Ein angeblich 1991 verfasstes Dokument eines angeblichen Mitglieds der Muslimbruderschaft mit dem Titel An Explanatory Memorandum. On the General Strategic Goal for the Group in North America ist in den letzten Jahren virulent geworden. Eine Gruppe rechtsgerichteter, neokonservativer DenkerInnen verbreitet über ein gut finanziertes Think-Tank- und Mediennetzwerk islamophobe Weltverschwörungstheorien. Die Verschwörungstheorie, wonach MuslimInnen bereits das Weiße Haus unterwandert hätten (Ali et al. 2011), fußt sowohl auf »Analysen« zeitgenössischer Tagespolitik wie auch auf den Verweis des erwähnten Dokuments. Dieser Artikel beabsichtigt, empirisch anhand eines Fallbeispiels aufzuzeigen, dass Islamophobie nicht »nur« als kulturalistisch/rassistische Ausgrenzungsideologie gegen »die da unten« wirkt (wodurch sie vom Antisemitismus unterschieden wird), sondern verschwörungstheoretische Aspekte aufweist, indem das Feindbild Islam/MuslimInnen als überlegen imaginiert wird.
Schüsselwörter: Weltverschwörung, Islamophobie, Kulturalismus, Rassismus, Antisemitismus, Muslimbruderschaft
A document that was allegedly composed in 1991 by a supposed high ranking Muslim Brotherhood member entitled An Explanatory Memorandum. On the General Strategic Goal for the Group in North America became virulent in the last years. A group of right wing, neoconservative thinkers, which is spreading conspiracy theories through a well-financed and connected network of think tanks and online media corporations, made use of this «document”. According these actors, Muslims have already infiltrated the White House. They base is on an «analysis” of contemporary politics as well as on the aforementioned document. Based on this document, this article argues that Islamophobic discourses are not «only” culturalist and/or racist projects of exclusion of a construed underprivileged group of Muslims. Rather, this article argues that Islamophobic discourses do also reveal aspects of conspiracy theories where Muslims are imagined as superior as it was done in anti-Semitic conspiracy theories.
Keywords: conspiracy theories, Islamophobia, culturalism, racism, anti-Semitism, Muslim Brotherhood
Die bekannteste weltverschwörerische Theorie, jene der jüdischen Weltverschwörung, nimmt ihre Argumentation nicht zuletzt von Schriftstücken, die als Erfindungen, als Fiktionen, zu bezeichnen sind. »Die Protokolle der Weisen von Zion«, die eine Grundlage des modernen Antisemitismus bilden, wurden dabei nicht von Ungebildeten, sondern in erster Linie von privilegierten und Gebildeten ernstgenommen (Sammons 2007, S. 7). So sehr der Ursprung der Protokolle auch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung geworden ist, so ist die Fiktionalität des Textes keine Schwäche, sondern eine Stärke des Phänomens, da der Text damit »außerhalb der Kontrolle des logischen Diskurses« bleibt. Schließlich kann nicht bewiesen werden, dass Fiktionen – anders als Fälschungen – nicht wahr sind (ebd. 2007, S. 8-11). Darauf hat bereits der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz hingewiesen: Antisemitismus als »hermetisches System« funktioniert auf Basis der Argumentationsstrategie der Behauptung, wonach »Tatsachen« behauptet werden, die nicht bewiesen werden können (Benz 2011, S. 38; für die Islamophobie siehe: Schneiders 2009, S. 426). Eines der zentralsten Kennzeichen der Protokolle erschließt sich in der »Erklärung der Weltereignisse durch die Wirkung kleiner aber außerordentlich mächtiger Verschwörergruppen«, welche für eine auf Machterhalt gezielte Politik durch bereits herrschende Eliten von immenser Bedeutung ist, da sie »von jeder systemkritischen, etwa sozialpolitischen Erklärung der Mißstände, unter denen die Menschen ja immer leiden«, ablenkt (Sammons 2007, S. 11). Im Antisemitismus geht es also nicht um eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Jüdischen, sondern um die Imagination der AntisemitInnen (Sartre 1948, S. 10f.) In den Worten Adornos ist der funktionale Charakter des Antisemitismus und rassistischer Anschauungen »nicht so sehr von der Natur des Objektes wie von den psychischen Bedürfnissen und Trieben des Subjektes abhängig« (Adorno 1995, S. 110ff.). Die Funktion besteht demnach darin, von eigenen Missständen abzuwehren, um eigene Positionen und Bilder »durch Ausgrenzung, Abwehr und Schuldzuweisung zu definieren und zu stabilisieren« (Benz 2011, S. 51). Dabei änderte sich das Bild des Juden entsprechend der Eigenbilder, in denen dieses konstruiert wurde. Aus dem »Gottesmörder« und den AnhängerInnen Satans und des Antichristen in der religiös geprägten Gesellschaft wurde in der Neuzeit der »Wucherer« und schließlich im modernen Antisemitismus der rassisch determinierte »ewige Juden« (ebd. 2011, S. 13-55). Angemerkt sei hier, dass das Aufkommen der Protokolle der Weisen von Zion nicht erst die Verschwörungstheorie einer jüdischen Weltverschwörung in die Welt setzte. Vielmehr gab es schon lange zuvor angeblich
»[…] eine geheime jüdische Regierung, die ein weltweites Netz getarnter Agenturen und Organisationen unterhielt mit deren Hilfe sie politische Parteien und Regierungen, die Presse und die öffentliche Meinung, die Banken und das Wirtschaftsleben lenkte. Sie verfolgte einen uralten Plan, über die ganze Welt eine jüdische Herrschaft zu errichten.« (Benz 2000, S. 217ff.)
Derartige Dokumente sind nicht unbedingt die Grundlage für ein verschwörerisches Denken. Vielmehr liegt es an der Deutung bestimmter Ereignisse, Texte und Symbole, die eine solche Verschwörungstheorie zu erklären versuchen.
Der Islamwissenschafter Jochen Müller meldete sich 2010 in der Debatte um die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und Islamophobie, um auf »die Vernichtungsdrohung« als eine von vier Besonderheiten hinzuweisen, die den modernen Antisemitismus von der Islamophobie unterscheiden würden. Er meinte, dass Juden nicht nur das Andere seien, sondern in Anlehnung an Klaus Holz das »Antivolk«, das »die Ordnung der Welt insgesamt in Frage« stellen würde, seien, womit sie aufgrund der »ihnen vorgeworfenen Verschwörungen zum teuflischen Feind der Menschheit insgesamt« werden würden (Müller 2010). Der moderne Antisemitismus beruhe
»auf Fantasien einer jüdischen Weltverschwörung gegen die Menschheit. Dagegen tauchen in der Islamfeindlichkeit/Islamophobie verschwörungstheoretische Ideologeme nur in Einzelfällen auf. Vielmehr beruht die Islamophobie auf solchen kulturalistischen Zuschreibungen, die für die ‚neuen‘ Formen des Rassismus typisch sind: Auf der Grundlage einer christlich-europäisch, sich aufgeklärt wähnenden ‚Leitkultur‘ werden Muslime und ihre Religion immer wieder pauschal und in kolonialistischer und rassistischer Manier als zurückgeblieben, unaufgeklärt und mitunter als terroristisch diskriminiert. Hier dominiert ein kulturalistisch-rassistisches Bild der Anderen. Eine auf Verschwörungsfantasien beruhende ‚eliminatorische Islamophobie‘ existiert aber nicht«,
so der Autor. Der Aspekt der Eliminierung steht hier nicht im Zentrum des Interesses, obwohl dieser anderswo kritisch diskutiert wurde (Brown / Miles 2003, S. 77f.). Bereits die zuvor aufgezeigte Diversität der Bilder des Jüdischen verdeutlichen, dass nicht von einem einzigen und statischen antisemitischen Bild gesprochen werden kann, was unterschiedliche Definitionen des Antisemitismus nach sich zieht (siehe auch Pollak 2008, S. 17-32). Ebenso habe ich bereits in meinen Arbeiten auf die Mehrdimensionalität des Islamophobiebegriffs aufmerksam gemacht, der es nahe legt von unterschiedlichen Islamophobiebegriffen parallel zueinander zu sprechen; einer rassistisch argumentierenden, historisch aufgeladenen, kulturalistisch argumentierenden Islamophobie und anderen Ausformungen (Hafez 2010, S. 47-66) und damit nicht nur eine einzige unabänderliche und selbsterklärende Islamophobie zu behaupten. Damit ist bereits eine Schwäche des oben zitierten Arguments aufgezeigt. Nicht zuletzt deutet dies auch darauf hin, dass antisemitische ebenso wie islamophobe Bilder in sich widersprüchlich sein können. Das Argument, wonach MuslimInnen als »zurückgeblieben, unaufgeklärt und mitunter als terroristisch« wahrgenommen werden würden (Müller 2010), ihnen keine genetische Intelligenz zugesprochen wird (siehe dazu kritisch die Auseinandersetzung um die Sarrazin-Debatte bei Gerrens 2012, S. 77-88), wird durch die Deutung der Furcht vor der »Islamisierung« als demographischer Versuch, die Welt zu beherrschen, verstärkt. Wenn auch darin ein Komplott gesehen wird, so kann es doch als von primitiven Menschen durchgeführtes gedeutet werden. Ebenso weist auch der Runnymede Trust mit seiner 1997 in die wissenschaftliche Debatte eingeführten Begriffsdefinition[1] dieses Merkmal auf. Der Islam wird darin als rückständig, barbarisch, sexistisch, irrational und primitiv markiert (Runnymede Trust 1997). Es herrscht das Bild der Inferiorität der MuslimInnen. Dass islamophobe Bilder aber durchaus strategisch-planende MuslimInnen zeichnen, zeigen islamophobe Weltverschwörungstheorien.
In den Definitionen von Islamophobie herrschen Charakterisierungen wie Simplifizierung, Reduktionismus, Dichotomie, Binarität, Antagonisierung und Stereotypisierung vor (Hafez 2010, S. 67ff.). Die Dimension der Verschwörung erregte in Arbeiten jüngeren Datums vermehrt Interesse (Benz 2008, 2012; Schiffer & Wagner 2009 ; Bahners 2011; Lean 2012; Benz 2012). Sie ist insofern nichts Neues an der Islamophobie, als sie von früh an vorhanden war. Das gilt für Versatzstücke der Islamophobie, wie sie in den meisten Definitionen (so auch im Runnymede Trust) vorkommt. Etwa jenes der Antagonisierung: Der Islam wird als politisierte Religion (damit auch geplante Entität) wahrgenommen, der sich im Kampf gegen den Westen und die Ideale der Aufklärung oder aber das Christentum befände.
Oriana Fallaci meinte bereits wie viele islamophobe AkteurInnen wie etwa Henryk Broder nach ihr, dass nicht der Islamismus, sondern der Islam per se das Problem sei, da dieser eine intolerante Religion verkörpere, die nach Weltherrschaft strebe. Die expansive und aggressive Religion des Islams würde einerseits offen in den Krieg ziehen, wie 9/11 beweise, gleichzeitig aber auch verdeckt Krieg führen. Durch Einwanderung muslimischer Menschen in europäische Länder würden die »Pioniere der islamischen Diktatur« diese demographisch unterwandern (Fallaci 2002). Darüber hinaus existieren auch geschlossene Weltverschwörungstheorien, wie etwa jene von »Eurabia«. Mit Eurabia: The Euro-Arab Axis veröffentlichte die Autorin Gisèle Littman unter dem Pseudonym Bat Ye’or (»Tochter des Nils«) im Jahr 2005 ein Schriftstück, in dem sie behauptete, dass mit der Unterstützung einer proislamisch eingestellten politischen Elite die EU sich der islamischen Expansionsideologie des Dschihad unterwerfe (Bat Ye’or 2005). Geheime Konferenzen hätten stattgefunden, wo diese Pläne von europäischen Eliten mit arabischen Abgesandten besprochen wurden (Bahners 2011, S. 243). Diese Verschwörungstheorie wurde von verschiedenen AkteurInnen im islamophoben Netzwerk und darüber hinaus aufgenommen. Der Historiker Niall Ferguson nannte die begriffliche Bezeichnung »prophetisch«.[2] Im deutschsprachigen Raum wurde der Begriff von Personen wie Hans-Peter Raddatz (Widmann 2008, S. 45) und Udo Ulfkotte (Ulfkotte 2008), im englischen Raum von Personen wie Robert Spencer (Spencer 2004), Fjordman alias Peder Are Nøstvold Jensen (Jensen 2006) oder Daniel Pipes übernommen (Pipes 2007). Der Begriff Eurabia findet im Manifest des Anders Behring Breivik mehr als ein Hundert Mal Erwähnung.
Bei Raddatz hätten sich deutsche und europäische Eliten mit MuslimInnen verschworen. Schließlich sei der Islam eine »Religion der Eliten«. MuslimInnen sieht Raddatz dabei unter einem Dach mit Homosexuellen und Liberalen (Widmann, 2008). Seine Weltverschwörungstheorien trugen auch anti-freimaurerische und früher auch anti-amerikanische Züge (Schiffer 2009, S. 462f.). Auch Udo Ulfkotte meinte: »Während man im Abendland vergleichsweise kurzfristig denke, gebe es im islamischen Glauben immer eine langfristige Planung« (zit. n. Bahners 2011, S. 63). Dies verdeutlicht, im Feindbild Islam/MuslimInnen nicht lediglich inferiore Untermenschen, sondern überlegene, planende AkteurInnen zu sehen. Selbst AutorInnen, die nicht dem rechten Spektrum entstammen, imaginieren MuslimInnen als eine verschworene und verschwörerische Gemeinschaft, die gegen »unsere« Gesellschaftsordnung plant. Alice Schwarzer meinte bereits im Jahr 2002: »Ist es noch fünf vor zwölf – oder schon später? Sind die Kreuzzügler auf dem Weg zur islamistischen Weltherrschaft noch zu stoppen – und ist die aufgeklärte Welt überhaupt noch zu retten?«. An anderer Stelle vergleicht sie die Machtergreifung der NationalsozialistInnen mit der imaginierten Machtübernahme der MuslimInnen: »Die Parallelen zu 1933 drängen sich auf.« (Schwarzer 2002, zit. n. Widmann, 2008). Ein zentraler Topos in deutschen islamophoben Zirkeln ist dabei der Begriff der »Taqiyya«, der MuslimInnen die Pflicht, die Ungläbigen zu belügen, unterstellt (Bahners 2011, S. 216-220). Es wird also ersichtlich: MuslimInnen werden nicht (nur) als rassisch unterlegene Menschen imaginiert und mit den Eigenschaften der Irrationalität und Primitivität besehen, sondern (auch) als planende und strategisch handelnde AkteurInnen dargestellt.
Auf diese Verschwörungsphantasien wurde die breitere Öffentlichkeit erstmals durch das Manifest Anders Behring Breiviks aufmerksam. Breivik machte in seinem Manifest 2083. A European Declaration of Independence auf die schädlichen Einflüsse des »cultural Marxism, multiculturalism, globalism, feminism, emotionalism, suicidal humanism, egalitarianism” aufmerksam, die allesamt «a recipe for disaster” und «the name of the devil” in persona seien. Für ihn bereiteten diese Ismen die Islamisierung Europas vor. Die »Analysen« Breiviks stammten weniger von ihm alleine, als dass sie Copy-Paste-Eingaben basierend auf dem globalen Netzwerk islamophober AkteurInnen repräsentierten. Dass derartige Positionen aber nicht neu waren, zeigt etwa ein Dokument der Jugendvorfeldorganisation der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). In einem am 10. Dezember 2006 unterzeichneten Dokument mit dem Titel »Salzburger Deklaration: Europa und der Islam« stellt der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) fest, dass es »unzweifelhaft [sei, F.H.], dass gegenwärtig die europäischen Kulturen auf ihrem eigenen Territorium vom Islam zurückgedrängt werden«. Abschließend heißt es:
»Alle Identitäts- und volksbewussten [sic!] Kräfte sind aufgefordert ihre geistig-kulturellen Grundlagen aktiv zur Erneuerung der heimischen Kultur einzubringen, sei es, dass es sich um nationalbewusste Atheisten, wertkonservative Christen oder kulturbewusste Neuheiden handelt. Alle genannten Gruppen mögen ihre Differenzen nicht überbetonen und gemeinsam der »islamischen Herausforderung« aktiv begegnen und sich dabei bewusst sein, dass sie eine übermächtige Allianz gegnerischer Kräfte gegen sich haben, die von liberalen Werterelativierern, [sic!] über ausschließlich gewinnorientierte Ökonomisten und Marxisten bis zu fundamentalistischen Islamisten reicht [sic!].« (RFJ 2006)
Aus diesem Auszug wird ersichtlich, wie weit konspiratives Denken hier reicht. Der Feind wird als so mächtig imaginiert, dass sie die genannten Gruppen ihre Differenzen beiseitelegen sollten, um der islamischen Herausforderung, die eine »übermächtige Allianz gegnerischer Kräfte« repräsentiere, entsprechend begegnen zu können. Wie auch später bei Breivik werden verschiedene Kräfte für die Islamisierung verantwortlich gemacht. KapitalistInnen wie MarxistInnen, Liberale wie IslamistInnen selbst. Dass derartige Botschaften auch weniger explizit, dafür aber in Subtexten verbreitet werden, zeigt eine Analyse von Wahlkampfcomics der FPÖ zur Wiener Landtagswahl 2010 (Hafez 2011, S. 91-94).
In den USA gibt es wie auch in Europa neben der langen Tradition des akademischen und die Medien prägenden Orientalismus (Said 2012) ein besonders interessantes Dokument, das für die Wahnidee einer islamischen Weltverschwörung herhalten muss. Ein Dokument mit dem Titel An Explanatory Memorandum. On the General Strategic Goal for the Group in North America soll 1991 von einem Mitglied der Muslimbruderschaft (Akram 1991) verfasst worden sein. Nicht alle teilen diese Selbsternennung (Musaji 2011).[3] Anders als die Protokolle der Weisen von Zion wird im Wesentlichen angenommen, dass es tatsächlich real und nicht gefälscht sei, obwohl es auch hier unterschiedliche Stimmen gibt (Ali et al. 2011, S. 30f.), womit die Echtheit des Dokumentes unklar bleibt. Das Dokument wurde 2008 im Zuge eines Rechtsstreits zwischen den Vereinigten Staaten und der Holy Land Foundation for Relief and Development verwendet, was ihm – besonders aufgrund der Verurteilung der Einrichtung – eine gewisse Glaubwürdigkeit verlieh. Indem es sich bei der Muslimbruderschaft, welcher das Dokument im weitesten Sinne zugerechnet wird, um eine real existierende Bewegung handelt, erhält das Dokument weitere Glaubwürdigkeit. In der Analyse meinen hingegen ausgewiesene ExpertInnen wie der Politikwissenschafter Nathan J. Brown, Professor an der Georgetown University, zu diesem Dokument: »Nobody has ever produced any evidence that the document was more than something produced by the daydream of one enthusiast« (zit. n. Posner 2011). Dass das Dokument ein offizielles Dokument der offiziellen ägyptischen Muslimbruderschaft oder einer ihrer Ableger wäre, ist nirgends ersichtlich. Jedoch wird von islamophoben AkteurInnen stets behauptet, dass es sich bei diesem Dokument um ein Dokument eines »top Brotherhood operative in the United States« handeln würde (Spencer 2012, S. 4f.). Damit wird ein klarer Unterschied zu einem Protokoll der Weisen von Zion ersichtlich: Die Weisen sind imaginiert, während die Muslimbruderschaft – wenn auch als Autoren imaginiert – real ist.
Tatsächlich liest sich das Explanatory Memorandum als Diskussionspapier, das auf einen strategischen Masterplan aus dem Jahre 1987 verweist, wonach von den USA aus die Angelegenheiten der MuslimInnen »domestically and globally« zu behandeln seien, was angesichts der Geschichte sowie Struktur der Muslimbruderschaft lächerlich wirkt. Liest man das Dokument, so soll von den USA aus das Projekt der globalen islamischen Bewegung, einen Staat zu errichten (wo, wird nicht geklärt), gefördert werden. Daraus ergibt sich die Imagination eines »globalen Kalifats« auf Seiten der Islamophoben. Anknüpfen konnten islamophobe AkteurInnen besonders an einer Stelle des Dokuments:
»The process of settlement is a "Civilization-Jihadist Process" with all the word means. The Ikhwan must understand that their work in America is a kind of grand Jihad in eliminating and destroying the Western civilization from within and "sabotaging" its miserable house by their hands and the hands of the believers so that it is eliminated and God's religion is made victorious over all other religions.« (Akram 1991, S. 3-7)
Zwar kann die Mithineinnahme des »zivilisatorischen Dschihads«, wie es hier heißt, unter der Kategorie des großen Dschihads (der bekanntlich nicht militärischer Natur ist), als Milderung des Textes gelesen werden. Gerade dieser Begriff wird aber kämpferisch und militant gedeutet. Die Zerstörung der westlichen Zivilisation hingegen ist ein Indiz für die zerstörerische Absicht. Die Tatsache, dass das Dokument definitiv maximal von einem Mitglied und nicht von einem Funktionär kommt, war für die KritkerInnen gegenstandslos. Darüber hinaus beweist es eher die Schwäche der Muslimbruderschaft, denn die Stärke. Der Plan dreht sich um die Vereinigung zahlreicher bedeutender muslimischer Organisationen, die damit im Umkehrschluss nicht unter Einfluss der Muslimbruderschaft stehen. Von Seiten der Islampohoben wird seither genau das Gegenteil behauptet. Die aufgelisteten Organisationen werden als zur Muslimbruderschaft zugehörig gezählt. So wird auch vom »globalen islamischen Staat« schwadroniert. Wichtiger aber noch als die Frage nach der Echtheit des Dokuments, das eine Konkretisierung von in einem Treffen der Muslimbruderschaft formulierten strategischen Metazielen sein soll (die aber enorm vage bleiben!), ist jene, welche Behauptungen islamophobe AktuerInnen aus diesem Dokument abgeleitet haben. Dass das Dokument angesichts der Vagheit und Oberflächlichkeit (obwohl es eine Präzisierung vager Zielvorstellungen beansprucht!) noch als seriös erachtet werden kann, sei nur am Rande angemerkt. Daniel Pipes behauptet auf Basis dieses Dokuments die Umwandlung der Vereinigten Staaten in einen islamischen Staat (Pipes 2005) herauslesen zu können. Andere meinten, dass jede Moschee das Ziel verfolge, die amerikanische Regierung zu stürzen (Musaji 2011). Insgesamt wurden auf Basis dieses Dokumentes 200 Organisationen von rechten AkteurInnen als »unindicted co-conspirators« ernannt (Mitverschwörern). Und obwohl drei größere Organistionen gerichtlich Einspruch gegen diese Verleumdung nahmen und Recht zugesprochen bekamen, wurden später weiter die Information gestreut, dass es sich bei diesen Organisaitonen allesamt um verurteilte Einrichtungen der Muslimbruderschaft handle (Posner 2011). Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Argument vieler islamophob ausgerichteter AkteurInnen wie etwa des Republikaners Peter King, dass nicht alle MuslimInnen die Idee der Weltherrschaft teilen würden, sondern nur die Moscheen in den USA, womit alle der Religion zugeneigten Personen wiederum pauschal beschuldigt werden, und die scheinbare Differenziertheit sich lediglich als präventive Strategie erweist, sich vor einem Vorwurf des Rassismus und der Islamophobie zu immunisieren.
Das Center for American Progress, ein tendenziell den Demokraten nahestehender Think Tank veröffentlichte im August 2011 einen Report mit dem Namen Fear Inc. The Roots of the Islamophobia Network in America. Darin zeichnen sie nach, welche Summen welcher US-amerikanischer Stiftungen in welche Projekte fließt, die sich in erster Linie für die Verbreitung islamophoben Gedankenguts einsetzen.. Der Report zeichnet nach, welche Medien (Fox, Washington Times, The National Review und eine Anzahl an Blogs und JournalistInnen, u.a.), politische AkteurInnen (die Abgeordneten King, Myrick, West, Elmers, Broun, Bachmann, u.a.) sowie VertreterInnen der religiösen Rechten (Robertson, Hagee, Reed, Graham, u.a.) und Graswurzelorganisationen (SIOA, Tea Party-Bewegungen, etc.) dieses produzierte Lügen, Stereotypen und Theorien verbreiten, um damit die Öffentlichkeit zu beeinfussen. Indem der Report aufzeigt, welche AkteurInnen wie oft von dem norwegischen Anders Behring Breivik zitiert wurden, zeichnen sie nach, welche Bedeutung diese Propaganda auch für die internationale Verbreitung islamophoben Gedankkengutes hat. Manche Figuren stechen dabei besonders heraus (Ali et al. 2011).
Es wird zudem ersichtlich, dass islamophobes Gedankengut bereits vor 9/11 von manchen AkteurInnen verbreitet wurde. So behauptete Steve Emerson bereits in einer 1994 produzierten Dokumentation mit den Titel Jihad in America, dass geheime Operationen militanter islamistischer Terrorgruppen auf US-amerikanischem Boden stattfinden würden. Für Emerson ging der Bombenanschlag in Oklahoma City, welcher von Timothy McVeigh verübt wurde, auf das Konto islamischtischer Extremisten aus dem Mittleren Osten. Der Nachrichtenagentur AP präsentierte er 1997 ein Dossier, welches die Verbindung zwischen amerikanischen, muslimischen Organisationen und radikalen Islamistengruppen beweisen sollte, das angeblich vom FBI verfasst wurde, sich aber als gefälscht herausstellte (Ali et al. 2011, S. 47-50).
Konkret ging es darum, bestimmte Bilder über »den Islam« und »die MuslimInnen« in der Öffentlichkeit zu prägen. Daniel Pipes erklärte 2003 in seinem Buch Militant Islam Reaches America, dass die USA von IslamistInnen infiltriert werden würde (Ali et al. 2011, S. 42). So behauptete Robert Spencer 2006, der Islam sei
»the only religion in the world that has a developed doctrine, theology and legal system that mandates violence against unbelievers and mandates that Muslims must wage war in order to establish the hegemony of the Islamic social order all over the world« (Spencer 2006, zit. n. Ali et al. 2011, S. 27).
Der radikale Islam würde über zivilgesellschaftliche und politische Partizipation die USA unterwandern. Ihnen könne man ohnehin nicht trauen, da sie den USA und ihrer Verfassung feindlich gegenüber stünden. Ebenso werden Moscheen als trojanische Pferde diskursiviert. Der Islam verdiene es nicht, durch die Verfassung geschützt zu werden, da er keine Religion im herkömmlichen Sinne sei, sondern eine totalitäre Ideologie (Ali et al. 2011, S. 29-33; Posner 2011). Insgesamt wurde in diesem Netzwerk innerhalb von wenigen Jahren Millionen ausgegeben (Details dazu in: Ali et al. 2011). Wie auch die Protokolle der Weisen von Zion als Gipfelpunkt jahrhundertelanger anti-jüdischer Stereotypisierung, die mal religiös motiviert, mal wirtschaftlich, mal machtpolitisch determiniert war, zu verstehen ist (Sammons 2007, S. 8), so kann auch die hier dargestellte islamophobe Weltverschwörungstheorie als Weiterentwicklung zuvor anti-kommunistischer Stereotype einerseits sowie sich aus dem Orientalismus gerierender islamophober Stereotype gesehen werden, die auf alte Bilder der Feindseligkeit, Aggressivität, Andersartigkeit und Entgegengesetztheit des Islams zum Westen zurückgreift.
Bereits nach dem 11. September hat es im rechten Spektrum der US-amerikanischen Öffentlichkeit ein Aufgreifen islamophober Stellungnahmen gegeben. So meinte Ann Coulter etwa im National Review im Oktober 2001, dass die USA in die muslimischen Länder eindringen sollten, ihre Führer töten und die Bevölkerung zum Christentum konvertieren sollten (Giardina 2010, S. 135f.). Auch wenn Bush mit seiner Ansage »Islam is Peace« kurz nach 9/11 versuchte, innenpolitisch für Stabilität zu sorgen (Bush 2001), so reagierten Spektren der Evangelikalen mit islamophober Stimmungsmache. Bereits 2007 in den Vorwahlen wurden Gerüchte gestreut, wonach Obama Muslim sei(n könnte). In Insight Magazine, einer Zeitschrift, die wie Newsweek und Washington Post der rechten Washington Post Company gehört, meinte im Jänner 2007: «Are the American people ready for an elected president who was educated in a madrassa as a young boy and has not been forthcoming about his Muslim heritage?«. Diese Gerüchte über eine angeblich muslimische Identität Obamas wurden dann quer über das Mediennetzwerk von Rupert Murdoch gespielt und verbreitet (Giardina 2010, S. 140f.). In der Zeitschrift Newsweek fragte Lisa Miller, ob Obama der Antichrist sei. Der xenophob auffällige Journalist Lou Dobbs glaubte, Obama habe einen »inner Muslim« und weise Sympathie zu islamischem Terrorismus auf. Der konservative Radiomoderator Rush Limbaugh, der später ein Sprachrohr der Tea Party-Bewegung wurde, verwies darauf, dass seine FreundInnen in Obama eine Nachfolge von 9/11 sahen. Später wurde es expliziter. Pipes sah in Obama einen ehemaligen Muslim, der den Islam praktizierte (Ali et al. 2011, S. 43). Und Spencer sah in der Politik und im Verhalten Obamas den Beweis dafür, dass Obama ein »committed und convicted Muslim« sei (Ali et al. 2011, S. 47). Diese Propaganda im Umfeld der Republikanischen Partei wie auch durch führender Parteimitglieder wie etwa Sarah Palin (Giardina 2010, 137f., S. 145) zeigten ihre Langzeitwirkung. Die Propagandamaschine lief entsprechend intensiv. So erhielten 28 Millionen Haushalte den Film Obsession, um den »radikalen Islam« in Verknüpfung zum Nationalsozialismus und im Krieg der Zivilisationen mit dem Westen zu sehen. Der konservative Rabbi Jack Moline nannte den Film »die Protokolle der Weisen von Saudi Arabien« (Posner 2008).
Nicht nur wurden die Sprache und die Unterstellungen radikaler und absurder. Der republikanische Kongressabgeordnete Steve King meinte etwa: »And I will tell you that if he is elected president then the radical Islamists, the Al-Qaeda and the radical Islamists and their supporters, will be dancing on the streets in greater numbers than they did on Sept. 11th«. Die Konsequenz dieser gezielt verbreiteten Propaganda des imaginierten Muslims Barack Hussein Obama wirkte sich auf das Stimmungsbild aus. Während im April 2008 etwa zehn Prozent der Bevölkerung glaubten, Obama sei Muslim, waren es im September bereits fast ein Drittel der Befragten (Giardina 2010, S. 137-142). Die Rede Obamas in Kairo galt anderen als endgültiger Beweis für die islamische Identität Obamas (Posner 2011). Das Bild war dabei nicht ausschließlich auf das Feindbild fokussiert, sondern wie es in der Republikanischen Partei immer wieder vorkommt, mit gewissen Elementen des anti-kommunistischen McCarthyismus besetzt. So wurden Obama neben seiner muslimischen Identität auch eine anti-amerikanische und marxistische Haltung unterstellt. So meinte etwa der Radiojournalist Lee Rodgers, Obama sei »clearly more sympathetic with the long term goals of world communism, and, let’s be blunt about it, Muslim terrorists, than with any legitimate American goals« (Giardina 2010, S. 138-145). Denn die Gemeinsamkeit der Ziele des Kommunismus und des Islams bestünden in der Herstellung einer totalitären Ordnung, «totalitarian in the sense that they want to control every aspect of the individual’s life, and [are] virulently opposed to capitalism and individual liberty”. Und selbst wenn das Endziel nicht klar sei, so würden sie gemeinsam den Feind – den Republikaner – teilen: »even though they [Obama and Saudi King Abdullah] part company on the details of what they would transform it into, they both need to topple American constitutional republicanism in order to install their utopias.« (Posner 2011).
Am Ende der Propaganda wurde das Bild eines Obamas gezeichnet, der als Muslim und Marxist nur anti-amerikanisch sein konnte. Die behauptete islamische Identität – oft mit dem Hinweis auf seinen Zweitnamen Hussein – lasse ihn mit TerroristInnen und Al-Qaida sympathisieren. Unterstützung fände er durch al-Qaida, Hamas und die libanesische Hisbollah (Posner 2011). Die islamische Weltverschwörung würde demnach die USA von innen zerstören.
Das Weiße Haus sei nach manchen AutorInnen ohnehin bereits von IslamistInnen unterwandert, wie Paul Sperry in seinem Buch Infiltration: How Muslim Spies and Subversives have Penetrated Washington 2005 erklärte (Ali et al. 2011, S. 35). Der Evangelist Franklin Graham meinte 2011:
«The Muslim Brotherhood is very strong and active in our country. It's infiltrated every level of our government. Right now we have many of these people that are advising the US military and State Department on how to respond in the Middle East, and it's like asking a fox, like a farmer asking a fox, ‘How do I protect my henhouse from foxes?’ We've brought in Muslims to tell us how to make policy toward Muslim countries. And many of these people we've brought in, I'm afraid, are under the Muslim Brotherhood.” (zit. n. Posner 2011)
Sperry sieht nicht nur eine islamistische Verschwörung, sondern konkret die Muslimbruderschaft als verschwörerischen Kreis. Die Theorie, wonach Obama nicht nur Muslim sei, sondern selbst ein Muslimbruder, fand durch die Ereignisse des Arabischen Frühlings 2011 vermehrt Verbreitung. Ihren Ursprung hat sie aber bereits ansatzweise im Wahlkampf 2008, als der sogenannte Ex-Terrorist Walid Shoebat meinte, die Muslimbruderschaft würde Obama als Kandidaten unterstützen. Rund um die Affäre des Park51 Community Center (in unseren Breiten eher bekannt als Moscheeprojekt nahe des ehemaligen World Trade Centers in New York) behauptete Gaffney, die Muslimbruderschaft sei direkte Ansprechpartnerin Obamas (Posner 2011). Die Kairoer Rede Obamas 2009 galt später als klarer Beweis für diese Theorie (Spencer 2012, S. 47). Mit dem Explanatory Memorandum (Akram 1991) gab es eine »Grundlage«, an der angeknüpft werden konnte. Aufbauend auf diesen Behauptungen dauerte es nicht mehr lange, bis Obama nicht mehr bloß ein ordinärer Muslim war, sondern selbst zum Muslimbruder imaginiert wurde. Die Muslimbruderschaft wird dabei in eine Reihe mit dem Nationalsozialismus und Al-Qaida gestellt (Spencer 2012, S. 3f.). 2009 ging Frank Gaffney so weit, Obama explizit nicht nur zum Muslim, sondern zum Aktivisten der Muslimbruderschaft zu machen. Obama ist
»embracing the agenda of Muslim Brotherhood – an organization dedicated to promoting the neo-political-legal program authoritative Islam calls Shariah and that has the self-described mission of ‚destroying Western civilization from within‘” (zit. n. Giardina 2010, S. 137).
Damit sind die Verschwörungstheorien rund um Obama nicht als unvernünftige Wahlkampfausreißer zu verharmlosen, der ja 2008 beendet war. Es handelt sich tatsächlich um eine Verschwörungstheorie, die Schritt für Schritt gesponnen wurde.
Nach dem arabischen Frühling meinte Glenn Beck, dass radikale MuslimInnen und KommunistInnen Chaos in Ägypten stiften würden, um die Gründung eines Kalifats zu ermöglichen (Ali et al. 2011, S. 32). Derartige Theorien verbreitete der Journalist von The National Review, Andrew Mccarthy bereits 2010 in seinem Buch The Grand Jihad: How Islam and the Left Sabotage America. Mit How Obama Embraces Islam's Sharia Agenda legte er im gleichen Jahr einen Essay vor, der die Islamisierung der USA als einen von Eliten (Obama Administration) gesteuerten Plan identifizierte. Gaffney behauptete bereits im Jahr 2003, dass ein muslimischer Angestellter des Weißen Hauses »The Islamists‘ White House Gatekeeper« sei. 2010 »bewies« er die Infiltrierung der Obama-Administration durch IslamistInnen, indem er in einem angeblichen Logo der US-Raketenabwehr eine Verwandlung des islamischen Halbmondes mit Stern mit dem Kampagnen-Logo von Obama sichtete. 2009 ließ er mit dem »Beweis« aufhören, wonach eine Begrüßung des saudischen Königs durch Obama auf dessen Schwur, die Scharia einzuhalten, hindeutete (Ali et al. 2011, S.31ff.). Huma Abedin, Beraterin von Hillary Clinton mit muslimischem Religionsbekenntnis, wurde in einem Brief, der von den Parlamentariern Michele Bachmann, Trent Franks, Louie Gohmert, Thomas Rooney und Lynn Westmoreland unterzeichnet wurde, der Nähe zur Muslimbruderschaft bezichtigt. Darin werden einige »Gründe« angeführt, warum die gesamte Außenpolitik der USA sich pro-Muslimbruderschaft gewandelt hätten (Bachmann 2012). Auch andere republikanische PolitikerInnen wie der Abgeordnete Allen West bezichtigten muslimische Abgeordnete wie Keith Ellison, die Antithese zu den Prinzipien, auf denen die USA gebaut wurden, zu verkörpern. Denn der radikale Islam sei die wahre totalitäre, imperialistische Natur dieser Religion (Posner 2011). Bachmann unterstellte ihm, Seilschaften mit der Muslimbruderschaft zu unterhalten (Scheck 2012).
Und überhaupt habe Obama das Scharia-Gesetz in den USA bereits mit Zwang durchgesetzt, womit weitere verpflichtende Scharia-Regelungen Eingang in die US-Judikatur finden könnten, meldete Pipes 2011 neben anderen. Scharia wird dabei als totalitäre Ideologie und »legal-political-military doctrine« diskursiviert (Ali et al. 2011, S. 28ff.). Bei Mccarthy taucht wie bei anderen der Zusammenhang von linken und muslimischen Kräften auf. Ginge es nach der islamophoben Graswurzelbewegung ACT!, so wurde der Arabische Frühling durch eine Allianz verschiedener anti-amerikanischer Mächte ausgelöst, einem
«consortium of left-wing organizations, Islamic groups, labor unions, and Obama-friendly corporations which would organize and fund a ‘youth movement’ in certain areas around the Middle East which would then take to the streets in protest against current governments.” (Posner 2011)
Die islamische Weltverschwörung beruht nicht mehr darauf, die USA von innen zu zerstören, sondern sie auch zu islamisieren, um das Ziel der Errichtung eines globalen Kalifats zu erreichen.
Die Verschwörungstheorie wird aber nicht nur an Obama alleine festgemacht. Und das islamophobe Netzwerk, bestehend aus wenigen AkteurInnen, streut diese Theorien erfolgreich bei MultiplikatorInnen, PolitikerInnen sowie in den Medien. So brachte der republikanische Parlamentarier Peter King als Leiter des House Homeland Security Committee mit seiner »Studie« Shariah: The Threat to America im Spetember 2010 die Diskussion über die Islamisierung der Vereinigten Staaten ins Zentrum der politischen Macht der USA und erhielt eine entsprechende bundesweite Aufmerksamkeit. Darin wird kritisiert, dass die Regierung unter Obama sich nicht im Kampf gegen islamische TerroristInnen sehe, dass Obama die Muslimbruderschaft im Weißen Haus ein- und ausgehen lasse, das Projekt Ground Zero mega-mosque unterstütze (CSP 2010, S. 21, S. 140, S. 151). Dabei seien auch hohe Beamte der Regierung in Wahrheit MuslimInnen, die ihre Identität aber mithilfe der Methode der Taqiyya verheimlichen würden (CSP 2010, S. 255f.). Die Muslimbruderschaft wird zur »fünften Kolonne« (Spencer 2012), ein Begriff, der bereits 2003 in Zusammenhang mit muslimsichen US-Armeeangehörigen gebraucht wurde (Gaffney 2003).
King sieht die Unterwerfung westlicher Mächte unter die Scharia als keine US-amerikanische Eigenheit, sondern als globales Phänomen, dem auch George W. Bush und Margaret Thatcher erlagen (CSP 2010, S. 237). Aufgrund von internen Auseinandersetzungen meinte Gaffney selbst über die jährliche Conservative Political Action Conference, bei der führende islamophobe Stimmungsmacher wie Glenn Beck und Michele Bachmann auftraten, dass diese von der Muslimbruderschaft unterwandert worden sei. Darin unterstützen ihn auch David Horowitz, Pamela Geller und Robert Spencer. Die Begründung: Die American Conservative Union Foundation beherbergte als Gastgeberin der Veranstaltung einen Muslim im Vorstand, sowie einen Herrn, welcher mit einer palästinensischen Amerikanerin verheiratet war (Posner 2011). Die Verschwörungstheorie geht selbst ins das eigene Lager und wirkt global bis hin zu den Staatschefs maßgeblicher globaler Player. Conclusio: die Marsch zur Islamisierung der Welt, der Unterjochung der Welt unter das System der »ideology of Islamic supremacism« (Spencer 2012, S. 17) ist nicht mehr aufzuhalten.
Die islamophobe Weltverschwörung wird von akademisch ausgebildeten Personen verbreitet. Keine Unterschicht ist hier am Werk. Keine Verrückten, sondern in der akademischen und republikanischen Welt verankerte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Wie auch bei den Protokollen der Weisen von Zion kreist die islamophobe Verschwörungstheorie um die Vorstellung einer mächtigen VerschwörerInnengruppe. Ein Unterschied liegt in der de facto Existenz der Muslimbruderschaft, die aber über ihre reale Kraft als omnipotent imaginiert wird. Die islamophobe Verschwörungstheorie zeichnet hierbei ein Konglomerat bestehend aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen wie KapitalistInnen, MarxistInnen, EU-Eliten, FeministInnen und Liberalen. Im Konkreten halfen diese Verschwörungstheorien republikanischen PolitikerInnen zur Markierung des damaligen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama als Muslim und damit zur wahltaktischen Abgrenzung. Dass die Verschwörungstheorien aber tiefer liegen, zeigen Studien über die handelnden AkteurInnen (Ali et al. 2011). Da das islamophobe Netzwerk äußerst bunt zusammengemischt ist (Evangelikale und Juden befinden sich ebenso darunter), sind die Bilder auch entsprechend vielfältig. Sie reichen vom Bild des Antichristen Obamas bis zur Unterstellung der Kollaboration mit dem Iran. Obama wird dabei als Figur zentral. Sein Zweitname Hussein macht ihn zum idealen Angriffsziel, zeichnet ihn als Vorhut der islamistischen Weltverschwörung, die die Zerstörung der USA von innen heraus plant.
In diesem Artikel konnte gezeigt werden, dass die islamophoben Bilder nicht auf kulturalistisch argumentierte Bilder zu reduzieren sind, sondern ähnlich wie in antisemitischen Weltbildern das Judentum, hier der Islam welterklärende Maßstäbe annimmt. Islamophobe AkteurInnen gebrauchen in ihren Weltverschwörungstheorien nicht ausschließlich das Bild der primitiven, zurückgebliebenen MuslimInnen, sondern der intelligenten, strategisch verschwörerischen Gruppe der MuslimInnen. Sie werden im Zentrum der Macht verortet, im Weißen Haus und in der Regierung Obamas und wirken in die ganze Welt, wie dieses Fallbeispiel zeigt. Ähnlich wie bei der »Wahnidee einer jüdischen Weltverschwörung mit dem Ziel der Errichtung einer jüdischen oder vielfach auch ‚jüdisch- bolschewistischen‘ Weltherrschaft« (Benz 2000, S. 217-220) wird in der islamischen Weltverschwörungstheorie die Idee einer islamischen Verschwörung Seite an Seite mit anderen Kräften – vornehmlich MarxistInnen – zur Errichtung eines weltweiten Kalifats vertreten.
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Diese Definition weist ihre Schwächen auf, etwa die Essentialisierung von »Islam« und »Westen« an manchen Stellen. Ihr Verdienst liegt aber darin, dass sie dieses Phänomen erstmals in die wissenschaftliche Auseinandersetzung eingeführt und begrifflich festgehalten hat.
Eine Anfrage an die Muslimbruderschaft via deren Online-Präsenz auf Ikhwanweb.com, wie sie dieses Dokument einschätzen, blieb unbeantwortet.