Im vorliegenden Heft wird die Professionalisierung von Beratung unter der Perspektive auf Praxis in der doppelten Bedeutung dieses Begriffs diskutiert. Die Beitr�ge thematisieren sowohl die gesellschaftliche Praxis (Beitrag Seel und Beitrag Rechtien) als auch die professionelle Praxis von Beratung (Beitrag Weissmann und Beitrag Reindl) und werfen von dort auch einen Blick auf die Wissenschaft. Im nachfolgenden Heft 2 / 2009 steht dagegen die dialogische Struktur menschlichen Handelns auf einer allgemeineren, nicht zuletzt auch epistemologischen und metatheoretischen Ebene im Fokus; in diesen Kontext w�re Beratung als ein spezifischer und in seiner Besonderheit darzustellender Fall dialogischen Interagierens/dialogischer Interaktion einzuordnen.
Daraus ergibt sich ein Erg�nzungs- oder auch ein Spannungsverh�ltnis zwischen den beiden aufeinanderfolgenden Heften, das vielleicht gerade deshalb besonders interessant ist, weil die beiden Hefte nicht von vornherein und nicht systematisch in Abstimmung miteinander konzipiert wurden, wenn auch bei der �berarbeitung der Beitr�ge schon der eine oder andere Hinweis auf das andere Heft aufgenommen werden konnte. Weitere, abstraktere Querverbindungen zu erkennen bzw. herzustellen, bleibt daher den Leserinnen und Lesern �berlassen.
Bei der Gestaltung des Heftes sind wir wieder einmal auf das Problem der zwei Kulturen aufmerksam gemacht worden, das auch oder sogar besonders beim Thema Beratung / Dialogizit�t hineinspielt: Die Kultur der professionellen (psychologischen) Beratungspraxis und die Kultur der Wissenschaft, die sich von Anfang an mehr oder weniger ohne vertieften Bezug zueinander entwickelt haben und sich in den letzten Jahren (Jahrzehnten) zum Teil noch weiter �auseinandergelebt� haben:
Wer derzeit praktisch als BeraterIn arbeitet, wendet sich in der Regel nach einigen Versuchen, Hilfestellungen von der Wissenschaft zu erhalten, von ihr ab, weil sie/er kaum Verwertbares bekommt, oder ihre N�tzlichkeit nicht zu erkennen vermag. Oft genug werden auch Versuche z.B. von Praktikern, sich in den wissenschaftlichen Diskurs zu begeben, unreflektiert an den dort praktizierten Standards der jeweils gerade aktuellen Fachdiskurse gemessen und erfahren dann eine h�ufig als kr�nkend empfundene Abweisung. Umgekehrt ist das Interesse der Wissenschaft an Beratung und deren Praxis l�ngst nicht so gro�, wie es das Thema verdient h�tte. Wissenschaftliche Ann�herungen an die Praxis orientieren sich in der Regel an dem, was in den wissenschaftlichen Diskursen im �Elfenbeinturm� als Praxis definiert bzw. konstruiert wird. Dies wird dann in hochspezialisierte Detailprobleme zerlegt und einer L�sung zugef�hrt, die � besonders, wenn sie als statistische, d.h. Wahrscheinlichkeitsaussage formuliert wird – f�r die Praxis des Einzelfalls bekanntlich wenig hilfreich ist. Dabei sind die WissenschaftlerInnen oft der festen �berzeugung, etwas Wertvolles f�r die Praxis zu leisten, reagieren deshalb entt�uscht, wenn dies nicht gen�gend gew�rdigt wird, bemerken nicht, dass sich ihre Themenbearbeitung mehr an den Kriterien der wissenschaftlichen �Community� orientiert (orientieren muss) und weniger an der Verwertbarkeit f�r die Praxis �im Feld�. In der Konsequenz k�nnen sich PraktikerInnen mit ihren Interessen dort kaum wiederfinden (�Wor�ber reden die eigentlich?�). Nichtsdestotrotz wird auch in der Praktiker Community die �Wissenschaftlichkeit� als ein Qualit�tskriterium hoch gehalten, h�ufig aber mehr aus legitimatorischen Gr�nden als aus Gr�nden der realen N�tzlichkeit, weil das Etikett �Wissenschaftlichkeit� sowohl fachpolitisch als auch auf dem Markt einen hohen Wert hat.
Sicherlich spielen auch andere Gr�nde eine nicht zu untersch�tzende Rolle f�r das Auseinanderdriften der zwei Kulturen, insbesondere das verst�ndliche Bed�rfnis, die Kontrolle �ber das jeweils eigene Handlungsfeld nicht anderen zu �berlassen, an deren Diskursen man nicht partizipieren kann oder will. Die Sorge, in der Folge einer Ann�herung an die jeweils anderen Diskurse dort als inkompetent bezeichnet zu werden, l�sst viele das Risiko eines offenen Dialogs scheuen und verleitet dazu, sich in der je eigenen Kultur ein zu igeln und alles, was von �au�en� kommt, als nicht relevant, als �abgehoben� oder �theoretisch� bzw. als �unwissenschaftlich� abzuwehren. Nur wenigen AutorInnen gelingt die gleicherma�en souver�ne Bewegung in beiden Kulturen, h�ufig genug aber um den Preis einer verinnerlichten Abspaltung zuungunsten einer Herstellung von Querverbindungen, zu der es oft einigen Mutes bedarf, weil das Risiko, sich zwischen alle St�hle zu setzen, doch recht gro� ist.
Das Journal f�r Psychologie hat � genauso wie die es tragende Neue Gesellschaft f�r Psychologie � in Kenntnis dieser sich auseinander lebenden Kulturen den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis in ihren Zielsetzungen an prominenter Stelle (Satzung) benannt. Es w�re daher nur folgerichtig, wenn er aus Anlass der Koinzidenz der Themen dieses und des folgenden Heftes neu belebt wird � was zu hoffen ist. Gerade weil dies bei der urspr�nglichen Konzeptionalisierung nicht beabsichtigt war, k�nnte es interessant werden.
Jetzt aber zu den Beitr�gen des vorliegenden Hefts:
Sie machen deutlich, dass an der Professionalisierung von Beratung an ganz verschiedenen �Baustellen� mit unterschiedlichen Hintergr�nden und Zielsetzungen gearbeitet wird. Bei weitem nicht alle diese Baustellen k�nnen in einem Heft abgebildet werden. Einige zumindest sollten benannt werden, was in dem Beitrag von Seel versucht wird, der sich zudem darum bem�ht, gerade das Verh�ltnis zwischen Wissenschaft und Praxis der Beratung unter einer weiterf�hrenden Perspektive zu thematisieren. In dem Beitrag von Weissman wird eine Anfrage an die theoretische Grundlegung der verbreiteten, an therapeutischen Konzepten orientierten Beratungsans�tze formuliert, ob nicht deren anthropologischen Grundlagen �berdacht werden sollten. Angesichts einer vielf�ltig eklektisch vorgehenden Praxis erscheint diese Anfrage als �berf�llig, liegen doch die Wurzeln dieser Konzepte schon einige Zeit zur�ck. Insbesondere sollten sie sich einer Auseinandersetzung �ber die Subjektkonstruktionen der postmodernen Gesellschaft stellen.
Eine ganz andere Perspektive auf die Praxis von Beratung � aber ebenfalls vor dem Hintergrund ver�nderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen � er�ffnet der Beitrag von Reindl, indem er die M�glichkeiten und Grenzen von online-Beratung thematisiert, also Beratung unter dem Gesichtspunkt der Ver�nderung der Kommunikationskultur durch die aktuellen Informationstechnologien betrachtet.
Schlie�lich spricht Rechtien mit dem Thema der Ausbildung jenes Feld der Professionalisierung von Beratung an, in dem derzeit wohl die meisten wirtschaftlichen Interessen die professionspolitischen Diskurse beeinflussen.
Auch im (Einzel-) Betrag von Riegler und Przyborski spielt das Thema der Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis eine besondere Rolle. Allerdings ist er nicht dem Themenkomplex der Professionalisierung von Beratung zu zu ordnen, abgesehen davon, dass eine bestimmte Problemlage (hier: Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) ein Feld spezieller professioneller Beratung abgeben kann, in dem Realit�t auf spezifische Weise konstruiert wird.
Der Beitrag von Harnack soll � wiederum im Interesse einer Weiterf�hrung eines durch ein Heft des Journal f�r Psychologie angesto�enen Dialogs � das Thema der vorausgegangenen Ausgabe aufgreifen. Dabei kommt auch hier � wie im Beitrag Weissman � die Frage der Grundannahmen wissenschaftlicher Positionen / Schulen zur Diskussion.
H.-J�rgen Seel, im Februar 2009