Die unbewusste Weitergabe von Traumata und Schuldverstrickungen an nachfolgende Generationen[1]

Angela Moré

Zusammenfassung

Der psychoanalytische Begriff der Übertragung bezeichnet nicht nur ein unbewusstes Geschehen zwischen Therapeut/in und Klient/in im therapeutischen Prozess, sondern ein die menschlichen Beziehungen generell begleitendes und prägendes Phänomen, das sich auch in den Beziehungen zwischen den Generationen findet und diese im positiven wie negativen Sinn entscheidend beeinflusst. Freud bezeichnete diesen Vorgang als »Gefühlserbschaft«. Damit stellt sich die Frage, was Generationen voneinander unterscheidet und was sie verbindet und welche Rolle dabei die bewusste wie unbewusste Tradierung spielt. Es werden zunächst die Mechanismen der unbewussten Übermittlung von Erfahrungen zwischen Eltern und Kindern beschrieben sowie ferner die Auswirkungen, die die ungewollte Weitergabe von (extremen) Traumatisierungen auf die Nachkommen von Opfern oder aber von Schuldverstrickungen auf die Nachkommen von Täter/innen haben.

Schüsselwörter: Gefühlserbschaft, Transgenerationalität, Generationenbeziehungen, Holocaust-Überlebende, Täter

Summary

The psychoanalytic term of transference not only describes an ongoing event between analyst and client in therapeutic processes but points to a formative phenomenon in all human relationships. Those transmissions have great influence on intergenerational relations in a good or bad sense. Freud called this kind of transmission an emotional heritage. The questions which are raised concern the differences between generations and what connects them together as well as the role of conscious and unconscious transmissions in this process. First the mechanisms of unconscious transmissions of experiences from the parents to their children are described. Afterwards the effects of the unwilling transmission of (extreme) traumata or involvements into guilt to victims’ or perpetrators’ offspring are discussed.

Keywords: emotional heritage, transgenerationality, intergenerational relationships, Holocaust-survivors, perpetrators

1. Zugänge zum Phänomen der Transgenerationalität

Traumatische Erfahrungen, die von Betroffenen nicht verarbeitet und integriert werden können, bleiben nicht nur für diese selbst eine lebenslange Belastung. Sie zeigen sich auch in den Träumen, Phantasien, im Selbstbild, emotionalen Erleben und unbewussten Agieren ihrer Nachkommen. Sowohl bei psychischer Krankheit der Eltern, bei Erfahrungen von Misshandlung und Missbrauch wie auch bei Kriegs- oder Foltererfahrung treten transgenerationale Übertragungsphänomene in den nachfolgenden Generationen auf. Besonders bei Kindern und Enkeln von Überlebenden des Holocaust wurde dieser Zusammenhang seit Mitte der sechziger Jahre offensichtlich, als die nun jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation vermehrt therapeutische Hilfe suchten (Grubrich-Simitis 1979; Rosenthal 1997). Dies zeigte sich als Nachwirkung der Extremtraumatisierung der Überlebenden mit daraus folgenden schweren Veränderungen der psychischen Struktur, des (Selbst-) Erlebens wie der Persönlichkeit und wurde zugleich erkennbar durch die Regelmäßigkeit, in der die als Überlebenden-Syndrom (Niederland 1980) bezeichneten Auswirkungen der Verfolgungs- und Vernichtungserfahrungen sich bei den Betroffenen und später bei ihren Nachkommen manifestierten. Neben psychoanalytischen Fallgeschichten sind diese Folgen vor allem in autobiografischen Berichten (Eisenstadt 2007), Romanen (Roggenkamp 2007) und aufgezeichneten Gesprächen (Epstein 1990) dokumentiert. Aber auch bei den Kindern der Täter/innen offenbarte sich in zunehmendem Maße eine Belastung durch unbewusste Identifikationen mit den zerstörerischen elterlichen Introjekten (vgl. Bar-On 1993; Rosenthal 1997, 2002).

Inzwischen gibt es mehrere sich teilweise integrierende und ergänzende Ansätze zur Erklärung der Mechanismen der unbewussten Weitergabe und der Dynamik ihrer Wirkungsweise. Diese Konzeptionen basieren vor allem auf dem psychoanalytischen Konzept der Übertragung und Gegenübertragung. Sie sind aber auch verwurzelt in einem Generationenbegriff, der auf einem Paradigmenwechsel des Vererbungsbegriffs des 19. Jahrhunderts basiert (Parnes 2005).

Primäre Erkenntnisquellen sind die psychotherapeutische Arbeit mit Überlebenden der Shoah sowie ihren Kindern und Enkeln, andererseits die später einsetzenden Therapien und Untersuchungen von Kindern und Enkeln der Täter. Im Gegensatz zu den Überlebenden fanden die Täter/innen und Mitläufer/innen des NS-Regimes sowie die Kriegsteilnehmenden und die vom Krieg betroffene Zivilbevölkerung über lange Zeit kaum Zugang zu therapeutischen Angeboten oder anderen Möglichkeiten der Aufarbeitung. Dies war auch die Folge der in ihnen fortwirkenden nationalsozialistischen Ideologie vom Lebensunwert des Schwachen, der bis hin zur heimlichen systematischen Tötung geistig behinderter Menschen führt und mit dem euphemistischen Begriff der »Euthanasie« verbunden wurde. Daraus leiteten sich auch nach dem Krieg noch tief sitzende Ängste und Vorbehalte gegenüber jeder Form von Psychotherapie ab.

Sowohl Rutter (1989) wie Grünberg (2000) betonen, dass es beim Phänomen der transgenerationalen Übertragung nicht um einen Determinismus geht. Zum einen können die Reaktionen auf ähnliche Erlebnisse individuell sehr unterschiedlich sein, zum anderen gibt es Kinder mit traumatischen Erfahrungen, die nicht psychisch erkranken. Die Antwort Rutters auf die Frage nach der unterschiedlichen Vulnerabilität und den verschiedenen Reaktionen verweist auf die individuellen Unterschiede der Personen, ihres Umfeldes und der dort möglichen kompensatorischen Erfahrungen und ihrer subjektiven Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben. Auch wenn seelische Gesundheit trotz einer traumatischen Kindheit in mancher Hinsicht ein »Rätsel« bleibt, wie es der Titel der Studie von Wolfgang Tress (1986) nahe legt, so zeigen seine empirischen Untersuchungen doch, dass die Entwicklung früher Schutzfaktoren gegen psychogene Störungen möglich ist (vgl. Moré 2011). Als beste Voraussetzung hierfür erweist sich in der Untersuchung von Tress die Verfügbarkeit einer stabilen positiven Bezugs- bzw. Bindungsperson. Mit Hilfe des Adult Attachment Interviews (AAI) ließ sich nachweisen, dass traumatische Erfahrungen nur dann an die nächste Generation übermittelt werden, wenn sie von den Betroffenen nicht verarbeitet und folglich auch nicht in die Konstruktion eines lebensgeschichtlichen Sinnzusammenhangs eingebettet werden können.

2. Vererbung und Übertragung zwischen den Generationen

Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich parallel zur biologischen Vererbungslehre die massenpsychologisch begründete Auffassung durch, dass Generationen nicht nur in der vertikalen Abstammungslinie aufeinander folgen, sondern sich in einem Parallelprozess als horizontale Alterskohorte gruppieren, die durch die gemeinsame Teilung spezifischer Erfahrungen gekennzeichnet ist. Zugleich werden nun individuelle physische Merkmale auf den Mechanismus der genetischen Vererbung zurückgeführt, bei dem es sich nach Parnes (2005) »im wesentlichen [um] einen Mechanismus der intergenerationalen Übertragung« handelt (ebd., S. 236). Damit verschränken sich, wie Parnes weiter ausführt, der Generationen- und der Vererbungsbegriff zu einer neuen Einheit, die sich schnell auch jenseits der Biologie in den frühen Sozial- und Gesellschaftswissenschaften durchsetzte. Auch hier galt die Generationenfolge nun nicht mehr als bloße Abfolge von Dynastien, repräsentiert durch die (meist männlichen) Vertreter einer Familie oder Sippe. Vielmehr teilen nach dem neueren Verständnis die Angehörigen einer Generation als Entität spezifisch ihnen zugeschriebene Erfahrungen, Einstellungen und Aufgaben. Der Wechsel der Generationen wird zu einem bedeutsamen Aspekt politischer Machtübernahme. Dabei wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr die Unabhängigkeit der folgenden Generation von den vorhergehenden betont im Sinne einer Eigenverantwortung, Verfügungsgewalt über das Ererbte und des Auftrags der Veränderung, ein Gedanke, der sich von John Stuart Mill über Marx bis zu Compte verfolgen lässt. Dabei geht es nun vor allem um die Vererbung von Wissen, Fähigkeiten und Kapital. Bereits 1813 hatte Thomas Jefferson gefordert, die Generationen wie Korporationen oder gar wie souveräne Nationen zu behandeln (Parnes 2005, S. 240). Dieser soziologische Generationendiskurs hatte wiederum Rückwirkungen auf die Konzepte der Biologie und floss auch in die Vererbungs- und Rassenlehren am Ende des 19. Jahrhunderts ein. Während aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch eine Veränderlichkeit und Gestaltbarkeit des zu Vererbenden vorgestellt wurde – im Sinne des bürgerlichen Selbstverständnisses der Gestaltbarkeit von Wirklichkeit – verliert sich diese Idee einer aktiv-kreativen Transformierbarkeit des Ererbten in der rassistisch-deterministischen Vererbungsauffassung des Nationalsozialismus. Die horizontale Ebene des Generationsbegriffs, der die vertikale soziale Struktur der Gesellschaft durchbricht und den Generationenbegriff darum im 19. Jahrhundert auch für demokratische Bestrebungen attraktiv machte, wird in der NS-Ideologie zu einer Grundlage des Gleichschaltungspostulats. Noch für den Soziologen Karl Mannheim war dagegen, als er 1928 die Vielschichtigkeit und Bedeutung des Generationenphänomens und die Beziehung zwischen soziologischem und biologischem Verständnis diskutierte, klar, dass »das Generationenphänomen […] eines der grundlegenden Faktoren beim Zustandekommen der historischen Dynamik« ist (Mannheim 1928, S. 565). Aus seiner Sicht umfasste die Tradierung und Übertragung des ererbten Kulturgutes nicht nur bewusste und lehrbare Inhalte, sondern ebenso »Lebenshaltungen, Gefühlsgehalte, Einstellungen«, die »unbewußt, ungewollt vererbt, übertragen« werden (ebd., S. 538).[2]

Auch Freud greift diese zeitspezifischen Vererbungsvorstellungen auf, insbesondere in seinem Konzept des Ödipuskomplexes. Dieser ist für ihn Zeugnis und Wiederholung einer unbewussten phylogenetischen Erbschaft: der Einschreibung des von ihm angenommenen Vatermords in die psychische Struktur der Söhne, die nach dem Mord am Vater mit Schuldgefühlen reagieren und darum nachträglich die Gebote des Vaters in ihrem moralischen Gewissen etablieren. Dem Eindringen dieser Tragödie der menschlichen Urhorde in die tiefsten (psycho)genetischen Strukturen verdankt sich nach Freud auch die individuelle Ausbildung des menschlichen Gewissens. Strukturell ordnet er dieses dem sich aus kulturellen Normen aufbauenden Überich zu, das somit das Produkt bzw. Resultat dieser archaischen Gefühlserbschaft ist. Auf kollektiver Ebene sieht er in diesem psychogenetischen Verarbeitungsmuster, das sich individuell immer neu wiederhole, den Bodensatz der menschlichen Kulturen. Diese verdanken ihr Entstehen dem durch die Schuldgefühle und das moralische Gewissen erzwungenen Triebverzicht, der im besten Falle in eine Art Kompensation durch kreative Schöpfung mündet, die Freud Sublimierung nennt. Erst dadurch werde die Generationenfolge auch zu einem Fort-Schritt der Generationen, woran Freud mit dem Zitat aus Goethes Faust erinnert: »Was Du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen«. Kultureller Fortschritt basiert für Freud somit auf der Transformation der Mordtat am Urvater in eine Wiedergutmachungsleistung durch die nachträgliche Verinnerlichung und Achtung seiner Gebote. Deren Missachtung führt zu der Strafandrohung des mosaischen Gottes, die Nachkommen zu strafen »bis ins dritte und vierte Glied« (2. Buch Mose: Exodus 20/5).

Im Singular fasst der Begriff der Generation eine Altersgruppe, die spezifische Erfahrungen teilt, zu einer Kohorte zusammen. Insofern handelt es sich hierbei um ein gesellschaftliches Konstrukt, denn es ist die Frage einer wissenschaftlichen und Common-sense-Interpretation, welche Erfahrungen als generationsprägend betrachtet werden und welche Jahrgänge diesen Erfahrungen schon oder noch zugeordnet werden. Werden Generationen in diesem historisch-soziokulturell konstruierten Erfahrungsbezug im Plural gedacht, geht es um die Erfassung dessen, was die Erfahrungen einer (als Einheit konstruierten) Generation an Bedeutung haben für die Interaktion derselben mit der nächsten (ebenfalls als Einheit konstruierten) Generation. Wenn wir z.B. von der Bedeutung der Erfahrungen der Kriegkinder für das Selbsterleben der Kriegsenkel sprechen, werden spezifische gemeinsame Kernerfahrungen für jede Generation herausdestilliert und ein gemeinsames Movens der Geschichte unterstellt, das sich aus dem Bezug der beiden Generationen zueinander ergibt.

Zu den besonderen Schwierigkeiten des Begriffs Generation als einer durch gemeinsame Erfahrungen geprägten Kohorte in etwa Gleichaltriger zählt die Frage, welche Ereignisse als bestimmend für eine Generation definiert werden können oder durch welches spezifische Erleben universeller Ereignisse zur markanten Trennung zwischen verschiedenen Generationen werden. Und ferner, wie Geburtsjährgänge angesichts des kontinuierlichen Geborenwerdens und Sterbens zu erfahrungsbestimmten Einheiten zusammengefasst werden können. Hier verweist Elema (1978) auf eine deutliche Differenz zwischen der biologischen und der soziologischen Generationenfolge: Während der biologische Altersabstand zwischen zwei Generationen zwischen zwanzig und vierzig Jahren schwankt, im Mittel also bei dreißig Jahren liegt, orientiert sich die jüngere Generation in ihren Leitbildern und Interpretationen ihrer eigenen Erfahrungen überwiegend an der Gruppe der circa zehn Jahre Älteren. Bollas (2000) nennt diese Orientierungsgruppe darum die Zwischengeneration, die Teil einer zeitlich versetzten zweiten Generationslinie ist. Entscheidendes Konstitutionskriterium einer jeden Generation sei ihr gesondertes Generationsbewusstsein und ihre Identität, die sie sich insbesondere über generationsspezifische Objekte wie Musikidole, Moden, politische Ideale etc. verschaffe.

Auf den ersten Blick erscheinen Generationenzuordnungen für Ereignisse wie die beiden Weltkriege relativ plausibel. So wird grob zwischen Kriegs- und Nachkriegsgeneration unterschieden. Jedoch ergeben sich für die Täter/innen im Nationalsozialismus und ihre Nachkommen andere Kriterien der Generationeneinteilung als bei den Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen. Für letztere gilt, dass alle Überlebenden der Shoah unabhängig vom Alter zum Zeitpunkt ihrer Befreiung als erste Generation gelten. Alle danach in neu gegründeten Familien geborenen Kinder der Überlebenden bilden die zweite Generation (Grünberg 1997, 2000). Grünbergs Anmerkung, dass die fast vollständige systematische Vernichtung der europäischen Juden es notwendig machte, »die Generationen-Zählung nach dem Genozid neu [zu] beginnen« (1997, S. 20, Anm. 1), verweist zudem auf die jüdische Tradition, die Generationenfolge rückzuverfolgen bis zu den israelitischen Stammvätern. Auch für andere im Nationalsozialismus systematisch verfolgte und ermordete ethnische Minderheiten, insbesondere Sinti und Roma, gilt, dass mit »zweite Generation« die nach 1945 geborenen Kinder der Überlebenden gemeint sind.

Auf Seiten der nationalsozialistischen Täter-Gesellschaft wie auch bei den anderen in den Krieg involvierten Nationen wäre im Unterschied zur jüdischen Generationenzählung eine andere Einteilung vorzunehmen. Die »erste« Generation umfasst diejenigen, die mit Beginn des NS-Staates bzw. des Krieges Erwachsene und damit aktiv und verantwortlich Handelnde waren. Ihr folgen an zweiter Stelle diejenigen, die den NS-Staat und den Krieg sowie die unmittelbare Nachkriegszeit als Säuglinge, Kinder und Jugendliche erlebt haben: die sogenannten Kriegskinder.[3] Als eine Art Zwischengeneration treten die in der Nachkriegszeit Geborenen auf, die nicht mehr Kriegskinder waren, aber überwiegend noch Kinder der Täter(-generation) sind. Erst die Kinder der Kriegs- und Nachkriegskinder sind die Enkel der Täter/innen.

Thiel (2004) zufolge sind es jedoch ausschließlich die im soziokulturellen Sinne umfassenden Krisen- und Umbruchszeiten, die generationsspezifische Konflikte erzeugen und daher die Verwendung des horizontalen Generationenbegriffs im Sinne der Gleichaltrigenkohorte sinnvoll erscheinen lassen. Hier kommt die Bedeutung der Kategorie »Generation« als funktionales Ordnungsprinzip wie auch als »relationaler Begriff, der die Verbindung getrennt erscheinender Phänomene und Ebenen in historischen Wandlungsprozessen herstellen kann« (ebd., S. 112), zum Tragen. Als universale Deutungskonzepte seien Generationenmodelle jedoch unbrauchbar (ebd., S. 112f.), da sie oft willkürliche Zusammenfassungen von Altersgruppen unter einem marginalen Phänomen darstellten.

3. Die transgenerationale Übertragung[4]

3.1. bei Holocaust-Überlebenden

Seit Mitte der sechziger Jahre wurden neben den Erkenntnissen über die schweren und lebenslangen Auswirkungen, die die systematische Verfolgung und Vernichtung für die wenigen Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager hatten, auch die Spuren dieser Erfahrungen in deren Nachkommen thematisiert (s. z.B. Levine 1982; Bergman/Jukovy/Kestenberg 1995; Rosenthal 1997; Opher-Cohn et al. 2000; Konrad 2007). Aufgrund der im analytischen Prozess aufgedeckten Beziehungen zwischen den Generationen wurden Begriffe wie »Zeittunnel« (Kestenberg 1995), »Telescoping« (Faimberg 1985) oder »vermitteltes Trauma« (Kogan 1990) geprägt (vgl. Koch-Wagner 2001, S. 24ff.). Zum Teil wurden diese Benennungen als kausal umfassende Erklärungen missverstanden, wodurch ihnen die metaphorische Qualität verloren ging, jeweils ein zentrales Element des Erlebens in dem komplexen Übertragungsgeschehen zu veranschaulichen. Zudem drohen durch eine Überinterpretation dieser Begriffe die spezifischen Unterschiede zwischen den Folgen der Extremtraumatisierung in der ersten Generation und ihren Auswirkungen auf die zweite Generation verloren zu gehen. Diese Differenzen berücksichtigend spricht Grubrich-Simitis (1979) von einer Transformation der Extremtraumatisierung der ersten Generation in ein »kumulatives Trauma« (Khan 1963) der zweiten Generation. Denn viele Angehörige der ersten Generation blieben innerlich den Konzentrationslagern verhaftet, konnten sich aus dem dortigen Erleben psychisch nicht mehr befreien. Bei vielen Überlebenden zeige sich eine »weitgehende Amnesie gegenüber der Lebenszeit vor der Verfolgung und eine Hypermnesie bezüglich bestimmter Lagererlebnisse« (Grubrich-Simitis 1979, S. 999).

Der von Kestenberg (1995) gebrauchte Begriff des »Zeittunnels« vermittelt das Bild von einer Untergrabung des normalerweise als linear progredient erlebten Zeitablaufs. Eine Dimension dieser Untergrabung zeigt sich nach Hadar (1991) in der Verschiebung der chronologischen Zeitkurve bei der zweiten Generation. Zwar seien alle dieser Angehörenden nach 1945 geboren, doch knüpften sie psychisch genau an dem Punkt an, an dem die Zeitkurve ihrer in einer normalen Zeit vor der Verfolgung geborenen Eltern gewaltsam unterbrochen wurde. Darum liege der gefühlsmäßige Geburtszeitpunkt der zweiten Generation in den Konzentrationslagern (Grünberg 2000, S. 35f.). Für das Es bzw. Unbewusste gibt es, wie schon Freud (1933, S. 80f.) deutlich machte, keine rationale Zeitordnung und Kausalität. Dadurch wird es der zweiten Generation möglich, an die zerbrochene Zeitlinie der Eltern anzuknüpfen. Durch Identifikationen, die Übernahmen von elterlichen Rollen für die eigenen Eltern (Parentifizierung) und durch Versuche, die personalen und emotionalen Lücken in der Familie zu füllen, versuchen sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, die lebensgeschichtliche Kontinuität der eigenen Eltern und Großeltern wieder herzustellen. Damit ist auch die in gewisser Weise omnipotente (Wunsch-) Phantasie verbunden, nachträglich in den Ablauf der vergangenen Geschichte eingreifen und diese ungeschehen oder wiedergutmachen zu können. Dabei übernimmt die zweite Generation Verantwortungs- und Überlebensschuldgefühle von den Eltern, um diese zu entlasten und zu heilen. Das Bild des Zeittunnels veranschaulicht diese subversive Wirkung der Traumatisierung. Diese zerstört das für die Sinnkonstruktion von Lebensgeschichte erforderliche subjektive Gefühl eines linearen Fortschritts der Zeit und somit einen Teil des Realitätsprinzips und untergräbt somit auch die psychischen Generationengrenzen.

Mit dem Begriff »Telescoping« veranschaulicht Faimberg (1985) die innerpsychischen Verflechtungen und verschobenen Zeitkurven zwischen den Generationen. Wie ein Teleskop würden diese aufgrund der sie aneinander bindenden, die Ablösung verhindernden Gefühlserbschaften ineinander geschoben. Zieht man das Teleskop auseinander, dann ergibt sich keine wirkliche Unterscheidung, sondern eher eine – dieser Metapher entsprechende – Verlängerung der Vergangenheit in die Zukunft, die beide ineinander verschiebt und eine Differenzierung der Generationen verhindert.

Troje (2000) verwendet das Bild einer »Verzahnung des Unbewussten« zwischen Personen verschiedener Generationen. Diese könne auf Grund des Verlustes von Abgrenzungsmöglichkeiten von Kindern gegenüber ihren Eltern zeitweise auch zu psychoseähnlichen Zuständen führen.

Neben den zutreffenden Aspekten weisen diese Metaphern jedoch auch Begrenzungen in ihrem Beschreibungswert auf. Denn sie legen nahe, dass das unverarbeitete Trauma oder die nicht anerkannte Schuld einer früheren Generation in den späteren Generationen in eben derselben Weise wieder auftauche, so wie die Teilstücke des Teleskops einander (zumindest äußerlich) gleichen und die verjüngten Teile als Verlängerung aus dem ersten Hauptstück hervorgehen.

Ebenso hebt auch das Bild des Zeittunnels die Differenzen zwischen den Generationen auf. Tatsächlich gilt dies jedoch nur bezüglich einiger unbewusster, traumatischer Inhalte und der mit ihnen verbundenen Phantasien und Affekte. Denn zweifellos leben die Generationen der Kinder und die der Enkel in einer anderen Zeit mit anderen Verhältnissen und Lebensbedingungen. Adäquat beschreibt das Bild des Zeittunnels aber die Untergrabung des Zeitgefühls sowohl bei den Angehörigen der ersten Generation, die die in der Vergangenheit erlebten Traumata immer wieder wie unmittelbare Realität erleben, als auch bei den späteren Generationen, die sich erfahren wie in zwei parallelen Zeiten lebend, von welchen sie die eine als gegenwärtig empfinden, die andere dagegen oft nicht wirklich konkret fassen können, sondern als einen dunklen Sog in etwas unbekanntes Vergangenes empfinden. Was von den Erfahrungen der Überlebenden in der zweiten Generation in Träumen, Affekten, Stimmungen und bewussten wie unbewussten Vorstellungen ankommt, sind rätselhafte, unintegrierbare Bilder und Impulse, Irritationen, Verunsicherungen der eigenen Identität, Schuldgefühle, unerklärliche Ängste oder Zwänge, Gefühle von (Selbst-) Fremdheit und Rätselhaftigkeit oder Zwangshandlungen. Grubrich-Simitis (1979) nennt als Auswirkungen dieser innerpsychischen Fremdkörper Apathie, Depression, Gefühle von innerer Leere, fehlendes emotionales Engagement, aber auch eine »agitierte Hyperaktivität« (ebd., S. 1003).

Können in der zweiten Generation die ihr aufgegebenen Rätsel nicht gelöst, die unverarbeiteten traumatischen Eindrücke nicht integriert und durch Trauerarbeit bewältigt werden, kommt es auch in der dritten Generation zu Gefühlen von etwas Dunklem, Rätselhaftem, Unverständlichem, das in seiner affektiven Qualität bedrückend, irritierend und wie ein Fremdkörper wirkt und zugleich ein unauflösbares Band zu den Eltern oder/und Großeltern und deren Geheimnissen knüpft. So berichtet Fonagy (2003) von der Behandlung eines präpsychotisch erscheinenden Jugendlichen, dessen Großeltern mütterlicherseits beide Überlebende der Shoah waren. In den sadistischen Phantasien und Sexualängsten des 15-Jährigen verdichteten sich die in der Familie verschwiegenen Phantasien über die sexuelle Ausbeutung der Großmutter in den KZ-Lagern, mit der sich die Familie das Überleben der Großmutter erklärte, sowie eine mörderische Wut über die erlittenen entmenschlichenden Demütigungen. Dies verband sich mit einer tiefen Abscheu dieses Jugendlichen vor sich selbst und Zweifeln an der eigenen Existenzberechtigung (ebd., S. 168ff.).

Zugleich aber durfte er seine Aggressionen nicht nach außen hin zeigen, da für die von Gewalt traumatisierte erste Generation jede Äußerung von Aggressivität unerträglich war. Weil die in den Konzentrationslagern erlebten Grausamkeiten die Grenzen zwischen Phantasie und Realität auf traumatische Weise zerstört hatten, wurden nun die aggressiven Äußerungen des Kindes in der Vorstellung der Eltern gleichgesetzt mit den destruktiven Angriffen der Peiniger in den Lagern. Das Kind mit seinen normalen aggressiven Impulsen wurde für sie zum real zerstörenden Angreifer (Grubrich-Simitis 1979). Die zweite Generation konnte darum nicht lernen, Aggression als Teil von sich selbst zu integrieren, sondern erlebte diese als dämonisch-zerstörerische Kraft, deren Sichtbar- und Spürbarwerden verhindert werden musste. Entsprechend häufig wird Destruktivität in der dritten Generation agiert und zugleich weiterhin als absolutes Tabu bekämpft, wodurch sie autoaggressive Formen annimmt.

3.2 bei nationalsozialistischen Täter/innen und Mitläufer/innen

Für die Beziehung zwischen der Tätergeneration und ihren Kindern haben sich keine entsprechenden Metaphern oder Erklärungsmodelle etabliert. Dabei bildete sich auch hier ein interpsychischer Raum, in dem die Kinder der Täter/innen zu unbewussten und ungewollten Erben der Schatten der elterlichen Vergangenheit wurden. Jedoch war bei ihnen die affektive Beziehung häufig deutlich ambivalenter und von Angst geprägt – nicht um die Eltern, sondern vor ihnen. Denn diese schuldverstrickten Eltern verfolgten alle abgewehrten eigenen Anteile in den Kindern hartnäckig und mehr oder weniger auch sadistisch. So kam bei der ersten Generation der NS-Täter/innen und -Mitläufer/innen oft eine aggressiv-feindselige, Leistung und Gehorsam fordernde Einstellung den eigenen Kindern gegenüber zum Tragen. Wie sich diese Ängste und normativen Gebote, die die Eltern-Kind-Beziehungen prägten, in der zweiten Generation niederschlugen, kommt exemplarisch in der Aussage von Monika Göth zum Ausdruck, die auch Titel des Buches ihrer Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Eltern geworden ist: »Ich muß doch meinen Vater lieben, oder?« (Kessler 2002). Obwohl sie den eigenen Vater, Amon Göth, nicht kannte und obgleich sie inzwischen herausgefunden hat, dass er als Kommandant des Lagers Plaszow bestialisch grausam mit den dort Gefangenen umging, ist ihr Verhältnis zu ihm (als imaginärer Person) von der Norm bestimmt, dass sie als Töchter ihn doch lieben müsse. Schließlich ist er ja der Vater.

Hinter diesem Loyalitätszwang, den die Kinder der Täter/innen empfinden, zeigen sich jedoch Misstrauen, der Wunsch nach Entidentifizierung und Distanzierung sowie reale räumliche und emotionale Entfernung. Schließlich wurden und fühlten sich Kinder von NS-Eltern häufig belogen, getäuscht und nicht selten auch physisch bedroht. Um dem zu entgehen, wählten einige Kinder selbst die Strategie der Verleugnungen und Verharmlosungen, übernahmen diese von den Eltern zur Abwehr der eigenen ambivalenten Gefühle (s. z.B. die Gesprächsprotokolle in Koch-Wagner 2001; Westernhagen 1987). Eine besonders extreme Entwicklung zeichnet Schulz-Hageleit (1997) nach. Er berichtet davon, dass eine nicht geringe Zahl von überzeugten Anhängern des Nationalsozialismus, die zum Teil auch bei der SA oder SS aktiv waren, am Ende des Krieges oder nach dessen Ende ihre destruktiven Impulse, mit denen sie zuvor »den Feind«, Juden, Sinti und Roma oder andere Gruppierungen bedroht und verfolgt hatten, gegen sich und ihre Familien richteten. Dies geschah zum einen dadurch, dass die Eltern sich mit dem Gedanken trugen – und einige dies auch wahr machten –, sich und die eigenen Kinder zu töten. Diese (fantasierte) Flucht in den Tod schreibt Schulz-Hageleit dem Zusammenbruch ihrer narzisstisch besetzten (Ich-) Ideale und ihres Selbstwertgefühls zu, mehr noch als dem Verlust von Vermögen und Heimat. Für andere ging es darum, sich der befürchteten Strafverfolgung und der damit verbundenen Beschämung und sozialen Degradierung zu entziehen (s.a. Jokl 1997, S. 29). Zum andern äußerte sich diese Wendung gegen das Selbst und die eigene Familie in der autoritären und oft brutalen Art, in der die Männer oder beide Eltern die Kinder unterwarfen, drillten, demütigten und schlugen. So findet Ingrid Müller-Münch (2012) heraus, dass nicht nur in ihrer eigenen Familie, sondern in zahlreichen Familien der fünfziger Jahre die Prügelstrafe als angemessenes Erziehungsmittel der Kinder angesehen wurde.

Auch Kinder der Täter/innen hatten nicht die Möglichkeit, sich dem Schrecklichen des Krieges, der Bombennächte, der Fluchterlebnisse der Eltern zu entziehen, die ihnen, sofern sie diese nicht selbst miterlebt hatten, teilweise sehr detailgetreu geschildert wurden.[5] Die innerpsychischen und emotionalen Erlebensräume der Kinder wurden durchwebt von den Schilderungen verwüsteter Schlachtfelder der Väter und von den Tagen und Nächten der Mütter in den Bombenkellern, Trümmerstädten und Flüchtlingsströmen, wodurch auch sie eine partielle Rückversetzung in eine nicht selbst erlebte Zeit erfahren. Eine Ausnahme bildeten die in der Regel schamhaft verschwiegenen Vergewaltigungen, die den Frauen zu Kriegsende und auf der Flucht widerfuhren. Gleichwohl wurden diese als unausgesprochene Botschaften in den Ängsten und Panikattacken sowie in den affektiven Ausdrücken und der gehemmten Körperlichkeit der Mütter und Großmütter spürbar. Diese Kinder fühlten einen Mangel an Nähe und Geborgenheit und die tiefe Scham und oft deutliche Ablehnung des eigenen Körpers und jeder Art von Sinnlichkeit bei den Müttern.

Über das eigene Leid und die Leiden der mit dem Nationalsozialismus verstrickten Eltern erfuhren die Nachkommen derselben dennoch in der Regel eine Menge, über deren aktive oder passive Beteiligung an den Verbrechen oder die Duldung derselben nichts. Somit war das Ver-Schweigen der Eltern über ihr eigenes Mitwissen und Mittun oder Unterlassen ein beredtes Schweigen, in welchem sie nicht stumm blieben, sondern Rechtfertigungen, Entschuldigungen und Lügen erfanden. Ihre Begriffe benannten nicht ihre Taten, sondern versuchten diese zu verschleiern, zu verharmlosen und die Schuld anderen zuzuschieben. Damit versuchten sie zu verhindern, dass ihre Kinder die wahren Zusammenhänge und den Schuldanteil der Eltern und anderen Verwandten begriffen. Aber dieses Verschweigen und Verleugnen der wahren Ereignisse, der tatsächlichen Beteiligung ist stets begleitet von Affekten der Abwehr, seien es die des Erschreckens, des Ärgers, der Scham oder der Furcht. Entsprechend errichtete diese Generation von Eltern zahlreiche Tabus, die Fragen nach ihren damaligen Überzeugungen und Funktionen betrafen, gegebenenfalls auch durch die Androhung von Strafen und Gewalt.

Es sind jedoch bei beiden Gruppen von Eltern, jenen, die Täter/innen und Mitläufer/innen waren wie jenen, die Verfolgungen überlebten, gerade die Bemühungen der Abwehr, die die Spur zu den verleugneten Ereignissen und Gefühlen legen. Die Formen und Strategien der Abwehr selbst verweisen indirekt auf das Verschwiegene oder Verheimlichte und legen die oft intuitiv aufgenommene Spur zu traumatischen Ereignissen oder peinlich gehüteten Geheimnissen in der Familie, sie sind die »Wegweiser« der unbewussten und ungewollten Übermittlungen zwischen den Generationen.

Bei den Kindern der Täter/innen finden sich dementsprechend andere Elemente unbewusster oder halbbewusster Mitteilungen durch die Eltern, die als Ahnungen von etwas nicht Fassbarem und Dunklem auftauchen. Nachkommen von Täter/innen fühlen sich als aggressive Verfolger und Ankläger der Eltern, die diesen ein Unrecht tun, wenn sie nach ihrer Geschichte fragen. Der den Student/innen der 68er-Jahre vorgeworfene Ton der Anklage diente nicht nur dem Versuch einer Distanzierung von den Eltern, ihrer abgestrittenen Schuld und ihrem Selbstmitleid. Er war meines Erachtens auch eine Inszenierung eben dieser in die Kinder projizierten Verfolgerposition, die die Eltern mit der Anklage zugleich entlastete, weil diese sich als Opfer – nun ihrer Kinder – fühlen konnten. Dies wurde nicht zuletzt provoziert durch die Verwirrung, die die ritualisierte Selbststilisierung der Täter und Täterinnen zu Opfern in deren Nachkommen bewirkte (Müller-Hohagen 1994). Ferner wurde die latent aggressive Haltung der Eltern gegen ihre Kinder in dieser Umkehrung offensiv agiert in einer Mischung aus Identifizierungsanteilen und deren gleichzeitiger Abwehr.

Für die Transformation nicht anerkannter realer Schuld in Schuldgefühle bei den Kindern und Enkeln gibt es inzwischen auch zahlreiche klinische Belege (Bar-On 1993; Bergman et al. 1995; Hirsch 1997; Jokl 1997). Neben den daraus erwachsenden massiven Selbstwertkonflikten und Kompensationsbemühungen durch Wiedergutmachungsversuche finden sich in den Kindern der Täter/innen auch identifizierende Anteile mit jenen Seiten der Eltern, die von diesen bewusst verleugnet werden, in denen die Kinder ihre Eltern jedoch als stolz erleben, ihre Freude und Begeisterung bei bestimmten (erzählten) Erinnerungen spüren und im Alltag mit den von diesen verinnerlichten Idealen und Normen konfrontiert werden. Das Anknüpfen der Eltern an die Ideale und Erlebensformen ihrer Jugend, an Bilder von Stärke, Macht und Überlegenheit, oft in Momenten verminderter Selbstkontrolle, dient diesen zur Reparation und Stabilisierung ihres verletzten Selbstwertgefühls. Die Kinder der Täter/innen fühlen sich durch solche doppelten Botschaften – der Verleugnung von insgeheim idealisierten Werten – häufig innerlich gespalten und doppelt gefangen.

Eindrücklich belegt dies die Geschichte eines Mannes, der wegen Eheproblemen in Therapie kommt (Buchholz 1990, S. 338ff.). Verheiratet mit einer Polin, die er bei einem Aussöhnungsprogamm kennen gelernt hatte, entwickelt er plötzlich eine Liebesbeziehung mit einer deutschen Kollegin, mit der er sich heimlich trifft und mit der er, ihm selbst unerklärlich, begeistert deutsche Wanderlieder singt. Erst im Laufe der Therapie verdichtet sich der Verdacht auf eine Verwicklung des Vaters in den Holocaust in einem polnischen Konzentrationslager, der schließlich von der Mutter des Patienten bestätigt wird.

Diese Übertragungsmuster finden sich nicht nur in Familien von NS-Tätern und -Täterinnen, sondern auch in der Folge nicht psychisch anerkannter und aufgearbeiteter Verbrechen in Bürgerkriegen, bei Raub, Mord, schwerem Betrug oder in Familien mit Sexual- und Gewaltdelikten. Die Verleugnung und das Verschweigen dieser Taten begründen jene Familiengeheimnisse, an deren Rätseln sich die Nachkommen zum Teil ein Leben lang »die Zähne ausbeißen«.

4. Frühe Mechanismen der transgenerationalen Weitergabe

4.1. Tradierung zwischen den Generationen bei Freud

Die Weitergabe von Erfahrungen bezieht sich nicht nur auf verdrängte oder dissoziierte Inhalte, auf Schuldkonflikte oder Scham sowie Traumata. Sie kann sich auch auf komplexere Konglomerate von teilweise bewussten, teils unbewusst gemachten oder verleugneten Familiengeschichten beziehen, die sich aus widersprüchlichen Anteilen von Freude, Stolz, Scham, Angst etc. zusammensetzen in Verbindung mit familien- oder (groß-) gruppenspezifischen Narrationen über Vergangenes, also die Interpretation von historischen Hintergründen und Ursachen, die sich in Formen von tradiertem Wissen, soziokulturell positionierten Einstellungen und Urteilen manifestieren.

Freud (1912–13a) betont die Notwendigkeit oder das Verlangen nach einer »psychischen Kontinuität innerhalb der Generationenreihen«, einer »verlangte[n] Kontinuität im Seelenleben der einander ablösenden Generationen« (ebd., S. 190f.). Dies zeige sich auch darin, dass es keiner Generation gelinge, unliebsame seelische Regungen vor der nächsten zu verbergen.

»Die Psychoanalyse hat uns nämlich gelehrt, dass jeder Mensch in seiner unbewussten Geistestätigkeit einen Apparat besitzt, der ihm gestattet, die Reaktionen anderer Menschen zu deuten, das heißt, die Entstellungen wieder rückgängig zu machen, welche der andere an dem Ausdruck seiner Gefühlsregungen vorgenommen hat.« (ebd., S. 191).

Freuds Ausführungen legen nahe, dass es sich bei den abgewehrten Seelenregungen um solche handelt, wie sie auch in der Urgeschichte von ihm hypothetisch als existent angenommen werden: Regungen, die Inzest- und Mordwünsche enthalten und die aufgrund von Scham- und Schuldgefühlen verborgen bleiben sollen. Für ihn war noch nicht erkennbar, dass auch traumatische Erfahrungen der willkürlichen Bedrohung und Zerstörung auf Seiten der Opfer ein solches unbewusstes Potenzial bilden, das sich – trotz versuchter Abwehr – den nächsten Generationen mehr oder weniger deutlich offenbaren wird.

Über die Funktionsweise dieses »psychischen Apparats« bzw. der unbewussten Mechanismen der transgenerationalen Weitergabe gibt es heute verschiedene, sich zum Teil ergänzende, Theorien.

4.2. Die phantasmatische/imaginäre Interaktion

Insbesondere in der französischen Psychoanalyse gilt die Weitergabe unbewusster Phantasien, Impulse und Affekte als ein ubiquitäres Element der Beziehung zwischen Eltern und Kind, das dessen Entwicklung erst ermöglicht. Sie bereitet sich bereits vor der Zeugung und Geburt des Kindes in den elterlichen Phantasien vor. Vorstellungen über seine Bedeutung bestimmen schon vor und unabweislich nach der Geburt den Umgang mit dem Kind, die Interpretation seiner Äußerungen und die affektiven Reaktionen der Eltern und damit deren Beziehung zum Kind und seinem Erleben. Lebovici (1983) bezeichnet dies als phantasmatische Interaktion, Brazelton und Cramer (1991) sprechen von imaginären Interaktionen. Beiden Auffassungen liegt ein Konzept früher nonverbaler Übertragungsbeziehungen zugrunde. Laplanche (1988) geht zudem davon aus, dass die Eltern aufgrund ihrer unbewussten Triebphantasien und der für das Kind noch nicht verstehbaren Sexualität des Erwachsenen im Kind ein Rätsel implantieren, das den Ursprung seiner Phantasien bildet. Der Wunsch dieses zu enträtseln gebe einen entscheidenden Impuls zur psychischen Entwicklung. Laplanche zufolge liegt darin eine (Ur-) Verführung begründet. Generell sei es der Andere, der im Subjekt den psychischen Prozess in Gang bringt, der – mittels Introjektion, Identifikation, Verdrängung, Verleugnung, Verwerfung, Projektion etc. – das Unbewusste konstituiert. Insofern ist Übertragung von der Elterngeneration auf die Kinder notwendig für den Prozess der Selbst- und Subjektwerdung. Von der normalen Implantation unterscheidet Laplanche allerdings die gewalttätige Variante der »Intromission«, die eine Differenzierung und Metabolisierung im psychischen Innenraum verhindere und die im Entstehen begriffenen psychischen Instanzen kurzschließe. Mit der Einsicht in die durch den Anderen erzeugte psychische Dynamik, die von Anfang an eine interaktive ist, wird nach Laplanche auch der psychoanalytische Mythos eines in sich abgeschlossenen, quasi-monadischen psychischen Innenraums aufgelöst, aus dem das Subjekt sich scheinbar selbst erschaffe. Auch Winnicotts Bonmot, so etwas wie einen Säugling gebe es nicht[6], impliziert die Vorstellung, sich die Entstehung des Psychischen als einen interaktiven Prozess zu denken.[7]

Jedoch wird nach Auffassung von Grubrich-Simitis (1979) bei Überlebenden der Konzentrationslager die Symbolisierungsfähigkeit in Bezug auf die traumatischen Eindrücke infolge der Extremtraumatisierung zerstört. Es finde eine »Machtergreifung des Primärvorganges« statt, der auch die elterlichen Funktionen beschädige. Dies zeige sich in den Übertragungen auf die zweite Generation in Form einer Erstarrung der Phantasien, eines zeitlosen Konkretismus der Vorstellungen, eines fehlenden Zukunftsraums für Veränderungen. An ihrer Stelle findet sich die Verhaftetheit mit den traumatisierenden Eindrücken, den Bildern der Toten, den die affektive Differenzierung zerstörenden übermäßigen Scham- und Schuldgefühlen und in Form der mehr oder weniger massiven narzisstischen Entleerung. Diese Auswirkungen der Extremtraumatisierung behindern die elterliche Wahrnehmung des Kindes in seiner Eigenheit und Bedürftigkeit, die Möglichkeiten, es zu spiegeln, sich in dieses einzufühlen und affektiv angemessen mit ihm zu interagieren und auf seine Äußerungen zu reagieren. Anstelle des die Psyche des Kindes interaktiv kreierenden elterlichen Begehrens treten die elterliche Bedürftigkeit und Gefühle von ohnmächtiger Wut und Verzweiflung sowie Entsetzen, Angst und Leere, symbolisiert z.B. durch die in Daniel Liebeskinds Architektur zu findenden »voids«, die nicht nur die kulturell, sondern auch psychisch durch den Holocaust entstandenen Risse und Leerräume in der jüdischen Tradition veranschaulichen. An diesen Folgen der Entmenschlichung und permanenten Lebensbedrohung zerbrechen bei vielen Überlebenden die auf die Zukunft gerichteten Imaginationen vom Werden und Leben ihrer Kinder. Diese werden stattdessen an die Erinnerungsbilder der verlorenen toten Objekte gebunden und in deren Vergangenheit fixiert, übernehmen die Funktion von »Gedenkkerzen« (vgl. Wardi 1997, S. 57ff).

4.3. Transgenerationalität in der Bindungstheorie

An der Konstanz, mit der sich Bindungsstile und -schwierigkeiten in den Familien über mehrere Generationen wiederholen, erkannten die Bindungsforscher/innen die transgenerationale Weitergabe von elterlichen Bindungsmustern an Kinder (vgl. Moré 2006). Dabei zeigte sich, dass die Stabilität von Bindungsmustern nicht allein aus der Imitation oder einem Lernvorgang des Kindes erklärt werden kann, sondern dass das Bindungsverhalten der frühen (und späteren) Mutter-Kind-Beziehung in tiefgreifender Weise die Wahrnehmung von Beziehungsmöglichkeiten und die Einstellung zur belebten und unbelebten Umwelt präformiert. Die Erforschung des Bindungsverhaltens Erwachsener bestätigt, dass sich die Grundmuster der Bindung (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent oder desorganisiert/desorientiert[8]) in den Bindungsstilen zu den eigenen Kindern häufig reproduzieren. Die intergenerationale Weitergabe von Bindungsmustern stellt nach Bretherton (1985) ein sowohl intra- wie interkulturell bedeutsames Phänomen dar. In besonderem Maße trifft dies für das desorganisierte/desorientierte Bindungsverhalten zu. Wurde dieses ursprünglich generell auf Misshandlungen, Missbrauch oder extreme Vernachlässigung der beobachteten Kinder zurückgeführt, zeigte sich mit wachsender Erfahrung, dass die Traumatisierung einer zentralen Bezugsperson des Kindes ausreichend für das desorganisierte und desorientierte Bindungsverhalten des Kindes sein kann (Main/Hesse 1990). Die Traumatisierung der Bezugsperson führt bei dieser zeitweise zu einem verängstigten und für das Kind zugleich beängstigenden Verhalten, da sie in plötzlich auftretenden Zuständen von Verwirrtheit, Panikattacken, innerer Absorbiertheit und affektiven Durchbrüchen für das Kind nicht mehr emotional erreichbar ist. In ihrem akuten emotionalen Zustand signalisiert diese Bezugsperson eine Gefahr, vor der sie das Kind nicht zu schützen vermag. Das Kind erlebt dadurch eine paradoxe Situation: die Person, die normalerweise für die Lösung von beängstigenden Situationen aufgesucht wird, wird selbst zur Quelle der Angst. Dies gilt auch bei tatsächlichem sexuellem Missbrauch oder bei Misshandlung durch einen Elternteil. Aber ebenso trifft dies mit signifikanter Häufigkeit für Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil zu (Golse 1998; Meyer/Mattejat/König/Wehmeier/Remschmidt 2001; Ramsauer 2011). Main und Hesse (1990) vertreten daher die

»Hypothese, dass der kontinuierliche Angstzustand des traumatisierten Erwachsenen zusammen mit dessen interaktionellen/verhaltensbezogenen Begleiterscheinungen (verstörtes bzw. verstörendes Verhalten) der Verbindungsmechanismus zwischen dem ungelösten Trauma und dem vom Kind gezeigten desorganisierten/desorientierten Verhalten ist« (ebd., S. 163; Übers. A.M.; Hervorh. i.Orig.).

Die dadurch im Kind erzeugte Ambiguität führt zum zeitweisen Zusammenbruch seiner Koordinations-, Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit (vgl. div. Beitr. in Brisch/Hellbrügge 2003).

Auch wenn die Bindungstheorie auf den ersten Blick nicht mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus und Krieges in Verbindung zu stehen scheint, kam es zu den ersten Beobachtungen von extremen Bindungsirritationen in einer Zeit, in der zahlreiche Kinder – auch aus Kriegsgründen – evakuiert und in Heimen untergebracht worden waren. Die in Europa kulturübergreifend genuine Unterschätzung der Bedeutung von Bindungen hatte bis in die frühen sechziger Jahre eine häufig langfristige Trennung von Säuglingen und kleinen Kindern von den Müttern/Familien begünstigt und zu Fehlinterpretationen der auftretenden Folgeschäden geführt, z.B. bei langen Krankenhausaufenthalten oder Heim- und Internatsunterbringungen. Aus der Perspektive einer transgenerationalen Weitergabe von Bindungsstörungen lässt sich die Hypothese aufstellen, dass es sich bei der verbreiteten hartnäckigen Leugnung der Relevanz von Bindungen bereits um eine soziokulturelle Transmission verbreiteter Bindungsstörungen handeln könnte, die ihrerseits eine mögliche langfristige Folge von Urbanisierung, Industrialisierung und Proletarisierung sowie der zunehmenden Verbreitung autoritärer strafender Erziehungsstile seit Mitte des 18. Jahrhunderts ist.

Die Erkenntnisse der Bindungstheorie haben auch Konsequenzen für ein weitergehendes Verständnis der psychotraumatologischen Folgen des Holocaust bei den ihn überlebenden jüdischen Kindern hinsichtlich der Weitergabe ihrer traumatischen Erfahrungen an ihre Nachkommen. Denn bei den meisten von ihnen wurden die familialen Bindungen durch die Ermordung ihrer Eltern dauerhaft zerstört, bei den anderen, die zumindest ein Elternteil oder beide wiederfanden, durch Lageraufenthalte, Evakuierungen oder Unterbringung in Verstecken langfristig unterbrochen. Die Eltern konnten für ihre Kinder nicht oder kaum mehr die Beschützenden, Halt und Zuwendung gebenden Eltern sein, sondern waren selbst hilflos gewalttätigen Übergriffen und einem allumfassenden Grauen und Elend ausgesetzt.

4.4. Erkenntnisse der Säuglingsforschung und Kinderanalyse

Die Idee einer imaginären, durch bewusste und unbewusste Phantasien der Eltern bestimmten Interaktion wurde in der neueren Säuglingsforschung aufgegriffen (Brazelton/Cramer 1991, Teil IV). Den Vorgang der Übertragung interpretieren Säuglingsbeobachter/innen mit Hilfe der Fähigkeiten des Säuglings, Affekte des Gegenübers richtig zu erfassen und sich auf diese »einzuschwingen«. Durch die Rhythmik seiner körperlichen Bewegungen passt sich der Säugling dem Sprachrhythmus der Mutter an und wird quasi zu einem Echo desselben. Gleichzeitig besitzt der Säugling den angeborenen Impuls und eine elementare Fähigkeit, die Mimik des Erwachsenen zu imitieren und diesen hierdurch wie durch verschiedene Signale auf sich aufmerksam zu machen. Dadurch entsteht eine Affektangleichung oder -abstimmung (affect attunement), die für den Säugling Überlebenswert hat, weil sie ein Einlassen auf seine Bedürfnisse beim Erwachsenen verstärkt. Denn, so die Philosophie der Säuglingsforschung: da der Säugling auf die richtige Interpretation und Bereitschaft zur Bedürfnisbefriedigung durch eine erwachsene Bezugsperson angewiesen ist, ist er es, der aktiv zu der Aufnahme und Stabilisierung der Beziehung mit den ihm altersgemäß zur Verfügung stehenden Mitteln »verführt«. Diese Fähigkeiten bringen ihn aber auch in die Lage, Affekte und Phantasmen im Gegenüber aufzuspüren und sie zu introjizieren: »Die Interaktionsstudien erhellen den Weg und die Art, wie solche Phantasien in der präverbalen Zeit kommuniziert und aufgenommen werden, die Psychoanalyse erhellt den Inhalt des Phantasmas und seine die Interaktion determinierende Kraft.« (Dornes 1993, S. 211).

Da sich z.B. Babys depressiver Mütter an deren affektiven Tonus anpassen, wirken sie selbst bereits im Alter von 12 Monaten eher ruhig, apathisch und depressiv. Die scheinbar äußere Anpassung hat jedoch auch ihren Niederschlag im Affekt- und Selbsterleben des Kindes. Diese Form des Austauschs bleibt auch beim sprachfähigen Kind und später beim Erwachsenen unterhalb der bewussten, gesprochenen Sprache stets wirksam. Unbewusste Gefühlserbschaften nehmen ihren Weg in die Psyche der Kinder über diese unbewussten oder vorbewussten affektiven Mitteilungen. Das Vokabular der unbewusst wirksamen Affektsprache sind der traurige, leere, abwesende Blick oder ein Ausdruck von Ekel, Zorn oder Scham in Blick, Mimik und Stimme, sind die zusammengepressten Lippen, die stillen Seufzer, unwirsche oder müde Gesten, resignierte Körperhaltungen und viele andere körpersprachliche Mitteilungen in der Begegnung und Berührung mit dem Kind.

Aus der therapeutischen Erfahrung der Übertragung als einer »Verzahnung des psychischen Raums« zieht Troje (2000) den Schluss: »Wenn wir die Verzahnung des psychischen Raums in der Gegenübertragung am eigenen Leib spüren, müssen wir für die Beziehung zwischen Kind und dem wichtigen Anderen, in der Regel der Mutter, eine ähnliche Verzahnung annehmen« (ebd., S. 33f.).

Für das Verständnis von transgenerationaler Weitergabe zählt in der von der Bindungstheorie beeinflussten Säuglingsforschung somit die Erkenntnis, dass ein anhaltender Zustand von Hilflosigkeit und Ohnmacht, der sich durch die Abwesenheit eines guten, beschützenden Objekts auszeichnet, traumatisierend wirkt. Eltern, die selbst in starkem Maße traumatisiert wurden, sind häufig oder zumindest gelegentlich nicht in der Lage, sich empathisch gegenüber den Bedürfnissen ihrer Säuglinge oder Kleinkinder zu verhalten und vermitteln so unbeabsichtigt ihren Kindern jenes Gefühl der Ausgeliefertheit und Ohnmacht, das den Kern ihrer eigenen Traumatisierung ausmacht. Auch wenn die unzureichende Einfühlungsfähigkeit äußerlich nicht erkennbar ist, wirkt sie in ihrer Langfristigkeit sequenziell traumatisierend. Nach Grubrich-Simitis (1979) verwandelt sich dadurch die Extremtraumatisierung der ersten Generation in ein kumulatives Trauma (Khan 1963) der zweiten Generation.

Dagegen bewirkt die Ignoranz und Ablehnung kindlicher Bedürfnisse durch Eltern, die von nationalsozialistischer Erziehungs- und Herrenmenschenideologie geprägt sind, bei den Kindern Gefühle der Wertlosigkeit. Diese Kinder bekommen das Gefühl, nur mittels Unterwerfung und Selbstaufgabe eine Akzeptanz durch die Eltern erreichen zu können. Die Eltern-Kind-Beziehung ist geprägt durch eine unbewusste Übertragung der abgespaltenen narzisstischen Defekte der Eltern auf die Kinder. Durch diese Verschiebung können sich die Eltern als moralisch, leistungsmäßig, kulturell und in ihren Anschauungen als überlegen von den eigenen Kindern abgrenzen und damit ihr narzisstisch beschädigtes Selbst »reparieren«. Entsprechend halten gerade solche Eltern oft heimlich an ihren nationalsozialistischen Überzeugungen fest, die ihre Größenphantasien bestätigen und ihrem bisherigen Ichideal entsprechen.

Auch bei den Gedemütigten und Verfolgten stellt sich ein Gefühl der Wertlosigkeit ein, das sie sowohl in expliziten Äußerungen wie vor allem qua Übertragungen an ihre Kinder und Enkel weiter geben. In ihnen entsteht dieses Gefühl primär durch die Erfahrung der Ohmacht und Ausgeliefertheit, die sehr häufig mit einem paradoxen psychischen Prozess, der Identifikation mit dem Aggressor, einhergeht. Diese Identifikation hat zur Folge, dass auch die negativen Zuschreibungen und Vorurteile der Verfolger übernommen und angesichts der eigenen Situation als bestätigte Tatsache angesehen werden. Da das eigene Kollektiv einschließlich der eigenen Person zu nichts anderem als der Auslöschung und Vernichtung bestimmt zu sein scheinen und die Verfolgung zur Realität geworden ist, wird das Selbstvertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit und Wirkmächtigkeit untergraben. Die existentielle Bedrohung verkehrt sich dann auch für die Opfer in die Infragestellung der eigenen Existenzberechtigung. Das Selbstwertgefühl und mit diesem die Fähigkeit zur libidinösen Besetzung des Selbst werden ausgelöscht. In seiner autobiografischen Erzählung Ein Wiederkommen (2012) gelingt es Georges-Arthur Goldschmidt (2012), die Umwandlung solcher Erfahrungen von Verlust und Ausgestoßenheit in tiefste Scham und Selbstzweifel bzw. Selbsthass zu beschreiben. Als Zehnjähriger hatte er die Eltern und Deutschland verlassen müssen, um in einem katholischen Kloster in Frankreich versteckt zu überleben. Dies hatte er als Verstoßung aus der Familie erlebt, die ihm seine Wertlosigkeit beweist. Er glaubt angesichts seiner Verlassenheit und dem Gefühl von Lieb- und Sinnlosigkeit daran, dass er nur dazu bestimmt ist, vernichtet zu werden. Die Beweise dafür verschafft er sich selbst, indem er seine ihm Trost spendende Selbstbefriedigung als Beweis seiner Verkommenheit und Lebensunwertheit interpretiert. Selbstentwertung, Selbstbestrafung und Lustempfinden werden dadurch in einer masochistischen Allianz verklammert.

4.5. Introjektion, Introversion oder Intrusion? Drei Erklärungsansätze zum psychischen Stellenwert unintegrierbarer Gefühlserbschaften

Fonagy (2003) erklärt massive Traumatisierungen von Kindern und die häufig sich einstellenden Folgestörungen aus der Unterbrechung des für die Entwicklung der Selbstrepräsentanz zentralen Prozesses der Mentalisierung. Dabei verbinden sich in diesem Konzept der bindungstheoretische Ansatz, die psychoanalytische Säuglingsforschung und die Selbstpsychologie Kohuts. Denn das Kind entwickelt seine Selbstrepräsentanz aus der Wahrnehmung, die es von seinem Wahrgenommensein bei der für es zentralen Bindungsperson hat. Es ist der bei Kohut in die bildhafte Formel gefasste »Glanz im Auge der Mutter«, der als Ausdruck der liebevollen Bestätigung dem Kind das Gefühl gibt, für sie und insofern überhaupt von Wert und liebenswert zu sein. Das Kind nimmt die mentalen Zustände seiner Bezugsperson wahr und interpretiert sie als Reaktionen auf seine Äußerungen von Intentionalität. Aus der internalisierten Repräsentanz der Bezugsperson bildet es den Kern seines mentalisierenden bzw. psychischen Selbst (Fonagy 2003, S. 179). Wenn die Mutter durch psychisch belastende Vorgänge (Traumen, akute schwere Trauer, Depressivität) nicht in der Lage ist, das Kind wahrzunehmen, so erscheinen dem Säugling die mentalen Zustände der Angst, des Schreckens, der Verzweiflung und Wut oder Trauer, die er bei der Mutter wahrnimmt, als Antworten auf sein Sein und internalisiert diese. »Ins Selbst wird sowohl die Abwesenheit einer Repräsentanz als auch der der Selbstrepräsentanz fremde aktuelle Andere internalisiert.« (ebd., S. 180). Damit entsteht ein fremdes Selbst, das nicht als intentionales erlebt werden kann. Dieser für die Selbstrepräsentanz unerträgliche Anteil muss durch Dissoziation und Projektion wiederum externalisiert werden, was die häufig auch subjektiv berichtete Leere bei den Patient/innen zur Folge hat. Aufgrund der Dissoziation bleiben die ursprünglich internalisierten Gedanken und Gefühle un(be)greifbar, sie können nicht symbolisiert oder zugeordnet und nicht verstanden werden. Laut Fonagy existieren diese Erfahrungen des Selbst im Niemandsland, getrennt von anderen Aspekten des mentalen Funktionierens (ebd., S. 181). Dabei deuten viele Fallgeschichten darauf hin, dass auch die übrigen mentalen Prozesse infolge dieser Lücken und der unbegreifbaren mentalen Fremdkörper im Selbst nicht ungestört funktionieren. Entsprechend diesem Entstehungsprozess übertragener oder vermittelter Traumen sei es notwendig, in der therapeutischen Arbeit eine stabile Bindungsbeziehung mit adäquaten mentalen Reaktionen auf die Patienten herzustellen.

Hirsch (1997) hingegen spricht von »Introjekten« und bezeichnet als solche die bei den Nachkommen von Opfern wie von Tätern zu findenden unbewusst übertragenen Elemente, die als ich-fremd erlebt werden. Sie werden in die psychische Innenwelt des Kindes hinein vermittelt, können jedoch nicht durch Assimilation angeeignet und integriert werden. Es handelt sich um psychisch Unverdautes und Unverdauliches im Sinne von Bions Beta-Elementen (Bion 1992, 1997), die die Eltern selbst nicht zu verarbeiten in der Lage sind und darum wie psychische Fremdkörper behandeln. Es ist, wie Hirsch (1997) deutlich macht, zunächst die Dissoziation des Bewusstseins auf Seiten der Eltern und deren Externalisierung eines abgespaltenen Teils ihrer Selbstrepräsentanz in das Kind. Dieses kann aufgrund seiner Abhängigkeit die Aufnahme dieser unverdaulichen psychischen »Nahrung« nicht wirklich verweigern, sondern nur in sich isoliert halten. Diese psychischen Introjekte sind und bleiben Fremdkörper im psychischen Binnenraum des Kindes. Da diese Introjekte im Erleben, in Träumen, Phantasien und Affekten wirksam sind, sich aber dem Verstehen entziehen, werden sie regelmäßig in neurotischen, psychosomatischen oder präpsychotisch erscheinenden Symptomen agiert und die in ihnen enthaltenen traumatischen Situationen in unbewusst hergestellten ähnlichen Konstellationen reinszeniert (vgl. die über mehrere Generationen interviewten Familien von Überlebenden und Tätern in: Rosenthal 1997, 2002 sowie Fonagy 2003, S. 168ff). Dies kann auch die Entstehung neuer realer Schuld zur Folge haben, wenn die Introjekte erneut agiert werden (müssen). Aus der Analyse mit dem Sohn eines Nazi-Täters berichtet Jokl (1997, S. 37ff.), wie aus diesem plötzlich und für ihn selbst unerwartet alle väterlichen Introjekte in Form von antisemitischen Bildern und Hassgefühlen hervorbrachen, woraufhin er befremdet und beschämt diese als in ihm existente Vorstellungen anerkennen musste, auch wenn er sie als ichfremd erlebte.

Gianna Williams (2003) unterscheidet auf der Grundlage von Bions Theorie der psychischen Funktionen innerer Objekte zwischen hilfreichen und behindernden Introjekten. Während die hilfreichen inneren Objekte beim »Denken«, also dem Verstehen und Integrieren von Reizen, für das Kind unterstützend wirken (im Sinne von Bions Alpha-Funktion), sind die behindernden Objekte nicht nur unzugänglich, sondern quellen zudem über von Projektionen, die die Entwicklung des Kindes unterbrechen und häufig fragmentieren (ebd., S. 154).

Vom selben theoretischen Hintergrund ausgehend betont Paul Williams (2005) stärker den invasiven Charakter solcher Introjekte, die vom Kind als unkontrollierbare Fremdkörper im Innern wahrgenommen würden bis hin zu körperlichen Empfindungen unerträglicher innerer Zustände. Sie bewirken eine Störung des Selbstgefühls, der Autonomieentwicklung und häufig schwere narzisstische Störungen. Es handelt sich bei diesen Introjekten um die Einverleibung von Aspekten eines Beziehungsobjekts, die als überwältigend und vereinnahmend erlebt werden. Da sich dies zeitlich vor der Subjekt-Objekt-Differenzierung im ersten Lebensjahr abspielt, führe diese Proto-Identifikation zu einem traumatisch wirkenden Bruch in der Psyche-Soma-Integration, aber auch zu einem Bruch der Kontaktschranke. Es komme zu einer Identifikation mit dem Angreifer auf einer sehr frühen Stufe, durch die dieser Prozess selbst primitiv und fragmentiert bleibe. Dadurch seien normale Integrations- und Identifizierungsprozesse nicht mehr möglich, sondern müssten wegen des als invasiv erlebten Charakters der frühen Introjekte abgewehrt werden mit Hilfe einer nun defensiv eingesetzten Imitation. Diese Störungen bedrohen das Kernselbst und die spätere Entwicklung einer Symbolisierungsaktivität. »Die Identifizierung mit invasiven Eigenschaften verhindert die für das sekundärprozesshafte Denken notwendige Integration von Erfahrungen.« (ebd., S. 308). An ihre Stelle träten nicht-identifizierbare Körperwahrnehmungen, die als fremd, verfolgend und kontrollierend erlebt würden bis hin zu psychosenahen Zuständen. Eine Steigerung der Okkupation des Subjekts sieht Paul Williams bei den intrusiven Objekten, die sich im Gegensatz zu den invasiven nicht projektiv wieder ausstoßen lassen, sondern die okkupierende Kontrolle im innerpsychischen Raum behalten.

5. Bindung, Trauma und transgenerationale Weitergabe

Die Erkenntnisse der Bindungstheorie, Säuglingsforschung und psychoanalytischen Entwicklungspsychologie lassen erkennen, dass schon in den frühesten Lebensphasen jene Mechanismen in rudimentärer Form existieren, die Wahrnehmungen eines Anderen und Interaktionen mit ihm sowie erste projektive Übertragungsprozesse möglich machen. In der weiteren Entwicklung werden diese ursprünglichen Wahrnehmungs- und Interaktionsfähigkeiten differenziert und überlagert, insbesondere durch die Entwicklung des Sekundärprozesses und seine Symbolisierungsmöglichkeiten. Daher unterscheiden Kliniker/innen zwischen frühen (vorsprachlichen) Traumatisierungen und jenen späterer Lebensphasen.

Frühes Erleben wird später im Sinne der Nachträglichkeit beständig unbewusst »reformuliert«, um ein konsistentes Selbstbild zu erhalten. Traumatische Eindrücke sind davon ausgenommen und bleiben isolierte Fremdkörper. Anhand des Adult Attachment Interviews konnte Main (1995) aufzeigen, dass nicht die Lebensgeschichte selbst, sondern die Fähigkeit bzw. Möglichkeit des Subjekts, diese zu einer kohärenten Einheit zu gestalten und als solche mitzuteilen, darüber entscheidet, ob es gelingt, die unbewusste Weitergabe eigener schwieriger oder gar traumatischer Erfahrungen an die nächste Generation zu durchbrechen oder nicht. Diese Erkenntnis wird auch durch die psychoanalytische Behandlungserfahrung und die Traumatherapie bestätigt. Allerdings stößt die Integrationsmöglichkeit in Fällen von Extremtraumatisierung an Grenzen. Selbst bei intensivster psychischer Bearbeitung und bewusster Auseinandersetzung mit dem Erlittenen bleibt dieses letztlich unintegrierbar, wie beispielhaft die Schicksale von Primo Levi oder Jean Améry deutlich machen.

Die Hoffnung, dass sich die Übertragungen der unbewussten traumatisierenden Botschaften von Opfern oder Tätern in der Generationenfolge abschwächen würden, werden durch die Untersuchungen von Rosenthal et al. (1997, 2002) nicht bestätigt. Im Gegenteil zeigt sich eine Verstärkung von Tendenzen des Agierens in der dritten Generation. Über die Folgen für die vierte Generation liegen bisher nur wenige Erkenntnisse vor, die jedoch erkennen lassen, dass auch diese von den durch die früheren Generationen unverdaut gebliebenen unbewussten Botschaften betroffen sind, wie die systemischen Familieninterviews von Rosenthal belegen (ebd.).[9] Bei Enkeln von Tätern und Täterinnen zeigen sich häufig tiefgreifende Ängste, Unsicherheiten und ein Gefühl von innerer Zerrissenheit zwischen Loyalität und dem Wunsch nach Distanzierung. Sie pendeln zwischen Aufdecken- und Verhüllenwollen. Bei einigen der interviewten Enkel/innen zeigten sich deutliche Tendenzen zur Selbstbestrafung, deren Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit von Großeltern ihnen eher verborgen blieb. Bekannt ist aber auch, dass bei mehreren Vertreter/innen einer Generation in einer Familie es häufig dafür »prädestiniert« erscheinende Einzelne sind, die die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte auf sich nehmen und einige fragen sich, warum gerade sie sich dazu getrieben fühlen, diese Last auf sich zu nehmen.[10]

Diese Forschungsergebnisse sind übertragbar auf andere Erfahrungen mit (Bürger-) Kriegen, Verfolgungen, Vertreibung und Genozid und machen deutlich, dass die in ihnen gemachten Erfahrungen nicht vorübergehen, ohne bei den Nachkommen der Täter/innen wie der Opfer neben körperlichen vor allem auch seelische Spuren zu hinterlassen und die dabei auftretenden Traumatisierungen schicksalhaft in der Psyche der nachfolgenden Generationen zu implantieren. Wo die Aufarbeitung nicht oder nur unvollständig gelingt, wird die Gefühlserbschaft zur Last auch noch für die Enkel/innen und Urenkel/innen.

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Endnoten:

[1]

Überarbeitete, aktualisierte und erweiterte Fassung eines Textes, der unter dem Titel »Bis ins dritte und vierte Glied« 2007 veröffentlicht wurde (sowohl in ZfPP Nr. 3+4, 12: 2004, S. 259–280 [2007] als auch in gruppenanalyse 17: 2007, S. 29–50).

[2]

Zu einer umfassenderen Diskussion des Generationenbegriffs in der politisch-zeitgeschichtlichen Diskussion s. div. Beiträge in Reulecke 2003.

[3]

Radebold (2003) schlägt hierfür die Geburtsjahrgänge 1930–48 vor.

[4]

Da zu den Folgen des Holocaust für die erste und zweite, zum Teil auch dritte Generation inzwischen umfangreiches Material existiert und ebenso über die Folgen des Nationalsozialismus für die Kinder und Enkel der Täter (vgl. z.B. Grünberg 1997, 2000; Bergmann et al. 1995; Kogan 1998; Konrad 2007; Rosenthal 1997), beschränke ich mich hier auf eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Resultate.

[5]

So beschrieb ein Vater seinem damals etwa achtjährigen Sohn genauestens das Aussehen der Einschuss- und Austrittstellen von Kugeln bei gefallenen Soldaten (persönliche Mitteilung).

[6]

»There is no such thing as a baby«. Die Bedeutung dieser auf einen Rundfunkbeitrag zurückgehenden Aussage verdeutlicht Winnicott an anderer Stelle: »Das Neugeborene und seine Mutter – dieses saugend-säugende Zweigespann –, das ist in der Tat ein weites Feld, und doch würde ich nicht gerne über das Neugeborene allein referieren müssen. Schließlich geht es hier um Psychologisches, und ich möchte doch meinen, dass wir, wenn wir ein Baby vor uns haben, immer auch seine Versorgung durch die Umwelt und dahinter die Mutter sehen« (1964, S. 45).

[7]

Laplanche und Winnicott gehören neben dem Gruppenanalytiker Foulkes zu denjenigen, die der neueren Entwicklung einer interpersonalen bzw. relationalen Psychoanalyse vorgriffen (vgl. Stehr 2012).

[8]

Die ersten drei Bindungsmuster wurden von Mary Ainsworth und ihren Mitarbeiter/innen in der sog. »fremden Situation« erkannt (vgl. Ainsworth/Blehar/Waters/Wall 1978), die desorganisierte/desorientierte Bindung von Main und Hesse (1990).

[9]

Die für die Thematik ebenfalls fruchtbare Theorie des systemischen Ansatzes sowie gruppenanalytische Erkenntnisse konnten in diesem Beitrag aus Gründen des Umfangs nicht berücksichtigt werden. Eine kurze Übersicht über die Beiträge der systemischen Theorie zur transgenerationalen Übertragung gibt Brunschwig (1997).

[10]

So z.B. Claudia Brunner, die Großnichte Alois Brunners oder aber Uwe von Seltmann, der sich bei seinen Recherchen irgendwann fragt »warum tue ich mir das überhaupt an?« und auch: »Warum gerade ich?« in Brunner/Seltmann 2006, S. 142ff.

Über die Autorin

Angela Moré

Angela Moré, Dr. phil. habil., ist Professorin für Sozialpsychologie an der Leibniz Universität Hannover sowie Dozentin und Studienleiterin am Winnicott Institut Hannover; Gruppenanalytikerin (SGAZ, D3G) und Mitbegründerin des gruppenanalytischen Instituts GIGOS. Forschungsschwerpunkte: psychoanalytische Sozial-, Kultur- und Entwicklungspsychologie, Transgenerationalität, Gruppenanalyse, Gender-Forschung.

E-Mail: dr.more@winnicott-institut.de