Kritische Psychologie im Neoliberalismus

Christina Kaindl

Zusammenfassung

Die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, die neoliberal-kapitalistischen Strategien der Verwertung und In-Wert-Setzung greifen auf eine neue Weise auf die Subjekte zu, mobilisieren sie, versprechen ihnen Freiheit und Selbstbestimmung, binden sie andererseits enger an die Notwendigkeiten des Marktes. In dieser Diagnose sind sich fast alle einig, die zur Frage der neuen Subjektivitäten im Neoliberalismus arbeiten. Strittig allerdings ist, wie diese neue Aufmerksamkeit fürs Subjekt theoretisch so begriffen werden kann, dass die Theoriesprache selber nicht die Subjekte unter der Hand zu bloßen Effekten der gesellschaftlichen Anforderungen macht. Das Zueinander von gesellschaftlicher Bestimmtheit und subjektiver Bestimmung, die Widersprüche, durch die die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt sind, müssen sichtbar und denkbar werden.

Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit die in der Grundlegung der Psychologie systematisierten Denkmittel der Kritischen Psychologie eine Analyse dieser gesellschaftlichen Veränderungen ermöglichen. Kontrastiert werden soll diese Fragestellung mit dem Ansatz der Gouvernementalitätstheorien, die unter Bezug auf Foucault ebenfalls Analysen neuer Subjektanforderungen vorgelegt haben.

Schüsselwörter: Neoliberalismus, Kritische Psychologie, Gouvernementalität, Soziologie der Emotionen, neue Steuerungsmodelle in der Arbeit, Lacan-Kritik, Holzkamp, Gramsci

Summary

The new models of work ethics and management concepts pose new demands on the subjects, that are referred to as »self-governing« by the governementality studies. They liberate them from fordistic boundaries but are market-mediated and often quickly turn out to be coercive. To analyze both aspects a theory of the subject is needed, that differentiates between societal demands on the one hand and how they are realized or declined by the acting subjects on the other. The article shows that there are some shortcomings within the governementality studies regarding this differentiation (due to the subjectivity-concept taken from Lacan) as well as in framing the management concepts within the demands of the new, neoliberal mode of production and patterns of living (Gramsci) that are fought for – from above and below, within work, concepts of the wellfare state and everyday culture. Referring to the Berlin school of Critical Psychology the article shows how these demands are brought forward by mobilization of emotions and discusses this as a new form of »restrictive action potency«. By doing so it aims to modernize the Critical Psychology to meet the new forms of neoliberal domination and action potency.

Keywords: Critical Psychology, Holzkamp, neoliberal mode of production and patterns of living, governementality studies, sociology of emotions, Lacan-critique, Gramsci

Gouvernementalität und Subjekt

Bröckling u.a. (2000) beanspruchen eine nicht-ökonomistisches Verständnis von Neoliberalismus als »politisches Wissen«, das ein »Möglichkeitsfeld« eröffnet (2000, 20); es gehe darum, die politische Rationalität des neue Regimes zu begreifen. Entsprechend werden Managementkonzepte wie etwa das Total Quality Management (TQM) auf die darin enthaltenen Anforderungen und Konzeptionierungen von Subjektivität untersucht. Das neue Verständnis von Subjektivität der Arbeitenden denkt diese nicht mehr als Störfaktor, vielmehr werden individuelle Selbstentwürfe »aktiviert und gezielt zur Prozessoptimierung nutzbar gemacht« (Bröckling 2002, 162). Entsprechend werde »Arbeiterautonomie« zur sozialtechnologisch zu erschließenden Ressource, »freilich nicht ohne die geforderte Selbstbestimmung auf die Verinnerlichung jener Marktmechanismen zu verengen, deren Herrschaft der Kampf um Autonomie einmal brechen sollte« (ebd.). Die Vermittlung zwischen den analysierten Subjektanforderungen und den Bewältigungsstrategien der Einzelnen wird über Foucaults Konzept der »Führung« gedacht: Dieser beansprucht mit dem Konzept der »Führung der Führungen« – der Gouvernementalität (Bröckling u.a. 2000) – explizit eine Verbindung von individueller Lebensführung und gesellschaftlicher Reproduktion. Die Frage nach der »Regierung« ermögliche zu fragen, wie »Herrschaftstechniken sich mit ‚Technologien des Selbst’ verknüpfen« (Lemke u.a. 2000, 8). Der Begriff der Führung wird bestimmt als Tätigkeit des Anführens anderer und als Weise des Sich-Verhaltens in einem Feld von Möglichkeiten (vgl. 2000, 28). Herrschaft und Freiheit werden also nicht äußerlich gegenübergestellt. Damit sollen die handelnden Subjekte als nicht determiniert, vielmehr auch Widerstand denkbar werden (Lemke 1997, 310).

Allerdings tritt in den konkreten Untersuchungen die Perspektive der Subjekte wieder zurück: Die neue Form der Regierung besteht in der »Erfindung und Förderung von Selbsttechnologien, die an Regierungsziele gekoppelt werden können« (Lemke u.a. 2000, 29). Dabei werde die postulierte Freiheit in die Forderung eingehegt, »einen spezifischen Gebrauch von diesen ‚Freiheiten’ zu machen, so dass die Freiheit zum Handeln sich oftmals in einen faktischen Zwang zum Handeln oder eine Entscheidungszumutung verwandelt« (30) und in herrschaftliches Handeln eingebunden wird. Die Wahl von Handlungsoptionen erscheinen als freier Wille, der vor allem dazu diene, dass die Einzelnen sich die Folgen ihres Handelns selbst zuzurechnen haben. »Wer es an Initiative, Anpassungsfähigkeit, Dynamik, Mobilität fehlen lässt, zeigt objektiv seine oder ihre Unfähigkeit, ein freies oder rationales Subjekt zu sein.« (Ebd.)

Dass die Möglichkeiten des Widerstands in den Analysen behauptet, aber nicht durchgeführt werden, hängt mit den subjekttheoretischen Grundlagen zusammen, auf denen Foucaults Gouvernementalitätsuntersuchungen basieren, der Subjekttheorie von Jacques Lacan. Dieser fasst das Grundverhältnis des Individuums zur Gesellschaft als von Entfremdung geprägt. Das »Spiegelstadium« (Lacan 1975, 64) gilt als Grundmodell der Beziehung von »Innenwelt und der Umwelt« (66): das Kleinstkind, das sich selbst gerade im Spiegel erkennen kann, sieht sich als Ichideal, als scheinbar über seinen Körper verfügend und denkt sich selbst nach diesem Vorbild, es »identifiziert« sich im psychoanalytischen Sinne, da es sich »durch die Aufnahme eines Bildes« verwandelt (64)[1]. Mit der Vollendung des Spiegelstadiums wird das Spiegelbild durch das Imago des Nächsten ersetzt (68), wird also zum Grundmodell sozialer Begegnungen. Da die Identifizierung mit einem Imago bereits vor dem Eintritt in die soziale Welt stattfindet, wird dies als »exemplarische Situation« (64), als erster und modellhafter Subjektivierungseffekt gefasst. Explizit wendet sich Lacan gegen die freudsche Vorstellung, das Ich sei einem Realitätsprinzip verpflichtet und rückt an dessen Stelle die »Verkennungsfunktion« (69). Sie ist die Grundlage, die Subjekte als dem Gesetz unterworfene, als von Signifikanten dominiert zu denken (vgl. 60). Die »Verkennung« liegt darin, dass das Subjekt sich darin selbst als Autonomes denkt und selbsttätig zu handeln scheint – dabei aber kontinuierlich durch das Gesetz konstituiert ist.

Hier knüpft Foucault an, wenn er argumentiert, vom Subjekt nicht zugunsten einer reinen Objektivität absehen zu wollen, sondern »die spezifischen Vorgänge einer Erfahrung zum Erscheinen zu bringen, in der das Subjekt und das Objekt sich im Verhältnis zueinander und abhängig voneinander ‚aus- und umbilden’« (Foucault 1984b, 780). Er will die Subjekte nicht als determiniert durch die Strukturen sehen, sondern als konstituiert durch ein von Strukturen ermöglichtes »Erfahrungsfeld« (ebd.), dass »durch Praktiken der Unterwerfung oder, auf autonomere Weise, durch Praktiken der Befreiung, der Freiheit konstituiert wird, […] selbstverständlich ausgehend von einer gewissen Anzahl von Regeln, Stilen, Konventionen, die man im kulturellen Milieu vorfindet« (Foucault 1984a, 906). Das historisch-konkrete Mensch-Welt-Verhältnis, das konkrete Ensemble gesellschaftlicher Denk- und Handlungsmöglichkeiten wird von ihm als historisch-konkrete Form der Subjektkonstitution gedacht. Unterschiedliche Konstellationen von Bedeutungen werden damit unvermittelt dem »Sein« der »Subjektseite« zugeschlagen: die Subjekte als widersprüchlich »zusammengesetzte« können sich schwerlich zu dieser Seinszuschreibung verhalten.

Trotz anderer Intentionen ist also bei Foucault und den ihm folgenden Gouvernementalitätsstudien der fragile Zusammenhang von gesellschaftlicher Bestimmtheit und subjektiver Bestimmung zu Gunsten des Moments der Bestimmtheit zurückgenommen. Da der zu Grunde liegende Subjektbegriff die Konstitution der Subjekte in den gesellschaftlichen Anforderungen und Anrufungen verortet, lässt sich das Verhältnis der Subjekte zu den Anforderungen analytisch kaum trennen. Analysen zur Subjektivität verbleiben so im Rahmen soziologischer Textanalysen, die in ihrer Bedeutung für die Praxisverhältnisse – von »oben« und »unten« – unaufgeklärt sind.

»Wie präzise und konkret man also auf gesellschaftstheoretischer Bezugsebene die Lebensbedingungen auch erfassen und erforschen mag, man erreicht auf diesem Wege niemals den Punkt, an dem die Handlungen/Befindlichkeit des Individuums als total durch diese Bedingungen determiniert betrachtet werden können: Das individuelle Subjekt entzieht sich als solches durch seine Möglichkeit des bewussten ‚Verhaltens’ zu den Bedingungen seiner vollständigen ‚Bedingtheit’.« (Holzkamp 1983, 345)

Zwar weist Bröckling darauf hin, dass die Anrufungen des unternehmerischen Selbst auch vor jenen nicht halt machen, »in deren Ohren die Erfolgsverheißungen wie blanker Hohn klingen müssen, weil ihnen ihre Überflüssigkeit tagtäglich vor Augen geführt wird« (zit. nach Müller 2003, 103). Doch wie diese »Überflüssigen« sich zu den Zumutungen des Diskurses verhalten, bleibt ohne Interesse.

Struktur und Handlung im neuen Kapitalismus

Demgegenüber bietet die Begrifflichkeit der Kritischen Psychologie einen analytischen Zugang, der erlaubt, weder die gesellschaftlichen Zwänge und Nahelegungen noch die Möglichkeiten der Subjekte, sich dazu – unterschiedlich – zu verhalten, zu suspendieren. Die entsprechenden Begriffe können als auf zwei »Achsen« angeordnet gedacht werden: Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Existenz sind die im Durchschnitt für die gesellschaftliche Reproduktion zu erbringenden Handlungen nicht subjektive Zwänge, sondern Handlungsmöglichkeiten. Aus welchen subjektiv akzentuierten Aspekten der gesellschaftlichen Bedeutungen (= Prämissen) heraus das Handeln subjektiv begründet ist und intersubjektiv verständlich gemacht werden kann, ist eine zentrale Frage kritisch-psychologischer Aktualempirie[2]. Da Gründe immer erster Person sind, kann ihre Erforschung sich nur in einem kooperativen Setting realisieren, in dem die Subjekte nicht auf der Seite der Beforschten, sondern der Forschenden stehen; Gegenstand der Forschung ist die Welt, wie sie sich ihnen darstellt.

Diese allgemeinen Bestimmungen werden ergänzt durch Begriffe, die die spezifischen Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung in den Blick rücken (können) sollen. »Mit den Marxschen Begriffen von Wert, Mehrwert, Lohn, etc. werden allgemeinste Strukturmerkmale der bürgerlichen Gesellschaft erhoben. […] Diese allgemeinen, auf grundlegende Strukturmerkmale hin analysierten gesellschaftlichen Bedingungen werden sodann auf ihre dem Individuum zugewandte Seite hin beleuchtet. Dies vollzieht sich auf den begrifflichen Ebenen der Lage/Position, Bedeutungen/Denkformen auf der »Weltseite« und Handlungsfähigkeit und deren psychische Funktionsaspekten auf der Individuumsseite.« (Kaindl 1998, 18)

Die Begriffe »restriktive / verallgemeinerte Handlungsfähigkeit« und die damit verbundenen Funktionsaspekte (Deuten/Begreifen, Innerlichkeit/verallgemeinerte Emotionalität, innerer Zwang/ Motivation, Instrumentalbeziehungen / intersubjektive Beziehungen) dienen zur inhaltlichen Qualifizierung von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen. Mithilfe der Begriffspaare soll die Frage ermöglich werden, unter welchen Prämissen Handlungsfähigkeit im Rahmen »der bestehenden Handlungsmöglichkeiten, damit Machtverhältnisse« (Holzkamp 1983, 372, Hervorh. entf., CK) realisiert wird und wie die »Daseinserfüllung gebrochen [ist] durch den Verwertungsstandpunkt des Kapitals, den man im Verzicht auf die unmittelbar-kooperative Erweiterung der Verfügung über allgemeine Handlungsmöglichkeiten letztlich als eigenen Standpunkt übernommen hat« (ebd.).

In die Kategorien der Handlungsfähigkeiten sind also bestimmte Aspekte der »Formationsspezifik« (204) der kapitalistischen Vergesellschaftungsform eingegangen. Damit ist keine Vorentscheidung getroffen, ob diese Dimensionen in konkreten Prämissen-Gründe-Zusammenhängen relevant sind, lediglich die konzeptionellen Denk- und Analysemöglichkeiten werden eröffnet. Die Notwendigkeit einer bestimmten Fragerichtung im Rahmen der analytischen Kategorien verdankt sich der Unterscheidung von Struktur und Erfahrung, wie sie von Holzkamp (1984) herausgearbeitet worden ist und an der Unterscheidung von Gesellschaft und Sozialität bzw. von anschaulichen und nicht anschaulichen Aspekten von Erfahrbarem verdeutlicht werden kann: »Die Gesellschaft ist zwar ein reales System, durch das die Lebenserhaltung des einzelnen vermittelt ist; Gesellschaft als System ist aber für sich kein anschaulicher, unmittelbarer Erfahrungstatbestand. Gesellschaftliche Verhältnisse strukturieren, vermittelt über verschiedene – auch i.e.S. institutionelle – Subsysteme, Lebenstätigkeiten und Denkweisen der Gesellschaftsmitglieder, diese Strukturiertheit ist selber aber nicht anschaulich, sondern, wenn man so will, ‘rekonstruktiv’ […]. Was hier zu rekonstruieren ist, ist der Vermittlungszusammenhang zwischen unmittelbarer Lebenswelt und dem diese umgreifenden und strukturierenden gesellschaftlichen System. In unserem Zusammenhang zentral ist, dass das gesellschaftliche System und seine institutionellen Subsysteme auch die in ihrer lebensweltlichen Unmittelbarkeit durchaus anschaulich anmutenden sozialen Beziehungen – unanschaulich – strukturieren. ‘Anschauliche’ soziale Beziehungen gehen in ihrer Anschaulichkeit nicht auf.« (Markard/Kaindl 1996, 23)

Es geht also nicht um Klassifikation von Handlungen oder Menschen, sondern um Begriffe zur Selbstaufklärung in widersprüchlichen Situationen. Die Widersprüchlichkeit soll gerade durch die polaren Begriffe als Widersprüche formulierbar werden. Darin erfüllt der »Begriffspol« der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit die Funktion eines utopischen Korrektivs, vor dem fassbar werden soll, wie im »Versuch der Lebensbewältigung/Bedrohungsabwehr in widersprüchlicher Weise gleichzeitig die eigenen, verallgemeinerten Lebensinteressen verletzt werden können« (Holzkamp 1990, 38). »Nahelegung« bedeutet, die Subjekte haben »gute Gründe«, sich im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit »einzurichten«. Dies ist ein Gegenkonzept zu Vorstellungen, die die Unterordnung der Subjekte in deren Natur verlagern, die Subjekte somit als defizitär, krank oder verblendet denken, weil sie ihre »objektiven Interessen« nicht zu realisieren scheinen. Da kapitalistische Vergesellschaftungsformen immer auf einer Gleichzeitigkeit von Freiheit und Ausbeutung, Unterwerfung und Einbindung, Ausschluss und Beteiligung funktionieren, wäre es abstrakt zu behaupten, die Menschen handelten gegen ihre Interessen, wenn sie sich nicht gegen diese Verhältnisse auflehnten. Gleichzeitig bedarf es einer Denkmöglichkeit der Überschreitung der widersprüchlichen Verhältnisse, ein Korrektiv, vor dem die Begrenzungen der Verhältnisse und die psychischen Kosten der Unterordnung fassbar werden. Der Grundgedanke, sozusagen die einzige Vorannahme bezüglich der Interessen und Bedürfnisse der Menschen ist, dass sie ihren Interessen – wie sie sie wahrnehmen – nicht bewusst entgegenhandeln und dass sie zur Absicherung ihrer Lebensmöglichkeiten auf den gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang verwiesen sind. Für die Analyse konkreter Handlungsräume sind konkrete Gesellschafts-, Struktur-, Institutions- und Bedeutungsanalysen auf die darin nahe gelegten Denkmöglichkeiten und Handlungsgründe notwendig. In diesen Zusammenhang gehören auch Analysen um Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Formation.

Produktions- und Lebensweise

Zu diesen Bedeutungsanalysen können die Gouvernementalitätsstudien Beiträge leisten, wenn ihre subjekttheoretischen Verkürzungen neu gefasst werden. Für aktualempirische Begründungsanalysen können sie Hinweise liefern, ob und inwiefern die analysierten Denkformen zum Tragen kommen, wie die Situationswahrnehmung durch sie strukturiert und sie in die Handlungsprämissen der Betroffenen eingegangen sind[3]. Darüber hinaus ist zu überlegen, welche anderen Analysen der veränderten Subjektanforderungen aufgegriffen werden können, deren subjekttheoretische Implikationen ein Anknüpfen kritisch-psychologischer Fragestellungen nach subjektiven Handlungsmöglichkeiten leichter ermöglichen.

Gleichzeitig sind auch gesellschaftsanalytische Schwächen der Gouvernemtalitätsstudien aufzuzeigen, die ebenfalls reinterpretativ aufzuheben sind: Die Ausweitung des TQM auf Non-Profit-Unternehmen, Pflegeberufe etc. kann als Indiz genommen werden, dass zunehmend Menschen mit den darin präsentierten (und von den Gouvernementaltitätsstudien analysierten) Denkformen konfrontiert werden. Die Gouvernementalitätsansätze können allerdings die Frage, warum sich diese Denkweisen gesellschaftlich ausbreiten, nur schwer bearbeiten. Die Bedeutung der neuen Managementstrategien für die Transformationen der Produktionsweise zu einem transnationalen High-Tech-Kapitalismus bleibt unterbeleuchtet. Diese gesellschaftsanalytische Schwäche zieht auch subjektwissenschaftliche Probleme nach sich: Die Widersprüchlichkeit der Bedeutungen, ihre Eingelassenheit in antagonistische Interessenkonstellationen können so nicht analysiert werden. Alternativ können mit Gramscis Konzept der Produktions- und Lebensweise Verwertungsstrukturen und die Hervorbringung der sozialen und subjektiven Verhältnisse, die diese lebbar machen, zusammengedacht werden. Dadurch können die neuen Subjektorientierungen als Aspekt neuer Organisationen von Arbeit und politischer Umarbeitung und beides als Teil des Kampfes um neue Lebensweisen verstanden werden[4]. Entsprechend sind auch die neuen Anforderungen an die Subjekte nicht allein Teil eines Herrschafts- sondern auch des Verwertungsprozesses.

Die Gouvernementalitätsstudien leisten Bedeutungsanalysen vorfindlicher Konzepte, die das Denken und Handeln strukturieren können und sollen. Über die Relevanz, Verbreitetheit, »Geltungsbereich« können sie nichts aussagen. Auch erscheinen die Vermittlungen der präsentierten Denkformen gänzlich unaufgeklärt, soweit sie sich nicht auf den Buchmarkt beziehen. Im Folgenden sollen einige Untersuchungen der gegenwärtigen Anforderungen vorgestellt werden, die strukturell ebenfalls als Bedeutungsanalysen gelten können, aber aufgrund ihrer inhaltlichen Ausrichtung besser geeignet scheinen, die Eingelassenheit in die Widersprüche der Produktionsweise einerseits und die Perspektive aktiver Übernahme (damit auch der potenziellen Zurückweisung) der produzierten Nahelegungen durch die Subjekte (und die aktive Nahelegung, Vermittlung und Umarbeitung der Anforderung) andererseits aufzugreifen.

Deutlich konkreter sind hier etwa die Überlegungen von Boltanski/Chiapello, die die Veränderung der rechtlichen Verhältnisse und der politischen Kräfteverhältnisse rekonstrukieren (vgl. etwa 2003, 250ff). Mit ihren Studien zum »neuen Geist des Kapitalismus« unterziehen sie ebenfalls Management-Literatur einer (quantitativen) Auswertung, verbinden diese im Unterschied zu Bröckling u.a. aber mit Analysen zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Feld (der Kritik) des Kapitalismus (vgl. Baratella/Rehmann 2005). Die Legitimität des neuen »Geistes« – in Anlehnung an Max Webers protestantische Ethik verstanden – und der mit ihm einhergehenden Gerechtigkeitsnormen wird als Prozess der Entpolitisierung der Sozialkritik der 68er und ihre Ablösung durch eine wiederum gescheiterte Künstlerkritik gefasst, die der Integration ihrer Forderungen nach Kreativität und Autonomie in den Unternehmerdiskurs nichts entgegen zu setzen hatte (vgl. 2003, 375f). Es werden also verschiedene gesellschaftliche Vermittlungsprozesse im Zusammenhang mit der Verbreitung, Anwendung und Durchsetzung neuer Subjekttechnologien betrachtet.

Vermittlungsleistungen sehen sie z.B. bei den neuen Unternehmensberatern und Jungmanagern, die sich »mit der Machtkritik Foucaults [auskannten], wussten, wie die gewerkschaftliche Machtusurpation bloßgestellt werden konnte, [sie] waren Experten, wenn es galt, jegliches autoritäre Chefgebaren, gerade auf unteren Hierarchiestufen in die Schranken zu weisen« (2003, 253). So werden sie zu kleinen organischen Intellektuellen des Kapitals, den »Organisatoren des Vertrauens« (Gef. H. 12, §1, 1479) im Betrieb. Mit dieser Schilderung wird deutlicher, wie die neuen Denkweisen in die Möglichkeitsräume der Einzelnen »hineinragen«, wie sie ihnen als Prämissen für Denk- und Handlungsbegründungen nahe gelegt werden.

Als Bedeutungen sind sie die den Subjekten zugewandte Seite der Verhältnisse, die aber eben nicht »stumm« sind, sondern ihrer Interpreten und Übersetzer bedürfen, die die Brücken ins individuelle Handeln hinein bauen. Dabei sind sie gleichzeitig immer widersprüchlich, und es finden sich in ihnen Spuren früherer und gegenwärtiger Kämpfe, die über das Bestehende hinausweisen. Sie sind also in Kräfteverhältnisse eingelassen, die ebenfalls eine »subjektive Seite« haben. Dies soll im Folgenden näher untersucht werden:

Vergleichbar mit dem TQM sind die Anforderungen, die mit den so genannten »Hartz-Reformen« den Subjekten vermittelt werden. Sie verallgemeinern diese zu umfassenden gesellschaftlichen Leitbildern und begünstigen so die Herausbildung einer neuen Lebensweise durch Bereitstellung entsprechender Denkformen (vgl. Candeias 2004a, 595).

Der Bericht der Hartzkommission endet mit einem Aufruf an zivilgesellschaftliche Akteure – hier genannt die »Profis der Nation«, von Journalisten und Kulturschaffenden über Sozialarbeiter bis zu Unternehmen und Politik -, sich an der Verbreitung von Problemsicht und Lösungsansätzen zu beteiligen; die Aktivierung der Einzelnen wird ergänzt durch die Aktivierung der Zivilgesellschaft:

»Unser Ziel soll es sein, die in unserer Gesellschaft vorhandenen vielfältigen Kompetenzen zu aktivieren und auf das gemeinsame Ziel hin auszurichten. [… Jeder ist] gefordert, sich auf sein spezifisches Können und auf seine Stärken zu konzentrieren und mit anzupacken, wo immer es geht.« (Hartz u.a. 2002, 34)

Die neue »Anspruchshaltung« und die Kompetenzen der neuen Selbstführung werden hier verstanden als Projekt, das auf Vermittler in politischer und Zivilgesellschaft angewiesen ist – statt wie in den Gouvernementalitätsstudien nahe gelegt als geheimnisvoller Automatismus zu wirken. Auch die Versuche einer institutionellen Erzwingung der »Selbstführung« sind in ihren Bedeutungen als Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu fassen. Für Menschen aber, die existenziell auf die Leistungen der Arbeitsagentur angewiesen sind, ist es notwendig, deren Anforderungen in ihren Prämissen zu berücksichtigen. Dabei ist auch hier noch nichts darüber ausgesagt, in welcher Weise und in welchem Ausmaße sie in die Handlungsbegründungen eingehen; was die Menschen also tun und wie sie sich fühlen, kann auch von dieser Vermittlungsebene aus nicht gesagt werden. Es zeichnen sich aber weiterführende Fragen ab, die die Konstellation als eine von Kräfteverhältnissen weiter ausleuchten würden: gibt es Initiativen, die den Einzelnen mit Wissen, Strategien und Unterstützung die kritische Auseinandersetzung mit solchen Zumutung ermöglichen? Organisieren sich die Betroffenen gegen die Zumutungen? Gelingt es den Angestellten der Arbeitsagentur, den Betroffenen die neuen Anforderungen in konkrete Handlungsanweisungen zu übersetzen so, dass sie sie mit ihrer bisherigen Lebensführung verbinden können? Gibt es Kräfte (Medien, Personen des öffentlichen Interesses, Kirchen oder andere Institutionen der Zivilgesellschaft), die die Berechtigung der neuen Zumutungen in Frage stellen und alternative Vorstellungen von Sozialstaat und Vergesellschaftung repräsentieren?

Für die Frage der Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit sind diese Fragen relevant: inwieweit die Überschreitung restriktiver Bewältigungsweisen für die Einzelnen funktional werden kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob und wie (stark) diese Handlungs- und Denkmöglichkeiten in den Bedeutungszusammenhängen repräsentiert sind, »inwieweit für das Individuum eine gegenwärtige Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit nur auf kooperativem Wege in Richtung auf Verfügungserweiterung, Angstüberwindung« (Holzkamp 1983, 331f) überwindbar ist/erscheint. Holzkamp führt zur Verfolgung dieser Fragestellung den Begriff der »kooperativen Integration« (ebd.) ein: Da niemand seinen eigenen Interessen (wie er/sie sie wahrnimmt) zuwider handelt, kann eine Überschreitung nahe gelegter Formen nicht subjektiv funktional sein, wenn dies in den gesellschaftlichen Denkformen nicht repräsentiert ist und wenn das individueller Risiko nicht in einem (wie auch immer vermittelten) kooperativen Rahmen aufgefangen wird.[5]

Ähnlich hat Barbara Ehrenreich in einem Selbstversuch untersucht, wie diese Botschaften den Ausgespuckten des mittleren Managements vermittelt, ja eingepaukt werden, wenn sie wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen versuchen (2006). Die Betroffenen – und sie selbst – begeben sich in die Hände von »Coaches« (nicht selten PsychologInnen), geben viel Geld aus für den Besuch von Trainingskursen und für die Frisierung ihrer Lebensläufe und trainieren einzeln und in Gruppen, ihren persönlichen Misserfolg ausschließlich als Problem ihrer mangelnden Erfolgs-Ausstrahlung zu verstehen. Die Teilnehmer der Networking-Gruppen und »Bootcamps« werden zur »Siegerhaltung« angehalten, denn »eine positive Einstellung ‚zieht positive Ergebnisse an’ oder ‚erfüllt’ Wünsche« (92). Sich selbst als Verantwortliche ihres Lebens zu sehen, Probleme bei Arbeit und Arbeitssuche anzugehen indem man hinterfragt, wie man »sich selbst im Weg steht«, wird von vielen von Ehrenreichs Gesprächspartnern scheinbar unkritisch geteilt. Und zeigen die Schilderungen ihrer Erfahrungen der entsprechenden Trainings, dass die entsprechenden Denkweisen eben trainiert werden müssen und wie sie gegen zum Teil aufkommenden Widerstand oder zumindest Widerspruch der Teilnehmer durchgesetzt werden. Bis die Teilnehmenden bereit sind, die präsentierte Weltsicht – »Ihre persönliche Einstellung bestimmt letztlich, welchen Erfolg Ihre Stellensuche hat« (45) – zu Prämissen ihres Denkens und Handelns zu machen, bedarf es einiger Demütigungen, Übungen und psychologischer Spielchen. Denk- und Handlungsmöglichkeiten, die ein solidarisches Überschreiten der Nahelegung ermöglichen würden, sind weitestgehend abwesend. »Kooperative Integration« im Sinne der Wahrnehmung kollektiver Handlungsmöglichkeiten (oder –notwendigkeiten) kommen nicht einmal als Denkmöglichkeiten vor. Die Form der »Kooperation« oder gegenseitige Unterstützung wird – gänzlich über den Markt vermittelt – in der Form der »Networking«-Treffen selber gesehen, in denen die Einzelnen aber gnadenlos in Konkurrenz zueinander stehen. Dies kann nicht den Einzelnen in ihre »Beschränktheit« zugeschrieben werden, sondern als Hinweis auf den erbärmlichen Zustand von Konzepten wie Solidarität und Gesellschaftsveränderung und allgemein eines gegenhegemonialen Projektes gelesen werden kann, die offensichtlich nicht in die subjektiven Möglichkeitsräume »hineinragen«. Die scheinbar »bruchlose« Durchsetzung individualisierender Denkweisen wird reformulierbar als Frage an Hegemonialverhältnisse innerhalb der Bedeutungsstrukturen und Denkangebote, als Frage, inwieweit in den Bedeutungsstrukturen »auch Möglichkeiten der ideologischen Durchdringung des bloßen ›Man‹ unhinterfragter Normen zur Regulierung der Alltagshandlungen im Einklang mit den herrschenden Interessen« (Holzkamp 1983, 364) in Richtung auf die Wahrnehmung des Widerspruchs zwischen herrschenden Denkweisen und »je meinen« Interessen enthalten sind.

Dabei darf die Untersuchung restriktiver Funktionalität nicht aus den Augen verlieren, dass die Betroffenen vielfach durchaus wohlverstandene, eigene Interessen verfolgen, die auch mit den Freiheitsgraden zusammen hängen, die sich in der neuen Produktionsweise mit gesteigerten Leistungsanforderungen und Verdichtungen von Arbeitsprozesse verbinden. Im Rahmen der Studie »Gesellschaft mit beschränkter Haftung« (Schultheis/Schulz 2005), die sich im Anschluss an Bourdieus »Elend der Welt« (Bourdieu u.a. 1997) mit den subjektiven Verarbeitungen der gesellschaftlichen Veränderungen befasst, können ähnliche Denkweisen und Begründungsfiguren der Betroffenen gezeigt werden, wie sie in Ehrenreichs Analysen auftreten. So äußern die weitgehend prekär lebenden und arbeitenden – Kulturschaffenden, wie wichtig es sei, dauernd von »geplanten oder bevorstehenden Projekten zu berichten, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, man befinde sich in einer Notsituation und suche verzweifelt nach einer Anschlussmöglichkeit, denn bedürftig zu sein und zu wirken kann […] die Chancen, die man auf dem Markt der symbolischen Güter hat, empfindlich reduzieren« (Böhmler/Scheiffele 2005, 443). Ähnliche Empfehlungen wurden den Teilnehmenden in Ehrenreichs Networking-Treffen gegeben: sie sollen »ein Bettler mit einer großartigen Geschichte« (Ehrenreich 2006, 98) sein, aus einer Krankheit einen Pluspunkt machen, »der Sie in günstigem Licht erscheinen lässt« (ebd.). Zentral aber sei, sich von der »Opfermentalität« (96) zu lösen und sich selbst als »Marke« (28) zu sehen und eben als Macher des eigenen Lebenslaufs. Auch die deutschen Kulturschaffenden sehen sich ähnlichen Anforderungen gegenüber: »In gewisser Weise ist das ein Skandal, […] dass man in diesem Kunstbereich aber trotzdem von den Arbeitstätigkeiten her so ein Machertyp sein muss.« (Böhmler/Scheiffele 2005, 438)

Trotz der hier angedeuteten Kritik ist ein ironisch-distanziertes Bewegen innerhalb der neoliberalen Anforderungen für die Kulturschaffenden bezeichnend. So nehmen sie Prekarität »sportlich« als »Herausforderung«, was gleichzeitig bedeutet, dass die Gescheiterten »unversehens auf der Seite der ‚Unengagierten’« landen – das Scheitern wird fast immer auf sich selbst zurückbezogen« (442).

Die Kulturschaffenden müssen bereit und in der Lage sein, sich emotional in die Situation von guter Laune und psychischer Robustheit zu versetzen, um auf dem Markt, der als Freizeitvergnügen daherkommt, bestehen zu können. Das Folgende bezieht sich auf Ausstellungseröffnungen:

»Das heißt, man muss sich bei solchen Gelegenheiten nicht nur sehen lassen, Präsenz zeigen sich um Gespräche bemühen (wobei das Bemühen natürlich nicht spürbar sein darf!), sondern man muss auch alles daran setzen, Lust zu haben und sich wohl zu fühlen, denn wer sich nicht wohl fühlt, hat an einem Abend auch keinen Erfolg.« (437)

Was zunächst wie Freiheit und Selbstbestimmung klingt (‚Wenn ich jetzt müde bin und keine Lust habe, gehe ich auch nicht auf Galerienrundgang’), wird unversehens zu Zwang und Selbstdisziplinierung (‚wobei ich natürlich gucke, dass ich dann nicht müde bin und keine Lust habe, weil ich ja in gewisser Weise muss’). Gleichzeitig ist die Selbsttätigkeit und die leidenschaftliche Bindung an das eigene Projekt nicht nur ein ‚Trick’, sondern kann auch ein Stück Rückgewinnung von fragmentierten Arbeitsabläufen bedeuten, es klingt darin eine Zurückdrängung der Trennung von Arbeit und Leben an. Zwar kommt dem Kampf um die Grenzen des Arbeitstages im Kapitalismus zentrale Bedeutung zu, nicht zuletzt weil darin die unterschiedlichen Interessen von Kapital und Arbeit gesellschaftlich anerkannt werden. In der Überwindung dieser unterschiedlichen Interessen und der damit verbundenen Erfahrung, sich »erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich« zu fühlen (MEW Ergänzungsband1, 514), liegt aber die eigentliche utopische Perspektive. Neoliberalen Politiken schlage aus diesem utopischen Funken Kapital, indem sie seine Realisierung im Rahmen der aktuellen Produktionsweise behaupten und dahinter die weiter bestehenden unterschiedlichen Interessen verschwinden lassen.

Trainings in restriktiver Handlungsfähigkeit?

Der Emotionalität kommt im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit eine zentrale Rolle zu: Die Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit sieht Holzkamp potenziell durch die emotionale Wertung gefährdet: dabei geht er davon aus, dass die »Gefährlichkeit« der Emotionen darin liegt, dass die Widersprüchlichkeit restriktiver Handlungsfähigkeit sich in ihr wie immer gebrochen niederschlagen würde, auch wenn diese im deutenden Denken durch »Isolation von Widerspruchspolen, Eliminierung der auf der Erscheinungsebene gegebenen und verborgenen umfassenden Zusammenhänge« (Holzkamp 1983, 403) unerfassbar sei. »Die Befindlichkeit[6] restriktiver Handlungsfähigkeit kann mithin charakterisiert werden durch einen essenziellen Widerspruch zwischen kognitiver und emotionaler Weltbegegnung und Realitätsbeziehung.« (Ebd.) Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die eigene Emotionalität in ihrer erkenntisleitenden Funktion aufzuschlüsseln. Gleichzeitig liegt darin eine innere – innerpsychische – Bedrohung der subjektiven Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit: indem sie brüchig wird, könnten die Handlungsimpulse wahrnehmbar werden, die einen Konflikt mit herrschaftlichen Instanzen bedeuten würden. Daraus erklärten sich die »Verkürzungen und Formierungen der Emotionalität als Funktionsaspekt restriktiver Handlungsfähigkeiten (404): Sie liegt vor allem in der Dissoziation der Emotionen von je meinen wahrgenommenen Lebensbedingungen, deren Wertung sie sind. Der Zusammenhang zwischen emotionalem Ungenügen und den gesellschaftlichen Verhältnissen wird unbewusst gehalten. Das führt einerseits zu einer »scheinhaften ‚Verinnerlichung’ der Emotionalität als von den realen Lebensbedingungen isolierter, bloß ‚subjektiver’ Zustand des je einzelnen Individuums« und andererseits zur „‚Entemotionalisierung’, d.h. Zurückgenommenheit und Unengagiertheit des Handelns« (ebd.). Durch diese Dissoziation erhalten die Gefühle eine Dunkelheit und Unklarheit, die »häufig als Qualität besonderer ‚Tiefe’ des personalen Erlebens« mystifiziert wird (ebd.). Holzkamp verweist hier auf Alltagsdiskurse – die Gegenüberstellung von »Kopf« und »Bauch«, den Rückzug in Innerlichkeiten als eigentliches Menschsein – wie wissenschaftliche Theorienbildungen, die diese Trennung reproduzieren (vgl. (H.-Osterkamp 1976; Osterkamp 1999).

Im neoliberalen Mobilisierungsdiskurs wird alles das an die Oberfläche geholt: die Gefühle sind wieder »profanisiert«, weltlich und jederzeit einsetzbar. Sie werden (auch hier) keineswegs als Bewertung der Situation gedacht, sondern müssen unabhängig davon zum Handeln unter fremd gesetzten Zielen befähigen, sind Teil von Selbstinstrumentalisierungen, die die geforderten Haltungen – aktiv, kreativ, demütig – bereitstellen können. Entsprechend verschieben sich auch die Erscheinungsweisen restriktiver Motivation (Holzkamp 1983, 411ff): es geht weniger darum, fest stehende Ziele und Verhaltensweisen zu oktroyieren, als vielmehr die Subjekte zu mobilisieren, sich die von anderen definierten Probleme selbständig zu eigen zu machen bzw. selbst aus den sachlichen Gegebenheiten abzuleiten, ihre Kreativität und Individualität in diese Prozesses einzubringen und eigenständig Verwertungsmöglichkeiten zu eröffnen.[7] Als Technik, um diese Bereitstellung von Emotionen zu bewerkstelligen, dient etwa das Neurolinguistische Programmieren (NLP), in dem quasi eine Selbstkonditionierung von Gefühlen trainiert wird. NLP hat verschiedene Konzepte in sich aufgenommen, unter anderem die Theatertechniken von Stanislawsi und Strasberg – auch hier geht es darum, die eigenen Gefühle in diesem Falle für die Bühne quasi als »Kapital« für die Modellierung von Theaterszenen nutzbar zu machen. Entsprechend lernt man nicht, so zu tun, wie die Person, die man in einer Szene darstellt, versetzt sich in diesem Sinne nicht zuforderst in andere Personen hinein, sondern man ergründet, um welche Emotionen es in der Szene geht, erforscht, wann man selbst solche Gefühle hatte – und trainiert, die damit verbundenen Ausdrucksformen durch Aktualisierung der Situation und ihrer Gefühle darzustellen. Dieser Grundgedanke durchzieht die Unmengen von Management- und Selbstmanagement-Literatur, die den Markt überschwemmen; er taucht bei Hartz’ Job-Revolution auf, wenn er schreibt: »Wir springen auf eine dritte Achse im Raum der Möglichkeiten: Emotionalität. Was fühlen wir? Hinter dem Begriff Qualität steckt die Suche nach den Grenzen der Empfindung. Emotion wird zu Kapital.« (57)

An anderer Stelle (Kaindl 2005) habe ich zu zeigen versucht, wie dieses neue Emotionalitäts- und Motivationsdispositiv bis in den (alltags)kulturellen Betrieb hinein Verbreitung und Promotion findet – so etwa, wenn in Castings- und Reality-Shows die Herausbildung von Lebensweisen unmittelbar zum Thema gemacht wird. Seine Träume verwirklicht, wer ausreichend dafür kämpft, umgekehrt hat, wer scheitert, nicht genug gearbeitet. Selbstverantwortung und erhöhte Zumutbarkeit treffen auf die Versprechen einer Realisierung der eigenen Wünsche – und der eigenen Person am Markt. Die »Coaches« der Castingshows erscheinen gleichzeitig als erbarmungslose Repräsentanten von Marktgängigkeit und (darauf bezogener) Qualität einerseits und als Vermittler von »begeisternde[n] ‚Visionen’«, die »die Menschen mitreißen« (Boltanski/Chiapello 2003, 497). Durch formelhafte Wiederholungen von nahe gelegten Denk- und Handlungsweisen werden Begründungsmuster zur Verfügung gestellt, die über die Herausbildung einer verallgemeinerten ‚Haltung’ – Lernhaltung, Arbeitshaltung, Erwartungshaltung etc. – relativ kohärente Erklärungen und Selbstthematisierungen ermöglichen.

Eine Herausforderung, die Definition von Fremd- und Eigeninteresse neu zu durchdenken, ergibt sich aus der hegemonialen Ausstrahlung und Wirkmacht neoliberaler Konzepte; sie organisieren hegemoniale Resonanz für das ganze neoliberale Forderungspaket, indem sie radikale Kritik an fordistischen Verhältnissen in den Vordergrund stellen und damit an Erfahrungen von Menschen anknüpfen, die fordistische Verhältnisse als in vieler Hinsicht restriktiv erfahren haben und sich daher aktiv in Projekte einbringen (wollen), in denen sie sich von diesen Restriktionen – allerdings in neoliberaler Perspektive – befreien. Zumindest die ‚Hochglanzbereiche’ neoliberaler Anforderungen treffen auf einen Alltagsverstand, der Fremdbestimmung noch stark mit fordistischer Bevormundung, dem ‚stählernen Gehäuse der Hörigkeit’ (Max Weber) verbindet.

Im Kontrast zu den Hochglanzgeschichten steht das Leiden derjenigen, denen die Selbstmobilisierung nicht gelingt oder die trotz Selbstmobilisierung keinen Erfolg haben – und dies dann wieder auf sich zurück beziehen. Sie zeigen sich in den Erschöpfungsdepressionen der Überarbeiteten (Steinrücke 2005, 205), »Schlafstörungen, das Grübeln, das nächtliche Erwachen« (200), die zur Therapie ihrer psychischen Leiden ihrer Therapeutin »ihre Aktenordner mit ihren hunderten von Bewerbungen [mitbringen], weil sie mir zeigen wollen, was sie gemacht haben, dass sie nicht schwindeln und dass sie sich wirklich so viel Mühe gegeben haben« (203). Entsprechend analysiert etwa Alain Ehrenberg die Ausweitung depressiver Erkrankungen im Zusammenhang der Verschiebung von auf Verboten basierenden fordistischen Vergesellschaftungsformen zugunsten der neoliberalen Forderung »man selbst zu werden« (Ehrenberg 2004) und eine Verschiebung innerhalb des Erscheinungsbildes der Depression von der trauriger Verstimmtheit zu »einer Handlungsstörung und das in einem Kontext, in dem die persönliche Initiative zum Maß der Person wird« (13).

Angst ist die dauernde Hintergrundqualität restriktiver Emotionalität, die dadurch generell »widersprüchlich, gebrochen, abgestanden« (Holzkamp 1983, 406) ist, jeder »Lebensgenuss [wird] eingetrübt, grau eingefärbt, zersetzt« (407). Im aktuellen Mobilisierungsdiskurs scheint die Angst hinter dem Diskurs der Selbstverwirklichung zu verschwinden, durch die existenzielle Verwiesenheit auf den Markt, an dem sich die Selbstverwirklichung realisieren muss, bleibt sie aber »Hintergrundthema«[8]. Durch kognitive Umorientierung in einem »alltäglichen NLP« soll nahe gelegt werden, die Emotionen von Angst und Erschöpfung von der Bewertung der Situation entkoppelt als durch »Arbeit an sich selbst« zu lösendes Problem zu sehen. Dass die Modulation der Emotionen nicht bruchlos gelingt, verweist im besten Falle auf die brüchige Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit und die »gefährliche Seite« der Emotionen. Der Mobilisierungsdiskurs kann auch als Versuch gelesen werden, diese Gefahr »zu bannen«, indem die eigenen Gefühle in die (Selbst-)Verantwortung der Subjekte gestellt werden, so dass sie selbst dann »Herr im eigenen Hause [sind], wenn es brennt« (Illouz 2006, 75). Durch eine bewusste Wieder-Aneignung der »gefährlichen Seite« der Emotionalität würde der Blick wieder frei für Wiedergewinnung von Handlungsfähigkeit und damit Emotionalität, in der die Verwickeltheit der eigenen Interessen mit denen des Marktes aufgegriffen und entwirrt werden kann und für veränderndes Handeln jenseits der Konkurrenz genutzt werden kann – »mithin in der Gerichtetheit auf die Schaffung von Bedingungen ‚menschlicher’ Lebenserfüllung/Bedürfnisbefriedigung, gleichzeitig Gewinnung von Entschiedenheit, Fülle und Angstfreiheit gegenwärtiger Emotionalität« (Holzkamp 1983, 410). Dies ist aber keine Frage individueller Mobilisierung und »Fitness«, sondern eine Frage von Gegenmacht: Das würde bedeuten, alternative Denk- und Handlungsmöglichkeiten in Richtung auf Zurückweisen von Personalisierungen und unhinterfragten Übernahmen gesellschaftlicher Zumutungen zu stärken und die Diskurse um Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung der hegemonialen Verwiesenheit auf den Markt zu entwinden, um Perspektiven für solidarische kollektive Formen der Selbstbestimmung zu eröffnen.

Literatur

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Steinrücke, Margarete (2005): Soziales Elend als psychisches Elend. In Franz Schultheis & Kristina Schulz (Hg.), Gesellschaft mit begrenzter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag (S. 198-208). Konstanz.

Endnoten:

[1]

Die von Lacan beschriebene »jubilatorische Geschäftigkeit« (Lacan 1975, 63) des Säuglings beim Anblick seines Spiegelbildes und den damit verbundenen Gesten, die das Verhältnis von Wahrgenommenem und Realität untersuchten, ließe sich ohne den »psychoanalytischen Deutungsüberschuss« als Begeisterung über die wachsende Verfügung über den eigenen Körper und die Bewegungsabläufe und damit den zunehmenden »Welt»ausgriff interpretieren. Gerade Lacans Argument, dass die Säuglinge in diesem Stadium über ihre motorischen Fähigkeiten noch nicht vollständig verfügen, könnte ihre Begeisterung angesichts des Momentes von Selbst-Erkenntnis im Spiegel plausibel machen.

[2]

»Aktualempirie« meint was gemeinhin allgemein unter »Empirie« gefasst wird, datengestützte Untersuchungen, die sich auf aktuelle Problemzusammenhänge beziehen. Die Betonung ergibt sich aus der Herangehensweise Kritischer Psychologie, die analytischen Begriffe, mit denen aktualempirisch gearbeitet wird, nicht als Übereinkunft zwischen WissenschaftlerInnen zu definieren, sondern in Auseinandersetzung mit historischen Daten zu entwickeln (vgl. Holzkamp 1983, 19f).

[3]

Im Forschungs- und Beratungsprozess sind die Analysen in umgekehrter Richtung angeordnet: vom konkreten Problem ausgehend ist zu entscheiden, welche Bedeutungsebenen in die jeweiligen Prämissen eingegangen sind. Darin müssen allerdings vorgängige Analysen über die Widersprüche der Bedeutungen eingegangen sein, um nicht in der Unmittelbarkeit »hängen zu bleiben« und alternative Prämissen zur Problembearbeitung in Betracht ziehen zu können.

[4]

Dabei gilt auch hier, dass die Um- und Durchsetzung empirisch zu untersuchen wäre.

[5]

Dabei legen die veranschaulichenden Formulierungen in der Grundlegung der Psychologie eine Privilegierung der Organisationen der Arbeiterklasse nahe. Dies kann analytisch verstanden werden als Frage, inwieweit grundlegende Antagonismen im Rahmen kooperativer Integration angesprochen werden oder sie vor allem der Absicherung von Partialinteressen dient. Für konkrete Analysen wäre dies sinnvoll in die allgemeine Frage von Hegemonie und Gegenhegemonie aufzulösen, die in vorfindlichen Möglichkeitsräumen zu analysieren wären. »Parteilichkeit« in der Forschung / psychologischen Praxis könnte entsprechen bedeuten, mit den Betroffenen gemeinsam Möglichkeiten der Organisation und Beteiligung an gegenhegemonialen Projekten zu entwickeln, um die individuellen Risiken wie auch die Gefühle von Isoliertheit zu überwinden.

[6]

Der Begriff der personalen Befindlichkeit von Holzkamp unterscheidet sich vom alltagssprachlichen Gebrauch, der synonym zu »Stimmung« oder »Gefühl« verwendet wird; er bezeichnet den »Inbegriff von Handlungsmöglichkeiten, wie sie ‚je mir’ gegeben sind«, sowohl »von mir erfahrene Handlungsmöglichkeiten, die in meinen ‚äußeren’ Lebensbedingungen liegen, wie auch von mir erfahrene Handlungsmöglichkeiten, die in meiner Person, meinen Handlungsbereitschaften, Fähigkeiten etc. liegen« (Holzkamp 1983, 334, Herv. entf., CK). Die »äußeren Fakten«, die die Handlungsmöglichkeiten begrenzen, »gehören dabei zwar einerseits als solche zur objektiven Realität außerhalb meiner Befindlichkeit, sie ‚ragen’ aber andererseits dennoch in diese hinein, da durch sie die Widerständigkeit der Realität sich in der eigenen Befindlichkeit Geltung verschafft« (ebd.). Individuelle Subjektivität wird als Handlungsfähigkeit entsprechend als »Verhältnis von ‚Potenzialität’ und ‚Faktizität’ charakterisiert« (335). Entsprechend unterscheidet Holzkamp einen situationalen vom »personalen Pol« (ebd.) je meiner Befindlichkeit; dazu gehören etwa Fähigkeiten, Wissen, (biografische) Erfahrungen, emotionale Wertungen, Bedürftigkeiten, soweit »sie vom Individuum in bewusstem ‚Verhalten zu sich selber erfahren werden« (336).

[7]

Die entsprechenden Formulierungen bei Holzkamp und Osterkamp stellen die Unterdrückung von Emotionen (im Rahmen ihrer Dissoziation von rationalen Bewertungen) in den Vordergrund. Dies scheint den spezifisch fordistischen Anforderungen geschuldet. In den aktuellen Anforderungen ist zwar die Unterdrückung bestimmter, ggf. der Bewertung der Situation geschuldeter Emotionen durchaus mitgedacht. Im Vordergrund steht aber, die eigenen Emotionen als Ressource für den (Selbst-)Verwertungsprozess zu sehen. Die Frage, was »restriktive« Emotionalität und Motivation bedeuten kann, ist also selbst auf Gesellschaftsanalysen über die Veränderungen herrschaftlicher Nahelegungen angewiesen.

[8]

In diesem Zusammenhang scheint wichtig, dass Prozac, das zum Synonym der neuen Antidepressiva und ihres Versprechens auf allzeit mögliche Selbstmobilisierung und Leistungsfähigkeit geworden ist, auch Angst hemmend wirkt.

Autorenhinweis

Christina Kaindl

Christina Kaindl, Jg. 1971, Dipl.-Psych., promoviert am FB Politikwissenschaften der FU Berlin zum Zusammenhang von Neoliberalismus und Rechtsextremismus. Lehrbeauftragte an der FH Stendal und der Charité Gesundheitsakademie. Veröffentlichungen: Subjekte im Neoliberalismus (Hg. und Verf., 2007); Kritische Wissenschaften im Neoliberalismus (Hg. und Verf., 2005); Kritische Psychologie und studentische Praxisforschung ( Mit-Hg. und Verf., 2000); Erkenntnis und Parteilichkeit. Kritische Psychologie als marxistische Subjektwissenschaft (Mit-Hg., 1998), etc. Arbeitsgebiete: Kritische Psychologie, extreme Rechte, Neoliberalismus, Reproduktionsbedingungen Kritische Wissenschaften, Mitarbeit in den Redaktionen von Das Argument und Forum Kritische Psychologie.

Christina Kaindl Dipl.-Psych. Dieffenbachstr. 72 D-10967 Berlin Tel.: +49 (0) 30 695 098 96

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