Editorial

Peter Mattes & Jarg Bergold

Dem Journal für Psychologie liegt eine programmatische Orientierung zu Grunde. Gemäß unserer Selbstdarstellung geben wir diese Zeitschrift heraus, »um ein sozial-, kultur- und geisteswissenschaftliches Gegengewicht zu jenen Strömungen der Psychologie zu bilden, welche weitgehend an naturwissenschaftlichen Denkmodellen und Forschungsmethoden orientiert sind. Ziel ist es, ein diskursives, kritisches und reflexives Wissenschaftsverständnis der Psychologie weiterzuentwickeln, eine problemgerechte und gesellschaftlich verantwortliche Forschung und Praxis zu unterstützen und eine Erneuerung der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Orientierung der Psychologie zu ermöglichen«. Wir kommen dieser Option zuvörderst dadurch nach, dass wir auf Anregung von HerausgeberInnen und/oder AutorInnen uns Themen vornehmen, die meistens allein schon von ihren Fragestellungen her einer u.E. notwendig anderen Art, Psychologie als Wissenschaft zu betreiben, entsprechen. Zu diesen erbitten wir dann in Call for Papers thematisch passende Beiträge. Dieses Verfahren hat sich in den 17 Jahren unseres Erscheinens nach Meinung der LeserInnen, die sich dazu geäußert haben, sowie von AutorInnen und uns HerausgeberInnen bewährt. Es impliziert aber auch – und das ist seine Schwäche – dass Texte, die in nicht von unseren Vorgaben erfassten thematischen Bereichen und Kontexten erstellt werden, an dem von dieser Zeitschrift markierten diskursiven Feld vorbeigehen könnten. Im schlechtesten Falle entgingen uns und unseren LeserInnen damit bemerkenswerte Einzelimpulse, sich aufbauende Strömungen oder akzidentelle, aber der wissenschaftlichen Öffentlichkeit nicht vorzuenthaltende Arbeitsbereiche. Deswegen freuen wir uns darüber, dass immer wieder Texte, die nicht auf einen Call for Papers oder ein projektiertes Thema ausgerichtet sind, bei uns eingereicht werden. Sie sind uns willkommen und werden dem üblichen Verfahren des Peer Reviewing zugeführt, wo dann ausschließlich die wissenschaftliche Qualität und das »Interessant«- Sein Beurteilungsgrundlage sind.

Es füllt sich damit jedoch zeitweise ein Pool von von den GutachterInnen empfohlenen Texten, mit Arbeiten, die wir veröffentlichen müssen und wollen. Aber wo thematisch und wann zeitlich? Wir helfen uns damit, dass wir einmal in thematische Hefte immer wieder nichtthematische Einzelbeiträge einfügen und zum anderen, dass wir von Zeit zu Zeit eine ganze Ausgabe mit solchen Texten, dann genannt »Ausgewählte Einzelbeiträge« herausgeben. Eine solche Ausgabe liegt hier vor, die zweite seit unserer Umstellung auf ein e-Journal in Open Access. Sie beinhaltet Texte, die bei uns etwa seit Anfang 2008 eingegangen sind. Sie sind, wie gesagt, nicht thematisch oder nach einem anderen Kriterium gewichtet und geordnet, außer dem, dass die GutachterInnen und wir Herausgeber der Ausgabe sie für gut und veröffentlichungswert befunden haben. Sie mögen auch Ihr Interesse, liebe LeserInnen, finden. Und Ihr Urteil herausfordern, ob und wie sie in unsere oben zitierte generelle Programmatik passen. Wir, die Herausgeber, meinen dies.

Ernst F. Plaum, Burkhard M. Plaum und Wätzold V. Plaum untersuchen in ihrem Beitrag Physik verhält sich zu Ingenieurwissenschaften wie Psychologische Grundlagenforschung zu »Psychoklempnerei«? Eine interdisziplinäre Replik und weiterführende Fragen zur gegenwärtigen Psychologie methodologische Strukturen in der Physik und in den Ingenieurwissenschaften, um dazulegen wie wenig Sinn es macht, das Verhältnis von grundwissenschaftlicher, experimentell arbeitender Psychologie zu psychologischer Praxis dazu in Parallele sehen zu wollen, wie es traditionellerweise häufig und neuerdings wieder forciert von Vertretern dieser psychologischen Richtung behauptet wird.

Stefan Thomas plädiert in seinem Beitrag Grundbegriffe einer Psychologie des Alltags: Eine Wiederannährung an die Sozialwissenschaften für eine Psychologie, welche die Grunddimensionen »Lebenswelt«, »Sinn« und »Handlung« als zentrale Kategorien ihres Theorieverständnisse aufnimmt und sich explizit von dem herrschenden nomologisch-experimentellen Paradigma absetzt. Angesichts von der Entstrukturierung von sozialen Lebenslagen und Lebensformen schlägt er ein »Subjekt-Integrations-Modell« vor.

Jürgen Messing und Anke Werani setzen sich in ihrem Beitrag Sprechend koordinieren ebenfalls mit der Forderung auseinander, dass der Mensch als aktives Subjekt in seiner sozio-kulturellen Umwelt gesehen werden müsse. Die sprachliche Koordination zwischen den Handlungssubjekten sehen sie auch als Ausgangspunkt der Verständigung mit sich selbst und der Erweiterung der individuellen Handlungsfähigkeit.

In Die Rolle der Qualität inneren Sprechens beim Problemlösen von Anke Werani geht es um die Erforschung der Verflechtung inneren Sprechens mit höheren psychischen Prozessen. Als günstige Methode zur Erforschung dieses Zusammenhangs hat sich die Methode des lauten Denkens, ein qualitatives Analyseverfahren, erwiesen.

Christiane Kiese-Himmel & Marcus Reeh berichten in ihrem Beitrag Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen in einer klinischen Ambulanz: Anspruch und Wirklichkeit von der Praxis psychologischer Untersuchungen in einer Universitätsklinik und wie schwierig eine adäquate Diagnostik sowie deren Wertung durch das i.e.S. medizinische Personal ist.

Die Abhandlung Intersubjektivität in Mahāyāna-Buddhismus und relationaler Psychoanalyse von Gerald Dōkō Virtbauer stellt das Mahāyāna-buddhistische Verständnis von Intersubjektivität dem relational psychoanalytischen gegenüber und zeigt Möglichkeiten des Vergleiches und der Integration.

Susanne Dierich untersucht in ihrem Beitrag Psychologische Aspekte der Prostitution den Aspekt der Selbst- und Femdbestimmung von Dominas und Sklavias. Sie möchte wissen, inwieweit die Merkmale der professionellen Tätigkeit auch in den alltäglichen Lebensbereichen der Frauen ein Rolle spielen.

Autorenhinweis

Peter Mattes

Peter Mattes, Dr.phil., Dipl.Psych., lebt in Berlin und Wien. Bis 2004 Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Subjektforschung und Kritische Psychologie im Studiengang Psychologie. Seither freier Wissenschaftler. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Theorie und Geschichte der Psychologie, postmoderne und narrativ-konstruktionistische Ansätze.

Nassauische Straße 13/14 D-10717 Berlin-Wilmersdorf sowie Georg-Sigl-Gasse 3/9 A-1090 Wien

E-Mail: petermattes@aol.com

Jarg Bergold

Jarg Bergold lebt in Berlin, wo er bis 2004 Professor für Klinische Psychologie und Gemeindepsychologie an der Freien Universität Berlin war. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Psychotherapieforschung, psychosoziale Versorgung, Krisenintervention, qualitative Methoden. Augenblickliche Forschungsprojekte: Entwicklung von Jugendlichen aus den Slums von Rosario/Argentinien, Partizipation und Empowerment in dem Obdachlosenheim St. Ursulaheim, Kreativität im Alter bei bildenden Künstlern über 70.

Prof.em. Dr. Jarg Bergold Prinz-Friedrich-Leopold-Str. 37b D-14129 Berlin

E-Mail: jarg.bergold@fu-berlin.de