Intersubjektivität in Mahāyāna-Buddhismus und relationaler Psychoanalyse

Gerald Dōkō Virtbauer

Zusammenfassung

Der Buddhismus und Achtsamkeitstechniken aus dem buddhistischen Lehrsystem zählen mittlerweile zu den wichtigsten Dialogpartnern für verschiedene psychotherapeutische Ansätze. Im Mahāyāna-Buddhismus wie auch in der relationalen Psychoanalyse kommt dem Begriff der Intersubjektivität eine besondere Bedeutung zu. In der relationalen Psychoanalyse wird das Individuum als eingebettet in eine relationale Matrix analysiert, die für die Herausbildung der psychischen Charakteristiken und Möglichkeiten entscheidend ist. Das Ziel der relationalen Psychoanalyse liegt in der Klärung der für das Individuum wesentlichen Beziehungskonstellationen. Freiheit entsteht durch ein Erkennen der eigenen Erlebens- und Verhaltensweisen als aus der persönlichen Beziehungsgeschichte hervorkommend und aus Verhaltensmodifikationen, die auf dieser Einsicht aufbauen. Im Mahāyāna-Buddhismus ist Intersubjektivität die Folge eines Verständnisses, dass sich alle Phänomene aus einer interdependenten Verbindung als individuelle Phänomene konstituieren. Der Mensch wird als spezifische Kombination von Phänomenen betrachtet, die sich andauernd in Dialog mit allen anderen Phänomenen befinden. Psychologisches Wohlbefinden lässt sich nur in der Einbindung dieser Erkenntnis in alle Aktivitäten des Lebens und der Überwindung jeglicher Selbstbezogenheit verwirklichen. Im Artikel werden philosophisch-psychologische Fundamente fokussiert, die eine Klärung der exakten Bedeutung des Terms 'Intersubjektivität' in beiden Zugängen ermöglichen sollen. Diese Klärung ist sowohl für die derzeit in diesem interdisziplinären Feld stattfindenden Dialoge (wo sie oft fehlt, bzw. undeutlich ist) als auch für weitere Dialogperspektiven von essentieller Bedeutung.

Schüsselwörter: Mahāyāna-Buddhismus, Relationale Psychoanalyse, Interdependenz, Intersubjektivität, Postmodernismus, Beziehung, Natur

Summary

Buddhism has become one of the main dialog partners for different psychotherapeutic approaches within the last years. Seen as a psychological system, it can offer structural elements which are compatible with psychotherapeutic theory and practice. A main concept in Mahāyāna-Buddhism and postmodern psychoanalysis is intersubjectivity. In relational psychoanalysis, the individual is seen in a matrix of relationships which turn out to be the central power in her/his psychological development. By realizing why one has become the present individual, and how the personal development is connected with relationships, the freedom to choose and create a life which is more independent from inner restrictions should be strengthened. In Mahāyāna-Buddhism, intersubjectivity is a result of an understanding of all phenomena as being in interdependent connection. Human beings are a collection of different phenomena and in constant interchange with everything else. Personal happiness and freedom from suffering depends on how this interchange can be realized in experience. The article focuses on the philosophic-psychological fundaments in both approaches and emphasizes clarification of what the term ‘intersubjectivity' exactly refers to. This clarification is essential as well for the current dialogs in which it is often missing or vague, as further perspectives in this interdisciplinary field.

Keywords: Mahāyāna-Buddhism, Relational Psychoanalysis, Interdependence, Intersubjectivity, Postmodernism, Relationship, Nature

Intersubjektivität in Mahāyāna-Buddhismus und relationaler Psychoanalyse

Der Dialog zwischen Buddhismus und Psychoanalyse ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen und integrierten Bestandteil in der Auseinandersetzung mit psychotherapietheoretischen und -praktischen Ansätzen geworden. Einflüsse buddhistischen Denkens und buddhistischer Praxis sind mittlerweile in nahezu allen Psychotherapieschulen spürbar und stellen einen Zugang dar, wie der Buddhismus als psychologisches System in westlichen Ländern rezipiert wird (Virtbauer 2008b; Heidenreich & Michalak 2004). In diesem Artikel soll das Konzept 'Intersubjektivität', das im Speziellen in Diskursen zwischen Mahāyāna-Buddhismus und relationaler Psychoanalyse eine Rolle spielt (Wallace 2001; Mitchell 2000; Safran 2003), reflektiert und in seiner Bedeutung für das Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens geklärt werden.

Die Rezeption asiatischen Denkens in westlichen Ländern liefert den Ausgangspunkt für den Dialog zwischen Psychotherapie und Buddhismus. In der Rezeption buddhistischen Gedankenguts ist in den letzten Jahrzehnten ein deutlicher Wandel zu verzeichnen, indem durch immer detaillierteres Wissen über buddhistische Traditionen im Westen auch im Dialog mit der Psychologie und Psychotherapie Einschränkungen, Verkürzungen und Irrtümer in Bezug auf den Buddhismus überwunden werden konnten (Safran 2003; Epstein 2007; Wallace & Shapiro 2006; Langan 2006; Mathers, Miller, & Ando 2009).

Die Psychoanalyse war von ihren Anfängen an mit religiösen Fragen beschäftigt. Sigmund Freud widmet vor allem sein Spätwerk der Religion und deren Einfluss auf die Kultur. Er beschränkt sich allerdings auf die Religionen und deren geschichtlichen Herausbildung aus 'primitiveren' Wurzeln, die direkt Einfluss auf die mitteleuropäischen Kulturen seiner Zeit ausübten – im Wesentlichen Judentum und Christentum.

Während sich nach der verstärkten Buddhismusrezeption in westlichen Ländern, die auf das Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago folgte, der Dialog zwischen Psychoanalyse und Buddhismus vor allem auf wenige charismatische Persönlichkeiten und deren Auslegungen konzentrierte (z. B. Fromm, Suzuki, & de Martino 1960/1971), gibt es heute durch Einflüsse nahezu aller buddhistischer Traditionen, sowie eines auch von westlicher Seite immer mehr praktizierten Buddhismus einen breiteren Austausch. Im Dialog zwischen Buddhismus und postmodernen Ansätzen in der Psychoanalyse stehen Fragen in Bezug auf die psychische Struktur des Menschen und die Faktoren, die diese Struktur formen und ausmachen, im Vordergrund.

In Hinblick auf westliche Buddhismusrezeption und die Einflüsse der Wissenschaften auf diese Rezeption (vor allem der Psychologie und Psychotherapie) wird von der Entwicklung eines neuen Buddhismus gesprochen (z. B. Ivy (2005) verwendet den Begriff 'Post-Buddhismus'; Coleman 2001; Brazier 2001). Dies ist nicht verwunderlich, da sich der Buddhismus in seinen geschichtlichen Ausformungen immer kulturintegrativ und -spezifisch in Bezug auf bereits vorhandene Zugänge zum menschlichen Erleben und Verhalten entwickelt hat.

Wenn der Buddhismus aus einer psychologischen oder psychotherapeutischen Perspektive betrachtet wird, ist es fraglich, ob die mittlerweile schon sehr gängige Bezeichnung 'Buddhistische Psychologie', mit Hinblick auf die Etymologie, nicht missverständlich sein kann (Gómez 2004; Virtbauer 2008a). In den Lehren Buddhas gibt es letztlich kein Konzept einer psyche, wie in der griechischen Philosophie, das die philosophische Grundlage der Entwicklung westlicher Psychologie und Psychotherapie darstellt. Aber angesichts dessen, dass schon die Bezeichnung Buddhismus, als -ismus, eine westliche Konstruktion ist (Lopez 2005) und sich die gegenwärtige Psychologie als Erlebens- und Verhaltenswissenschaft definiert – ohne klare Referenz zu einer psyche, im Sinne einer Seele –, scheint es sich mehr um ein nomenklatorisches als inhaltliches Problem zu handeln. Ich verweise in einem Forschungsüberblick zu diesem interdisziplinären Feld auf den 'Buddhismus als psychologischem System' (Virtbauer 2008b), wenn die Bereiche im System Buddhismus (zur Sinnhaftigkeit den Buddhismus als System zu bezeichnen siehe z. B. Schumann 2005) fokussiert werden, die im Speziellen Erlebens- und Verhaltensqualitäten zum Inhalt haben.

Die folgende Abhandlung stellt das Mahāyāna-buddhistische Verständnis von Intersubjektivität dem relational psychoanalytischen gegenüber und zeigt Möglichkeiten des Vergleiches und der Integration. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Darstellung von psychologischen Grundlagen der beiden Zugänge zum menschlichen Erleben und Verhalten. Das heißt, es sollen die intersubjektiven Fundamente dargestellt werden, auf denen gegenwärtige Dialoge zwischen Psychoanalyse und Buddhismus aufbauen (oft ohne diese explizit zur Sprache zu bringen), beziehungsweise die für die weitere Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Systemen essentielle Charakteristiken verdeutlichen. Dabei steht die Ausgestaltung der Mahāyāna-Philosophie im Zen-Buddhismus – aufgrund ihrer speziellen Wichtigkeit in den gegenwärtigen Dialogen zwischen Psychoanalyse und Buddhismus (z. B. Magid 2005; Cooper 2004; Mruk & Hartzell 2003; Suler 1993) – im Vordergrund.

Intersubjektive Wertigkeit im Mahāyāna-Buddhismus

Der vietnamesische Zen-Meister Nhat Hanh (1987) gibt eine Definition, die als Grundlage der Auseinandersetzung mit buddhistischer Praxis und daraus folgenden Verhalten gelten kann:

When you understand, you cannot help but love. You cannot get angry. To develop understanding, you have to practice looking at all living beings with the eyes of compassion. When you understand, you love. And when you love, you naturally act in a way that can relieve the suffering of people. (14–15)

In diesem Ausschnitt kommt eine Verbindung zum Ausdruck, die einen Kernpunkt des Mahāyāna-Buddhismus darstellt – die Verbindung zwischen Verstehen und Verhalten. Die Ausgangssituation des Menschen ist nach buddhistischer Vorstellung durch die Herausforderung geprägt, das Dasein und die damit verbundene Vergänglichkeit in ihrem Zusammenhang mit allen Phänomenen[1] einordnen zu können, wobei die buddhistische Praxis eine methodische Unterstützung bieten soll, um sich dieser Herausforderung anzunehmen.[2] Nhat Hanh nennt hier Mitgefühl (Sanskrit karuṇā[3]) allen lebenden Wesen gegenüber als ein Mittel, das zu diesem Verständnis führen soll. Zum anderen bildet Verstehen und Liebe eine logische Einheit, die das eigene Leiden (duḥkha) im Leben, das nach dieser buddhistischen Vorstellung immer mit dem Leiden anderer verbunden ist, überwinden helfen soll. Das Verstehen der eigenen Existenz und der Verbindung, die diese Existenz ausmacht und aus der sie entsteht, ist das Ziel des Buddhismus, das zugleich die Überwindung des Leids darstellt, das nach buddhistischer Anschauung aus dem Gegenteil, nämlich dem Nicht-Erkennen der Merkmale des menschlichen Lebens, hervorgeht.

Der Buddhismus wird als die Lehre des Nicht-Ich oder Nicht-Selbst (anātman) bezeichnet. Zugang zu diesem Konzept zu finden, ist ein entscheidender Schritt um sich der Intersubjektivität aus buddhistischer Sicht anzunähern. In einem der wichtigsten Zen-Texte, dem Shōbōgenzō (Japanisch, 'Schatzkammer des wahren dharma-Auges'), gibt der japanische Zen-Patriarch Dōgen (1200–53) folgende Erläuterung zum Studium des menschlichen Selbst verbunden mit buddhistischer Praxis:

To learn the Buddha Way is to learn one’s self. To learn one’s self is to forget one’s self. To forget one’s self is to be confirmed by all dharmas. To be confirmed by all dharmas is to cast off one’s body and mind and the bodies and minds of others as well. (Waddell & Abe 2002, 41)

In diesem Zitat legt Dōgen den Schwerpunkt der buddhistischen Praxis (»des Buddha-Weges«) auf ein Studium des Selbst (Virtbauer 2009).[4] Sobald man dieses Selbst studiert, vergisst man es, Dōgen zufolge. Dies soll die menschliche Psyche charakterisieren, die im Buddhismus ohne inneren Wesenskern beschrieben wird. Der Mensch ist eine Zusammensetzung, oder Anhäufung, von verschiedenen stofflichen und nicht-stofflichen (geistigen) Aggregaten (Sanskrit skandhas), in deren Zusammenspiel sich die individuelle Person verstehen lässt. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, und Dōgen weist darauf hin, dass Phänomene oder Merkmale (dharmas) der Natur in einem kommunikativen Verhältnis zueinander stehen. Dies bedeutet in Bezug auf den Menschen, dass er selbst als Teil der Natur auf einer kommunikativen, phänomenalen Ebene zu analysieren ist. Sämtliche Phänomene stehen aus buddhistischer Sicht in einem gleichwertigen Ursache-Wirkungs-Prinzip zueinander. Gedanken oder geistige Inhalte sind beispielsweise genauso wie Form-Faktoren des menschlichen Daseins (körperliche Phänomene) in ihrer geschichtlichen Entwicklung aus Ursache und Wirkung heraus zu betrachten, wobei in diesem Ursache-Wirkungs-Verhältnis zugleich die Bezogenheit aller Phänomene zueinander hervortritt, da jedes Phänomen in seiner spezifischen Ausformung nur im Zusammenhang mit seiner Entwicklung zu verstehen ist.

Diese Entwicklung ist selbst wiederum auf andere Phänomene zurückzuführen, die – innerhalb eines Ursache-Wirkungs-Netzwerkes, in dem sich alle Phänomene befinden – die Impulse für die individuelle Ausformung des betreffenden Phänomens geben. So ist zum Beispiel eine Wahrnehmung eines Menschen und die spezifisch persönliche Verarbeitung dieser Wahrnehmung nach buddhistischer Vorstellung immer mit einer individuell einzigartigen Geschichte verknüpft, die den Menschen im Moment des Wahrnehmens derart konstituiert, dass er genau in diesem Moment das Wahrgenommene mit seinen individuellen Ausprägungen verarbeitet. Diese aus der Wahrnehmungspsychologie bekannte Darstellung wird im Buddhismus auf eine phänomenale Ebene gebracht, indem nicht nur die psychischen Akzentsetzungen des Menschen, sondern die gesamte Entwicklung und Geschichte von Phänomenen durch Verursachungen erklärt werden. Der im Moment wahrnehmende Mensch ist so eine Zusammensetzung von Phänomenen, die durch verschiedene Verursachungen ihre spezifische Ausprägung erhalten und nur in deren Zusammenspiel wird das Individuum, als verbundenes Ganzes, erklärbar (Sekida 1985).

Die Vorstellung eines Selbst als innerer Wesenskern des Menschen, entsteht aus buddhistischer Sicht dann, wenn dieses Zusammenspiel von Attributen nicht als getrennte und zur selben Zeit jedoch in ihrer Kommunikation verbundene Entitäten erkannt und erlebt wird sondern der Mensch sich seiner individuellen Geschichte, die sein Wahrnehmen und Denken ausmacht, gegenüberstellt und die aus Ursache und Wirkung entstandenen psychischen Verknüpfungen als feststehenden, inneren Grund und Kern seiner selbst deutet. Diesen Grund, Kern oder Seele gibt es im buddhistischen Verständnis des Menschen nicht. Der Mensch ist nach diesem Verständnis in sich selbst, als Anhäufung von Phänomenen, andauernd einem Wandel unterzogen, wobei dieser Wandel durch Interdependenz auf phänomenaler Ebene durch Ursache und Wirkung hervorgeht. Interdependenz und Wandel, die das Individuum konstituieren, sind zugleich nach außen hin mit anderen Phänomenen verknüpft, da die Trennung zwischen einem menschlichen Innenleben und die Beziehung zu anderen Individuen, oder allgemein der Außenwelt, in dieser Betrachtung nicht aufrecht zu erhalten ist. Phänomene und ebenso das Individuum als spezifische Zusammensetzung von Phänomenen sind immer aus ihrer Verbindung zu anderen Phänomenen zu erfassen.

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Verbindung und Verknüpfung sämtlicher Phänomene stellt das Netz des Gottes Indra[5] dar, das im Mahāyāna-Buddhismus die Interdependenz und Intersubjektivität, mit denen sich der Mensch in seinem Leben konfrontieren sollte, klarmacht. Dieses Fischernetz, das sich in alle Richtungen unendlich lang ausbreitet, hat an seinen Knoten Juwelen. Diese hängen derart, dass sich in jedem einzelnen Juwel alle anderen Juwelen widerspiegeln. Wenn man ein Juwel betrachtet, sieht man in diesem alle anderen Juwelen. Da das Netz unendlich weit ist, zeigen sich in jedem Juwel unendlich viele andere Juwelen und die charakteristische Erscheinung jedes einzelnen Juwels ist nur dadurch gewährleistet, indem es in der Verknüpfung und gegenseitigen Abhängigkeit zu allen anderen gesehen wird (Cook 1977; Cleary 1983). Dieses Bild soll verdeutlichen, dass alle Phänomene zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und sich jedes Phänomen nur in seiner Verbindung zu anderen Phänomenen verstehen lässt.

Die psychologische Situation des Menschen und ein Verständnis der gegenwärtig geistigen Vorgänge ist aus buddhistischer Sicht immer in dieser netzwerkartigen Verknüpfung zur Außenwelt bestimmt, wobei sich durch diese Verknüpfung auch die Dualität von innen und außen relativiert (Thuan 2001). Intersubjektivität wird so zu dem entscheidenden Merkmal der buddhistischen Psychologie (Wallace 2001) und ein Verständnis des menschlichen Erlebens und der Beziehungen erfordert die Auseinandersetzung des Individuums mit seiner individuellen, netzwerkartigen Verknüpfung. Wie Dōgen im letzten Abschnitt des obigen Zitates verdeutlicht, sollte diese Auseinandersetzung im Sinne des Mahāyāna letztendlich dazu führen, dass man die Vorstellungen und Konstruktionen den eigenen Körper und Geist betreffend, ebenso wie Konstruktionen in Bezug auf andere Menschen, fallen lässt und sich einem Erleben der eigenen Verbindung mit allem anderem öffnen kann.

Psychoanalyse und Intersubjektivität

Auch wenn Intersubjektivität indirekt, im Sinne einer interagierenden, die Situation konstituierenden Aktion zwischen Individuen – im Falle der psychoanalytischen Praxis zwischen Analysand und Analytiker – , von den Anfängen der klassischen Psychoanalyse an ein entscheidender Einfluss war, so spricht man, was die psychische Entwicklung des Individuums und den kurativen Effekt der Psychoanalyse betrifft, erst seit einigen Jahren intensiviert und direkt von Intersubjektivität als einem maßgebenden Faktor. Diese intersubjektive Wende in der Psychoanalyse zeichnet sich durch einen Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ausgangslage der psychischen Struktur aus (Hoffman, Hoffman, Robison, & Lawrence 2005; Altmeyer & Thomä 2006; Mitchell 2000).

Der Wechsel hin zu einer Relationalen Psychoanalyse, die auf Stephen Mitchells Bemühungen einer Integration von verschiedensten psychoanalytischen Strömungen zurückzuführen ist (Mitchell 1988), verweist zum einen auf ein Neu-, oder Anders-Lesen der grundlegenden Ausgangspunkte Sigmund Freuds, zum anderen auf gesellschaftliche und kulturelle Änderungen, die wissenschaftstheoretische und praktische Neufundierungen erfordern. Martha Stark (1999) unterscheidet drei wichtige Phasen (Modelle) in der Entwicklung der Psychoanalyse: Modell 1 (Freuds Arbeiten und weitere Entwicklungen in der klassischen Psychoanalyse), Modell 2 (Neo-Freudianer, Objektbeziehungen, Selbstpsychologie) und Modell 3 (relationale Psychoanalyse). Wissenschaftstheoretisch betrachtet ist Modell 1 ein moderner Zugang, Modell 2 im Übergang von der Moderne zur Postmoderne und Modell 3 postmodern.

Freud (1905/1999) beschreibt in seiner Trieblehre die Ansicht, in der seine gesamte weitere Entwicklung der Psychoanalyse ihre Basis findet. Freud geht vorerst von sexuellen Trieben als Ausgangsbasis jeglicher psychischer Entwicklung aus, später führt er eine Triebdualität zwischen (sexuellen) Lebens- und (aggressiven) Todestrieben ein (Freud 1920/1999). Der wesentliche Faktor, den er vor allem in seiner Strukturtheorie herausarbeitet (Freud 1923/1999) und gegen den sich relationale Ansätze wenden, besteht darin, dass die Grundmotivation, die zur Ausbildung psychischer Charakteristika führt, immer in Verbindung mit einem somatischen Zustand, auf den der Mensch gezwungenermaßen in seinem Leben reagieren muss, zu analysieren ist. Je stärker sich das Ich des Menschen entwickeln kann, das die Vermittlerrolle zwischen der somatischen Quelle und den daraus folgenden Trieben (Es-Qualitäten), Hemmungen (Über-Ich-Qualitäten) und äußeren Gegebenheiten spielt, desto eher kann der Mensch sein Verhalten in einer Weise kontrollieren und organisieren, die in Übereinstimmung mit den kulturellen Ansprüchen eines Zusammenlebens steht. Dieses Zusammenleben von Kulturmenschen ist für Freud das letztendliche Ziel. In diesem Zusammenleben lässt eine gute Balance zwischen Sublimation von Trieben in kulturelle Leistungen und direkte Triebabfuhr ein glückliches, gemeinschaftliches Leben zu, das von seiner natürlichen Anlage her dem Menschen nicht gegeben ist (Freud 1927/1999; 1930/1999).

Die natürliche Anlage setzt sich aufgrund des Herrschens von somatischen Bedrängungszuständen, die sich in der Triebdualität manifestieren, dem Zusammenleben entgegen, da die menschliche Natur nach Freud immer zuerst nach der Möglichkeit des Lösens dieser Bedrängung, die sich in vielen Fällen gegen andere Lebewesen richtet, sucht. Daher bleibt es für Freud (1927/1999) „… die Hauptaufgabe der Kultur, ihr eigentlicher Daseinsgrund, uns gegen die Natur zu verteidigen« (336).

In Freuds Sicht der Natur und seiner systematischen, auf körperliche Vorgänge bezogenen Verknüpfung von psychologischen Ereignissen kommt auch seine wissenschaftlich objektivierende Ausrichtung zum Vorschein. Er sieht den psychischen Apparat in Analogie zur Wissenschaft; beiden ist gemein, dass sie in der Lage sind, objektivierend der Wirklichkeit in der Erfahrung näher zu kommen. Um die intersubjektive Wende in der Psychoanalyse nachvollziehen zu können, ist es gerade entscheidend zu sehen, dass diese, auch aus der Zeit Freuds heraus begründbare Wissenschaftssicht nicht nur theoretisch, sondern gerade auch praktisch in einer gegenwärtigen Psychoanalyse sehr schnell an ihre Grenzen stößt.

Die relationale Psychoanalyse gründet sich wissenschaftstheoretisch in einem postmodernen Denken, das eine klassisch formulierte Wirklichkeitserkenntnis verneint. Freuds aufklärerischer Gestus, mit dem er die Psychoanalyse gesellschaftlichen Illusionen (wie beispielsweise der Philosophie oder Religion) gegenüberstellt, verliert hier seine Berechtigung, da Wissenschaft selbst, ebenso wie die Psychoanalyse, die Freud immer mit Nachdruck innerhalb der wissenschaftlichen Weltanschauung positioniert, in einem gleichwertigen Verhältnis zu anderen Erklärungs- und Erfahrungssystemen des Menschen gesehen wird (Freud 1933/1999; Mitchell 1993).

Ein Wandel von substantiellem, rationalem Denken zu einem Denken in Verhältnissen ist für die Grundlegung einer relationalen Psychoanalyse der einschneidende Schritt, der das Ziel und die Position der Psychoanalyse als Wissenschaft auf eine andere Ebene stellt. Metaphorisch gesehen weicht ein linearer Prozess von Wissensgewinn, indem „… immer mehr Wissen, immer mehr Fakten und immer mehr Theorien zu einem großen Gebäude der Wissenschaft vereinigt« werden, einem zirkulären, kreishaften Geschehen, wobei die Kreise des Verstehens und Erkennens immer wieder neu durchlaufen werden (Walach 2005, 37). Es geht in der Psychoanalyse in Bezug auf diese Art von Wissensgewinn daher nicht mehr primär darum, dem Patienten begriffliche Beschreibungsmuster seines Erlebens abgetrennt von der therapeutischen Interaktion zu bieten und so immer mehr bewusst gewordene 'Fakten' über das Individuum anzusammeln, sondern das Erleben und Verhalten in einem zirkulären, intersubjektiven Verhältnis, das die psychischen Möglichkeiten und Charakteristika des Menschen geprägt hat, in der Therapie verständlicher werden zu lassen (Stolorow & Atwood 1992; Orange, Atwood, & Stolorow 1997).

Mitchell (1993) beschreibt diesen Schwerpunktwechsel als eine Verlagerung des therapeutischen Geschehens von einem deutenden Wissen über die inneren Vorgänge des Menschen zu einem Erkennen aus der analytischen Beziehung, in der sich die Muster, die die psychischen Merkmale des Individuums ausmachen, in der intersubjektiven Aktion zwischen Individuen (Analysand und Analytiker) manifestieren. Die Vorstellung der intersubjektiven Entwicklung der menschlichen Psyche liegt diesem Therapiesetting zugrunde und spiegelt sich in der Art und Weise der Interaktion wider.

Mind has been redefined from a set of predetermined structures emerging from inside an individual organism to transactional patterns and internal structures derived from an interactive, interpersonal field. (Mitchell 1988, 17)

Der Freudsche Ausgangspunkt für menschliches Erleben und Verhalten, seine Trieblehre, verschiebt sich in dieser Betrachtungsweise vom Ursprung zu einem Teil innerhalb einer intersubjektiven Matrix, die die Grundlage des Verstehens jeglicher menschlicher Entwicklung, der Triebe eingeschlossen, bildet.

Strukturelle Merkmale von Intersubjektivität

Intersubjektivität spielt, wie mittlerweile deutlich wurde, sowohl im Buddhismus, als auch in der gegenwärtigen Psychoanalyse eine entscheidende Rolle. In beiden Zugängen zu menschlichem Erleben und Verhalten ist Intersubjektivität direkt mit dem Aufbau und Verständnis der psychischen Merkmale und Möglichkeiten des Menschen, psychoanalytisch gesprochen: mit der psychischen Struktur selbst, verbunden. Im Verhältnis, wie Intersubjektivität die psychische Struktur des Menschen prägt und ausmacht, lässt sich auch verdeutlichen, was dieser Begriff von buddhistischer und psychoanalytischer Seite aus beleuchtet und wo Möglichkeiten und Grenzen eines Vergleiches liegen.

Einer der frühen und meines Erachtens wichtigsten psychoanalytischen Ansätze zu einem intersubjektiven Verständnis der menschlichen Entwicklung, der auch mit buddhistischen Ideen in Verbindung gebracht werden kann, stammt von Hans Loewald, der sich sehr stark an der Freudschen Terminologie orientiert, diese aber in seiner charakteristischen Weise deutet und so entscheidende Grundsteine für die Herausbildung einer relationalen Psychoanalyse legt (Mitchell 2000; Chodorow 2004). Loewalds Leitgedanke ist ein Erleben von Einheit zwischen dem Innenleben des menschlichen Individuums und seiner Außenwelt als die natürliche Ausgangsbasis des menschlichen Daseins.

Dieses Einheitserleben (unitary, global experience) ist die Grundlage des Verstehens der individuellen Entwicklung des Menschen, wie auch der kulturellen und gesellschaftlichen Ausprägungen und Umsetzungen, die sich beispielsweise in der Kunst oder Religion ihren Ausdruck verschaffen. Loewald (1978/2000a) definiert dieses Einheitserleben folgendermaßen: »This unitary experience perhaps may best be called being, if we do not immediately think of it as contrasted with ‘having been,' ‘becoming,' ‘having,' or ‘doing'« (553). Der Bezug zur Ontologie des ehemaligen Heidegger-Schülers Loewald ist in seinem psychoanalytischen Denken in solchen und ähnlichen Darlegungen deutlich spürbar (Lear 2000). Das Streben nach einem Erleben von Einheit ist nach Loewald für das Individuum die maßgebliche Motivation des Lebens, da es das Dasein selbst widerspiegelt, und dessen psychische Möglichkeit oft verborgene und unbewusste Streben in einem umfassenden Ausmaß in das alltägliche Erleben zu integrieren und in diesem zu entdecken verweist auf die Loewaldsche Vorstellung von erfülltem, klinisch gesprochen gesundem und entwickeltem Erleben.

Für Loewald ist das Erleben von Einheit mit Freuds Beschreibung des Es in der psychischen Struktur vergleichbar, wobei bei Loewald das Einheitserleben der strukturellen Ausformung vorangeht. Er geht – ähnlich wie Freud dies auch für das Es konstatiert – davon aus, dass das Kleinkind in frühen Stadien in einem Einheitserleben mit der Mutter Erfahrungen macht, die noch nicht durch Unterscheidungen wie beispielsweise innen und außen, Vergangenheit und Gegenwart, oder physisch und psychisch gekennzeichnet sind, sondern dass diese Unterscheidungen in einem graduellen Prozess aus diesem Erleben von absoluter Einheit, die sich vorerst primär in der Beziehung zur Mutter manifestiert, entstehen.

Anders als bei Freud steht hinter der Herausbildung der unterscheidenden Funktionen aber nicht primär die somatische Triebquelle, sondern das Interagieren mit den Bezugspersonen und der Außenwelt, wobei diese Dualität und Unterscheidung zwischen mein und dein, beziehungsweise innen und außen, erst durch dieses zwischenmenschliche Interagieren langsam Gestalt annehmen kann. Der Beginn der psychischen, strukturformenden Merkmale – Es, Ich und Über-Ich – liegt nach Loewald in Interaktionen mit der Umwelt (Objektbeziehungen), die internalisiert werden. Internalisation und Externalisation im Sinne eines verinnerlichten Verarbeitens intersubjektiver Erfahrung und In-Beziehung-Tretens mit der menschlichen Umwelt anhand dieser Erfahrung, stellt den Ausgangspunkt der psychischen Struktur dar, die als solche auf einer Einheitserfahrung beruht, die auch in der Entwicklung und Ausformung eines sich mit fortschreitendem Alter immer mehr der Umwelt gegenüberstellenden menschlichen Erlebens erhalten bleibt (Loewald 1978/2000c).

Die Möglichkeit des inneren Dialoges und der Integration der Einheitserfahrung in die sich dieser Erfahrung rational gegenüberstellende psychische Verarbeitung ist Loewald zufolge der Schlüssel zu einer tiefen, holistisch menschlichen Erfahrung und Glück im Leben. Loewald beschreibt diesen Dialog als ein Geschehen, indem sich primär- und sekundärprozesshafte Elemente verbinden. Die Freudsche Ausrichtung von Primär- und Sekundärvorgängen, auf die sich Loewald beruft, erfährt dabei eine intersubjektive Wendung. Freud (1900/1999) bestimmt den Primärvorgang als die Tätigkeit des menschlich psychischen Systems, die ausgehend von der somatischen Triebquelle, direkt auf die Abführung und das Ausleben der Triebe gerichtet ist. Im Sekundärvorgang wird diese Energie durch Hemmung in andere, bewusste Bahnen gelenkt, was, abhängig von den psychischen Kapazitäten des Individuums, mehr oder minder geglückt geschieht. Bei Freud steht im Zusammenhang der Umsetzung von unbewussten, oft verdrängten, in bewusstseinsfähige Inhalte ein starkes Ich im Vordergrund. Diese Ich-Stärke ermöglicht es dem Individuum im 'Chaos' der inneren Ansprüche und äußeren Realität nicht verloren zu gehen und durch die Integration verdrängter Inhalte bewusst Entscheidungen treffen zu können.

Loewald (1978/2000a) deutet einen klassischen Ausspruch von Freud mit einer dialogischen Betonung folgendermaßen um:

Where id was, there ego shall come into being. Too easily and too often ego is equated with rigid, unmodulated, and unyielding rationality. So today we are moved to add: where ego is, there id shall come into being again to renew the life of the ego and of reason. (541)

Die unbewussten Inhalte des Es, die sich im Primärprozess manifestieren und mit dem Erleben von Einheit in Verbindung stehen, sind für Loewald in gleicher Weise entscheidend wie bewusste, sekundärprozesshafte psychische Verarbeitung. Er spricht von verschiedenen Arten von Realität (Loewald 1978/2000a), die beide für das menschliche Dasein gleichermaßen wichtig sind, und nur in einer dialogischen Auseinandersetzung und einem Pendeln zwischen dem Unbewussten und Bewussten entwickelt sich der Mensch fort. Dieser Dialog, der über sprachliche Grenzen hinausgeht (Loewald 1978/2000b), macht es dem Menschen möglich, sich immer wieder neu vom Leben überraschen und ergreifen zu lassen, ohne die kindliche Neugier und Irrationalität einem rigiden und rational die Realität konstruierenden Selbst zu sehr zu opfern – mit den Worten Mitchells (2000, 29): »For Loewald, only the enchanted life is a life worth living.« Das »verzauberte« Leben spielt sich immer in einem intersubjektiven Raum ab, indem sich innere psychische Qualitäten in einem lebendigen Austausch mit der Außenwelt verbinden und ein natürlicher Wechsel der verschiedenen bewussten und unbewussten Realitäten dem Menschen ein volles Erleben seines Daseins ermöglicht.

Wenn Intersubjektivität jegliches Erleben erfüllt, so bedeutet dies auch für das Verständnis normativ abweichenden Erlebens und Verhaltens eine Modifikation. Innerhalb einer relationalen Matrix kann es keine von außen festgestellte normative Orientierung geben, da jeder Mensch eine einzigartige Verflechtung mit Bezugspersonen in seiner Entwicklung durchmacht. Mitchell (1988) sieht in der Fixierung des frühkindlichen Erlebens von Beziehungen, die das weitere menschliche Beziehungsleben prägt, und dem Eingebettet-Sein in diese, beziehungsweise umgekehrt der Freiheit für neue Erfahrungen offen zu sein, den Prozess, an dem sich die Psychoanalyse als Therapie orientieren sollte. Erkenntnisse in der Psychoanalyse erfolgen anhand der intersubjektiven Aktion zwischen Analysand und Analytiker und werden im Setting nicht durch die Auslegung von einem der beiden vorgegeben (Hoffman 1999; Stark 1999). Eine 'objektive' Psychopathologie weicht so einem Vorgang, indem der Patient seine Beziehungsschicksale mit der durch diese entstandenen subjektiven Logik in seinem Erleben und Verhalten verbinden lernt und dadurch an Freiheit in seiner Entscheidungsfindung gewinnt.

Im Buddhismus muss der Mensch, wenn Intersubjektivität zwischen Individuen untersucht werden soll, auf einer phänomenalen Ebene betrachtet werden. Intersubjektivität ist die Folge eines Verständnisses des Menschen in einem interdependenten Geflecht von Phänomenen, die zueinander in einer unauflösbaren Beziehung stehen. Die Struktur dieses Geflechtes kann aus buddhistischer Sicht dadurch erkannt und erlebt werden, indem man lernt, im Erleben selbst Ursache und Wirkung im Zusammenspiel von Phänomenen genauer nachvollziehen zu können. Eines der wichtigsten textlichen Beispiele wie Achtsamkeit durch Meditation entstehen kann und demzufolge mehr und mehr eine Annäherung an die menschliche Natur, wie sie im Buddhismus beschrieben wird, ist das Mahāsatipaṭṭhāna Sutta (Pali Kanon, Dīghanikāya no. 22 / Majjhimanikāya no. 10 (Übersetzung siehe Vipassana Research Institute 2009); 'Der große Diskurs über die Ausbildung von Achtsamkeit'), das auch die Basis für das Verständnis der Meditation im Mahāyāna-Buddhismus ist. Das Sutta beschreibt wie durch Konzentration das Ineinanderwirken verschiedener Phänomene erfasst werden sollte und so menschliches Erleben selbst – als in dieses Ineinanderwirken eingebettet – in seiner Fülle begreifbar wird.

Die Grundaussage des Buddhismus in Bezug auf die menschliche Natur und das menschliche Potential, wie in diesem Text enthalten, ist, dass mit einer achtsamen Zuwendung zu jeglichen Aktivitäten des Lebens eine immer feinere und genauere Erkenntnis des Aufeinanderfolgens von menschlichen Erlebensinhalten möglich wird. Das Mittel um dies zu erreichen ist eine Meditation, die einerseits Erlebensinhalte fokussieren und andererseits die Charakteristika dieser Inhalte mit der Zeit klären helfen soll. So kann nach buddhistischer Anschauung der Zusammenhang zwischen einer bestimmten Wahrnehmung, einem bestimmten Gedanken, der weiteren Verarbeitung dieses Gedankens, der Gefühle, die dabei auftreten, und entstehenden geistigen Assoziationen in der Meditation erschlossen werden.

Im Mahāsatipaṭṭhāna Sutta wird die Methode im Entwickeln von Achtsamkeit durch Meditation in vierfacher Weise beschrieben: in Bezug auf den Körper (kontemplative Betrachtung des Körpers, Pali kāyānupassanā), Gefühle (vedanānupassanā), Geist (cittānupassanā) und Geistinhalte (dhammānupassanā). Der Unterschied zwischen dem Geist und Geistinhalten, wie in diesem Text dargestellt, besteht in einem allgemeineren Beschreiben von Geistzuständen (wie beispielsweise die Beeinflussung des Geistes durch Hass, Ablenkung, Konzentration) und einer Aufzählung konkreterer Inhalte des Geistes (zum Beispiel die sogenannten fünf Hindernisse (nīvaraṇas), die den Geist im Entwickeln von Achtsamkeit negativ beeinflussen können: Sinnliches Begehren, schlechte Absichten, Faulheit, Ängstlichkeit, Zweifel). Das Wesentliche der buddhistischen Meditationsmethode ist das Betrachten-Können des Aufeinanderfolgens von Erfahrungen. Grundvoraussetzung dafür ist einerseits eine Meditationsweise, die die psychischen Vorgänge fokussiert und in der Folge in ihrer Intensität reduziert (samatha-Meditation), wie beispielsweise durch die Konzentration auf ein körperliches Phänomen (meist den Atem), was dazu verhelfen soll die Mannigfaltigkeit der psychischen Inhalte zu verringern und deren 'Tempo' zu beruhigen. Der ruhige, fokussierte Geist sollte in einem weiteren Schritt in die Zusammenhänge und Abfolge der verschiedenen körperlichen und geistigen Phänomene Einblick entwickeln können (vipassanā-Meditation).

Im Mahāyāna-Buddhismus steht bei diesem Einblick, wie im obigen Beispiel von Indras Netz veranschaulicht, die Nicht-Getrenntheit zwischen Phänomenen im Sinne eines andauernden interdependenten Ineinanderwirkens im Vordergrund, woraus geschlossen wird, dass der Mensch keinen inneren, feststehenden Wesenskern (Selbst oder Seele) hat. In individueller menschlicher Erfahrung spiegelt sich daher aus buddhistischer Sicht nicht nur ein dialogisches Geschehen in einem Austausch mit anderen Menschen und deren Erfahrungen wider, sondern die individuelle Erfahrung selbst ist in sich schon ein Ausdruck dieses Dialoges – in der Weise, dass sie ohne die interdependenten Verknüpfungen nicht möglich wäre. Nhat Hanh (1987/1998) spricht in diesem Zusammenhang von Intersein (Vietnamesisch tiep hien) – der Mensch befindet sich andauernd 'dazwischen'; er steht in einem lebendigen Austausch mit Phänomenen, wobei sich dann die Grenze zwischen menschlichem Innenleben und der Außenwelt relativiert.

Buddhistische Erfahrung bestimmt sich so primär durch ein Relativieren-Können der eigenen Erfahrung als zu einem abgeschlossenen Selbst gehörig, das mit der Umwelt in Beziehung tritt, was mit Loewalds Entwurf des Einheitserlebens verglichen werden kann. Diese Relativierung ist logisch diskursiv nicht möglich, da sie eine Erlebensqualität ist, die über dualistische, logische und sprachlich unterscheidende Grenzen hinausweist. Nach buddhistischer Vorstellung ist Mensch und Umwelt im tieferen Sinne ein und dasselbe, da nur im phänomenalen Zusammenhang das eine wie das andere (getrennt) erkannt werden kann. Ein Konzept im Mahāyāna-Buddhismus, das sich dieser nicht-denk-, sondern nur erlebbaren Einheit, auch logisch sprachlich anzunähern versucht, ist die Beschreibung aller Phänomene als in sich leer.

Besonders bei Nāgārjuna (Indien, ~ 2. Jhdt. u. Z.; in der Zen-buddhistischen Traditionslinie gilt Nāgārjuna als der 14. Patriarch; siehe Cleary 1998), dem wichtigsten Philosophen der Mittleren-Schule des Mahāyāna, Madhyamaka, wird der Begriff der Leere (Sanskrit śūnyatā) in Bezug auf die psychische Situation des Menschen ausgearbeitet.[6] Im wichtigsten Werk, das Nāgārjuna zugeschrieben wird, Mūlamadhyamakakārikā (,Die grundlegende Abhandlung in Versen über die mittlere Schule', siehe darin vor allem das 18. Kapitel zur Untersuchung des Selbst (ātma parīkṣā); Übersetzung mit Kommentar in Garfield 1995), ist die Methode, mit der Nāgārjuna versucht, den mittleren Weg zwischen nihilistischem Denken und einem Selbstkonzept zu erhellen, indem er auf die Grenzen der Erkenntnis hinweist, die mit einer diskursiven Logik einhergehen. Einer diskursiven Logik wird eine paradox-intuitive Logik gegenübergestellt, indem jede Grenzen bestimmende Aussage auch von ihrem Gegenteil her betrachtet wird. Aus psychologischer Perspektive würde, dieser paradoxen Logik folgend, beispielsweise die Aussage 'Ich (als in sich abgeschlossenes Individuum) bin getrennt von dir (als anderem in sich abgeschlossenem Individuum)' ergänzt durch die Aussage 'Ich bin nicht getrennt von dir', wobei beide zugleich zutreffend sind (A = Nicht-A). Nāgārjuna führt in Mūlamadhyamakakārikā (XVIII: 8) ein Tetralemma ein, mit einer Logik, aus der jedes Phänomen zugleich A, Nicht-A, A und Nicht-A, und weder A noch Nicht-A ist. Diese Logik verweist auf die Notwendigkeit von Interdependenz zwischen allen Phänomenen und verdeutlicht, dass es unmöglich ist, diskursiv die Charakteristik eines Phänomens zu bestimmen. Auch der Terminus 'Intersein' von Thich Nhat Hanh bezeugt diese reine Erlebenslogik, die letztendlich nicht in Worte zu fassen ist.

Im Mahāyāna ist in diesem Zusammenhang die Lehre der zwei Wahrheiten (satyadvaya) entscheidend, auf der auch Nāgārjunas Philosophie aufbaut. Nāgārjuna verneint nicht – in einem konventionellen Sinne, oder einer konventionellen, relativen Wahrheit (saṃvṛtisatya), die auf Sprache aufbaut – die unterscheidenden Merkmale in der Natur, die für das menschliche Leben und dessen Organisation notwendig sind (wie die psychologischen Grenzen zwischen dem Erleben verschiedener Individuen). Sprache selbst und daher auch jegliche Philosophie und Aussagen über die Natur fußen auf unterscheidenden Merkmalen, selbst wenn sich diese, wie im Falle von Nāgārjunas Philosophie selbst relativieren.

Innerhalb einer relativen Wahrheit offenbart sich jedoch auch immer eine absolute Wahrheit (paramārthasatya), die jenseits von Worten und unterscheidenden Merkmalen liegt. Nur durch die Integration dieser absoluten Wahrheit entfaltet sich das Leben natürlich. Alle sprachbasierten, diskursiven Gedanken oder Aussagen über die Natur sind aus dieser Sicht im tieferen Sinne eine Illusion. Sie sind jedoch in einem relativen Sinne, indem wie der Geist gelernt hat Informationen zu verarbeiten, bis zu einem gewissen Grad wichtig für die Auseinandersetzung mit alltäglichen Erfahrungen, solange die relative Verarbeitung nicht als Realität missdeutet wird, was aus buddhistischer Sicht einen Leidenskreislauf in Gang setzt und hält. Die zwei buddhistischen Wahrheiten können psychologisch mit Loewalds Beschreibungen zur Notwendigkeit der aktiven Kommunikation zwischen bewussten und unbewussten psychischen Inhalten verglichen werden. Jedoch wird im Buddhismus Erleben, wie alle anderen Dinge, auf einer phänomenalen Ebene behandelt.

Bekannte Zen-Sprüche in koan-Form[7], die als Hilfestellungen zu einem Überwinden eines Erlebens, das auf Unterscheidungen aufbaut, gedacht sind, sollen dies verdeutlichen; beispielsweise: 'Nicht das Wasser fließt, sondern die Brücke'. Der Schlüssel zum Verständnis von Phänomenen, wie auch der menschlichen Psyche, liegt in der Relationalität der interdependenten Verknüpfung, die aus buddhistischer Sicht die letztendliche Realisation, was das menschliche Dasein ausmacht, bedeutet. Intersubjektivität ist die Folge dieser Verknüpfung. Der Mensch ist immer in einem phänomenalen Zwischen-Raum, indem sich seine Individualität herausbildet. Daher kann, der buddhistischen Psychologie folgend, der Mensch im tieferen Sinne als Inter-Subjekt betrachtet werden, da sich im subjektiv abgeschlossenen Individuum immer die relationale Abhängigkeit zu allem anderen manifestiert.

Konsequenzen intersubjektiver Erkenntnis

In den Konsequenzen für das individuelle Verhalten aus der Erkenntnis eines intersubjektiven Erlebens lassen sich am offensichtlichsten die Wege und Grenzen des Dialoges und der Integration der beiden Denk- und Praxiswege aufzeigen. Die buddhistische Psychologie betreffend wird dabei deutlich, dass es sich um ein System handelt, das in Bezug auf postmodernes Denken, an dem sich die relationale Psychoanalyse orientiert und in dem weltanschaulich feststellende Aussagen keinen Platz haben, über eine wissenschaftliche Theorie und Methodik hinausweist, da es im Buddhismus letztendlich um ein Finden von Wahrheit geht.

Der Buddhismus eignet sich aber insofern besonders für den Dialog mit einer auf postmodern wissenschaftlichem Denken aufbauenden Psychoanalyse, da die letztendliche Wahrheit, die sich im Leben jedes Individuums offenbaren kann (paramārthasatya), keine beschreib- oder erklärbare, sondern rein auf subjektiver Erfahrung aufbauende Erkenntnis ist. Es handelt sich, so gesehen, beim Buddhismus primär um eine Methode, aus der eine menschlich rationale Logik transzendierende Erkenntnis folgen kann.

Eine schöne Erläuterung zur Metapher des Netzes von Indra stammt von Fazang (China, 643–712; der dritte Patriarch der Huayan-Schule in China, deren Philosophie innerhalb des Mahāyāna im Speziellen die Interdependenz fokussiert); sie kann als Klärung dienen, warum ethisches Verhalten die Konsequenz eines intersubjektiven Erlebens im Buddhismus sein muss:

This [the contemplation of the net of Indra] means that with self as principal, one looks to others as satellites or companions; or else one thing or principle is taken as principal and all things or principles become satellites or companions; or one body is taken as principal and all bodies become satellites. Whatever single thing is brought up, immediately principal and satellite are equally contained, multiplying infinitely – this represents the nature of things manifesting reflections multiplied and remultiplied in all phenomena, all infinitely. This is also the infinite doubling and redoubling of compassion and wisdom. (Übersetzt in Clearly 1983, 168)

In der menschlichen Erfahrung spiegeln sich aus buddhistischer Sicht immer (unendlich) viele Aspekte des Ineinanderwirkens von Phänomenen wider und je nach Blickwinkel erscheinen diese zentral oder peripher, wobei im tieferen Sinne diese Unterscheidung nicht existiert. Psychologisch betrachtet, bedeutet dies im zwischenmenschlichen Erleben, dass jegliche Erfahrung, die man im Kontakt mit anderen Menschen macht, auf die eigene Situation als Individuum in einer interdependenten Matrix verweist.

Buddhistisch gesprochen ist die Erfahrung im Kontakt mit anderen nicht nur verbunden mit dem eigenen Erleben und hat Auswirkungen auf dieses, sondern das Erleben anderer ist ebenso das eigene Erleben, da es in der Matrix keine Unterscheidung zwischen mir und dir gibt, was wiederum auf die nicht-sprachlich erfassbare Qualität des Erlebens hinweist. Ethik ist so die logische Konsequenz eines Erlebens der Nicht-Unterscheidung, da sich in jedem Handeln, oder jeder Intention des Handelns, die eigene Situation als Mensch zeigt. Ist man sich dieser Situation gewahr, dann kann es aus buddhistischer Sicht keine Intention gegen andere fühlende Wesen geben, da jegliches intentionales Handeln direkt auf den Handelnden zurückweist (siehe das Eingangszitat Nhat Hanh’s oben).

Im bodhisattva-Ideal des Mahāyāna-Buddhismus, das auf dieses menschliche Potential anspielt, kommt die Logik der buddhistischen Ethik deutlich zum Vorschein. Ein bodhisattva (Sanskrit, wörtlich 'Erleuchtungswesen') ist nach buddhistischer Vorstellung ein Wesen, das seine eigene Erkenntnis zum Wohle aller anderen Wesen einsetzt und die eigene Befreiung von Leid nur in Verbindung mit der Befreiung von Leid anderer als möglich ansieht. Die Intention eines Menschen sein Leben dem Wohle aller Wesen zu widmen ist so nicht primär eine empathische Aufopferung, sondern die Folge einer Erfahrung des eigenen Seins als nicht getrennt von allem anderen. Inter-Sein und die daraus folgende ethische Zuwendung und Verantwortung allen fühlenden Wesen gegenüber ist im Buddhismus die logische Folge der Ausweitung und Überwindung des eigenen Selbst. Andere Menschen sind für den bodhisattva daher ein Teil des eigenen Daseins und ein Leben, das diesem Dasein gerecht wird und das eigene Leiden überwinden helfen soll, ist immer mit einer kollektiven Verantwortung allen anderen Lebewesen gegenüber verbunden (Cho 2000).

Im Mahāyāna-Buddhismus gibt es in Verbindung mit dem bodhisattva-Ideal damit auch eine Beschreibung der menschlichen Natur (auch 'Buddha-Natur', buddhatā), beziehungsweise des menschliches Potentials in der Entwicklung seiner inneren Natur, die definitiven Charakter hat. Der Mensch ist dann in einem natürlichen Zustand und erfährt Leben, so wie es aus buddhistischer Sicht wirklich ist, wenn er die Qualitäten entwickelt und fördert, die jegliche Abgrenzungen und Unterscheidungen, die zur Stärkung eines Ich-bezogenen Erlebens führen, überwinden helfen, und damit in einer Offenheit auf das Leiden, das das Leben begleitet, reagieren kann und so lernt dieses positiv zu transformieren (Brazier 1995).

Die Konsequenzen eines intersubjektiven Erlebens in der relationalen Psychoanalyse sind praktischer, patientenbezogener und somit auch subjektiv heilender Natur. Primär sieht sich eine postmodern ausgerichtete Psychoanalyse als Dekonstruktionsmittel innerhalb einer kulturell, gesellschaftlich und persönlich konstruierten Welt und will dem Patienten durch Erkennen der eigenen Konstruktionen und deren Geschichte helfen, freier in seinem Erleben zu werden und Einschränkungen zu entdecken, die seine Erfahrungen in Richtungen lenken, die die Erlebensqualitäten verzerren oder leidhaft verändern. Für den typischen Patienten in gegenwärtigen psychoanalytischen Fallbeschreibungen, der oft keine schwereren Symptome aufweist (Mitchell 1993), ist das Eingebettet-Sein oder die Adaptation innerhalb eines kulturellen Settings nicht mehr, wie häufig zu Freuds Zeiten, die angestrebte Lösung, sondern im Gegenteil das Problem.[8] Wenn ein zu rigides 'Funktionieren' die Fülle der Erfahrung immer mehr auf einen rationalen Fokus einschränkt, wird die Freiheit in der Entscheidungsfindung und die Offenheit des Erlebens in einer Weise reduziert, die zu Leiden und dem andauernden Gefühl der inneren Restriktion führen kann. Mitchell (1993) beschreibt das Ziel der Psychoanalyse der Gegenwart folgendermaßen:

A successful analysis results in a much more complex experience of oneself than that with which one began. The analysand learns that there is much more to him than he has previously fully known or been able to use. The analyst’s attitude toward her own theories, themselves shifting and evolving products of mental life, becomes an important model in the expansion of the analysand’s experience of his own mental life. And at crucial points in any analysis, the analytic method itself becomes the focus of analytic inquiry and, in some sense, needs to be reconstructed, rediscovered in the context of each particular analytic dyad. (83–84)

Der Prozess bezieht alle 'Beteiligten' – die Analysandin, die Analytikerin und die Methode Psychoanalyse – mit ein. Die Psychoanalyse als Entschlüsselungshilfe ist selbst in die konstruierte Wirklichkeit integriert und kann daher als von Menschen für Menschen entwickelte Theorie und Praxis letztendlich von der Analyse nicht ausgeschlossen werden und wird so zum Teil der dynamischen Interaktion. Der Punkt der Überraschung und Aufgeschlossenheit neuen oder wiederbelebten Erlebensinhalten gegenüber, wie ihn Loewald im Speziellen darstellt, wirkt auch auf die Therapietheorie zurück, die nur in dieser Aufgeschlossenheit dem individuell subjektiven Erleben gerecht wird.

Intersubjektivität in der analytischen Beziehung zeigt sich im übertragenen Sinne im zugrundeliegenden analytischen Setting selbst, dessen Relativität dem Patienten als Richtlinie seinem eigenen Erleben und Verhalten gegenüber dienen kann. Im subjektiven Finden von Sinn und der Möglichkeit Freiheit aktiv in das eigene Erleben zu integrieren, liegt das Ziel der relationalen Psychoanalyse, das sich aus der grundsätzlich intersubjektiven Ausrichtung ergibt.

Die Grenzen des Dialoges zwischen Buddhismus und Psychoanalyse zeigen zugleich die Möglichkeiten einer Erweiterung der jeweiligen Zugänge zum Menschen. Die Psychoanalyse ist aus ihrer Entwicklung heraus eine wissenschaftliche Methode, wobei, aus einem postmodern wissenschaftlichen Denksystem betrachtet, der Buddhismus Elemente enthält, die dieses System übersteigen. Eine gegenwärtige Psychoanalyse kann keine Weltanschauung sein (Kernberg 2000) und distanziert sich auch von einer, wie von Freud argumentierten Dichotomie zwischen Illusionen (vor allem der Religion) und wissenschaftlicher Vernunft. Trotzdem spielen gerade sinngebende und weltanschauliche Elemente eine wesentliche Rolle in der Weiterentwicklung der Psychoanalyse, da sie auch als eine Methode, die sich von Wahrheitsaussagen distanziert, auf den persönlichen Erfahrungen von Menschen aufbaut, in denen diese Aussagen, beziehungsweise Erleben von persönlicher Wahrheit, maßgeblich das Leben ausmachen.

Der Buddhismus kann hier im Besonderen philosophische und auch praktische Elemente zur Verfügung stellen, da Wahrheit nicht benannt wird, jedoch in der Lehre als Erlebensqualität die maßgebliche Motivation ausmacht. Das Entwickeln von Achtsamkeit, was Erleben subjektiv für das Individuum bedeutet, ist für beide Zugänge entscheidend, da nur durch ein achtsames Eingehen-Können auf gegenwärtiges Erleben ein freierer Umgang mit diesem Erleben im Hier und Jetzt und den damit verbundenen Hindernissen entsteht. Für den Buddhismus im westlich gesellschaftlichen Umfeld ist psychoanalytisches Denken eine Hilfestellung, da der Ausgangspunkt jeder buddhistischen Praxis in einem Verständnis für die kulturellen Ausprägungen, die den menschlichen Geist auch aus buddhistischer Sicht wesentlich formen, liegt.

So gesehen ist auch der Buddhismus, wie jede andere Religion, eine kulturelle Institution, die nicht getrennt von ihrem kulturellen Umfeld und der damit verbundenen Geschichte existiert. Letztlich ist die Überwindung der Einschränkungen des Geistes, die mit dieser Geschichte in Verbindung stehen, das Ziel des Buddhismus. Der Weg zu diesem Ziel basiert aber darauf, dass man Menschen in ihrer tatsächlichen Situation erreicht, was wiederum auf ein Verstehen der Situation und deren Geschichte verweist.

Die Psychoanalyse liefert als eine Methode, die auf der Auseinandersetzung mit westlicher Religions- und Wissenschaftsgeschichte aufbaut, Bausteine, die zur Klärung der individuellen Situation und den Wahlmöglichkeiten in dieser Situation führen können. Sowohl die buddhistische Psychologie als auch die Psychoanalyse sind, so gesehen, indigene Psychologien und der sich entfaltende Dialog, basierend auf ihren spezifischen Zugängen zu menschlichem Erleben und Verhalten, verweist auf zukünftige Möglichkeiten der Integration.

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Endnoten:

[1]

Wenn im Zusammenhang mit dem Buddhismus von 'Phänomen' die Rede ist, so bezieht sich dieser Ausdruck auf den Sanskrit-Terminus dharma. Dharma verweist, in diesem Sinne gebraucht, auf die individuellen Komponenten, die in ihrer Gesamtheit die empirisch erfahrbare Welt des Menschen konstituieren. »Some of these elements (dharmas) are external to the perceiver and others are internal psychological processes and traits of character. It is in this context that the Madhyamaka school denied the substantial reality of dharmas, claiming that all phenomena were ‘empty' (śūnya) of any substantial reality« (Keown 2004, 74). Zur Ausgestaltung des Begriffes in der Madhyamaka-Schule und den daraus folgenden psychologischen Konsequenzen siehe unten.

[2]

Buddhistische Praxis stellt einerseits im engeren Sinne vor allem verschiedene Meditationsarten dar. Zum anderen meint buddhistische Praxis in einem weiteren Sinne jegliches Verhalten und ist nicht durch eine Spaltung zwischen religiöser und alltäglicher Praxis gekennzeichnet.

[3]

Einige buddhistische Termini werden für ev. Nachschlagen in Referenzwerken auch in buddhistischen Sprachen angegeben. Bezüglich verwendeter Umschrift und Aussprache siehe Prebish & Keown (2006).

[4]

Zu den folgenden, psychologischen Erläuterungen zum menschlichen Selbst sei einschränkend angemerkt, dass Beschreibungen mit Worten in allen Zugängen des Mahāyāna und besonders im Zen-Buddhismus sehr schnell an ihre Grenzen stoßen. Es wird in diesem Zusammenhang auch von einer Lehre jenseits von Schriften gesprochen (Japanisch furyū monji). Letztendlich verweist buddhistische Erkenntnis immer auf eine wortlose, individuelle Erfahrung und die schriftlichen Konzeptionen, die diese Erfahrung begleiten, sind mehr als eine Hilfestellung zu betrachten, die die Erfahrung selbst aber nicht in vollem Umfang erfassen kann. Die Herausforderung für religionspsychologische Vergleiche liegt darin, dies in Beschreibungen einzuarbeiten, beziehungsweise ist es für die Leserin auch wichtig, selbst aktiv die Grenzen des mit Worten Beschreibbaren zu hinterfragen (Virtbauer 2008a).

[5]

Indra ist eine Gottheit aus alt-indoarischem Ursprung, die in der buddhistischen Kosmologie einen wichtigen Stellenwert einnimmt.

[6]

Der Name dieser buddhistischen Strömung (Madhyamaka) weist auf die auch aus psychologischer Sicht entscheidende Grundproblematik hin. Einerseits verneint der Buddhismus die Existenz eines Selbst als inneren Wesenskern des Menschen oder einer (unsterblichen) Seele, andererseits aber auch nihilistisches Denken, das mit dem buddhistischen Ursache-Wirkungs-Prinzip (der Karma-Lehre) unverträglich wäre. Der Mittlere Weg bedeutet eine Philosophie zwischen diesen beiden Polen.

[7]

Japanisch koan, wörtlich 'öffentlicher Fall'. Koans sind Geschichten oder Aussprüche, die eine Lösung oder Erkenntnis implizieren, die nicht auf logischem Wege zu finden ist. Sie dienen als Schulungsmittel zwischen Zen-Schülern und ihren Meistern und die Erkenntnis aus dem koan soll sich in der und durch die Zen-Praxis offenbaren. Zu verschiedensten Aspekten der Geschichte und Praxis mit koans siehe Heine & Wright (2000).

[8]

Die hier gegebenen, allgemeinen Beschreibungen beziehen sich vor allem auf Patienten oder Klienten, die diesem Bild entsprechen.

Autorenhinweis

Gerald Dōkō Virtbauer

Mag. phil., Cand. Dr. phil.; Religionswissenschafter, Spezialisierung in Religionspsychologie. Forschungsschwerpunkte: Buddhismus als psychologisch ethisches System; Anthropologie des Bewusstseins; Kulturpsychotherapie. Monographien: Psychologie im Erkenntnishorizont des Mahāyāna-Buddhismus (2008, Peter Lang); Intersubjektivität: Psychologisch-anthropologische Grundlage in Mahāyāna-Buddhismus und relationaler Psychoanalyse (erscheint in Kürze, Sigmund Freud PrivatUniversitäts Verlag).

Gerald Dōkō Virtbauer Upaya Institute and Zen Center 1404 Cerro Gordo Road Santa Fe, NM 87501, USA

E-Mail: geraldvirtbauer@gmail.com