Neuere Ergebnisse der deutschen Freundschaftsforschung

Arnold Krosta & Hans-Joachim Eberhard

Zusammenfassung

Eine umfassende Sichtung der deutschen Freundschaftsforschung ergab, dass Freundschaftsbeziehungen bisher nicht in ihren soziokulturellen Kontexten erforscht wurden. Infolgedessen wählten die Autoren die zu Untersuchenden begründet aus Angehörigen des Selbstverwirklichungs- und Unterhaltungsmilieus, nach Schulze (1992). Die Freundschaftsforschung hatte zudem einen Unterschied zwischen Männer- und Frauenfreundschaften festgestellt. Daher wurden vier Gruppendiskussionen, je eine Männer- und Frauengruppe aus den beiden Milieus, durchgeführt und mit anderen TeilnehmerInnen wiederholt. Das so gewonnene Material wurde inhaltlich-thematisch interpretiert. Es ließen sich in allen Gruppen übereinstimmende Dimensionen konstruieren, die dann auf der psychodynamisch-interaktionellen Ebene interpretiert wurden. Ein Vergleich der vier Gruppen auf der Ebene dieser Dimensionen erfolgte anschließend. Dessen Resultate wurden abschließend ins Verhältnis zu den bisherigen Ergebnissen der Freundschaftsforschung gesetzt. Freundschaften unterscheiden sich demnach nicht vorwiegend zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen den Milieus.

Schüsselwörter: Freundschaftsforschung, qualitative Forschung, analytische Sozialpsychologie

Summary

The german friendship research has neglected the social cultural context so far. Therefore the authors of the study chose their participants out of the two social »milieus« of Schulze (1992).The friendship research has stated a difference in the way men and women conduct their friendships. Four discussion groups have been created two in each milieu differentiated between men and woman. The material has been interpreted first concerning the content secondly on a psychoanalytic-interactional frame. Common dimensions in all of the four groups have been found out, the results have been compared. The main difference in the friendships is not the gender one but the belonging to different milieus.

Keywords: Friendship research, qualitative research, analytic social psychology.

1. Fragestellung

Unser Interesse richtete sich auf die Untersuchung von aktuellen Freundschaftsbeziehungen auf der Folie der gesellschaftlichen Veränderungen in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Forschung dazu war bisher dissoziiert: Die sozialpsychologische Freundschaftsforschung analysierte dieses Phänomen nur unter dem Blickwinkel einer persönlichen Beziehungsform und die soziologischen Theorien zur gesellschaftlichen Veränderung reichten nicht bis zur Beziehungsebene von Freundschaften. Unsere konkrete Fragestellung lautet daher: Wie sehen die persönlichen Freundschaftsbeziehungen in zwei verschiedenen soziokulturellen Milieus aus?

Die Beantwortung unserer Frage zielte darauf ab, die intersubjektiv konstituierenden Bedingungen von Subjektivitätsanteilen zu erhellen, die den Hintergrund für die – auch psychotherapeutische – Alltagspraxis abgeben. In diesem Sinne empfiehlt z. B. auch Jaeggi (1991) der Klinischen Psychologie die Kenntnis von gesellschaftlichen Veränderungen. Ferner schien es sinnvoll zu sein, die auf Freundschaften bezogenen milieuspezifischen Erwartungen zu kennen, verdeutlichen diese doch auch milieutypische Beziehungswünsche an den Therapeuten. Therapie bedeutet ja, aus dem Griechischen kommend: »Bedienung der Seele eines Freundes.«

Lüders (2000) betont, dass in der qualitativen Forschung, in der wir unsere Studie verorten, übereinstimmend die Möglichkeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse zwar eingefordert, aber nicht (meistens noch nicht einmal exemplarisch) vorgeführt wird. Eine anschauliche Darstellung unseres Vorgehens mit einer ausführlichen Präsentation unseres Material, die dies ermöglicht, findet sich in Eberhard und Krosta (2004). In dem vorliegenden Aufsatz fokussieren wir nur auf die Präsentation der Ergebnisse unserer Untersuchung.

2. Methodologische Fundierung

Durch die Arbeiten von Meinefeld (1995, 1997) wird eine mögliche allgemeine Basis methodologischer Ansprüche für die empirische Analyse von sozialpsychologischen Phänomenen aufgezeigt. Demnach sind die Vorannahmen des Forschers nicht auszuschließen, sondern systematisch in den Prozess der Methodenentwicklung und -begründung mit einzubeziehen. Zudem überzeugte uns an der Methodologie der analytischen Sozialpsychologie ihr Einbezug der psychoanalytischen und soziologischen Perspektive bei der Untersuchung von sozialpsychologischen Gegenständen (vgl. Brede 1995). Kelle (1994) erarbeitet eine konkrete Ausformulierung von methodischen Regeln für eine empirisch begründete qualitative Theorieentwicklung. 2.1 Theoretische Vorannahmen 2.1.1 Freundschaftsforschung

Eine Untersuchung von Bruckner und Knaup (1993) über Freundschaften in den USA, Großbritannien, der Bundesrepublik, Italien und Ungarn erbrachte als Ergebnis, dass »nation-related variations are greater than gender-specific ones« (249). Mit Nötzoldt-Linden (1994) halten wir es daher für problematisch, »die englischen und amerikanischen Befunde zur Freundschaftsforschung auf den deutschen Kulturbereich zu übertragen« (94). Freundschaftsbeziehungen werden also in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Verhältnissen ausgestaltet; sie sind »Kulturspezifika« (Müller-Jacquier 1996). Daher beschränkten wir uns auf die deutsche Freundschaftsforschung (s. dazu Eberhard & Krosta 2004).

Obwohl Berghaus (1989) zu Recht betont: »Das Verständnis von Freundschaft unterliegt sozialem Wandel und interkulturellen Variationen« (216), wird in den Untersuchungen der deutschen Freundschaftsforschung durchgängig die soziologische Ebene vernachlässigt. Valtin und Fatke (1997) beziehen sich auf die Individualisierungstheorie und wählen außerdem ihre Untersuchungspopulation aus den Bewohnern einer Großstadt. Zwar schreiben sie, dass Arbeiter, Mittelstandsangehörige aus Großstädten und Kleinstädter nicht »die gleichen Vorstellungen von Freundschaft zugrunde legen, wenn sie Fragen zum Verhalten unter Freunden beantworten« (31), ziehen daraus für ihre Arbeit jedoch keine Konsequenzen. In dieser Arbeit, wie in vielen anderen, werden dann die Ergebnisse der Untersuchung einer gesellschaftlichen Großgruppe auf die gesamte Gesellschaft übertragen und so zu unrecht verallgemeinert. Auf Grundlage dieser Perspektive ist auch zu prüfen, ob der in der Freundschaftsforschung ermittelte Unterschied zwischen Männer- und Frauenfreundschaften (vgl. z. B. Schneider 1969; Jost, Schätzle, Schenk & Wagner 1985; Fatke & Valtin 1988; Bruckner & Knaup 1990; Auhagen 1993; Maurer 1993; Kast 1995; Witte & Sperling 1995; Schöningh 1996; Valtin & Fatke 1997) zutrifft. Ein weiteres Problem der empirischen Freundschaftsforschung benennt Auhagen (1991): »Die Relation von Freundschaftserleben und -verhalten und [dem darunter liegenden] Freundschaftskonzept ist weitgehend ungeklärt« (8). Valtin und Fatke (1997) versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie nicht nur nach Freundschaftskonzepten, »sondern auch nach dem tatsächlichen Verhalten« (32) der Interviewten fragen. Dieses Vorgehen ist wegen der Gefahr, dass Antworten nach sozialer Erwünschtheit gegeben werden (vgl. Reinecke 1991), fragwürdig. An diesem Punkt überzeugte uns Köhler (1991): »Statt die einzige richtige Definition von Freundschaft zu suchen, sollten subjektive Definitionen den Ausgangspunkt bilden, um deren Einfluß auf tatsächliche Freundschaften zu betrachten« (256).

Als Schlussfolgerungen für die empirische Ebene unserer Untersuchung ergab sich, dass wir subjektive Freundschaftskonzepte in verschiedenen großstädtischen soziokulturellen Großgruppen (die Studie wurde in Berlin durchgeführt) und auch in unterschiedlicher geschlechtlicher Ausprägung untersuchten. Zudem versuchten wir eine Methode zu finden, mit der wir von den von den Untersuchten präsentierten Freundschaftskonzepten auf das alltägliche reale Erleben und Verhalten in ihren Freundschaften versuchsweise schließen konnten. Die Form der Gruppendiskussion schien uns dazu gut geeignet. 2.1.2 Soziologische Theorieebene

Für die gesellschaftlichen Veränderungen in der Bundesrepublik hat Beck nicht nur eine Individualisierungstheorie (1986), sondern auch die soziologische Kategorie der »zweiten Moderne« (1996) entwickelt. Beck beschreibt zwar die gesellschaftlichen Veränderungen phänomenologisch zutreffend, verzichtet allerdings auf eine Analyse neuer kollektiver Lebensstile und soziokultureller Gravitationsfelder. In der Soziologie fokussiert die aktuelle Literatur der sozialen Ungleichheitsforschung nicht mehr das Schichtmodell, wie zuvor das Klassenmodell, sondern Segmentierungsmodelle von gesellschaftlichen Großgruppen, die als »soziale Milieus« bezeichnet werden. Schulze (1992) und Vester, Oertzen, Geiling, Hermann und Müller (1993) haben in diesem Sinne auf empirischer Basis zwei Modelle vorgelegt. Der gesellschaftstheoretische Entwurf von Schulze (1992) verspricht, die aktuellen kollektiven Muster von Subjektivität adäquater als der Ansatz von Vester et al. (1993) zu erfassen. Diese Milieus können aus der Sicht von Schulze nicht mehr durch die Kriterien des Schichtmodells, wie Stellung im Produktionsprozess und Lebensstandard, definiert werden, sondern durch die Kriterien von Alter, Bildungsstand und persönlichem Stil eines Menschen. Schulze fand fünf Milieus als »Syndrome von Subjektivität und Situation, die sich in der sozialen Wahrnehmung zu einer kollektiven Einfachstruktur von Existenzformen verdichten« (637). Die vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zeigen ihren Niederschlag am deutlichsten in den beiden großstädtischen Milieus der unter 40-jährigen. Vor allem in diesen finden sich Vertreter der »zweiten Moderne« (Beck 1996), die gegenüber den drei Milieus der über 40-jährigen über die andersartigen Identitäten dieser Moderne verfügen. Deswegen sind sie Gegenstand unserer Untersuchung. Die wichtigsten klar ersichtlichen Bestimmungsstücke des sogenannten Selbstverwirklichungsmilieus bestehen darin, dass dessen Angehörige unter 40 Jahre alt sind und über mittlere oder höhere Bildung verfügen. Als Stiltyp findet sich eine Nähe zum Spannungs- und Hochkulturschema, und Distanz zum Trivialschema. Andere Bestimmungsstücke finden sich bei den Angehörigen des Unterhaltungsmilieus. Diese sind zwar ebenfalls unter 40, verfügen aber nur über eine geringe Bildung und als Stiltyp findet sich eine Nähe zum Spannungsschema sowie Distanz zum Hochkultur- und Trivialschema. Typische Zeichen des Hochkulturschema sind z. B. klassische Musik, Museumsbesuch, die des Trivialschemas z. B. Fernsehquizsendung, deutsche Schlager und die des Spannungsschemas z. B. Rockmusik, Ausgehen (Café, Disco, Kino). Die beiden Milieus sollen hier nicht weiter beschrieben werden (s. dazu Schulze 1992). Der zeitliche Geltungsbereich von Schulzes Arbeit ist aus unserer Sicht auch heute noch gegeben und die Übertragbarkeit der beiden jüngeren Milieus auf Ostberlin ist zwar plausibel, aber nicht gesichert. 2.1.3 Psychoanalytische Theorieebene

Durch das Konzept der analytischen Gruppenpsychotherapie von Heigl-Evers und Heigl (1979) ist es möglich, im Material von Kleingruppenprozessen ihre unbewusste Ebene zu analysieren. Die Autoren haben unter dem Begriff der psychosozialen Kompromissbildungen kollektive Abwehrsysteme für Kleingruppen definiert: Sie sind »relativ zeitstabile interpersonelle Manifestationen pathogener innerseelischer Konfliktdynamik, Figuren des Miteinander-Umgehens der Interaktionspartner i. S. der Abwehr gemeinsam erlebter latenter Konflikte. Sie dienen der Bewältigung von Gefahren, die aufgrund innerer Konflikte des einzelnen den Beziehungen drohen« (803). Dieser Ansatz betont also den Anteil des individuellen Unbewussten an sozialen Prozessen, legt aber seinen Fokus auf die in ihnen gemeinsam gebildeten Abwehrfiguren. Die psychosozialen Kompromissbildungen »ermöglichen den Zusammenhalt der Gruppe trotz starker intraindividueller und daraus resultierender interpersoneller Spannungen« (810) und erhalten somit ihre Arbeitsfähigkeit. Das psychodynamisch Individuelle wird innerpsychisch mit den vermuteten oder tatsächlichen Verhaltensweisen der anderen balanciert. Die psychosozialen Kompromissbildungen bewahren diese Prozesse auf. Es sind Handlungen, die einerseits eine Absicht des Selbst im Sinne der Abklärung gegenseitiger Erwartungen und sozialer Konsequenzen beinhalten, andererseits eine Arbeit des Ichs im Sinne der Artikulation von Triebwünschen bedeuten. Sie sind also soziale wie psychische Kompromissbildungen. Der Nachweis der psychosozialen Kompromissbildungen gelingt nicht nur in therapeutischen Gruppen, sondern in sozialen Gruppen aller Art, die sich als Arbeitsgruppen definieren lassen (vgl. 811). Man erkennt sie daran, dass sich bestimmte kommunikative Interaktionsmuster im Verlauf des Zusammenseins der Kleingruppe wiederholen (z. B. nicht über die eigenen Erfahrungen reden, sondern die anderen interviewen). Die gruppenspezifischen psychosozialen Kompromissbildungen lassen sich finden, in dem man die Frage stellt, welche psychodynamischen Konflikte zu einer Kompromissbildung im Gruppengeschehen führen. Die psychodynamischen Konflikte sind dabei als Konfliktmuster von Angst und Wunsch zu sehen.

In dem Interpretationsteil des Materials von Kleingruppenprozessen in unseren Gruppendiskussionen haben wir die psychoanalytische Perspektive systematisch positioniert. Wir gehen also davon aus, dass es für die Beantwortung unserer Fragestellung dienlich ist, nach dem konflikthaft Verdrängten der Beforschten in ihren Konstruktionen über Freundschaftskonzepte zu suchen. Dadurch soll es auch möglich werden von anhand des Materials gebildeten Freundschaftskonzepten auf das alltägliche reale Erleben und Verhalten in Freundschaftsbeziehungen zu schließen. 2.2 Methodische Konsequenzen

Die Strukturierung unseres Datenerhebungs- und Interpretationsprozesses erfolgte vor allem in Anlehnung an Flick (1995) und Bohnsack (1991). Beide Ansätze beziehen sich auf die Grounded Theory (Glaser & Strauss 1984), steuern aber dennoch eine kollektive Ebene an. Eine Modifikation des Vorgehens der Grounded Theory findet sich im thematischen Kodieren von Flick (1995), da dieses »für vergleichende Studien mit aus der Fragestellung abgeleiteten, vorab festgelegten Gruppen« (206), die also nicht wie bei der Grounded Theory aus den Erfordernissen des Interpretationsprozesses gewählt werden, entwickelt worden ist. »Der Forschungsgegenstand ist dabei die soziale Verteilung von Perspektiven auf ein Phänomen oder einen Prozeß. Es wird die Annahme zugrunde gelegt, daß in unterschiedlichen sozialen Welten bzw. sozialen Gruppen differierende Sichtweisen anzutreffen sind« (206). Wir setzten uns auch ausführlich mit dem Ansatz der rekonstruktiven Sozialforschung von Bohnsack (1991) auseinander, da er, im Gegensatz zu Flick, den Einsatz von Gruppendiskussionen und ihre Auswertung als zentrales Forschungsmittel benutzt. Allerdings interessiert uns die Rekonstruktion des Erfahrungswissens, welches das Alltagshandeln der von uns zu Erforschenden bedingt und das zu einem handlungstheoretischen Modell – im Sinne der Grounded Theory – führen sollte, nicht zentral, sondern eher milieuspezifische Sicht- und Handlungsweisen, im Sinne der Perspektive der sozialen Repräsentation von Flick (1995), bezogen auf Freundschaftsbeziehungen. 2.2.1 Materialgewinnung und Durchführung der Untersuchung

Ausgehend vom Milieumodell von Schulze (1992) entwickelten wir einen Fragebogen, mit dem wir in der Lage waren, die zu Untersuchenden dem Selbstverwirklichungs- oder Unterhaltungsmilieu zuzuordnen, darüber hinaus sollte er auch diejenigen ausweisen, die sich zu keinem Milieu zurechnen ließen und die somit ebenfalls aus unserer Untersuchung herausfielen. Dieser Fragebogen, der auf dem Material von Schulzes Standardrepräsentativumfrage gründete, wurde von uns so konstruiert, dass er die Hauptmerkmale, in denen sich die beiden Milieus voneinander unterscheiden, erfasste. Die milieuinduzierenden Zeichen sind Alter, Bildung und persönlicher Stil eines Menschen. Persönlicher Stil wurde definiert durch eine bestimmte Nähe und Distanz zu drei alltagsästhetischen Schemata (Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema; vgl. 620ff.), von denen jeweils 15 Items in unseren Fragebogen übernommen wurden. Zudem wurde abschließend die Aufforderung an die zu Untersuchenden gestellt, ihren Freundeskreis nach Alter und Bildungsgrad zu beschreiben. Vor allem durch die Nachfrage bei den Jobbörsen, ferner durch Anzeigen im »Tip« und in Tageszeitungen und durch die Ansprache von z. B. Verkäufern ließen sich 62 Interessenten finden, die die Fragen des Fragebogens beantworteten. Nach Auswertung der Fragebögen wählten wir die TeilnehmerInnen, die bei der Beantwortung des Fragebogens am stärksten milieuspezifisch waren, für die Gruppendiskussionen aus. Mit diesen Milieuvertretern führten wir vier Gruppendiskussionen, je eine Männer- und Frauengruppe aus den beiden Milieus, mit durchschnittlich fünf TeilnehmerInnen durch. Diese Gruppendiskussionsrunde wurde später mit anderen TeilnehmerInnen wiederholt. Einer der Untersucher war der Moderator, er beschränkte sich auf eine Minimalstrukturierung der Diskussion im Sinne einer Wahrung des Settings (dem Umgang mit Schweigern, Vielrednern und toten Punkten in der Diskussion) und begann die Diskussionen mit der Frage: »Welche Erfahrungen verbinden Sie mit Freundschaften?« Der andere Untersucher war stiller Beobachter, er hielt Gruppendynamik, Auffälligkeiten und Besonderheiten der Gruppendiskussionen fest. 2.2.2 Interpretationsmethode

Die Dateninterpretation erfolgte anhand eines zweigleisigen Interpretationsprozesses. Zuerst interpretieren wir inhaltlich-thematisch (in Anlehnung an Bohnsack 1991 und Flick 1995), anschließend auf der psychodynamisch-interaktionellen Ebene (in Anlehnung an Brede 1995 und Heigl-Evers & Heigl 1979). Ferner nahmen wir Anregungen des Zirkulären Dekonstruierens (Jaeggi & Faas 1993) auf. Aufgrund dieser Konzepte und der methodologischen Regeln für eine empirisch begründete Theorieentwicklung (Kelle 1994), weiterhin der ersten praktischen Durchführung der Interpretation in unserer Interpretationsgemeinschaft, ergab sich die nun, nach unseren Arbeitsschritten und Konstruktionsregeln, zusammengefasste gegenstandsbezogene Auswertungsmethode.

Erste Annäherung: Im ersten Schritt der Interpretation wurden im Material der transkribierten ersten Gruppendiskussionsrunde die verhandelten Themen und Oberthemen für jede Gruppendiskussion einzeln notiert. Erste Gedanken zur Kommunikationsstruktur (dies sowohl unter inhaltlichen wie auch gruppendynamischen Gesichtspunkten) wurden festgehalten. Außerdem wurden auch die Gedanken und Beobachtungen des stillen Beobachters der Gruppendiskussion, ebenso die zu den Gruppendiskussionen erstellten Prä- und Postskripte zum jeweiligen Thema, eingefügt. In dieser ersten Annäherung galt die Konstruktionsregel, dass jeder Einfall ernst genommen, das heißt, aufgeschrieben wurde.

Die inhaltlich-thematische Ebene: Der zweite Schritt bestand in der Herausarbeitung der In-Vivo-Szene, von uns definiert als Interaktionssequenz, bei der (fast) alle GruppenteilnehmerInnen sich erstmalig aktiv beteiligen. Das erste Thema, auf das sich die TeilnehmerInnen einigen, kann als kollektive, zugleich kompromisshafte Perspektive der beteiligten Akteure verstanden werden (methodologische Forderung von Kelle, von uns modifiziert). Aus dem von den Teilnehmern bis dahin präsentierten Material konstruierten wir dann ihre subjektiven Definitionen von Freundschaften. Regel war dabei, dass als gemeinsame Auffassung über Freundschaft Aussagen von Teilnehmer A gelten, denen Teilnehmer B anschließend zustimmt, ohne dass Teilnehmer C und D widersprechen. In einem dritten Schritt suchten wir gemeinsame Oberthemen (Dimensionen) der verschiedenen Gruppen. Dazu wurden jene Passagen ausgewählt, die nicht nur eine besondere inhaltliche Relevanz in Bezug zur Ausgangsfragestellung, sondern auch zum Aspekt thematischer Vergleichbarkeit aufwiesen. Konstruktionsregel hierbei war, dass nur die Themen aus dem ersten Schritt aufgelistet werden, die sich in allen Gruppen finden ließen. Diese Textpassagen wurden dann, in einem vierten Schritt, einer interpretativen Feinanalyse unterzogen, die am Ende in eine möglichst beobachtungsnahe Hypothesenbildung mündete (methodologische Forderung von Kelle). Die Konstruktionsregel bei der Hypothesenbildung war, dass die dabei verwendete Begrifflichkeit so weit wie möglich sinnverwandt mit dem Textmaterial war. Die so generierten Hypothesen der ersten Gruppendiskussionsrunde wurden durch die der zweiten ergänzt oder in Frage gestellt (methodologische Forderung von Kelle). Ansatzweise versuchten wir also (wiederum Kelle folgend), eine zunehmend progressive, dabei aber jeweils auch empirisch überprüfbare Hypothesenreihe in der Entwicklung der Theoriekonstruktion aufzustellen.

Die psychodynamisch-interaktionelle Ebene: Auf dieser Ebene wurde in einem fünften Schritt, bezogen auf die konstruierten Dimensionen der ersten Gruppendiskussionsrunde, die Gruppendynamik vor allem in Hinblick darauf untersucht, welchen normierten sozialen Erwartungen der Interaktionsprozess der GruppendiskussionsteilnehmerInnen eigentlich folgte. Die psychodynamische Ebene, die wir ebenfalls analysierten, ging über die eben genannte Ebene insofern hinaus, da sie ihren Fokus darauf legte, wie durch gruppenspezifische psychosoziale Kompromissbildungen das psychodynamisch Individuelle innerpsychisch mit den vermuteten oder tatsächlichen Verhaltensweisen der anderen balanciert wurde. Wir untersuchten also jetzt auf beiden Ebenen nicht in erster Linie die inhaltlichen Aussagen der GruppendiskussionsteilnehmerInnen, sondern ihr interaktives Verhalten zueinander. Die Konstruktionsregel hierbei war, die Kategorien von Heigl-Evers und Heigl (1979) auf übereinstimmende oder konfligierende Passagen im Textmaterial anzuwenden. Wir konstruierten also jedes Mal eine mögliche gemeinsame Angst bzw. Angstabwehr. Auch für diesen Interpretationsschritt wurden die Hypothesen, mit Zitaten belegt, dargestellt. Durch den Vergleich der inhaltlich-thematischen und psychodynamisch-interaktionellen Ebene entwickelten wir, in einem sechsten Schritt, einzelne jeweils dargestellte Hypothesen, die ausgehend vom kommunikativen Verhalten in der Gruppendiskussion auf das vermutete alltägliche Erleben und Verhalten in den Freundschaften der TeilnehmerInnen tentativ schließen ließen. Dadurch wurden validere Aussagen über die Realität von Freundschaften möglich als durch die sonst üblichen Selbstbeschreibungen. Diese Hypothesenentwicklung folgte der Annahme, dass die TeilnehmerInnen bei der Diskussion eines Themas sich zunehmend so verhalten, wie es ihrem inneren Bezug zu diesem Thema entspricht. So haben wir (als Beispiel für eine hier verwandte Konstruktionsregel) als Konkurrenzverhalten definiert, dass TeilnehmerInnen sich bei der Erörterung unterschiedlicher Aktivitäten in Freundschaften ständig unterbrechen und andere Meinungen abwertend konnotieren. Durch den Einsatz des psychodynamischen Konstrukts, das die dispositionalen Determinanten gegenüber den situativen betont, konnten in den Diskussionsgruppen auch keine gruppendynamisch relevanten Ausgrenzungsprozesse und damit keine offensichtliche Einschränkung der gefundenen Ergebnisse ermittelt werden.

Vergleich der Freundschaftsbeziehungen: Auf der Grundlage der gebildeten Hypothesen erfolgte in einem siebten Schritt ein Vergleich der einzelnen Gruppen, um so Gemeinsamkeiten und Unterschiede der präsentierten Konstruktionen von Freundschaftsbeziehungen zu ermitteln und darzustellen. Die Konstruktionsregel bei diesem Vergleich war, dass nur die Ergebnisse verglichen wurden, für die wir übereinstimmende Dimensionen (Ideal von Freundschaften, Realität von Freundschaften, Konflikte in Freundschaften, Anfang und Ende von Freundschaften und Abgrenzung der Freundschaft von anderen Beziehungsformen) konstruiert hatten. Die Inhalte dieser Dimensionen hatten wir als Hypothesen dargelegt. Durch diese Auswertung von acht durchgeführten Gruppendiskussionen wurde das Typische der Freundschaftsbeziehungen des Selbstverwirklichungs- und Unterhaltungsmilieus herausgearbeitet und anschließend zu den schon erarbeiteten Ergebnissen über den Forschungsgegenstand ins Verhältnis gesetzt.

3. Ergebnisse

3.1 Definition von Freundschaft

Die TeilnehmerInnen sind sich in allen Gruppen einig, dass Freundschaften und gelebte Sexualität sich ausschließen. Die Frauen stimmen – im Gegensatz zu den Männern – großteils milieuübergreifend überein, dass Freundschaften enge Zweierbeziehungen sein sollten, die sich vielleicht als dyadische Beziehungen bezeichnen lassen. Der gemeinsame milieu- und geschlechterübergreifenden Inhalt der Freundschaftsdefinition findet sich in der Unterdimension »Vertrauen«. Es entsteht der Eindruck, dass wechselseitiges Vertrauen die zentrale inhaltliche Dimension einer Freundschaft in allen Milieus ausmacht, wobei die TeilnehmerInnen sich in der Art des Suchens und Beendens, der gelebten Realität und in ihrer Konfliktgestaltung dieser vertrauensvollen Beziehung unterscheiden. Es gibt auch gravierende Unterschiede darin, ob solche Beziehungen in der bestehenden Lebenswirklichkeit überhaupt existieren. 3.2 Ideal von Freundschaften

Den Männern aus dem Selbstverwirklichungsmilieu macht es offensichtlich Spaß, abstrakte Ansprüche an Freunde abzuwägen und engagiert zu diskutieren (»wir brauchen jetzt eine Arbeitsdefinition«). Sie erörtern die Frage des idealen Freundes sehr lange und können sich in der Formulierung der Ansprüche (»es muss ja nicht … in jeder Zeit symmetrisch sein«) insgesamt doch nicht einigen. Es gibt möglicherweise, so der Tenor dieser Gruppen, einen schwer beschreibbaren emotionalen Kern von Freundschaften (»ist einfach ein starkes Gefühl da«), der aber nicht fassbar oder auf konkrete Ursachen zurückführbar ist.

Bei den Männern aus dem Unterhaltungsmilieu wird die Diskussion über das Ideal von Freundschaften nur angerissen und hat emotional gegenüber der Frage nach den Erfahrungen mit Freundschaften keinen großen Stellenwert (»ich muss halt wissen können, auf ihn kann ich mich verlassen«). Von der Erörterung der Frage des perfekten Freundes geht für die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu im Gegensatz zu den Männern aus dem Selbstverwirklichungsmilieu keine Faszination aus, wohl weil die Realität der Freundschaften ihnen deutlich macht, dass hier, gemessen an den zentralen Wünschen, vieles im Argen ist. In dem Streben nach Reziprozität (»es ist ein Geben und Nehmen … ohne dass man ein Wort darüber verliert«) liegt offensichtlich die Quelle erheblicher Enttäuschungen, die sie darin bremst, begeistert Idealbilder von Freundschaften zu malen.

Wohl aufgrund der drängenden Frage, ob die Freundschaft vom persönlichen Umfeld überhaupt akzeptiert wird, werden die Ansprüche an eine Freundin bei den Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu nur kurz angerissen. Ideal ist vor allem ein Partner bzw. eine Herkunftsfamilie, die die Freundin akzeptiert (»wir machen die Frisur, und die bauen am Auto, und das passt wirklich wie ein Puzzle, also perfekt kann man sagen« – allgemeine Zustimmung). Darüber hinaus ähneln ihre Ansprüche denen der Männer aus diesem Milieu, da sie auch die Wichtigkeit der Reziprozität betonen und Unterstützung (»die einem aus jeden Mist raushilft«) und Verschwiegenheit als Ideal formulieren.

Die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu entwerfen demgegenüber ein selbstreflexives Ideal von Freundschaft. Ideal ist in einer guten Freundschaft ein Schutzraum, um Persönliches in seinen vielen Schattierungen zu präsentieren. Wichtig sind die guten Gespräche, wobei es hier vor allem um Einfühlung und Beratung geht. Sie legen Wert darauf, von den Freundinnen auch kritisch reflektiert zu werden (»ich finde es nicht gut, was Du machst, aber ich frage mich, wie kann ich Dir dabei helfen?«); im Diskussionsverlauf fiel auch auf, dass sie bereit waren, sich mit kritischen wechselseitigen Rückmeldungen der anderen Teilnehmerinnen auseinander zu setzen. Das dargestellte Idealbild wurde in dieser Gruppe nicht nur als etwas verstanden, was von der andern, sondern auch, was von sich selber gefordert wird: Auseinandersetzungsbereitschaft und Offenheit.

Insgesamt gibt es keine pathetischen Ansprüche an eine Freundschaft. Es lässt sich die Hypothese generieren, dass es keine geschlechtsspezifische und nur wenige milieuspezifische Ideale von Freundschaften gibt. So wird im Unterhaltungsmilieu im Gegensatz zum Selbstverwirklichungsmilieu die Wichtigkeit des Ideals der Reziprozität herausgestellt. 3.3 Realität von Freundschaften

Bezüglich der Gestaltung der realen Beziehungen fallen Gemeinsamkeiten zwischen den Männern und Frauen des Selbstverwirklichungsmilieus auf. Beide meinen mit Freundschaften vor allem Freundschaften mit Menschen des gleichen Geschlechts und geben an, aufgrund der erotischen Dimension skeptisch zu sein, ob Freundschaften mit dem anderen Geschlecht überhaupt funktionieren können (»das ist so eine Schwierigkeit, weil da immer wieder dieses Eros dabei ist«). Zudem wird betont, wie wichtig für sie die Organisation von Freundschaften ist. Der Eigenanteil im Gelingen und auch im Scheitern von Bindungen wird damit präsent. Ob eine Freundschaft funktioniert, hängt stark von dem Willen und zeitlichen Engagement, weniger von Persönlichkeit der Beteiligten und äußeren Umständen ab.

Die Darstellung der Realität der Freundschaften bleibt bei den Männern aus dem Selbstverwirklichungsmilieu blass. Aber auch hier bemühen sie sich um einen humorvollen Umgangston (»Frauen haben ja immer so das Gefühl, Männer würden in ihren Freundschaften mit Männer nicht so offen sein wie Frauen … mit ihrer besten Freundin; also ich halte das für eine unzulässige Verallgemeinerung« – allgemeines Lachen). Es bleibt offen, was sie mit ihren Freunden eigentlich tun, wenn sie sich treffen. Dies ist auch relativ unwichtig, da es in den Beziehungen anscheinend vor allem um das Gefühl geht, die Welt ähnlich wahrzunehmen. Ansonsten bleibt mann in den Freundschaften ein Stück distanziert, als ob es die unausgesprochene Norm gibt, heftige Gefühle möglichst zu vermeiden. Auffallend ist das zur Schau gestellte Selbstbewusstsein, als ob es darum ginge, die Realität in den Freundschaften quantitativ wie qualitativ gut im Griff zu haben. Wichtig scheint, dass man überhaupt Freunde hat und dass die Gestaltung der Beziehung sich entspannt darstellt (»Freundschaft muss Spaß machen, … locker plaudern können«). Die Bedeutsamkeit des Außeneindrucks, den diese Gruppe vermittelt, hat uns zur Hypothese veranlasst, dass Freundschaften bei diesen Männern eine auffallende narzisstische Funktion haben.

Die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu dagegen schildern ihrer Freundschaften recht konkret. Sie wollen mit ihren Freundinnen vor allem ausführlich und persönlich reden, zu Hause oder an öffentlichen Orten. Gemeinsame Unternehmungen treten dem gegenüber in den Hintergrund und dienen mehr der Herstellung eines angenehmen Ambientes für das vertrauliche Gespräch. Sie verbringen dabei weniger Zeit mit ihren Freundinnen, als sie möchten, was mit der Bedeutung anderer Lebensbereiche wie Beruf und Familie zu tun hat, die ebenfalls viel Zeit verlangen. Zudem äußern sie eine Unzufriedenheit mit der Anzahl guter Freundinnen, wobei dies aus ihrer Sicht, einerseits ein Organisationsproblem ist (»was ich an Freundschaften habe, ist zu pflegen, ist Arbeit, Zeitaufwand, Organisation«), andererseits mit den differenzierten Ansprüchen an Freundschaften zu tun hat, die nicht leicht zu erfüllen sind.

Auch die Frauen des Unterhaltungsmilieus schildern die Freundschaftsaktivitäten recht präzise: Ins Kino gehen, Videos gucken, in Diskotheken gehen, aber auch Gespräche führen und Ratschläge in Alltagsfragen bekommen. Sie betonen, dass sie in eher größeren Gruppen ausgehen und großteils auch männliche, nichtsexuelle Freundschaftsbeziehungen haben. Die geschilderten Aktivitäten haben einen eigenen Wert und dienen nicht in erster Linie der Herstellung eines angenehmen Gesprächsrahmens. Der Stellenwert des vertrauensvollen Gesprächs ist also reduziert, Reden ist eine Freizeitaktivität unter mehreren. Auch bei diesen Frauen wird schnell eine Enttäuschung spürbar, was die Anzahl der guten Freundinnen angeht. Diese Enttäuschung bezieht sich aber auch auf die realen Erfahrungen mit Freundinnen, wobei hier gravierende und schwer beeinflussbare Hindernisse das Fortbestehen der Freundschaften mit Frauen gefährden. Dies sind einerseits Einflüsse aus der Herkunftsfamilie bzw. vonseiten des Ehemannes oder Partners; eine Freundschaft ist gefährdet, wenn die Eltern oder der Partner die Freundin ablehnen (»wenn die Partner nicht mitspielen, … dass man dann doch Abstriche macht und sich zurückzieht, um sich dem Partner gegenüber anzupassen«). Die Meinung der Eltern oder des Partners wird einerseits als wichtig, andererseits als kaum beeinflussbar dargestellt. In keiner andern Gruppe wurde dies Problem überhaupt diskutiert, was möglicherweise als Hinweis darauf zu sehen ist, dass für alle andern Gruppen dieses Problem keinen großen Stellenwert hat. Ferner stellen diese Frauen sich so dar, als ob sie sich schnell ausgeliefert und nicht als steuerndes Subjekt der Beziehung fühlen (»wo dann sich die beste Freundin auf einmal so auf Abwege macht«).

Die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu präsentieren ebenfalls eine realitätsnahe Darstellung ihrer Freundschaften. Es ist die gemeinsame Aktion, die verbindet, das heißt vor allem der Gang in Diskotheken oder Kneipen oder zu Freunden, durchgeführt am liebsten in größeren Gruppen. Gespräche werden als sekundär beschrieben, wichtig ist es aber, von Freunden unterstützt zu werden. Sie pflegen teilweise auch enge Freundschaften mit dem anderen Geschlecht (»es ist schon wichtig eine Freundin als Kumpel zu haben«). Mit den Frauen aus diesem Milieu haben die Männer das Grundgefühl gemeinsam, dass sie die Realität ihrer Freundschaftsbeziehungen nur unzureichend beeinflussen können.

Es scheint eine milieuspezifische Übereinstimmung im Grundgefühl gegenüber Freundschaften entlang der Linie aktiv-passiv zu geben: Die TeilnehmerInnen des Selbstverwirklichungsmilieus präsentieren sich als aktive Subjekte in der Gestaltung der Rahmenbedingungen ihrer Freundschaften, während sich die TeilnehmerInnen des Unterhaltungsmilieus hier als eher passiv darstellen. Des weiteren scheint es so zu sein, als ob die TeilnehmerInnen des Unterhaltungsmilieus häufiger Freundschaften mit dem anderen Geschlecht führen als die TeilnehmerInnen des Selbstverwirklichungsmilieus. 3.4 Konflikte in Freundschaften

Den Männern aus dem Selbstverwirklichungsmilieu ist es wichtig, souverän zu wirken (»man versucht sich immer so darzustellen, mir geht es gut«) und mögliche Konflikte nicht hochzuspielen. Eifersucht, Enttäuschung und Konkurrenz, Themen in anderen Gruppen, tauchen in den Diskussionen so gut wie gar nicht auf (»was ist denn dann ´ne Konkurrenz?«). Bezogen auf Frauenfreundschaften und -gefährdungen sind sich diese Männer einig, dass sie für Männerfreundschaften lediglich eine Herausforderung, aber keine Gefahr darstellen. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass die Freundschaftskonflikte, falls sie denn überhaupt auftauchen, beherrschbar bleiben und wegzuorganisieren sind.

Die Konflikte in Freundschaftsbeziehungen sind dem gegenüber bei den Männern aus dem Unterhaltungsmilieu ein intensives und ausführliches Thema. In affektnaher Form werden Beispiele von Betrügereien, Enttäuschungen und Konkurrenz mit anderen Männern diskutiert, denen Mann plötzlich ausgesetzt sein kann (»da ist Schicht, das ist ein ungeschriebenes Gesetz; ist Schicht, ist Ende«). Die Männer präsentieren sich in einer Weise, als ob materielles Ausgenutztwerden und ständige Machtkämpfe in der gemeinsamen Erfahrungswelt liegen. Immer wieder bricht sich die Frage Raum, ob Freundschaften diese vielen Belastungen, die durch das überraschende Verhalten anderer entstehen, überhaupt aushalten können. Ausgeblendet wird, dass man selber eifersüchtig oder mit Konkurrenzverhalten reagiert. Es scheint immer der böse Andere zu sein, der auf diese Weise Freundschaften gefährdet. Rigide Freundschaftsregeln könnten hier vielleicht weiterhelfen. Sie diskutieren entsprechend, ob Intimitäts-, Austausch- und externe Koordinationsregeln helfen könnten, Freundschaftskonflikte in den Griff zu bekommen. Eine andere Tendenz geht dahin, die vielen Probleme in Freundschaften durch Taten, sprich vor allem durch Trennungen, zu bewältigen. Dem entsprechend entsteht der Eindruck, dass sie vergleichsweise viele, aber auch gegebenenfalls wieder zu beendigende Freundschaften pflegen. Dies geht auf Kosten der Intensität und führt dazu, dass Wünsche an Freundschaften oft mit resigniertem Unterton beschrieben werden, was in auffallendem Kontrast zum Pathos der Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu steht. Frauen spielen bei der Diskussion der Konflikte in Freundschaften eine vergleichsweise große Rolle. Sie sind einerseits eine Gefahr, weil die Geschlechterspannung die männliche Solidarität bedroht (»wenn du die Frau anbaggerst, ist richtig Scheiße am Dampfen, biste deinen Kumpel los«). Aus der Perspektive dieser Untersuchungsgruppe erscheint die oben beschriebene lässige Souveränität der Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu gegenüber der Bedeutung von Frauen für Männerfreundschaften als Abwehr. Andererseits sind Frauen aber auch willkommene Partner für platonische Freundschaftsbeziehungen. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass für Männer aus dem Unterhaltungsmilieu Konkurrenz und Neid in einer Freundschaft mit einer Frau eine geringere Rolle spielen.

Die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu präsentieren konfliktträchtige Affekte wie Konkurrenz (»ist bei mir ein ganz großes Thema«) und Neid in ihren Freundschaften, aber auch Zuversicht und Optimismus. Die Affekte werden benannt und sind atmosphärisch in den Gruppen auch spürbar. Die Diskussion über Konflikte wird differenziert und mit hoher Intensität geführt. Diese Frauen bemühen sich um ein vielschichtiges Verständnis dafür, durch wen oder was Frauenfreundschaften gefährdet sind. Sie erwecken den Eindruck, dass die Gestaltung der Beziehung und damit die Bewältigung dieser Gefahren allein von den beteiligten Frauen abhängt. Frau hat einen großen Handlungsspielraum in Beziehungen. Die Teilnehmerinnen sind sich allerdings uneinig darüber, ob er ausreichend groß ist, um die Konflikte in den Freundschaften in den Griff zu bekommen.

Auch die Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu machen die Gefühle deutlich, die in Frauenfreundschaften auftreten können. Die Sprache ist emotional getragen. Hier sind es allerdings vorwiegend Enttäuschungsgefühle, weniger Gefühle von Stolz oder Selbstbewusstsein. Wahrscheinlich ist dies Resultat ihrer Erfahrungswelt. Ähnlich wie bei den Männern ihres Milieus herrscht in den Diskussionen der Eindruck vor, dass das rätselhafte und unerklärliche Verhalten der Anderen Freundschaften in Krisen stürzt: Frauen scheinen einander zu verraten und zu enttäuschen (»dann ist man in so einem Tief und gut, dann denkt man, vielleicht hilft es ja, spreche ich mal drüber; und was hat die gemacht?; die hat meinen Mann auf Arbeit angerufen, direkt prompt hinterher«). Warum die andere sich so verhält, bleibt offen. Frau begreift sich in den schweren Konflikten einer Frauenbeziehung als Opfer ohne großen Handlungsspielraum. Der Eigenanteil am Scheitern wird weitgehend ausgeblendet.

Eine unserer beiden Grundhypothesen hat sich hier also nicht bestätigt: Das Verhalten in Freundschaftskonflikten ist nicht anhand der Geschlechterlinie schematisierbar. Auf die Milieus bezogen fällt aber auf, dass sich sowohl Männer wie auch Frauen im Unterhaltungsmilieu in einer Weise darstellen, die sie als Opfer ihrer Konflikte erscheinen lässt und sie über wenig Gestaltungsraum verfügen. 3.5 Anfang und Ende von Freundschaften

Die Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu suggerieren, dass das Eingehen von neuen Freundschaften recht problemlos möglich ist. Die Diskussion bleibt bei diesem Thema abstrakt. Gefordert wird in dieser Gruppe, dass man ein gutes Grundgefühl gegenüber dem möglichen neuen Freund hat (»wenn ich irgendwelche Leute kennen lerne, dann mache ich mir auch keinen Kopf drum; also höchstens hinterher, wie kam das eigentlich, dass wir uns gerade gut verstehen«). Freundschaften enden, weil Menschen sich unterschiedlich entwickeln, kein Grund für heftige Affekte. Bei der Beendigung einer Männerfreundschaft leidet man nicht. Wenn man weiß, was man sucht, wird man bald eine neue Beziehung finden.

Über schon vorhandene Alltagskontakte, vor allem im Privatbereich, lernen die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu neue Freunde kennen. Wichtige Basis einer Freundschaft ist für sie der »gute Charakter« des neuen Freundes. Da dies nicht so oft der Fall ist, können Schwierigkeiten beim Finden neuer Freunde entstehen. Dass Beziehungen zu Ende gehen, erleben die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu als schwer beeinflussbar (»dann sagt der auf einmal seine wahre Meinung, die er wirklich hat und dann stehst da, schön«). Sie werden in der eigenen Perspektive grundlos verlassen. Zu wenig scheinen die entsprechenden Außenfaktoren wie ein Wechsel der Arbeit oder des Ortes in ihrem Wirkungskreis zu liegen. Die Macht der Frauen, eine gestandene Männerfreundschaft zu zerreißen, ist groß, größer jedenfalls als die wahrgenommenen eigenen Möglichkeiten, solche Beziehungen auch in biographischen Umbruchzeiten zu halten.

Dem gegenüber scheint den Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu gerade umgekehrt ihr Eigenanteil beim Scheitern, nicht aber in der Entstehung von Freundschaften, präsent. Diese Frauen erleben es als schwierig, neue Freundinnen zu finden, aber sie haben nicht das Gefühl, in einer schon gegebenen Freundschaft, ohne Anlass sitzen gelassen zu werden. Hier ist ihnen in der Selbstwahrnehmung klar, dass sie zum Ende, in der Regel, beigetragen haben (»ich denke, ich habe mal durch Nichtsagen bzw. durch Nicht-drauf-Ansprechen mal eine Freundschaft verloren«).

Die Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu haben umgekehrt die Empfindung, dass sie leicht neue Freundinnen finden, dann aber rätselhafterweise schnell enttäuscht werden. Die Freundinnen entstammen dem Alltag. Was sie mitbringen müssen, um allmählich zur Freundin zu werden, ist, »dass wir auf demselben Level sind, … wir haben auch denselben Geschmack bei Männern.« Viele dieser Freundschaften zerbrechen aber, weil widrige Außenumstände wie ein Umzug, die Geburt von Kindern oder aber der schlechte Charakter der Freundin, die plötzlich einen Konflikt provoziert, der nicht zu balancieren ist, die Beziehung verunmöglichen. Der Beendigung einer Freundschaft stehen diese Frauen relativ hilflos gegenüber (»dann trennt man sich halt eben wieder«).

Auch bei dieser Freundschaftsdimension hat sich unsere Grundhypothese, dass es gemeinsame Wahrnehmungsmuster entlang der Milieulinien gibt, bestätigt. Die TeilnehmerInnen aus dem Unterhaltungsmilieu erwecken den Eindruck, dass sie relativ leicht neue Freundschaften eingehen können, dass viele dieser Beziehungen aber auch schnell zerbrechen, wobei die Schuld dafür beim Anderen verortet wird. Gemeinsame Wahrnehmungsmuster entlang der Geschlechterlinie haben wir bei dieser Dimension nicht gefunden. 3.6 Abgrenzung der Freundschaft von anderen Beziehungsformen

Insgesamt hat dieser Aspekt bei allen vier Gruppen die geringste Rolle gespielt. Bei den Männern aus dem Unterhaltungsmilieu gibt es eine Tendenz, Männerfreundschaften zum Teil zu verklären, indem sie, emotional gesehen, als Liebesbeziehungen beschrieben werden. Dies bricht sich, wie dargestellt, mit der Darstellung ihrer konfliktträchtigen Realität von Freundschaften. Durchgehend klar ist für diese Männer, dass Freundschaften keine erotische Komponente haben. Auch die Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu betonen, dass Freundschaften emotional getragen seien und »es fehlt … die erotische Komponente«. Ihre Diskussion dieses Aspekts präsentiert sich allerdings, wie auch sonst dargestellt, in nicht-emotionaler, intellektueller Form. Einig waren sich alle TeilnehmerInnen, dass Freundschaften eine nichtsexuelle Beziehungsform darstellen und dass sie sich von Bekanntschaften durch eine weniger oberflächliche Form unterscheiden.

4. Diskussion der Ergebnisse

4.1 Fragebogenauswertung

Unser Fragebogen enthielt eine abschließende Aufforderung: »Beschreiben Sie bitte kurz Ihren Freundeskreis nach Alter und Bildungsgrad«. Die daraufhin gegebenen Antworten werden nun ausgewertet. In Repräsentativumfragen (vgl. Gesellschaft für Erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung e. V. 1996, Sample Institut Mölln 1986) zeigte sich zusammengefasst, dass die Ausprägung von Freundschaftsbeziehungen vor allem vom Alter und dem Bildungsstand der Befragten abhängt. Darüber hinaus, dass ungefähr zwischen 80 und 90% der Deutschen angaben, über zwei bis drei enge Freunde zu verfügen, die vor allem in ihrer Nähe wohnen, wobei die Prozentzahlen in den letzten Jahren gestiegen sind. Entgegen dem ergab sich auf der schmalen empirischen Basis unserer Untersuchung, dass der überwiegende Teil der Untersuchten eine höhere Anzahl von Freunden angab. Die Untersuchungen von Schulze (1992) und Vester et al. (1993) hatten vor allem bei den unter 40-jährigen ebenfalls eine gestiegene Anzahl von Freundschaftsbeziehungen verzeichnet. Damit scheint das Ergebnis von Pfeil und Ganzert (1973), demnach Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss häufiger Freundschaften pflegen als Menschen mit niedriger Bildung, inzwischen veraltet. So stellte auch Diewald (1991) keine Unterschiede bezogen auf die Anzahl der Freundschaften in den von ihm untersuchten verschiedenen Bildungsgruppen fest. Ferner kamen die Freunde in der Regel aus dem gleichen Milieu wie die DiskussionsteilnehmerInnen. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Untersuchungen von Schneider (1969), Clar (1986) und Wolf (1996), die ebenfalls homogene Freundschaftsnetze ermittelten. Im Selbstverwirklichungsmilieu wurden allerdings häufig auch Freunde angegeben, die älter als 40 Jahre waren. Aber entgegen Schulze (1988), der von der Annahme ausging, dass sich alltagsästhetische Muster ab dem 18. Lebensjahr verfestigen, vermuten wir, dass sich der Differenzierungsprozess zwischen den Milieus erst ab ungefähr dem 25. Lebensjahr klar herausbildet. Zum einen gaben bis zu diesem Alter fast alle TeilnehmerInnen Freunde aus dem Selbstverwirklichungs- und dem Unterhaltungsmilieu an. In den Diskussionen entstand zudem der Eindruck, dass sich die jüngeren TeilnehmerInnen auch jenseits der Milieugrenzen gut verstehen würden. 4.2 Interpretationen und Bezug zur Freundschaftsforschung

Unsere Interpretationsergebnisse können, bezogen auf das Selbstverwirklichungsmilieu, mit anderen Arbeiten verglichen werden. Für die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus lassen sich aber keine Vergleichsgruppen in der Literatur finden. Allerdings ist es möglich auch allgemeine Aussagen der Freundschaftsforschung unter dem Blickwinkel unserer Ergebnisse zu diskutieren. Zur besseren Übersicht haben wir den Vergleich nach fünf Bereichen gegliedert. 4.2.1 Die Untersuchungsgruppen

Entgegen unserer Erwartung (in der deutschen Freundschaftsforschung wurden überwiegend Unterschiede in den Freundschaften von Männern und Frauen eruiert), zeigten sich in den Gruppendiskussionen nur eher geringe Geschlechterunterschiede. In der Freundschaftsforschung wurde also, die Zugehörigkeit der Untersuchten zu unterschiedlichen soziokulturellen Großgruppen, zu wenig berücksichtigt. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Arbeit von Refisch (1995), die die Angehörigkeit der Beforschten zu bestimmten sozialen Gruppen berücksichtigte; er fand keine Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfreundschaften Nimmt man den zeitdiagnostischen Gehalt in den Diskussionen ernst, so lässt sich als zusammenfassende Haupthypothese eine starke Ähnlichkeit in den Freundschaftsformen und -inhalten der Männer und Frauen innerhalb eines Milieus formulieren. Aufgrund dieses Ergebnisses ist eine Geschlechterangleichung in den Milieus zu vermuten. Diese Annahme wird durch Steinrücke (1996) gestützt, da sie herausarbeitet, wie Lebenspartner einen gleichen Lebensstil entwickeln. Andererseits fanden sich aber gravierende milieuspezifische Unterschiede in den Konstruktionen der Untersuchten über ihre Freundschaften. Valtin und Fatke (1997) untersuchen fast ausschließlich Studenten und Akademiker zwischen 20 und 40 Jahren, die man dem Selbstverwirklichungsmilieu zurechnen könnte. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass wegen der Individualisierungsfolgen »die Freundschaftsbeziehungen eine immer wichtiger werdende Bedeutung sowohl für das Wohlergehen und die Selbstverwirklichung des bzw. der einzelnen als auch für das Funktionieren der Gesellschaft im ganzen« (206) gewinnen. Die Autoren verallgemeinern diese Ergebnisse der Untersuchung einer gesellschaftlichen Großgruppe auf die gesamte Gesellschaft. Aufgrund unserer Hypothesen ist dieses Ergebnis aber nur für die Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus überzeugend, für die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus hingegen sehr unwahrscheinlich. 4.2.2 Freundschaftsdefinition

Auhagen (1993) hatte Freundschaften als dyadische, persönliche und informelle Sozialbeziehung definiert. Weiterhin benennt sie Freiwilligkeit, zeitliche Ausdehnung, das subjektive Erleben des Positiven und keine offene Sexualität als Bestandteile einer Freundschaft. In den verbalen Präsentationen unserer DiskussionsteilnehmerInnen fiel auf, dass der dyadische Aspekt bei den Männern nicht betont wurde, während wir ihn bei den Frauen wiedergefunden haben. Die Definition der nicht-gelebten Sexualität können wir in unseren Diskussionsgruppen bestätigen. Das von Auhagen benannte subjektive Erleben des Positiven, haben unsere TeilnehmerInnen überwiegend als »Vertrauen« konkretisiert. Insgesamt hat sich die Definition von Auhagen also – bis auf die Definition »dyadisch« – für alle Gruppen bestätigt. Die Definition von Mielenbrink (1967), die als wesentlichen Unterschied eben dieses Vertrauen fokussiert, wäre für unsere Gruppen insgesamt eine Verkürzung gewesen. Dieses zentrale allgemeine Element von Freundschaft fand sich auch in den dargestellten Märchen zu Freundschaften (vgl. Marzi 1994).

Nötzoldt-Linden, die es (1994) noch immer für ungeklärt hält, was Freundschaften überhaupt von anderen persönlichen Beziehungen unterscheidet, können wir aufgrund unserer Untersuchungen die Hypothese entgegenhalten, dass es vor allem die Dimension Vertrauen und die nicht-sexuelle Beziehungsform sind, die eine Freundschaft ausmachen. In diesem Sinne könnten also gegebenenfalls auch Verwandte als Freunde bezeichnet werden (vgl. Wolf 1996). Bekanntschaften werden von den Untersuchten gegenüber Freundschaften als unpersönlicher, oberflächlicher und nicht so dauerhaft beschrieben. Anders als Jost, Schätzle, Schenk und Wagner (1985) annehmen, bildet für unsere DiskussionsteilnehmerInnen die sexuelle Frage die Scheidelinie zwischen Freundschaften und Liebesbeziehungen. Semantische Irritationen (vgl. Heidbrink 1993a) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die von uns Untersuchten gemäß ihrer Selbstaussagen der Unterschied zwischen beiden Beziehungsformen an dieser Stelle klar war. Ähnliches hatten in der Freundschaftsforschung auch Wiedemann (1992) und Huber und Rehling (1989) herausgefunden. Ihren Untersuchungen zufolge spielt die offene Erotik in heterosexuellen Freundschaften keine Rolle. Freud (1921, 1930) hatte ähnlich differenziert, als er zwischen genitaler Liebe und zielgehemmter Liebe, als Basis von Freundschaften, unterschied. Andererseits finden sich im Gruppendiskussionsmaterial Anzeichen für einen untergründigen erotischen Anteil in Freundschaftsbeziehungen, den auch Nötzoldt-Linden (1994) und Friedrich (1993) thematisiert hatten. Bei den Männern wird – in je einer Gruppe – diskutiert, ob zumindest eine erotische oder sinnliche Basis möglich oder sogar wünschenswert sei. Wenn z. B. die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu über den Unterschied zwischen Liebesbeziehungen und Freundschaften sprechen, benutzen sie sehr ähnliche Vokabeln. Die Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu hingegen unterscheiden beide Beziehungsformen durch die affektive Besetzung in ihnen: Die Gefühle in Freundschaften sind platonisch, das heißt sublimierter und abgemilderter als in den Liebesbeziehungen, lassen sich aber nur schwer beschreiben. Diese Schwierigkeit der Erfassung der emotionalen Ebene von Freundschaften wird in der Freundschaftsforschung auch von Heidbrink (1993a), und Clar (1986) thematisiert. 4.2.3 Freundschaftswahlen

Zur Frage des Geschlechts des besten Freundes findet sich in der Freundschaftsforschung die Annahme einer starken Zunahme von gegengeschlechtlichen Freundschaften seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts (vgl. Mönkemeyer & Nordhoff 1993), aber in den Untersuchungen von Diewald (1991), Wolf (1996) und Valtin und Fatke (1997) stellt sich heraus, dass gleichgeschlechtliche Freundschaften dominieren. Damit stimmen die Hypothesen unserer Studie mit den genannten Untersuchungen überein. Die beiden letztgenannten Autoren behaupten allerdings, dass Männer eher gegengeschlechtliche Freundschaften pflegen als Frauen. Dies deckt sich nicht mit unseren Beobachtungen. In den Diskussionen wurde vielmehr ein Milieuunterschied deutlich: Die TeilnehmerInnen aus dem Unterhaltungsmilieu betonten, geschlechtsübergreifend auch eine Reihe von Freundschaften zum anderen Geschlecht zu haben.

Die kritische Aussage von Miller (1986), demnach es einen erheblichen Mangel an tief empfundenen Männerfreundschaften gebe, konnten wir nicht bestätigen. Auch die Meinung von Poppe (1988), nach der die Konkurrenz des modernen Kapitalismus den sozialen Nährboden für Männerfreundschaften aufzehre und zusammen mit der beruflich bedingten Mobilität zu einer Verflachung des Freundeskreises führe, haben wir in dieser Allgemeinheit, nicht in den Aussagen unserer GruppendiskussionsteilnehmerInnen wieder finden können.

Dass Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss über mehr Freunde verfügen, wie Pfeil und Ganzert (1973) behaupten, da die Kultur der Freundschaft durch eine höhere Bildung gefördert werde, ist für uns aufgrund unseres Gruppendiskussionsmaterials nicht einleuchtend. Im Gegenteil klagen die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu deutlich über zu wenig gute Freundinnen. Freundschaften sind schwer zu organisieren, weil relativ viel Zeit für die Karriere notwendig ist. Kritisch muss gegenüber unseren Beobachtungen angemerkt werden, dass die Ergebnisse der Gesellschaft für Erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung e. V. (Hg. 1996) diese von uns wahrgenommene Tendenz nur eingeschränkt stützen. So präsentiert diese Umfrage Zahlen, nach denen – nur 52% der Deutschen gerne mehr gute Freunde hätten – wir hätten eine deutlich höhere Zahl erwartet und würden auch milieuspezifische Unterschiede annehmen.

Die Repräsentativumfrage von Kemper (1980), nach der Freunde um so häufiger besucht werden, je näher sie wohnen, halten wir dem gegenüber für kompatibel mit den Aussagen unserer DiskussionsteilnehmerInnen, dass Freundschaften wegen einer plötzlich größer gewordenen Entfernung schwierig zu pflegen sind. So stellten Bruckner und Knaup (1990) ebenfalls fest, das rund 70 Prozent der von ihnen Befragten höchstens 30 Minuten Wegezeit zu ihren besten Freunden benötigen. 4.2.4 Umgang mit Konflikten in Freundschaften

Die Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu präsentieren den Versuch, Konflikte nicht beziehungsgefährdend zu verhandeln, indem sie nicht hochgespielt wurden und damit scheinbar beherrschbar blieben. Diese Vermeidung von heftigen Auseinandersetzungen fand sich bezogen auf Frauenfreundschaften in den Arbeiten von Huber und Rehling (1989), Flohr-Stein (1992), Geißler (1992) und Dorst (1993). Bei den Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu entstand der Eindruck, dass dieses Verhalten auf sie zutreffen könnte, da aus ihrer Sicht Krisen in ihren Freundschaften unerklärlich sind und sie vergeblich versuchen, sie verbal zu klären. Die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu vermitteln in den Diskussionen den Eindruck, dass sie offen über ihre Konflikte reden und auch versuchen, die andere zu verstehen. Dies deckt sich mit der Untersuchung von Salisch (1996), da ihre Untersuchungspopulation Frauen waren und diese den Kriterien des Selbstverwirklichungsmilieus entsprachen. Die Autorin kam darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass die Untersuchten in Konflikten mit ihren Freundinnen vorwurfsfrei die Ärgernisse in ihrer Beziehung verhandelten. Ähnliches hatte Kast (1995) behauptet: Frauen können sich einander zumuten, ohne eine Zumutung zu sein. Nach ihrer Auffassung ist auch die gegenseitige Achtsamkeit, von ihr verstanden als Respekt voreinander, in Frauenfreundschaften ausgeprägt. Wir haben allerdings Zweifel, ob diese Beobachtungen auch auf Frauen des Unterhaltungsmilieus zutreffen, da sie über keine ausreichende Konfliktkultur zu verfügen scheinen, die es ihnen ermöglichen würde, Konflikte zu balancieren und nicht beziehungsgefährdend zu gestalten.

Die Männer aus dem Unterhaltungsmilieu bekundeten in unseren Gruppendiskussionen, Freundschaftskonflikte durch rigide Freundschaftsregeln in den Griff zu bekommen. Dies erinnert an die Untersuchung von Witte und Sperling (1995) zur Erforschung des sozialpsychologischen Regelkonzepts. Allerdings bezog sich ihre Arbeit auf die Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus, bei denen wir in unserer Untersuchung keine Versuche fanden, Regelsysteme für den Umgang mit Konflikten aufzustellen. Ferner ging es bei ihrer Untersuchung um das Thema, wie Liebespaare sich den Umgang mit ihren Freundschaftsbeziehungen geregelt wünschten; man könnte hinzufügen, damit keine Konflikte entstehen. Ob sich als Basis für Freundschaften tatsächlich spezifische Hemmungen und Tabus bestimmen lassen, wie Schellenbaum (1994) annimmt, können wir aufgrund unserer Beobachtungen weder ausschließen noch klar bestätigen. Am ehesten könnte es für Frauenfreundschaften gelten und zwar im Sinne einer Aggressionshemmung bei auftretenden Konflikten. 4.2.5 Funktion und Qualität von Freundschaften

Freundschaften scheinen für die alltägliche Lebensbewältigung der Untersuchten eine große Rolle zu spielen, wie dies auch die Social-Support-Forschung betont (vgl. z. B. Nestmann & Schmerl 1992). Demnach ist Valtin und Fatke (1997) zuzustimmen, die die Bedeutung von Freundschaften für das Wohlergehen des Einzelnen angesichts der Individualisierungsfolgen hervorheben, die von ihnen behauptete Wichtigkeit von Freundschaften für die Selbstverwirklichung der Individuen ist in dieser Allgemeinheit allerdings wahrscheinlich nicht zutreffend.

Den Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus scheint das vertrauliche Gespräch und das gemeinsame Aneinanderarbeiten in Freundschaften wichtiger zu sein als gemeinsame Aktionen, die vom Unterhaltungsmilieu als bestimmend für die Realität von Freundschaftsbeziehungen beschrieben werden. Wild und Fink (1993) untersuchten männliche Studenten und kamen zu dem Ergebnis, dass gemeinsame Aktivitäten und Interessen in Freundschaften nicht so wichtig seien und verallgemeinerten dies. Diese Ergebnisse konnten durch unsere Studie gemäß den Selbstaussagen der Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus bestätigt werden, für die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus müssen sie hingegen in Frage gestellt werden.

In unserem Gruppendiskussionsmaterial gibt es Hinweise darauf, dass die TeilnehmerInnen, hier insbesondere die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu, bei ihren Freundinnen neue Erfahrungsräume suchen. Freundinnen in diesem Milieu reden über alles, unverkrampft, offen, selbstkritisch, wie von Huber und Rehling (1989) behauptet. Wir haben aber gemäß den Selbstaussagen der Teilnehmerinnen den Eindruck gewonnen, dass sich diese Aussage auf die meisten Vertreterinnen des Selbstverwirklichungsmilieus beschränken sollte.

Wie auch durch die Studie von Valtin und Fatke (1997) eruiert, geht es gemäß den Aussagen der von uns Untersuchten allgemein um Selbstoffenbarung gegenüber jemandem, dem Vertrauen geschenkt werden kann. Dass Freundschaften vom Anspruch her Raum für Abweichungen vom gesellschaftlich Üblichen bieten sollen (vgl. Nötzoldt-Linden 1994), wird auch von den verschiedenen Milieus cum grano salis behauptet. Wir müssen aber bezweifeln, dass in Freundschaften beide Milieus diesen Experimentierraum für neues Verhalten in der Tat gewähren. Immer wieder beklagen die TeilnehmerInnen aus dem Unterhaltungsmilieu, dass die harten Regeln der Realität, die sie nicht als Tendenz zur Individualisierung begreifen, auch in Freundschaften gelten und dort für Enttäuschungen sorgen. Hier scheint die Beziehungsform Freundschaft der gesamtgesellschaftlichen Bewegung mit nur geringem Widerstandspotential zu folgen.

In keiner der untersuchten Gruppen fand sich das Bekenntnis zu einem demonstrativ stark gefühlsaufgeladenen Freundschaftsideal wie im deutschen Freundschaftskult von 1750 bis 1850. Diese Verklärung von Freundschaften scheint einer nüchternen Betrachtung von Freundschaften gewichen zu sein. Im Unterhaltungsmilieu spielt aber im Gegensatz zum Selbstverwirklichungsmilieu die Wichtigkeit der Reziprozität eine große Rolle. Dieses letztgenannte Ergebnis entspricht nicht den Annahmen von Heidbrink (1993b) und Müller und Crott (1984), da sie die Wichtigkeit der Reziprozität in Freundschaftsbeziehungen nicht herausstreichen wollten, legt aber die Vermutung nahe, dass die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus sich bei nicht gleichwertigem Geben und Nehmen Freundschaftsbeziehungen nicht vorstellen können.

Kast (1995) fand in ihrer Arbeit über Frauenfreundschaften heraus, dass die Partner der befragten Frauen sich häufig durch die beste Freundin der Frau bedroht fühlten. Dieses Ergebnis entspricht nur zum Teil den von uns gewonnenen Hypothesen. So betonten die Männer aus dem Selbstverwirklichungsmilieu im Gegensatz zu den Männern aus dem Unterhaltungsmilieu, dass die Freundinnen ihrer Partnerinnen für sie keine Gefahr darstellen würden. Die Frauen aus dem Selbstverwirklichungsmilieu thematisieren dieses Verhältnis nicht. Anders die Frauen aus dem Unterhaltungsmilieu: Ihnen ist der Partner wichtiger als die Freundschaftsbeziehung, deswegen muss letztere so geführt werden, dass sie die Liebesbeziehung nicht gefährdet. Dieses Thema, wie das Verhältnis von Freundschafts- und Liebesbeziehungen gestaltet wird, wird von Schöningh (1996) untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Freundschaften Liebesbeziehungen stabilisieren, aber auch destabilisieren können. Wir vermuten auf der Grundlage unserer Beobachtungen, dass ersteres häufiger auf die Freundschaftsbeziehungen der Angehörigen des Selbstverwirklichungsmilieus und letzteres eher auf die Angehörigen des Unterhaltungsmilieus zutrifft.

In den Gruppen des Selbstverwirklichungsmilieus wird zwar nicht über den schlechten Charakter angeblicher Freunde geklagt, wie bei den Gruppen aus dem Unterhaltungsmilieu, wohl aber leiden auch hier die Frauen an der zu geringen Zahl guter Freunde. Beide Geschlechter dieses Milieus diskutieren, wie schwierig es ist, Freundschaften angemessen zu organisieren. Sie sind sich in der Erfahrung einig, dass intakte Freundschaften aufgrund schlechter Organisation kaputt gegangen sind. Nötzoldt-Linden (1994) stellt heraus, dass Freundschaften immer schneller wechseln. Fatke und Valtin (1988) hatten in ihrer Untersuchung gleichfalls festgestellt, dass Freundschaften meistens nicht auf Dauer angelegt waren. Dieser Eindruck entstand auch bei den Angehörigen des Unterhaltungsmilieus.

5. Ausblick

Im historisch-funktionalen Vergleich stellen Freundschaften eine Kompensationsmöglichkeit angesichts der gesellschaftlichen Freisetzungsprozesse dar (vgl. Nötzoldt-Linden 1994), indem sie als »posttraditionelle Vergemeinschaftungsform« (Lemke 2000, 3) neue Vernetzungsmöglichkeiten und neue Erfahrungsräume bieten. Dadurch können sie als psychosoziale Verortungsform die persönliche und soziale Unsicherheit in der zweiten Moderne reduzieren. Die Ergebnisse unserer Untersuchung stützen dieses, werfen daran aber auch Zweifel auf, indem sie die Schwierigkeiten der Untersuchten deutlich machen, intensive Freundschaften einzugehen und aufrecht zu halten. Daher stellt sich die Frage, ob nicht zunehmend die sozialen Dienste (vgl. Rauschenbach 1994) und die Klinische Psychologie in unserer Gesellschaft diese Lücke füllen. So kann die Kenntnis der gesellschaftlichen Veränderungen und der milieuspezifischen Ausprägungen von Freundschaftsbeziehungen für die klinisch-psychologische Sicht, im Sinne einer Erleichterung der psychotherapeutischen Arbeit, von Bedeutung sein. Dies hätte möglicherweise Relevanz auch für die psychotherapeutische Ausbildung.

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Autorenhinweis

Arnold Krosta

Dr. Arnold Krosta Turmstr. 21, Haus K D-10559 Berlin

Hans-Joachim Eberhard

Beide Autoren promovierten bei Prof. Dr. Irmingard Staeuble am Fachbereich für Erziehungswissenschaft und Psychologie der Freien Universität Berlin und sind als Psychoanalytiker in eigener Praxis tätig, Herr Eberhard ist in der DGPT und als Supervisor in der DGSV.

Dr. Hans-Joachim Eberhard Strenger Str. 24 D-33330 Gütersloh