Im vorliegenden Artikel wird gezeigt, wie das Verhältnis zwischen Macht und Wissen im biopolitischen Migrationsregime sich wandelt. Nicht nur – obwohl es nach wie vor in Statistiken, Narrativen und Repräsentationen ausgiebig vorkommt – das »objektive« Wissen, sondern die aktive Mobilisierung immaterieller Kapazitäten des Körpers zum Denken, Fühlen und Verstehen rückt zunehmend in den Fokus der Macht. Die populistischen Kritiker_innen von Diversität und Multikulturalität bedienen sich emotiver Kräfte wie Liebe, moral panic, Angst und Unsicherheit, um in das öffentliche Unbewusstsein intervenieren zu können. Sie zielen auf eine gesunde und produktive Gesellschaft von verantwortlichen Bürger_innen ab, wovon die devianten und mangelhaften (muslimischen) Migrant_innen ausgegrenzt werden sollen. Obschon dieser Ansatz aufgrund seiner Leugnung von pluralen Auswahlmöglichkeiten moderner Zugehörigkeiten unrealistisch und auch undemokratisch ist, ermöglicht die Nostalgie das Wiederaufleben »nationaler« Werte und die Ausgrenzung oder die Domestizierung von Fremden.
Schüsselwörter: Migration, Biopolitik, Affekt, Rassismus, moral panic
In this article, I consider how the particular arrangement of power/knowledge in today’s biopolitical migration regime indexes an emotive negotiation between the State and the national subject, thus fostering symbolic and material exclusions. This arrangement is less concerned with "objective" knowledge, although it is still widely spread in statistics, narratives and representations; rather, it is the active mobilization of the immaterial capacity of the body to think, feel and understand which is increasingly becoming the focus of the power/knowledge dynamics of the present. Populist critics of diversity and multiculturalism draw on these emotive forces, such as love, moral panic, fear and insecurity in order to intervene in the public unconscious. They aim for a healthy and productive society of responsible citizen-subjects, from which «deviant and defective” (i.e. Muslim) immigrant ones can then be «legitimately” excluded. Although this approach is unrealistic and undemocratic – not least due to its denial of plural choices of modern affiliations/belongings –, a nostalgic attachment between State and national subject emerges from this formation, enabling the resurgence of "national" values and the simultaneous exclusion, or domestication, of strangers.
Keywords: conspiracy theories, migration, biopolitic, affekt, racism, moral panic
In deutschen wie in anderen westlichen Metropolen vertieft sich die Kluft zwischen der Rhetorik der Pluralität und der Praxis der Singularität, die das Leben der ethnischen Minderheiten negativ beeinflusst. Der Todesgesang auf die »Multikulturalität«, die in Deutschland nie genug soziale Unterstützung bekam und kein offizielles Politikkonzept wurde[1], zeigt deutlich, dass die Narrative und Praktiken gegenüber Migrant_innen in der neoliberalen Zeit, in der die wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen zunehmend nachlassen, restriktiver werden. Die Verankerung der einst konservativen Forderungen nach Integration bzw. kultureller Assimilation der Migrant_innen in anderen kritischen sozialen Bewegungen[2] über emanzipatorische Themen wie Frauenrechte, sexuelle Freiheiten, Säkularismus etc. macht es schwieriger, die Dominanz des Diskurses des Scheiterns der Diversität anzufechten.
Es wird hier die These vertreten, dass die populistischen Kritiker_innen der multikulturellen[3] Gesellschaften und der multikulturellen Diversität sich verstärkt emotiver Kräfte wie Liebe, moral panic, Angst und Unsicherheit bedienen, um in das öffentliche Unbewusste intervenieren zu können. Es wird ein public feeling von Aversion und Animosität gegenüber Migrant_innen geschaffen bzw. verschärft, und dieses wiederum für ein konservatives politisches Projekt mobilisiert. Obschon dieser Ansatz aufgrund seiner Leugnung pluraler Auswahlmöglichkeiten von modernen Zugehörigkeiten unrealistisch und wegen seiner Xenophobie undemokratisch ist (Amin 2012, S. 3), wird er durch eine Nostalgie für nationale Werte aufrechterhalten.
Nach den vorherrschenden Aussagen dieses Diskurses werden die strukturellen Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, Armut, Prekarität, Ausgrenzung, zunehmende soziale Unsicherheit und Angst allesamt auf eine einfache Ursache zurückgeführt: die verfehlte Integrationspolitik und den zusammenbrechenden gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dabei werden die Migrant_innen für die durch die Verschlechterung der Lebensbedingungen und zunehmende Ungewissheit ausgelöste soziale Not, die auch andere Gruppen der Gesellschaft trifft, verantwortlich gemacht. Die Kritiker_innen der Diversität zeichnen schließlich ein apokalyptisches Szenario einer moralisch verfallenden Bevölkerungsgruppe, die durch ihre undurchsichtigen ethnisch-kulturellen Netzwerke die Fundamente unserer solidarischen und demokratischen Gesellschaft bedrohen. Ihre vor-demokratischen Praxen verursachten eine Atmosphäre der Verunsicherung bei liberalen und freien Bürger_innen des deutschen Volkes.
Das Buch von Heinz Buschkowsky, dem regierenden Bürgermeister des Berliner Stadtbezirks Neukölln (SPD), Neukölln ist Überall, das im Herbst 2012 binnen kurzer Zeit zum Bestseller wurde, kann als ein exemplarisches Beispiel für diesen Ansatz gelten. Daher stehen die im Buch vertretenen Thesen als Träger dieses Diskurses im Mittelpunkt unserer Auseinandersetzungen, wobei es hier nicht darum geht, alleine seine Argumente einer ausführlichen Kritik zu unterziehen und zu skandalisieren.[4] Unser Ziel ist ferner, die »Strategien und Inhalte« dieses Diskurses zu erörtern (Jäger 1996, S. 24), deren Verlauf abzubilden und schließlich deren Auswirkung auf die gesellschaftliche Entwicklungen zu eruieren.
Buschkowsky reiht sich mit seinen Thesen in die Reihe der Politiker_innen ein, die seit geraumer Zeit das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft diagnostizieren (Buschkowsky 2012, S. 9). Er greift die »Demokratieerfinder, Gutmenschen und Linkspolitiker« für ihre sozialromantische Politik an (ebd., S. 130), die unter dem Vorwand moralischer Werte wie Toleranz, Pluralismus und Demokratie angeblich die Entfaltung von Parallelgesellschaften fördern. Zudem kritisiert er den Kulturrelativismus der bürgerlichen Schichten, da sie das Essen, Musik, Namen, Sprachen, religiösen Gebräuche und Lebensstile der Fremden als eine »kulturelle Bereicherung« ansähen (ebd., S. 121). In dem die Migrant_innen die »herrschenden Rollen und Riten der einheimischen Bevölkerung nicht automatisch für sich übernehmen« (ebd., S. 57), verursachten sie den Verlust der nationalen Kultur, der deutschen Geschichte, Präsenz und Zukunft, die durch gemeinsame Traditionen, eine gemeinsame Sprache, nationalen Stolz und Verantwortungsgefühl untrennbar miteinander verbunden seien. Des Weiteren inszeniert Buschkowsky sich als ein hartnäckiger Vertreter der Meinungsfreiheit, der sich von den Zensurtechniken der »Political Correctness«[5] nicht zurückschrecken lässt, was für ihn als engagierten Lokalpolitiker »lediglich ein willkommenes Alibi für das Nichtstun, für das Schweigen und die Ignoranz« bedeutet (ebd., S. 71)[6]
In diesem Migrationsspektakel wird das epistemische Feld des Wissens über die Migration als ein Ort der strategischen Intervention in das öffentliche Bewusstsein, »das empfindet, fühlt und wahrnimmt, genauso wie es versteht«, behandelt (vgl. Terranova 2007; m.Ü.). Buschkowsky wiederholt essentialistische Diskurse und binäre Aufteilungen ebenso wie andere Mainstream-Politiker_innen und knüpft so an tradierte Aussagen orientalistischer Diskurse (über Türk_innen/Araber_innen/Muslim_innen) an[7], setzt diese aber anders ein. Allerdings lassen sich die Merkmale, die seine Botschaften und restriktiven politischen Performancen von denen seines Vorgängers, Thilo Sarrazin, unterscheiden, nicht nur auf die inhaltliche Qualität seiner Argumente, also auf ihre kognitive Ebene, reduzieren. Der Hauptunterschied liegt in der neuen Qualität der Bezugnahme auf bzw. Adressierung der emotionalen bzw. affektiven Dimension der Bevölkerung. Er versucht – und bis zu einem gewissen Grade gelingt es ihm – weit reichende Vertrautheitsgefühle mit lokalen Ereignissen, Fakten, Statistiken und Bevölkerungsgruppen zu produzieren, die nicht unbedingt einem tatsächlich haltbaren Wissen entsprechen. Er verwendet Stereotype und Etikette als grundlegende Bausteine der Verständniskonstituierung. So verbindet er Bilder und Affekte, die das kulturelle Unbewusstsein der Öffentlichkeit durchdringen und bearbeiten. Sie erschaffen interpretative Rahmen voll von defensiven Leidenschaften und Vorurteilen.
Eine kritische Hinterfragung von Buschkowskys Thesen sollte daher nicht nur auf der rationalen/repräsentationalen Ebene stattfinden, indem bspw. »bessere« Darstellungen von Migrant_innen gegenüber den »schlechteren« ins Feld geführt werden, sondern sie muss die unmittelbaren emotiven Kräfte mit einbeziehen; da Gesellschaft und soziale Ordnung keineswegs alleine einem rationalem Schema unterliegen, in dem Argumente hinsichtlich der logischen Adäquatheit einer Repräsentation gegenüber einer anderen ausreichend wären (vgl. Crang/Tolia-Kelly 2010). Gerade die ethnischen und rass(ist)ischen Kategorisierungen und Bewertungen sprengen den Rahmen der rationalen Grundlage des Denkens und Handelns.
Buschkowsky bemüht sich um eine Abgrenzung von Sarrazin, weil diesem Buschkowsky zufolge »ein Stück Leidenschaft und Emotionalität« fehle (Buschkowsky 2012, S. 139). »Das Buch macht einen kalten Eindruck.« (ebd., S. 139). Im Gegensatz zu einer elitären Distanz zu populären Klassen/Massen ist Buschkowskys Haltung durch eine besondere Nähe und Hinwendung zur Gesellschaft, bzw. dem Volk, und die Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen gekennzeichnet.[8] Nicht frostigen wissenschaftlichen Thesen, komplizierten Statistiken und abstrakten Diagrammen gilt Buschkowskys Interesse, sondern den Alltagserfahrungen der Menschen, die verwahrlost, mit viel Angst, ohne Mitgefühl und Liebe leben. Buschkowsky bemängelt an Sarrazin nicht dessen biologistisch-rassistische Thesen – wie bspw. den vermeintlich kausalen Zusammenhang zwischen Genen und Intelligenz etc. – sondern allein das Fehlen von Leidenschaft kritisiert, verortet er seine Motivation für sein Buch ganz und gar in einem starken Gefühl von »Liebe«.[9]
Dadurch holt er ein wichtiges Phänomen in die Gesellschaftsanalyse zurück, das von Sozialwissenschaftler_innen seit langem ignoriert und/oder verdrängt worden sei: die Rolle der Emotionen und Affekte in der gesellschaftlich-sozialen Organisation. Die Rolle der Emotionen in der Politik wollen wir hier anhand einer Reihe praktischer Fragen eruieren: Wie lässt sich die Liebe von Buschkowsky zu seinem Kiez analysieren? Was liebt er eigentlich? Lässt sich seine Liebe zum »Raum« Neukölln gleichermaßen auf die Dinge und Menschen übertragen, die diesen Raum bewohnen? Welche sozialpolitischen Konsequenzen hat der Umstand, von einem mächtigen Politiker geliebt oder nicht geliebt zu werden, für Menschen? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir uns die Natur und Effekte der Emotionen und Affekte vergegenwärtigen. Wie funktionieren die Emotionen und Affekte[10], wie tragen sie dazu bei, einige Subjekte auf bestimmte andere Subjekte auszurichten und wiederum andere Subjekte auszuschließen? Wie zirkulieren die Emotionen zwischen den Körpern (vgl. Ahmed 2004), wobei »Körper« hier über den menschlichen Körper hinausgeht und auch andere Objekte, Gegenstände, Orte und Räume mit einbezieht.[11]
Obwohl eigentlich weder Emotionen noch Affekte[12] für Sozialwissenschaftler_innen unbekannte Phänomene darstellen, wird ihre Bedeutung nicht genug erforscht, da bspw. die Soziologie die Handlungen, Motive, Entscheidungen und Erwartungen von affektiven Potentialen herausfiltert und als Gegenstand der Forschung ausschließt, auch wenn dieses Vorgehen in den letzten Jahren in Verruf geraten ist. Vor allem kritischen Wissenschaftler_innen ist deutlich geworden, dass ihre diesbezügliche Ignoranz nicht unbedingt der politischen Realität entspricht, in der sich insbesondere die rechts-populistischen Kräfte der affektiven Mobilisierung erfolgreich bedienen konnten. Man spricht deswegen in letzter Zeit von einem »affective turn« in den Humanwissenschaften (vgl. Clough 2007). Diesem turn liegt ebenso die Wahrnehmung verstärkter Instrumentalisierungs-mechanismen der Macht zugrunde, nach denen subliminare Kräfte und affektive Gefüge in einer Welt adressiert werden, die zunehmend durch Angst, Terror und Hoffnungslosigkeit tyrannisiert ist. In diesem Sinne ist es wichtig, ein Blick auf die Verbindungen zwischen Macht, Affekt und sozialer Organisierung zu werfen.
Macht wird seit den foucaultschen Erneuerungen in den 1970er Jahren nicht mehr als Unterdrückung einer Gruppe durch eine andere, oder Zwang, verstanden, sondern als etwas, das in allen Beziehungen entstehen kann und einen kapillaren Charakter hat. D.h., Macht ist keine Ware, die man besitzen und ver/erben kann, sondern etwas, was durch/über Subjekte funktioniert (vgl. Foucault 1977). Der Grundtenor dieser Auffassung ist, dass die Macht nicht von außen kommt. »[W]enn es so wäre, wäre es einfacher, man könnte wegrennen, und damit brechen« (Massumi 2010, S. 41). Zudem hat Foucault dargelegt, dass die Macht sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert auf das Individuum als biologisches Wesen bezieht, um es (und die ganze Bevölkerung) als eine Produktionsmaschine zur Erzeugung von Reichtum, Gütern und weiteren Individuen zu nutzen (vgl. Foucault 1977). Indem das Leben (der individuelle Körper und die Bevölkerung als Ganze) verstärkt als Gegenstand ins Zentrum der Machtstrategien gerückt ist, ist die Machtanalyse noch materialistischer geworden, denn nun beschränkt sie sich nicht mehr auf den ideologischen-rechtlichen Aspekt, sondern beschäftigt sich auch mit eher realen materiellen Dingen, wie der Geburtenrate, Sexualität, Sterblichkeit, Produktivität etc. Dieses Phänomen, das Foucault unter Biopolitik diskutierte, war eine konstitutive Entwicklung in dem Sinne, dass dadurch eine neue Möglichkeit aufkam, sich mit Körper und dessen Potentialen ernsthafter auseinanderzusetzen. Dieser betrachtete das politische Subjekt nicht mehr, wie das traditionelle westliche Denken behauptet, als einen Gegenstand des Gesetzes, sondern als ein ethisches.
Die foucaultsche Machttheorie soll allerdings keineswegs im Sinne einer nahtlosen Struktur missverstanden werden (vgl. Negri 2003). Denn was Foucault einführt, ist nicht die Idee, dass das Leben total in die alles beherrschenden und verwaltenden disziplinären Machttechniken integriert ist. Das Leben kann diesen Machttechniken entkommen, indem es Fluchtlinien hervorbringt. Das Leben überschreitet alle Techniken der Macht, ihre Kontrolle und ihr Kommando, denn die Macht setzt »freie Subjekte« voraus, auf und durch die Macht ausgeübt wird, um sich produktiv machen und das Leben erhalten zu können (Foucault 2005, S. 257). Gegen die Biomacht, deren Gegenstand die Hervorbringung und Verwaltung individueller und kollektiver Körper ist, werden vielerorts die »unendlichen Mächte des Lebens« sichtbar, die an der »Produktion von Affekten und Sprachen durch die soziale Kooperation und Interaktion von Körpern und Begehren, die Erfindung neuer Formen der Beziehung zu sich und anderen« festgemacht werden können (Negri/Hardt 2010, S. 72). Negri und Hardt weisen damit auf den konflikthaften Charakter der Macht hin, die keineswegs als ein allumfassendes System der Kontrolle über das Leben und konfliktfreies Terrain klassifiziert werden darf.
Die Politik des Affekts liegt in der Frage, wie Macht und Körper verquickt sind (vgl. Anderson 2012) und welche Bedeutung dem affektiven Leben in der Analyse zukommt. Denn wie Massumi argumentiert, funktioniert die Macht effektiv nicht durch Tyrannei , sondern durch die Fähigkeit und Beschlagnahmung des Körpers sich zu affizieren und affiziert zu werden, d.h. durch die Regulierung, Erschließung und das Produzieren von körperlichen Handlungsfähigkeiten (Massumi 2010, S. 69f.). Affekt ist gegenwärtig wichtiger geworden denn je, da wir in einer Ära leben, die verstärkt auf massenmediale Images und Bilder beruht. Die visualisierten Images fungieren als ein Vehikel zur Affekt-Modulation der Bevölkerung.[13] Massumi, motiviert durch die Frage, wie die Affekte als eine Gegen-Taktik gegen die Herrschaft eingesetzt werden können, weist auf die »affektive Wirkungsweisen von Macht« hin (ebd., S. 58).
Eben diese affektive Wirkungsweise der Macht wird im Dienst eines konservativen politischen Projektes eingesetzt, um durch körperliche Effekte diskursive Wahrheiten über die gefährlichen Migrant_innen zu produzieren. Es werden Assoziationen zwischen Images von allmächtigen arabischen/türkischen Gewalttätern und Gefühlen von Angst, Feindseligkeit und Ressentiment in der Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit geschaffen. Als Kode der Kriminalität gelten »junge, männliche, muslimische Migranten« (Buschkowsky 2012, S. 121f.). Sie sind die sichtbaren Akteure, denen die Gefühle von Angst, Zorn, und Unsicherheit zugeschrieben werden. Die »(gefühlte) Kriminalität der Migrant_innen« (ebd., S. 213) wird mit der (gefühlten) Unschuld der Mehrheitsdeutschen kontrastiert, wobei stereotypische Bilder über gefährliche Einwanderviertel in das Öffentliche einfließen und eine Kombination von Ärger und Wut auslösen.
Buschkowsky zieht neben seinen persönlichen Beobachtungen und den Alltagserfahrungen der einfachen Bürger_innen gelegentlich auch Kriminalitätsstatistiken und wissenschaftliche Kalkulationen über Bevölkerungszahlen heran.[14] Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Expert_innen werden dabei mobilisiert, um den interpretativen Rahmen des Verstehens sozialer Wirklichkeit abzustecken. An dem Stereotyp des »kriminellen Ausländers« (Geißler 2008, S. 3) lässt sich exemplarisch zeigen, wie die amtlichen (polizeilichen) Statistiken als ein Machtinstrument herangezogen werden, um eine bestimmte Wahrheit über ein mehrdimensionales soziales Phänomen durchzusetzen.[15] Folglich wird anhand der medial aufgeblasenen Kriminalitätsangst in der Gesellschaft moral panic erzeugt. Moral panic tritt, laut Kriminalsoziologen Cohen, auf, wenn "[a] condition, episode, person or group of persons emerges to become defined as a threat to societal values and interests." (Cohen 1972, S. 1). Cohen weist auf das maßlos übertriebene Interesse der Öffentlichkeit an bestimmten Phänomenen, Verhaltensweisen und Beziehungen hin, die als sozial und moralisch deviant kodifiziert werden, um diese dann zum Objekt der politischen Regelung und Führung zu machen.
Es ist bemerkenswert, dass die Kritiker der Diversität oft die Jugendkultur der Migrant_innen verwerfen, obwohl es doch gerade diese Jugendkultur ist, die in urbanen Räumen spezifische emanzipatorische Möglichkeiten für eine Offenheit anbietet, in der nicht die essentialistischen Identitäten der Ethnizität, Kultur oder Nationalität die Gruppengrenzen markieren, sondern eine radikale Neugier für Neues und Fremdes das Fundament für Zugehörigkeitskriterien schafft. Das Netz von Zugehörigkeiten der urbanen Jugendlichen, insbesondere von Migrant_innen, hat die einstige Loyalität zur Familie und Tradition ersetzt, die klare restriktive Grenzen für die Identitäten und Affiliationen festgelegt hatte. Gegenwärtig haben Jugendliche eine Reihe von relationalen Netzwerken mit unterschiedlichen Intensitäten (vgl. Amin 2012). Die Jugendkultur ist in der Tat der Ort, an dem postnationale Subjekte aufgrund ihrer pluralen – transnationalen, globalen, regionalen, virtuellen etc. – Zugehörigkeiten die alltäglichen (ordinary) Differenzen einer »fluiden Gesellschaft« durch Kontakte, Verbindungen und auch Konflikte aushandeln und das Zusammenleben in Alterität lernen, ohne »besorgt, ängstlich und gewalttätig zu werden« (vgl. Gilroy 2004). Dadurch verlieren die identitären Kategorien ihre angebliche Undurchlässigkeit und geraten in die Sphäre, in die sie tatsächlich hingehören: Sie sind ein Teil der (urbanen) Assemblage von Imaginationen, Ideen, Objekten, Körpern und Technologien, die in einem relationalen Raum zusammengehalten werden und die affektive Nähe der Menschen zur ihrer Welt und zueinander formieren (vgl. Amin 2012). Anstatt die augenscheinlichen Gewinne dieser Hybridräten zwischen Körpern miteinander, untereinander und zu ihrer Umgebung und die dadurch beschleunigten Momente der Transversalität [16] zu unterstützen, versuchen Politiker_innen wie Buschkowsky, das public feeling von Angst, Verdacht und Aversion gegenüber dem »Anderen«, »Fremden« und Minderheiten zu schüren.
Die Funktion von moral panic liegt darin, die kulturelle Hegemonie entsprechend der Interessen, Werte und Normen der herrschenden Klassen und/oder Gruppen, deren Dominanz in ökonomischen, politischen oder technologischen Umbruchphasen mehr und mehr herausgefordert wird, wieder herzustellen. Sie muss helfen die Legitimationskrise zu managen bzw. zu überwinden. Zentraler Punkt bei dem Konzept der Moralpanik ist, dass sie sich entweder der gesellschaftlich vorhandenen Ängste und Sorgen bedient und diese dramatisiert, oder neue Ängste und Sorgen produziert. Zur Zähmung der devianten Handlungen der »folk devils« wird auf einen zentralen Nerv der Gesellschaft abgezielt, nämlich die öffentliche Sicherheit.
Sicherheit ist in den letzten Dekaden zu einem der beliebtesten Themen im politischen Denken und in sozialen Überlegungen geworden, welches unmittelbar mit dem Prozess zusammenhängt, dass die Angst in das soziale Bereich des Alltags eindringt und ihn kolonisiert (vgl. Thrift 2005). Die biotechnologischen, sozialen und politischen Transformationen haben maßgeblich zur Erhöhung der sowohl individuellen als auch gesamtgesellschaftlichen Gefahren/Bedrohungen bzw. deren verstärkter Wahrnehmung beigetragen. Darunter fallen Bedenken über Gesundheit/Krankheit, über die Umwelt, sowie über technologische Erneuerungen. Die postindustriellen Gesellschaften werden vermehrt als Risikogesellschaften bezeichnet, weil Subjekte ihre Handlungen entsprechend neuer Risiken führen und die Regierungen sich als Garant für die Absicherung ihrer Subjekte vor diesen Risiken umgestalten (vgl. Beck 2007). In Risikogesellschaften werden die individuellen und kollektiven Entscheidungen zunehmend durch die Frage definiert, wie diese Risiken zu eliminieren bzw. zu managen sind. Die Regierungen erlangen ihre Legitimation entsprechend ihren Fähigkeiten dieser Aufgabe nachzukommen. »The risk society undergirded by a culture of fear becomes vulnerable to the emergence of panics, gate communities, security industries and an overall trend towards isolation and insularity (Işın 2004, S. 219)«.
Bei der Generierung und Mobilisierung von Angst und Sorgen kommt der Unsicherheit und Ungewissheit eine elementare Funktion zu. Die Unsicherheit stellt eine distinktive Modalität der Macht dar, die mit der Frage zusammenhängt, wie die Zukunft problematisiert wird. Einerseits stützt sich die liberale Regierung im Sinne einer positiven, unternehmerischen Freiheit auf die kreative Konstitution der Zukunft; andererseits jedoch wollen die Subjekte über eine (akzeptable/vernünftige) reasonable Voraussicht auf die potentiellen Schäden der Zukunft verfügen (vgl. O'Malley 2006).
In der Ära der turbulenten Globalisierung, wo das Verhältnis zwischen Nationalstaaten, globalem Kapitalismus und den (Staats-)Bürger_innen bzw. Fremden neu konfiguriert wird, machen die Migrationsbewegungen und die dadurch beschleunigte Vielfalt so wie die Angst vor Verlust des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Unsicherheit die wichtigen Indikatoren aus, durch die Regierungen die aktuelle, ängstliche und unzufriedene Stimmung in der Öffentlichkeit gestalten und manipulieren. Işın prägt hierfür den Begriff »neurotisches Subjekt«, um die neue Rationalität der Macht und den neuen Typus ihres Gegenstands zu beschreiben.[17] Gegenwärtige neoliberale Strategien der Regierung zielen nicht nur auf die sich kalkulierenden, rationalen, autonomen und verantwortungsbewussten Subjekte, sondern auch auf neurotische Subjekte, deren Verhalten sich aus Angst, Sorgen und Unsicherheiten ergibt. Während die bionic Subjekte (bodies) in der liberalen und auch neoliberalen Gouvernementalität durch die Anpassung ihrer Handlungen an die Gesellschaft entsprechend der Forderung nach Gesundheit, Wohlstand und Glück definiert wurden, charakterisiert die Suche nach absoluter Ruhe, Gelassenheit und Sicherheit die neurotischen Subjekte – und die neurotische Öffentlichkeit (vgl. Işın 2004).
Die von Işın und anderen konstatierte Neuropolitik ist im Kontext der gegenwärtigen Kulturen von Angst[18] und Sicherheitsindustrien entstanden. Neuropolitik stellt eine bestimmte Form der »Regierung durch Affekte« dar, die neurotische Subjekte ins Zentrum ihrer Machtrationalität setzt (vgl. Fortier 2011). Nach Fortier besteht die »Regierung durch Affekte« aus der Schaffung von Möglichkeiten für bestimmte Verhaltensweisen, wie sinnvolle Interaktionen zwischen solidarischen Bürger_innen. Ziel ist es, durch die Vorgabe bzw. das Regierung der Bedingungen, die Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen in der Öffentlichkeit bereits vorab in geordnete Bahnen zu lenken. Dadurch soll den (negativen) Gefühlen und Handlungen, die den sozialen Zusammenhalt stören könnten, vorgebeugt werden. Gegen die mögliche kulturelle Diskrepanz zwischen unterschiedlichen Communities wird überall in Europa die soziale Mischung[19] der Migrant_innen mit Einheimischen – jedoch in ihren jeweiligen ethnischen Communities verbleibend – als Garant für Integration und glückliches Zusammenlebens propagiert. [20]
«Affect is organised around an economy of feelings: the design, circulation and distribution of legitimate feelings for and within the community delineate the codes of conduct of the good affective citizen and establishes a differential value in the currency of feelings [...]. The paradox is that in this economy of feelings, some ‘bad feelings’ (such as white unease) are recognized and given political value as they are the explicit driver of the anti-multiculturalist strategy” (ebd., S. 27).
Wie Fortiers Hinweis auf den selektiven Charakter des biopolitischen Regimes demonstriert, werden die Animierungen und die Artikulationen der Affekte je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlich organisiert. Die Strukturen der Gefühle der wertvollen und verängstigten middle class Mehrheitsdeutschen sind hier bestimmend, sogar hegemonial, in dem Sinne, dass sie alternative Meinungen und Ideen über die Wahrheit bis zu einem gewissen Grad in sich integrieren können. Jedoch werden die Ängste der Migrant_innen (genauso diejenigen der Sozialhilfeempfänger_innen) vor sozialer Not, ethnischer Diskriminierung, Prekarisierung, permanenter Überwachung und Kontrolle nicht thematisiert. Die Machtverhältnisse blockieren die Entfaltung eines Klimas, in dem die Übertragung der neutralen oder positiven Affekte stattfinden könnte. Besser ausgedrückt verliert das Animiertsein, das mit Bewegung und Aktion zusammenhängt, in der rassifizierten Form seine positive Assoziation mit Vitalität, und verwandelt sich in Hässlichkeit. (Ngai 2005, S: 31-32). Die Politiker_innen versuchen die Affekte zu fixieren und neue Verbindungsmöglichkeiten zu verbarrikadieren. In diesem Sinne werden die engagierten Stimmen gegen Rassismus, sei es seitens Einheimischen oder Migrant_innen, abgetan mit dem Vorwand, dass sie das gesellschaftliche Klima vergiften.
Die Mobilisierung der Unsicherheit und moral panic lässt sich auch in den politischen Debatten über die so genannten migrantischen Parallelgesellschaften und ethnischen/ kulturellen Ghettos in Deutschland aufzeigen. In den 1970ern wurde der für die deutsche Öffentlichkeit mit Segregation, Naziverbrechen und Holocaust assoziierte Begriff »Ghetto« wieder aufgegriffen, um die durch die zunehmende Migrationsrealität entstandene neuartige Pluralität im urbanen Stadtbild zu kritisieren (vgl. Stehle 2006). Ergänzt wurde der Begriff in den 90er Jahren durch den neuen Terminus »Parallelgesellschaft«, der im Laufe der Zeit zum Inbegriff für die offiziell als gescheitert erklärte multikulturelle Gesellschaft wurde. Die zum Teil offiziellen Kampfbegriffe, Ghetto und Parallelgesellschaft, sollen den Eindruck vermitteln, dass die Migrant_innen in den von ihnen bewohnten Stadtteilen exklusive ethnische/kulturelle Nischen und soziale Strukturen etabliert haben, angeblich um eine interkulturelle Mischung mit »Deutschen« zu vermeiden (vgl. Çağlar 2001).
Insbesondere seit dem 11. September 2001 und dem Mord an Theo van Gogh 2004 ist die Religion an die Stelle der Kultur der Migrant_innen getreten, wobei dem Islam als religiöser Referenzpunkt eine fundamentale Differenz zugeschrieben wird. Buschkowskys alarmiertes Hauptaugenmerk liegt auf dem Islam und religiösen Handlungen von Muslim_innen. Seine ideologische Ausrichtung unterscheidet sich allerdings von denen der religiös-Konservativen, da er nicht das Christentum zur Grundlage für die soziale Kohäsion machen will. Ihm zufolge gehören alle religiösen Referenzen in die Privatsphäre verbannt.[21] Dadurch schließt er sich an die säkularistischen Universalisten an, die mit Differenz eine fundamentale Schwierigkeit haben. Buschkowskys Forderung besteht in diesem Sinne darin, dass die Differenz am besten aus der Öffentlichkeit ausgesondert werden soll. Jedoch wird dadurch die Dominanz der christlichen Werte vergessen, um die die deutsche Öffentlichkeit organisiert ist und deren Hauptmaxime sich (parodistisch) auf die »Nächstenliebe« reduzieren lässt.
Buschkowskys Liebe betrifft in erster Linie seinen Bezirk, Neukölln, wo er zum Ende der 1940er Jahre hin geboren wurde. Er ist in einer Zeit aufgewachsen, die durch die traumatischen Folgen des II. Weltkrieges bestimmt war. Nach dem Krieg wurde in Neukölln, wie in Deutschland allgemein, nicht ethnische, kulturelle, religiöse Diversität propagiert, die durch die Einwanderung der Hugenotten im 17. Jahrhundert die praktische Sozialgeographie von Neukölln prägte, sondern die Homogenität. Diese eher imaginäre und mittels des Krieges ausprobierte ethnische Homogenität und das selbstidentisch-Sein des deutschen Volkes wurden u.a. spätestens durch die Einwanderung aus dem Ausland seit Beginn der 1960er Jahre herausgefordert. Buschkowsky hält aber immer noch an essentialistischen Ideen wie »organische Community« und »realer Raum« fest, die von multikulturellen Änderungen und Hybridräten verschont bleiben sollen (vgl. Bonnet 2010), deren Verlust ihn aber umso aggressiver macht. Seine Sehnsucht nach einem monokulturellen Deutschland wurde schließlich von den 1950er Jahren an mit den Anwerbeabkommen mit den klassischen Einwanderungsländern wie Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Ex-Jugoslawien und Tunesien endgültig zerstört, in deren Zügen tausende Arbeitskräfte nach Deutschland kamen und sich auch in Neukölln niederließen, wie zigtausende andere Menschen, die ohne eine staatliche Regulation ihre Migration nach Neukölln selber gestaltet hatten. In den letzten Jahren lockt Neukölln verstärkt Menschen aus osteuropäischen Ländern an, ebenso aus den arabischen Ländern, wie Libanon, Syrien und Palästina, wobei viele arabische Migrant_innen juristisch nur einen Duldungsstatus haben, was ihre Lebensgestaltung erheblich erschwert. Vom gleichen Problem sind auch Personen aus vielen Ländern des afrikanischen Kontinents betroffen, die den Zorn Buschkowskys auf sich ziehen (Buschkowsky 2012, S. 219).
Infolge dieser in vielerlei Hinsicht ungeplanten, ungeordneten und agonistischen Durchmischung vielfältiger Lebensformen, Erfahrungen, Ressourcen, Materien, Imaginationen, die mit der Globalisierung einen enormen Zulauf genommen haben, ist der Stadtteil Neukölln längst nicht mehr der Bezirk, in dem Buschkowsky aufgewachsen ist bzw. an den er sich gerne erinnert. Diese radikale Transformation, die keinen Sonderfall der Urbanität und städtischen Entwicklung darstellt, weckt in Buschkowsky die Angst vor einer sozialen Desintegration. Daher sehnt er sich nach einer lokalen und nationalen Gemeinschaft, die ihre althergebrachten kommunitaristischen Normen und Werte für immer aufbewahrt. Migrant_innen, die durch die Interaktionen mit den »human und non human Akteur_innen«[22] einen tiefgreifenden sozialen, kulturellen und urbanen Wandel hervorbringen, werden daher als eine Chiffre für die Bedrohung betrachtet. Dadurch wird die Unsicherheit, die sich in allen gesellschaftlichen Schichten ausbreitet, alleine an Migrant_innen festgemacht (vgl. Castel 2009).
Nicht (nur) die bloße Existenz der Migrant_innen, sondern ihre nichtkonformen kulturellen, religiösen und finanziellen Handlungen und Interaktionen lassen sie als einen »folks devil« erscheinen. Auffällig bei Buschkowskys Thesen ist, dass er das Umgehen der v.a. arabischen Migrant_innen mit dem Raum als deviant diffamiert. In bestimmten Straßen sei das Stadtbild durch die arabischen Läden und ihren arabischen Namen so kontaminiert, dass sich für Einheimischen das Gefühl eines Zuhauseseins und eine Geborgenheit nicht mehr anbiete (Buschkowsky 2012, S. 40).[23] Buschkowsky scheint hier dem Bevölkerungsanteil mit migrantischen Hintergrund das Gefühl des Zuhauseseins[24] erst gar nicht zuzusprechen. Dieser Widerspruch lässt sich nur damit erklären, dass Buschkowsky in erster Linie eine neurotische deutsche Öffentlichkeit adressiert. Seine Liebe umfasst daher nicht das jetzige multikulturelle Neukölln als Ganzes, mit der Alterität auf vielen Ebenen, sondern bloß die als deutsch angerufenen Körper, und dabei nicht nur humane, sondern auch nicht humane Elemente. Dazu gehören die als deutsch geltenden Orte, Geschäfte, Kirchen, Essen und Essensgerüchte, also Objekte und Imaginationen, die den besorgten deutschen Einheimischen das Gefühl der Zeitlosigkeit und der Vertrautheit des Völkischen vermitteln sollen.
Hier muss jedoch eine Unterschied gemacht werden, dem die Segregation nach dem Kriterium »Leistung« zugrunde liegt. Demzufolge verdienen nicht alle Deutschen die Liebe und Anerkennung per se, weil sie zum deutschen Volkskörper gehören. Es gelten nur diejenigen als liebenswert, die einer protestantischen Arbeitsethik nachkommen. Diese Vorstellung, die Buschkowsky im Grunde auch teilt[25], verkörpert eine Romantisierung der Arbeit, die mit den Wunschmerkmalen Fleiß, Disziplin, Strebsamkeit, Pünktlichkeit den Gründungsmythos von Deutschland (vgl. Schatz/Woeldike 2001) bildet.
Buschkowskys Sehnsucht kann als eine berührende Hommage an den alten, verloren gegangenen, korporatistischen Monokulturalismus, der keine Differenzierung erlaubt, gelesen werden. Homogenität und Solidarität als Grundsätze dafür, »die soziale Kohäsion eines authentischen sozialdemokratischen Regimes« (Gilroy 2004, S. 135) zu gewährleisten, lassen die Existenz von Migrant_innen zu einer Scheidelinie werden, entlang derer die nationale Partikularität wahrgenommen, gefühlt und wenn notwendig – auch mit Gewalt – wiederhergestellt werden soll. Buschkowskys Forderung nach einer gezwungenen Assimilation und Migrationskontrolle ist verwurzelt in seinem Attachment an den früheren Jahren des Postkriegsdeutschlands. Dies stellt zum einen eine räumliche Melancholie dar, die ihn daran hindert, die ungeordnete gesellschaftliche Pluralität und städtische Multiplizität wahrzunehmen. Dass der Raum von »anderen« Menschen vereinnahmt und kreativ gewandelt wurde, will er nicht akzeptieren. Seine Liebe ist eine »verdorbene Liebe«, die sich in der Liebe des Eigenen, des Ähnlichen erschöpft. Dies geht mit der Ausschließung von Alterität und Differenzen einher und animiert im Endeffekt einen Nationalismus und Rassismus (vgl. Hardt 2010). Er verweigert seine Liebe zu Fremden, Anderen bzw. Migrant_innen. Sie verdienen die Liebe und Solidarität der deutschen Nation nicht bzw. haben sie diese Liebe verraten, indem sie sich nicht an die deutsche Kultur und Arbeitsmoral angepasst haben (Buschkowsky 2012, S. 56).
In den Einbürgerungszeremonien werden diejenigen Migrant_innen, die sich einbürgern lassen, persönlich von Buschkowsky begrüßt. Ihnen wird die nationale Unterstützung versprochen, weil sie angeblich die erste Prüfung der Loyalität zur deutschen Kultur und Nation erfolgreich bestanden hätten. Die Inszenierung der Einbürgerung, in der sich eine assimilatorische Imagination eines Deutschmachens oder Deutschwerdens (vgl. Schelkes 2011) manifestiert, zielt auf den Bruch der multiplen und auch demokratisch gewordenen Möglichkeiten der Zugehörigkeit des modernen Daseins ab. Diese instrumentale Einschließung einzelner Personen mag bestimmte symbolische und rechtliche Verbesserung mit sich bringen, sie dient jedoch schließlich durch die Domestizierung der Fremden der Reproduktion der nationalen Einheit, worauf sich Politiker_innen, wie Buschkowsky in der Tat abzielen.
Affekt ist jedoch nicht ein umkämpftes Terrain, das für die repressive und konservative Politik reserviert ist. Als Politik kann Affekt Gefühle der Möglichkeit im Kontext hegemonialer Ideologie kreieren (vgl. Lim 2007), indem Hoffnung für persönliche und gesellschaftliche Transformationen generiert wird. Eine Politik des Affekts schafft Fluchtlinien, ermöglicht es, Dinge auf eine andere Weise zu tun und öffnet Wege, um über die normativen Formen des Körpers, des Lebens und der Beziehungen – in ihren sozialen, materiellen, biologischen und politischen Qualitäten – hinauszugehen. Eine solche Politik kann Möglichkeiten aufzeigen, neue Verbindungen und Allianzen einzugehen, neue Wege zu beschreiten und neue Freude zu schöpfen (vgl. Negri/Hardt 2010). Selbst wenn die aktuellen geopolitischen Verhältnisse nicht viel Raum für Optimismus und Fröhlichkeit bieten, selbst wenn es nicht so einfach erscheint, bestimmte theoretische Thesen zu formulieren und zu erwarten, dass sie sich verwirklichen, ist es Realität, dass Menschen neue ethische Praktiken entwickeln, was ihnen ermöglicht, andere ökonomische, soziale, sexuelle Organisation zu begehren und ausprobieren (vgl. Gibson-Graham 2006). Sie erhöhen somit ihre Handlungsmöglichkeiten und kreieren im Hier und Jetzt alternative Praxisformen und Vorstellungen. Trotz aller Schranken der Herrschaft und sozialer Unterwerfungen setzen sie eine Politik der Möglichkeiten um. Sie entwickeln neue Gefühle und ein neues Denken, sodass sie dadurch Empathie für Gegenstände, Projekte, die Natur und neue Sozialitäten befördern. Dadurch legen sie Zeugnis davon ab, wie das Begehren das Primat über Machtverhältnisse hat (vgl. Deleuze 1996).
Als eine konstitutive Kraft bezieht Hardt die Liebe zur Überwindung des Hasses gegenüber dem Anderen/Fremden in seine Analyse mit ein (vgl. Schwartz 2009). Liebe spielt bei der Konstruktion der Kollektivität[26] eine entscheidende Rolle, indem sie bestimmte Personen – wie ein »sozialer Klebstoff« – mit anderen verbindet, wobei wiederum andere abgegrenzt werden. Die Liebe spielt hier eine doppelseitige Rolle: einerseits eine konstitutive Rolle im Sinne von Negri/Hardt, weil sie auf der Grundlage einer expansiven Kraft der Öffnung mit anderen eine Gemeinschaft kreiert. Und zugleich auch eine destruktive Rolle, weil sie gerade deswegen bestimmte Personen wiederum von dieser Kollektivität abspaltet (vgl. Ahmed 2004). Das kommt einer »halbierten Gemeinschaft« gleich. Dabei markiert bspw. der Hass gegenüber den als »Andere« angerufenen Menschen, wie z.B. Flüchtlingen oder Migrant_innen, die Grenzen der Produktionsabläufe und -mechanismen von Gemeinschaften.
Wenn es darum geht, dass eine richtige/wahre Liebe eine neue Gesellschaft kreieren soll, dann muss sie sich an Fremden, an Differenzen und dem Unbekannten ausrichten, nicht um dessen Existenz zu tolerieren, sondern ganz im Gegenteil, um es zu affirmieren (vgl. Hardt 2009). Was uns hieran hindert, ist das Regime der Gewalt und Trennung. Im Sinne einer wahren multikulturellen Gesellschaft muss eine neue politische Kultur geschaffen werden, die nichts zu schaffen hat mit einer Nostalgie für den verlorenen nationalen Purismus, sondern die Tatsache anerkennt, dass diese vermeintliche reine Vergangenheit sehr gewalttätig war. Die deutsche Politik muss sich dieser Realität stellen. So könnte daraus eine Potenzialität und Kraft geschöpft werden, um in allen gesellschaftlichen Bereichen gegen Rassismus und Diskriminierungen Maßnahmen zu ergreifen.
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Die letzte offizielle Erklärung des Scheiterns des Multikulturalismus durch A. Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union im Oktober 2010 steht im Einklang mit dem »multicultural backlash« in der westlichen Welt (Lentin/Titley 2011, S. 3).
Gender und Sexualität werden die Grenzlinien, um als besonders homophob gedachte Muslime von liberal gedachten Mehrheitsdeutschen abzugrenzen bzw. die migrantischen Subjekte feministisch zu disziplinieren (Haritaworn/Tauqir et al. 2008). Nach einer Klagedrohung des einflussreichen weißen britischen Aktivisten Tatchel, der im Zentrum ihrer Kritik stand, wurde der Sammelband, in dem der Artikel von Haritaworn/Tauqir/Erdem erschienen ist, vom Verlag aus dem Vertrieb genommen. Die Zensur löste internationale Kritik aus. Für Details siehe Monthly Review http://mrzine.monthlyreview.org/2009/rothe151009.html.
Ich verwende multikulturell als Adjektiv, um politische Herausforderungen und (neue) kulturelle Formationen zu beschreiben, die als Konsequenz der Herausbildung von heterogenen Gesellschaften entstanden ist. Es geht dabei nicht um eine naive Zelebrierung von Multikulturalismus, der als eine Regierungstechnologie die sozialen Differenzen und Antagonismen durch den fröhlichen Verweis auf liberale Toleranz auf andere Lifestyles, Hybridität oder Konsumkultur domestizieren und sich aneignen will, sondern um einen »inevitable process of cultural translation« (Hall zitiert nach Procter 2004, S. 35).
Jäger hat auf die Verstrickung der deutschen Bevölkerung und Individuen an rassistischen Alltagsdiskursen hingewiesen. Obwohl Diskurse primär nicht »persönlich« sind, haben die Individuen durchaus Möglichkeiten, die vorgegebenen »Scripts und Schemata«, die sie sich im Verlaufe ihrer Sozialisation aneignet haben, zu transformieren. Im Regelfall bestätigen sie allerdings oft den Alltagsdiskurs durch »ihre Erfahrungen und durch die Medieninformationen« (Jäger 1996, S. 24).
Gegen die Behauptung von Slavoj Žižek, dass sich durch Forderungen nach »political correctness« die Akzeptanz der Differenz des Anderen und der liberale Multikulturalismus als eine hegemoniale Position etabliert hat, wendet sich Sara Ahmed zu Recht, indem sie darauf hinweist, dass das offizielle Verbot rassistischer Äußerungen und Handlungen sowie von rassistischem Hass eine Imagination ist und die alltäglichen Formen von Rassismus unter dem Deckel der freien Meinungsäußerungen weiterhin artikulieren lässt. (vgl. Ahmed 2008)
Wie (in den letzten Jahren) bei der Sarrazin-Debatte sind es in seiner Imagination die realitätsnahen Stimmen; die Stimmen also, die die Wahrheiten tapfer zu artikulieren wagen, die zugunsten der hinterhältigen Liberalen mundtot gemacht werden. Den Tabubrecher_innen würde im Endeffekt, so meint Buschkowsky, die gesellschaftliche Offenheit und politische Toleranz, die sich die liberal-demokratischen Kräfte selber auf die Fahne schreiben, von ebendiesen Liberalen abgesprochen/verwehrt.
Buschkowsky trägt seine Erfahrung mit jungen Muslimen, insbesondere weiblichen, mit folgenden Zitaten vor: »Die sie umgebende liberale und freie Gesellschaft passt nicht zu den vordemokratischen Strukturen zu Hause«. (Buschkowsky 2012, S. 111). Hier wird deutlich, dass er sich eine homogene antidemokratische muslimische Kultur imaginiert, die der emanzipatorisch vorgestellten hiesigen Gesellschaft, die ein Idealzustand verkörpere, diametral entgegenstehe.
Gleich im Vorwort betont Buschkowsky, dass sein Buch keine »wissenschaftliche Expertise« liefert (Buschkowsky 2012, S. 7), sondern bloß die »Gedanken, Gefühle und das Handeln« der engagierten Menschen in ihrem »Alltag« beschreibe (ebd., S. 15).
Vielerorts wurde das als eine Liebeserklärung bezeichnet. http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article109515326/Warum-Heinz-Buschkowsky-Recht-hat.html
Affekt ist ein schwer fassbarer Gegenstand der Forschung, da es unterschiedliche Definitionen mit jeweils differenten Problematisierungen gibt. Wie Thrift verwende ich ihn als ein Nexus für die Fragen über »what bodies can do, with the power of emotions, with the crossover between »biology« and »culture« (Thrift 2012, S. 138).
»Körper« ist vielmehr als ein Ort aufzufassen, an dem die Kräfte »aktualisiert« werden. Körper können viele verschiedene Konfigurationen annehmen: zum Beispiel materielle Kompositionen jeglicher Art von Diskursen, Ideen, sozialen Kollektiven oder menschlichen Körpern in Verbindung mit Werkzeugen, Technologien, anderen Gegenständen und/oder anderen Menschen (vgl. Lim 2007).
Affekte unterscheiden sich von Emotionen durch ihre prä-persönlichen und oft unbemerkten molekularen Intensitäten, die in relationalen Momenten eines Kontakts mit anderen Menschen oder Dingen entstehen. Obwohl Emotionen auch aus Inter- und Transaktionen hervorgehen, ist ihr Fokus eher auf die individuellen körperlichen Reaktionen beschränkt und weniger auf die Beziehungen, in denen die Sinneseindrücke entstehen. Während Emotionen bewusste, narrativierbare und personalisierte Gefühle darstellen, demonstrieren Affekte die Kräfte, die über das Register des Bewusstseins hinausgehen. Ungeachtet dessen, dass auch Affekte subjektive Momente umfassen, lassen sie sich nicht darauf reduzieren, weil sie untrennbar von mannigfaltigen Beziehungen mit der Umwelt, Dingen etc. abhängen (Massumi 2010, S. 25–69).
Massumi führt als Beispiel das Terrorwarnsystem an, das in den USA nach dem 11. September 2001 eingeführt wurde, um die kollektive Angst der Bevölkerung zu »kalibrieren«. Dabei geht es um die Angleichung des affektiven Registers der Bevölkerung um die »Nervosität« herum, die anhand einer Farbskala und Warnanreizen stimuliert wird (Massumi 2010, S. 106f).
Die überproportionale Kriminalität der jungen männlichen Migranten ist Buschkowsky zufolge »durchaus statistisch belegbar« (Buschkowsky 2012, S. 122), obwohl weder die Erhebung noch die Interpretation solcher Daten neutral und unabhängig von politischer Auseinandersetzungen sind. Erwähnenswert ist hier die Studien von Christian Pfeiffers, auf die sich Buschkowsky bezieht. Buschkowsky deutet Pfeiffers Ergebnisse als wissenschaftliches Beweismaterial für die besondere Gewalttätigkeit der jungen Muslim_innen, wohingegen Pfeiffer sich gegen eine Pauschalierung ausspreche.
Zudem werden Metaphern wie der Zusammenprall der Kulturen, die Unvereinbarkeit der Zivilisationen und das Freund-Feind-Schema eingesetzt, um unmittelbare affektive Elemente sozialer Beziehungen anzusprechen (Buschkowsky 2012, S. 66–67).
Guattari prägte den Begriff »Transversalität«, um den Entzug von sozialen Unterdrückungen sowohl in ihrer vertikalen Form, die wie ein Befehlspyramide hierarchisch strukturiert ist, als auch in ihrer horizontalen Form, die darin besteht, dass »Menschen in einem Zustand, wo die Leute sich, so gut sie können, mit der Situation arrangieren, in der sie sich befinden« (Guattari zitiert nach Nigro/Raunig 2011, S. 194), zu beschreiben. Mit Transversalität verweist er auf das Hinausgehen auf die identitären Einschränkungen.
Das neurotische Subjekt bzw. der/die neurotische Bürger_in ist zum Teil affektiv konditioniert, um sich vor verschiedenen Risiken, die durch die Einwanderung und Diversität entstehen, zu fürchten.
Thrift behauptet, dass ein Markt der Angst entstanden ist, der durch die sensationssüchtigen Medien angeheizt wird, weil die Angst sich gut verkaufe (vgl. Thrift 2005).
Soziale Mischung wird in Deutschland als die Lösung für soziale Probleme, darunter fällt selbstverständlich auch die allgegenwärtige »Integrationsproblematik« der Migrant_innen, vertreten. Es gibt keine empirischen Beweise, dass die soziale Mischung soziale Verbesserung für die »Armen, Migrant_innen, Arbeiter_innen etc.« mit sich bringt. Vielmehr dient dieser Mythos der Legitimation von Verdrängung sozialer Probleme wie Klassenverhältnisse, Rassismus, Aufwertung etc. (vgl. Holmes 2009).
Ich teile die Kritik an der einseitigen sozialen Kontakthypothese, die in den Migrationsdebatten als ein Allheilmittel gepriesen wird. Wie Amin deutlich macht, lässt sich die Sozialität nicht auf persönliche oder community-Beziehungen/Begegnungen reduzieren, obwohl diese für ein friedliches Zusammenleben wichtig sind. Jede Begegnung ist vermittelt, d.h., andere Faktoren wie urbane Infrastruktur, Ökologie der public space, inscribed Erbschaften, globale Netzwerke, affektive Erweiterung um die gegenseitige »care« und institutionelle Maßnahmen spielen eine genauso große Rolle wie die physische Nähe (vgl. Amin 2012).
In einem Zeit-Interview sagt Buschkowsky, dass er allen Religionen gleich fern stehe. »Ich führe ein religionsfreies Leben«, ist weiterhin zu lesen. Gleichwohl teilte er mit, dass Islam bzw. Muslim_innen besondere Aggressivität ausstrahlen. (http://www.zeit.de/2012/39/Heinz-Buschkowsky-Neukoelln-Integration-Rassismus/seite-4).
Die Akteur-Netzwerk-Theorie kritisiert seit langem die Verarmung der Soziologie, da sie das Handlungsvermögen der Akteure einzig auf Menschen reduziere und dabei die anderen Akteure (Keime, Roboter, Tiere, Pflanzen, Orte, Gegenstände etc.) ignoriere (vgl. Latour 2010).
Buschkowsky findet es »traurig«, »dass die arabischen Schriftzeichen an den Geschäften dominieren« (Buschkowsky 2012, S. 40).
Die steigende Hybridisierung von Kulturen in urbanen Räumen führt laut Buschkowsky zur Überfremdung, Verlust der Identität und zum Schwinden vom »zu-hause-Gefühl« bei »Bio-deutschen« und ursprünglichen Berliner_innen (Buschkowsky 2012, S. 40).
Für ihn besteht einen »Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und ihrer möglichen Kontraindikation zu Eigeninitiative« (Buschkowsky 2012, S. 334).
Freiheit entsteht in der und durch die kollektive(n) Vereinigung, die nur realisiert werden kann, wenn die Kollektivität nicht in erster Linie durch Angst und Hass geprägt ist.