Das Gesellschaftsverständnis ist kein monolithischer Block, sondern ein in sich differenzierter Phänomenbereich. In diesem Sinne werden unterschiedliche Entwicklungslinien gesondert dargestellt und diskutiert. Im Einzelnen geht es dabei um die Domänen Geschichte, Moral, Recht, Ökonomie und Politik. Neben bereichsspezifischen Entwicklungen werden auch bereichsübergreifende Aspekte identifiziert. Klärungsversuche im Hinblick auf den Begriff des Gesellschaftsverständnisses sowie Ausführungen zu Bildungsbemühungen rahmen den Text.
Schüsselwörter: Gesellschaftsverständnis, bereichsspezifische Entwicklungspfade, bereichsübergreifende Aspekte, Bildungsbemühungen
Societal understanding is not a monolithic block but an internally differentiated phenomenon. In this sense different developmental lines are presented and discussed. The domains of history, morals, law, economy, and politics are considered thereby. Alongside domain-specific developments also aspects encompassing the different domains are identified. Attempts to clarify the term societal understanding and remarks on educational efforts frame the text.
Keywords: Societal understanding, domain-specific developmental paths, aspects encompassing different domains, educational efforts
Bevor man sich der im Titel dieses Beitrags angesprochenen Frage danach widmet, wie sich das Gesellschaftsverständnis entwickelt, erscheint es zunächst sinnvoll, danach zu fragen, was unter Gesellschaftsverständnis zu verstehen ist. Es kann nämlich nicht die Rede davon sein, dass es sich hierbei um einen gewissermaßen durchdeklinierten psychologischen Fachbegriff handelt. Allerdings wird auch hier keine detaillierte Begriffsklärung angestrebt, vielmehr sollen die folgenden knapp gehaltenen Begriffsexplikationen einer ersten Orientierung dienen. Darüber hinaus setze ich auch darauf, dass die Bedeutung des Begriffs sein Gebrauch im vorliegenden Text ist. Im Zuge künftiger einschlägiger Forschungen auf diesem Feld wird sich zeigen müssen, wie der Begriff des Gesellschaftsverständnisses weiter konturiert werden kann.
Was also ist Gesellschaftsverständnis? Zunächst ein paar Bemerkungen zum zweiten Teil des Kompositums. Der Duden oder der Wahrig und unser alltäglicher Sprachgebrauch stimmen darin überein, dass Verständnis immer ein Verständnis von etwas ist, auf etwas gerichtet ist, also eine intentionale Struktur aufweist. Sofern es nicht auf Empathie, Rollenübernahme, Mitgefühl und dergleichen bezogen ist, heißt Verständnis das Begreifen eines Sachverhaltes. In diesem weiten Sinne muss »Begreifen eines Sachverhaltes« nicht auf kognitive Akte im strikten Sinne beschränkt sein. Insofern heißt Gesellschaftsverständnis das Begreifen von Gesellschaft. Dabei ist »Gesellschaft« selbst freilich ein überaus mehrdeutiger Begriff. Wenn man auch beim ersten Teil des hier interessierenden Kompositums versucht, auf einer eher elementaren Ebene zu bleiben und Wörterbuch- oder Lexikoneinträge heranzieht (z.B. Bergius 2009; Wiswede 2004), kann man zu der folgenden sparsamen und sicher ganz unvollständigen, aber für unsere ersten orientierenden Zwecke dennoch nützlichen Begriffsexplikation gelangen: Mit dem Begriff Gesellschaftsverständnis kann allgemein ein Begreifen solcher Sachverhalte bezeichnet werden, die sich auf »Gesellschaft als struktureller Rahmen des Zusammenlebens von Menschen« richten, wobei »rahmengebende Faktoren (Normen, Institutionen, Organisationen) als vorgegebene Struktur« wirksam werden (Wiswede 2004, S. 201). Ferner richtet sich das Begreifen auf »Gesellschaft als soziales System, dessen Teile in Wechselbeziehung zueinander stehen« (ebd.).
Bevor auf die Genese des Gesellschaftsverständnisses eingegangen wird kann eine weitere Frage »vorgeschaltet« werden: Weshalb sollte sich die Psychologie der Frage nach der Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses überhaupt widmen? Die am nächsten gelegene – darum aber nicht weniger sinnvolle – Möglichkeit, diese Frage zu beantworten liegt darin, auf die hohe Relevanz gesellschaftlicher Phänomene für unser aller Leben hinzuweisen. Dabei sind wir Objekte der Gesellschaft – oder empfinden uns zumindest des Öfteren als solche –, machen unsere Geschichte aber auch selbst und partizipieren in je unterschiedlicher Art und Weise an der Gesellschaft und ihren Subsystemen. Schulische und außerschulische Bildungsbemühungen sind – zumindest programmatisch – darauf ausgerichtet, ihren Educandi kognitive Werkzeuge und Wissen zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen sollen, gesellschaftliche Phänomene zu durchdringen, um sich ihnen gegenüber reflexiv verhalten und entsprechend bewusst handeln zu können. Solch einem im klassischen Sinne aufklärerischen Anliegen widmen sich nicht zuletzt einzelne Schulfächer (bzw. – je nach Perspektive – sollten, müssten oder könnten dies tun), wie etwa der Geschichts-, der Wirtschafts- und Rechts- sowie der Sachkunde- bzw. der Politikunterricht. Zugleich gilt die Förderung des Gesellschaftsverständnisses aber auch als schulische Querschnittsaufgabe, der sich alle Schulfächer verpflichtet wissen sollten und die auch im sozialen Miteinander sowie in fächerübergreifendem und Projektunterricht zum Tragen kommen sollte. Schulisches Handeln greift implizit oder explizit auf entwicklungspsychologisches Wissen zurück, die unterrichtliche Förderung des Gesellschaftsverständnisses macht hier keine Ausnahme. Insofern dürften entwicklungspsychologische Einsichten hierzu von großem Interesse für Bildungsbemühungen und eine Psychologie der Schulfächer[2] sein. Nun ist es allerdings eine gängige Einschätzung, dass psychologische Untersuchungen zur Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses im Vergleich mit entsprechend angelegten Studien zur Entwicklung naturwissenschaftlicher Domänen weitaus seltener durchgeführt werden (Barrett/Buchanan-Barrow 2005a; Kölbl 2008[3] sowie Wacker in diesem Heft). Diese Einschätzung ist zutreffend, aber es ist eben auch eine relative Einschätzung. Das bedeutet, dass es bei aller Lückenhaftigkeit des Forschungsstandes dennoch eine durchaus kritische Menge an thematisch einschlägigen theoretischen und empirischen Beiträgen gibt, im Falle der Moral bekanntlich mehr als das.[4] Insbesondere die Aufgabe einer starren Orientierung an der Entwicklungstheorie Jean Piagets und der mit ihr einhergehenden Diskussion um soziogenetisch angelegte Theorien sowie um domänenspezifische Entwicklungspfade (z.B. Carey 1985) hat auch den Forschungen zur Ontogenese des Gesellschaftsverständnisses neuen Auftrieb verschafft (Barrett/Buchanan-Barrow 2005b, S. 3).
Im Folgenden sollen im Zuge einer versuchsweise systematisierenden Zusammenschau ausgewählter theoretischer und empirischer Beiträge Umrisse des Forschungsfeldes skizziert und Desiderate identifiziert werden. Dies geschieht vor allem durch eine Diskussion bereichsspezifischer Entwicklungspfade und bereichsübergreifender Aspekte der Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses. Dabei wird keine detaillierte und der Komplexität der Teilbereiche wirklich angemessene Differenziertheit anvisiert, vielmehr werden einige ausgewählte Aspekte besonders hervorgehoben und diskutiert. Ausführungen zu Bildungsbemühungen, die sich auf die schulische und außerschulische Förderung richten, leiten schließlich nicht nur den vorliegenden Beitrag ein, sondern stehen auch wieder an dessen Ende.
Ganz analog zur Ausdifferenzierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Subsysteme kann man in der Entwicklungspsychologie die Identifikation unterschiedlicher Teilbereiche des Gesellschaftsverständnisses konstatieren. Das Gesellschaftsverständnis stellt sich in entwicklungspsychologischer Perspektive nicht als eine opake Einheit dar, sondern als ein Phänomen, das Binnendifferenzierungen unterliegt. Vergleichsweise häufig untersucht werden etwa das politische und das ökonomische, seltener auch das rechtliche Verständnis (Barrett/Buchanan-Barrow 2005a; Kölbl 2008; Wacker 1976; s. auch die Beiträge von Wacker und Weyers in diesem Heft). Das moralische Bewusstsein wird demgegenüber eher als ein Bereich sui generis aufgefasst, kann allerdings auch in mancherlei Hinsicht als Bestandteil des gesellschaftlichen Bewusstseins gelten. Eine eigentümliche Rolle nimmt auch das Geschichtsbewusstsein ein, das kaum je unter der Perspektive einer Entwicklungspsychologie des Gesellschaftsverständnisses diskutiert wird.[5] Auch für diese Bewusstseinsform soll argumentiert werden, dass sie ein wichtiger Bestandteil des Gesellschaftsbewusstseins ist. Die Entwicklungspfade der jeweiligen Teilbereiche des Gesellschaftsverständnisses verlaufen nicht isoliert voneinander, sondern unterhalten Beziehungen zueinander, darüber hinaus können bereichsübergreifende Aspekte ausgemacht werden.
»Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ‹wie es denn eigentlich gewesen ist›. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.« (Benjamin 2011 [1940], S. 959)
Geschichtliches Denken richtet sich auf Aspekte der kollektiv bedeutsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Rüsen 2008; Straub 1998). Welche (in Größe und Dauer variable) Kollektive geschichtliches Interesse auf sich ziehen und wer sich, wann und warum zu welchen Kollektiven zugehörig fühlen darf, muss oder soll, unterliegt selbst dem historischen Wandel und ist mitunter heiß umkämpft. Dabei können unter anderem moralische, rechtliche, ökonomische und politische Phänomene eine Rolle spielen. Teilbereiche des Gesellschaftsverständnisses können stets auch unter historischer Perspektive betrachtet, mithin historisiert werden, insofern liegt das Geschichtsbewusstsein quer zu Teilbereichen des Gesellschaftsverständnisses oder überwölbt sie. Daher steht diese Wissensdomäne nicht zufällig zu Beginn der Ausführungen zu bereichsspezifischen Entwicklungspfaden. Das Spezifikum des Geschichtsbewusstseins ist dabei dessen Zeitlichkeit. Psychologische Arbeiten zum historischen Bewusstsein stammen etwa von Piaget (1933), Vygotskij (2002 [1934], S. 346ff.]), Sonntag (1932), Bruner (1998), Straub (1998) oder Wineburg (2001). Dabei können zwei Analysestränge (wie im Folgenden ausführlicher beschrieben) unterschieden werden[6]: Studien zur Entwicklung historischer Konzepte bzw. Operationen einerseits und Arbeiten zu historisch vermittelten oder auf Geschichte bezogenen Identitätsbildungsprozessen andererseits (Carretero/Rosa/González 2006; Kölbl 2004; s.a. Barton 2008; Levstick 2011).
Entwicklung historischer Konzepte bzw. Operationen: In diesem Strang widmet man sich unterschiedlichen historischen Konzepten und ihrer Verwendung durch Kinder und Jugendliche bzw. geschichtlichen Operationen. Zu den untersuchten Konzepten/Operationen gehören etwa »historisches Verstehen und Erklären« (Ashby/Lee 1987) oder »historische Perspektivenübernahme« (Hartmann 2008).
Lee und MitarbeiterInnen interessieren sich insbesondere für die Entwicklung historischen Erklärens bei Kindern und Jugendlichen. Auf der Grundlage einer Reihe von empirischen Untersuchungen, in denen die Teilnehmenden Texte über geschichtliche Sachverhalte lesen sollten, zu denen sie anschließend in Form eines Leitfadeninterviews befragt wurden, gelangten sie – grob gesprochen – zur folgenden Entwicklungssequenz (vgl. etwa Ashby/Lee 1987; Lee/Ashby 2001; Lee/Dickinson/Ashby 1996): Zunächst finden die Kinder vergangene Handlungen, Praktiken und Institutionen schlicht unverständlich. Die nächste Ebene ist dadurch bestimmt, dass vergangene Praktiken als dumm angesehen werden. Die Kinder fühlen sich den Menschen der Vergangenheit gegenüber überlegen. Auf einer dritten Ebene interpretieren die Befragten zunächst unverständliche vergangene Handlungen mit Hilfe allgemeiner Stereotype. Auf die Frage, weshalb Claudius sich etwa entschloss, Großbritannien zu überfallen, werde beispielsweise geantwortet, weil es einfach üblich für die Kaiser war, andere Länder zu erobern. Die anschließenden Ebenen zeichnen sich dadurch aus, dass vergangene Handlungen immer stärker unter Rückgriff auf spezifische Umstände erklärt werden, in denen sich die (individuellen oder kollektiven) Akteure befunden haben. Allerdings findet dieser Rückgriff zunächst noch häufig unter einer präsentistischen und egozentrischen Perspektive statt, in der gegenwärtige und eigene Werte, Normen und Regeln mehr oder weniger umstandslos zur historischen Erklärung herangezogen werden. Am Ende sind die Befragten in der Lage, eigenständige Gründe für vergangene Handlungen und Praktiken anzugeben, auch und gerade dann, wenn sie von den Überzeugungen der Gegenwart abweichen. Auf der höchsten Stufe dieser Entwicklungssequenz erfolgen solche Erklärungen dann auch unter Hinweis auf übergeordnete historische Kontexte.
Im Rahmen eigener empirischer Erkundungen (Kölbl 2004a) wurden Differenzierungen des Zeit- und Geschichtsbegriffs, Kategorien zur Ordnung der Geschichte, Konzepte historischer Entwicklung, Formen und Grundlagen der Geltungsbegründung historischer Aussagen sowie Modi historischen Verstehens und Erklärens bei Jugendlichen analysiert. Dabei zeigte sich – mit schulform-, geschlechts- und altersspezifischen Variationen – eine erstaunlich verwissenschaftlichte und moderne Form historischen Bewusstseins bei den untersuchten Jugendlichen. Ein wesentliches Kennzeichen eines modernen Geschichtsbewusstseins ist das »Rechnen« mit Kontingenz, der Bruch also mit einer Vorstellung geschichtlicher Verläufe als ohne weiteres kontinuierlicher. Damit geht die Problematisierung des Topos der Geschichte als (schlichter) Lehrmeisterin einher.
Analysen zu ersten Ansätzen historischen Denkens bzw. geschichtlicher Wissensbestände im Kindergarten- bzw. Grundschulalter demonstrieren allererste rudimentäre Ansätze eines verwissenschaftlichten Geschichtsbewusstseins, die große Bedeutung der Lesekompetenz für den historischen Wissenserwerb, eine alterskorrelierte Zunahme in der Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen historisch realen und bloß fiktiven Gestalten sowie eine Zunahme an zeitlichen Ordnungsleistungen (Kölbl 2004b; Kölbl/Tiedemann/Billmann-Mahecha 2006; Kölbl/Faber/Tiedemann/Billmann-Mahecha 2012).
Identitätsbildungsprozesse: Geschichte lässt uns nicht kalt, sondern kann uns auch in unserer Identitätsbildung betreffen, mitunter existentiell. Dabei scheinen sich Kinder bzw. jüngere Jugendliche an allgemeineren Kategorien zu orientieren, wohingegen die Älteren in Bezug auf spezifischere Kollektive Identitätsarbeit betreiben (Kölbl 2004a). So wird vergleichsweise früh von einem »Wir« in Bezug auf »uns« Menschen in der Steinzeit und heute gesprochen oder darüber, dass »wir« zunächst Affen waren und uns erst im Laufe der Zeit zu Menschen entwickelt hätten (Kölbl 2004b). Gegenüber der Kategorie der gesamten Menschheit scheinen Orientierungen an Geschlecht im historischen Kontext, Klasse oder Nation später an Bedeutung zu gewinnen. Dabei stellt hierzulande die Geschichte der NS-Zeit nach wie vor einen wichtigen Bezugspunkt für eine auf Geschichte vermittelte Identitätsbildung dar. Freilich betrifft dies Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund in unterschiedlicher Art und Weise (Kölbl 2009, 2010).
»In einem bestimmten Sinn scheinen die Ziele und Konzepte einer solchen Untersuchung innerhalb der Felder der Moralphilosophie zu liegen, da es seit jeher eine Aufgabe der Moralphilosophie gewesen ist, sowohl zu explizieren, was die Menschen mit Wertbegriffen meinen als auch, was sie mit ihnen meinen sollten. Aus einer anderen Perspektive ist diese Studie jedoch mit dem klassischen oder traditionellen Problem der Sozialpsychologie verwandt; ein Problem, das so formuliert werden kann: ‚Wie wird das impuls- und gefühlsgebundene Kind (oder der Wilde) moralisch.« (Kohlberg 1958, S. 1; zit. n. Garz 1984, S. 96)
Was moralisch ge- und verboten ist, welche moralischen Gefühle wann und im Hinblick worauf angebracht sind und wie moralische Urteile begründet werden können, unterliegt komplexen (impliziten wie expliziten) Lehr-/Lern-, Entwicklungs- und Sozialisationsprozessen. In der Psychologie der Moralentwicklung kann man jedenfalls ebenfalls mindestens zwei Analysestränge unterscheiden, sie sind prototypisch mit den Namen Jean Piaget bzw. Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan verknüpft. Zum einen widmen sich einschlägige Untersuchungen der Entwicklung moralischer Urteilsstrukturen (z.B. Piaget 1972 [1932]; Kohlberg 1996), zum anderen der Moralentwicklung als Identitätsentwicklung (z.B. Gilligan 1977; s. auch Kiegelmann 2009)[7].[8]
Entwicklung moralischer Urteilsstrukturen: Bekanntlich entwickelt sich im interaktionistischen Modell Kohlbergs das moralische Urteil in aktiver Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt. Dabei spielen – ganz im Sinne Piagets – akkomodative und assimilative Prozesse eine zentrale Rolle. Die Entwicklung vollzieht sich vom präkonventionellen über das konventionelle bis hin zum postkonventionellen Niveau, wobei innerhalb der Niveaus noch jeweils zwei Stufen unterschieden werden. Für den vorliegenden Kontext besonders relevant dürften die vierte Stufe, also die zweite Stufe des konventionellen Niveaus, und der Übergang von der vierten zur fünften Stufe, also der ersten Stufe des postkonventionellen Niveaus, sein. Argumentiert man auf der dritten Stufe, also auf der ersten Stufe des konventionellen Niveaus, noch unter Verweis auf den sozialen Nahraum, ist die Perspektive der vierten Stufe weiter und richtet sich auf die gesamte Gesellschaft, deren Recht und deren Ordnung. Im Unterschied zum postkonventionellen Niveau geht man allerdings hier noch davon aus, dass das gegebene Ordnungssystem einer Gesellschaft fraglos richtig ist und die oberste Instanz darstellt. Erst das postkonventionelle Niveau ist durch die Einsicht in die Kontingenz des je gegebenen Ordnungssystems gekennzeichnet, es wird als gemacht und damit als veränderbar erkannt. Hier zeigt sich eine bemerkenswerte strukturelle Ähnlichkeit zwischen einem modernen Geschichtsbewusstsein (s.o. sowie Kölbl 2005) und – im Sinne des Kohlbergschen Modells – entwickelteren Formen des moralischen Urteils. Der hierfür nötige »Möglichkeitssinn« mag mit der Fähigkeit zu den von Piaget und Inhelder (1977 [1955]) beschriebenen formalen Operationen zusammenhängen. Auch für das rechtliche Denken und Handeln ist gerade die vierte Stufe einschlägig: »So wird die vierte Stufe seiner Theorie [Kohlbergs, Anm.: C.K.] ganz ausgeprägt durch einen Bezug auf einen Gesetzesbegriff konzipiert, da auf dieser Stufe die Überzeugung herrscht, dass das Recht die Funktion hat, die Moral zu ‹schützen› (vgl. Eckensberger/Breit 1997)«, andererseits haben seine Dilemmata eine Struktur, die Burgard »zu der Behauptung veranlasst, dass Kohlberg im Grunde gar nicht die Moral, sondern das Recht untersucht habe« (Weyers/Sujbert/Eckensberger 2007, S. 15; zur Diskussion um das Verhältnis von Moral, Recht und Konventionen s. den Beitrag von Weyers in diesem Heft). Bemerkenswert sind für den vorliegenden Zusammenhang nicht zuletzt auch die schon in die Erhebungsmethodik eingelassenen »Einsprengsel« anderweitiger gesellschaftlicher Phänomene. So dreht sich das im Kontext der Moralentwicklung am häufigsten zitierte »Heinz-Dilemma« im Rahmen des angewandten Struktur-Dilemma-Interviews um die Werte Privateigentum und Leben.
Einen eigenen Problembereich stellen Analysen zum Zusammenhang zwischen moralischem Urteil und Handeln dar (Kohlberg/Candee 1984), zu Aspekten einer »post-Kohlbergschen« Psychologie der Moralentwicklung s. z.B. Krettenauer/Edelstein (1999), zur Frage nach geschlechtsspezifischen und kulturspezifischen Moralentwicklungen s. Nunner-Winkler (1991) bzw. Eckensberger (2003).
Moralentwicklung als Identitätsentwicklung: Moralische Fragen sind oftmals nicht ich-ferne Aufgaben, sondern betreffen uns mitunter als »ganze Person« (Tappan 2000; Garz/Tappan 2001). Dies zeigt sich gerade auch dann, wenn man in Untersuchungen zur Moralentwicklung keine hypothetischen, sondern reale Dilemmata einsetzt, wie dies etwa Gilligan (1977) und Norma Haan (1975) getan haben. Eine der bekanntesten Unterscheidungen ist hier die zwischen einem »autonomen« und einem »relationalen Selbst« und damit korrespondierenden Orientierungen an Gerechtigkeit bzw. Fürsorge (Gilligan 1977); zur Diskussion um das »moralische Selbst« s. etwa Lapsley/Narvaez (2004).
»In diesem Sinn könnte das Thema der hier vorgelegten Arbeit auch heißen: ‹Das Kind als Jurist›. Damit wird jedoch nicht unterstellt, dass Kinder im Sinne rechtswissenschaftlicher Kategorien und Verfahren denken. Kinder kennen das positive Recht nicht oder sie tun dies frühestens in der späten Kindheit. Sie sind somit keine Juristen im eigentlichen Sinne, sie lassen sich jedoch insofern als ‹Juristen› bezeichnen, als sie rechtlich relevante Fälle in normativer Hinsicht beurteilen und in ihrem Denken und Handeln (teilweise) Normen folgen, die Ähnlichkeit zum Recht aufweisen.« (Weyers/Sujbert/Eckensberger 2007, S. 10)
Kinder und Jugendliche stellen für das Rechtssystem in mancherlei Hinsicht eine große Herausforderung dar. Vielfach untersucht wurde bislang beispielsweise die Rolle von Kindern als (oftmals unzuverlässigen) Augenzeugen oder die besondere Gefährdung männlicher Jugendlicher bezüglich delinquenter Verhaltensweisen. Welches Verständnis von Recht und Unrecht bilden Kinder und Jugendliche im Laufe ihrer Entwicklung aus? Es seien zunächst zumindest zu den folgenden Konzepten einige wenige empirische Befunde und Erklärungsversuche diskutiert: Die Rolle des Anwalts, der Rechte, der Zeugenschaft, der Strafe und der Lüge (Ceci/Markle/Chae 2005, S. 106–112; zu Delikt, Strafe, Eigentum/Besitz, Vertrag, Konfliktregelung, Normsetzung, Normverletzung, Tausch, Leihe und Schenkung s. Weyers et al. 2007).
Die Rolle des Anwalts: Kinder zu Beginn der Grundschulzeit glauben oftmals noch, dass die Rolle des Anwalts darin bestehe, Informationen zu sammeln oder andere mit Informationen zu versorgen (Peterson-Badali/Abramovitch/Duda 1997). Zu dieser Zeit ist auch noch der Glaube weit verbreitet, dass der Anwalt, dem die Angeklagten alles erzählen sollen, vertrauliche Informationen an die Polizei, den Richter oder die Eltern weiterleiten kann.
Rechte: Vor der Adoleszenz gibt es noch eine starke Tendenz zu meinen, Rechte und Gesetze würden von Autoritäten gemacht und könnten jederzeit wieder zurückgenommen werden (Grisso 2000). In einer Untersuchung an jugendlichen Delinquenten wurde ebenfalls ein irriges Rechtsverständnis gefunden (Grisso 1981): Zwei Drittel der Befragten der Stichprobe glaubt, man könnte bestraft werden, wenn man seine Rechte wahrnimmt, etwa das Recht, die Aussage zu verweigern.
Zeugenschaft: Kindern zwischen fünf und neun Jahren wurden in einer Studie zwei Versionen eines Films gezeigt (Durkin/Howarth 1997). In der einen Version sehen die Kinder wie ein Zeuge einen Diebstahl beobachtete. In der zweiten Version sehen die Kinder denselben Film mit dem Unterschied, dass der Zeuge vor oder nach dem Diebstahl die Szenerie betritt und somit nicht beobachten kann, wer den Diebstahl begangen hat. Selbst ein Teil der Kinder, die sich am Ende der Grundschulzeit befinden, geben auch im Falle des zweiten Films an, dass der Zeuge wissen müsse, wer den Diebstahl begangen habe – im Unterschied zu den jüngsten Kindern der Stichprobe sind dies allerdings nur noch relativ wenige Teilnehmende der Studie.
Strafe: Kleinkinder sind der Auffassung, eine Strafe richte sich nach den Konsequenzen eines Verhaltens, Intentionen spielen bei der Bewertung des Verhaltens noch keine Rolle (s. bereits Piaget 1972 [1932]). Warren-Leubecker, Tate, Hinton und Ozbek (1989) stellen Kindern zwischen drei und dreizehn Jahren folgende Fragen: »Was würde Dir passieren, wenn Du etwas Schlechtes absichtlich machen würdest? Was würde Dir passieren, wenn Du zufällig etwas Schlechtes machen würdest?« Mit zunehmendem Alter der Kinder nehmen Antworten zu, in denen sie sich dafür aussprechen, bei Zufall weniger zu bestrafen.
Lüge: In der obigen Studie finden Warren-Leubecker et al. ebenfalls, dass Kinder Erwachsenen Allwissenheit zusprechen, die es ihnen etwa ermögliche, Kindern gewissermaßen an der Nasenspitze anzusehen, ob diese lügen oder nicht. Andererseits gelten den Kindern Erwachsene zumeist als Menschen, die nicht lügen oder täuschen. Beides Befunde, die für die Rolle von Kindern als Zeugen unmittelbar von praktischer Bedeutung sind.[9]
Wie kommt es zu den obigen Befunden? Zunächst einmal kann man festhalten, dass Kinder und Jugendliche eher selten direkte Erfahrungen mit dem Rechtssystem machen. Darüber hinaus spielt rechtliches Denken im engeren Sinne auch in der familiären Sozialisation und der Schule eine vergleichsweise geringe Rolle. Auch vermitteln Darstellungen rechtlicher Sachverhalte in den Massenmedien eher unzutreffende oder zumindest unzureichende Informationen. Schließlich erschweren gewisse Begrenzungen der allgemeinen kognitiven Kompetenzen von Kindern, in geringerem Ausmaß auch von Jugendlichen, ein angemessenes Rechtsverständnis (Ceci/Markle/Chae 2005, S. 108ff.).
Ein besonders interessantes Angebot, die Entwicklung des Rechtsverständnisses empirisch fundiert zu konzeptualisieren, legt Weyers vor (s. Weyers in diesem Heft). In Abgrenzung zu Kohlberg (insbes. Tapp/Kohlberg 1971) und Turiel (1983) geht er davon aus, dass das Rechtsverständnis nicht unabhängig von Moral und Konvention, aber auch nicht auf sie reduzierbar sei. Dagegen lehnt sich Weyers an Eckensberger (1999) an und schlägt alternativ rechtliches Denken als ein Denken vor, das um die »Achtung vor dem Gesetz« kreist. Auf der Grundlage empirischer Studien, die die Altersspanne von der frühen Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter umspannen, gelangt er zu einem sechs Phasen umfassenden Entwicklungsmodell. Die Phasen seien hier nur noch genannt (für detaillierte Ausführungen s. Weyers in diesem Heft): Phase 1 (ca. 1,5–3 Jahre): Einseitiges Verständnis sozialer Regeln; Phase 2 (ca. 3–5 Jahre): Verständnis reziproker sozialer Regeln; Phase 3 (ca. 5–10 Jahre): Vorrechtliches Regelverständnis (Übergangsphase); Phase 4 (ab ca. 9–10 Jahren): Interpersonales Verständnis des Rechts (protorechtlich); Phase 5 (ab ca. 15 Jahren): Transpersonal-systemisches Verständnis des Rechts; Phase 6 (ab ca. 19 Jahren): Prinzipienorientiert-systemisches Verständnis des Rechts.
»Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.« (Marx 1972 [1867], S. 85)
Den Dingen ist nicht anzusehen, welchen Wert bzw. ob sie überhaupt einen Wert haben. Ob es ein leeres Blatt Papier, die Skizze eines berühmten Künstlers oder einen Geldschein zerreißt, mag für das Kleinkind im Hinblick auf die Beschaffenheit der Materialien einen Unterschied, nicht aber im Hinblick auf den Gebrauchs- oder Tauschwert der zerrissenen Dinge machen. Überhaupt stellen ökonomische Phänomene Kinder (aber sicher nicht nur sie) vor eine Fülle unlösbar erscheinender Rätsel: Warum bekommt man in einer Bank Geld? Wieso gibt es Menschen, die reich, und Menschen, die arm sind? Woher stammen die Süßigkeiten aus dem Kiosk an der Straßenecke? Warum füllen die Eltern eine Steuererklärung für das Finanzamt aus und was ist das überhaupt »Steuererklärung«, »Finanzamt«? Bloße Anschauung hilft bei der Beantwortung dieser Fragen kaum weiter (Furth 1980; s. auch Wacker in diesem Heft), die Analyse nicht »nur« der Waren, sondern der Ökonomie überhaupt ist ein sehr vertracktes »Ding«.
In diesem Bereich kreisen zentrale Arbeiten um das kindliche Verständnis ökonomischer Konzepte einerseits und um Kinder als ökonomische Akteure andererseits (Webley 2005).
Kindliches Verständnis ökonomischer Konzepte: Diese Forschungslinie ist die ältere. In ihr wird etwa die Entwicklung kindlicher Vorstellungen zum Ursprung des Geldes analysiert. Dabei wird beispielsweise eine vierstufige Abfolge herausgearbeitet (ebd., S. 46): 1. Keine Vorstellung von den Ursprüngen des Geldes (vier bis fünf Jahre); 2. Geld ist unabhängig von Arbeit: Hier meinen Kinder etwa, dass die Bank jedem, der danach fragt, Geld geben würde. 3. Wechselgeld sei der Ursprung des Geldes; 4. Geldbesitz resultiere ausschließlich aus Arbeit (sieben bis acht Jahre) (Berti/Bombi 1981). Andere Untersuchungen betreffen etwa das Verständnis der Konzepte des Preises, des Angebotes und der Nachfrage, des Profits sowie des Funktionierens einer Bank. Entwicklungen im Bereich des ökonomischen Denkens, vor allem im Alter zwischen sieben und elf Jahren, scheinen gerade auch von einschlägigem Unterricht und den jeweiligen soziokulturellen Umgebungen abzuhängen (Webley 2005, S. 63). Letzteres wird insbesondere durch neuere Studien belegt. So können Bonn und Webley (2000) an einer südafrikanischen Stichprobe zeigen, dass die Antworten der Kinder auf die Frage, woher Geld komme, folgenden Kategorien zugeordnet werden können: die Weißen, Gott, Leute im Allgemeinen, die Regierung, die Fabrik oder die Mine. Die AutorInnen untersuchen Kinder aus ländlichen, halbländlichen und städtischen Umgebungen. Dabei ergibt sich, dass die Kinder aus ländlichen Umgebungen tendenziell häufiger auf die Mine als den Ursprung von Geld hinweisen, in der Art: die Menschen graben nach Gold und Steinen und daraus machen sie dann Geld. Die Kinder aus der Stadt geben insgesamt weniger sophistizierte Antworten und verweisen vor allem auf die Bank oder auf Gott und am wenigsten auf die Regierung. Als ein Entwicklungstrend zeigt sich ein Abfall von Hinweisen auf Gott und Leute im Allgemeinen und eine Zunahme von Antworten, die auf eine Gemachtheit des Geldes durch Menschen hinweisen (in der Fabrik oder der Mine).
Kinder als ökonomische Akteure: In diesem Strang der Forschung spielt nicht zuletzt die »Ökonomie des Spielplatzes« eine wichtige Rolle (z.B. Webley 1996). Die Analyse dieser Ökonomie erbringt etwa Einsichten in die von Kindern in Anschlag gebrachten Methoden zur Wertbestimmung von Murmeln, zu Tauschprozessen in quasi geschäftlichen Transaktionen und zu besonderen Rollenaufteilungen. So kann Webley (ebd.) bei der Beobachtung von Murmeln spielenden Kindern eine Aufteilung in »Arbeiter« und »Kapitalisten« feststellen. Dabei sind die Kapitalisten diejenigen Kinder, die über eine große Menge an Murmeln verfügen, aber nicht besonders gut mit ihnen spielen können, die Arbeiter dagegen diejenigen Kinder, die nicht viele Murmeln haben, aber gut mit ihnen spielen können. Die Kapitalisten und die Arbeiter treffen dann mitunter Vereinbarungen dergestalt, dass die Kapitalisten den Arbeitern eine bestimmte Menge an Murmeln überlassen, mit denen Gewinne erspielt werden können, die dann wiederum aufgeteilt werden sollen. Andere Untersuchungen zum Themenkomplex »Kinder als ökonomische Akteure« betreffen den Umgang mit Taschengeld oder kindliche Sparaktivitäten (Webley 2005, S. 54ff.).
Was befördert die Entwicklung des ökonomischen Verständnisses? Webley (ebd., S. 62f.) macht auf drei Faktoren aufmerksam: 1. Die allgemeine Entwicklung kognitiver Strukturen; 2. die aktive Teilhabe an ökonomischen Geschehnissen; 3. gezielte Instruktion.
»Die Projektgruppe unternahm bei geeignetem Wetter häufig Ausflüge an die nahe Ruhr. Dort wurde […] u.a. das bei dem kommunistischen Pädagogen Otto Rühle entlehnte Plantagenspiel gespielt: Es geht dabei grob gesagt darum, dass in einer Gruppe von Kindern die Mehrheit zu Plantagenarbeitern bestimmt wird. Einige wenige wurden zu Plantagenbesitzern ernannt […] Wie es sich gehörte, wurde den ausgebeuteten Arbeitern nur ein geringer Lohn in ‹Kieselsteinwährung› gezahlt. […] In einem Protokoll […] wurde berichtet, dass die Kinder auf eine entsprechende Nachfrage antworteten: ‹Wir haben gespielt, dass Steine Geld sind› – nichts von Ungerechtigkeit, nichts von Ausbeutung, kein Klassenbewusstsein – i.S. proletarischer Erziehung ein katastrophales Ergebnis. Aber interessant.« (Wacker in diesem Heft)
Im Bereich des Politischen geht es um politische Werte und Ideologien, die Verfolgung von Interessen und Legitimierungen von Verfahren zu ihrer Durchsetzung, Fragen von Macht und Herrschaft sowie den Aufbau und das Funktionieren solcher Institutionen, wie das Parlament oder ein Ministerium. Empirische Untersuchungen zur Entwicklung des politischen Verständnisses stammen insbesondere aus der Politikwissenschaft und der Soziologie, die Psychologie hat sich vergleichsweise spät und wenig hiermit befasst (Berti 2005, S. 69). Als relativ früh und einschlägig gilt eine kleine Arbeit von Piaget und Weil (1976 [1951]), die sich mit kindlichen Heimatvorstellungen und Urteilen über andere Länder befasst; diese ist freilich nicht ohne Widerspruch geblieben (Jahoda 1976 [1964]). (Für eine weitere klassische Arbeit s. etwa Adelson/O’Neill 1966.) Neben empirisch klärbaren spielen auch normative Fragen im Hinblick auf die Wünschbarkeit bestimmter politischer Vorstellungen und ihrer Förderung eine Rolle in der einschlägigen Forschung (s. den Beitrag von Kleeberg-Niepage in diesem Heft). Wichtige Arbeiten lassen sich den Komplexen »Entwicklung politischer Konzepte« bzw. »Entwicklung politischen Denken und Handelns im Zuge politischer oder ehrenamtlicher Aktivitäten« zuordnen.
Entwicklung politischer Konzepte: Ein zentrales Beispiel in diesem Forschungsstrang stellen Untersuchungen zur Ontogenese des Verständnisses politischer Institutionen dar. Berti (2005, S. 75–88) fasst die vorhandenen verstreuten empirischen Befunde in der folgenden Abfolge zusammen: 1. Antezedentien des politischen Verständnisses (frühe Kindheit): Hier haben Kinder noch kaum adäquate politische Vorstellungen. Wohl mögen sie etwa in den Medien die Bilder von Staatsoberhäuptern sehen, sie sind aber selten in der Lage, diese von anderen Personen zu unterscheiden. Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen kennen sie aus Märchen, sie werden allerdings vorzugsweise über äußere Attribute beschrieben (tragen eine Krone und dergleichen) und nicht so sehr über ihre Machtbefugnisse.[10] Über ihre Erfahrungen in Familie, Kindergarten und mit den Gleichaltrigen bilden Kinder jedoch schon Konzepte wie »Regel« oder »Autorität« aus. 2. Das Verständnis gesellschaftlicher Rollen und ökonomischer Austauschprozesse (sechs bis sieben Jahre): Eine gesellschaftliche Rolle ist durch formale Aufgaben und Verpflichtungen gekennzeichnet. Dies unterscheidet sie von »bloß« persönlichen Rollen. Das ist die Unterscheidung, die nun von Kindern getroffen werden kann. Diese Unterscheidung erlaubt es ihnen zu verstehen, dass Personen bestimmte Dinge tun, weil es ihren (beruflichen) Aufgaben entspricht und die Erfüllung dieser Aufgaben ihrem Lebensunterhalt dient. 3. Das Konzept der politischen Rolle (sieben bis neun Jahre): Politik hat – diese Einsicht taucht hier auf – nicht zuletzt mit hierarchischen Verhältnissen zu tun. 4. Die Emergenz einer genuin politischen Domäne (zehn bis zwölf Jahre): Nun wird eine Art naiver politischer Theorie ausgebildet. Es gibt jetzt etwa Vorstellungen zu variierenden Machtgraden. 5. Die Elaboration der politischen Domäne (Adoleszenz): Hier findet eine vertiefte Auseinandersetzung mit solch umfangreichen und komplexen Konzepten wie beispielsweise »Demokratie« statt.
Entwicklung politischen Denkens und Handelns im Zuge politischer oder ehrenamtlicher Aktivitäten: Gegenüber den Arbeiten zur konzeptuellen Entwicklung handelt es sich bei Studien, die dieser Überschrift subsumiert werden können, um eher neuere Beiträge. Als Beispiel mag hier eine Studie von Yates und Youniss (1998) dienen. Sie untersuchen das politische Denken Jugendlicher, die ehrenamtlichen Aktivitäten nachgehen, etwa dadurch, dass sie in einer Suppenküche für Obdachlose mitarbeiten. Die Analysen von Diskussionen unter Gleichaltrigen sowie von Aufsätzen der Jugendlichen belegen – so die AutorInnen – die Förderung politischen Denkens durch politische bzw. ehrenamtliche Aktivitäten gekoppelt mit expliziten einschlägigen Informationen.
Neben der Entwicklung allgemeiner kognitiver Fähigkeiten, der Teilhabe an vielfältigen gesellschaftlichen Institutionen und Möglichkeiten zur Rollenübernahme, weist Berti (2005, S. 97) ausdrücklich auf die – ihrer Ansicht nach oft unterschätzte – Bedeutung gezielter Instruktion für die Herausbildung des politischen Denkens. (Hier stimmt sie mit Yates und Youniss [s.o.] überein.) Die Bedeutung gezielter Instruktion sieht sie nicht zuletzt durch eigene Interventionsstudien bestätigt.
Bereits bei der akzentuierenden Darstellung unterschiedlicher Entwicklungslinien dürfte deutlich geworden sein, dass es auch bereichsübergreifende Aspekte gibt, wenngleich diese Aspekte nicht stets für alle Teilbereiche gelten müssen. Summarisch lässt sich festhalten, dass Analysen zur Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses vorzugsweise als Analysen zur Entwicklung von Konzepten und Operationen, als Analysen zur Identitätsentwicklung und als Analysen zu Praxen innerhalb derer gesellschaftliches Denken zentral ist, angelegt werden. Insbesondere Analysen zur Entwicklung von Konzepten und Operationen stehen, auch wenn dies mitunter kritisch geschieht, in der Tradition einer genetischen oder empirischen Epistemologie (ganz deutlich z.B. bei Furth 1980, 1996) bzw. einer rekonstruktiven, philosophisch informierten und auf Philosophie rückbezogenen Sozialwissenschaft, wie sie Jürgen Habermas (1981) vorschwebt (s. auch Garz 1984). Da wir es im gesellschaftlichen Denken – anders als im mathematischen oder weiten Teilen des naturwissenschaftlichen Denkens – »mit uns selbst« zu tun haben, sind wir Subjekt und Objekt der Erkenntnis zugleich. Dies ist der Grund dafür, dass Untersuchungen zur Entwicklung des gesellschaftlichen Denkens und Handelns oftmals auch als Analysen zur Rekonstruktion von Identitätsbildungsprozessen angelegt werden können.
Es lassen sich allerdings nicht allein auf der Ebene der analytischen Zugänge bereichsübergreifende Aspekte identifizieren, sondern auch auf der Ebene der zentralen Faktoren, die zur Erklärung der jeweiligen Entwicklungsprozesse in Anschlag gebracht werden. Im Einzelnen spielen zumeist die Entwicklung allgemeiner kognitiver Strukturen, variierende Grade gesellschaftlicher Teilhabe und die Eingebundenheit in unterschiedliche soziokulturelle Kontexte, Mediennutzung, gezielte Instruktion, im weitesten Sinne also Unterricht, eine wichtige Rolle. Freilich ist nicht hinreichend geklärt, in welchem Verhältnis genau die unterschiedlichen Faktoren zueinander stehen. Eine zentrale Herausforderung für die künftige Forschung dürfte auch die stärkere Berücksichtigung spezifisch indigener Formen des Gesellschaftsverständnisses darstellen.
Festgehalten werden soll schließlich noch (einmal), dass die Kategorie der Kontingenz – wie dargestellt – nicht allein für die Entstehung eines modernen Geschichtsbewusstseins eine bedeutsame Rolle spielt. Vielmehr ist die Einsicht in die Kontingenz von Ordnungen gerade auch für die Entwicklung des moralischen Urteils zentral und zwar dann, wenn es über das konventionelle Niveau hinausreichen soll. Das wesentliche Kennzeichen des postkonventionellen Niveaus ist ja gerade ein Verständnis von Gesetzen als verhandel- und veränderbar und eben nicht als etwas Fixiertes. Die Einsicht in Kontingenz, das Denken in Möglichkeiten, ist ein allgemeines Kennzeichen adoleszenten Denkens überhaupt (Piaget/Inhelder 1977) und eng verknüpft mit einer Entwicklung weg von Heteronomie hin zu Autonomie. Dieser Entwicklungstrend manifestiert sich im gesellschaftlichen Denken in der zunehmenden Infragestellung von Autoritäten und ist nicht zuletzt durch variierende Grade eigener gesellschaftlicher Teilhabe bedingt.
Eingangs wurde festgehalten, dass Forschungen zur Frage nach der Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses nicht zuletzt über ihre potenzielle pädagogische Relevanz legitimiert werden. Was also folgt aus den voranstehenden Ausführungen für Bildungsbemühungen? Hierzu abschließend ein paar allgemeine und eher thesenhaft formulierte Hinweise, die in dezidiert didaktischer Perspektive selbstverständlich noch zu konkretisieren wären:
Die Kenntnis bereichsspezifischer Entwicklungslinien ist für die Förderung entsprechender Teilbereiche des Gesellschaftsverständnisses von Bedeutung. Entsprechende Arbeiten geben etwa Hinweise darauf, welche Aspekte innerhalb des jeweiligen Entwicklungspfades sich in welcher Art und Weise aufbauen und wie leicht oder schwer sie pädagogisch ansprechbar sind. Darüber hinaus eröffnet die Kenntnis der Entwicklungspfade unterschiedlicher Teilbereiche bei Einzelfallbetrachtungen einen Blick auf möglicherweise interessante gleichsinnige oder diskrepante Entwicklungsverläufe. Wie auch immer es sich im Einzelfall verhalten mag, dürfte der Versuch einer Zusammenschau – ohnehin lassen sich die Teilbereiche des Gesellschaftsverständnisses ja nicht durchgehend trennscharf unterscheiden – jedenfalls von Interesse sein:
»So a child who is thinking about this kind of issue [der Autor schreibt über ökonomische Phänomene, C.K.] needs to use concepts like power, take into account institutional arrangements, and place the current situation in historical context. Closer to home, a child may wonder how the price of school dinners relates to the price of lunch in a local café, or a student wonder how tuition fees (the price for education) are set. In other words, in order to make sense of children’s understanding of economics, it needs to be placed in the broader context of children’s understanding of society« (Webley 2005, S. 64).
Auch die Kenntnis der allgemeinen Entwicklung kognitiver Strukturen ist für die Förderung des Gesellschaftsverständnisses von Bedeutung. Die Entwicklung des Gesellschaftsverständnisses ist nicht unabhängig von der allgemeinen Entwicklung kognitiver Strukturen. Dass dabei das Wissen um Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung hilfreich, aber gewiss nicht ausreichend ist, bedarf wohl keiner Begründung. Ob die Entwicklung gesellschaftlichen Denkens auf die allgemeine Entwicklung kognitiver Strukturen reduziert werden kann, ist fraglich. Aber auch wenn dies möglich wäre, blieben immer noch die spezifischen inhaltlichen Entwicklungen, die nicht restlos mit Rückgriff auf allgemeine kognitive Strukturen beschreib- und erklärbar wären. Darüber hinaus ist die Unterscheidung zwischen Struktur und Inhalt ohnehin keineswegs eindeutig (Döbert 1986).
In den einschlägigen Studien sind eine Fülle reichhaltiger empirischer Daten erhoben und dokumentiert worden, nicht zuletzt – wenn man so möchte – in Form dichter Protokolle lauten Denkens. Diese Protokolle könnten – und zwar auch über die Förderung moralischen Denkens hinaus – selbst wiederum als Unterrichtsmaterialien genutzt werden, die Diskussionen in Gang setzen dürften und im gelingenden Falle zu akkomodativen Prozessen bei den Lernenden führen könnten.
Überall dort, wo Phänomene gesellschaftlichen Denkens nicht allein einer distanzierend-objektivierenden Perspektive unterworfen werden, sondern auch potenziell identitätsrelevant sind, dürfen besondere pädagogische Herausforderungen erwartet werden. So dürften etwa, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Einsichten darin, Angehöriger einer wirtschaftlich vergleichsweise sehr wohlhabenden Nation zu sein oder, beispielsweise beim SchülerInnenaustausch, »als Deutsche/r« mit einem Kollektiv identifiziert zu werden, das vor gar nicht allzu langer Zeit grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt hat, weder identitäts- noch gefühlsneutral sein. Der pädagogische Umgang hiermit kann sich wohl nicht darin erschöpfen, Wissen und einschlägige »Denkwerkzeuge« zu vermitteln, sollte aber wohl ebenso wenig ein quasi-therapeutisches Unternehmen werden.
Bildungsbemühungen zur Förderung des Gesellschaftsverständnisses zielen darauf ab, die gesellschaftliche Teilhabe der Lernenden zu verbessern. Zugleich ist gesellschaftliche Teilhabe aber auch eine Voraussetzung des Gesellschaftsverständnisses. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Insofern markiert der Komplex der gesellschaftlichen Teilhabe auch eine Grenze schulischer und außerschulischer Bildungsbemühungen. Eine Grenze, die durch Bildungsbemühungen verschiebbar ist, die aber ganz offenkundig in hohem Maße von Faktoren abhängt, die jenseits solcher Bemühungen liegen (s. auch den Beitrag von Bandt in diesem Heft).
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Für die Lektüre einer früheren Fassung dieses Textes und hilfreiche Anmerkungen danke ich Günter Mey, Ali Wacker und Stefan Weyers.
Eine solche Psychologie der Schulfächer wird im angloamerikanischen Bereich eher als hierzulande kultiviert (s. z.B. die entsprechenden Beiträge in Berliner/Calfee 1996 [darin insbesondere Shulman/Quinlan 1996] oder in Mayer/Alexander 2011).
Gedanken, die in diesem Text entwickelt wurden, werden im vorliegenden Beitrag aufgegriffen, z.T. anders akzentuiert und weitergeführt. Ich übernehme auch Formulierungen aus diesem Text.
Abgesehen von der Moralentwicklungspsychologie, die stets (natürlich zu Recht) mehr oder weniger ausführlich dokumentiert wird, schlägt sich die kritische Menge einschlägiger Arbeiten zum Gesellschaftsverständnis allerdings kaum in zentralen Lehr- und Handbüchern zur Entwicklungspsychologie nieder. So findet sich etwa im Lehrbuch von Rolf Oerter und Leo Montada auch in der sechsten Auflage lediglich ein Kapitel zu »Jugend und Politik« (Preiser 2008).
Die Begriffe des moralischen bzw. des Geschichtsbewusstseins und des moralischen bzw. des Geschichtsverständnisses werden im vorliegenden Aufsatz der Einfachheit halber weitgehend synonym verwendet.
Hier – wie auch im Folgenden – handelt es sich selbstverständlich nicht um logisch disjunkte, sondern um akzentuierende Unterscheidungen.
Hier mag eine Erinnerung an Carol Gilligans akademische Sozialisation angebracht sein: Sie war ja nicht nur Mitarbeiterin von Lawrence Kohlberg, sondern auch von Erik Erikson und damit – vielleicht – gerade auch für Fragen der personalen Identitätsbildung sensibilisiert.
Die schlichte Subsumtion Piagets unter die Rubrik »Entwicklung moralischer Urteilsstrukturen« geschieht hier lediglich der Einfachheit halber und unterschlägt die Vielgestaltigkeit von dessen Arbeit zur Moralentwicklung, die kognitiven Prozessen einen großen Stellenwert einräumt, aber nicht allein auf sie beschränkt ist. Hierauf weist Eckensberger (2003, S. 318) ebenso zu Recht hin wie darauf, dass die Theorielinie »Piaget – Kohlberg« keineswegs so einheitlich ist, wie vielfach behauptet.
Ob die hier vorgestellten Befunde zu Strafe und Lüge tatsächlich etwas zum rechtlichen Verständnis der untersuchten Kinder beitragen und nicht eher zum moralischen Verständnis oder weder zu dem einen noch zu dem anderen, sei hier zumindest als Problem angedeutet, aber nicht weiter ausgeführt.
Furth (1980, S. 49) geht davon aus, dass gerade in dieser Zeit persönliche und gesellschaftliche Rolle nicht auseinandergehalten werden.