Im Diskurs zum Rechtsextremismus und seinen Ursachen werden einige, scheinbar unerschütterliche Grundannahmen beständig reproduziert: Rechtsextremismus wird als ein bedrohliches aber auch marginales Phänomen verortet, welches mit der demokratischen Mitte der Gesellschaft wenig zu tun hat. Damit im Einklang werden Menschen mit rechtsextremen Überzeugungen ebenfalls an den Rand der Gesellschaft projiziert, die Ursachensuche verlässt selten die Ebene individualistischer Schuldzuweisungen. Diese Annahmen prägen auch die Ansätze zur Prävention von Rechtsextremismus: Insbesondere die Annahme, Rechtsextremist/innen seien hinsichtlich historischer oder politischer Zusammenhänge nicht gebildet oder aufgeklärt genug, liegt den Inhalten solcher Maßnahmen zu Grunde. Daher sollen Jugendliche die »richtige« Denkweise bezüglich gesellschaftlicher Strukturen, Zusammenhänge und Prozesse erlernen, um die Entwicklungsaufgabe der politischen Sozialisation erfolgreich bewältigen und gegenüber rechtsextremen Parolen widerständig sein zu können. Unter anderem auf der Basis von biografischen Interviews mit rechtsextremen Straftäter/innen wird in diesem Beitrag diskutiert, ob Rechtsextremist/innen wirklich nicht »richtig« denken können und was gesellschaftliches Denken eigentlich mit Rechtsextremismus zu tun hat.
Schüsselwörter: Rechtsextremismus, politische Sozialisation, richtiges Denken
The discourse on right wing extremism and its origins entails some presumptions that have been reproduced for many years. Following these assumptions right wing extremism is a phenomenon of the margins which threatens the democratic centre of society. According to the discourse this democratic centre has nothing to do with right wing ideas. People who hold such ideas are constructed as individuals with problems or weaknesses and are thereby placed at the periphery as well. This specific view on right wing extremism and its protagonists influences the work of prevention too: especially the idea that young people with right wing ideas just need to be more educated on democratic principles shapes the contents of many prevention programs. Therefore young people should be trained in democratic thinking and supported to fulfill the developmental task of political socialization. Based on a biographical study with young right wing extremists this article discusses questions such as: Is right wing extremism a failed political socialization? And where is the connection between right wing extremism and society?
Keywords: right wing extremism, political socialization, democratic thinking
»Fragestellungen in der Jugendforschung konzentrierten sich vor allem auf die Bereiche, in denen Gesellschaft über Jugend beunruhigt ist, wo die Genese einer demokratisch gesonnenen Persönlichkeit auszubleiben droht. Nicht oder kaum im Blickpunkt stand die Frage, wo Jugendliche über die Gesellschaft, in die sie sich integrieren sollen, beunruhigt sind.« (Reinders 2001, S. 9)
Politische und gesellschaftliche Diskussionen sowie wissenschaftliche Studien zum Thema »Jugend und Politik« sind seit vielen Jahren meist von Besorgnis getragen: Jugendliche interessieren sich immer weniger für Politik, sie engagieren sich kaum für politische Themen oder Organisationen, die Politikverdrossenheit ist hoch (z. B. Albert/Hurrelmann/Quenzel 2010; Zehrt/Feist 2012) [1]. Politisches Denken scheint also für viele Jugendliche nicht im Mittelpunkt ihrer Lebensgestaltung zu stehen. Zugleich gibt es in jeder Generation von Jugendlichen einen immer wieder nachwachsenden Anteil von jungen Menschen, der rechtsextreme Überzeugungen vertritt (z.B. Burkert 2012). Insbesondere zu diesem Thema wird seit fast drei Jahrzehnten umfänglich geforscht (vgl. z.B. Heitmeyer 1992; Möller 2000; Schroeder 2005; Wahl 2001; Willems 1993). Abgesehen von der Einordnung der Ergebnisse in die jeweiligen gesellschaftlichen Umstände (ökonomische Desintegration in den 1980er Jahren, Wiedervereinigung und Wirkungen autoritärer Erziehung in der DDR in den 1990er Jahren oder Globalisierungsängste in den 2000er Jahren) konzentriert sich die Ursachenforschung in den meisten Fällen auf individuelle Defizite (z.B. fehlende Bildung) und familiäre Probleme (z.B. broken-home-Situation oder Gewalt in der Erziehung). Jugendliche ohne solche Schwierigkeiten, die aus »normalen« Verhältnissen, quasi aus der Mitte der Gesellschaft stammen, sollten sich – so die implizit mitschwingende Annahme – also nicht rechtsextremen Überzeugungen zuwenden. Dementsprechend wird auch die Prävention von Rechtsextremismus durch einen individuumszentrierten Fokus geprägt: Neben der Familienhilfe und der Promotion einer gewaltfreien Erziehung als allgemeinpräventive Maßnahmen stehen insbesondere Bildungs- und Aufklärungsprogramme im Mittelpunkt der Rechtsextremismusprävention. Kritische Perspektiven in der Rechtsextremismusforschung (vgl. Butterwege 2002; Jäger 2009; Neugebauer 2000; Rommelspacher 2006) weisen allerdings darauf hin, dass die Konzentration der Ursachenforschung auf individuelle Defizite und Probleme den Blick auf die Rolle der Gesellschaft bei der beständigen Reproduktion rechtsextremer Überzeugungen bei Jugendlichen und Erwachsenen verstellt. Um aber Überlegungen zur Frage, wie sich Rechtsextremismus verhindern lässt, überhaupt anstellen zu können, kann nicht nur danach gefragt werden, warum sich Jugendliche rechtsextremen Überzeugungen zuwenden, sondern auch, wie Jugendliche überhaupt zu einem eigenen politischen Standpunkt kommen, also wie sie sich politisches, gesellschaftliches Denken aneignen.
Dieser Beitrag diskutiert u.a. auf der Basis eigener Analysen von Interviews mit rechtsextremen Gewaltstraftäter/innen somit folgende Fragen: Sind Rechtsextremist/innen tatsächlich problembeladene Individuen vom Rand der Gesellschaft? Denken sie falsch und haben sie eventuell die Entwicklungsaufgabe der politischen Sozialisation nicht (angemessen) bewältigt? Oder müssten wir die Fragen hinsichtlich der Ursachen für politischen Extremismus bei Jugendlichen schlicht anders stellen? Und: Was heißt »richtiges Denken« überhaupt bzw. (wie) lässt es sich erlernen? Zur Beantwortung dieser Fragen werden anknüpfend an ein Fallbeispiel zunächst die unterschiedlichen Ansatzpunkte der Erforschung der Ursachen von rechtsextremen Überzeugungen vorgestellt. Danach werden die Ergebnisse von Forschungen zur politischen Sozialisation Jugendlicher hinsichtlich der Frage diskutiert, wie sie sich politisches Denken aneignen. Thematisiert wird dabei auch die m.E. spezifische Konstruktion von »politischer Sozialisation« in diesen Studien. Im Anschluss werden die sich aus der eigenen Interviewstudie ergebenden Einsichten in die politische Sozialisation rechtsextremer Gewaltstraftäter/innen vorgestellt, um abschließend Rückschlüsse für eine erfolgreiche Prävention von Rechtsextremismus zu ziehen.
Die Mutter von Maik[2] sei seit seiner Kindheit Alkoholikerin, er habe nie eine enge Beziehung zu ihr gehabt. Sein Vater hingegen habe ihn streng aber liebevoll erzogen, an ihm habe er sich orientiert. Auch habe der Vater eine »nationale« Einstellung vertreten. Der einige Jahre ältere Bruder sei bereits früh in der rechtsextremen Szene aktiv gewesen, seit Maik etwa neun Jahre alt ist, habe der Bruder ihn regelmäßig mit in seine Clique genommen. Dort sei Maik zunächst eine Art Maskottchen der Älteren gewesen, er habe sich anerkannt und wohl gefühlt, »weil sie sich um mich gekümmert haben« (Interview Maik, Z. 454). Als Maik zwölf Jahre alt ist, stirbt für ihn unvorhersehbar sein Vater. Die Familie habe dessen Krebserkrankung vor ihm geheim gehalten. Auch als er davon erfährt, macht er aber einen nach seiner Meinung vom nicht-deutschen Nachbarn verursachten Sturz des Vaters für dessen Tod verantwortlich. Mit dem Tod des Vaters seien die häuslichen Probleme eskaliert. Maik sei von nun an immer wieder in Heimen untergebracht gewesen. Dort habe er ungestört und offen Musik rechtsextremer Bands gehört, die Heimbetreuer/innen hätten nicht interveniert, sie hätten wohl keinen Ärger gewollt. Die rechte Clique sei zunehmend zu Maiks einzigem permanenten Bezugspunkt geworden, dem er, auch nachdem der Bruder selbst aussteigt, treu geblieben sei. Schon früh habe er hier oft und reichlich Alkohol getrunken. Der schulische Alltag von Maik sei von Schulproblemen und Gewalttätigkeiten geprägt gewesen, schon in der Grundschule habe er sich regelmäßig an Prügeleien beteiligt. Nach mehreren Schulwechseln, anhaltenden Gewalttätigkeiten gegenüber Mitschüler/innen, die anders aussahen (»Also wenn da einer mit einem Hahnenkamm rein kam, denn gab’s da ein[en] auf den Rüssel.«; Interview Maik, Z. 222f.), diversen Verweisen und Beurlaubungen sei er ohne einen regulären Abschluss von der Schule abgegangen. Auch eine Ausbildung habe er nicht absolviert. Maik habe nun seine gesamte Zeit mit der Clique verbringen können, dort habe er rechtsextreme Musik gehört, viel Alkohol getrunken und sich an Prügeleien beteiligt. Als ihm in diesem Gruppenkontext der frühere Nachbar wieder begegnet, habe er diesen zusammengeschlagen. Nach einer anschließenden Verfolgungsjagd durch den Ort, seien er und seine Freunde von der Polizei festgenommen worden. Die folgende Bewährungsstrafe hat Maik nach eigenem Bekunden nicht beeindruckt, er stehe zu seiner Tat und sei weiterhin eng mit seiner rechten Clique verbunden: »Also früher hab ich mich wohlgefühlt, weil die sich um mich gekümmert haben. Und heute fühl ich mich wohl, weil ich ganz ehrlich gesagt immer noch daran glaube.« (Interview Maik, Z. 434f.) Zudem kümmere er sich mittlerweile um die Nachwuchsarbeit einer rechtsextremen Partei, was Maiks Bewährungshelferin als soziales Engagement begrüßen würde. Er finanziere sich über Aushilfstätigkeiten, an einer regulären Ausbildung habe er aufgrund seiner schlechten Schulerfahrungen kein Interesse.
Maiks Lebensgeschichte ist bis zu einem gewissen Grad typisch für rechtsextreme Jugendliche, insbesondere für rechtsextrem motivierte Gewaltstraftäter/innen. So ermittelten verschiedene Täter/innenstudien, dass ein deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegender Anteil der Befragten schwierige Familienverhältnisse im Sinne einer broken-home-Situation (z.B. Missachtung, Gewalt, häufige bzw. dauerhafte Abwesenheit eines Elternteils, Heimaufenthalte) erfahren hat (vgl. Lützinger 2010; Wahl 2001; Willems 1993). Dies bedeutet allerdings zugleich, dass es auch einen erheblichen Anteil von rechtsextremen Straftäter/innen gibt, die nicht solche Erfahrungen gemacht haben. Auch hinsichtlich der Bildungssituation rechtsextremer Straftäter/innen stimmen die Einschätzungen der genannten Studien mit Maiks Lebensgeschichte überein: So verfügen Täter/innen mit einer rechtsextremistischen Tatmotivation im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich häufig über einen niedrigen bzw. gar keinen Schulabschluss und erheblich seltener über die Hochschulreife. Allerdings heißt dies wiederum, dass ein solcher Befund keineswegs für alle Befragten zutreffend ist. Bezüglich der Arbeitslosigkeit unter den Befragten konstatieren Wahl (2001) und Willems (1993) übereinstimmend, dass der Anteil im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zwar etwas höher ausfiel, von einer verbreiteten ökonomischen Desintegration rechtsextremer Straftäter/innen allerdings nicht die Rede sein kann.
Auch wenn sich durchaus ein differenziertes Bild hinsichtlich der Lebensgeschichten rechtsextremer, straffälliger Jugendlicher bietet, sie also keineswegs immer aus desolaten, sondern nicht selten aus ganz »normalen« Verhältnissen stammen, sind Biografien wie die von Maik zentraler Bezugspunkt im Diskurs zum Rechtsextremismus und seinen Ursachen: Danach führen eine broken-home-Situation, Schulversagen, falsche Freund/innen, Alkohol und fehlende berufliche Perspektiven Jugendliche auf den rechtsextremen Weg.
Nun handelt es sich bei den geschilderten Entwicklungsbedingungen von Maik unbestreitbar um schwierige und äußert ungünstige Voraussetzungen für ein unbeschwertes Aufwachsen, per se Ursache für die Aneignung einer rechtsextremen Orientierung und entsprechend motivierte Gewaltstraftaten sind sie gleichwohl nicht (vgl. auch Kleeberg-Niepage 2011a). Allerdings ist ein solcher Umgang mit der Ursachenbestimmung für den Rechtsextremismus bei Jugendlichen bequem: Rechtsextremismus wird auf diese Weise als ein individuelles und randständiges Problem konstruiert, mit dem die Mehrheitsgesellschaft nichts zu tun hat. Das Bild von milieugeschädigten Menschen am Rand der Gesellschaft, die aus ihrer persönlichen Misere heraus dem Rechtsextremismus zuneigen, entlastet die »Mitte« der Gesellschaft als demokratisches Zentrum von einer Mitverantwortung.
Letztere ist aber durchaus gegeben. So zeigen die verschiedenen Forschungsarbeiten von Siegfried Jäger (z.B. 2009), dass rassistische und biologistische Diskurse (wie z.B. »Ausländer/innen sind rückständig und faul«) Teil des gesellschaftlichen Commonsense sind und von Politik und Medien permanent reproduziert werden. Folgerichtig begründen Rechtsextreme ihre Aktivitäten häufig mit der Überzeugung, im Namen einer schweigenden Mehrheit zu handeln: »Rand« und »Mitte« stehen also in enger Wechselwirkung. Darüber hinaus zeigt Birgit Rommelspacher (2006) in ihren Forschungsarbeiten mit Aussteiger/innen aus der rechtsextremen Szene, dass die Rolle der westlichen Dominanzkultur zentral für das Verständnis von Rechtsextremismus ist: Diese Dominanzkultur bevorzugt bestimmte soziale Gruppen wie Weiße, Christen und Männer sowie auf nationalstaatlicher Ebene die »Eingeborenen«. Zugleich werden Nicht-Weiße, Nicht-Christen, Frauen und Migrant/innen abgewertet. Diese Ungleichheit ist keine explizite Strategie, sie kann es auch nicht sein, denn die privilegierten Gruppen profitieren ja von der Existenz der nicht-privilegierten »Anderen« (nicht zuletzt als billige Arbeitskräfte und Steuerzahler/innen). Diese Ambivalenz führt zu einem zweischneidigen Umgang mit dem Rechtsextremismus durch die Mehrheitsgesellschaft: Einerseits liefert die Dominanzkultur rechtsextremen Akteuren ihre argumentative Basis, welche diese dann selektiv und zugespitzt (»Kriminelle Ausländer raus!«) ins Land tragen. Anderseits muss sie mit ihrem Selbstverständnis als »demokratische und offene Gesellschaft« Rechtsextremismus strikt zurückweisen. Mithilfe der Strategie der Projektion von Rechtsextremismus auf problematische, geschädigte und damit marginale Individuen bzw. Randgruppen kann die eigene Verantwortung negiert werden (vgl. Kleeberg-Niepage 2011b). Ohne eine Berücksichtigung der Rolle dominanter gesellschaftlicher Diskurse greift die Ursachendiskussion bezüglich der Hinwendung von Individuen zum Rechtsextremismus somit zu kurz.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Ansätze zur Erklärung von Rechtsextremismus wird deutlich, dass die Frage seiner Verortung von einiger Relevanz für die Stoßrichtung der Präventions- und Interventionsarbeit sein dürfte. Folgerichtig fokussiert die Prävention entweder auf individuelle Hilfen und politische Bildung von Jugendlichen oder auf die Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft im Allgemeinen. Kaum verhandelt wird in beiden Fälle allerdings die Frage, wie wir im Prozess des Aufwachsens überhaupt lernen, politisch zu denken. Ohne fundierte Kenntnisse über den Prozess der politischen Sozialisation steht indes der Erfolg jedweder Prävention in Frage. Wie also lässt sich dieser Prozess beschreiben?
Wann und warum beginnen Jugendliche, die in die Jugendorganisation einer Partei eintreten, sich einer linksalternativen Jugendkultur oder einer rechtsextremen Clique anschließen, politisch zu denken, zu argumentieren und zu handeln?
Für die Entwicklungspsychologie war der Bereich der politischen Sozialisation nach Preiser et al. (1980) bis in die 1980er Jahre gar kein Thema und er ist bis heute kein bestimmender Forschungsgegenstand der Disziplin. Die wenigen diesbezüglichen Arbeiten verweisen eher auf grundsätzlichere Prozesse wie die kognitive oder die Moralentwicklung (z.B. Oerter 1998; Preiser 2008) als Voraussetzung für die politische Sozialisation sowie auf das Lernen am Modell als Erklärungsansatz für die Entwicklung bestimmter politischer Einstellungen (z.B. Preiser et al. 1980). Mit Blick auf die kognitive und die Moralentwicklung wird beispielsweise betont, dass diese erst im Jugendalter einen Stand erreicht haben (z.B. »formal operatorisches Denken« nach Piaget bzw. die Beachtung gesellschaftlicher Normen auf dem »konventionellen Niveau« nach Kohlberg), der ein Verständnis komplexer politischer Prozesse sowie die Beachtung gesellschaftlicher Normen und der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien ermöglicht (vgl. Preiser 2008). Diese Einschätzung wird auch durch Studien gestützt, welche für Kinder und Jugendliche im Alter von 10–18 Jahren enorme Veränderungen im Verständnis politischer Prozesse konstatieren (z.B. Adelson 1980; Fend 1991). Oerter (1998) operiert überdies mit dem Intelligenzbegriff und geht davon aus, dass die kristalline Intelligenz (oder auch der Umfang des vorhandenen Wissens) die entscheidende Voraussetzung für die politische Sozialisation darstellt: Während die fluide Intelligenz (Verarbeitungsgeschwindigkeit etc.) bereits bei jungen Jugendlichen (ab etwa 12 Jahren) voll ausgebildet ist, steht die Akkumulation von Wissen als Grundlage dialektischen Denkens noch aus. In diesem Sinne geht Preiser (2008) hinsichtlich extremer politischer Haltungen davon aus, dass diese häufig einen passageren Charakter haben und mit Vorliegen der genannten Entwicklungsvoraussetzungen zurückgehen. Damit fokussiert die entwicklungspsychologische Perspektive hinsichtlich der Klärung des Prozesses bzw. der Entwicklungsaufgabe der politischen Sozialisation auf individuelle, intrapsychische Entwicklungsvoraussetzungen. Die Rolle der Gesellschaft hierbei bleibt auf die individuell-spezifische Wahrnehmung gesellschaftlicher Zustände (z.B. fehlende Zukunftsperspektiven) beschränkt. Allerdings sind auch die »gesellschaftlichen Zustände« keine quasi-natürlichen Bedingungen sondern Konstrukte, in denen sich verschiedene dominante Diskurse aufeinander beziehen; hinsichtlich von »Zukunftsperspektiven« beispielsweise die Stränge ökonomischer (Wirtschaftskrise oder -aufschwung), pädagogisch-psychologischer (Optimierung schulischen Lernens, Rolle individueller Intelligenz für Schulleistungen) und wertfundamentalistischer Diskurse (z.B. Leistungsbereitschaft vs. Hedonismus). Gleiches trifft auf das im Prozess der politischen Sozialisation zu akkumulierende Wissen zu: Auch dieses ist weniger objektiv und neutral vorhanden sondern vielmehr Ergebnis diskursiver Auseinandersetzungen – ein Umstand, den die genannten entwicklungspsychologischen Arbeiten m.E. nicht hinreichend thematisieren.
Auch in den Nachbardisziplinen Soziologie und Pädagogik, in denen sich ein Interesse am Prozess der politischen Sozialisation vermuten ließe, ist die Anzahl der Forschungsarbeiten zu diesem Thema (jenseits der eingangs thematisierten Frage nach der Entwicklung des politischen Interesses bzw. der Politikverdrossenheit), insgesamt und v.a. in den letzten zehn Jahren überschaubar. Die dazu vorhandenen soziologischen und pädagogischen Forschungsarbeiten (z.B. Bock 2000; Diener 2011; Does 1978; Kuhn 2000; Reinders 2001; Schmid 2004) befassen sich in Absetzung von den aufgeführten entwicklungspsychologischen Überlegungen mittels Fragebogenerhebungen oder Interviewstudien jenseits von intrapsychischen Prozessen mehr mit dem sozialen Umfeld und dessen Einfluss auf die politische Sozialisation des bzw. der Einzelnen. Dabei erbrachten sie, auch über die teilweise weit auseinander liegenden Forschungszeitpunkte hinweg, recht übereinstimmende Anhaltspunkte dafür, unter welchen Voraussetzungen bzw. mithilfe welcher Instanzen sich Jugendliche eine politische Überzeugung erarbeiten.
Zunächst ist allerdings bezüglich der genannten Studien m.E. grundsätzlich festzustellen, dass die Definition und damit auch die Operationalisierung von »politischer Sozialisation« in den meisten Arbeiten einen spezifischen normativen Gehalt haben: Es wird darin weniger danach gefragt, wie sich Jugendliche einen eigenen politischen Standpunkt (unabhängig von seinem Inhalt) aneignen, sondern vielmehr, unter welchen Bedingungen sie demokratische Werte, Überzeugungen und Einstellungen unterstützen. Letztere werden meist mit »Pluralität« und »Toleranz« umschrieben und deutlich von extremen politischen Haltungen wie dem Rechtsextremismus abgegrenzt. Folgerichtig formuliert Reinders (2001) im Ergebnis einer umfassenden Literaturübersicht zum Thema die Definition von politischer Sozialisation wie folgt:
»Politische Sozialisation wird als Prozess aufgefasst, der auf die Bewältigung der Aufgabe im Jugendalter abzielt, eine diffuse Unterstützung für die Werte, Normen und Herrschaftsstrukturen der demokratischen Ordnung zu entwickeln, um auf deren Basis das Handeln politischer Akteure bewerten zu können.« (S. 103)
Daher lautet die Grundfrage dieser Studien nicht: Wie lernt der Mensch politisches Denken? sondern eher: Wie lernt der Mensch richtiges (ergo demokratisches) politisches Denken? Rechtsextreme Überzeugungen sind nach diesem Verständnis als Fehlentwicklung, »als fehlgeleitetes Lernen« (Senghaas-Knobloch 1993, S. 107) bzw. »als eine nicht gelungene politische Sozialisation« (Reinders 2001, S. 17) zu bewerten. Ob wir es uns als Forschende mit einem solchen Verständnis von Rechtsextremismus nicht doch zu einfach machen, wird noch zu diskutieren sein; zunächst sollen diejenigen Erkenntnisse zu den relevanten Sozialisationsinstanzen (Familie, Schule, Peers, Medien), die sich m.E. trotz der spezifischen Konstruktion von politischer Sozialisation aus den genannten Studien ableiten lassen, dargestellt und diskutiert werden.
Familie: Nachdem die Sozialisationsforschung bis in die 1970er Jahre hinein davon ausging, dass die Familie im Rahmen der frühkindlichen Sozialisation die entscheidende Instanz für die späteren politischen Einstellungen eines Menschen ist, hat sich in den letzten vier Jahrzehnten zum einen der Fokus eher auf die Adoleszenz und damit fast zwangsläufig auch auf andere Sozialisationsinstanzen (Schule, Peergroup) verschoben. Zum anderen wurden die innerfamiliären Prozesse und ihre Rolle bei der Entwicklung einer politischen Überzeugung differenzierter untersucht. Denn nicht zuletzt die deutliche Absetzung vieler Jugendlicher und junger Erwachsener von den Überzeugungen und Werthaltungen ihrer Eltern im Zuge der 1968er Bewegung stellten die Idee einer simplen familiären Weitergabe bzw. Übernahme von politischen Ansichten in Frage. Im Fokus der Sozialisationsforschung steht heute folgerichtig also weniger, dass Jugendliche (möglichst) die Einstellungen ihrer Eltern übernehmen, sondern eher, welche familiären Faktoren den Erwerb eines eigenen politischen Standpunktes beeinflussen. Gegenwärtig besteht auf der Basis diverser Studien weitgehend Einigkeit darüber, dass weniger die direkte politische Beeinflussung innerhalb der Familie auf die politische Sozialisation wirkt, sondern dass vielmehr informelle, latente Faktoren und Prozesse relevant sind, beispielsweise ob überhaupt politische Gespräche in der Familie geführt werden, ob das politische Interesse durch die Eltern gefördert wird, wie die Kommunikation in der Familie zu politischen und anderen Themen grundsätzlich verläuft sowie welche Qualität die innerfamiliären Beziehungen und das Familienklima haben (vgl. Behrmann 1983; Bock 2000; Buhl 2003; Does 1978; Geißler 1996; Hopf/Hopf 1997; Preiser et al. 1980; Reinders 2001). Als Ideal für die Entwicklung eines demokratischen Standpunktes gelten im Ergebnis eine offene Kommunikationskultur, vertrauensvolle familiäre Beziehungen sowie ein von Respekt und Verlässlichkeit getragenes Familienklima. Auch wenn sich zusammenfassend formulieren ließe, dass ein demokratisches Familienleben demokratische politische Standpunkte hervorbringt, sind diese Studienergebnisse m.E. gleichwohl dahingehend interessant, dass bereits im familiären Rahmen eher grundsätzliche Werte, Umgangs- sowie Kommunikationsformen und weniger konkrete politische Einstellungen auf die politische Sozialisation von Kindern bzw. Jugendlichen wirken, was die Idee der direkten Beeinflussung, die vielen Präventionsbemühungen zugrunde liegt, in Frage stellen dürfte.
Schule/Bildung: Ähnliche Befunde ergaben die Studien hinsichtlich des Einflusses der Schule auf die politische Sozialisation: Die Wirkung direkter Einflussnahme, beispielsweise durch die Lehrkräfte oder über das Unterrichtsfach »Politische Bildung« wird als eher gering bewertet. Hingegen wird langfristigeren Bildungsprozessen und v.a. den informellen schulischen Voraussetzungen und Prozessen (»dem heimlichen Lehrplan«) eine große Bedeutung zugeschrieben: So fördert ein offenes und politisiertes Schul- und Klassenklima und die Möglichkeit der Mitbestimmung für die Schüler/innen das politische Interesse sowie die politische Kompetenz der Lernenden und damit die Voraussetzungen für die Entwicklung eines eigenen politischen – insbesondere wiederum eines demokratischen – Standpunktes (vgl. Does 1978; Fend 2000; Kuhn 2000; Preiser et al. 1980; Reinders 2001).
Peergroup: Der Einfluss der Gruppe der Gleichaltrigen auf die Entwicklung wird insbesondere im Jugendalter als hoch eingeschätzt: Sie stellt jenseits der Herkunftsfamilie Normen, Werte und Verhaltensalternativen zur Verfügung, an denen sich Heranwachsende orientieren können und mit denen sie sich im Prozess der Identitätsfindung auseinandersetzen. Inwiefern gilt dies auch für das Thema »Politik«? Da politisches Interesse und Engagement bei diversen Jugendbefragungen (Albert et al. 2010; Zehrt/Feist 2012) regelmäßig die letzten Plätze bei den abgefragten Aktivitäten und Vorlieben belegen, lässt sich annehmen, dass politische Themen im Rahmen der Peergroup eine eher untergeordnete Stellung einnehmen, eine direkte politische Beeinflussung durch den Freundeskreis somit eher selten stattfindet (vgl. Preiser et al. 1980; Reinders 2001). Gleichwohl dürften die auch in einer Peergroup geltenden »ungeschriebenen« Regeln (z.B. »Schwächere sollten unterstützt werden« oder »Fremde sind wertlos«) mit ihrer impliziten Anlehnung an verschiedene politische Orientierungen einen Beitrag zur politischen Sozialisation der Gruppenmitglieder leisten.
Medien: Der Einfluss der Medien auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen wird seit Jahrzehnten diskutiert. Zunächst am Beispiel des Fernsehens, in den letzten Jahren vermehrt am Beispiel des Computers (insbesondere Computerspiele) und der Nutzung des Internets (digitale Welten und soziale Netzwerke) wird meist Besorgnis über eine vermutete Entkoppelung der Jugendlichen von der »realen« Welt bzw. über die vermeintlichen Auswirkungen auf Gewaltbereitschaft und Gewalthandeln geäußert und diskutiert. Während es aber im öffentlichen Diskurs ausgemacht zu sein scheint, dass beispielsweise Mediengewalt direkt auf die reale Gewalt wirkt, ist die tatsächliche Studienlage hierzu weniger klar: Ließ sich in vielen Studien immerhin eine vorrübergehende Erhöhung der Gewaltbereitschaft nach dem Konsum von Mediengewalt feststellen, sind langfristige Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten kaum nachweisbar (z.B. Freedman 2002; Kunzik/Zipfel 2006) bzw. von einer Vielzahl weiterer Einflussfaktoren (z.B. Alter bzw. Generation, Geschlecht, Motivation für den Konsum) abhängig (Brosius/Mangold/Schwer 2010). Welchen Einfluss haben Medien nun auf die politische Sozialisation? Youniss et al. (2002) betonen zunächst grundsätzlich, dass die verschiedenen Medien Informationen über Politik zur Verfügung stellen. Dass diese offenbar auch von Jugendlichen durchaus genutzt werden, zeigte die Längsschnittstudie von Schmid (2004), aus der hervorgeht, dass der Konsum der befragten Jugendlichen von politischen Sendungen im Fernsehen und des politischen Teils von Tageszeitungen zum einen mit dem Alter zunahm und zum anderen zusammen mit Schulunterricht als bedeutendste Quelle zur Exploration politischer Themen benannt wurde. Kuhn (2000) weist zudem darauf hin, dass »Politik« mittlerweile selbst ein Medienereignis geworden ist und sich entsprechend inszeniert. Damit besteht durchaus die Möglichkeit, dass Jugendliche sich in der Auseinandersetzung mit den Medien auch eine politische Meinung bilden. Angesichts der Tatsache, dass Medien Werte und Normen nicht erzieherisch, sondern wiederum eher indirekt und v.a. in großer, nicht immer konsistenter Vielfalt vermitteln, stellt sich eher die Frage, ob Jugendliche (und Erwachsene) diese Vielfalt verarbeiten können. In Bezug auf das Fernsehen kommt Kuhn im Rahmen seiner Untersuchungen zu dem Schluss, dass Jugendliche, die das Fernsehen als Informationsmedium benutzen (Fokussierung auf bestimmte Sendungen), politisch interessierter und beteiligungsbereiter sind als diejenigen, die viele aber wenig spezifische Inhalte konsumieren. Da m.E. allerdings durchaus die Möglichkeit besteht, dass bestimmte Sendungen gesehen werden, weil schon vorher ein gewissen Interesse daran besteht, ist dieses Ergebnis für Aussagen hinsichtlich der direkten Wirkkraft von Medien (hier: des Fernsehens) für die politische Sozialisation begrenzt. Zu vermuten ist, dass – wie schon bei den zuvor berücksichtigen Sozialisationsinstanzen – eher latente und indirekte Einflüsse auf die Ausbildung eines eigenen politischen Standpunkts wirken. Die Medienanalysen von Jäger (z.B. 2009), welche beispielsweise die verschiedenen Bezüge auf rassistische Diskurse bei der Präsentation des »Ausländerthemas« aufzeigen, bestätigen diese Vermutung m.E. eindrucksvoll.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass über die verschiedenen Sozialisationsinstanzen hinweg ein eher indirekter und latenter Einfluss auf die politische Sozialisation vorzuliegen scheint: Jugendliche achten bei der Entwicklung eines politischen Standpunktes offenbar weniger auf plakative Bekenntnisse und Belehrungen als vielmehr auf die Zwischentöne sowohl in den zwischenmenschlichen Beziehungen als auch im Kontext von Bildungsinstitutionen. Dies heißt aber m.E. nicht, dass Jugendliche in diesem Prozess quasi passiv sind: Sowohl ein demokratisches Familienleben, das eine Beteiligung der Jugendlichen an Diskussionen unterstützt, die offenbar große Bedeutung von Mitbestimmungsprozessen in Bildungseinrichtungen, als auch die selektive Rezeption von Medieninhalten lässt auf vielfältige Auseinandersetzungen von Jugendlichen mit dem Thema Politik und somit auf einen aktiven Aneignungsprozess schließen. Die Studienergebnisse hinsichtlich der Latenz der Einflüsse der verschiedenen Instanzen auf die poltische Sozialisation bestätigen m.E. zudem die entscheidende Rolle gesellschaftlicher Diskurse bei der Entwicklung eines politischen Standpunktes, denn weder die Freund/innen und noch weniger die Familie (als »Keimzelle der Gesellschaft«) oder die Schule bzw. die Lehrkräfte agieren im »gesellschaftsfreien« Raum. Inwiefern dies für die Präventionsarbeit in Bezug auf den Rechtsextremismus von Bedeutung ist, wird noch zu erörtern sein. Zunächst soll es im Folgenden darum gehen festzustellen, ob und inwiefern sich die Ergebnisse der Forschungen zur politischen Sozialisation, die sich wie eingangs angemerkt ja eigentlich mit der Aneignung eines demokratischen Standpunktes befassen, auch in den Lebensgeschichten rechtsextremer Gewaltstraftäter/innen wiederfinden.
Wie kommt ein Jugendlicher wie Maik zu einer rechtsextremen politischen Überzeugung[3]? Im Rahmen des Forschungsprojektes »Entwicklung kommunaler Strategien gegen Extremismus« am Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam wurde zwischen 2009 und 2011 u.a. der Frage nachgegangen, inwiefern die Entwicklungsverläufe junger Rechtsextremist/innen für die Prävention und Intervention relevante Gemeinsamkeiten oder auch Unterschiede aufweisen. Hierzu wurden 15 leitfadengestützte, biografische Interviews mit jungen Straftäter/innen, deren jeweilige Straftat(en) von der Justiz als rechtsextrem motiviert bewertet wurden, einer qualitativen Inhaltsanalyse (Gläser/Laudel 2009) unterzogen. Betont werden muss, dass es sich bei dieser Stichprobe um eine sehr spezifische Klientel – verurteilte Gewaltstraftäter/innen – handelte, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Rechtsextremist/innen im Allgemeinen (z.B. auf jene, die keine Straftaten begehen) einschränkt. Damit einher geht auch eine besondere Geschlechtsspezifik im Sample: Da Männer in der Gruppe derer, die Gewaltstraftaten (mit oder ohne rechtsextremer Tatmotivation) begehen, deutlich überrepräsentiert sind (Wahl 2001; Willems 1993; Bundeskriminalamt 2009) konnte neben 14 Männern nur eine Frau[4] befragt und somit kein geschlechtsspezifischer Vergleich vorgenommen werden. Trotz dieser Besonderheiten lassen sich m.E. aus den Ergebnissen[5] wichtige Erkenntnisse bezüglich des Prozesses der politischen Sozialisation bei diesen Jugendlichen und damit auch hinsichtlich der Frage, inwiefern dieser hier tatsächlich eine »Fehlentwicklung« dargestellt, ableiten.
Aus Maiks Lebensgeschichte lassen sich mit der Familie und der Peergroup bereits zwei beeinflussende Instanzen, über die er mit rechtsextremem Gedankengut in Kontakt gekommen ist und die somit für seine politische Sozialisation bedeutend sein dürften, ausmachen. Im Folgenden werden diese und weitere Einflussbereiche in Bezug auf die oben vorgestellten Ergebnisse der Sozialisationsforschung vorgestellt und diskutiert.
Im Fall von Maik ist besonders die Rolle des älteren Bruders, der ihn bereits im Kindesalter in die rechte Szene einführte, interessant, denn die Bedeutung von Geschwistern für die politische Sozialisation ist bislang kaum erforscht (vgl. auch Bock 2000). Während rechtsextreme ältere Geschwister bei zwei weiteren Interviewten thematisiert wurden, fanden sich ähnlich wie bei Maik bei insgesamt vier Befragten Hinweise auf rechtsorientierte politische Einstellungen zumindest eines Elternteils. Bei einem Interviewten wird zudem die Bedeutung der Großelterngeneration deutlich: Ein spezifischer, von der öffentlichen Geschichtsschreibung abweichender Blick auf die NS-Zeit, den Krieg und die Besetzung Ostdeutschlands durch die Rote Armee führten in diesem Fall zu einem starken historischen Interesse und zur Ausbildung eines übersteigerten Nationalismus des Jugendlichen. Anzumerken ist, dass keiner der Interviewten aus einer rechtsextremen Familie in dem Sinne stammte, dass bereits die Eltern in das Visier einer Strafverfolgung gekommen wären. In den Narrationen derjenigen Befragten, welche bereits in der Herkunftsfamilie mit rechtsextremen Orientierungen in Kontakt gekommen waren, zeigte sich in Übereinstimmung mit den Studien zur politischen Sozialisation, dass die Beeinflussung durch die Familienmitglieder weniger direkt als vielmehr indirekt erfolgte: Über eine Selbstverständlichkeit nationalistischer bzw. fremdenfeindlicher Ansichten in der familiären Kommunikation, eine Abwertung von »Fremden« sowie demokratischen Institutionen und die auseinandersetzungslose Duldung eines rechtsextremen Outfits sowie entsprechender Sprüche und des Freundeskreises der Jugendlichen durch die Eltern. Dezidierte politische Gespräche erinnerten diese Befragten hingegen kaum oder gar nicht.
Interessanterweise waren unter den Interviewten immerhin vier, deren Narrationen bezüglich des Elternhauses nicht nur auf stabile und vertrauensvolle Beziehungen sondern auch auf eine offene Diskussionskultur sowie eine explizite Ablehnung rechtsextremer Einstellungen durch die Eltern schließen lassen. Dieses im Rahmen der aufgeführten Sozialisationsstudien gerade für die Ausbildung eines demokratischen Standpunktes als ideal beschriebene Familienklima konnte in diesen Fällen weder den Szeneeinstieg, die Aneignung rechtsextremer bzw. zumindest ausländerfeindlicher Orientierungen noch das Begehen entsprechender Straftaten verhindern, zu stark – so sahen es diese Befragten rückblickend – sei der Sog der mit dem eigenen Bekenntnis zum Rechtsextremismus einhergehenden Provokation gewesen. Gleichwohl scheinen diese Familienkonstellationen mit ihrer deutlichen Kritik an den Einstellungen und am Verhalten der Jugendlichen sowie der zugleich aber gewährten Unterstützung im Notfall (z.B. bei den Gerichtsverfahren) für den weiteren Entwicklungsverlauf sehr bedeutend zu sein: Alle vier Jugendlichen sind nach ihrer Verurteilung nicht nur aus der Szene ausgestiegen, sondern haben nach eigenem Bekunden auch ihre rechtsextremen Überzeugungen[7] ad acta gelegt.
Hingegen waren insbesondere diejenigen, bei denen v.a. die Eltern nach Einschätzung der Befragten die rechtsextremen Einstellungen und das entsprechend motivierte Verhalten weitgehend duldeten, auch nach ihrer Verurteilung sowohl in der Szene aktiv als auch – nach eigenem Bekenntnis – ihren rechtsextremen Überzeugungen treu geblieben. Hierbei fiel insbesondere eine Gruppe von Befragten auf, die, anders als Maik, ihre Familienverhältnisse als stabil und gewaltfrei sowie das Verhältnis zu den Eltern als gut einschätzte. Rechtsextreme Überzeugungen scheinen somit häufig eben kein schlichtes Desiderat desolater broken-home-Situationen zu sein, sondern gerade im Kontext von anscheinend »normalen« Familienverhältnissen zu gedeihen, deren Spezifik – antidemokratische Orientierungen bzw. deren Duldung durch die Eltern – sich erst auf den zweiten Blick offenbart.
Im Gegensatz zu der obigen Annahme, dass der Einfluss der Peers auf die politische (demokratische) Sozialisation eine nachgeordnete Bedeutung haben könnte, berichten alle Interviewten von meist gleichaltrigen (i.d.R. männlichen) Freunden, über die sie mit rechtsextremen Einstellungen in Kontakt gekommen seien. Zudem waren 13 der 15 Täter/innen ähnlich wie Maik zumindest in eine rechtsorientierte Freundesgruppe, in einigen Fällen auch in kameradschaftsähnliche Gruppierungen eingebunden. In den meisten Fällen waren beim Einstieg in die Gruppe allenfalls latent rechtsorientierte Einstellungen vorhanden, die Ideologisierung in Richtung einer manifesten Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremer Überzeugungen erfolgte erst im engeren Gruppenkontext. Von einer Beeinflussung der politischen Sozialisation durch die Peers kann somit ausgegangen werden. Insbesondere bei denjenigen Interviewten, die bereits in der Herkunftsfamilie mit rechtsextremem Gedankengut in Kontakt kamen, war dies ein durchaus aktiver Prozess: Gemeinsam mit den Freunden oder auch in Eigeninitiative informierten sie sich über die deutsche Geschichte, insbesondere den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Ziel war allerdings weniger ein differenzierter politischer Standpunkt als vielmehr die Fundierung bereits vorhandener Einstellungen und Ressentiments. Gleichwohl lässt sich hieran erkennen, dass auch eine rechtsextreme politische Überzeugung das Ergebnis einer bewussten Entscheidung sein kann und keineswegs nur ungünstigen Entwicklungsbedingungen geschuldet ist.
Die Rolle der Schule auf die politische Sozialisation der Interviewten korrespondiert im Wesentlichen mit den oben aufgeführten Studienergebnissen, nach denen anzunehmen ist, dass das Schulklima bzw. die allgemeine und politische Auseinandersetzungskultur die Jugendlichen in der Ausbildung eines politischen Standpunktes beeinflussen. Dass immerhin neun der 15 Interviewten sich (auch auf Nachfrage) gar nicht über die Art und Weise des Umgangs der Schule mit ihrem rechtsextremen Auftreten äußern bzw. sich daran erinnern können, kann m.E. durchaus als eine fehlende Streitkultur gedeutet werden. Darüber hinaus berichten zwei Täter/innen explizit von einer stillschweigenden Duldung ihres offen rechtsextremen Auftretens durch die Lehrkräfte, da diese keinen Ärger gewollt hätten. Zweimal werden durch die Interviewten (erfolglose) disziplinarische Maßnahmen (z.B. Ausschluss vom Unterricht bei provokanten Fragen oder Äußerungen) bzw. deren Androhung durch die Schule berichtet. Zwei Interviewte erinnern sich an Aussprachen in der Schule, bei denen das rechtsextreme Auftreten und v.a. diverse Gewalthandlungen im Schulkontext thematisiert wurden. Nur einem Interviewten hat sich ein direktes und konstruktives Gesprächsangebot durch den Klassenlehrer bezüglich seiner politischen Einstellungen eingeprägt, welches er, obwohl es damals ungenutzt blieb, auch im biografischen Rückblick positiv bewertet. Die häufige Ignoranz der rechtsextremen Äußerungsformen der Befragten durch die Schulen bzw. der Versuch, sich diesen per Disziplinarmaßnahmen zu entledigen, und die offenbar nicht geführte breite politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus mögen zum einen ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung rechtsextremer Orientierungen bei den Interviewten geleistet haben. Zum anderen – und vielleicht noch fataler – dürften sie den anderen Schüler/innen das Bild von Bildungseinrichtungen vermittelt haben, welche sich mit rechtsextremen Überzeugungen nicht kritisch und entschlossen auseinandersetzen.
Über die Bedeutung von Medien für die Aneignung einer rechtsextremen politischen Orientierung äußern sich die Interviewten kaum. Lediglich rechtsextreme Musik und deren Texte waren in den meisten Gruppenzusammenhängen ein verbindendes Element, welches die Jugendlichen allerdings eher in ihren bereits bestehenden Ansichten bestärkte. Internetforen oder digitale soziale Netzwerke spielten zur Zeit der politischen Sozialisation der Interviewten (Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre) noch eine geringere Rolle als heute[9]. Gleichwohl lässt sich die These wagen, dass spezifische rechtsextreme Inhalte erst dann genutzt werden, wenn bestimmte Einstellungen bereits bestehen. Hier wäre im Sinne von Jäger (2009) das Augenmerk eher auf die latent biologistischen, rassistischen und rechtsextremen Diskursanteile, welche in den Alltagsmedien beständig reproduziert werden, zu richten.
Was lässt sich aus den Lebensgeschichten rechtsextremer Jugendlicher hinsichtlich des Prozesses der politischen Sozialisation ableiten? Auch wenn die eigenen politischen Prinzipien der Forschenden rechtsextremen Überzeugungen diametral entgegenstehen mögen, die Konstruktion von Rechtsextremismus als »Fehlentwicklung« wird dem Phänomen wohl kaum gerecht. Selbst für eine recht spezifische und wenig »normal« erscheinende Gruppe wie rechtsextreme Gewaltstraftäter/innen scheinen bei der politischen Sozialisation die gleichen Instanzen auch in der gleichen Weise relevant zu sein, wie für andere Aufwachsende auch, sowohl bei der Qualität familiärer Beziehungen, beim politischen Klima an Bildungseinrichtungen als auch bei den grundsätzlichen Werthaltungen im Freundeskreis. Sicher häuften sich bei einigen Befragten eher ungünstig zu nennende Bedingungen des Aufwachsens, eine spezifische Sozialisation in Richtung Rechtsextremismus ließ sich gleichwohl nicht feststellen.
So werden die Ergebnisse der Studien zur politischen Sozialisation dahingehend bestätigt, dass auch rechtsextreme Überzeugungen weniger Ergebnis einer direkten Indoktrination als vielmehr latenter, indirekter Einflüsse aus den Instanzen des sozialen und gesellschaftlichen Umfeldes sind. Die Normalität von demokratie- und fremdenfeindlichen Äußerungen im familiären Rahmen, die Duldung rechtsextremer Äußerungsformen im schulischen Kontext und die gegenseitige Bestärkung von rechtsextremen Haltungen im Freundeskreis stellen, v.a. wenn sie in Kombination auftreten, starke Gefahren für die Entwicklung eines rechtsextremen politischen Standpunktes dar. Doch auch wenn die Familie und Lehrkräfte solche Einstellungen ablehnen, ist die Gefahr nicht gebannt: So erlebten gerade diejenigen Interviewten, die aus stabilen und den Rechtsextremismus ablehnenden Familien stammten, v.a. die Provokationswirkung ihres Auftretens und der zur Schau gestellten Gesinnung sowie den damit verbundenen Außenseiterstatus fast lustvoll – auch hier spielt das Gespür dafür, wie die Erwachsenen- bzw. Mehrheitsgesellschaft mit dem »Phänomen Rechtsextremismus« umgeht, für das Ausleben dieser Provokationslust eine entscheidende Rolle. Zugleich wurde in den Interviewanalysen am Beispiel derer, die sich intensiv mit der deutschen Geschichte auseinandersetzten, deutlich, dass eine rechtsextreme Überzeugung auch Ergebnis eines aktiven Aneignungsprozesses ist.
Zudem wurde klar, dass politische Sozialisation keine isolierte Entwicklungsaufgabe ist, sondern sich im Kontext diverser Sozialisationsinstanzen und -prozesse vollzieht. Doch auch individuell-biografische Einflüsse spielen eine Rolle: Insbesondere diejenigen Interviewten, die aus desolaten Familienverhältnissen stammten und deren Schulkarriere überwiegend unbefriedigend verlief, fielen in ihrer Weltsicht durch einen ausgeprägten Hass auf Ausländer auf. Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese dezidierte Abwertung »Fremder« der eigenen Aufwertung dienen könnte. Zum anderen ist aber auch hier zu berücksichtigen, dass einer solchen Abwertung im politischen und öffentlichen Diskurs bereits Vorschub geleistet wird, wenn beispielsweise »Flüchtlingsströme« befürchtet oder hohe Schulabbruchquoten und mangelnde Deutschkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund als quasi-natürliche Merkmale diskutiert werden.
Was die vorgestellten Ergebnisse vor dem Hintergrund, dass rechtsextremistische Überzeugungen unbestreitbar wenig wünschenswert sind, für die Prävention heißen können, wird im Folgenden diskutiert.
»Kein Wunder wird mehr bewirken, dass absichtliche Erziehungsmaßnahmen an den Jugendlichen herankommen, wenn er es selbst nicht will.« (Spranger 1955, zit. n. Reinders 2001, S. 43)
Wie können wir verhindern, dass sich Jugendliche wie Maik rechtsextremen Überzeugungen zuwenden? Wenn, wie die vorliegenden Lebensgeschichten m.E. zeigen, auch rechtsextreme Gewaltstraftäter/innen keine bloßen »Opfer« ihrer Lebensumstände sind, Rechtsextremismus somit eben keine »Fehlentwicklung«, sondern Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung mit bedeutsamen Sozialisationsinstanzen ist, müsste sich der Blick weniger auf die Individuen als vielmehr auf eben jene Sozialisationsinstanzen konzentrieren. Vor dem Hintergrund der bis zu deutlich zweistelligen prozentualen Anteile deutscher Erwachsener, die rechtsautoritären, antisemitischen, chauvinistischen, ausländerfeindlichen und sozialdarwinistischen Aussagen »überwiegend« oder »voll und ganz« zustimmen (vgl. Decker/Weißmann/Kiess/Brähler 2010) muss die Frage gestellt werden, wie Jugendliche eigentlich »richtig« denken lernen sollen? Denn anhand solcher Befunde könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass rechtsextreme Überzeugungen angesichts der Signale des sozialen und gesellschaftlichen Umfeldes letztlich folgerichtig sein könnten.
Obwohl die dargestellte Komplexität und Indirektheit des Prozesses der politischen Sozialisation die Wirkung von »mehr Aufklärung« recht fraglich erscheinen lässt, heben die laufenden Präventionsbemühungen vielfach auf die Annahme ab, dass Jugendliche im Allgemeinen und Rechtsextremist/innen im Besonderen hinsichtlich historischer oder politischer Zusammenhänge nicht gebildet oder aufgeklärt genug seien. Abgesehen von der hier mitgeführten und m.E. bislang nicht belegten Annahme, dass mehr Bildung und Aufklärung zu weniger Rechtsextremismus bei Jugendlichen führt (z.B. bleibt der »harte« Kern hochgradig rechtextrem eingestellter Jugendlicher im Land Brandenburg seit Jahren mit rund drei Prozent recht stabil, vgl. Burkert 2012; zur Evaluation von Bildungsprogrammen vgl. Rieker 2009), besteht mit der Setzung des Primats der Bildung auch die Gefahr ihrer Überschätzung: Bildung und Erziehung zu Demokratie zeitigen u.U. eher Renitenz als Erfolg (Holzkamp 1994).
Zudem fokussiert »Aufklärung« letztlich auf individuelle (Bildungs-) Defizite und hinterfragt die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht (Osterkamp 1996). Zwar werden – wie sich beispielsweise am »Interkulturellen Lernen« ablesen lässt – durchaus auch gesellschaftliche Zustände thematisiert, die Zwiespältigkeit der herrschenden Diskurse bleibt allerdings unhinterfragt. Genau hier wäre aber m.E. eine Möglichkeit, die Schnittstelle zwischen gesellschaftlichem und individuellem Denken inhaltlich zu füllen. Denn mit Bezug auf die Befunde von Jäger (2009) und Rommelspacher (2006) ist anzunehmen, dass eine öffentliche Analyse und Hinterfragung herrschender Diskurse mit ihren menschenfeindlichen Bezügen auch eine dämpfende Wirkung auf die Aneignung rechtsextremer Überzeugungen durch die nachwachsende Generation haben könnte.
Auch in der Interventionsarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen bleibt die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Dimension von Rechtsextremismus begrenzt. So konzentriert sich beispielsweise die Arbeit mit gewalttätigen und teilweise auch inhaftierten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen v.a. auf Anti-Gewalt- und Anti-Aggressionstrainings sowie die Aufarbeitung von Straftaten und deren Kontext, wobei beispielsweise rechtsextreme Argumentationsweisen hinterfragt werden (z.B. Violence-Prevention-Network 2012). Diese unbestreitbar wichtige und hinsichtlich weiterer Gewalttaten auch erfolgreiche Arbeit geht somit ebenfalls von individuellen Defiziten (in der Konfliktbewältigung bzw. beim Durchschauen rechtsextremer Denkweisen) aus. Empfehlungen bzw. Handreichungen für die sozialpädagogische Arbeit[10] mit rechtsorientierten Jugendlichen fokussieren u.a. darauf, demokratische Spielregeln und einen menschenrechtsorientierten Minimalkonsens durchzusetzen (Verein für demokratische Kultur Berlin 2006). In beiden Fällen werden zwar demokratische Standpunkte und Argumentationen an rechtsextreme Jugendliche herangeführt bzw. rechtsextreme Begründungen hinterfragt, der Anteil der gesellschaftlichen Mitte am Rechtsextremismus wird aber nicht thematisiert. Bezüglich der Erfolge der sozialpädagogischen Arbeit resümiert Rieker (2009) denn auch, dass zwar eine Deeskalation und auch die Annahme alternativer Angebote durch die Jugendlichen zu beobachten ist, die Bilanz hinsichtlich einer Veränderung der politischen Einstellungen und entsprechender Handlungsweisen allerdings ernüchternd ausfällt.
Eine andere, eher im Sinne Jägers und Rommelspachers angelegte Strategie verfolgen Aktivitäten, die sich mit den Begriffen »Demokratieentwicklung« bzw. »Stärkung von Zivilgesellschaft« benennen lassen. Diese Maßnahmen konzentrieren sich gerade nicht auf Rechtsextremist/innen, sondern auf die »andere« Seite, beispielsweise die Unterstützung einer demokratischen Gegenkultur oder auf die Opfer von Rechtsextremismus (vgl. z.B. Amadeu Antonio Stiftung 2011; Opferperspektive 2011). Dabei wird kontinuierlich auf die menschenfeindlichen Strukturen und Diskurse in der Mehrheitsgesellschaft (z.B. gesetzliche Regelungen bezüglich Einwanderungen und dem Recht auf Asyl) hingewiesen. Zwar sind die Auswirkungen dieser Strategie auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs bislang noch begrenzt, gleichwohl erscheint sie – auch mit Blick auf die Latenz des Prozesses der politischen Sozialisation – derzeit als einzige langfristig erfolgversprechende Vorgehensweise.
Was heißt dies nun für einen Jugendlichen wie Maik und seinen Erfahrungen wie die Ermutigungen zu rechtsextremen Orientierungen in Familie und Peergroup, die Duldung im schulischen und sozialen Umfeld sowie seinem Erleben von Zugehörigkeit und Selbstbestätigung in einer rechtsorientierten Gruppe? Da er Gewalt mittlerweile selbst ablehnt und auch gegenüber den von ihm betreuten Jugendlichen eher das Credo »rechts mit Verstand« (Interview Maik, Z. 487) propagiert sowie auf Nachfrage eine gefestigte rechtsextreme Überzeugung vertritt, scheinen individuelle Aufklärungsmaßnahmen an dieser Stelle der Biografie wenig erfolgversprechend zu sein. Der Fokus auf das Umfeld (z.B. Sensibilisierung der Bewährungshilfe) und entsprechende daraus resultierende und klar vertretene Grenzsetzungen könnte wohl eher einen Denkanstoß bewirken. Bezogen auf den Prozess der politischen Sozialisation und der hierbei relevanten Instanzen, über die letztlich auch Maik zu seinen Überzeugungen gekommen ist, sind entsprechend früh ansetzende und durchgängig zu betreibende Aktivitäten sinnvoll, am Beispiel der Schule spricht dies für eine offene Diskussionskultur und die alltägliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und somit gegen das Wegsehen, Aussitzen oder Ausgrenzen der Betreffenden, wie es viele der Interviewten erinnern oder die nur auf ein Unterrichtsfach oder einen Projekttag begrenzte Behandlung des Themas. Um rechtsextreme Überzeugungen nachhaltig mit verhindern helfen zu können, muss eine solche Schulkultur sich allerdings offensichtlich in einem ähnlich offenen und selbstkritischen gesellschaftlichen Diskussions- und Diskursklima bewegen.
Mit einer Konstruktion von Rechtsextremismus als »fehlgeleitetem Lernen«, soviel dürfte klar geworden sein, machen wir es uns als Forschende definitiv zu einfach. Die Konstruktion von »Rechtsextremismus« als individuelle Fehlentwicklung und seine Projektion auf den gesellschaftlichen Rand sind Teil der Strategie der dominanten Mehrheitsgesellschaft, den eigenen Anteil an rechtsextremem Denken und Handeln zu verschleiern. Sowohl die Ergebnisse der Forschungen zur politischen Sozialisation als auch jene der ausgewerteten Interviews mit rechtsextrem motivierten Gewaltstraftäter/innen zeigen die enge Verflechtung zwischen individuellem und gesellschaftlichem Denken im Prozess der Hinwendung zu rechtsextremen Überzeugungen. Zugleich wurde deutlich, dass die politische Sozialisation ein aktiver und zudem ein reziproker Prozess ist: Die Rückführung von Rechtsextremismus auf bestimmte, ungünstige Entwicklungsbedingungen spricht den Betreffenden diese Aktivität ab und reduziert sie auf rein reaktive Individuen. Daher sind wir als Entwicklungspsycholog/innen m.E. gut beraten, auch bei der Erforschung uns fremd erscheinender Entwicklungswege den eigenen Anspruch einzulösen, Entwicklung als einen wechselseitigen und interaktiven Prozess zu verstehen. Dazu gehört auch, die Rolle der Gesellschaft und ihrer dominanten Diskurse kontinuierlich zu berücksichtigen. In der Erforschung der politischen Sozialisation bzw. der Hinwendung zu rechtsextremen Überzeugungen kann es also nicht nur darum gehen, wie sich »Fehlentwicklungen« verhindern lassen, sondern wie dieser Prozess überhaupt verläuft, welche Sozialisationsinstanzen und gesellschaftlichen Diskurse eine Rolle spielen und welche Bedeutung das gesellschaftliche Umfeld hierbei hat. Dass sich rechtsextremes Denken letztlich den gleichen Weg durch die Sozialisationsinstanzen bahnt wie demokratisches Denken auch, spricht zwar zum einen für die Konzeption des Prozesses der politischen Sozialisation aber zum anderen gegen die Idee, dass Rechtextremismus eine Sonderform oder eben »Fehlentwicklung« politischer Sozialisation darstellt.
Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Anteile am »Phänomen Rechtsextremismus« gilt auch für die Präventionsarbeit, welche eine wichtige und eben auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Individualisierte Ansätze können im Einzelfall hilfreich sein (z.B. im Rahmen von Aussteigerprogrammen wie »EXIT«); das Grundproblem der Verquickung von Rechtsextremismus und Mehrheitsgesellschaft lösen sie aber nicht. Wirksame und nachhaltige Prävention gegen die Hinwendung von Jugendlichen zu rechtsextremen Überzeugungen muss mit der Tatsache leben, dass weniger explizite als vielmehr implizite Inhalte, Strukturen und Prozesse die politische Sozialisation beeinflussen. Daher stehen zum einen Aktivitäten im Mittelpunkt, welche 1. die Jugendlichen nicht belehren, sondern sie aktivieren und darin bestärken, einen eigenen Zugang zu politischen Themen zu finden, die 2. langfristig angelegt sind, auch da der Erfolg von kurzfristigen Projekten oft kaum nachzuweisen ist (Rieker 2009) und die 3. dahingehend ehrlich sind, dass sie die öffentlichen und politischen Diskurse auf ihre eigenen Anteile an rechtextremen Denkweisen analysieren und hinterfragen. Damit ließe sich m.E. durchaus auf individueller und gesellschaftlicher Ebene ein politisches Denken jenseits des Rechtsextremismus lernen.
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Das Interesse an Politik wird in diesen Studien zumeist in Form einer Selbsteinschätzung erhoben, wobei »Politik« nicht näher definiert wird und es somit den Befragten überlassen bleibt, was diese jeweils darunter verstehen. Politikverdrossenheit wird dagegen auf der Basis einer Bewertung des Agierens von »Parteien«, »Politikern« bzw. der »Regierung« ermittelt (vgl. Albert et al. 2010; Zehrt/Feist 2012).
Name anonymisiert, für Informationen zur Studie vgl. Abschnitt 4 dieses Beitrags.
»Rechtsextremismus« bzw. ein »rechtsextremes Weltbild« wird in der politikwissenschaftlichen Forschung als Einstellung definiert, die durch Merkmale wie einen übersteigerten Nationalismus, Ethnozentrismus, Rassismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Pro-Nazismus, Sozialdarwinismus, Sexismus sowie Autoritarismus gekennzeichnet sind (vgl. z.B. Jaschke 2006). Da sich bei den politischen Einstellungen der Interviewten oft einige, aber nicht alle Merkmale eines rechtsextremen Weltbildes finden ließen, ist im Folgenden diesbezüglich von »rechtsextremen Orientierungen« oder »Überzeugungen« die Rede.
Aufgrund der relativen Ausnahmestellung rechtsextremer Gewaltstraftäterinnen wird in der folgenden Ergebniszusammenfassung aus Datenschutzgründen keine geschlechtsbezogene Unterscheidung der Befragten vorgenommen.
Die Studienergebnisse können an dieser Stelle nicht in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Sie konzentrieren sich vielmehr auf diejenigen Befunde, welche in Bezug auf den Nachvollzug der politischen Sozialisation der Befragten relevant waren.
In Übereinstimmung mit den o.g. Täter/innenstudien (Lützinger 2010; Wahl 2001; Willems 1993) entstammten auch die hier interviewten Jugendlichen zu einem beträchtlichen Teil (acht von 15 Befragten) aus problembeladenen weil instabilen und teilweise gewalthaltigen Familienverhältnissen. Die restlichen Interviewten schätzten die Beziehungen innerhalb ihrer Herkunftsfamilie hingegen als stabil und gut ein.
Allen Interviewten wurden am Ende des Gesprächs verschiedene Fragen hinsichtlich nationalistischer, rassistischer, sozialdarwinistischer und ausländerfeindlicher Überzeugungen gestellt, woraus sich Rückschlüsse auf die politische Orientierung zum Zeitpunkt des Interviews ziehen lassen.
Die Befunde der o.g. Täter/innenstudien (Lützinger 2010; Wahl 2001; Willems 1993) zur Bildungssituation rechtsextremer Straftäter/innen spiegeln sich auch bei den hier Interviewten wider: Acht Interviewte haben die Schule ohne einen Abschluss verlassen (einer von ihnen holte allerdings später einen Hauptschulabschluss nach), von den übrigen sieben verfügt nur einer über die Fachhochschulreife. Immerhin drei der Interviewten haben allerdings eine Berufsausbildung abgeschlossen, einer hatte zum Interviewzeitpunkt eine Ausbildung begonnen, ein weiterer bemühte sich intensiv darum.
Zu den diesbezüglichen Veränderungen vgl. z.B. Hugger (2010). Die inzwischen deutlich angestiegene Zahl und damit vermutlich auch die Bedeutung rechtsextremer Internetinhalte dokumentiert seit 2000 der jährliche Bericht der gemeinsamen Stelle der Bundesländer für den Jugendschutz jugendschutz.net (z.B. jugendschutz.net 2011).
Im Ergebnis seiner Übersicht über die Ansätze und Ergebnisse (sozial-) pädagogischer Präventions- und Interventionsarbeit hinsichtlich des Rechtsextremismus konstatiert Rieker (2009), dass sich in der praktischen Arbeit kaum eine strikte Orientierung an bestimmen sozialpädagogischen Konzepten (z.B. die akzeptierende oder die gerechtigkeitsorientierte Jugendarbeit) sondern eher eine stete Vermischung verschiedener Konzepte vorfinden lässt.