Editorial

Klaus-Jürgen Bruder & Zülfukar Çetin

Islamismus und Terrorismus bedrohen uns alle. Wer dieses Thema im Namen ›politischer Korrektheit‹ tabuisiert, versündigt sich an unserem Gemeinwesen. Daher fordern wir die Vorlage eines jährlichen Situationsberichtes über den Stand der Islamisierung. Ein solcher Bericht hat sich kritisch mit der Integration von Muslimen zu befassen im Hinblick auf die Themenbereiche Praktizierung der Scharia, Gewaltpotential und Terrorismusgefahr, Lebensweise und Bildung einer Parallelgesellschaft, Haßprediger, religiöse Erziehung, Haltung zum Extremismus, Zwangsehe, Ehrenmord, Menschenrechte, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Demokratieverständnis und Toleranz.[1]

In diesem Themenheft diskutieren die Autor_innen Bilder, Szenarien, Politiken, Positionen und Aussagen über Menschen, die im hegemonialen gesellschaftlichen Diskurs als Muslim_innen markiert sind. Der Gegenstand des Heftes sind dabei nicht nur Muslim_innen, sondern auch die christlich geprägte westliche Mehrheitsgesellschaft und ihre politische, akademische und mediale Elite und ihr diskursiv und ikonisch produziertes »Anderes«.

Der 11. September 2001 wird heutzutage als ein Wendepunkt in der Geschichte der christlich geprägten westlichen Welt betrachtet. Seit dem werden in verschiedenen Bereichen verstärkt Diskussionen geführt, Politiken durchgesetzt, Strategien entwickelt, Bildungsprojekte initiiert, Studien betrieben. Auch wenn der 11. September oft als Beginn eines verstärkten Antimuslimischen Rassismus oder einer gesteigerten Islamophobie[2] angenommen wird, wollen wir uns nicht auf einen solchen konstatierbaren Beginn dieses transnationalen und nicht auf unsere Gegenwart beschränkten Phänomens festlegen. Wir sehen vielmehr die Anfänge der antimuslimischen bzw. antiislamischen Positionen schon in der frühmittelalterlichen Geschichte Europas,[3] beginnend mit der spanischen Reconquista seit dem achten Jahrhundert. An ihr können wir die Entstehung und Entwicklung des gegenwärtigen Antimuslimischen Rassismus bzw. einer antiislamischen Position in den christlich geprägten westlichen Ländern verstehen.

Zwischen dem achten und dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war Spanien nicht nur muslimisch und als Territorium des Emirats seit 756 und seit 929 des Kalifats - von Cordoba ein blühendes Kulturland, dass das angrenzende Frankenreich und Mitteleuropa bei weitem übertraf. Gleichzeitig und von Anfang der Eroberung durch die Mauren an führten die Reste der von den Mauren besiegten Westgotischen Reiche einen hartnäckigen und ununterbrochenen Kampf gegen diese »Fremdherrschaft«. Als Königreiche organisiert, hatten sie sich in den Bergen der Küstenregion verschanzt und in feindliche Stellung gegen den muslimischen Süden gebracht.

Entsprechend der christlichen Ideologisierung dieses Kampfes wurde ein Pilgerweg entlang der Grenze eingerichtet, der von der Grenze zu Frankreich bis zum Atlantik führte und dessen Ziel Santiago war, benannt nach dem zum Schutzheiligen erhobenen Jakob, dessen Grab in der Nähe an der Atlantikküste rechtzeitig »entdeckt« worden war. Dieser Pilgerweg, Jakobsweg, vergleichbar der Pilgerwege entlang der Mauer zur DDR, sollte mit den Pilgerzügen die Präsenz der Christen gegenüber den Muslimen demonstrieren und den Anspruch auf »Wiedervereinigung« vor der Öffentlichkeit demonstrieren, unterstreichen. Santiago wurde neben Jerusalem und Rom zum dritten und schließlich ersten Heiligen Ort der Pilgerreisen. Die Jakobswege durchzogen das gesamte christliche Europa. Alle diese Wege führten (nicht nach Rom, sondern) nach Santiago.

Waren die Jakobspilger die ideologischen Kämpfer der Reconquista, so verzichtete diese nicht auf tödliche Waffen tragende Ritter. Jakob wurde zugleich als »Maurentöter« installiert. Die »Jakobsritter« eroberten schrittweise das muslimische Spanien (»zurück«). Die spanische Gesellschaft muss man sich als eine in ständiger Kriegsbereitschaft oder Kriegszustand befindliche vorstellen. Die Militarisierung aber nicht nur der spanischen sondern der europäischen Gesellschaften, die ja ebenfalls nicht nur durch die Pilgerzüge, also ideologisch, sondern durch bewaffnete Teilnahme an den dann »Kreuzzügen« genannten Unterfangen aufgerüstet wurden, war die Folge. Die Kreuzzüge wurden nicht nur gegen die Mauren in Spanien, sondern gegen die Muslime in Palästina geführt - meist kamen sie aber nur dazu, auch die christlichen Gesellschaften, die auf ihrem Weg ins »Gelobte Land« lagen, mit Krieg und Zerstörung zu überziehen, Konstantinopel war am meisten davon betroffen, lange bevor es den Muslimen 1453 in die Hände gefallen war und als Hauptstadt des osmanischen Reiches eine kulturelle Blüte erlebte, die Europa damals nicht kannte. Gegen das Osmanische Reich richtete sich nach dem Sieg über die Mauren in Spanien die Feindschaft gegen die Muslime.

Bis zur Eroberung von Granada 1492, womit die Reconquista an ihr Ziel der »Wiedervereinigung« gekommen war, hatte in Spanien eine Vielfalt von unterschiedlichen Kulturen und Religionsgemeinschaften geherrscht. Nicht nur wurde diese durch den Sieg der Katholischen Könige beendet. Die Sieger übten grausame Rache an den Besiegten. Im Namen eines militanten Katholizismus wurden »Andersgläubige« und Angehörige anderer »ethnischen« Gruppen vertrieben, nicht nur Muslime sondern auch Juden aus Kastilien und Aragon (vgl. Dopsch). Einige Jahrzehnte später erlitten auch die zum Christentum konvertierten Juden, die als »Marranen« (Schweine) bezeichnet wurden, dasselbe Schicksal (ebd.).

Mit den Entdeckungsfahrten Christoph Kolumbus im selben Jahr 1492, die die spanische Krone finanziert hatte und die der Seefahrt die Meere öffneten, zu Eroberungszügen führten, und dem Raub des amerikanischen Goldes den Weg ebneten, beginnt für die spanischen Herrscher eine neue Qualität ihrer Herrschaft. Sie konnten sich ein Weltreich schaffen, das erste »in dem die Sonne nie unterging«, wie die Zeitgenossen gelegentlich zur Wahl Karls V. gesagt haben sollen. Im 16. und 17. Jahrhundert beteiligten sich auch andere europäische Mächte an dieser Expansion (vgl. Naumann 2010, S. 30f.). Kolonialismus war die dabei entwickelte Politik.

Thomas Naumann beschreibt den Zusammenhang zwischen der europäischen Expansion und der Feindlichkeit gegenüber »muslimischen« Osmanen und den damit verbundenen Rückgang des muslimischen Orients und dessen Einfluss auf Europa:

Im Schatten der europäischen Auseinandersetzung mit dem Osmanenreich begann bereits im 16. und 17. Jahrhundert eine andere Epoche, die der europäischen Seefahrt. Erst dadurch wurde die europäische Expansion der folgenden Jahrhunderte möglich, und zwar unter Umgehung der Einflussgebiete des osmanischen Imperiums, wo die großen Handelswege zu Land nach Süden und Osten verliefen und kontrolliert werden konnten. Während Europa zur Weltmacht aufsteigt, während Russland in die islamisch geprägte Kaukasusregion und nach Mittelasien ausgreift, geht der weltpolitische Einfluss des islamischen Orients zunehmend zurück. (ebd. S. 30f.)

1529 standen »die Türken vor Wien«. Wieder versammelte ein Erbe des spanischen Reiches, das habsburgische Österreich, alle Kräfte zum Kampf gegen die Muslime. Wieder begann Europa, »den Feind zu beschreiben« (Höfert 2003, zit. N. Jonker 2010, S. 74.) und sich zudem in der Retrospektive als christlich zu definieren (Borgolte 2006, zit. n. Jonker). Infolge dessen bekam auch der ‚Feind‘ einen religiösen Anstrich, was sich alsbald zu einer religiösen Essentialisierung seiner »Andersartigkeit« ausweitete (vgl. Jonker 2010, S. 73).

Während die Muslim_innen in der Zeit der spanischen Reconquista mit Araber_innen verbunden wurden, waren sie nach »Wien« die Türk_innen. Sie wurden gleichzeitig als gefährlich, gewaltbereit, despotisch etc. dämonisiert und – nach dem Sieg über sie – als unkultiviert, barbarisch, unzivilisiert abgewertet: der europäische Glaube an die eigene Überlegenheit war wieder gerettet.

Auch Bernardt Lewis beschreibt den europäischen »Glauben«, fortgeschritten zu sein, seit Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Europäer_innen das europäische Christentum als universal gedachte Vernunftreligion eingestuft hatten, die die Menschheit erziehen sollte (Lewis 1996, zit. n. Naumann 2010, S. 31.). Die Geschichte der Konstruktion der Anderen am Beispiel des Islam und der Muslim_innen bzw. der als muslimisch Markierten ist uns nicht fremd, denn auch damals gab es vergleichbare Zuschreibungen von Guten und Bösen. Während das europäische Christentum die Erziehung der Menschheit »übernahm«, weil es mit seiner Technologie, Kultur, Geschichte etc. den Anspruch vertrat und durchsetzte, fortschrittlicher und aufgeklärter zu sein, wurde der Islam und dessen (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angehörigen als unterentwickelt, despotisch, verantwortlich für Armut etc. dargestellt (vgl. Lewis 1996, zit. n. Naumann 2010).

Die Erfolge der siegreichen »christlichen« Nationen: Industrialisierung, Kolonialisierung entwerteten den Antimuslimischen Rassismus: der »kranke Mann am Bosporus« (wie das osmanische Reich, bzw. der Sultan abschätzig genannt wurde) konnte kein Feindbild mehr abgeben, seine Niederlage machte ihn zur folkloristischen Figur, sein Reich konnte nur das Opfer der Zerschlagung durch die siegreichen Christen werden, das war Ziel und Ende des imperialistischen Kräftemessens im ersten Weltkrieg. Dass dabei die »Sieger« selbst zerschlagen wurden, wie die Habsburgische Monarchie und die Wilhelminische, die ihre erst kurz davor ergatterten Kolonien verlor, oder wie die zaristische, der die russische Revolution die Herrschaft entwand - das war in den Planungen der Generalstäbe nicht vorgesehen.

Gegen die Gefahr der Ausbreitung der Revolution half nur der Faschismus. Sein erklärter Feind war nicht die muslimische Gefahr, sondern die jüdisch (bolschewistische) Weltverschwörung. Der Antisemitismus drängte den antimuslimischen Rassismus in den Hintergrund (vgl. Bunzl 2008, S. 62f.). Mit der Niederlage des Faschismus war auch der Antisemitismus diskreditiert. Die ehemals faschistischen Eliten mussten Kreide fressen (Adenauers »Wiedergutmachung«). Erst als Feind Israels war der Islam es wieder wert, die Bühne der Weltpolitik erneut als Feind der christlich(und nun auch: jüdischen) Wertegemeinschaft zu betreten (vgl. Ruf 2012).

Naumann (2010, S. 34) interpretiert die Rückkehr des antimuslimischen Rassismus in den 1970er Jahren[4] als eine mögliche Folge der Arbeitsmigration: Die europäische Gesellschaft sei nicht vorbereitet gewesen, sich mit dem Islam und den Muslim_innen auseinanderzusetzen. Die »alten« Bilder über sie, die Muslim_innen, seien wieder aktualisiert worden und die »neuen« Feinde wurden neu beschrieben: Seit den 1970er Jahren werden immer wieder diejenigen beschrieben, bewertet und bestimmt, die nicht mit »unseren« freiheitlich-demokratischen Werten kompatibel sind.

An dieser Stelle ist es angebracht, auf das einleitende Zitat zurückzukommen: Am 11. September 2001 haben wir in allen möglichen Informationskanälen von den Anschlägen auf das Welthandelszentrum in New York City und den Hauptsitz des US-Verteidigungsministeriums in Washington gehört. Als die Täter_innen identifiziert wurden, sie seien Militant_innen einer islamistischen Terrororganisation, haben wir sehr rasch die Bilder von islamistischen Terrorismus vermittelt bekommen, mal durch Fernsehkanäle, mal durch die Printmedien oder durch das Internet.

Die Täter_innen sind jung, muslimisch und männlich…

Das Bild von jungen muslimischen Männern prägt(e), was Islam sei, welche Bedeutung er habe, welche Einflüsse er auf die Weltgesellschaft nehme etc. So wurden die Gesellschaften, vor allem diejenige, die nicht als muslimisch betrachtet werden, alarmiert, dass sie in einer Zeit leben würden, die von islam(ist)ischem Terrorismus bedroht sei. Das Adjektiv »islamistisch« wurde/wird als Synonym für »islamisch« oder »muslimisch« benutzt und verbreitet. Die Alarmierung sorgte letztendlich für eine Angst vor dem Islam und vor Muslim_innen. Intellektuellen, Politiker_innen, Menschen in der Mitte der Gesellschaft sprachen/sprechen von einer »Angst« der christlichen Welt, die unter dem Begriff »Islamophobie« zusammengefasst wurde/wird. Das Profil der potenziellen terroristischen Subjekte (jung, männlich und muslimisch) wurde in kurzer Zeit mit den verschleierten Frauen ergänzt. Seitdem fragen »wir« uns, ob die (verschleierte) Frau eine Bombe hat oder ob sie wirklich eine Frau (unter ihrem Schleier) ist etc.

Nach dem 11. September wurden in unterschiedlichen Wohlstandstaaten Kampagnen, Projekte und Studien zum Thema Islam, Islamismus, Muslim_innen in Europa etc. initiert, um festzustellen, inwieweit »wir« von den »Anderen« bedroht sind, die ein großes Gefahrpotenzial für »unsere« jüdisch-christlich [5] geprägte freiheitlich-demokratische Gesellschaft mit sich bringen.

In diesen Projekten, Kampagnen und Studien wussten »wir« immer mehr über Muslim_innen. Zahlreiche Studien konnten beispielsweise belegen, in welchem Maße die Muslime, hier meinen wir die muslimischen Männer, antisemitisch, frauenfeindlich, homo- und transphob, gewaltbereit, irrational, rückständig etc. sind. All diese durch die Studien und Projekte »erfundenen« Eigenschaften wurden/werden als große Gefahren für eine aufgeklärte tolerante europäische Gesellschaft re/präsentiert.

In dem einleitenden Zitat, das von einer rechtextremistischen Partei ausgeht, wird die Konstruktion der gefährlichen Subjekte ersichtlich. Dass dieses Zitat von Pro-NRW stammt, soll nicht den Eindruck erwecken, dass die sogenannte Islamophobie am Rande der Gesellschaft existiert.

Die letzten Jahre nach dem 11. September sind geprägt von den antimuslimischen Parolen. Von Ministerien hin bis zu »einfachen« Bürger_innen, also in der gesamten Gesellschaft, spricht man über die gefährlichen Anderen. Es geht in diesen Reden und Politiken nicht nur um die so genannten Gefahren, sondern auch darum, aufzuzeigen, wie »unsere« Aufgeklärtheit, »unsere« kollektive Intelligenz, »unser« Fortschritt, »unsere« Demokratie oder Grundordnung etc. durch die Muslim_innen beeinträchtigt bzw. negativ beeinflusst würden.

Die Debatten um Kopftuch und Kopftuch tragende Frauen, sie seien Geburtsmaschinen (Sarazin), um die Homophobie (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland und Bernd Simon-Studien), um den Antisemitismus der jungen muslimischen Männern (Zentrum für demokratische Kultur), Ehrenmorde oder Zwangsheirat (Kampagnen des Ministeriums für Familie), Terrorismusgefahr (Aufenthaltsrechtliche Regelungen oder Kampagnen des Innerministeriums), Integrations- und Arbeitsverweigerung (Buschkowsky) tragen tagtäglich zur Verstärkung und Verankerung antimuslimischer Positionen und Einstellungen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft bei.

Das Heft

Während dieses Themenheft einen transdisziplinären Ansatz bzw. eine transdisziplinäre Herangehensweise beansprucht, setzen sich die Autor_innen mit den aktuellen Debatten um Islam, Islamophobie, Antimuslimischen Rassismus, »Islamkritik« und mit muslimischen Migrant_innen bzw. Menschen, die als Muslim_innen markiert werden, sozialwissenschaftlich auseinander.

In dem ersten Beitrag geht Iman Attia zunächst auf eine Begriffsbestimmung und Positionierung von oft verwendeten Begriffen wie z.B. Islamophobie, Islamfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus ein. Anhand ihrer eigenen empirischen Studien stellt Attia die Begriffe »Islamophobie und Antimuslimischer Rassismus« gegenüber und analysiert sie anhand zweier unterschiedlicher Erklärungsmodelle: 1.) Die Modelle der Islamophobie bzw. der Islamfeindlichkeit, die Heitmeyer et al. in ihrer Langzeitstudie zur »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« erforschen und 2.) die Theorie des antimuslimischen Rassismus, der sich auf die kritische Rassismusforschung und die postkoloniale Theorie bezieht.

In diesem Beitrag wird deutlicher, dass der Begriff Antimuslimischer Rassismus die rassistische Diskriminierung von Muslim_innen prägnanter zum Ausdruck bringt.

In ihrem Aufsatz befasst sich Viktoria Bergschmidt mit den mannigfaltigen kulturalisierenden, orientalisierenden und biologisierenden Rassismen, an die auch der antimuslimische Rassismus anknüpft. Im Fokus ihrer Auseinandersetzung stehen »ausländische« Drogenabhängige, die durch ausländer-, sozial- und betäubungsmittelrechtliche Regulierungen gefährdet sind, zu sterben oder abgeschoben zu werden. In diesem Aufsatz von Bergschmidt wird ersichtlich, dass die »nichteuropäischen Ausländer« als besondere »Gefahr« für die »Volksgesundheit«, in die u.a. die verbreitete Repräsentation von »Ausländern« als »Dealer« eingeht, konstruiert werden.

In seinem Beitrag geht Zülfukar Çetin auf die Überschneidungen von Heteronormativität und Rassismus am Beispiel von binationalen schwulen Paaren in Berlin ein. In seiner Analyse von biographisch-narrativen Interviews stellt Çetin unterschiedliche Diskriminierungsformen, die miteinander verwoben sind, fest. Homophobie, biologistischer und kulturalistischer Rassismus, institutioneller Rassismus und klassenspezifische Diskriminierungen sind einige in den Interviews zum Ausdruck kommende Erfahrungen der Befragten.

Fatma Erdem geht in ihrem Beitrag auf die Problematik der mangelnden »interkulturellen Kompetenz« in der Sozialpädagogischen Familienhilfe ein und konstatiert einen wesentlichen Eingriff in die Autonomie der Familien durch die starke Präsenz der Sozialpädagogischen Familienhelfer_innen. Anhand eines Fallbeispiels mit einer türkischen Familie zeigt Fatma Erdem die Anforderungen an eine interkulturell kompetente Praxis der Planung und Umsetzung der Sozialpädagogischen Familienhilfe auf.

Sebastian Friedrich und Hannah Schultes greifen die zentralen Debatten seit dem 11. September auf. Sie stellen fest, dass antimuslimischer Rassismus im deutschen Kontext auf fünf mit dem Themenfeld Islam verschränkten Diskursen basiert: Innere Sicherheit, Freiheitsrechte, Sozialstaat, Integration und »Problembezirke«. In ihrem Aufsatz gehen die Autor_innen von Verschränkungen dieser Diskurse aus und stellen die These auf, dass diese Diskursverschränkungen als Effekt Repräsentationen wie die des »gefährlichen Anderen«, des »unzivilisierten Anderen«, des »nutzlosen Anderen«, des »integrationsunwilligen Anderen« sowie die der »Parallelgesellschaften« hervorbringen bzw. diese stützen.

Farid Hafez beschäftigt sich in seinem Artikel mit den »Islamophoben« Verschwörungstheorien. Im Gegensatz zur im Mainstream vorherrschenden Konstruktionen von Muslim_innen als unterlegen, arm, rückständig, zurückgeblieben primitiv etc. zeigt Hafez in seinem Beitrag anhand eines Fallbeispiels auf, dass einige der islamophoben Akteur_innen die Muslim_innen auch als überlegene strategisch-verschwörerische Gruppe konstruieren und sie in der Mitte der Macht verorten, wie am Beispiel von Weißem Haus und Obama in der Regierung gezeigt wird.

Im abschließenden Aufsatz zeigt Çağrı Kahveci, wie sich das Verhältnis zwischen Macht und Wissen im biopolitischen Migrationsregime wandelt. In seiner Auseinandersetzung kommt Kahveci zum Schluss, dass die populistischen Kritiker_innen von Diversität und Multikulturalität die emotiven Kräfte, wie Liebe, moral panic, Angst und Unsicherheit instrumentalisieren, um in das öffentliche Unbewusstsein intervenieren zu können. Am Beispiel des regierenden Bürgermeisters Heinz Buschkowsky des Berliner Stadtteils Neukölln zeigt Kahveci auf, dass die populistischen Kritiker_innen von Diversität und Multikulturalität auf eine gesunde und produktive Gesellschaft von verantwortlichen Bürger_innen abzielen, wovon die devianten und mangelhaften (muslimischen) Migrant_innen ausgegrenzt werden sollten.

Literatur

Attia, Iman (2007): Orient- und Islam Bilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. Münster (Unrast).

Attia, Iman (2009): Die »westliche Kultur« und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. Bielefeld (transcript).

Borgolte, Michael (2006): Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. München (Siedler).

Bunzl, Matti (2009): Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Überlegungen zum neuen Europa. In: Bunzl, John & Senfft, Alexandra (Hg.): Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost. Hamburg (VSA), S. 53−74.

Çetin, Zülfukar; Voss, Heinz-Jürgen & Wolter, Salih Alexander (Hg.) (2012): »Interventionen gegen die deutsche »Beschneidungsdebatte«. Münster (Assemblage).

Dopsch, Heinz (2002): Das islamische Spanien und die Kreuzfahrerstaaten. Kontaktzonen zwischen Islam und Christentum im Mittelalter. URL: http://www.uni-salzburg.at/pls/portal/docs/1/544381.PDF (Stand: 05.04.2013).

Häusler, Alexander (2008): Antiislamischer Populismus als rechtes Wahlkampf-Ticket. In: Häusler, Alexander (Hg.): Rechtspopulismus als 'Bürgerbewegung'. Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien. Wiesbaden (VS), S. 155−169.

Höfert, Almut (2003): Den Feind Beschreiben. »Türkengefahr« und europäisches Wissen

über das Osmanische Reich 1450-1600. Frankfurt (Campus).

Jonker, Gerdien (2010): Europäische Erzählmuster über den Islam. Wie alte Feindbilder in Geschichtsschulbüchern die Generationen überdauern. In: Schneiders, Thorsten G. (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, 2. Auflage. Wiesbaden (VS), S. 71−83.

Lewis, Bernard (1996): Kaiser und Kalifen. Christentum und Islam im Ringen um Macht und Vorherrschaft. München (Europaverlag).

Naumann, Thomas (2010): Feindbild Islam – Historische und theologische Gründe einer europäischen Angst. In: Schneiders, Thorsten G.(Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, 2. Auflage. Wiesbaden (VS), S. 19−36.

Ruf, Werner (2012): Der Islam – Schrecken des Abendlandes. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert. Köln (PapyRossa).

Endnoten:

[1]

Erläuterung einer antimuslimischen Kampagne vom PRO-NRW-Vorsitzenden Markus Beisicht zitiert nach Häusler 2008, S. 155.

[2]

In diesem Heft kommen unterschiedliche Ausdrucksformen von Haltungen gegen Muslim_innen und den Islam, wie z.B. Antimuslimischer Rassismus, Islamophobie, Islamfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, Antimuslimische Positionen etc. Die Autor_innen haben sich für ihre eigene Begriffsverwendung entschieden. Als Herausgebende haben wir die Autor_innen nicht auf eine oder andere Begriffsverwendung hingewiesen, weil sie sich in ihrer Auseinandersetzungen zu einem oder anderem Begriff positionieren und diese Positionierung in ihren Aufsätzen erläutern.

[3]

Eine Chronologie des Antimuslimischen Rassismus würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Es ist für die Nachvollziehbarkeit des Themenschwerpunktes dieser Ausgabe von großer Relevanz, einen kurzen historischen Blick zu werfen, um zu sehen, wo und wann der Antimuslimischer Rassismus angefangen hat.

[4]

Der Rückkehr des Diskurses um Islam- und Muslim_innen bedeutet nicht, dass der Antisemitismus und Judenfeindlichkeit sich erledigt haben.

[5]

Wir sind für ein distanziertes Verwenden von »jüdisch-christlich«, denn wir vertreten die Meinung, dass diese eine erfundene gemeinsame kulturelle Tradition darstellt, womit die deutschen Verbrechen an den Juden zugedeckt und zugleich eine imperialistische Politik »des Westens« legitimiert werden sollte (vgl. Çetin, Voss & Wolter 2012).

Über die Autoren

Klaus-Jürgen Bruder

Freie Universität Berlin Arbeitsbereich Theorie und Geschichte der Psychologie

Prof. Dr. Klaus-Jürgen Bruder Büro: Habelschwerdter Allee 45 D-14195 Berlin-Dahlem Privat: Pariser Str. 56 Liebiggasse 5 D-10719 Berlin

E-Mail: Klaus-Juergen.Bruder@FU-Berlin.de

Web: http://web.fu-berlin.de/postmoderne-psych

Zülfukar Çetin

Dr. Zülfukar Çetin hat an der Freien Universität bei Prof. Dr. Helgard Kramer und Prof. Dr. Klaus- Jürgen Bruder promoviert. Zurzeit lehrt er an der Alice-Salamon-Hochschule und an der Evangelischen Hochschule Berlin zu Themen Intersektionalität, (Antimuslimischer) Rassismus, Queer Theorie und Bewegung, Kritische Migrationsforschung sowie Methoden der qualitativen Sozialforschung.

E-Mail: cetin@ash-berlin.eu