Geisteswissenschaften und Psychologie, zwei mögliche akademische Partner? Plädoyer für eine methodische Erforschung des geisteswissenschaftlichen Selbstverständnisses

Harald Weilnböck

Zusammenfassung

Entgegen vielfältiger Lippenbekenntnisse sind die akademisch verfassten Geisteswissenschaften derzeit weder in der Lage noch wirklich Willens, eine auch trans-philologische Interdisziplinarität z.B. mit handlungstheoretischen und psychologischen Fächern zu beschreiten. Wirkungsmächtige institutionelle Topoi der »ästhetischen Autonomie«, der »Unerklärlichkeit der Kunst« oder auch die Tabuisierung von psychologischer Figurenanalyse stehen dem entgegen. Allemal werden psychologische Begriffe quasi-religiös umgebogen, auf dass »das psychische Trauma«, weil ihm ontologische »Wahrheit« innewohnt, »unheilbar« und »dem Gedächtnis unzugänglich« bleiben müsse. Philologische Gutachten halten »innerpsychische Prozesse« für prinzipiell unerforschlich und sehen in Anträgen der psychologischen Literaturforschung den »speziellen Kunstcharakter der Werke« und das »geisteswissenschaftliche Deutungsmonopol« verletzt. Redundante Geisteswissenschaften-Debatten liebäugeln exotistisch mit den methodologisch inkommensurablen Naturwissenschaften oder verweisen auf konjunkturelle Spezialinteressen von »Medien-Kulturwissenschaften«, »Postkolonialismus«, »Hypertextualität« etc. – so auch das Bundesministerium im »Jahr der Geisteswissenschaften« (2007). Mittlerweile ist die Literaturpsychologie in den akademischen Philologien beinahe ausgestorben, und die zukunftsweisende Wissenschaftspolitik der EU bleibt im Deutschland der Re-Philologisierung noch weitgehend wirkungsschwach. Der Autor plädiert deshalb für die systematische organisationsanalytische Erforschung des Selbst-, Gegenstands- und Methodenverständnisses der Geisteswissenschaften mittels qualitativ-empirischer Verfahren.

Schüsselwörter: Trans-philologische Interdisziplinarität, Geisteswissenschaften-Debatten, Texttheorie versus Handlungstheorie, Literaturpsychologie, qualitative Institutionenforschung

Summary

Notwithstanding abundant lip-service, the humanities are presently neither sufficiently equipped nor truly willing to engage in trans-philological interdisciplinarity. Institutional key notions as »aesthetic autonomy« and »inexplicability of art« or the taboo of analysing fictional characters psychologically forestall any serious multi-methodological collaboration with psychological and empirical research. If at all, psychological concepts are appropriated and turned around so that »the trauma« in a quasi-religious way is held to contain ontological »truth« and therefore »has to remain incurable and inaccessible to the memory«. The anti-enlightenment latencies of this institutional habitus entail certain risks of research ethics. Nonetheless philological referees’ evaluations deem »inner-psychic processes un-researchable« and claim that psychological analyses of literature »violate the artistic character of aesthetic works« and contravene the humanities’ »institutional interpretation monopoly«. Redundant humanities’ debates entertain exotistic flirtations with the methodologically incompatible natural sciences, more progressive philologists stick to isolated interests as »media-culture studies«, »post-colonialism«, »hyper-textuality« – so does the federal ministry for research and education when proclaiming the »Year of the Humanities« in 2007. Meanwhile psychological analysis of literature is almost extinct academically, and the promising research policies of the EU still have but quite feeble effects in the Germany of re-philologization. Therefore, the author proposes to engage in systematic qualitative-empirical (self-)research on how humanities’ institutional and epistemological procedures function.

Keywords: trans-philological interdisciplinarity, humanities-/ “Geisteswissenschaften” debates, text theory versus (inter-) action theory, literature psychology, qualitative research on humanities institutions

1. Einleitung

Im feierlichen Jahr der Geisteswissenschaften ist vielleicht nichts notwendiger, als unangenehme Fragen zu stellen. Eine dieser Fragen könnte z.B. lauten, ob es gangbar und sinnvoll ist, wenn sich PsychotherapieforscherInnen und klinische PsychologInnen als GeisteswissenschaftlerInnen verstehen, wie eine von Gottfried Fischer (Köln) für das Jahr 2008 vorbereitete Konferenz unter dem Motto »Psychotherapie und Pädagogik als geisteswissenschaftliche Disziplin« anregt. Als interdisziplinärer Kulturwissenschaftler ist mir diese Konstellation jedoch überaus sympathisch, weshalb ich die Frage so nicht würde stellen wollen – und sie letztlich bestimmt bejahen würde. Zudem wäre den hermeneutisch gestimmten, qualitativ-empirischen Psychologien mildernde Umstände schon deshalb zu gewähren, da sie im Umfeld der experimentellen und quantitativ-messenden Methoden aus der klinischen Psychologie durchaus ein wenig Verstärkung gebrauchen können (siehe dazu auch das Heft 2/2007 des Journal für Psychologie; insbesondere darin die Beiträge von Mey sowie Lettau & Breuer).

Eine andere Frage ist jedoch mit Nachdruck zu stellen: Sind denn die Geisteswissenschaften überhaupt fähig und willens, psychologisch zu denken, oder auch nur bereit, ernsthafte handlungswissenschaftliche Kooperationen mit Bereichen der Psychologie, Psychotherapieforschung, Psychotraumatologie und psychodynamischen Pädagogik einzugehen, und zwar dergestalt, dass auch die angestammten Verfahren und Traditionen der philologischen Textexegese zur Disposition gestellt werden? Und diese Frage meint den Mainstream der real existierenden, fachbereichs-universitären Philologien, und nicht diejenigen Geisteswissenschaften, die man sich zu feierlichen Anlässen vielleicht wünschen oder bei akuten Legitimationskrisen gerne vorstellen würde.

Meiner Einschätzung nach sind die deutschsprachigen Geisteswissenschaften dies momentan ganz und gar nicht. Vielmehr scheint mir, dass sie auf komplexe Weise blockiert darin sind, die psychologischen Dimensionen ihrer Gegenstände systematisch zu erschließen – »unfähig« dazu im Mitscherlichschen Sinne; denn es herrscht die Angst des Geistes vor der Psyche, eines Geistes, der intellektuell und philosophisch erhaben zwar, aber nicht unbedingt auch psychodynamisch selbstreflexiv und (selbst-) bewusst zu werden trachtet. Und insofern hat es etwas unvermerkt Missverständliches, beinahe Verfängliches, wenn interdisziplinär motivierte PsychologInnen mit so offenen Armen auf die Geisteswissenschaften zulaufen und sich freudig in ihren Kreis einreihen wollen.

Jedoch muss an dieser Stelle vorab ausdrücklich eingeräumt werden, dass ich diese Einschätzung nicht ohne persönlichen Anlass treffe und hierbei mitunter auch mancherlei bittere institutionelle Erfahrung wirksam sein mag. Umso mehr müssen alle Fragen und Hypothesen einer mutmaßlichen (Un-) Fähigkeit der Geisteswissenschaften, sich – jenseits der einvernehmlichen, »fächerübergreifenden« Kontaktaufnahme unter den verschiedenen Philologien – auch in psychologischen und handlungsdynamischen Perspektiven zu investieren, zunächst unter einen strikten Forschungsvorbehalt gestellt werden, den es in Form von systematischen und methodengesicherten Untersuchungen der institutionellen Handlungsgrammatik der Geisteswissenschaften zukünftig einzulösen gilt.

2. Interdisziplinarität zu verminderten Preisen

Zunächst nämlich ist festzustellen, dass eine solche (Un-) Fähigkeit keineswegs mit bloßem Auge zu erkennen ist. Sind doch allenthalben vollmundige Bekenntnisse der Interdisziplinarität zu vernehmen, die freilich heutzutage zumindest als Gelöbnisse zwingend abgegeben werden müssen, will man in der aktuellen Wissenschaftslandschaft konventionsgerecht auftreten können. Man muss also genauer hinsehen, und auch bei Kleinigkeiten hellhörig sein: Eine aktuelle Stellenausschreibung z.B., die der Fachbereich Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen im Sommer 2007 für eine Professur in »Germanistik/Literatur- und Medienwissenschaften« getätigt hat, legt ebenfalls Wert auf »interdisziplinäre Zusammenarbeit«. Liest man jedoch auch zwischen den Zeilen, wenn es heißt, dass »eine interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des Fachbereichs« gewünscht ist, fragt sich, ob dieses »innerhalb« u.U. wörtlich verstanden werden muss, was bedauerlich und viel sagend zugleich wäre, denn die Fächer der Psychologie, qualitativen Sozialforschung oder anderer Handlungswissenschaften gehören definitiv nicht zu denjenigen, die ein »Fachbereich Geisteswissenschaften« in aller Regel umfasst.

Ein kurzer, einseitiger Einführungstext, den die Fritz Thyssen Stiftung in ihren jährlichen Tätigkeitsberichten der Sektion der Sprach- und Literaturwissenschaften voranstellt, wird dahingehend ein wenig deutlicher: Denn auch hier sollen zwar ausdrücklich »fächerübergreifende« Projekte gefördert werden. Allerdings ist dabei »vor allem an Disziplinen gedacht, die ebenfalls sprachliche Gegenstände erforschen, wie z.B. die Theologie und Philosophie« (2002, 140). Dass auch Psychologie und Psychotherapiewissenschaft durchweg mit »sprachlichen Gegenständen« befasst sind, scheint hier entschieden nicht berücksichtigt werden zu sollen. Um es nämlich trotz der philosophischen Wertungsschwebe der Formulierung doch auch an einer gewissen Nachdrücklichen nicht mangeln zu lassen, beschwört der Text in undeutlicher Absicht die Erinnerung an die Literaturwissenschaft »der 70er Jahre«, die »Paradigmen wie ‚Rezeptionsästhetik’, ‚Literatursoziologie’, ‚Literatursemiotik’ oder ‚Dekonstruktion’ hervorgebracht« habe. (An Psychologie und Psychoanalyse – horribile dictu – wagt man sich dabei offensichtlich ganz und gar nicht mehr zu erinnern!) Insgesamt lässt sich hier mehr zwischen als auf den Zeilen des Textes herauslesen, dass man diese »70er Jahre« mit all ihren interdisziplinären Theorieambitionen seitens der Thyssen Stiftung doch für überwiegend problematisch hält und sich eher auf vorsichtigeren philologischen Pfaden – und möglicherweise eben auch auf re-philologisierten Feldern (Erhart 2003) – bewegen möchte.

Letztgültige praktische Klärungen von derlei schwer zu prüfenden institutionspsychologischen Mutmaßungen über die Geisteswissenschaften stellen sich immer dann verlässlich ein, wenn man den philologischen Sektionen der hochrangigen Institutionen der deutschen Forschungsförderungs-Landschaft interdisziplinäre Anträge unterbreitet, in denen kultur- oder medien-psychologische Projekte konzipiert werden. Nicht dass man hierbei jederzeit mit gänzlich erschöpfenden und aufrichtigen Antworten rechnen dürfte; diese sind eher selten oder ergeben sich zufällig. Vor allem aber die mündlich vermittelten Auskünfte sind häufig recht ertragreich, was die Erschließung der Grundannahmen und des Wissenschaftsverständnisses anbetrifft, auf denen die jeweilige Begutachtung aufruht. Aus diesem Erfahrungsbereich mag hier ein Bespiel genügen:

Es handelt sich um ein wissenschaftlich und personell solide fundiertes Projekt der sozial- und tiefenpsychologischen sowie psychotraumatologischen Kulturwissenschaft. Ermittelt werden sollte, wie Menschen, indem sie Literatur lesen und Filme sehen (bzw. an deren Herstellung beteiligt sind), persönlich-biografische Themen und Herausforderungen bearbeiten und – lesend – eventuell sogar einen mentalen Umgang mit psychotraumatisch bedingten Entwicklungsbelastungen pflegen, der im spezifischen Einzelfall für eine Person mehr oder weniger hilfreich sein kann. Die allgemeine Ausgangshypothese war, dass Menschen, wenn sie Filme sehen und Literatur lesen, emotional erfasst sind, weil dabei auch ihre individuell-lebensweltlichen Erfahrungen aufgerufen sind und nach psychischer Bearbeitung drängen; und dass man darüber mehr wissen muss, wenn man Literatur und Film studieren und unterrichten möchte, zumal wenn dabei – wie heute erfreulicherweise üblich – auf die Entwicklung von psychosozialen Kompetenzen sowie Schlüsselfähigkeiten der Kommunikation, emotionalen Intelligenz und kreativen Problemlösung abgezielt wird. Kein unvernünftiges Projekt, auch ein durchaus geisteswissenschaftliches, wenn man so will, und eines, das – gerade von den involvierten psychologischen Kompetenzen her – personell hervorragend besetzt war.

Die abschlägigen Begründungen, die die GutachterInnen angaben, warum ein solches Projekt keine Finanzierung erhalten und warum es nicht an einem – ausdrücklich interdisziplinären – Förderprogramm zur Ermittlung der »Schlüsselbegriffe der Geisteswissenschaften« teilhaben soll, waren in etwa folgende: Das psychologische und qualitativ-soziologische Projekt habe, so hieß es, »den speziellen Kunstcharakter der Werke« verfehlt, und aufgrund des psychologischen Ansatzes wäre »die ästhetische Autonomie der Kunst« nicht gewahrt worden. Ferner habe das Projekt »den Geisteswissenschaften das Definitions- und Deutungsmonopol entzogen und der Psychologie zugewiesen«; hierdurch aber »würden die Philologien auf den Status von bloßen Hilfswissenschaften« reduziert. Letztlich hätte man in unziemlicher Weise die »disziplinären Zuständigkeitsbereiche« verschoben sowie Kunst und Literatur einer »Kognitisierung« unterzogen, die die »eigenen Kompetenzbereiche der Philologien« übergehe.

Ganz offensichtlich ist, dass hier weniger wissenschaftlich als institutions-politisch argumentiert wurde – und dies entspricht durchaus der allgemeinen Erfahrung. Dabei ist die seltene Aufrichtigkeit dieser Aussagen wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass sie mündlich gegeben wurden, also genau genommen dem Hörensagen entspringen und somit eigentlich nicht zitierfähig sind – zumindest nicht nach geisteswissenschaftlichen, textlogischen Maßgaben (wobei die sozialwissenschaftliche Methodologie dankenswerterweise über Dokumentierungsmethoden des Gesprächs- und Erinnerungsprotokolls verfügt). Aus welchen Antrieben, Erwägungen und Traditionen heraus so sehr auf politische »Definitions- und Deutungsmonopole« und die »die ästhetische Autonomie der Kunst« geachtet wird, muss vorerst freilich ungeklärt bleiben – und wäre eine wichtige Frage ganz eigenen Rechts, die einem »Jahr der Geisteswissenschaften« gut anstünde. Unmissverständlich erkennbar jedenfalls ist jedoch bereits hier eine Tendenz der pauschalen Zurückweisung von handlungstheoretischen und psychologischen Fragestellungen, die ästhetische Phänomene zuvorderst als interaktionale Handlungen untersuchen.

Für die Geisteswissenschaften scheint also zu gelten: Interdisziplinarität ja, natürlich, das hat man ja heute so; aber bitte nur im kleinen Kreise, nur mit den unmittelbaren textwissenschaftlichen Nachbarn, »innerhalb des Fachbereichs«, und nicht auch mit den Handlungs- und Humanwissenschaften, die nicht nur über Texte im engeren Sinn, sondern auch über den Menschen und seine mentalen sowie sozialen Interaktionen forschen. Und auf diese Weise wird nachhaltig verhindert, dass die Geisteswissenschaften sich tatsächlich theoretisch und methodologisch weiterentwickeln können und auch in trans-philologischer Interdisziplinarität mit den Handlungswissenschaften wie z.B. der qualitativen Sozialwissenschaft und Psychologie zusammenarbeiten.

3. Das »Jahr der Geisteswissenschaften«

Umso trefflicher, aber auch umso vergeblicher scheint es, wenn z.B. der Gießener Philosoph Martin Seel die Geisteswissenschaften nachdrücklich ermahnt, »als Textwissenschaften [auch] Handlungswissenschaften zu sein« (2004, 48). Auch der Marburger Germanist Thomas Anz fordert, »Philologie konsequent als Humanwissenschaft« zu begreifen, weil es um Forschung mit »Texten und mit Menschen« geht (1998, 229f.). Dabei müsse bei der Textinterpretation auch der »außerliterarische« Bereich der menschlichen »Handlungen« mit einbezogen werden, weshalb das »dritte Fundament literaturwissenschaftlicher Forschungen« die »empirische Psychologie« zu sein habe. Dies leitet Anz schon rein historisch aus der Ursprungszeit neuzeitlicher Ästhetik ab, die z.B. mit Karl Philipp Moritz' Erfahrungsseelenkunde »von Beginn an auch eine psychologische Disziplin war« (ebd.).

Seel und Anz lassen jedoch höflich unerwähnt, wie wenig die Geisteswissenschaften genau dies im Moment beherzigen wollen. Und diese Lage der Dinge spiegelt sich auch auf den Internet-Seiten wider, die das Bundesministerium zum Jahr der Geisteswissenschaften 2007 erstellt hat. Wie bei der Thyssen-Stiftung ist nämlich auch hier »die Sprache« im engeren Sinne »die stärkste Klammer, die die Geisteswissenschaften zusammen hält«, wobei der Akzent auch hier bezeichnenderweise auf einem starken Zusammenhalt und nicht auf disziplinärer Aufgeschlossenheit liegt. Und wenn man auf der Hauptseite den reichhaltigen und bunten Kranz der philologischen Disziplinen in einem kurzen und illustrativen Atemzug aufblitzen lassen will, wird beispielshalber die »Archäologie und Altphilologie, Finno-Ugristik und Philosophie« genannt – und kein handlungswissenschaftliches Feld.

Dass hierbei die dem »Sprachlichen« inhärente psychische Aktivität des Menschen und seine sich daraus ergebenden handlungsdynamischen (Medien-) Interaktionen auch nicht rein implizit mit gemeint sind und also Psychologie und Interaktionsforschung auch nicht indirekt Berücksichtigung finden, wird deutlich, wenn man jenes »ABC der Menschheit«, das die ministerial definierten Geisteswissenschaften auf der einschlägigen Internetseite beanspruchen zu sein, tatsächlich aufblättert. Für jeden Buchstaben des Alphabets nämlich ist dort ein Stichwort verzeichnet, das, wenn man es anklickt, die inspirative Kurzbeschreibung eines großen Themenbereiches sowie – warum eigentlich? – eine Liste von drei bis vier geisteswissenschaftlichen Disziplinen aufscheinen lässt, die für dessen Bearbeitung als vorrangig zuständig figurieren: Unter keinem der 26 Buchstaben-Stichworte ist irgendein Bereich der Psychologie oder der Sozialforschung aufgeführt.

So kommt es, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit übergreifenden Themen wie »Person«, »Kreativität«, »Lust« und »Gedächtnis« in geisteswissenschaftlicher Perspektive gänzlich ohne psychologische und handlungstheoretische Ressourcen auskommen zu müssen scheint. Für das Thema »Lust« werden die Kunst-, Musik- und Theaterwissenschaften als zuständig erachtet und für das »Gedächtnis« die Altphilologie, Archäologie und Geschichte. Zwar wird in der ausführlicheren Beschreibung, die das jeweilige Stichwort auf ein weiteres Anklicken hin freigibt, mitunter auch ein psychologisches Schlagwort sporadisch genannt – wie wollte man auch anders! – wobei hier jedoch zumeist einzig auf die Kognitionswissenschaften verwiesen wird und alle methodologischen Implikationen unerwähnt bleiben.

Stimmig dabei ist immerhin – wenngleich auch sehr bedauerlich –, dass sich die so umgrenzten Geisteswissenschaften auch in bundesministerialer Perspektive »nicht vorrangig über ihren unmittelbaren gesellschaftlichen Nutzen« definieren sollen. Mit Unverständnis jedoch nimmt man zur Kenntnis, dass diese Positionierung des Bundesministeriums im Jahre 2007 genau genommen als Affront gegen die zukunftsweisenden Forschungsförderungs-Richtlinien der Europäischen Union verstanden werden müsste, und zwar im Grunde nicht erst seit dem im selben Jahr beginnenden siebten Rahmenprogramm. Spätestens ab diesem Zeitpunkt jedoch wird für den EU-Forschungssektor »Socio-economic sciences and the Humanities« (SSH) ausdrücklich gefordert, dass aktuell bedeutungsvolle gesellschaftliche Fragen bearbeitet werden und dabei die Felder des Bereichs »economics«, »social sciences«, »psychology« mit den Feldern der »humanities«, z.B. »philosophy«, »history«, »literature« interdisziplinär zusammenarbeiten sollen.[1] Als mildernder Umstand, der jedoch in eigener Weise bestürzend ist, mag man hier einräumen, dass die deutschsprachigen Geisteswissenschaften die Europäische Union bisher nur vom Hörensagen kennen, dort nicht selten indigniert eine reine Naturwissenschafts- und Industrieförderung vermuten und sich, eingebettet in die immer noch vergleichsweise fürstliche Ausstattung der nationalen Forschungsförderung, bisher kaum darum bekümmert haben.

Nichtsdestoweniger jedoch wollen auch diese nicht »unmittelbar« anwendungsorientierten Geisteswissenschaften nicht auf den Anspruch verzichten, für die großen Menschheits- und Gesellschaftsfragen maßgeblich zu sein: Sie wollen »Kultur und Kulturen begreifbar [machen] und zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft [vermitteln]« sowie »Brücken schlagen« zwischen den Staaten und Gesellschaften, und zwar nicht nur auf der »großen Bühne globaler Konflikte«, sondern auch bezüglich des »Zusammenleben[s] in unserer Gesellschaft zwischen Menschen verschiedener Herkünfte, Weltanschauungen, Identitäten oder Bekenntnisse«. Und selbstverständlich sollen die Erfolge und Folgen von »Gentechnik oder Medizin« reflektiert und kommentiert werden. Überhaupt »will das Bundesministerium die Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern stärken«.

Ob dies und vieles andere mehr ohne die hier völlig übergangenen, ja beinahe totgeschwiegenen psycho- und sozialwissenschaftlichen Fächer erzielt werden kann, muss als zweifelhaft gelten. Auch mag man sich hier die Frage stellen, ob diese Ausblendung eher einem Mangel an Problembewusstsein oder an wissenschaftlicher Courage zurückzuschreiben ist, die ja durchaus notwendig ist, gerade wenn man sich in psychodynamische und qualitativ-empirische Forschungsdimensionen begibt, wie man bereits aus Georges Devereux’ 1973 in Deutsch erschienenen Buch Angst und Methode weiß. Die Courage ist jedenfalls das auf der Webseite am meisten hervorgehobene Stichwort, denn die Hauptseite zeigt ein Foto der durchbrochenen Berliner Mauer gerade dort, wo eines der Löcher die Form des Buchstaben C hat, und dieses Foto wird zum Schlüsselbild für das Stichwort »Courage«. Während also die Courage der Geisteswissenschaften so groß zu sein beansprucht, dass sie metaphorisch die Überwindung des eisernen Vorhangs zwischen Ost und West und konkrete die Verbindung zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften zu vollbringen vermag, ist sie doch von einer eigentümlichen Befangenheit gegenüber den psychologischen und psychodynamischen Aspekten von kulturellen Phänomenen gekennzeichnet.

4. Poststrukturalistische Psychologie-Verbiegungen

Nun wird man vielleicht die Schärfe der kritischen Einschätzung monieren und sich erinnern wollen, dass mancheR akademische GeisteswissenschaftlerIn psychologische und sogar psychotraumatologische Begriffe in die Literaturinterpretation mit einbezogen hat. Und gerade für die poststrukturalistischen Ansätze gilt dies in beinahe offensiver Weise, hat aber auch spezifische Kosten zur Folge. Der Konstanzer Philologe Manfred Weinberg z.B. hat schon in den 1990er-Jahren die poststrukturalistische Begriffskonjunktur des Traumas zu seinem Thema gemacht. Dabei verband er »das Trauma« mit philosophischen Konzepten von »Archiv«, »Krypta«, »Gedächtnis« sowie vom „’Unfug’ des Codes« und geht jedenfalls davon aus, dass »das Trauma dem Gedächtnis immer schon eingeschrieben [ist]« als dessen »andauernde Implikation« (1999, 205f.). Daraus nun zieht Weinberg den verblüffenden, aber fragwürdigen Schluss, dass »gerade deshalb« das Trauma »dem Gedächtnis unverfügbar bleiben [muss]« (vgl. ausführlich Weilnböck 2007a, 2007b).

Welch Programmatik: Das Trauma muss unzugänglich bleiben, und dessen Erinnerung ist eine sträfliche Exkorporation. JedeR TraumatherapeutIn stutzt in blankem Unverständnis, denn sie/er ist täglich mit nichts anderem befasst, als traumatische Erfahrungen wenigstens partiell der Erinnerung wieder verfügbar zu machen, auf dass sie bearbeitet und die peinsamen Symptome gelindert werden können – und zwar in individueller, therapeutischer wie in gesellschaftlicher Hinsicht gleichermaßen. Aber Weinberg meint dies wirklich ernst: »Kürzer gesagt: Das Trauma ist die unverfügbare Wahrheit des Erinnerns« (1999, 204), und deshalb ist »das im Trauma Vergessene« das »adäquat Bewahrte«, weshalb es auch »nicht darum gehen kann […] es erinnern zu wollen« (ebd., 205f.). Hinzukommt: Wer immer dieser Maßgabe nicht Folge leistet und stattdessen die Erinnerung des – »adäquat bewahrten« – Vergessenen betreibt, gibt das Trauma »der inadäquaten (sic) Repräsentation bewussten Erinnerns« preis, und das heißt auch: er begeht eine »Exkorporation des Traumas« (ebd.).

Die Entschiedenheit und sprachliche Direktheit dieser Feststellungen ist umso bemerkenswerter, als sie durchaus nicht immer beherzigt wird: Z.B. heißt es über Platon und Hesiod und über das Erinnern an und für sich: »Die unterstellte Wahrheitsfähigkeit menschlichen Erinnerns hängt dabei nicht nur jeweils daran, dass die ursprüngliche Göttlichkeit der Wahrheit, ihre Unverfügbarkeit für den Menschen, vergessen (gemacht) wird, sondern dass dieses Vergessen seinerseits in Vergessenheit gerät« (ebd., 203). Und noch enigmatischer formuliert der von Weinberg zitierte Friedrich Kittler: »Im Vergessen des Wortes Vergessen fallen Geäußertes und Äußerung zusammen. Der Taumel dieses Zusammenfalls ist die Wahrheit« (ebd.).

Desto unmissverständlicher ist aber auch hier die Schlussfolgerung: »Während sich also die Psychoanalyse notwendig an einer ‚Heilung’ und somit Abschaffung (sic) des Traumas interessiert zeigt, ist dem Kulturwissenschaftler das Trauma unverzichtbar, und er wird alles daran setzen, gerade dessen ‚Unheilbarkeit’ zu erweisen« (Weinberg 1999, 173). Zudem fügt Weinberg ausdrücklich an, dass er an Fragen von psychischer Störung und Therapie »nicht interessiert« ist, sondern nur an kulturellen und gedächtnis-theoretischen Themen auf philosophischem Niveau, die er von ersterem völlig abspaltet.

Nun ist dies keineswegs ein Einzelfall, sondern beschreibt – mit allerdings recht ausgeprägter Deutlichkeit – die Position einer ganzen Denkschule. Cathy Caruth und andere Schlüsselfiguren dieses Diskurses teilen sie. Und selbst AutorInnen der Zeitschrift »Psyche«, wie etwa der umsichtige und versierte Germanist Stefan Braese erweisen derlei Gedankenfiguren und den einschlägigen Zitationsquellen wie W.G. Sebald ihre Referenz. Dieser immerhin überbietet Weinberg noch, indem er mit großer moralischer Wucht konstatiert, dass, wer sich »der Erinnerung« des Traumas hingibt, sich »an einem Verrat [beteiligt], der den Toten die Treue bricht«, und dass hierbei ein »Sakrileg an der Integrität [des Traumas]« begangen würde (Sebald 27 in Braese 969).

Wie die Redaktion der »Psyche« es vermochte, darin nicht sofort den psychotraumatisch bedingten Schuldkomplex zu erkennen, und diese Festsetzungen anstatt dessen als angemessene psychoanalytische Traumatheorie durchgehen ließ, ist mehr als verwunderlich – und wird wohl auf die nicht zu unterschätzende Diskursmacht dieser geisteswissenschaftlichen Traumatheoreme zurückzuführen sein (Weilnböck 2007a, 2007b). Jedenfalls machen diese Verbiegungen von psychodynamischen Konzepten klar, dass die poststrukturalistischen Anleihen in der Psychoanalyse eine interdisziplinäre Öffnung der Geisteswissenschaften letztlich nur umso nachhaltiger unterbinden und nicht, wie man zunächst meinen möchte, fördern.

Man darf sich also letztlich nicht beklagen, wenn sich Vorkommnisse wie jene skandalöse Intervention ereignen, die Harald Welzer vor wenigen Jahren in Sachen Psychotrauma in der Frankfurter Rundschau lanciert hat: Welzer proklamierte damals im Gestus des jungen Provokateurs, dass »die Ideologie des Durcharbeitens und Konfrontierens den Opferstatus fest[schreibt], obwohl sie ihn zu beseitigen vorgibt« (Frankfurter Rundschau, 13.6.2003); und um dies nicht nur zu unterstreichen, sondern auch noch zu personalisieren, fügt Welzer hinzu: »Jeder gute Therapeut wird jenem Bewältigungsstil Raum geben, der dem Patienten hilft; nur die schlechten (Therapeuten) halten sich an Glaubenssätzen fest – dass Erinnern grundsätzlich besser als Vergessen sei« (ebd.; vgl. dazu auch Morgenroth & Reuleaux 2004, 276).

Freilich, später musste Welzer zurückrudern. Was man aber bei all dem gar nicht recht wahrgenommen hat: Dergleichen Einlassungen würden kaum jemals den Redaktionsschreibtisch einer angesehenen überregionalen Tageszeitung passiert haben, wenn nicht tatsächlich auch in intellektuellen und akademisch gebildeten Kreisen ein gewisser weltanschaulicher Resonanzboden für solch kruden Anti-Psychologismus bestünde, und der nährt sich mit auch aus den akademischen Geisteswissenschaften und deren gegen-aufklärerischen Traditionssträngen der philosophischen Verbiegung psychologischer Begriffe. Dass hier wissenschaftlich zurechnungsfähige Praktiken von Interdisziplinarität vorlägen, wird man also bei näherem Hinsehen kaum aufrecht halten können. Denn diese geisteswissenschaftlichen Anwendungen von psychologischen Konzepten wie »Trauma« sind offenkundig missverständlich und kontraproduktiv.

5. »Psychoanalysefreie« Geisteswissenschaften

Hat man aber nicht auch abgemessene, vernünftige und gewinnbringende psychodynamische Einschätzungen literarischer Texte gesehen? In der Tat, auch wenn diese mehrheitlich, das sei vorweggenommen, eigentlich nicht mehr zu den institutionellen Geisteswissenschaften zu zählen sind. So ist in den letzten Jahren z.B. der von Jaeggi und Kronberg-Gödde herausgegebene Band mit 31 psychologischen Betrachtungen über literarische und filmische Werke der jüngeren und älteren Vergangenheit erschienen. Die Beiträge erproben die kulturanalytische Erschließungskraft von verschiedenen tiefenpsychologischen und klinischen Ansätzen und erbringen überwiegend beachtenswerte Interpretationsergebnisse (Weilnböck 2006a). Im Springer-Verlag ist derzeit eine von Stephan Döring vorbereitete große Anthologie von Filmanalysen in Vorbereitung, die für alle Symptombilder des ICD 10 entsprechende filmische Belege sammelt und analytisch aufbereitet. Ferner erschien Hannes Frickes Sammlung von psychotraumatologischen Literaturanalysen, die aus einem Fundus der internationalen Bestseller-Literatur schöpft und die narrativen Niederschläge der psychodynamischen Folgen von Flucht und Vertreibung, Folter, extremer Vernachlässigung und sexualisierter Gewalt aufweist (Weilnböck 2006c); oder Martina Kopfs trauma-analytische Arbeit über afrikanische Autorinnen im Kontext von Kolonialkrieg und Völkermord, sowie die literaturanalytischen Arbeiten des klinischen Psychologen Marius Neukom (Weilnböck 2006b, 2007c). Und nicht zu vergessen Gottfried Fischers jüngster Band mit Literaturanalysen.

Jedoch: Die hier angesprochenen AutorInnen, über dreißig an der Zahl, gehören allesamt nicht den akademischen Literatur- oder Geisteswissenschaften an, sondern sind in psychologischen, psychotherapeutischen und pädagogischen Berufs- und Forschungsfeldern tätig. Mit Blick auf den Nachweis der Psychologie-Fähigkeit der derzeitigen Geisteswissenschaften sind sie eher ein Beweis des Gegenteils.

An dieser Stelle wird man aber selbstverständlich auch an den »Freiburger Arbeitskreis Literatur und Psychoanalyse« denken, der, seit er Mitte der 70er Jahre von Fakultätsmitgliedern der Universität Freiburg gegründet wurde, der einzige feste institutionelle Ort für tiefenpsychologische Kulturinterpretationen ist. Und in der Tat kann man nur hoffen, dass dort noch lange wie bisher gediegene literaturpsychologische Arbeiten hervorgebracht werden. Man muss aber auch erkennen: Dieser Kreis war immer weitgehend außeruniversitär situiert. Und von den philologischen Stamm-Instituten der Universität her hatten die Freiburger nur freundlich gleichgültige und mitunter unfreundliche Ablehnung zu gegenwärtigen. Erst in letzter Zeit, seit viel von Exzellenz, Cluster und Öffentlichkeit die Rede war, scheint man ob des großen überregionalen Interesses, das diese Arbeitsgruppe genießt, etwas versöhnlicher gestimmt.

Hinzu kommt: Die meisten der in Freiburg engagierten PhilologInnen sind längst emeritiert – Nachwuchs in aussichtsreicher Position ist kaum zu erkennen. Die jüngeren BeiträgerInnen, soweit präsent, kommen aus anderen Disziplinen. Oder aber, soweit sie PhilologInnen zwischen 30 und 40 sind, wie z.B. Malte Stein aus Hamburg, der eine vorzügliche Arbeit über Gewaltthematiken bei Theodor Storm vorgelegt hat, oder die ebenfalls dort tätige Tatjana Jesch, die operationalisierbare psychologische Konzepte der Deutschdidaktik erarbeitet, ferner Bettina Rabelhofer aus Klagenfurt, die psychotraumatologische Analysen von Texten Kafkas, Hofmannsthals und Schnitzlers vorgelegt hat, – dergleichen psychologisch ausgerichtete PhilologInnen rücken aus Ernüchterung über die Lage der Dinge von einer akademischen Laufbahn ab, gehen ins Ausland oder nehmen den Weg in den Schuldienst.

Die gute alte Tradition der tiefenpsychologischen Literaturinterpretation scheint also in eine Art inneres Exil abgedrängt zu sein: An demjenigen Ort, an dem man sie füglich erwarten dürfte, in den akademischen Geisteswissenschaften, ist sie kaum noch anzutreffen; dafür aber sprießt sie in anderen Disziplinen und in außeruniversitären Feldern, z.B. bei den oben genannten PsychotherapeutInnen und PsychologInnen. Man muss sich also neuerlich fragen, ob die deutschen Literaturwissenschaften nicht bald wieder weitgehend »psychoanalysefrei« oder auch nur psychologie-frei sein werden und wollen,[2] vor allem was die interdisziplinären, methodologisch offenen und nicht schulfixierten Bereiche der interaktionalen, qualitativen Psychologie, der jüngeren Psychoanalyse, Entwicklungspsychologie/Bindungsforschung und klinischen Psychotraumatologie anbetrifft (jenseits der poststrukturalistischen »Fundamental- oder Transzendental-Psychologie«, deren Interpretationen stets »viel verträglicher mit den üblichen Vorgehensweisen der Literaturwissenschaft« waren, als dies von jeglicher wirklich an klinischen Befunden und psychologischen Ressourcen orientierten Kulturwissenschaft erwartet werden könnte; Rühling 1996, 495, Weilnböck 2006a).

Angesichts dieser bedrückenden Situationsanalyse wird man aber doch einräumen wollen, dass sich die Geisteswissenschaften immerhin durch relativ viel Problembewusstsein auszeichnen. Ist doch reflexives Denken sozusagen das geisteswissenschaftliche Markenzeichen par excellence. Und tatsächlich scheinen keine zwei, drei Jahre vergehen zu können, ohne dass eine große Geisteswissenschaften-Debatten über Sinn, Zweck und Zukunftsperspektiven der Philologien turnusmäßig neu angefacht wird, schon lange vor dem Jahr der Geisteswissenschaften. Jedoch, was wird dort verhandelt: Zumeist werden die Philologien emphatisch beschworen, sich zu ändern, denn »heute muss Wissenschaft etwas nützen und dafür selbst den Beweis erbringen«, so Martin Spiewak in der Wochenzeitschrift Die Zeit (vom 22. April, 2005). Und überhaupt stelle sich die Frage: »Wo eigentlich liest man von Deutschlands Germanisten außer in ihren Fachjournalen?« Dem wird dann genauso emphatisch entgegnet, dass »die Forderung, [die PhilologenInnen] sollten endlich verwertbares Wissen produzieren, vergleichbar ihren Kollegen von der Schiffbautechnik«, unsinnig sei. Und überhaupt entsprächen diese neuen Nützlichkeitsanforderungen dem »Jargon der gescheiterten New-Economy«, so heißt es polemisch, und »das könnte nicht umstandslos auf die Geisteswissenschaften übertragen werden « (Thomas Assheuer, Die Zeit ebd.). Dann klagt wieder jemand, dass das alles »mit Literatur nur am Rande zu tun [hat]« und überhaupt: keine »bedeutsamen, kontroversen Köpfe prägen heute mehr das Fach […] keine Außenseiter, Einzelgänger, Apokalyptiker, auf die zu achten sich lohnt« (Thomas E. Schmidt, Die Zeit ebd.).

Eine zielführende Debatte, in der konkrete Problemstrukturen präzise isoliert und Lösungsstrategien eruiert werden, sieht anders aus. Auch die ernsthafteren wissenschafts-reflexiven Überlegungen, wie z.B. das von Walter Erhart organisierte DFG-Symposium Die Grenzen der Germanistik – Expansion oder Re-Philologisierung (2003), scheinen in dieser Frage nicht viel Klarheit erreichen zu können. Immerhin bringt diese beeindruckende Zusammenkunft von ganz überwiegend progressiv orientierten LiteraturwissenschaftlerInnen viele unzweifelhaft wichtigen Innovationsperspektiven dahingehend zur Geltung, warum und wie man den generell als zu eng begrenzt wahrgenommenen Rahmen der akademischen Germanistik erweitern könnte. Die BeiträgerInnen optieren unter anderem dafür, Forschungshinsichten der »neuen Medien«, der »Kulturwissenschaften«, »gender studies«, des »Postkolonialismus«, der »Diskursanalyse«, »Interkulturalität«, »Hypertextualität«, »Narratologie«, »Didaktik« sowie anderer vergleichbarer Schwerpunktsetzungen mit einzubeziehen, was fraglos aussichtsreich und unterstützenswürdig ist.

Jedoch keineR der zahlreichen und hochkarätigen AutorInnen des 600seitigen Bandes bekommt das fundamentale epistemologische Problem der Geisteswissenschaften, den textwissenschaftlichen Bias, in den Blick. Niemand macht es sich zum Anliegen, die grundlegende Notwendigkeit und Möglichkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit den handlungswissenschaftlichen, d.h. im Wesentlichen mit den sozialwissenschaftlichen und psychologischen Bereichen sowie im Allgemeinen mit den explanativen Erkenntnisdimensionen anzusprechen. Dabei können doch die meisten der in den genannten Stichworten enthaltenen Forschungsbereiche ohne psychologische und qualitativ-empirische Expertisen gar nicht wirklich eingelöst werden.

Zwar kann man durchaus für »die kulturwissenschaftliche Erweiterung« unter dem Vorzeichen des Postkolonialismus plädieren, dabei den »neokolonialen Imperialismus« kritisieren und die Beschäftigung mit MigrantInnenliteratur sowie »eine fremdkulturelle Revision des tradierten eurozentrischen Kanons« fordern, wie Dirk Göttsche es tut. Auch kann man sich davon erhoffen, dass die »postkoloniale Literatur« einen »Prozess der ständigen Neubegründung [von] kultureller Identität« befördert (Göttsche 2004, 563), dem inmitten von grassierender Alteritätserfahrung und Deplatzierung eine humanisierende Wirkung innewohnt. Das sind treffliche Ambitionen, und sinnvolle Arbeitsrichtungen.

Wie aber will man über dergleichen forschen können, wenn man nicht gleichzeitig ernsthaft bereit ist, Konzeptionen vom Menschen als psychisches Wesen und sozialpsychologischer Inter-Akteur zugrunde zu legen, und – bereits auch bei der Textanalyse – über rein text- oder archiv-theoretische oder deskriptiv-diskursanalytische Modelle hinauszugehen. Denn die menschliche Psyche ist es letztlich doch, von der hier erhofft wird, dass sie sich – Literatur lesend – ständig neu zu begründen vermag.

Ähnliches gilt, wenn man mit Blick auf die postmodernen Mediengesellschaften Konzepte des Hypertext oder Cybertext heranziehen und darin Hoffnungen auf eine sinnvolle disziplinäre Erweiterung sowie auf mehr »Variabilität und Hierarchielosigkeit« im literarischen Diskurs setzen möchte, wie der US-Germanist Thomas Kniesche dies tut (2004, 595). Oder aber man setzt auf Medienkulturwissenschaft bzw. Visual Cultural Studies, verweist auf den pictural turn unserer Alltagskultur und zieht das »Bild/Text-Verhältnis« als eine neue »Leitdifferenz« der disziplinären Erweiterung heran (Frank 2004, 378). Ähnlich auch die Hoffnung des Didaktikers Lothar Schneider, der eine Ethik des Lesens begründet und diese im »Sperrigen« der Literatur sieht, die ein »Widerstandsmoment« enthalte und eine »Distanztechnik« sei (2004, 89, 103).

Dies alles ist legitim, interessant, ja sympathisch – und relevant. Aber solange keine psychologische Fundierung und handlungswissenschaftliche Operationalisierung dieser emphatischen Begriffe von »Variabilität«, »Neubegründung«, »Hierarchielosigkeit«, »Distanztechnik«, »neuer Visualität« und »Ethik des Lesens« für die Kulturwissenschaft erarbeitet werden, ist doch damit nur eine ganz begrenzte fachliche Erweiterung möglich, die den neuralgischen Punkt völlig unberührt lässt: nämlich den uneingestandenen, aber vehementen Anti-Psychologismus und Anti-Empirismus der Geisteswissenschaften sowie die prinzipielle Reserve, die qua »ästhetischer Autonomie« und »disziplinärem Zuständigkeitsbereich« gegenüber jeglichem nicht nur deskriptiven, sondern auch erklärenden und psychologisch rekonstruktiven Zugang eingenommen wird. Ein Appell wie der des oben zitierten Thomas Anz, der mit Verweis auf Karl Philipp Moritz' Erfahrungsseelenkunde die Literaturwissenschaften an ihr psychologischen Wurzeln im 17. Jahrhundert erinnerte, findet also auch hier keine wirkliche Resonanz.

Selbst einer, der es eigentlich wissen sollte, weil er kein Philologe sondern Sozialpsychologe ist, der schon genannte Harald Welzer, geht schnurstracks an des Pudels Kern vorbei. Zwar ist es zu begrüßen, dass Welzer den Geisteswissenschaften ein energisches »Schluss mit nutzlos!« zuruft und auf die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten in den sog. »creative industries« hinweist. Aber die empfohlenen Abhilfen gehen völlig fehl. Denn Welzer fordert nicht die Hereinnahme der Sozial- und Handlungswissenschaften, deren Gegenstands- und Methodenverständnis in den Geisteswissenschaften so bitter nötig wären. Vielmehr sind es ausgerechnet die Naturwissenschaften, insbesondere die Zusammenarbeit mit der neurologischen Hirnforschung, die das Problem beheben sollen. Jedoch, so faszinierend die Fragen sind, die der derzeitige Forschungsboom in der Neurologie aufwirft, – es ist doch eigentlich ganz offensichtlich, dass die labor-experimentelle Hirnforschung keinerlei methodologischen Mehrwert für die Geisteswissenschaften bereithält. Jedenfalls mag man zweifeln, ob der Sprung in den Jungbrunnen der Neurophysiologie ausreichen wird, den alten Geist der Geisteswissenschaften zu erneuern und mit der Psyche des Menschen bekannt zu machen.

Es zeichnet sich also ab – und dies alles steht freilich unter striktem Forschungsvorbehalt –, dass die rekurrenten Geisteswissenschaften-Debatte in vieler Hinsicht eher Teil des Problems als der Lösung sind. Zudem sind weite Passagen der Debatte in einer ganz zentralen Hinsicht unaufrichtig: Es wird nämlich überwiegend so getan, als ob alles, was nicht Naturwissenschaft ist, deshalb schon in den akademischen Geisteswissenschaften seinen unstrittigen Platz hätte. Dass jedoch vieles Nicht-Naturwissenschaftliche dort gar nicht gut gelitten ist und schlichtweg als nicht zugehörig empfunden wird, vornehmlich alles Psychologische sowie Sozial- und Handlungswissenschaftliche, darüber wird großzügig hinweggegangen – im panisch-euphorischen Zulaufen auf die stets übermächtigen, hass-geliebten Natur- und Technikwissenschaften. Immerhin nämlich kann aus den stillschweigenden und lediglich vorübergehenden Eingemeindungen von eigen-disziplinär abgebogenen Konzepten z.B. aus den Feldern der Psychologie eine ganzer Strauß bunter Federn bezogen werden, die man sich aufstecken kann, wenn es gilt, akut drängende Image- oder Legitimationszweifel abzuwehren.

Und hierin sind sich das vom Bundesministerium ausgerufene »Jahr der Wissenschaften«, das Wochenmagazin »Der Spiegel« und Welzers Beitrag völlig einig: Während nämlich »Der Spiegel« StadtsoziologInnen, einen Sozialpsychologen, selbst philosophierende HirnforscherInnen oder einen Sozialphilosophen der Frankfurter Schule portraitiert (2007/Nr. 31, 32, 33, 36), um ein repräsentatives Bild der heutigen Geisteswissenschaften und den Nachweis von deren wissenschaftlicher Güte und Relevanz zu geben, nimmt das Bundsministerium – wie gesagt – mit ungebrochenem geisteswissenschaftlichen Selbstbewusstsein Themen wie »Kreativität«, »Person«, »Lust« und »Gedächtnis« oder auch »Courage«, »Neugierde«, »Jugend«, »Toleranz« und »Zukunft« für sich und seine wenngleich rein philologische und vor-psychologische Herangehensweise in Anspruch. Und Welzer verweist mit großer Begeisterungsfähigkeit auf Gegenstandsbereiche wie: die »Gewaltkarrieren heutiger Jugendlicher«, der »Klimawandel«, die »Massen von Flüchtlingen«, die »Völkermordforschung«, die »ökologischen Veränderungen« und »eine globale Kultur der Partizipation«, als ob die Geisteswissenschaften mit dergleichen irgend anders als rein deskriptiv-textuell zu tun haben wollten – oder, wenn sie denn wollten, als ob sie diese Themen im engen Horizont ihrer methodologischen Festschreibungen überhaupt angemessen bewältigen könnten.

In einem allzu wohlmeinenden Missverständnis scheint man allseits unausgesprochen davon auszugehen, dass die Geisteswissenschaften auch die Humanwissenschaften umfassen, wie dies im Fremdwörterbuch des Duden so verzeichnet ist, der die Auskunft gibt, dass die »Humanwissenschaft/-en (meist Plural) […] in den Bereich der Geisteswissenschaften gehörende Wissenschaft[en] [sind], die sich mit dem Menschen beschäftig[en] (z.B. Anthropologie, Soziologie, Psychologie)« (9. Aufl. 2007 [CD-ROM]). Wirft man aber einen Blick auf die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Universitäten, dann sind, wie bereits vermerkt, mindestens die Psychologie und auch die Soziologie dort in aller Regel nicht vertreten. Prüft man zudem, welche Arbeitsfelder und Methodologien der Begriff der Humanwissenschaften heute umfasst, indem man z.B. das Programm des Verlags Klett-Cotta zur Hand nimmt, zeigt sich, dass in der Reihe »Konzepte der Humanwissenschaften« Titel über Entwicklungspsychologie, Entwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen sowie der Psychiatrie der Borderline-Störung zusammengefasst sind.

Dies vermag neuerlich daran zu erinnern, dass die universitären Geisteswissenschaften an der Bearbeitung von solchermaßen umrissenen, humanwissenschaftlichen Forschungsfragen überwiegend keinen Anteil nehmen, oder, wo dergleichen Themen etwa von Ferne berührt werden, gehen sie, wie oben anhand der Trauma-Thematik kurz skizziert, in kaum sachgerechten Weisen vor. Hieraus geht doch mit großer Deutlichkeit hervor: Dass die Humanwissenschaften »in den Bereich der Geisteswissenschaften gehörende Wissenschaften sind«, wie der Duden vorsieht und wie es das Ministerium, der »Spiegel« und AutorInnen wie Welzer selbstverständlich in Anspruch nehmen, ist heute weder in administrativen, universitätsstrukturellen noch vor allem in inhaltlichen und habituellen Hinsichten wirklich der Fall.

Man kann also letztlich gar nicht umhin, sich dem harten Urteil von Gottfried Fischer anzuschließen, der rückblickend auf Jahrzehnte des wissenschaftlichen Engagements in den psychologischen Kulturwissenschaften vor kurzem neuerlich die »robusten Vorurteile« zu unterstreichen sich gezwungen sah, die die Philologien jeglichem Versuch einer psychologischen oder psychodynamischen Erklärung entgegenbringen: Das »Kunstwerk« würde, so Fischer, im Wesentlichen als etwas angesehen, was »ein Geheimnis birgt, das wie ein Heiligtum zu hüten ist« und dem somit eine »sakrosankte Position« zustünde: »Man mag das Kunstwerk bewundern, es ablehnen […]. Dies alles ist hinnehmbar. Das wahre Sakrileg jedoch ist seine ‚Analyse’. Die wissenschaftliche Annäherung wird als ‚Verrat’ gewertet« (Fischer 2005, 13).

6. »Ästhetische Autonomie« und »Unerklärlichkeit der Kunst«

Vielleicht jedoch ist es sinnvoll, an dieser Stelle neben aller spekulativer Situationsanalyse noch ein wenig genauer auf zwei der hauptsächlichen Abwehrmechanismen einzugehen, mittels derer die robusten geisteswissenschaftlichen Vorbehalte gegen Erinnerung, Erklärung, Psychologie und die Handlungswissenschaften im Allgemeinen durchgesetzt werden. Denn diese werden ja nicht nur in forschungspolitischen Kontexten forciert, sondern durchaus auch mit wissenschaftlichem Anspruch formuliert. Und dies geschieht unter anderem mit Argumentationsfiguren der sog. »ästhetischen Autonomie« bzw. »Unerklärlichkeit der Kunst« sowie mittels der Tabuisierung der sog. Figurenanalyse.

Blickt man z.B. in die von Arnold und Detering herausgegebenen Grundzüge der Literaturwissenschaft, so findet sich dort eine Maßgabe der theoretisch aufgeschlossenen Literaturwissenschaftlerin Marianne Wünsch, die in den umtriebigeren 1970er-Jahren einräumte, dass unter bestimmten Umständen auch psychologische Konzepte in die geisteswissenschaftliche Textinterpretation einfließen dürfen und dass die psychologische Beschreibung einer fiktionalen Figur durchaus nicht unter allen Umständen zurückzuweisen ist. Allerdings sei sie nur dann statthaft, »wenn das zur Interpretation herangezogene Theorem dem Autor des analysierten Werkes bereits bekannt gewesen sein konnte« (Rühling 1996, 481ff., Wünsch 1977, 50, 55). Diese und nur diese rein »nomenklatorische Begriffsanwendung« (ebd.) von psychologischen Termini wird somit als untadelig angesehen, weil sie nur einen Beschreibungs- und keinen Erklärungsanspruch stellt und somit dem Text »nichts hinzufügt«, was dessen Autor nicht selbst schon gewusst haben kann.

Im Gegensatz dazu sei jede »explanatorische Anwendung« grundsätzlich nicht zulässig. Denn sie »erklärt [de facto], warum jemand etwas sagt oder tut«, und dergleichen psychologisch-rekonstruktives Erklären, das sich nicht einmal mehr behelfsmäßig in einem hypothetischen Autorbewusstsein verankern lässt, wird für fiktionales Geschehen und insbesondere für literarische Gegenstände als unstatthaft erachtet. Es zeichnet sich also ab: Einer der wesentlichen Funktionen des für Literatur und Kunst in Anspruch genommenen Status der ästhetischen Autonomie scheint es zu sein, kategorisch Abstand davon nehmen zu können, dass diejenigen Wissenschaften und Kenntnisfelder bei der Erforschung berücksichtigt werden, die herangezogen würden, wenn die literarisch dargestellten Phänomene (z.B. ein zwischen-figurales Geschehen des Konflikts oder der Zuneigung) als unmittelbare realweltliche Phänomene der Untersuchung vorlägen.

Nur also wenn der Autor des künstlerischen Werkes selbst über psychologische Kenntnisse verfügt (oder immerhin verfügt haben könnte), ließe sich in psychologischen Hinsichten über den Text sprechen. Dann nämlich muss man sich als Philologe/Philologin nicht vorwerfen lassen, was auch heutzutage wieder das Untunlichste und institutionell Riskanteste für jedeN GeisteswissenschaftlerIn zu sein scheint: dass man den Rahmen eines rein deskriptiven, »klassifikatorischen« oder »nomenklatorischen« Diskurses verlassen und sich auf unziemliches psychologisches Erklären verlegt hat. In wissenschaftlicher Hinsicht ist das freilich kaum sinnvoll: Als ob die Handlungen und Äußerungen, die literarische Figuren als Teil eines fiktionalen Geschehens ausführen, (wie auch die text-externen Handlungen von deren kreativer Produktion und Rezeption) keinerlei psychische Eigenlogik aufwiesen, solange für deren AutorIn (oder RezipientInnen) kein explizites psychologisches Wissen dahingehend nachweisbar wäre.

Bemerkenswert und bedenklich zugleich ist hier auch, mit welcher Selbstverständlichkeit sich diese geisteswissenschaftliche Verfahrenspraxis unversehens vollkommen jenseits moderner wissenschaftlicher Begründungs- und auch Verantwortungszusammenhänge positioniert. Entbehrt sie doch jeglicher explanatorischer Dimension. Zu Recht nämlich hat der Sozialwissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker Hartmut Esser ausdrücklich die »Grundstruktur« der (soziologischen) »Erklärung« als Basiserfordernis »für alle Wissenschaften beansprucht, die sich mit der Rekonstruktion der subjektiven Sinnhaftigkeit von menschlicher Handlung [befassen]« – wozu zweifellos auch die Handlungen des Imaginierens bzw. des Lesens und Verfassens von Literatur gehören (Richter & Stein 2003; Esser 1993). Dabei geht der essenzielle Impetus dieses Verstehen- und Erklären-Wollens von »subjektiven Rationalitäten […] immer über die bloße Beschreibung der Bedingungen und der Situation hinaus« (Esser 1999, 204). Denn das »Explanandum der gesuchten Erklärung [ist] die Handlung« und nicht in erster Linie deren materiales oder textuelles Substrat; und eine der wesentlichsten Erklärungsdimensionen hierbei ist freilich die »psychische Verursachung des Handelns« (ebd., 205).

Die Geisteswissenschaften jedoch scheinen dem gegenüber weiterhin fest an die Autonomie, Unerklärlichkeit und Unantastbarkeit der Kunst glauben zu wollen; und sie halten sie als verbindliche philologische Grundüberzeugung aufrecht, auch unter den hohen Kosten von bisweilen erstaunlichen Verbiegungen der methodologischen Vorannahmen: So z.B. setzte sich Horst Thomé in seiner großen Arbeit über Tiefenpsychologie und Psychiatrie in deutschsprachigen Erzähltexten des 19. Jahrhunderts das Ziel, die »Objektsprache« dieser Texte mithilfe von Freundschen Termini »verdeutlichend [zu] formulieren« (Thomé zit. nach Stein 2006, 16). Dass er sich bei dieser verdeutlichenden Formulierung jedoch rein historisch-deskriptiv verhalten und auf jenen von Wünsch geforderten »strikt nomenklatorischen Begriffsgebrauch« beschränken wollte, hatte zur Folge, dass Thomé von einer ganz und gar kuriosen, ja verwegenen Prämisse ausging – und auszugehen gezwungen war: Sigmund Freud habe nämlich, so heißt es, »mit seinen psychoanalytischen Theoremen lediglich systematisiert und zusammengefasst, was in der anthropologischen Diskussion des 19. Jahrhundert als ‚Volkswissen’ ohnehin schon umläufig gewesen sei« (ebd.).

7. Das Verbot der Figurenanalyse

Neben dieser grundsätzlichen Erklärungs- und Forschungs-Verweigerung stellt insbesondere die Figurenanalyse, also die Einschätzung der Motivationen, Intentionen und bewusstseinsfernen Beweggründe für die Äußerungen und Handlungen von fiktionalen Figuren, für die Geisteswissenschaften einen neuralgischen Punkt dar: Man könne doch, so heißt es gemeinhin im Brustton des philologischen Selbstverständnisses, »einen literarischen Text nicht auf die Couch der (psycho-) analytischen Untersuchung legen« und »eine literarische, poetische Figur nicht psychologisch analysieren«. Denn Figuren sind »textuelle, rein imaginative Entitäten und keine realen Personen«. Und weil »ein Text keine Psyche hat«, kann er auch nicht psychologisch analysiert werden.

Schon Walter Schönau hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es niemals eigentlich die »reale Person« als solche ist, die »auf die Couch gelegt« würde. Worauf hingegen die Psychoanalyse genauestens achtete, ist, wie Geschichten erzählt werden, wie und nach welchen Regeln die relationalen Prozesse der Artikulation, Ko-Narration, Interaktion und Beziehung sich ereignen und auf welchen Lebenserfahrungen und psychodynamischen Bearbeitungen der Beteiligten sie aufbauen (Schönau 1991, 104, 102ff., 120). Und selbstverständlich haben fiktionale Figuren eine Psyche, wenn man so will. Denn ihre Äußerungen und (Inter-) Aktionen sind zwangsläufig einer psychischen Logik verpflichtet, und zwar zum einen deshalb, weil sie von der Psyche ihres Autors bzw. ihrer Autorin entworfen wurden, der/die all sein/ihr ex- und implizites psychologisches Weltwissen über menschliche Gefühlslagen und Verhaltensweisen genutzt hat, um das fiktionale Geschehen zu gestalten; und zum anderen, insofern die Figuren durch die Psychen ihrer LeserInnen aktualisiert und mental angeeignet werden, welche ihrerseits alle Register ihres psychologischen Alltagswissens und Reaktionsvermögens ziehen, um zu verstehen und subjektiv aufzufassen, was es mit den Figuren und ihren Handlungen auf sich hat.

Die jüngere psychologische Narrationsforschung hat dies seither nachdrücklich formuliert, etwa mit Alan Palmers Plädoyer für eine systematische »study of fictional minds« als eine »clearly defined and discrete subject area in its own right within narrative theory« (2003, 151ff.). Und auch die kognitionspsychologisch fundierte jüngere Narrationsforschung etwa des Theory-of-the-Mind-Ansatzes trägt den mentalen und handlungsdynamischen Aspekten von Figurenhandlung Rechung (Zushine 2004, Weilnböck 2006c). Aus diesem genaueren Blickwinkel betrachtet wird deutlich: Fiktionale Figuren existieren gar nicht eigentlich außerhalb von menschlichen Psychen und von psychischen Prozessen der mentalen (Re-) Konstruktion, die in AutorInnen und LeserInnen ablaufen, – es sei denn, man wollte den Status der papierenen Textualität – der schwarz auf weiß gedruckten Schrift – als Zentralperspektive eines mutmaßlich angemessenen ästhetik-logischen Empiriebegriffs festlegen.

Nichtsdestoweniger heißt es in Arnold und Deterings maßgeblichen Grundzügen der Literaturwissenschaft nach wie vor: »Hypothesen über das Verhalten und die Gefühlsäußerungen« einer literarischen Figur können »nicht als empirische [Hypothesen]« gelten; und deshalb – so die im Grunde paradoxe Implikation – verböten sie sich in allen literaturwissenschaftlichen Kontexten. Nur Hypothesen über »Verhalten« und »Gefühlsäußerungen« von »realen Personen« seien empirisch, mithin zulässig. Denn bei realen Personen bestünde ja die »grundsätzliche Möglichkeit«, dass »Erklärungshypothesen« »definitiv überprüft« würden (Rühling in Arnold & Detering 1996, 483). – Zunächst ist hier neuerlich zu beobachten, wie umstandslos dieses textwissenschaftliche Selbstverständnis eine nicht nur anti-psychologische, sondern eine überhaupt anti-empirische Grundposition einnimmt. Denn Rühling platziert sich und die Literaturwissenschaft dezidiert genau dort, wo keinerlei Möglichkeit einer irgend »empirischen« und mutmaßlich »zulässigen« Hypothesenbildung mehr vorgesehen ist – und wo diese offensichtlich auch nicht vermisst wird. Und dies entspricht vollauf dem Grundverständnis des literaturtheoretischen Mainstream bis in die jüngste Zeit, das darauf beruht, dass »Dichtung« lediglich »die Fiktion einer sprachlichen Äußerung« ist und dass in Literatur mithin die »Repräsentation einer Rede ohne empirischen Objektbezug« vorliegt, die »keine Verankerung in einem realen Situationskontext« hat (Barbara H. Smith, kritisch zitiert von Martinez & Scheffel, 1999, 13ff.) – eine im Grunde hanebüchene Annahme, denn ein grundsätzlicher Mangel an empirischem, humanwissenschaftlich relevantem Bezug kann doch aus der trivialen Feststellung, dass Literatur nun einmal nicht auf wirklich Geschehenes referiert, nur ganz gewaltsam abgeleitet werden (Schönau 1991, Palmers 2003, Zushine 2004, Weilnböck 2006c, Kansteiner & Weilnböck 2008a, 2008b, Smith 1978). In vergleichbarer Weise monierte der Rezensent eines narratologischen Bandes kürzlich, dass dessen psychologischer Beitrag lediglich »eine theoriearchitektonische ‚Blackbox’« erschaffe, »weil nämlich innerpsychische Prozesse nicht beobachtbar« sind. Dies freilich läuft auf die geisteswissenschaftliche Grundüberzeugung hinaus, dass »innerpsychische Prozesse« sowieso nicht erforschbar seien und man sich an Textbeschreibung halten müsse (Fulda 2003, 257).

Einigen der narratologischen Ambitionen der jüngeren Literaturwissenschaften gebührt das Verdienst, die wissenschaftliche Bedenklichkeit von dergleichen Positionen der Text-Autonomie immerhin indirekt angesprochen zu haben (Martinez & Scheffel 1999, 13ff.). Handelt es sich doch bei einem solchermaßen anti-analytischen und anti-explanativen Habitus im Grunde um eine gegen-aufklärerische Position, die entsprechende forschungsethische Fragen aufwirft, denen sich auszusetzen aber gerade die Geisteswissenschaften aufgrund ihres starken moralischen Impetus wenig geübt sind.

Vor allem jedoch ist an dem Verbot der Figurenanalyse die erstaunliche epistemologische Naivität hervorzuheben, mit der davon ausgegangen wird, man könne die Aussagen einer empirischen Person »definitiv« »verifizieren«, während für »fiktive Gestalten« ein Status der »prinzipiellen Indeterminiertheit« gelte. Als ob man selbst bei der aller »realsten« Person durch sachliche Nachfrage oder Recherche definitiv prüfen könnte, ob wirklich zutrifft, was sie über ihr Leben, ihre Motivationen, Intentionen, Gefühle und psycho-kognitiven Prozesse erzählt. JedeR praktische EmpirikerIn – oder auch nur jedeR versierte TeilnehmerIn von Alltagswelten – wird zugenüge erfahren haben: Man kann dergleichen subjektive Selbstaussagen nicht »definitiv« »verifizieren«, sondern nur rekonstruktiv annähern. Dies hingegen kann, darf und soll man aber auch bei fiktionalen Figuren tun.

8. Plädoyer für qualitative Metaforschung über die Geisteswissenschaften

Die Lage der Dinge in den Geisteswissenschaften ist also, genau besehen, ziemlich verfahren, und man zögert, ihnen einfach nur »mehr Selbstbewusstsein« einzureden (Welzer 2007), ein »Ende der Bescheidenheit« zu proklamieren (Heidbrink & Welzer 2007) oder eine bloße Imagekampagne zu betreiben, wie dies in diesem »Jahr der Geisteswissenschaften« vielfach zu beobachten ist. Um hier jedoch in Form einiger Hypothesen zu resümieren und auch einen konkreten Vorschlag zu machen, was unternommen werden könnte: Mittels qualitativ-empirischer Verfahren wären die Annahmen zu prüfen, dass die Geisteswissenschaften von einem tief greifenden Unwillen gegen sowie von einer (Mitscherlichschen) »Unfähigkeit« zur trans-philologischen Interdisziplinarität betroffen sind; dass diese Tatsache jedoch weithin unbekannt, uneingestanden bzw. diskursstrategisch verdeckt ist, so dass sie auch von den vielfältigen Diskursen der philologischen Selbstproblematisierung nicht klar erkannt wird; dass sich dieser Unwille gegen Interdisziplinarität insbesondere gegen jegliche psychologische Perspektive richtet, zumindest dann, wenn jenseits von allgemeinen Grundlagenbestimmungen auch die methodische Textexegese literarischer Werke betroffen sein soll; dass aber im Hintergrund dessen eine ganz generelle Distanzierung von Vollzügen der wissenschaftlichen Erklärung wirksam ist, die es von sich weist, Gegenstände der Kunst handlungsdynamisch-explanativ und das heißt auch: in ihren mentalen und interaktionalen Zusammenhängen begreifen zu wollen; ferner, dass diese theoretisch-methodische Selbstblockierung sowohl in einer institutionslogischen als auch in einer habitus-logischen, d.h. persönlichkeits- und biografie-strukturellen Dimension zu sehen ist, so dass disziplinäre, institutionelle Beharrungsfaktoren und persönliche, innerpsychische Abwehrmechanismen zusammenwirken; und letztlich, dass diese eigentlich vor-wissenschaftliche Position auch gegen-aufklärerische Latenzen in sich trägt, die von den entsprechenden Traditionen in der institutionellen Geschichte der Geisteswissenschaften herrühren und unausbleiblich auch wissenschaftsethische Probleme verursachen.

Weil aber derzeit als völlig ungeklärt gelten muss, ob und inwieweit diese Annahmen – wie auch manch anderer pauschaler Verdacht über die Geisteswissenschaften – zutreffen, geschweige denn auf welche Weisen dergleichen hypothetischen Funktionsprinzipien institutionell ins Werk gesetzt werden, ist doch immerhin offensichtlich, was es zu tun gilt: Die Geisteswissenschaften und ihr Tun müssen methodisch erforscht werden, auf dass die sich stellenden Fragen bearbeitet und gegebenenfalls sich abzeichnende Probleme und Forschungshindernisse besser begriffen und letztlich behoben werden können.

Ich plädiere deshalb für die systematische Untersuchung des Selbst-, Gegenstands- und Methodenverständnisses der Geisteswissenschaften sowie der Handlungsmuster und Verfahrenslogiken ihrer institutionellen und wissenschaftlichen Interaktionen. Für die methodische Umsetzung eines solchen institutionsanalytischen Projekts bieten sich die Methoden der qualitativ-empirischen, narratologischen Forschung an. In einem ersten Zugang wäre z.B. an narrative Interviews biografischer oder berufs-biografischer Art zu denken oder auch an Gruppengesprächserhebungen, die mitunter auf spezifische Themen- und Konfliktbereiche fokussiert sein können. Hiermit zu kombinieren wären die (handlungstheoretisch fundierte) Text- und Dokumentenanalyse von einschlägigen institutionellen Texten. Von besonderem Interesse wären freilich institutionelle Texte/Interaktionen, die Fragen der Interdisziplinarität und wissenschaftsstrategischen Weichenstellung betreffen. Diese müssten stets rückgekoppelt werden mit der Rekonstruktion von assoziierten biografischen und berufsbiografischen Erfahrungsdimensionen, die bei den jeweils involvierten FachvertreterInnen erhoben und auf ihre verhaltensprägende Wirksamkeit befragt werden.

Wie auch immer das konkrete, hierfür zu entwickelnde methodische Setting beschaffen wäre, dergleichen Forschung scheint aussichtsreich und notwendig. Denn die Reibungsverluste und Risiken, die sich in der derzeitigen epistemologischen Selbstpositionierung des akademischen Mainstream der Geisteswissenschaften abzeichnen, sind zu hoch; und die dadurch vergebenen Chancen für die weitere fächerübergreifende Entwicklung zu wertvoll. Denn: PhilologInnen, SozialwissenschaftlerInnen, TherapeutInnen und PädagogInnen könnten als akademische PartnerInnen in der Tat eine große gemeinsame Zukunft für sich erschließen, wenn die skizzierten fachspezifischen Hemmnisse überwunden würden.

Gerade die konsequente Verschränkung mit psychologischen und psychotherapie-wissenschaftlichen Ressourcen sowie die Nutzung und Adaption von qualitativ-empirischen Methoden würde den Geisteswissenschaften mannigfaltige Möglichkeiten eröffnen, zeitgemäße Studiengänge bzw. Studienmodule zu schaffen und auch berufsbegleitende Weiterbildungsangebote zu erstellen. Deren Erfolgsaussichten bestünden evidentermaßen darin, dass sie neben den kultur- und ästhetikgeschichtlichen Kenntnissen auch psychologische Handlungskompetenzen vermittelten, und zwar genau im Bereich jener Schlüsselfähigkeiten der kommunikativen, analytischen und emotionalen Intelligenz, die als Soft Skills derzeit von vielen Seiten mit gutem Recht stark nachgefragt werden. Umso zuversichtlicher könnten psychologisch versierte Geistes- und Kulturwissenschaften dem sich abzeichnenden internationalen Dienstleistungsmarkt für Higher Education entgegensehen (Weilnböck 2002a, 2002b, 2003a, 2007d). Und dies wäre doch auf eine gute Art »nützlich«.

Um also zum Schluss zu kommen: Psychotherapie und Pädagogik als geisteswissenschaftliche Disziplin, wie Gottfried Fischer anregt? Warum nicht, natürlich! Die Geistwissenschaften als psychologische Disziplinen? Natürlich auch! Dies ist so unabdingbar wie zukunftsträchtig! – jedoch leider noch nicht als solches erkannt.

Literatur

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Endnoten:

[1]

Europäische Union, zitiert nach Euresearch-Schweiz: http://www.euresearch.ch/index.php?id=158&L=1%231496%231496

[2]

So Carl Pietzcker in seiner literaturpsychologischen Wegbeschreibung der Nachkriegszeit: »Die Nationalsozialisten hatte Deutschland nicht nur ‚juden-, sondern auch psychoanalysefrei’ gemacht; ihre Verbrechen wirken bis heute nach. Was die deutsche Literaturwissenschaft angeht, so hatte sie bis zur Studentenrevolte die spärlichen Ansätze psychoanalytischer Annäherung an die Literatur aus der Zeit vor 1933 nicht wieder aufgegriffen. […] in das Denken deutscher Literaturwissenschaftler drang sie nicht ein« (2003, 64).

Autorenhinweis

Harald Weilnböck

Harald Weilnböck; Oberassistent, Literatur- und Medienwissenschaftler; Arbeitsschwerpunkte: psychologische Literatur- und Filmanalyse, qualitative Lese- und Medien-Interaktionsforschung, interdisziplinäre Narratologie

PD des. Dr. Harald Weilnböck (Ph.D.) Institut für klinische Psychologie II Universität Zürich Binzmühlestrasse 14/16 CH-8050 Zürich

E-Mail: hweilnboeck@gmx.de