Rassistische Heteronormativität – Heteronormativer Rassismus
Mehrfachdiskriminierungen binationaler schwuler Paare in Berlin

Zülfukar Çetin

Zusammenfassung

Während in diesem Beitrag die machtpolitische Bedeutung der Diskriminierung nachgezeichnet wird, kristallisiert sich der machtpolitische Zusammenhang für den Fall der Homophobie aus der Heteronormativität und den daraus folgenden Normalisierungsprozessen heraus. Anhand der Interviewanalyse wird gezeigt, wie die Diskriminierungen eng mit der Macht des Diskurses verbunden sind. Identitätspolitiken, Essentialisierungsstrategien, Marginalisierung sowie Differenzierung werden als eine ökonomische Macht bezeichnet, die auf Normalisierung abzielt, indem sie die »Anderen«, also die Devianten, Marginalen, Fremden etc. konstruiert. Der Fokus dieses Beitrages liegt hauptsächlich auf den Erfahrungen der Interviewten mit Homophobie und institutionellen, strukturellen, kulturalistischen Rassismen sowie Diskriminierung aufgrund des sozialen Status.

Schüsselwörter: Rassismus, Heteronormativität, Intersektionalität, Diskriminierung, Islam, Queer, Migration

Summary

Tracing the significance of discrimination for power politics, this contribution clearly demonstrates that in the case of homophobia the power-political context is heteronormativity and the normalization processes resulting from it. By analyzing interviews, the paper shows how closely discrimination is connected to the power of discourse. Identity politics, strategies of essentialization, marginalization and differentiation signify an economic power aimed at normalization by constructing «the Other,” i. e. the deviant, the marginal, the alien, etc. The focus of this contribution is mainly on the experiences of those interviewed with homophobia, institutional, structural and culturalist racisms, as well as with discrimination on the basis of social status.

Keywords: Racism, heteronormativity, intersectionality, discrimination, Islam, queer, migration

Einleitung

Dieser Beitrag basiert auf meiner Studie »Homophobie und Islamophobie. Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel binationaler schwuler Paare[1] in Berlin« (Cetin 2012). In meiner qualitativen Forschung habe ich mich anhand von biographisch-narrativen Interviews auf unterschiedliche Formen der Diskriminierung konzentriert. Auch wenn ich hier schreibe, dass die Formen der Diskriminierung unterschiedlich sind, gelang mir in meiner Studie zu veranschaulichen, dass die Diskriminierungen auf Exklusionsmechanismen basieren, die in jeder Ebene der Gesellschaft anzutreffen sind.

Im Zentrum meiner qualitativen Forschung steht die Frage welche Erfahrungen binationale schwule Paare mit Diskriminierungen in ihrer Lebensgeschichte machen und gemacht haben und wie sie diese wahrnehmen, verarbeiten und mit ihnen umgehen. Untersuchungsgegenstand waren zum einen schwule Männer die aus anderen Ländern (überwiegend aus der Türkei) nach Deutschland gekommen sind oder von einer Migrant_innen-Familie in Deutschland abstammen. Die Homosexualität und die »ausländische« Herkunft bzw. »unvereinbare« religiöse oder kulturelle Zugehörigkeit bilden meistens die (fiktiven) »Gründe« für strukturelle und institutionelle Diskriminierungen. Während die ausländischen oder als ausländisch angesehenen Interviewpartner rassistische Diskriminierungen in der Mehrheitsgesellschaft erleben, gehören die homophoben Diskriminierungen zu ihrem Alltag. In diesem Zusammenhang war das Ziel der Studie, institutionelle und strukturelle Diskriminierungen im biographischen Verlauf der untersuchten ausländischen oder als ausländisch angesehenen schwulen Männer aufzuzeigen.

Zum anderen waren die mehrheitsdeutschen Schwulen, die in einer (Lebens-) Partnerschaft mit einem ausländischen oder als ausländisch angesehenen Schwulen leben, ein weiterer Teil des Forschungsgegenstandes. Aufgrund der kulturellen, nationalen oder religiösen Herkunft ihres ausländischen oder als ausländisch angesehenen Partners erfahren auch sie durch ihre Familie und Verwandten, den Freundes- und Bekanntenkreis Diskriminierungen. So entstand diese qualitative Studie aus der rekonstruktiven Analyse ausgewählter biographisch-narrativer Interviews mit Männern, die in einer binationalen/interkulturellen schwulen Partnerschaft in Berlin leben.

Ziel dieses Beitrages ist es, aufzuzeigen, dass die Diskriminierung, egal welcher Art, auf Ausschlussmechanismen basiert. Die Kategorisierungen als Schwuler oder Einstufungen nach der Staatsangehörigkeit fungieren dabei als Instrument des Ausschließens, denn die Menschen werden hierbei als Teile oder Repräsentanten der positiv oder negativ bewerteten Kategorien angesehen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Diskriminierungen auch Inklusionsmechanismen beinhalten (können). So erfahren beispielsweise türkische Schwule positive Diskriminierungen bzw. positive Rassismen [2], wenn sie als Opfer des Islams oder der türkischen Kultur angesehen werden oder wenn man ihnen sexuelle Eigenschaften zuschreibt, über die sie möglicherweise nicht verfügen.

Anlässlich der Forschungsfrage gehe ich im Folgenden explizit auf Überschneidungen und Zusammenwirkungen zwischen Rassismus und Heteronormativität ein, die ich im Zusammenhang mit der Mehrfachdiskriminierung miteinander verknüpfe. In den darauf folgenden Abschnitten zeige ich, wie die Islamophobie als eine Form des Rassismus erscheint und wie sie Muslim_innen zu Träger_innen homophober Diskriminierungen macht. Zum Schluss stelle ich die Ergebnisse meiner Studie skizzenhaft dar.

Was ist eigentlich Mehrfachdiskriminierung[3]?

Der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) zeigt auf, dass Menschen aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Sprache, ihres Aufenthaltsstatus, ihrer Hautfarbe oder äußeren Erscheinung, ihres Geschlechts, ihrer Religion und Weltanschauung, ihres sozialen Status, ihres Familienstandes, ihrer Behinderung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität Diskriminierungen erfahren (können). Auch können Menschen von Diskriminierung betroffen sein, weil sich mehrere dieser Merkmale in ein und derselben Person verbinden (mehrdimensionale Diskriminierung).

Aus dieser Feststellung des advd geht hervor, dass die Menschen aufgrund unterschiedlicher zugeschriebener und/oder tatsächlicher Merkmale Diskriminierungen erfahren (können), die vor allem mit der Macht des Diskurses zusammenhängen[4]. Im hegemonialen heteronormativen und rassistischen Diskurs geht es offensichtlich oft darum, ethnische Zugehörigkeiten zu konstruieren, die Geschlechter zu machen und die Körper zu erzeugen. All diese Konstruktionen dienen der (Mehrfach-) Diskriminierung der »gemachten« Menschen.

Mehrfachdiskriminierungen vollziehen sich dadurch, dass Menschen aufgrund mehrerer zugeschriebener Merkmale ihrer Person auf verschiedene Art und Weise ausgegrenzt, benachteiligt und herabgewürdigt werden. Diskriminierungen geschehen durch die soziale Konstruktion von Identitäten, die aus gesellschaftlichen, historischen, politischen und kulturellen Zusammenhängen erzeugt werden. Alle diese Identitätskategorien werden im Alltag, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Politik und in vielen anderen Lebensbereichen innerhalb von Machtverhältnissen konstruiert. Die Konstruktion der »Anderen« dient einerseits der Privilegierung einer bestimmten Gruppe, andererseits der Benachteiligung einer anderen Gruppe, der bestimmte Merkmale zugeschrieben werden. Die Mehrfach- und mehrdimensionalen Diskriminierungen werden in den Ungleichheitsforschungen auch als intersektionelle Diskriminierungen bezeichnet. Darunter werden unterschiedliche Erscheinungen und Formen von Diskriminierung begriffen, die sich gleichzeitig wechselseitig beeinflussen.

Rassismus und Heteronormativität

Was ist Rassismus?

Sowohl Rassismus als auch Heteronormativität sind zwei große diskursive Matrizen bzw. Maschinen, die die Machtverhältnisse auf verschiedensten Ebenen der Gesellschaft aufrechterhalten. Diesen Machtverhältnissen kann man in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen begegnen, auch in Partnerschaften.

An dieser Stelle geht es nicht um eine Definition des Rassismus, sondern um eine sozial- und politikwissenschaftlich kritische Darstellung dieses Phänomens. Für die Analyse des Rassismus als einer »Maschine[5]« sozialer Konstruktion setzt Miles hierbei an, zunächst die ökonomische Struktur und die politischen Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaften in einem engen historischen Kontext zu erörtern. Desweiteren sieht er einen wichtigen Aspekt in der Ausgrenzungspraxis, die Rassismus durch die Benachteiligung bei der Verteilung geringer gesellschaftlicher Ressourcen und in sozialen Institutionen erst sichtbar und wirksam macht. Hinsichtlich der sozialen Bedeutungs- und Rassenkonstruktion (vgl. Miles), m. E. als Legitimationsapparat, geht Miles von Zuschreibungen bestimmter biologischer und kultureller Eigenschaften aus. Diese Bedeutungszuschreibungen fungieren also als Erkennungsmerkmal bestimmter Gruppen. Status und Herkunft der Gruppen werden demnach als natürlich und unveränderlich konstruiert, so dass die »Andersheit« der Menschen und/oder Menschengruppen als eine ihnen immanente Gegebenheit erscheint. Die als »anders« konstruierten Menschengruppen müssen mit zusätzlichen, negativ bewerteten (biologischen oder kulturellen) Merkmalen markiert und so dargestellt werden, als riefen sie negative Folgen für andere hervor (vgl. Miles 1989, S. 359).

Was ist Heteronormativität

Der Begriff der Heteronormativität wurde zum ersten Mal von dem Literaturwissenschaftler Michael Warner im Jahr 1993 verwendet. Ihm zufolge macht der Begriff Heteronormativität deutlich, dass Heterosexualität als selbstverständlich, unhinterfragt und grundlegend gilt und normierend wirkt, denn sie stellt sich als Basis sozialer Bindungen dar. Heteronormativität hält die Heterosexualität für die unveränderbare Norm und betrachtet sie als Bedingung für die Grundlage menschlicher Beziehungen:

Heteronormativer Rassismus und rassistische Heteronormativität

In diesem Abschnitt werde ich die Verschränkung von Rassismus und Heteronormativität am Beispiel der in Deutschland lebenden türkischen oder als türkisch angesehenen schwulen Männer näher erörtern. Hinter dem »positiven Rassismus« werden oft schwule Männer, denen eine ethnische Zugehörigkeit zugeschrieben wird, einerseits rassialisiert und andererseits heteronormalisiert. Ein Artikel von Jennifer Petzen, Wer liegt oben? Türkische und deutsche Maskulinitäten in der schwulen Szene (2011), zeigt die Verwobenheit von Rassismus und Heteronormativität plastisch auf. Seitens der mehrheitsdeutschen Schwulen werden »türkischen und arabischen« Schwulen bestimmte sexuelle Eigenschaften beigemessen, so seien sie »richtige Männer« und im Bett »aktiv«, und sie könnten zeigen, »wo der Hammer hängt«. Diese sexuellen Phantasmen hängen mit Vorstellungen vom »wilden Orient« zusammen. Den »orientalischen bzw. orientalisierten« Schwulen wird in diesen rassialisierenden Phantasien grenzenlose Gewalt und Wildheit »erlaubt« und sie heteronormalisiert, indem ihnen Eigenschaften eines »richtigen heterosexuellen Mannes« zugeschrieben werden. (vgl. Petzen 2011, S. 25-47).

In einem Aufsatz Was ist eigentlich Rassismus? weist Birgit Rommelspacher (2009) auf vier Merkmale des Rassismus hin. Demnach funktioniert Rassismus durch Naturalisierung, Homogenisierung, Polarisierung und Hierarchisierung. Angelehnt an Rommelspacher möchte ich einen Überblick über die Gemeinsamkeiten des Rassismus und der Heteronormativität geben:

Naturalisierung: Sowohl Rassismus wie auch Heteronormativität naturalisieren soziale und kulturelle Unterschiede und begreifen soziale Beziehungen als unveränderlich und vererbbar.

Homogenisierung: Beide Phänomene vereinheitlichen die Menschen in jeweils homogenen Gruppen. Während Rassismus den Menschen bestimmte Eigenschaften zuschreibt, wie z.B. türkische Jugendliche seien aggressiv und gewalttätig, beschreibt die Heteronormativität »geschlechtsspezifische Eigenschaften«, wie z.B. Frauen können schlecht parken.

Kategorisierung: Damit werden Menschen nach bestimmten konstruierten bzw. zugeschriebenen Merkmalen kategorisiert. Die binäre Geschlechterordnung diktiert bestimmte Bilder von Mann und Frau. Durch die hergestellten Kategorien, wie Ausländer, Südländer, Araber oder Türken, beschreibt der Rassismus unterschiedliche Bevölkerungsgruppen als einen Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft.

Polarisierung: Während Rassismus bestimmte Menschen anderen gegenüber als grundsätzlich verschieden und unvereinbar gegenüberstellt, wie z.B. Muslim_innen vs. Nicht-Muslim_innen, polarisiert die Heteronormativität auch die Geschlechter als Mann vs. Frau oder heterosexuell vs. homosexuell.

Hierarchisierung: Durch Hierarchisierung werden Menschen zugleich in eine Rangordnung gebracht. Während die Muslim_innen als unterlegen und unzivilisiert angesehen werden, werden auch queere Lebensweisen in eine ähnliche Position gebracht. Die Menschen werden nach Herkunft, sozialem Status, Geschlecht, sexueller Orientierung, religiöser Zugehörigkeit, körperlicher/kognitiver Verfassung etc. hierarchisiert. Es geht hier immer um Erfindung der Unterscheidungen zwischen Guten/Bösen, Besseren/Schlechteren, Vereinbaren/Unvereinbaren, Zivilisierten und Unzivilisierten.

Zu diesen vier Merkmalen kommen auch Markierungen und Essentialisierungen hinzu (siehe auch den Beitrag von Attia in dieser Ausgabe), die bestimmte hergestellte Eigenschaften der Menschen und Menschengruppen biologistisch und/oder sozial (Religion, Kleidungsstill, Hautfarbe oder Herkunft) hervorheben. Durch soziale und biologistische Markierungen werden insbesondere Differenzen hergestellt, die als Rechtfertigung der Ausgrenzung und des Ausschlusses instrumentalisiert werden. So legitimieren Markierungen soziale, politische und ökonomische Handlungen, durch die erstens bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen ausgeschlossen und zweitens die Privilegien der ausschließenden Gruppe gesichert werden.

Diskurse zu Homophobie und Migrant_innen in der Mehrheitsdeutschen Gesellschaft

Anhand der biographischen Erzählungen meiner Interviewpartner und der vorherrschenden Diskurse in Mittel- und Westeuropa diskutiere ich in meiner Studie das Verhältnis zwischen Homophobie und Migrant_innen, die sich als Muslim_innen bezeichnen oder denen man einen muslimischen Hintergrund zuschreibt.

Ich verstehe Homophobie als Folge der Heteronormativität. Wie oben ausgeführt basiert Heteronormativität auf Naturalisierung, Selbstverständlichkeit der dichotomen Zwangsgeschlechterordnung. Dadurch erzeugt sie u.a. feindliche diskriminierende Haltungen, die als Homophobie oder Homofeindlichkeit verstanden werden können. In diesem Zusammenhang ist es von großer Relevanz darauf hinzuweisen, dass die Heteronormativität und die daraus resultierenden diskriminierenden sozialen Verhältnisse, wie. z.B. Frauen-, Schwulen-, Lesbenfeindlichkeit oder Transphobie, nicht milieu- oder kulturspezifisch sind, sondern ein globales Problem, das überall in unserer Welt existiert.

Anhand der bisher ausgeführten Diskussion bezeichne ich die Homophobie als Praxis bzw. Praktizierung der Heteronormativität. Wenn die Homophobie als Praxis der Heteronormativität verstanden wird, stellt sich hier die zentrale Frage, wer als homophob gilt bzw. wer als homophob bezeichnet wird. Die Aufgabe dieses Beitrags liegt nicht darin, die Homophoben zu definieren und sie festzustellen, sondern es soll herausgearbeitet werden, wie beispielsweise bestimmte Menschengruppen als solche zusammengefasst und deklariert werden. Daher versuche ich im folgenden Abschnitt zu veranschaulichen wie westliche rassistische Diskurse Migrant_innen Homophobie zuschreiben und sich dadurch von eigener Heteronormativität entlasten.

Methodisches Vorgehen

Für meine Studie habe ich insgesamt mit zehn ausländischen und fünf deutschen schwulen Männern biographisch-narrative Interviews geführt. Aus 15 Interviews habe ich sechs Fälle analysiert. Alle sechs Interviews wurden nach der Methode von Fritz Schütze (1983) zuerst einzelfallorientiert textanalytisch ausgewertet und in ihrer Eigenheit rekonstruiert. Das biographisch-narrative Interview gibt den Interviewpartnern die Möglichkeit, ihre Geschichte selbst zu gestalten und ihre Themen selbst auszuwählen. In den Interviews haben die Befragten ihre Erfahrungen mit Coming-out, Migration, Partnerschaft und Erfahrungen mit Diskriminierungen erzählt.

Nach dem Prinzip der Minimalen und Maximalen Kontrastanalyse konnte ich die Diskriminierungserfahrungen der Interviewpartner in ihrer Biographie und in verschiedenen Lebensabschnitten herausarbeiten.

Ergebnisse

Bevor ich die Ergebnisse meiner Studie vorstelle, weise ich auf häufig auftretende Wiederholungen in diesem Beitrag hin. Dies ist vor allem mit durch die Erzählungen über Diskriminierungserfahrungen und -erlebnisse der Interviewpartner begründet. Auch wenn die subjektive Wahrnehmung und Verarbeitung und der Umgang mit Diskriminierungen unterschiedlich sind, haben sie für einzelne Interviewpartner ähnliche Folgen, so dass auch die Erzähler sich in ihren Narrationen in einem Wiederholungszwang befinden.

Minimale Kontrastanalyse

Mit Hilfe der Minimalen Kontrastanalyse haben sich drei folgenden Typen herausgebildet:

Typ I (Arda und Ali): Schwule Männer aus der Türkei, die mit einem deutschen Schwulen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben.

Typ II (Can und Hamid): Sie sind in der Bundesrepublik als Kinder binationaler Familien – Can als Sohn einer deutschen und katholischen Mutter und eines türkischen und muslimischen Vaters, Hamid als Sohn einer deutschen, zum Islam konvertierten Mutter und eines muslimischen Pakistaners – aufgewachsen.

Typ III (Kai und Frank): Deutsche Schwule, die eine Partnerschaft mit einem ausländischen oder als ausländisch angesehenen schwulen Mann haben. Kai lebt mit Arda in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und Frank lebt mit Hamid ohne eine eingetragene Lebenspartnerschaft zusammen.

Typ I Arda und Ali

Diese Interviewpartner sind in der Türkei sozialisiert. Die Entscheidung der Migration nach Deutschland hängt u.a. auch mit erfahrenen homophoben Diskriminierungen am Herkunftsort zusammen. Insgesamt lassen sich aus der Analyse der Interviews folgende Diskriminierungen erkennen:

Homophobie: In der Türkei war vor allem institutionelle Homophobie durch das Militär ausschlaggebend. Diese Erfahrungen führten zu Existenzangst der Interviewpartner. Als schwule Türken werden sie in Deutschland als exotisch wahrgenommen und sind dadurch von sogenannter positiver Diskriminierung betroffen.

Interview mit Arda Zeile 443-446

Ich habe keinen Wehrdienst geleistet. Weil ich gesagt hatte, dass ich homosexuell bin und wegen dieses Befreiungsscheines [7] wurde mir mein Beamtenrecht entzogen, weil ich keinen Militärdienst gemacht hatte.

Rassismen: Der Rassismus bezieht sich besonders auf die türkische Herkunft der Interviewpartner.

Interessant ist, dass die beiden Merkmale »schwul und türkisch« als eine »besondere« Konstellation vorgestellt wird. Neben dieser so genannten positiven Diskriminierung werden individuelle Eigenschaften und äußere Erscheinung der Interviewpartner mit dem Islam verbunden, das heißt, dass die Interviewpartner orientalisiert, exotisiert und rassifiziert werden. Bürokratische Komplikationen, Arbeitslosigkeit, schlecht bezahlte Jobs oder Nicht-Anerkennung vorhandener Qualifikationen führen zu Ausgrenzung, Ausschluss und ungleicher Verteilung der materiellen und immateriellen Ressourcen. Diese sind unter institutionellem Rassismus (z.B. Staatsangehörigkeit) einzuordnen. Auf der sozialen Ebene zeigt sich Rassismus dadurch, dass die Freundschaften des deutschen Partners nach der Gründung der Partnerschaft entweder reduziert oder abgebrochen wurden.

Interview mit Arda Zeile 392-394

Zum Beispiel wenn alle seiner Freund_innen sich versammeln, ähm, dann bitten sie mich darum, ob ich orientalisch tanzen würde, oder man erwartet von mir solche exotischen Dinge.

Interview mit Ali Zeile 891-892

Außerdem hat mein Partner nach unserer Heirat gemerkt, dass viele seiner Freundschaften bzw. Bekanntschaften, die er vor unserer Heirat hatte, abgebrochen wurden […] weil er mich geheiratet hat.

Soziale Herkunft bzw. sozialer Status: Die Interviewpartner sind nach der Migration vom sozialen Abstieg betroffen. Die in Deutschland nicht anerkannten Qualifikationen bewirken, dass sie als aberkannte Akademiker im Gastronomiebereich als Küchenhilfe arbeiten oder arbeitslos werden, was in der Partnerschaft ein ökonomisches Ungleichgewicht auslöst.

Intersektionale Diskriminierung: Während sie in der Türkei mit Homophobie konfrontiert sind, müssen sie in Deutschland neben Homophobie vor allem gegen Rassismen kämpfen.

Interview mit Arda Zeile 430 ff.

Ich bin dort [in der Türkei] schwul und hier habe ich migrantischen Status Hier (Deutschland) ist auch nicht meine Heimat, weil ich denke, dass ich mehr verdient habe, als sie (die Deutschen) mir geben. Denn ich habe hier einen migrantischen Status.

Typ II: Can und Hamid

Diese sind schwule Männer, die von binationalen Eltern abstammen und in Deutschland interkulturell sozialisiert sind. Im Folgenden werden einige Diskriminierungserfahrungen dieser Interviewpartner veranschaulicht:

Homophobie: Typ II erfährt besonders strukturelle Homophobie. Davon sind sowohl die Befragten als auch deren Partner sowie insgesamt die Partnerschaft betroffen. Das Doppelleben dieser Interviewpartner löst Konflikte in der Partnerschaft aus.

Interview mit Can Zeile 458-459

Was die familiäre Verhältnisse betrifft, auch von mir, auch von Uwe, also es ist immer noch so, schwul sein, die wissen alle, aber, das ist so Tabuthema, sie wollen davon nichts hören.

Interview mit Hamid Zeile 156-174

[...] weil Frank da sehr unsensibel war in der Hinsicht und mich unter Druck gesetzt […] Auf jeden Fall habe ich, ähm, viele Diskussion geführt, und der hat mich als Heuchler beschimpft, was mir auch nochmal noch mehr Schuldgefühle aufgetan hat. Weil ich dachte, ich bin unehrlich meinem Vater gegenüber, aber ich kann auch wieder nicht ehrlich sein, weil das auch was Schlechtes ist. Also ich hatte, der Konflikt war riesig, und die Beziehung drohte eigentlich auseinander zu fallen. Weil mir wurde es zu viel, und ich wusste nicht, was ich machen sollte, dann hab ich überlegt, dass ich Frank loswerden muss. Also ich kann diese Beziehung nicht fortführen […] Und ja ich muss weiter leben, und das Verstecken wie vorher mit Frank geht einfach nicht […] ja dann war’s eigentlich kurz davor […] und dann irgendwann kam so´n Pünktchen in mich, wo ich mir dachte, das der Punkt vielleicht gekommen ist […] wenn ich mein Leben leben werde, wer weiß, wie lange es noch ist, aber wenn es länger ist als mein bisheriges, dann möchte ich nicht diesen Leidensweg weiter gehen und ich muss ´n Bruch schaffen. Ich muss da irgendwie aufbrechen, hatte aber große Angst. Dann hab ich Frank gesagt, das ist alles egal, ich werde es meinem Vater sagen, egal, was passiert.

Rassismen: Trotz interkultureller Sozialisation erleiden die Interviewpartner rassistische Vorwürfe, sie seien integrationsunwillig und hätten mangelnde Sprachkenntnisse. Zudem werden sie auf ihren vermeintlichen Herkunftsort verwiesen und mit den Fragen zu Islam und Homosexualität konfrontiert.

Interview mit Can, Zeile 1082-1087

Das schlimmste, was passiert ist, ist so, das war 2005, da hatte ich meine Ausbildungsprüfung in Berlin Ost, und da hatte ich so total alles Rot angezogen, mein T-Shirt rot, weiße Hose, es war schöner Tag im Sommer, und ich war ziemlich gut gelaunt gewesen, und ja, dann kamen so zwei Frauen und sie schauten, alles Rot, und dann haben sie gesagt, jaa, was suchst du denn hier, du bist Türke und so, weißt du denn überhaupt, wo du bist und so, also solche Diskriminierung hattʼ ich schon.

Soziale Herkunft: Auch hier erleiden die Interviewpartner, vor allem Can, partnerschaftliche Konflikte auf Grund ökonomischer Differenzen.

Mehrdimensionale Diskriminierung: Die Verwobenheit von Homophobie und Rassismus zeigt sich insbesondere bei Can sehr deutlich. Can konnte bis zum Zeitpunkt des Interviews die diskriminierende Haltung der Mutter seines Partners nicht einordnen, weshalb sie ihn beispielsweise ignorierte und die Partnerschaft nicht akzeptierte.

Interview mit Can Zeile 427-435

[...] die Mutter von Uwe hat mich Anfangs total, also sie war total kühl gewesen, weil ich ja Ausländer war, weil ich ja Türke bin oder so, und die war erste Mal total schockiert, als Uwe mich bei ihr vorgestellt hat, und heute eigentlich hab ich ganz wenig mit der Familie von Uwe zu tun […] die Mutter ist anders und die mag mich auch nicht […] und ich weiß auch nicht, wieso sie mich nicht mag, ob es daran liegt, dass ich Ausländer bin oder ich weiß es nicht […]also ich denke mal, sie akzeptiert die Beziehung zwischen mir und Uwe nicht.

Typ III: Kai und Frank

Diese sind schwule Männer, die aus Deutschland bzw. einer mehrheitsdeutschen Familie stammen.

Homophobie: Typ III hat individuelle und partnerschaftliche Erfahrungen besonders mit struktureller Homophobie. Insbesondere die Mütter beider Interviewpartner reagierten auf deren Coming-out negativ und hatten Schwierigkeiten, mit der Homosexualität ihrer Söhne umzugehen.

Rassismen: Diese Interviewpartner sind vor allem mit institutionellen und strukturellen Rassismuserfahrungen ihrer Partner konfrontiert, worunter auch die Partnerschaft leidet. Die Erfahrungen mit der Ausländerbehörde, mit der deutschen Botschaft oder mit der Polizei des ausländischen oder als ausländisch angesehenen Partners wirken sich auf die Paarbeziehung bzw. auf den Alltag des Paares negativ aus:

Interview mit Kai Zeile 215-220 und 237-238

[...] wie diese ganzen Regularien bei der Ausländerbehörde, also ich fand das relativ erschreckend auch von der Ausländerbehörde, jetzt zum Beispiel, solang wir noch nicht verpartnert waren, ähm, wie Arda da behandelt wurde, also nicht speziell Arda, aber wie einfach alle dort behandelt werden, wo erstmal so `ne riesige Maschinerie in Gang gesetzt wird, um zu verhindern, dass man die entsprechenden Papiere bekommt und und das war `ne ziemlich harte Erfahrung, also sich durch diese ganzen Behörden da durchzukämpfen.

Intersektionelle Diskriminierung des Partners: In einer schwulen binationalen Partnerschaft sind sie unmittelbar mit unterschiedlichen Diskriminierungserlebnissen des Partners konfrontiert, was sich manchmal als Konfliktpotenzial in der Partnerschaft darstellt. Auch als binationales/interkulturelles Paar begegnen sie Ungleichbehandlungen bzw. Ausgrenzungen in dem nahen sozialen Umfeld. Im Folgenden erzählt ein Interviewpartner, Kai, über Situationen seines Mannes in der Mehrheitsgesellschaft:

Interview mit Kai Zeile 984-994

Es gibt da bestimmte Bilder, die er, äh, als schwuler türkischer Mann auch immer für die Deutschen, sag’ ich jetzt mal, für die Mehrheitsgesellschaft, zu bedienen hat so, also, also er wird zum Beispiel permanent gefragt, wie ist es bei euch im Islam und, äh, wird immer vorausgesetzt, er wäre jetzt der gläubige Muslim, der dann die Religion verteidigt oder, oder erklärt so, und das nützt überhaupt nichts, dem dann zu sagen, äh, wir sind da nicht alle gläubige Muslime und […] es gibt einfach bestimmte Bilder in die du, glaube ich, als türkischer Mann sehr schnell rein kommst, also nicht unbedingt immer mit Diskriminierung, aber mit so ’ner, einfach mit so ’m relativ engen Blick, äh, wie die Türken eben zu sein haben in ihren bestimmten Vorstellungen, und, und das nervt, glaube ich, [...]

Maximale Kontrastanalyse

Anhand der Maximalen Kontrastanalyse konnte ich die Erfahrungen der Interviewpartner mit sechs verschiedenen Diskriminierungskategorien herausarbeiten: Homophobie, Rassismus, Islamophobie, Staatsangehörigkeit, soziale Herkunft und Intersektionale Diskriminierung. In diesem Abschnitt dieses Beitrages liegt der Fokus auf zwei Interviewten, die sich hinsichtlich der Forschungsfrage voneinander unterscheiden.

Diskriminierungsebene I: Soziale Herkunft – Klassismen

Die EU-Charta der Menschenrechte verbietet 13 Arten der Diskriminierung; im Gegensatz dazu gibt es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nur sechs Diskriminierungsgründe, schicht- und klassenspezifische Diskriminierung fallen nicht darunter. Die Analyse der Interviews zeigt eindeutig, dass die Interviewpartner auch wegen der sozialen Herkunft in unterschiedlichem Maße Diskriminierungen erleiden.

Arda musste sich schon seit Beginn seines Aufenthaltes in Deutschland auf Grund seiner geographischen, nationalen und »ethnisierten« Herkunft mit klassenspezifischen Diskriminierungen auseinandersetzen. Aufgrund der vermeintlich mangelnden Sprachkenntnisse sowie niedriger Berufsqualifikationen musste er unterbezahlte Jobs annehmen. Die aus dem strukturellen und institutionellen Rassismus entstehenden Benachteiligungen führen zu sozialen Ungleichheiten in der Mehrheitsgesellschaft. In dieser Situation konnte ihn auch sein deutscher Partner nicht unterstützen. In vielen Arbeitsverhältnissen wurde Arda ausgenutzt und schlecht behandelt. Somit befand er sich in der Situation einer gesetzlich und sozial eingeschränkten Handlungsfähigkeit. Dieser Prozess beeinflusste auch seine Partnerschaft negativ. Durch sein geringes Einkommen und den unsicheren Aufenthaltsstatus war seine Beziehung von einem Ungleichgewicht bedroht, was in der Partnerschaft belastend empfunden wurde. Während er von seinem Partner sowohl aufenthaltsrechtlich wie auch finanziell abhängig war, war sein Partner nicht mit derartigen rechtlichen und ökonomischen Komplikationen konfrontiert. Dieses fremdbestimmte Leben und dessen destruktive Rolle sowohl im partnerschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Leben empfand Arda als inakzeptabel. So bemühte er sich kontinuierlich um einen besseren wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Status. Er strebte an, in der Partnerschaft eine Balance herzustellen und in der Einwanderungsgesellschaft seine Zukunftsperspektive zu verwirklichen, indem er sich in verschiedenen politischen und sozialen Bereichen engagierte.

Im Gegensatz zu Arda ist Can Diskriminierungen aufgrund der sozialen Herkunft insofern verstärkt ausgesetzt, als ihn seine binationalen Eltern wegen seiner Homosexualität ablehnen. Zur Zeit des Interviews ist er im Pflegebereich und in der Gastronomie tätig. Diesen Tätigkeiten geht er aus gesellschaftlichen Zwängen nach. Da er in seinem erlernten Berufsfeld bisher keinen Job finden konnte, muss er sich auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse einlassen. Er befindet sich in einer Ausweglosigkeit und schöpft keine Kraft, sich neue Alternativen zu schaffen. Dies ist nicht nur auf seine Hoffnungslosigkeit zurückzuführen, sondern auch auf die prekären sozialen Bedingungen in der Mehrheitsgesellschaft. Diese manifestieren sich in der ungleichen Verteilung von sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen. So ist beispielsweise sein Partner in einer Behörde als Beamter tätig und dadurch in einer besseren wirtschaftlichen und sozialen Lage. Obwohl beide Partner ähnliche Berufsausbildungen haben, verfügen sie in unterschiedlichem Maß über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ressourcen. Der finanzielle Unterschied beim Einkommen löst Konflikte innerhalb der Beziehung aus. So verweigert der deutsche Partner ökonomische und soziale Solidarität mit Can und fordert ihn auf, seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Dabei beabsichtigt er nicht direkt eine soziale Besserstellung Cans, sondern die Absicherung seiner eigenen finanziellen Lage. Can fühlt sich in dieser Situation von seinem Partner herausgefordert. Dennoch kann er ihn nicht davon überzeugen, dass er aufgrund rassistischer und heteronormativer sozialer Zuschreibungen nicht die gleichen Chancen hat. In dieser Situation muss sich Can neben erlebten Diskriminierungen zusätzlich gegen seinen Partner behaupten, der Can in seiner Situation allein lässt und Unterstützungen verweigert.

Diskriminierungsebene II: Rassismen

Die »ethnisierte« Herkunft spielt bei den Diskriminierungserfahrungen der Interviewten eine weitere charakteristische Rolle. Diese Art der Diskriminierung ist unter »Rassismus« einzuordnen. Nicht nur die ausländischen schwulen Männer, die in ihrem Herkunftsort sozialisiert sind, stoßen auf Rassismus. Auch diejenigen, die von binationalen Eltern in Deutschland abstammen und »nicht deutsch genug« aussehen, werden als »Ausländer« oder »Migranten« bezeichnet. Sie werden z.B. »Deutsch-Türken« genannt, und ihnen werden weitere rassistische Merkmale zugeschrieben. Aufgrund ihres »nicht-deutschen« oder »südländischen« Erscheinungsbildes sind sie mit rassistischen Zuschreibungen konfrontiert und werden von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Ressourcen ausgeschlossen. Rassismus hat für die Betroffenen meist auch soziale Konsequenzen. Der Ausschluss vom Arbeitsmarkt und von sozialen Beziehungen, die Ausübung unterbezahlter Beschäftigungen, die nicht ihren Qualifikationen entsprechen, sind nur einige davon.

Das Gefühl der »Heimatlosigkeit«, der Status als Migrant und unzureichende Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen veranschaulichen seine Situation. Trotz der anfänglichen Barrieren beim Zugang zu sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ressourcen stößt er wegen seiner »Besonderheit« als türkischer Schwuler auf so genannten »positiven Diskriminierung«. Während seine Homosexualität in der Aufnahmegesellschaft »positive Resonanz« erfährt, ist er im Gegensatz hierzu von Rassismus betroffen: In Deutschland erfährt er als türkischer Schwuler Sympathie und Aufmerksamkeit, weil er einerseits als Opfer des türkischen Staates, der türkischen Gesellschaft angesehen wird, andererseits wird er aber aufgrund seines türkischen Hintergrundes allein negativ bewertet sowie diskriminiert, wenn er Ansprüche in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Lebensbereichen erheben will.

Cans Biographie ist häufig von Fremdzuschreibungen und -bestimmungen geprägt. Trotz seiner Sozialisation in der Mehrheitsgesellschaft und seiner binationalen Erziehung wird er in Deutschland als Ausländer bzw. Deutsch-Türke angesehen und mit anderen Gesellschaften, die ihm nicht weiter vertraut sind, in Verbindung gebracht. Rassismus gehört zu seinem Alltag. Die rassistischen sozialen Konstruktionen kristallisieren sich in den Interaktionen mit dem Partner, dessen Familienangehörigen sowie mit ihm unbekannten Personen in der Öffentlichkeit heraus. Rassistische Beleidigungen, Vorwürfe, Zuschreibungen sowie die zahlreichen Formen der Ausgrenzung empfindet Can als nicht zu überwindende soziale Probleme, die sein individuelles Leben in vielen Bereichen beeinträchtigen. So befindet sich Can in einer schwierigen Situation, in der er in seinem Geburtsland, Deutschland, mit Ungleichbehandlungen aufgrund seines »nicht-deutschen Aussehens« konfrontiert wird. Da diese Konfrontationen sein Leben bzw. auch seine Lebensgeschichte prägen, sieht er keinen Ausweg, sie zu bewältigen. Can fühlt sich in Deutschland dem Rassismus und dessen Folgen unterlegen und findet keine institutionelle Unterstützung zur Lösung dieses sozialen Problems, was zur Handlungsunfähigkeit bei der Bewältigung führt. Seine binationale Sozialisation und die hieraus gewonnenen Ressourcen, z.B. seine Bilingualität, finden weder Akzeptanz noch Respekt.

Diskriminierungsebene III: Antimuslimischer Rassismus

Das Grundgesetz verbietet Diskriminierungen aufgrund der Glaubensrichtung und der Religionszugehörigkeit, und gewährt allgemeine Religions- und Glaubensfreiheit. Die ausländischen und binational sozialisierten schwulen Interviewpartner werden häufig und insbesondere aufgrund der Annahme, sie gehörten dem Islam an, diskriminiert. Islamfeindliche Positionen in der Aufnahmegesellschaft und die damit verbundenen Diskriminierungspraxen werden in beiden Fallanalysen ersichtlich. Sowohl die Art der antimuslimischen Diskriminierung als auch deren Wahrnehmung und Verarbeitung sind bei beiden aber unterschiedlich.

Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits erwähnt, ist Arda meist mit »positiver Diskriminierung« konfrontiert. In Bezug auf Erfahrungen mit islamfeindlichen Positionen liefert er zwar keine konkreten Informationen, dennoch beschreibt er bestimmte Situationen als türkischer Schwuler in seinem Bekannten- und Freundeskreis, in denen er mit dem Islam in Verbindung gebracht wird. Die Betrachtungsweise seiner Person durch Bekannte und Freund_innen als exotisch, empfindet er als störend, und die daraus entstehenden Konfrontationen bereiten ihm Unbehagen. Obwohl er den Islam nicht praktiziert, wird er einerseits als Muslim betrachtet, andererseits werden ihm »positive« Merkmale zugeschrieben, da er als schwuler Muslim eine »Besonderheit« darstelle. Für die Akzeptanz seiner muslimischen Herkunft spielt seine Homosexualität eine wichtige Rolle. Auch wenn die direkte Konfrontation mit Islamfeindlichkeit und »positiver Diskriminierung« im Fall Ardas keine ausführliche Erwähnung findet, thematisiert sein Partner Kai die daraus resultierenden Auseinandersetzungen innerhalb der Partnerschaft. Die Erfahrungen mit rassistischen und antimuslimischen Diskriminierungen, die Arda in der Aufnahmegesellschaft macht und im Interview nur skizzenhaft zur Sprache bringt, beeinflussen seine binationale Partnerschaft negativ.

Ungeachtet der ambivalenten Erfahrungen Ardas mit antimuslimischem Rassismus zeigt die Studie, dass Can stärker von islamfeindlichen Handlungen betroffen ist. Er befindet sich in der Mehrheitsgesellschaft in einer spezifischen Position, in der er sich ständig gegen Vorurteile und Diskriminierungen wehren und sich rechtfertigen muss. Zu Beginn seiner Partnerschaft erfuhr Can islamfeindliche Diskriminierungen durch Familienangehörige des Partners.

Da Can aufgrund seines »nicht-deutschen« Erscheinungsbildes und seiner vermeintlichen Islamzugehörigkeit ständig Konflikte mit seinem deutschen Partner und dessen Mutter hatte, wurde er bei familiären Zusammenkünften nicht akzeptiert und ausgeschlossen. Auch hier zeigt sich die Verwobenheit mehrerer Diskriminierungsformen deutlich. Nicht nur das »ausländische« Aussehen und der unterstellte religiöse Hintergrund, sondern auch die Homosexualität führten zur Ablehnung seitens der Mutter seines Partners, die auch die Homosexualität des eigenen Sohnes nicht akzeptiert. Zudem ist Can häufig von rassistischen Reaktionen in der Öffentlichkeit betroffen, wenn er zum Beispiel »zurück« in die Türkei verwiesen wird, obwohl er in keiner biographischen und institutionellen Verbindung zur Türkei steht.

Diskriminierungsebene IV: Staatsangehörigkeit – Institutioneller Rassismus

Auch die Staatsangehörigkeit spielt bei der Diskriminierung der interviewten Schwulen eine wichtige Rolle. Die Akteure dieser Diskriminierungsart sind nicht nur Bürger_innen, sondern auch der Gesetzgeber sowie Beamt_innen und Angestellte, die die Gesetze korrekt oder willkürlich umsetzen. Besonders die ausländischen Interviewpartner, die durch eine Eingetragene Lebenspartnerschaft nach Deutschland kamen, erleiden institutionellen Rassismus aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit. Während die EU-Bürger_innen als Bürger_innen privilegiert werden, sind die Nicht-EU-Bürger_innen als Angehörige von »Drittländern« kategorisiert. Aus dieser Hierarchisierung der in Deutschland lebenden Ausländer_innen resultiert auf der ersten Ebene eine institutionelle rassistische Diskriminierung, und auf der zweiten Ebene verstärkt sie soziale Ungleichheit innerhalb der gesamten Gesellschaft.

Die im Herkunftsland erlangten Qualifikationen werden in Deutschland oft nicht anerkannt und so droht ein sozialer Abstieg. Auf der Vergleichsebene der Staatsangehörigkeit als Basis für institutionelle rassistische Diskriminierung unterscheiden sich Arda und Can wesentlich voneinander.

Arda wird schon während seiner Antragstellung für die Einreise nach Deutschland zum Zweck der Lebenspartnerschaftsschließung mit seinem Status als Angehöriger eines »Drittlandes« konfrontiert. Während die Bürger_innen der EU-Länder und anderer privilegierter »Drittländer« (z.B. Kanada, USA) ohne größere bürokratische Komplikationen nach Deutschland einreisen können, hatte Arda für sein Einreisevisum einen langen und schwierigen Weg zu beschreiten. Obwohl seine leibliche Mutter seit fast 40 Jahren in der BRD arbeitet, konnte er davon nicht profitieren. Arda und sein Partner mussten monatelang zwischen der deutschen Botschaft in der Türkei und dem Ausländeramt pendeln, um das Visum zum Zweck der Lebenspartnerschaftsschließung zu erhalten. Nach einer langen und komplizierten Auseinandersetzung mit dem bürokratischen Verfahren konnte Arda zwar nach Deutschland einreisen, hatte jedoch mit künftigen Ungleichbehandlungen auf Grund seiner türkischen Staatsangehörigkeit zu rechnen. Auf Grund seiner Staatsangehörigkeit erfuhr er Nachteile und befand sich in einer existenziellen und juristischen Abhängigkeit von seinem Partner. Gleichzeitig hatte er gegen bürokratische Hürden zu kämpfen, um seinen Status verbessern zu können. Dieser Lebensabschnitt Ardas war demnach fremdbestimmt durch Gesetze und stark betroffen von institutionellem Rassismus.

Im Gegensatz zu Arda besitzt Can die deutsche Staatsangehörigkeit, da seine Mutter deutsche Staatsbürgerin ist. In Bezug auf institutionellen Rassismus berichtet Can nicht von erfahrenen direkten Diskriminierungen. Im Gegenteil profitiert er als Deutscher von einem privilegierten Status. So muss er keine Lebenspartnerschaft mit seinem Partner schließen, um sich weiterhin in seinem Geburtsland Deutschland aufhalten zu dürfen. Dieser Status ermöglicht ihm eine gewisse juristische Unabhängigkeit von seinem Partner.

Diskriminierungsebene V: Homophobie – Heteronormativität

Sowohl Arda als auch Can sind in unterschiedlicher Art und Weise mit Heteronormativität konfrontiert. Auf der Vergleichsebene der heteronormativen Diskriminierung werden die unterschiedlichen Situationen von Arda und Can aufgezeigt. Anders als auf den anderen Vergleichsebenen sollen hierbei gesamt-biographische Erfahrungen der Interviewpartner behandelt werden.

Arda wuchs in der Türkei bei seinem Vater auf, der als Schneider tätig war. Als alleinstehender Vater übernahm er die aus der heteronormativen Sicht »traditionelle Rolle der Hausfrau« (Kochen, Waschen, Nähen, Putzen etc.). Arda hat seinen Vater möglicherweise anders als andere Väter gesehen, was für seine Sozialisation prägend gewesen sein musste. Er war in seiner Entwicklung nicht mit einer heteronormativen familiären Struktur konfrontiert. Zudem prägte ihn eine transgeschlechtliche Person, die im selben Viertel wohnte. Diese Vorbilder waren von großer Bedeutung für Arda. Für seine Entwicklung waren jedoch nicht nur diese »Bilder« biographisch relevant, sondern auch der verständnisvolle Umgang seines Vaters mit Ardas Vorlieben. Ein Tänzer_innen-Rock, den sein Vater für ihn genäht hatte, war ebenfalls von biographischer Relevanz. Mit diesem Rock trug sein Vater zur Dekonstruktion der heteronormativ geprägten Rollenverteilung von Mann und Frau bei und festigte Arda darin, eigenen Interessen unabhängig von sozialer Repression nachzugehen. In dieser Zeit seiner Entwicklung war Arda glücklich mit sich und konnte problemlos einen Rock tragen. Diese positive Entwicklung während seiner Kindheit ermöglichte es ihm, in der Zukunft zu seiner Homosexualität zu stehen und offen mit ihr umzugehen.

Im Gegensatz zu Arda ist Cans Entwicklung von Schuldgefühlen, Ängsten und Gewissensproblemen geprägt. Dieser Umstand ist auf eine dominante heteronormative Gesellschaftsstruktur zurückzuführen. Anders als Arda stammt Can aus einem Dorf in Westdeutschland, wo eine starke soziale Kontrolle herrschte und offen lebende Schwule nicht anzutreffen waren. Can war sowohl in seinem häuslichen als auch in seinem sozialen Umfeld mit Heteronormativität konfrontiert. So kam es zu inneren Krisen, die er mit viel Mühe und nur unter großen Schwierigkeiten überwinden konnte.

In der Studie wird deutlich, dass die beiden Interviewpartner mit Heteronormativität ähnlich konfrontiert sind, wobei sich die Lebensbereiche, in denen sie sich mit Homophobie auseinandersetzen mussten, voneinander unterscheiden: Während Ardas Vater und Bruder offen und verständnisvoll mit seiner Homosexualität umgegangen sind, haben die binationalen Eltern Cans ihn als Sohn abgelehnt und den Kontakt zu ihm abgebrochen. So stieß Can in seinem häuslichen Umfeld auf Ablehnung, während er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis beachtliche Akzeptanz fand. Im Gegensatz zu ihm wird Arda von seiner Familie akzeptiert, begegnet jedoch in seinem sozialen Umfeld und im Lauf seines Lebens bestimmten homophoben Diskriminierungen, die aus heteronormativen Strukturen hervorgehen.

In Anlehnung an die Fragestellung dieser Studie weise ich auch auf die Diskriminierungserfahrungen der deutschen Partner von Arda und Can hin. Uwe, Cans Partner, wurde bis zur Zeit des Interviews mit Can von der eigenen Mutter nicht als Schwuler akzeptiert, und Kai, Ardas Partner, war vor und während seines Coming-outs mit Heteronormativität und Homophobie konfrontiert. Im Laufe seiner Lebensgeschichte konnte sich Kai durchsetzen und die Akzeptanz seiner Homosexualität und binationalen Partnerschaft durch die Familie erreichen, was für Can und Uwe nicht zutrifft.

Ein weiterer Unterschied zwischen Arda und Can manifestiert sich in der Betroffenheit von institutioneller Homophobie. Die in Deutschland erfahrene institutionelle Homophobie, der Arda ausgesetzt war, ist mit einem Zwangsouting verbunden. Im Rahmen seines Antrags auf Lebenspartnerschaftsschließung wurde er zur Vorlage eines türkischen Ehefähigkeitszeugnisses aufgefordert. Die Beibringung dieser Bescheinigung löste ein Zwangsouting vor den türkischen Behörden aus. Ein Ehefähigkeitszeugnis wird nur erstellt, wenn der/die Antragsteller/in die persönlichen Daten seiner künftigen Ehefrau/ihres künftigen Ehemannes angibt. Das heißt, dass das Ehefähigkeitszeugnis ausschließlich heterosexuellen Paaren ausgestellt wird. Deswegen musste Arda sich beim türkischen Konsulat als Schwuler offenbaren, weil er nicht eine Frau heiraten, sondern mit seinem Mann eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollte. Neben dieser homophoben bürokratischen Regelung des türkischen Konsulates zeigt sich die institutionelle Homophobie des deutschen Standesamtes in der Insensibilität des Standesbeamten gegenüber ausländischen Homosexuellen, in deren Herkunftsländern gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften nicht anerkannt sind. So bestand z.B. das deutsche Standesamt auf der Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses, das zu diesem Zeitpunkt schwer zu erhalten war. Im Gegensatz zu Arda liefert Can keine Informationen über seine Erfahrungen mit institutioneller Homophobie. Da er nicht in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, ist er diesbezüglich nicht mit den Behörden konfrontiert.

Fazit

Die mehrdimensionale Analyse ausgewählter Interviews zeigt, dass Mehrfachdiskriminierungen soziale Tatsachen sind, die in unterschiedlichen Ausformungen immer wieder das Leben der Interviewten durchdringen. Soziale und ethnisierte Herkunft, Glaubensausrichtung bzw. tatsächliche oder vermeintliche Religionszugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, »nicht-deutsches Aussehen« und sexuelle Orientierungen verursachen Diskriminierungen in der Einwanderungsgesellschaft.

Die Untersuchung zeigt, dass Ausländer und als Ausländer angesehene Menschen in der Mehrheitsgesellschaft wenig Chancengleichheit und Zugang zu wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen haben. Diese Chancenungleichheiten bestimmen in erster Linie die soziale Lage der Menschen und gelten als Diskriminierungen. Die ungleichen Verteilungen von Ressourcen führen nicht nur innerhalb einer Bevölkerungsgruppe zu wirtschaftlichen und sozialen Differenzen, sondern auch in einer binationalen Partnerschaft. Da die ausländischen Partner wirtschaftlich, sozial und juristisch von ihrem deutschen Partner abhängig sind, entsteht innerhalb der Beziehung ein Machtverhältnis, von dem besonders die Interviewpartner betroffen sind, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben und deren Aufenthaltstitel insofern von einer (fort-)bestehenden Lebenspartnerschaft abhängt.

Ferner ergibt sich aus der Forschung, dass die Diskriminierungserfahrungen der Interviewten überwiegend in Zusammenhang mit ökonomischen Aspekten des Rassismus stehen. Allerdings weist die Studie mit den Fallanalysen zugleich nach, dass rassistische Handlungen nicht aus ökonomischen Gründen allein entstehen, sondern ebenso Teil eines Geflechtes von Machtverhältnissen und Ideologien sind. Heteronormativität, Klassismus und kulturelle Hegemonie sind weitere soziopolitische Strukturen, die eng mit Rassismus verwoben sind. Diese Studie zeigt, dass kulturalistischer Rassismus mit biologistischem Rassismus ineinander greift. So werden Menschen, die als »Nicht-Deutsche« angesehen werden, besonders diskriminiert, wenn sie als »Türken« oder »Araber« angesehen werden.

Die Interviews machen deutlich, dass Homophobie auch in »fortschrittlichen« westlichen Ländern existiert; sie legen Zeugnis davon ab, dass Homosexuelle auch in der Einwanderungsgesellschaft Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierungen sind sowohl deutsche als auch nicht-deutsche Interviewpartner in unterschiedlichem Maße betroffen. Dies liegt an der »Selbstverständlichkeit« der Heterosexualität in der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft. Da die Interviewten dieser Studie sich als Schwule definieren, sind sie generell seit ihrer Entscheidung für ein offen homosexuelles Leben mit Heteronormativismen konfrontiert. Ein wichtiges Ergebnis dieser Studie ist, dass auch die deutschen Interviewpartner innerhalb ihrer Familien sowie in ihrem Umfeld aufgrund ihrer Homosexualität wiederholt in Konflikte geraten sind, die sie teils immer noch auszutragen haben. Mit den Ergebnissen dieser Studie kann ein populärer Vorwurf gegenüber muslimischen Gesellschaften zurückgewiesen werden: Aus den Interviews ergibt sich, dass Homophobie nicht nur in vermeintlich »rückständigen« islamischen Ländern existiert, sondern auch in »fortschrittlichen« westlichen Ländern. Beispielsweise sind die eingetragenen Lebenspartnerschaften in der BRD immer noch nicht der Ehe gleichgestellt.

Die Interviews mit den deutschen Partnern zeigen ebenfalls auf, dass auch sie in ihrem Herkunftsort belastende Probleme mit homophoben Einstellungen hatten. So bezeichnen sie Berlin als Metropole, in der sexuelle Freiheit herrscht. Wenn Berlin in der Tat eine gewisse Freiheit für Homosexuelle bietet, so ist dieser Umstand u.a. darauf zurückzuführen, dass Metropolen andere Möglichkeiten der Diskretion und Anonymität bieten, als dies kleine Städte tun. Die türkischen Interviewten berichteten ebenfalls von der Möglichkeit, in türkischen Metropolen ihre schwulen Beziehungen ausleben zu können.

Die Studie mit binationalen schwulen Paaren bringt relevante politische und gesellschaftskritische Aspekte der Mehrfachdiskriminierungen hervor, die aus Mehrfachzuschreibungen und sozialen Konstruktionen resultieren. Die soziale Konstruktion eines imaginären »Wir« bedingt die Konstruktion eines »Anderen«. Erfundene Differenzen bezüglich Sexualität, Staatsangehörigkeit, »Rasse« und »Kultur« werden instrumentalisiert, um »eigene« Ressourcen vor »Fremdem« zu schützen. Umgesetzt wird dieses Streben durch den konsequenten Ausschluss der »Fremden«.

Es ist dieser Studie gelungen, aufzuzeigen, dass »Differenzierungen« für wirtschaftliche und politische Zwecke instrumentalisiert werden. Alle von mir interviewten Personen sind täglich mit Differenzierungen konfrontiert und tragen die Konsequenzen einer Politik der Differenz zwischen »Eigenem« und »Fremdem«. So bezeichnen Differenzierungen eine ökonomische Macht, die auf Normalisierung abzielt, indem die »Anderen« zu Devianten, Marginalen, Fremden, »Ausländer_innen« und Homosexuellen gemacht werden.

Literatur

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Çetin, Zülfukar (2012): Homophobie und Islamophobie. Intersektionale Diskriminierung am Beispiel binationaler schwuler Paare in Berlin. Bielefeld (transcript).

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Petzen, Jennifer (2011): Wer liegt oben? Türkische und deutsche Maskulinitäten in der schwulen Szene. In: Yılmaz-Günay, Koray (Hg.): Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre »Muslime gegen Schwule«. Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001. Berlin (Selbstverlag) S.25-45.

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Warner, Michael (1993): Fear of a Queer Planet, Minneapolis MN (University of Minnesota Press)

Wolter, Salih & Yılmaz-Günay, Koray (2009): »Muslimische« Jugendliche und Homophobie – braucht es eine zielgruppenspezifische Pädagogik? In: Informations und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V (Hg.): Facebook, Fun und Ramadan. Lebenswelten muslimischer Jugendlicher. Düsseldorf, S. 34-38.

Yılmaz-Günay, Koray (2011): Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre »Muslime gegen Schwule«. Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001. Berlin (Selbstverlag).

Endnoten:

[1]

In meiner Studie bevorzuge ich eine sensible Sprache, um diskriminierende Zuschreibungen und Aussagen zu vermeiden. Aus diesem Anlass möchte ich hier einige Begriffe und Begriffspaare erläutern, um mögliche Missverständnisse auszuräumen. Der Begriff binational stellt hier eine juristische Bezeichnung dar, die ich für die Benennung der Paarkonstellation einiger meiner Interviewpartner verwende. Es geht vor allem um unterschiedliche Staatsangehörigkeiten der Partner in einer eingetragenen Partnerschaft. Im Lauf der Studie verwende ich auch die Begriffe ausländischer oder als ausländisch angesehener Interviewpartner. Während die eine Verwendung – ausländisch eine Selbstbezeichnung durch Interviewpartner darstellt, handelt es sich bei als ausländisch angesehen um eine Fremdzuschreibung. Bezugnehmend auf Koray Yılmaz-Günay und Salih Alexander Wolter möchte ich noch einen Hinweis auf die in diesem Beitrag verwendete Bezeichnung Migrant_innen geben: »Dem öffentlichen Diskurs folgend sind nicht Migrant_innen aus osteuropäischen oder afrikanischen, asiatischen oder amerikanischen Ländern gemeint; ‚Migrant_innen‛ sind hier Menschen mit Wurzeln in mehrheitlich muslimischen Ländern oder Gebieten – für den deutschen Kontext also v.a. Türk_innen und Kurd_innen, als die größten Migrant_innen-Gruppen, oder Araber_innen und Bosnier_innen. Darüber hinaus werden aber auch Menschen in die Schublade ‚Migration‛ gesteckt, die etwa als Sinti, Roma oder Schwarze Deutsche aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als ‚Migrant_innen‛ identifiziert werden. Offensichtlich ist es der Blick der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft, der hier entscheidet, über wen gesprochen wird.« (Wolter und Yılmaz-Günay 2009, S. 38)

[2]

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich die Begriffe »positive Diskriminierung und positive Rassismen« nicht im Sinne von »Positiven Maßnahmen« vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verwende. Bei den positiven Maßnahmen des AGG handelt es sich um »[die Zulässigkeit]einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund der zugeschriebenen […] ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung, wenn durch "geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines der genannten Gründe verhindert oder ausgeglichen werden sollen (vgl. Merx 2007)«. Im Gegensatz zu »Positiven Maßnahmen« geht es in meiner Verwendung von positiver Diskriminierung und positivem Rassismus darum, dass diese diskriminierende und rassistische Handlungsmotivationen beinhalten, wenn beispielsweise ein arabischer oder türkischer Schwuler exotisiert wird oder als Angehöriger einer unterdrückten Gruppe imaginiert wird , wobei der Islam oder die muslimische Gesellschaft als Quelle oder Ursache der Unterdrückung deklariert werden. So kann der so genannte positive Rassismus ein pauschalisierendes Bild von Muslim_innen vs. Schwule darstellen (vgl. Yılmaz-Günay 2011).

[3]

In Bezug auf Begriffe wie Mehrdimensionale Diskriminierung, Mehrfachdiskriminierung oder intersektionale Diskriminierung gibt es in den aktivistischen, juristischen und wissenschaftlichen Bereichen keine Übereinstimmungen. Aus meiner Sicht handelt es sich zumindest bei diesen drei Begriffen um Verschränkungen und Überschneidungen von unterschiedlichen Diskriminierungsformen.

[4]

Den Diskurs-Begriff verwende ich im Sinne Foucaults. Der Diskurs, so Foucault, existiert unter positiven Bedingungen eines komplexen Bündels von Beziehungen, die zwischen Institutionen, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen, Verhaltensnormen, Normsystemen, Techniken, Klassifikationstypen und Charakterisierungsweisen hergestellt werden. (Foucault 1973, S. 68) Der Diskurs, der normierend und regulierend funktioniert, erzielt in erster Linie die Herstellung und Strukturierung von Realitäten. In Bezug auf meine Studie geht es immer darum, wer spricht, also wer definiert, regelt, strukturiert und re-produziert, sowie darum, über wen gesprochen wird, das heißt, wer/was definiert, geregelt, konstruiert und re-produziert wird. Die sprachlichen Praxen zeigen den produktiven Charakter des Diskurses und der Macht des Diskurses. Ich habe in meiner Studie versucht zu zeigen, wie Identitäten beispielsweise hergestellt werden, wenn von sogenannten Schwulen, Männern, Frauen, Migrant_innen, Europäer_innen, Muslim_innen, Deutschen und Nicht-Deutschen die Rede ist.

[5]

An dieser Stelle möchte ich auf die Originalverwendung von Miles hinweisen. Er sieht den Rassismus als eine Ideologie, die in der Gesellschaft verankert ist und die Menschen nach biologistischen und kulturalistischen Kriterien voneinander unterscheidet, klassifiziert und definiert. Miles verwendet den Begriff Rassismus als eine Ideologie von Ein- und Ausgrenzung. Miles beschränkt Rassismus auf die Ebene der Ideologie. Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft wird hier ausgeblendet. Ich ersetze diesen Begriff »Rassismus als Ideologie« mit dem »Rassismus als Maschine«, die in einer Gesellschaft immer wieder »andere« Menschen produziert und Machverhältnisse zwischen »Gemachten« und »Machenden« aufrechterhält.

[6]

Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Debatte zu Homophobie und Migrant_innen sprengt den Rahmen dieses Beitrages. An dieser Stelle möchte ich den_die Leser_in auf meine Studie Islamophobie und Homophobie. Intersektionale Diskriminierungen am Beispiel von binationalen schwulen Paaren in Berlin , Bielefeld 2012, und auf das Buch von Georg Klauda Die Vertreibung aus dem Serail. Europa und die Heteronormalisierung der islamischen Welt, Hamburg 2008, verweisen.

[7]

Dieser Befreiungsschein vom Militärdienst beinhaltet ein psychiatrisches Attest über »psychosexuelle Störung« des Interviewpartners.

Über den Autor

Zülfukar Çetin

Dr. Zülfukar Çetin hat an der Freien Universität bei Prof. Dr. Helgard Kramer und Prof. Dr. Klaus- Jürgen Bruder promoviert. Zurzeit lehrt er an der Alice-Salomon-Hochschule und an der Evangelischen Hochschule Berlin zu Themen Intersektionalität, (Antimuslimischer) Rassismus, Queer Theorie und Bewegung, Kritische Migrationsforschung sowie Methoden der qualitativen Sozialforschung.

E-Mail: cetin@ash-berlin.eu