Dies hat mit der Herausforderung der Artikulation von Leiderfahrungen zu tun. Die Angst von Forschenden vor dem Feld und den eigenen Affekten legt eine Neigung zur Abwehr gegenüber leidbehafteten Erfahrungen nahe (vgl. Devereux 2018 [1967]). Doch ich möchte responsiv (Waldenfels 2007), im Modus des Antwortens, auf die Erzählung reagieren. Mit Blick auf präsentative, sinnlich-symbolische Interaktionsformen und verkörperungstheoretische Ansätze ist durch Zeichnen eine Annäherung möglich, in welcher ich das Geschehen körperlich und affektiv an mich heranlasse (Jellema et al. 2023). Die Erinnerungsfähigkeit wird durch die Zeichnung gestützt, wodurch die Geschichte ein Teil meiner Erfahrungen mit Baltazar wird und sich nicht so leicht aus dem Gedächtnis verbannen lässt. Das Zeichnen stellt somit einen engagierten Versuch des sinnlichen Nachvollziehens der Erlebnisse von Baltazar dar, die durch Koordination des Auges und der Hand als verkörperte Auseinandersetzungen mit seinen Erlebnissen verstanden werden können. Das Zeichnen bringt mich zugleich auf Distanz (vgl. Hoggenmüller 2025, 150), da die Ausführung der Linien eine bewusste Handhabung des Stiftes sowie Nutzung des Blattraumes erfordert und damit ein gewisses Maß an motorischer und affektiver Kontrolle nötig ist. Zeichnen stellt durch die gelieferte Interpretation aber auch eine Aneignung des erzählten Stoffs dar, die ich im Bild sichtbar werden lasse. Es entsteht der Eindruck, als ob man das Erzählte tatsächlich sehen könnte, es wird also durch den Einschluss weiterer Sinne ein Wirklichkeitsmoment kreiert. Doch der Comicstil mit den starken Outlines und die Skizzenhaftigkeit der Zeichnung verweisen auch auf die Hergestelltheit des Bildes und erinnern daran, dass es kein Abbild der Realität, sondern ein Ergebnis meiner spezifischen Vorstellungsweise ist.

Ebene der Beziehungsartikulation

Neben den Ebenen der Welt- und Selbstartikulation ist auch die Ebene der Beziehungsartikulation relevant, die im vorliegenden Fall speziell die Frage zu adressieren hilft, inwiefern die Artikulationsmodi in der Interaktionsszene zur Ko-Konstruktion von Sinn- und Bedeutung sowie der Objektivation sekundärer Zeugenschaft beitragen. Hier lassen sich, wie im Folgenden ausgeführt wird, vier Aspekte unterscheiden: die Anerkennung durch Würdigung der Szene, die Materialisierung und Verfügbarmachung der Imagination für kommunikative Validierung, die Ko-Konstruktion durch aktive Partizipation und die ästhetische Vergemeinschaftung. Durch die »Übersetzung« seiner Erzählung in eine Zeichnung vollzieht sich somit ein Moduswechsel, der zu »participatory sense-making« (Fuchs und De Jaegher 2009) beiträgt.

Anerkennung durch Würdigung der Szene

Die Zeichnung lässt Baltazars Erfahrung zu einem Gegenstand künstlerischer Artikulation werden. Durch die Anfertigung einer Zeichnung werte ich den kleinen Moment zu etwas Besonderem auf und schreibe seinem Handeln eine Bedeutung zu. Zudem vermag ich durch die Zeichnung zu zeigen, dass ich die Situation »verstanden« habe und seine Handlungen nicht als irrelevanten Widerstand oder naive Rebellion fehldeute oder gar abwerte. Ich erkenne damit auch einen Aspekt seiner Selbstartikulation als jemanden an, der sich in dem institutionellen Kontext im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Wehr gesetzt hat und sein kritisches Verhältnis zum iranischen Regime zum Ausdruck bringen wollte. Bezeugt werden die Verletzung und der Versuch der Bewahrung von »Reservaten des Selbst«.

Materialisierung und Verfügbarmachung der Imagination für kommunikative Validierung

Als semiotische Ressource nutze ich das Bild, um diesen Moment festzuhalten und eine »Artikulation der Artikulation«, eine »Übersetzung durch Vervielfältigung« zu kreieren. Nicht zuletzt die positive Reaktion Baltazars auf meine spontane Zeichnung forderte mich zur Reflexion und Analyse der Bedeutung dieses Artikulationsmittels auf. In der Situation hatte ich ungeplant zum Stift gegriffen, spontan, denn in ethnografischen Forschungszugängen ist vieles vergleichsweise offen gestaltet und daher nicht im Detail planbar oder kontrollierbar. Dementsprechend bin ich über die positive Wirkung der Anfertigung einer Zeichnung in der Situation selbst überrascht: Baltazar staunt über meine Zeichenfähigkeit und sagt mir, dass es »so« gewesen sei, wie ich es gezeichnet habe. Dabei ist das Bild nur eines von vielen Möglichen, die zu Baltazars Erzählung hätten gezeichnet werden können. Gerade im »Überschuss des Imaginären« (Boehm 2010, 119), der sich hier zwischen Erzählung, Bild und Betrachter:innen aufspannt, sieht Amelung jedoch das Potenzial einer Illustration (Amelung 2018, 103). Das Zeichnen erlaubt mir die Materialisierung der visuellen Imagination der Geschichte und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit einer kommunikativen Validierung durch bzw. mit Baltazar.

Dieser freut sich über die Art und Weise, wie ich ihn und die Situation dargestellt habe, und fragt mich, ob ich weitere Bilder anfertigen könne. Im Verlauf unserer Interaktionsgeschichte komme ich diesem Wunsch mehrmals nach. Es entsteht eine kleine Serie von Skizzen, die Szenen aus seinem Leben oder seinen Erzählungen zeigen. Aus einer ersten ad hoc angefertigten Zeichnung entwickelt sich so im Sinne einer »Artikulationskette« über die Zeit eine wiederholte Nutzung des Mediums zur ko-konstruktiven Artikulation von Leiderfahrungen.

Ko-Konstruktion durch aktive Partizipation

Diese Art der intersubjektiven Artikulation, in der eine zeichnerische Übersetzung stattfindet, unterscheidet sich von der medienrezipierenden Interaktion, wie etwa der Vorführung von Filmen oder Musikstücken durch Baltazar, durch die Qualität der Ko-Konstruktion in der Interaktion. Indem ich Baltazars Erzählung zeichne und im Bild kondensiere, bin ich wesentlich stärker als aktiv Handelnde in den Artikulationsprozess involviert, als wenn Baltazar mir bestimmte Medien vorschlägt, zeigt und deren Bedeutung für mich expliziert und kommentiert. Durch das Zeichnen zeige ich mich als aktive, aber auch verletzliche Interaktionspartnerin. Denn meine Interpretationsleistung kann sich weniger am Medium orientieren, das beispielsweise bei Filmen bereits in Sprache, Bild und Ton arrangiert ist und bestimmte Wahrnehmungsweisen nahelegt. Zudem ist der Einsatz auf eine andere Weise körperlich. Während ich im Modus des Zeigens durch den Forschungspartner bzw. der Medienrezeption eher in einer stummen Rezipientinnenrolle oder fragende Dialogpartnerin bin, bin ich beim Zeichnen durch den bewussten Einsatz meiner Fähig- und Fertigkeiten gefragt. Die Artikulationssituation wird durch meinen Beitrag nun nicht mehr monologisch von Baltazar bewältigt und gestaltet sich interaktiv. Diese Wechselseitigkeit hat Baltazar mit »sharing« statt »helping« benannt. Als Moment sekundärer Zeugenschaft kann die Illustration somit als eine Art sinnlich-symbolische Beglaubigung der kleinen unscheinbaren Praktiken des Protests dienen.

Auf der Beziehungsebene birgt die Art und Weise der Artikulation auch Risiken der Anerkennung. Der Übersetzungsprozess erfordert einen Moment der Kreativität und Imagination und ist dadurch auch ein Wagnis. Dass ich dieses Medium zur Darstellung seiner Erzählungen nutze und Szenen seiner persönlichen Geschichten illustriere, erfordert eine besondere Aufmerksamkeit für seine Schilderungen dieser Szenen, somit ist es auch ein Nachweis für mein »Engagement«. Durch den persönlichen Bezug bringt das Zeichnen eine gewisse Intimität mit sich, ein vorsichtiges Erkunden, ob die Zeichnung zu seinen Erfahrungen und Erzählungen »passt«. Die Spannung, ob es beim Ergebnis ein Gefühl der Passung, einen »Moment of Meeting« geben wird, ohne dass seine Erzählung entwertet wird, ist prekär. In dem hier fokussierten Moment gelingt sie offenbar. Statt sprachlicher Erwiderung stellt die bildliche Übersetzung gerade aufgrund ihrer Analogien zu Baltazars Geschichte, nicht aufgrund der Gegensätze gegenüber der sprachlichen Artikulation, eine Form der Synchronisierung zwischen der Narration des Forschungssubjekts und der Imagination der Forscherin dar.

Ästhetische Vergemeinschaftung

Während Baltazar die Bedeutung seines Handelns in unserer Interaktionsgeschichte auf musikalischer und narrativer Ebene artikuliert, füge ich eine präsentative Dimension hinzu, die im Übrigen auch an seine Vorliebe für Illustrationen anknüpft, die in Gesprächen zwischen uns mehrfach deutlich wurde – etwa mit Bezug auf Marjane Satrapis Comic »Persepolis«. Das Bild schafft nicht zuletzt eine Verbindung zwischen den kleinen Formen des Protests im »Unterleben« und dem Anspruch, den Baltazar an Kunst stellt. Denn dieser schreibt er auch ausgehend von der politischen Situation im Iran eine besondere Rolle zu: »There is a proverb in Iran that says: the conquerors always write the history. We have always an official history that is written by politicians and statesmen and in parallel [we have] the history that has been written by the Artists. So I believe personally more in Art and Artists« (Baltazar in Mail 11, 2015). Seine Vorliebe kann auch im »konjunktiven Erfahrungsraum« subversiver Kulturproduktion im Iran verortet werden, in welchem künstlerische Artikulation einen besonderen Stellenwert hat (Salmi 2021). Meine Zeichnung imitiert oder reproduziert aber nicht iranische Kunst, sondern knüpft an Baltazars Verständnis von Kunst als Möglichkeit des Widerstands an. Keshmirshekan schreibt, dass visuelle Kunst im Iran genutzt wird, um Gegennarrative zu kreieren, die staatlichen Master-Narrativen zu widersprechen vermögen:

»Artists express their resistance through their works, exploring themes such as political history, cultural memory and power relations. […] The result of this resistance is the creation of artworks that represent the iconography of socio-political and moral contravention – artistic expressions that transform into instruments of socio-cultural criticism and political contention« (Keshmirshekan 2024, 4).

Er beschreibt, dass es für die Künstler:innen dabei nicht nur um den Inhalt der alternativen Repräsentationen geht, sondern um die Möglichkeit, überhaupt eine andere Geschichte erzählen oder eine andere Sicht zeigen zu können:

»[A]rtists do not seek to tell the story of an ›objectified past‹ but situate themselves in the position of being the subject of that history which they are subjectively living in. […] They apply visual strategies to reclaim authority over their own individuality as opposed to the dictated one by the ideology of the Iranian state« (Keshmirshekan 2023, 16).

Baltazar schätzt die Strategien und Werke iranischer Künstler:innen, die ihre subjektiven Perspektiven und subtilen artikulatorischen Potenziale nutzen, um hegemonialen Narrativen zu widersprechen – auch solchen »westlicher« Gesellschaften gegenüber Menschen aus dem Iran. Er möchte Musik und Kunst ebenfalls nutzen, um seine Weltsicht zu artikulieren, und sieht in meinen Illustrationen einen potenziellen Beitrag zur ko-konstruktiven Symbolisierung seiner Auseinandersetzungen mit dem Regime. Gleichsam wird durch die Nutzung künstlerischer Mittel in unserem Austausch im Allgemeinen und die Entwicklung eines bestimmten »Stils« im Besonderen auch eine ästhetische Vergemeinschaftung in unserer Interaktionsgeschichte erkennbar.

Baltazar fragt mich im späteren Forschungsverlauf, ob ich nicht eine ganze Serie zeichnen möchte, um sie für ein Musikvideo zu verwenden. Das allerdings muss ich nach einigen Zeichnungen abbrechen, denn in meiner Rolle als Wissenschaftlerin, die eine Dissertation verfassen muss und will, war es zumindest zu diesem Zeitpunkt eine zu große Aufgabe, eine ganze Bilderreihe zu erstellen, die in ihrer Qualität über Skizzen der vorgestellten Art hinausgeht. Hier waren der Methode Grenzen gesetzt – eine noch konsequentere Öffnung in Richtung performativer (einführend dazu Mey 2019) und partizipativer Forschung (einführend dazu von Unger 2014) hätte andere Ressourcen erfordert. Die Praxis des Zeichnens und der Illustration ließe sich ausgehend von dieser positiven Erfahrung allerdings zukünftig noch stärker in meiner Forschung integrieren.

Artikulation als kulturpsychologischer Grundbegriff – Ein Ausblick

Menschen bemühen sich trotz der zweifelsohne vorhandenen Grenzen des Denk- und Aussprechbaren von Gewalt (Emcke 2013) in vielschichtiger Weise um intersubjektive Artikulation, Verstehen und Anerkennung. Dabei nutzen die Beteiligten ko-produktiv und in prozessualen Übersetzungsbewegungen alle Möglichkeiten des »expressiven Kontinuums« der Artikulation. Artikulation ist in diesem Sinne als kulturpsychologischer Grundbegriff zu verstehen. Sie ist als multimodal, multimedial, emotional, körperlich und materiell grundiert zu betrachten und aufgrund der Abhängigkeit von und Ko-Konstruktivität mit anderen als intersubjektives Geschehen in den Blick zu nehmen. Meine Arbeit zeigt, dass hierbei auch der Einbezug von Bild und visueller Produktion in der qualitativen sozial- und kulturpsychologischen Forschung ernstgenommen werden sollte, denn Bilder sind in unserem Alltag ständig präsent – als »sinnliche, leiblich-affektive Wesen« leben wir mit und durch Bilder und artikulieren uns mittels solcher (Straub et al. 2021, 541). Unsere Bezugnahme auf die Welt, »Selbstreflexionen und -artikulationen, Vorstellungen, Erinnerungen, Antizipationen, Imaginationen, Fantasien […] sind häufig ikonisch verfasst oder mit Bildern assoziiert« (ebd., 542f.).

Die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Bildlichkeit gilt auch oder gerade dann, wenn es um die Artikulation von Leiderfahrungen und den Umgang mit diesen geht. In den Interaktionssituationen, die in meiner Forschung analysiert werden, fungieren verschiedene Arten von Bildern als Artikulationsvehikel. Sie sind in multimodale und multimediale Artikulationsprozesse eingebettet und von sprachlichen Äußerungen narrativer oder dialogischer Art begleitet. In dem hier diskutierten Beispiel ging es um eine Illustration, die von der Wissenschaftlerin als Antwort auf die Erzählungen eines Forschungspartners über seine Erfahrungen im iranischen Militär erzeugt wurde. Die positive Reaktion des Forschungspartners auf die spontan erstellte Zeichnung zeigte, dass die Illustration seiner Erfahrung durch die Zuhörerin als eine Form der Anerkennung seiner Erlebnisse und als Objektivation sekundärer Zeugenschaft eine Rolle spielen konnte. Dies bestärkt und stützt mein Plädoyer für die Nutzung künstlerischer Methoden in der Forschung, die mit ihren jeweiligen semiotischen Ressourcen einen Beitrag zu Artikulation und Sinnstiftung leisten können. Künstlerische Methoden, wie das Mittel der Illustration, können dabei von allen an der Forschung teilnehmenden (Forschende und Forschungspartner:innen) eingebracht und ko-konstruktiv genutzt werden. Sie erweitern Artikulationsräume, indem sie das Potenzial menschlicher Ausdrucksformen weiter ausschöpfen helfen. Zudem betonten sie, dass Artikulation ein gemeinschaftlicher Prozess ist, in welchem die Reaktionen der Zuhörer:innen relevant sind. Sie können zur Schaffung eines »Moment of Meeting« beitragen, in welchem wechselseitiges Verstehen befördert wird. Im in diesem Beitrag analysierten Fall wirkte die Zeichnung, weil sie als eine Art Interpretation, Vervielfältigung und Übersetzung des Gehörten der Erzählung des Forschungspartners Gewicht verlieh, es »materialisierte« und verewigte und die von ihm als bedeutsam hervorgehobenen Aspekte des Widerstands durch grafische Mittel betonte. Die Zeichnung setzte Störungen der Ordnung im Militär bildlich in Szene und hob dadurch Aspekte hervor, welche die »flachen« Widerstände würdigten, die – im Rahmen der Handlungsspielräume innerhalb der Institution – Baltazars Ablehnung des Zwangs zum Militärdienst und dessen Methoden der Entsubjektivierung artikulierten. Die Illustration ist hier ein besonders interessantes Mittel, da sie als »Dreingabe« nicht die Geschichte übertrumpft (auch wenn ich hier die Analyse des Bildlichen und seiner Funktion in den Vordergrund gerückt habe), sondern etwas hervorhebt, hinzufügt oder mit anderen Mitteln als der Sprache verständlich werden lässt. Sie kann, wenn man ein Erlebnis einer anderen Person zeichnet, etwas sehr Persönliches sein und ist daher ein Wagnis, kann aber auch eine besondere Wertschätzung zum Ausdruck bringen und zur Anerkennung der Situativität, Kontextualität und Relationalität von Sozialforschung als Begegnung beitragen.

Anmerkungen

[1]
In letzter Zeit gab es eine Vielzahl an Arbeiten in verschiedenen Disziplinen, die theoretisch-methodologisch für die Berücksichtigung visueller Aspekte menschlicher Sinnstiftung argumentieren, etwa in den (visual) culture studies, der Bildhermeneutik, der visuellen Soziologie, der Grounded-Theory-Methodologie oder dokumentarischen Methode. Viele dieser Ansätze fokussieren allerdings nicht die Produktion von Bildern seitens Forscher*innen in Interaktionssituationen im Feld. Bildproduktion durch Forscher*innen wird eher von Ansätzen performativer und künstlerischer (Sozial-)Forschung sowie in der visual anthropology berücksichtigt (e.g. Jellema et al. 2023; Illustrating Anthropology 2020).
[2]
Der Name ist ein Pseudonym, das von Baltazar zum Zweck der Anonymisierung selbst gewählt wurde.
[3]
Zur Situation im iranischen Militär sind nur wenige deutsch- oder englischsprachige Studien zu finden. Moghadam (2022) bezeichnet den für junge Männer im Iran obligatorischen Militärdienst, der ca. 24 Monate andauert, sogar als moderne Form der Sklaverei.
[4]
Die Originalzeichnung habe ich Baltazar geschenkt. Allerdings erlaubte er mir, das Foto davon für meine Forschung zu nutzen. Die Erlaubnis zur Nutzung von Forschungsdaten in meiner Dissertation wurde nicht einmalig per schriftlicher Zusage eingeholt (wenngleich mir diese gegeben wurde), sondern in Bezug auf spezifische Themen oder Materialien während des Forschungsprozesses wiederholt mündlich erfragt.

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Die Autorin

Monique Kaulertz, MA, studierte Sozialpsychologie, Sozialanthropologie, Philosophie sowie Friedens- und Konfliktforschung in Bochum und Utrecht. Sie forscht und lehrt u.a. zu Theorien und Methoden der Artikulationsforschung, kritischer Migrationsforschung, Diskriminierung und Rassismus, narrativer Psychologie und Kulturpsychologie. An der Ruhr-Universität Bochum promoviert sie zum Thema »Artikulation von Leid- und Gewalterfahrungen in Begegnungen mit geflüchteten Menschen« und ist Stipendiatin des Hans-Kilian und Lotte Köhler-Centrum (KKC). Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiter:in im Projekt »KLIM – kurdisches Leben in München« an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe tätig.

Kontakt:
monique.kaulertz@rub.de