»Naja, ist ja per se keine Krankheit«
Schwangerschaft, Mutterschaft und Karrierebrüche bei Ärztinnen

Katharina Rothe, Kathleen Pöge, Carsten Wonneberger & Dorothee Alfermann

Zusammenfassung

Schüsselwörter: Abhängigkeitsstrukturen, Medizin, Schwangerschaft, Mutterschaft, Diskriminierung, qualitative Methoden, Interviews

Summary

Keywords: gender gap, medicine, pregnancy, motherhood, discrimination, qualitative methods, interviews

1. Einleitung

Obwohl inzwischen die Mehrzahl der Medizinstudierenden[1] Frauen sind, bleiben sie in leitenden Positionen im klinischen wie im wissenschaftlichen Bereich in der Minderheit. So lag der Frauenanteil bei den fachärztlichen Anerkennungen in den stationären Einrichtungen Deutschlands 2008 bei 31%, auf oberärztlicher Ebene bei 24% und in leitenden Positionen in Krankenhäusern bei knapp 9% (Statistisches Bundesamt 2010). Worin gründet dieses Geschlechterungleichgewicht? In der Literatur wird unter anderem die (Un-) Vereinbarkeit von ärztlichem Beruf und Familie diskutiert (Buddeberg-Fischer et al. 2002; Abele 2006), die nach wie vor Frauen stärker betrifft. Teilweise wird argumentiert, Mütter stiegen aus, insbesondere aus Universitätskarrieren oder Vollzeittätigkeiten, um sich um ihre Kinder zu kümmern (zur kritischen Diskussion vgl. Boulis/Jacobs 2008). Unser Material zeigt, wie auch »selbstgewählte« Ausstiege Ergebnis von nachträglichen Umdeutungen nach erfahrener Diskriminierung sein können.

Um den Gründen für das Geschlechterungleichgewicht im Einzelnen nachzugehen, führen wir in der Studie Karriereverläufe von Ärztinnen und Ärzten in der fachärztlichen Weiterbildung (karmed) [2] bundesweit und im Längsschnitt »themenzentrierte Interviews« (Löchel 1997; Rothe 2009a); interviewt werden je im Abstand von 18 Monaten Ärztinnen in »Doppelkarrierepaaren« sowie der Beziehungspartner oder die -partnerin. In der ersten Erhebungswelle wurden bundesweit 50 Einzelpersonen – 27 Ärztinnen, 22 Partner (zehn von ihnen Ärzte) sowie eine Partnerin – interviewt. Die Ärztinnen wurden aus einer Bandbreite von Fachrichtungen und Statusgruppen rekrutiert; die Altersspanne umfasst 28 bis 66 Jahre. Im Rahmen des »theoretischen Sampling« (Glaser/Strauss 1998, S. 45) wurden neben den Doppelkarrierepaaren auch drei alleinstehende Ärztinnen, darunter eine Alleinerziehende, sowie ein Chefarzt interviewt. Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, ihren beruflichen Alltag sowie dessen Verknüpfung mit dem Privatleben zu schildern. In der zweiten Erhebungswelle wurden von den 50 Personen 40 erneut zur beruflichen und privaten Entwicklung seit dem letzten Interview befragt. Derzeit wird die dritte Welle abgeschlossen.

Hintergrund der qualitativen Studie ist vor allem eine psychoanalytische Sozialforschung (vgl. Leithäuser/Volmerg 1988; Löchel 1997). Neben dem logischen und psychologischen Sinnverstehen zielt diese auf die Psychodynamik, das heißt auf latente Inhalte, die den Teilnehmenden unbewusst sind (zur ausführlichen Darstellung vgl. Leithäuser/Volmerg 1988; Löchel 1997; Decker et al. 2008; Rothe 2009a). Nach dem szenischen Verstehen, wie es Lorenzer (1973) zunächst für die psychoanalytische Behandlung entwickelt hat, lässt sich eine Erhebungssituation als Ensemble von Szenen begreifen, in die sich die Teilnehmenden gemeinsam mit den Forschenden involvieren und die auch von unbewussten Konflikt- und Abwehrformen motiviert sind, welche sich in der Situation (re-) inszenieren und welche sich auch im Sprechen vermitteln. Die transkribierten Interviewtexte enthalten demnach immer auch Szenen und Beziehungsangebote, die Figuren des Bedeutungsüberschusses entstehen lassen (Löchel 1997, S. 49). Es ist dieser Bedeutungsüberschuss, dem sich das szenische Verstehen sucht zu nähern, indem sich die Interpretation an durch den Text hervorgerufenen Irritationen, Brüchen und Widersprüchen im Text orientiert. Ferner werden dem Material Kernsätze entnommen, in denen Hauptthemen bzw. Konflikte von den Teilnehmenden in verdichteter Form zum Ausdruck gebracht werden (Leithäuser/Volmerg 1988, S. 238f). Im Folgenden haben wir Kernsätze als Überschriften für Abschnitte gewählt. Für die Auswertung unterscheiden wir in eine vertikale und eine horizontale Ebene (ebd.), wobei die vertikale die ausführliche Analyse eines gesamten Textabschnitts eines Interviews beinhaltet. Die horizontale Ebene zielt dagegen auf die Breitendimension. Angewandt auf ein Interview bedeutet dies das Herauskristallisieren von Themen über den gesamten Text, bezogen auf die gesamte Untersuchung über die verschiedenen Erhebungen hinweg. Dem systematischen Vergleich und der minimalen und maximalen Kontrastierung von Einzelfällen kommt eine zentrale Funktion im Interpretationsprozess zu (Schütze 1983, S. 287; Leithäuser/Volmerg 1988, S. 241f.).

Mit der skizzierten Methode versprechen wir uns erstens einen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf das Zusammenspiel der strukturellen Klinikbedingungen und der interpersonellen und intrapsychischen Dynamiken. Zweitens können wir uns mit dem szenischen Verstehen auch nicht bewussten Prozessen nähern und zeigen, wie Karrierebrüche das Ergebnis von Diskriminierungserfahrungen und nachträglicher Rationalisierung der damit einhergehenden Konflikte sein können. Schließlich erlaubt der Längsschnitt die Analyse der Prozesshaftigkeit der Karrierebrüche, indem wir sie verfolgen, während sie sich vollziehen.

In diesem Beitrag werden wir als erstes auf Ergebnisse zu Karrierebrüchen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft auf horizontaler Ebene eingehen, indem wir das Gemeinsame der Narrative anhand von Beispielen skizzieren. In einer komparativen Fallstudie im Rahmen einer minimalen Kontrastierung werden wir sodann zeigen, wie sich tradierte Bilder von Weiblichkeit und Mutterschaft erst im Kontext von beruflichen Abhängigkeitsbeziehungen in Kliniken durchsetzen. Im Verlauf realisieren sich solche tradierten Muster schließlich in den (Re-) Aktionen der Beteiligten und den beruflichen Beziehungen sowie den Paarbeziehungen. Die Ergebnisse der Fallstudien werden wir schließlich auf die horizontale Ebene rückbeziehen.

2. Schwangerschaft im Konfliktfeld beruflicher Beziehungen

In den Interviews der ersten Erhebungswelle finden sich in sechs von 20 Interviews (20 der 27 Ärztinnen waren Mütter oder schwanger) Narrationen über erfahrene Diskriminierung im Zusammenhang mit Schwangerschaft; fünf der Betroffenen hatten eine Universitätskarriere begonnen bzw. angestrebt, aus der sie in der Folge ausstiegen oder die sie unterbrachen. Als Kontrast sei hier auf zwei Chefärztinnen in unserem Sample verwiesen, die als Mütter in diese Position gelangten. Wir werden auf diesen maximalen Kontrast im Ausgang des Beitrags kurz zurückkommen. Insgesamt reichen die Narrative von mangelndem Respekt gegenüber der Schwangeren, über die Verletzung von Schutzrechten bis hin zu direkter Herabwürdigung und struktureller Diskriminierung, wenn der Vertrag während der Elternzeit ausläuft und in der Folge nicht verlängert wird. Allen sechs Narrativen inhärent ist die Position, dass Mutterschaft und eine Karriere an einer Universitätsklinik inkompatibel (oder, in einem Fall, nur mit äußersten Schwierigkeiten möglich) seien – eine Position, mit der sich die Ärztinnen teilweise selbst identifizieren oder die sie sich im Verlauf aneignen.

Zwei Ärztinnen an Universitätskliniken, die diese in der Folge verlassen, schildern die negativen Reaktionen auf ihre zweite bzw. dritte Schwangerschaft. So zitiert Frau Dr. Layton ihren damaligen Chef:

»›Wieso sind Sie schon wieder schwanger, Sie haben doch schon ein Kind?‹ und die Reaktion hat mir dann genau bewiesen, dass ich genau auf dem richtigen Dampfer war, mich nämlich von da zu verabschieden« (DCC I PL W, Pos. 54[3]).

Im Gegensatz zu den anderen Ärztinnen betont Dr. Layton von vornherein, dass Mutterschaft und Karriere an der Uniklinik inkompatibel seien und begründet so die eigene Entscheidung eine vom Chef angebotene Habilitationsmöglichkeit abzulehnen (ebd., Pos. 54). Gleichzeitig aber bringt sie zum Ausdruck, dass sie ihren Ausstieg aus der Klinik für mehrere Jahre bis zum folgenden Einstieg in die hausärztliche Praxis ihres Ehemannes als Karrierebruch erlebt hat (ebd., Pos. 82).

Eine Teilnehmerin schildert im Rückblick ihren Ausstieg aus der Universitätsklinik und ihre berufliche Laufbahn bis zur Oberärztin in Teilzeit an einem Kreiskrankenhaus. Im Zusammenhang mit ihrem beruflichen Werdegang schildert sie die Reaktion des damaligen Chefs auf ihre erste Schwangerschaft:

»und als ich dann schwanger war is- lief mein Vertrag aus und mein ehemaliger Chef hat […] dann gemeint, ›hm Frau Müntzer was mach ich denn mit Ihnen, schaun’se sich doch mal an, ☺[4]Sie sind doch eine Bewerberin dritter Klasse, Sie nimmt doch keiner schwanger wie Sie sind☺‹ […]. Also wenn ich mir das nachher überleg was dieser Arsch mir da gesagt hat« (DCC I PN, Pos. 85).

Zunächst zeigt das Zitat die erlebte Entwertung als professionelle Frau. Gleichzeitig weist die Formulierung »Sie nimmt doch keiner schwanger …« darüber hinaus auf eine als persönlich erlebte Entwertung, die sich auf Dr. Müntzer als Frau bezieht. In der Folge wird ihr schließlich eine Stelle in Teilzeit vermittelt, in der sie über die drei Erhebungswellen hinweg tätig bleibt. In anderen Fällen wird erst im Verlauf der Erhebungen umgedeutet, werden der Ausstieg gerechtfertigt, die Position der Inkompatibilität zu eigen gemacht und die beruflichen Ziele verändert. Ein Extrem stellt in dieser Hinsicht das Narrativ von Dr. Leske dar. Im Folgenden fokussieren wir auf die Karrierebrüche bei Dr. Weidestatt und Dr. Leske, da sich beide im Verlauf unserer Erhebungen vollziehen. Auch sind beide Ärztinnen zunächst gleichermaßen karriereorientiert und verheiratet mit Ärzten. Beide Paare sind zum Zeitpunkt der ersten Interviews als Doppelkarrierepaare im engeren Sinne zu bezeichnen[5]. Sie sind Anfang bis Mitte 30 Jahre alt und befinden sich je in fachärztlicher Weiterbildung in verschiedenen nicht operativen Fächern an Universitätskliniken, wobei jeweils ein Paar an derselben Klinik, aber in verschiedenen Abteilungen tätig ist. Alle vier haben befristete Verträge.

Dr. Kerstin Weidestatt arbeitet zum Zeitpunkt des ersten Interviews an ihrer Habilitation. Dr. Christoph Weidestatt zeigt sich als erfolgreich in der Forschung an der Uniklinik. Er hat bereits seine Habilitation abgeschlossen und berichtet von Aufstiegschancen im ersten Interview. Zum Zeitpunkt des ersten Interviews haben sie keine Kinder, doch ist sie schwanger.

»Naja, ist ja per se keine Krankheit«

Frau Weidestatt kommt im ersten Interview auf eine problematische Vertragsgestaltung zu sprechen, die eng verknüpft ist mit der Macht des Chefarztes. Da die Ausbildung an der weiterbildenden Klinik – obwohl Uniklinik und Maximalversorgungsbetrieb – nicht alle vorgeschriebenen Kriterien erfülle, sei es nicht möglich, alle für die Zulassung zur fachärztlichen Prüfung vorgeschriebenen Fertigkeiten zu erlernen. Daraus ergebe sich eine persönliche Abhängigkeit vom Chef, um dennoch die erforderlichen Bescheinigungen zu erhalten. Gleichzeitig laufe ihr befristeter Vertrag aus und Frau Weidestatt befürchtet kein Zeugnis zu bekommen, wenn sie die Abteilung auf eigenen Wunsch wechselte. Akut wird dieses Problem der persönlichen Abhängigkeit, als Frau Weidestatt schwanger wird und dies ihrem Chef mitteilt.

»Das macht mir viel Probleme derzeit auf meiner, äh, mit meiner Stelle, mein Chef ist sehr unglücklich dadrüber. Ähm, was vielleicht auch dazu beiträgt, dass ich mir lieber eine etwas, ähm, familienfreundlichere Abteilung suche« (DCC I PJ W, Pos. 141).

Die Formulierung, der Chef sei »unglücklich« über die Schwangerschaft irritiert und zeigt bereits einen Bedeutungsüberschuss an, stammt es doch aus dem Feld der Emotionen, des persönlichen Empfindens und persönlicher Beziehungen. Wie prekär und belastend die Situation für Frau Weidestatt ist, lässt sich unter anderem daran erkennen, dass sie nur zögerlich und auf mehrfaches Nachfragen der Interviewerin davon erzählt. Erst auf Nachfrage der Interviewerin (im letzten Drittel des anderthalbstündigen Interviews) schildert Frau Weidestatt die Reaktion des Chefs auf ihre Schwangerschaft ausführlicher:

»Ja, der reagierte mit ›oje::, naja, ist ja per se keine Krankheit‹. Ähm, und dann, ich bin in der Zeit in der, äh, in der Forschungsrotation, das heißt, ich, ähm, äh, bin überwiegend freigestellt zum Forschen für drei Monate, […] was jeder von uns, äh, irgendwann mal darf [KR: Mhm] Ähm, da wollte er mich dann gleich zurückziehen. Ähm, wo mir nicht viele ☺Deutungsmöglichkeiten☺ spontan [KR: Mhm] einfallen, warum [KR: Mhm] er das tun könnte. Ähm, und hat auch sofort dann von mir in der Vergangenheit gesprochen, und das hat mich schon ☺alles☺ sehr, aus der Bahn geschmissen« (ebd.).

Die Forschung erscheint als ein attraktives Feld, zu dem bei gerechter Aufteilung jede/r Zutritt habe. Erst in Verbindung mit ihrer Schwangerschaft wird diese Möglichkeit entzogen. Es wird deutlich, dass Frau Weidestatt aufgrund ihrer Schwangerschaft vom Chef diskriminiert wird, indem ihr willkürlich der Zugang zur Forschung entzogen wird. Sie verliert nicht nur ihre Rechte, sondern überhaupt den Status einer aktiven, anwesenden und einsatzfähigen Kollegin, wenn der Chef nur noch den Vergangenheitsmodus anwendet. Mit der Schwangerschaft wird Krankheit assoziiert, die die von ihr »Betroffene« behindert und aus Bereichen der Institution (die Krankheiten verwaltet und bekämpft) ausschließt.

Insgesamt fühlt sich Frau Weidestatt nicht nur ausgeschlossen, sondern ebenfalls »alleine« (ebd.) gelassen – auch von »Kollegen« erhalte sie »nicht so viel Verständnis«, da sie für Dienste ausfalle und bestimmte Aufgaben nicht mehr wahrnehmen dürfe (wegen der rechtlichen Mutterschutzbestimmungen). In der Folge erzählt Frau Weidestatt von ihrer Reaktion (»entsetzt«, ebd., Pos. 145) und dem aktiven Bemühen den Konflikt zu lösen – ohne Erfolg: Als Resultat ihrer Beschwerde »erlaubt« ihr der Chef zunächst, drei Tage pro Woche zu forschen und zwei Tage auf der Station zu arbeiten. Doch sei sie von einem Oberarzt auf einen Platz »gesetzt« worden, an dem sie »täglich mit infektiösen und […] Notfallpatienten zu tun« habe (ebd.) – was während der Schwangerschaft untragbar sei. Sie habe sich erneut beschwert, doch sei die Diskussion vom Chef »im Keim erstickt« (ebd.) worden. Frau Weidestatt erlebt ihren Ausschluss als »von außen«, durch den Chef bestimmt. In dem Augenblick, in dem sie mit Schwangerschaft bzw. Mutterschaft assoziiert wird, »als Frau« in Erscheinung tritt, erfährt sie »Sanktionen«. Die Schwangerschaft führt bei Frau Weidestatt schließlich zu einem systematischen und symbolischen Ausschluss aus der Abteilung. Sowohl die Reaktionen des Chefs als auch der Kolleginnen können als »Strafe« für die Schwangerschaft interpretiert werden. Für den Chef bedeutet sie persönliche Enttäuschung und Verrat, den Kollegen erscheint sie als Last und unsolidarisches Verhalten.

3. Eskalation – Aktivität – Resignation – Kompromissbildung

Im zweiten Interview schildert Frau Weidestatt (auf Nachfrage der Interviewerin) die weitere Eskalation des Konflikts, den sie als »ziemliche Schlammschlacht« (DCC II PJ W, Pos. 67) mit zahlreichen Sanktionen gegen sie bezeichnet. Beispielsweise habe sie in der gesamten verbleibenden Zeit keinen Gesprächstermin beim Chef bekommen. Nicht einmal zur Kündigung habe ein Gespräch stattgefunden. Ihr direkter Vorgesetzter habe sie nicht mehr in die Rotationsplanung einbezogen und auf ihre Nachfrage dies damit begründet, als Schwangere sei sie »immer krank« (ebd.), obwohl Frau Weidestatt während der gesamten Schwangerschaft lediglich vier Tage krank gewesen sei. Wir finden hier dieselbe Entwertung und »Pathologisierung« der schwangeren Frau wie in obigen Zitaten. Frau Weidestatt geht zunächst aktiv gegen erlebte Diskriminierung vor und scheitert darin in den beruflichen Beziehungen zu den Vorgesetzten. Schließlich verzichtet sie auf eine gerichtliche Auseinandersetzung. Insgesamt lässt sich nachvollziehen, wie Frau Weidestatt nach anfänglicher Aktivität den Konflikt sukzessive im »Privaten« bearbeitet. Sie habe »innerlich […] gekündigt« (ebd., Pos. 71) und psychologische Unterstützung bzw. »Coaching« erhalten. Diese »Konfliktlösung im 'Privaten' erscheint auch als Imperativ von außen, durch Kolleginnen vermittelt: »krieg dein Kind, sei weg, sei glücklich« (ebd., Pos. 73). Schließlich erscheinen Mutterschutz und Elternzeit zunehmend als ersehnt, nicht zuletzt, um aus der unerträglichen Arbeitssituation aussteigen zu können.

Frau Weidestatt übernimmt fast die gesamte Elternzeit und steigt daraufhin wieder in der Uniklinik ein, in der Abteilung ihrer Wahl auf Teilzeitbasis (50%). Damit verzögert sich die verbleibende Zeit bis zur fachärztlichen Anerkennung um einige Monate. Während der Elternzeit gelingt es Frau Weidestatt an ihrer Habilitation zu arbeiten. Somit ist dies (noch) kein Karriereabbruch. Doch macht Frau Weidestatt (zumindest vorübergehend) berufliche Kompromisse, um sich um die Tochter zu kümmern, während sich im gleichen Zeitraum die Karriere des Mannes – vom Assistenzarzt zum bereits habilitierten Facharzt und schließlich Oberarzt – rasant fortsetzt.

4. Abhängigkeitsbeziehungen an der (Universitäts-)Klinik

Wurde das Narrativ über die Diskriminierung von Frau Weidestatt durch die Abhängigkeitsbeziehung zum Vorgesetzten gerahmt, so ist dies nicht bloß als individuelles Problem zu verstehen. Vielmehr – so unsere Argumentation im Folgenden – bilden die Abhängigkeitsverhältnisse den strukturellen Rahmen, in dem sich die Karrierebrüche der Ärztinnen vollziehen. Wir unterscheiden Abhängigkeiten als strukturelle oder »äußere« auf der einen Seite und »innere« bzw. interpersonelle auf der anderen, wenngleich diese im Erhebungsmaterial unauflösbar miteinander verwoben sind. Auf der strukturellen Ebene sind gesellschaftlich allgemeine, sachliche Abhängigkeiten in Bezug auf Arbeits- und Vertragssituationen, Karriereverlauf sowie Entlohnung angesprochen. Dabei verweist unser Interviewmaterial auf eine besondere Schärfe der Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Chefärztin und Assistenzärztin durch eine Machtkonzentration in der chefärztlichen Position. Das heißt, dass Chancen zur Förderung und Weiterqualifikation (z.B. Habilitation) durch die eine Person gewährt werden oder nicht. So sehen sich Ärzte damit konfrontiert, dass Aufstiegsmöglichkeiten verweigert werden, z.B. indem zur Weiterqualifizierung notwendige Rotationen oder Forschungsprojekte nicht ermöglicht werden. Auch ist es bisweilen nicht möglich, alle für die fachärztliche Prüfung notwendigen Fähigkeiten zu erlernen – selbst in Häusern der Maximalversorgung. Somit liegt es wiederum in der persönlichen Entscheidung des Chefarztes dennoch ein Zeugnis auszustellen oder zu einer Prüfung zuzulassen. Über den strukturellem Rahmen hinaus und die rational begründbaren Interessenskonflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden lässt sich anhand des bisher zitierten Materials eine weitere Ebene ausmachen, die über das »rationale Maß« der formalisierten, hierarchisch strukturierten Arbeitsbeziehung hinausgeht. Sie scheint auf in der »überschießenden« Bedeutung der Reaktionen auf Schwangerschaften der Ärztinnen in den beruflichen Beziehungen.

Herr Dr. Weidestatt berichtet aus seiner Position als einer der »Assistentensprecher des gesamten Klinikums« folgendermaßen über die Abhängigkeit als strukturelle und zugleich persönlich interpersonelle:

»man kann auch sanktioniert werden, wenn man nicht mitspielt. [KR: Mhm.] Zum Beispiel dadurch, dass man nicht die Rotation kriegt, die man für den [KR: Mhm.] Facharzt braucht, so was gibt es, das ist gängiges Mittel […] das findet auch quer durch die Abteilungen statt. […] also das ist regelmäßig, dass die Chefs ihre Mitarbeiter sanktionieren, wenn die nicht so machen, wie die es wollen. Dann wird man plötzlich aus den Funktionen […] rausgenommen, wenn man jetzt nicht noch die Privatsprechstunde vom Chef mehr betreuen will« (DCC I PJ M, Pos. 94).

Auch erscheint das Thema der Abhängigkeit im Zusammenhang mit befristeten Verträgen, die als Druckmittel empfunden werden, Bedingungen gegen die eigenen Wünsche zu akzeptieren. So erzählt Frau Dr. Leske, wie sie nach der Geburt ihres ersten Kindes früher als gewünscht von einer 80%igen Arbeitszeit auf 100% gewechselt habe. Sie habe zugesagt aus Sorge, ihr Vertrag würde sonst nicht verlängert werden (DCC I PU W, Pos.36). Im Kontext der Konflikte im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft erhält die Abhängigkeit eine zentrale Bedeutung, wenn zum Beispiel, wie in einem unserer Fälle, der Vertrag während der Elternzeit ausläuft oder, wie bei Frau Weidestatt und Frau Leske, die Möglichkeit Forschung betreiben zu können, an die individuelle Entscheidung des Chefs gebunden ist. Das Erleben dieser Abhängigkeit ist von Ohnmacht gekennzeichnet, während die chefärztliche Position bisweilen explizit mit Allmachtsphantasien belegt wird:

»Es wird niemand kontrolliert. Die ärztlichen Direktoren, die Chefärzte haben die Allmacht [KB: mhm] und können bestimmen wer was macht, das is bei den Chirurgen die Operation, bei den Internisten die Rotation und die verschiedenen äh Untergruppierungen [KB: mhm] was’se alles für extra Sachen machen müssen. [KB: mhm] Und dessen Nase einem nich richtig gewachsen is der wird dann halt nich gefördert« (DCC I PZ W, Pos. 71).

Als Kontrastfälle erweisen sich Interviews, in denen von individueller Förderung oder elternfreundlicher Personalpolitik durch den Chef oder die Chefin berichtet wird – doch steht im Hintergrund dieselbe Machtkonzentration, die hier allerdings zugunsten der Assistenzärzte eingesetzt wird.

Im Folgenden wenden wir uns einem minimalen Fallkontrast im Interviewmaterial zu, der dazu dient, über die Unterschiede hinweg Gemeinsamkeiten in den strukturellen Bedingungen und den Konfliktdynamiken aufzuspüren.

5. Minimaler Fallkontrast

»Aber sobald ich als ich schwanger geworden war, wurde mir dann auch gesagt, dass das jetzt mit der Karriere ja vorbei is«

Wie bei Dr. Kerstin Weidestatt steht auch bei Dr. Karen Leske ein Konflikt mit dem Chef im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft als Ausgangspunkt eines Karrierebruchs, der sich schrittweise vollzieht. Allerdings steigt Frau Leske im Verlauf der Interviews endgültig aus der Universitätskarriere aus. Im Gegensatz zu Frau Weidestatt, die ihre Habilitation beenden wird und weiterhin einen Aufstieg anstrebt, gibt Dr. Leske die Karriereorientierung auf. Darüber hinaus entwirft sie im Rückblick des dritten Interviews ihre Balanceorientierung sowie ihre berufliche ›Identität‹ neu, wobei sie diese bereits an den Beginn ihrer beruflichen Laufbahn verlegt: als Fachärztin, für die eine patientenorientierte Tätigkeit im Vordergrund steht und die sie am besten in der Praxistätigkeit erfüllt sehe.

Frau Dr. Leske befindet sich im ersten Interview im Mutterschutz nach der Geburt des zweiten Kindes und beschreibt ihren Karrierebruch bereits teilweise rückblickend. Sie bringt eine anfängliche Karriereorientierung zum Ausdruck und den Wunsch zu habilitieren (DCC I PU W, Pos. 17). Demgegenüber stehen Bemerkungen der Vorgesetzten, die Mutterschaft und eine weitere Karriereförderung ausschließen. Zugleich beschreibt sie das Forschungsprojekt als unbefriedigend und schlecht unterstützt durch ihren Chef. So erzeugt sie ein Narrativ, in dem sie abwechselnd Opfer von Diskriminierung oder aber aktiv Handelnde ist, die bewusst schwanger wird, um aus der Karrierelaufbahn an der Uniklinik auszusteigen. Zunächst sieht sich Frau Leske auch in der Zukunft weiter als Ärztin an einer Uniklinik, in Vollzeit oder mit leicht reduzierter Stundenzahl: (ebd., Pos. 67) »weil ich jetzt auch nicht der bin, der nur zu Hause sitzt und macht. Ich fühl mich ja wohl auf Arbeit« (ebd.). Erst zum Ende des Interviews erwähnt sie die Option der Niederlassung für sich als realistisch (ebd., Pos. 128). Zum Zeitpunkt des zweiten Interviews ist Frau Leske nach erfolgreicher fachärztlicher Prüfung in einer Praxis als Fachärztin auf Teilzeitbasis (50%) angestellt. Als sie das dritte Mal interviewt wird, hat das Paar Leske inzwischen ein drittes Kind bekommen, Frau Leske ist in Elternzeit und wird die Teilzeitstelle in der Praxis weiterführen. Herr Leske dagegen bleibt kontinuierlich in Vollzeit an der Uniklinik beschäftigt mit Ausnahme zweier überlappender Monate Elternzeit gemeinsam mit der Ehefrau. Auch ist er kontinuierlich in der Forschung tätig, obgleich er von Beginn an eine geringer ausgeprägte Karriereorientierung zum Ausdruck bringt und eine Habilitation nicht aktiv anstrebt (DCC I PU M Pos. 66-67). Dennoch deutet sich sein Aufstieg an der Universität an, wenn Herr Leske im dritten Interview als Facharzt bereits oberärztliche Funktionen übernimmt.

Auf die Bitte der Interviewerin schildert Frau Dr. Leske im ersten Interview einen Tagesablauf von morgens bis abends. Die selbststrukturierte Erzählung beginnt sie mit einem Tag während des Mutterschutzes, um im Anschluss mit der Zeit zuvor in der Klinik fortzufahren.

»Ich kann ja auch […] noch’n Ablauf schildern, wie’s völlig ohne Kind war. Wobei ich mich da schon gar nicht mehr dran erinnere [KB: ☺(.)☺] Der Große is jetzt zweieinhalb, das heißt, das war dann (.) zwotausend war dann der letzte normale [KB: Mhm] (.) Zeit. Und da hab ich tatsächlich auch viele Überstunden gemacht, ne? Also da is man dann (.) oft auch abends um acht mal nach Hause gekommen. Aber sobald ich als ich schwanger geworden war, wurde mir dann auch gesagt, dass das jetzt mit der Karriere ja vorbei is (1) Dass ich die Habilitation jetzt vergessen kann und damit is man dann auch nicht mehr engagiert, ne? (DCC I PU W, Pos. 18).

Frau Leske verlegt das Jahr ihrer Kliniktätigkeit vor ihrer ersten Mutterschaft ins Jahr 2000 und damit um einige Jahre vor, was die empfundene Differenz zwischen den beiden Lebenssituationen, ihre vorherige Tätigkeit an der Uniklinik als »normal[..]« gegenüber der Zeit als Mutter unterstreicht, die damit als ›nicht normal‹, als abweichend erscheint und an die oben erwähnten Assoziationen zu Krankheit und Defizit erinnert.

Karrierebruch und Schwangerschaft werden gleichsam automatisch assoziiert in dieser zitierten Aussage des Chefs. Dies hat zur Folge, dass Frau Leske keine Überstunden leistet, die wiederum für eine Karriere an einer Universitätsklinik unerlässlich seien (ebd.). In dieser ersten Szene ist es der Chef, der ›verfügt‹, dass Habilitation bzw. Karriere und Mutterschaft nicht kompatibel seien. Im weiteren Verlauf kommt Frau Leske jedoch zu einer gegenteiligen Position, wobei eine Bewegung nachvollziehbar wird zwischen zwei Polen: der äußeren Zuschreibung und eigener Passivität, wenn der Chef über Frau Leske verfügt und als verantwortlich erscheint auf der einen Seite und dem Betonen der eigenen Entscheidungen, der eigenen Aktivität auf der anderen. So stellt Frau Leske das Habilitationsprojekt als wenig aussichtsreich dar und betont die eigene Entscheidung ein Kind zu bekommen, um damit aus dem Projekt auszusteigen, sobald sich dieses als nicht realisierbar darstellte.

»Und in dem Augenblick simmer dann auch schwanger geworden, weil’s die einzig sinnvolle Konsequenz war«

Frau Leske spricht zunächst begeistert über ihren Forschungsbereich, den sie »total spannend fand«, obwohl sie diesen von Beginn an »nicht selber ausgesucht« (ebd., Pos. 25) habe. Schließlich sei ihr von ihrem Chef »was empfohlen oder aufgedrückt« worden: ein Projekt von einer

»Kollegin, die sozusagen gegangen worden war, weil sie. Also mir wurde damals gesagt, die is jetzt’n Jahr schwanger [KB: Mhm] und die käme wieder und wir machen das dann gemeinsam. Aber eigentlich war das damals schon klar, bloß nicht für mich, dass die nicht wieder eingestellt werden wird, ne?« (ebd.).

Der eigenen Entscheidung und dem Konflikt mit dem Chef geht also die Geschichte der schwangeren Kollegin voraus. Erneut wird die Schwangerschaft mit »überschießender« Bedeutung versehen: Die Kollegin sei ein Jahr schwanger, nicht etwa ein Jahr in Elternzeit; auch bleibt unklar, warum sie während der Schwangerschaft aufgehört hat zu arbeiten oder aus der Forschung ausgestiegen ist und nicht erst mit dem Mutterschutz. Angelegt ist die Verantwortung des Chefs für den Ausstieg der schwangeren Kollegin. Der Nachfolger des Chefs habe schließlich direkt

»gesagt, dass das (.) kein, kein sinnvolle Habilitation wird [KB: Mhm mhm] Und in dem Augenblick simmer dann auch schwanger geworden, weil’s die einzig sinnvolle Konsequenz war [KB: Mhm] Weil wir hätten, ich hätte ja was Neues anfangen müssen« (ebd.).

In dieser Erzählung scheint die Begründung des Ausstiegs diametral zur vorherigen. War oben die Schwangerschaft der Auslöser, dass der Chef ihr von der Habilitation abgeraten habe, so ist sie nun als eigene Entscheidung »einzig sinnvolle Konsequenz« aus einem gescheiterten Forschungsprojekt; das Scheitern »begründet« die Schwangerschaft und den darauf folgenden Ausstieg aus der Universitätskarriere.

Die Verantwortung des Chefs als Auslöser steht wieder im Vordergrund, wenn Frau Leske erzählt, wie sich dieser in ihrer Gegenwart schlecht über die schwangere Kollegin geäußert habe. Frau Leske identifiziert sich an dieser Stelle so stark mit der Vorgängerin, dass sie beginnt in der ersten Person zu sprechen:

»Ja, was ich ja erlebt hab, ich hab’s ja an mir erlebt, an dieser Vorgängerin, ne? [KB: Mh], wie er die behandelt hat. Als die dann schwanger geworden war […] der hat da, also in meiner Gegenwart, sich über die geäußert, das war das war schlimm. Und da hat man halt gewusst, so, so würde’s mir gehen, wenn ich schwanger wäre […] Na: 'Die die is jetzt schwanger, da brauchen Se nicht erwarten, dass die jetzt wiederkommt. Und die wird das auch nicht wieder weitermachen.' So« (ebd., Pos. 32).

Die Kollegin habe dagegen erwartet, das Projekt fortzuführen nach ihrer Rückkehr (ebd.).

Frau Leske dient die Erzählung über die schwangere Kollegin, deren Nachfolgerin sie auch im Hinblick auf den Karriereausstieg wird, als Beleg für die Diskriminierung von Müttern an der Universitätsklinik. Im Folgenden allerdings schwankt sie erneut zwischen zwei Polen: einerseits ist sie passiv und abhängig von äußeren Entscheidungen (und Entwertungen), andererseits entscheidet und handelt sie aktiv, was sich auch in der folgenden Passage Ausdruck verschafft, wenn Frau Leske die ablehnende Reaktion ihres neuen Chefs kommentiert: »Und da hab ich dann gesagt: Naja also so geht’s nicht und hab’ schwanger geworden« (ebd. ).

Das aktive Ansetzen einer Handlung: »und hab« unterstreicht die Betonung eigener Aktivität – hier Aktivität zum »Karriereausstieg« – und lässt sich auch als Umgangsweise verstehen (Wendung von Passivität zur Aktivität). Gleich darauf jedoch verlässt Frau Leske die aktive Position zugunsten der Erwartung an den Chef als verfügende Autorität.

»Und hab dann dann natürlich och gefragt, wie jetzt die weiteren Ziele mit mir sind. Und da hat er mir klipp und klar gesagt, dass ’ne Habilitation ja dann jetzt nicht mehr in Frage kommt. (2) Ja [KB: Mhm] (1) Naja, so ist das« (ebd., Pos. 34).

Schließlich übernimmt Frau Leske aktiv die Position, dass Mutterschaft und Karriere nicht kompatibel seien und rechtfertigt diese:

»Und offensichtlich ist dem Chef dann klar, wenn man erst mal so’n kleines Kind hat und der Mann nicht drauf aufpassen kann, ne? […] Dann geht das gar nicht, ne, is gar nicht zu realisieren [KB: Mhm, mhm] Und da (.) ja halt die im Vorteil, die (.) die keine (.) Kinder haben [KB: Mhm] (1) Ja, Vorteil, ich sehe das halt nicht als Vorteil« (ebd.).

Indem Frau Leske zunächst vom Vorteil der Kinderlosigkeit spricht und dies sogleich negiert, deutet sich bereits an, dass sie den Karrierebruch als konflikthaft erlebt.

Das zweite Interview findet anderthalb Jahre nach dem ersten statt. Bei der telefonischen Terminabsprache reagiert Dr. Leske auf die Bitte zur nochmaligen Teilnahme mit den Worten: »Meine Karriere ist beendet. Ich bin nicht mehr an der Klinik. Aber das passt Ihnen vielleicht auch ins Konzept« (zitiert aus Gedächtnisprotokoll). Nach der Versicherung unseres Interesses sagt Frau Leske zu. Sie ist inzwischen nach erfolgreicher fachärztlicher Prüfung in einer Praxis als Fachärztin auf Teilzeitbasis angestellt. Während ihrer Elternzeit habe sie für diese gelernt und Doktoranden betreut. Das weitere »Ziel Habilitation, Oberarzt« habe sie bereits aufgegeben (DCC II PU W, Pos. 13).

Drei Monate vor Ende der Elternzeit habe sie ein Angebot für die Anstellung in einer Praxis bekommen: mit selbst bestimmter fester Arbeitszeit, ohne Dienste und Bezahlung zu einem höheren Tarif als an der Uni. Trotz des attraktiven Angebots sei sie beim Gespräch mit ihrem Chef an der Klinik enttäuscht gewesen, dass er ihr kein alternatives Angebot gemacht habe, damit sie bliebe. Sie zeigt sich aber äußerst zufrieden mit ihrer jetzigen Anstellung und der Verknüpfung mit der Betreuung ihrer beiden Söhne (ebd., Pos. 17).

Im selben Atemzug zeichnet sie einen Kontrast zum Klinikalltag, zu den dortigen beruflichen Beziehungen und insbesondere zur Forschung, die sie nun im Rückblick vollständig entwertet:

»Ich kann mir das nicht mehr vorstellen, dass ich das (.) ausgehalten hab dort. Immer diese Schikane von den Oberärzten [...] und irgendwelchen Forschungskram, der völlig unrelevant ist für, für die wirkliche Patientenversorgung. [KP: Mhm] Völliger Schwachsinn« (ebd.).

Dies steht im auffallendem Kontrast dazu, dass sie zuvor die Habilitation noch als Ziel benannt hatte und zur Schilderung im ersten Interview, in dem sie zunächst Freude an der Forschung geäußert und sich erst mit dem Scheitern des »aufgedrückt[en]« Projektes frustriert gezeigt hatte. Die vollständige Entwertung der Forschung – später ergänzt durch abfällige Bemerkungen über eine Professorin, die auch mit Kind weiter Karriere macht – wird verständlich bei der Annahme, dass Frau Leske den »Karriereausstieg« nach wie vor als konflikthaft erlebt und deshalb nachträglich legitimiert. So lässt sich im weiteren Verlauf des Interviews eine zunehmende Legitimation der Rückkehr zur komplementären Rollenverteilung in der Familie nachzeichnen.

Zunächst betont Frau Leske, dass auch ihr weiteres Ziel einer Subspezialisierung in ihrem Fachbereich zu erreichen, nun nicht mehr dringend sei. Wäre sie an der Uni geblieben, hätte sie das »durchziehen« wollen – doch gar um den Preis des »Überlebens[...]« (ebd., Pos. 31). Als Beleg für diese Unmöglichkeit führt sie eine Bekannte an, ebenfalls Ärztin an einer Klinik: »Drei Kinder, die ist jetzt nach, nach neun Monaten Burn-Out. Die ist nur noch krank geschrieben, [KP: Mhm] geht sozusagen jetzt zur Kur, also das ist die Hölle« (ebd., Pos. 33).

Dass Frau Leske so vehement Forschung und Karriere abwertet, spricht für einen nicht gelösten Konflikt im Hinblick auf die eigenen Wünsche. Dafür spricht auch die Abwertung ihres Karrierebruchs, wenn Frau Leske bei der Kontaktaufnahme spontan äußert, die »Karriere« sei bei ihr »vorbei« und wenn sie im Interview zweifelt, ob es überhaupt »verwertbar« sei (ebd., Pos. 162), da sie »nicht mehr das- Karriere mache«. Doch beeilt sie sich hinzuzufügen, sie mache jetzt »ganz andere Karriere«, die »viel toller« sei (ebd., Pos. 164).

6. Entwertung versus Idealisierung

Durch das erste Interview mit Frau Leske ziehen sich Erzählungen von erlebten Entwertungen als Frau bzw. als Mutter, die wir weiter unten beleuchten werden. Im zweiten Interview steht diesen die aktive Abwertung von »Karrierefrauen« gegenüber. Anhand von zwei Belegerzählungen über eine Verwandte und eine Professorin an der Uniklinik entwirft Frau Leske das Bild von Ärztinnen, denen lediglich mit »Ellenbogen« und »Intrigen« (DCC I PU W, Pos. 171) der Aufstieg gelingt. So habe eine Professorin nur durch »[H]interfotzig[keit]« (ebd., Pos. 163) Karriere machen können, Frau Leske dagegen nicht, weil sie nicht so sei: »das ist der Unterschied« (ebd.). Auch das Bild der »Rabenmutter« wird evoziert: »Frau Professor gibt ihr Kind mit acht Wochen in die Krippe« (ebd., Pos. 165). Insgesamt sei eine ärztliche Karriere für Frauen nur möglich mit unlauteren Mitteln oder werde ermöglicht durch Willkür und Förderung des Chefarztes.

Als andere Seite der Abwertung der Karrierefrauen und der Uniklinik lässt sich dagegen die Naturalisierung von traditioneller Rollenverteilung verstehen. So spricht Frau Leske zum Ende des Interviews über eine Kollegin, von der der Chef geschwärmt habe und von der er den Wiedereinstieg in die Unikarriere erwarte. Diese aber sei zu Hause und träume vom nächsten Kind:

»Nix Karriere. [KP: Mhm] (.) Das ist halt so. Den Frauen ist das nicht gegeben, ne, wenn da einmal das Kinderleuchten dann ist. [KP: Mhm] ☺(.)☺ Das ist das ist halt irgendwie anders, ne« (ebd., Pos. 171).

Dieses Bild »der Frau«, die naturgemäß »anders« sei und in der Mutterschaft aufgehe, wird zum Ende des Interviews ergänzt durch die Betonung des eigenen Verzichts (ebd., Pos. 176).

Was in Frau Leskes Narrativ aufgerufen wird, ist das kulturell tradierte polarisierte oder gespaltene Bild von Weiblichkeit zwischen Idealisierung und Abwertung, wie seit Langem Gegenstand der Geschlechterforschung (de Beauvoir 1949, Benjamin 1993, von Braun 2006), wie u.a. im Bild der idealisierten »guten« Mutter versus der »Rabenmutter« und Karrierefrau. In der Psychoanalyse ist dies gespaltene Bild vielfach diskutiert worden, sowohl im Hinblick auf die kollektive Bedeutung als auch die individuelle Genese, wenn lebensgeschichtlich frühe Mutterbilder dadurch gekennzeichnet sind, dass »gut« und »böse« noch nicht integriert werden können und ein »allmächtiges, nur gutes Objekt« einem »allmächtigen, nur bösen« gegenübersteht (Klein 1928, S. 168, Chasseguet-Smirgel 1964, S. 159). Begründet liegt dies darin, dass wir als Säugling lange in ohnmächtiger Position sind, in der wir ohne den/die Andere/n nicht überleben können. Das Kind ist real abhängig von Erwachsenen (im traditionellen Geschlechterarrangement von der Mutter). So ist in feministischer psychoanalytischer Literatur der Topos der Phantasie der »allmächtigen Mutter« zentral (Chodorow 1978, Rhode-Dachser 1992, S. 137–141, Benjamin 1993). Bereits Chasseguet-Smirgel (1964, S. 159) interpretierte Freuds Entwertung »der Frau« als »kastriert« in seiner Theoriebildung als Abwehr der kollektiven, also gesellschaftlich überindividuell bedeutsamen Phantasie der »allmächtigen Mutter«. Die oben zitierten Entwertungen und Pathologisierungen der schwangeren Ärztinnen durch die Chefärzte mag auf eben eine solche Abwehr deuten. Nach dieser These würden die schwangeren Ärztinnen in den oben zitierten Szenen das Thema der Abhängigkeit (z.B. gegenüber der eigenen Mutter) evozieren und Abwehr mobilisieren.

Das Hin und Her im Narrativ von Frau Leske sowie die Entwertung der Karrierefrau auf der einen und die schließliche Naturalisierung und Idealisierung der »traditionellen Mutter« auf der anderen Seite verweist auf eigene konfligierende Identifikationen: als professionelle Frau mit dem Ideal der Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber Bildern von entwerteter versus idealisierter Weiblichkeit/Mutterschaft auf der anderen. Im Folgenden wenden wir uns den von Frau Leske erlebten Entwertungen als Frau/Mutter durch Vorgesetzte an der Klinik zu.

7. Erlebte Entwertung als Frau / Mutter

Durch das erste Interview mit Frau Leske zieht sich wie ein roter Faden das Thema der (Un)Vereinbarkeit von Familie und ärztlichem Beruf an der Uniklinik, die von erlebten Entwertungen begleitet werden. Zunächst stehen Erzählungen über die Benachteiligung von Müttern durch die Vorgesetzten im Vordergrund. Es klingen Assoziationen zu Defizit und Schwäche an, die besonders deutlich in der folgenden Szene zum Ausdruck kommen. Frau Leske empört sich über den Chef, der sie als Hochschwangere in einem berufsrechtlichen Konflikt nach Hause schickt:

»ich war halt so achter Monat, neunter Monat, und da sagt der: ›Regen Sie sich mal nicht auf, dass Sie hier nicht noch äh entbinden, gehen Sie mal lieber nach Hause‹, und und das fand ich soo schlimm, ich mein, wie kann man denn’ Das war nich’ klar, war ich erregt, aber es [KB: Mhm] hatte ja auch’n Grund. Und das einfach so abzutun hier: ›Na Sie sind schwanger, nun regen Sie sich mal nicht so auf, das is [KB: Ausatmen] nicht gut für Sie‹. Das war ganz schlimm« (ebd.).

In dieser Szene wird die Schwangere nicht mehr als in der Lage gesehen, als professionelle Person zu handeln; sie erscheint reduziert auf ihre Körperlichkeit, auf »Weiblichkeit«, die über die sichtbare Schwangerschaft gleichsam »dingfest« gemacht wird. Die Schwangerschaft wird zum Symbol eines tradierten Bildes von Weiblichkeit, das mit Mutterschaft in eins fällt; mit anderen Worten: die Ärztin wird im Moment der Schwangerschaft (hier in den Augen des Chefs) zur Mutter und auf diese Position reduziert. Frau Leske fühlt sich von Vorgesetzten »abgeschoben« (ebd., Pos. 57). Die Schärfe dieser Aussage und der tatsächliche Ausstieg aus der Universitätskarriere deuten auf einen verinnerlichten Konflikt, der verdichtet in folgender Szene zutage tritt. Frau Leske schildert, wie sie zu Beginn ihrer ärztlichen Tätigkeit ungerechtfertigt vom Chef gedemütigt wird. Sie nimmt einen Kollegen, der einen Fehler gemacht habe, dem Chef gegenüber in Schutz, indem sie sich in die Verantwortung einbezieht: »Also wir ham Sie vielleicht falsch verstanden, wie Sie das gesagt ham«. Obgleich viele Jahre zurückliegend (»da war ich jung«), wird die Reaktion des Chefs als zugleich brutal und demütigend erinnert.

»und da hat er mich in seine Kammer genommen, oder in’n Stationszimmer [KB: Mhm], sozusagen unter vier Augen, und hat mich angebrüllt: ›Soll ich ihnen das etwa auf die Haut tätowieren?’ ☺(.)☺ [KB: Ausatmen] Und das muss man sich mal überlegen. Ich mein, das is’ das war schlimm« (ebd., Pos. 110).

Zentral für die Entwertung ist – wie in der Erzählung über die Schwangerschaft –, dass diese vom Chef ausgeht, der Frau Leske in ungerechtfertigter Weise als Ärztin, als professionelle Frau herabsetzt. Frau Leske interpretiert die Entwertung gegen sie als jung und als Frau, Positionen, die in diesem Kontext auf zweifache Weise Vulnerabilität und Abhängigkeit unterstreichen. In der geschlechtlich »aufgeladenen« Beziehung mag das Bild des Tätowierens eine »männliche« Besitznahme vom weiblichen Körper evozieren. Diese direkte Verfügung des Chefs über ihren Körper lässt sich damit als Metapher lesen, in der sich die Bedeutungsfacetten der zentralen Beziehungsfigur der Abhängigkeit verdichten. Frau Leske empört sich über die Herabsetzung, kann ihr aber in der abhängigen Position der Assistenzärztin nichts entgegensetzen. Die Assoziation von Weiblichkeit, Abhängigkeit und Schwäche wird hergestellt und findet allenfalls Widerspruch in der nachträglichen Empörung. Die Szene würde deshalb so brutal und demütigend erlebt, weil die Ungerechtigkeit der Beschimpfung / Bestrafung gekoppelt ist mit der buchstäblichen Eingravierung – Verkörperung – der geschlechtlich »aufgeladenen« Abhängigkeit. Der Akt, sich vor den Kollegen zu stellen, ist außerdem ein nobler, für den Frau Leske auf der einen Seite fühlen mag, eine Belohnung verdient zu haben. Gleichzeitig erscheint der Akt einem »weiblichen« Ideal einer »stillen Aufopferung« (vgl. Hausen 1976; Honnegger 1991) nahe zu kommen. Doch anstatt für diesen Akt belohnt zu werden, empfängt sie die »Strafe«. Die Demütigung trifft damit stärker und bestätigt gleichzeitig die Identifizierung mit einem abgewerteten Bild von Weiblichkeit. Mit dieser Identifizierung einher geht der Wunsch an eine »gute väterliche«, verfügende Figur, die ihre Macht zum Wohle der statusniedrigeren und abhängigen Frau einsetzen möge, er möge »zu ihrem Besten« über sie verfügen und entscheiden. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn Frau Leske erzählt, wie sie beim Gespräch mit dem Chef über ihren Ausstieg aus der Universitätsklinik enttäuscht gewesen sei, dass er ihr kein alternatives Angebot gemacht hat, damit sie bliebe (ebd., Pos. 13). Die Empörung sowie die Betonung der eigenen Aktivität deuten dagegen auf den Wunsch der »passiven«, entwerteten »weiblichen« Position die des autonomen aktiven Subjektes entgegenzusetzen. Das Bild der »naturgegebenen Weiblichkeit«, die mit Mutterschaft gleichgesetzt wird (s.o.), dient nach dieser Interpretation zum einen dazu, die erlebte Demütigung zu kompensieren. Auch legitimiert es Frau Leskes »Karriereausstieg« im Rückblick und ermöglicht ihr sich mit dem Bild und Imperativ der »guten Mutter« zu identifizieren (als »entspannte Mami«, die »entsprechend ganz liebe Kinder« (ebd., Pos. 13) habe, während die andere Seite des gespaltenen Bildes auf die Karrierefrauen, die »hinterfotzig« (s.o.) seien, projiziert wird.

Darüber hinaus stabilisiert Frau Leske die Beziehung mit ihrem Ehemann: Nachdem sie im ersten Interview von einem heftigen Streit berichtet hatte, da dieser die Elternzeit nicht aufteilen wollte, taucht keinerlei Disput im zweiten Interview auf. Herr Leske erwähnt den Konflikt zu keinem Zeitpunkt. Das Ineinandergreifen der »Beziehungsfallen« (Koppetsch/Maier 1998, S. 159) in der Klinik und zu Hause soll hier jedoch nicht näher diskutiert werden.

8. Abhängigkeitsbeziehungen und der Prozess der Identifikation mit einem polarisierten Bild von Weiblichkeit

An dieser Stelle stehenzubleiben allerdings bedeutete, zu psychologisieren und das strukturelle Moment der beruflichen Abhängigkeitsbeziehungen zu übersehen, ohne das sich die Retraditionalisierung beim Paar Leske (und anderen Paaren) nicht ausreichend begreifen lässt. Unser Anliegen dagegen ist, die Karrierebrüche prozessual sowie als Ergebnis eines Ineinandergreifens der strukturellen Bedingungen, der interpersonellen Dynamiken und der intrapsychischen Verarbeitung zu verstehen.

Die Konflikte um die Schwangerschaften von Dr. Leske und Dr. Weidestatt ziehen in beiden Fällen einen signifikanten Karrierebruch nach sich, da sie sich in Abhängigkeitsverhältnissen realisieren, die typisch für Klinikmilieus sind. Neben den strukturellen Abhängigkeiten sind hierbei insbesondere die persönlichen Abhängigkeiten von Bedeutung. Der Chefarzt von Frau Weidestatt kann bereits gewährte Arbeitskonditionen zur Unterstützung der Forschung willkürlich und ohne Angabe von Gründen rückgängig machen. Die strukturell bedingten Einschränkungen der Einsatzbereiche der schwangeren Ärztin werden entgegen jeder rationalen Einsatzplanung insofern konterkariert, als sie, wie zur Bestrafung für ihre Schwangerschaft, in Bereiche versetzt wird, die den Schutzbestimmungen widersprechen und schließlich nicht mehr im Rotationsplan berücksichtigt wird. Eine Klärung des Sachverhalts kann der Chefarzt durch Gesprächsverweigerung unterbinden. Bei Frau Dr. Leske offenbaren sich die Abhängigkeitsverhältnisse einerseits als strukturelle, wenn sie ihre vertragliche Situation und eine schwache Verhandlungsbasis schildert. Sie zeigen sich auf eine subtile interpersonelle Weise, wenn die »Verfügung« des Chefs, dass Schwangerschaft und Mutterschaft das Ende der Karriere bedeuten würden, letztlich von Frau Dr. Leske zur eigenen Position gemacht wird, obwohl es zunächst als Affront und Verletzung beschrieben wird. Im Unterschied zu Dr. Weidestatt wird der Konflikt nicht offen ausgetragen, sondern durch antizipierende Vermeidung und letztlich (Re-) Internalisierung eines polarisierten Frauen-/Mutterbildes bearbeitet. Nach der Konfrontation durch den Chef mit dem Entweder-Oder von Karriere und Mutterschaft macht sich Frau Leske diese Position der Inkompatibilität zu eigen. Nachdem sie vom Chef als abhängige, schwache »Frau=Mutter« identifiziert wird, identifiziert sich Frau Leske zunehmend mit dieser Position. Wir schreiben also (Re-) Internalisierung, um zum Ausdruck zu bringen, dass Frau Leske sowohl identifiziert wird und in der Folge die Position des Chefs übernimmt, als auch, dass dies bereits auf vorausgehende Identifikationen auf Seiten Leskes trifft, ohne die die Konfrontationen kaum eine solche Wirksamkeit entfalten könnten. Die Konfrontation von außen mag demnach rückverweisen auf den grundlegenden Mechanismus der Identifizierung für die Subjektwerdung, dem ebenfalls die Identifikation durch die ersten Anderen eines Kindes vorausgeht (Laplanche/Pontalis 1973, S. 220; Rothe 2009b).

Der Karrierebruch bei Frau Leske stellt über alle Interviews hinweg insofern einen Extremfall dar, als die Kluft zwischen anfänglicher Karriereorientierung und der Umdeutung der eigenen Ziele im Rückblick besonders groß ist. Was hier am »Extremfall« sichtbar wird, vermag aber ebenfalls Licht auf die anderen Karrierebrüche innerhalb der Abhängigkeitsstrukturen an den Universitätskliniken werfen. Insbesondere in den Fällen, in denen die Ärztinnen die Position, dass Mutterschaft und Karriere inkompatibel seien, übernehmen oder vertreten, wird der Karriereausstieg zum Weg aus einem Konfliktfeld innerhalb beruflicher Abhängigkeitsbeziehungen, indem er zum Ergebnis der eigenen Entscheidung und somit zum Symbol von Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber der Abhängigenposition in der Klinik wird.

9. Maximaler Fallkontrast

Als Kontrast möchten wir schließlich auf zwei Chefärztinnen in unserem Sample verweisen, die als Mütter in diese Position gelangten. Ohne dies hier ausführlich zu dokumentieren, sei zusammengefasst, was die maximalen Kontraste in unserem Material auszeichnet. Prof. Dr. Gruber und Prof. Dr. Albert-Scholey werden im Laufe der Erhebungen als Mütter in Doppelkarrierepaaren Chefärztinnen. Das Paar Gruber bekommt bereits zu Beginn ihrer Kliniklaufbahn ein Kind, noch vor ihrer fachärztlichen Weiterbildung. Das Paar Albert-Scholey bekommt ihr erstes Kind, nachdem sie bereits die Position einer stellvertretenden Klinikdirektorin erreicht hat. Neben einer ausgeprägten Karriereorientierung beschreiben beide Ärztinnen äußerstes Engagement in der Forschung sowie (punktuelle) individuelle Förderung durch Vorgesetzte. Was beide Paare jedoch besonders auszeichnet, wie wir an anderer Stelle darstellen, ist die bewusste Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen und eine tendenzielle Umkehrung des traditionellen Modells in der Paarbeziehung. (Beim Paar Albert-Scholey erlebt der Mann einen Karrierebruch, nachdem er die Fürsorgerolle als Vater eingenommen hat und – ähnlich wie Frau Dr. Weidestatt – berufliche Kompromisse eingeht.)

10. Fazit

Wenn in der medizinpsychologischen Literatur als Grund für das Geschlechterungleichgewicht in der Medizin die Unvereinbarkeit von ärztlichem Beruf und Familie genannt wird, so greift dies nicht nur zu kurz, sondern geht am eigentlichen Problem größtenteils vorbei. Wir konnten zeigen, wie sich tradierte Bilder von Weiblichkeit und Mutterschaft erst im Kontext von beruflichen Abhängigkeitsbeziehungen in Kliniken durchsetzen. Auch »selbstgewählte« Karriereausstiege erscheinen dabei im Licht der Abhängigkeitsbeziehungen als Ergebnis von nachträglichen Umdeutungen nach erfahrener Diskriminierung. Im Verlauf realisieren sich solche tradierten Muster schließlich in den (Re-) Aktionen der Beteiligten und den beruflichen Beziehungen sowie den Paarbeziehungen. Im Extremfall geht die Diskriminierung mit der (Re-) Internalisierung eines polarisierten Frauen-/Mutterbildes einher und mit der schrittweisen Legitimation und Naturalisierung von traditioneller Rollenverteilung. Was hier am »Extremfall« sichtbar wird, vermag aber ebenfalls Licht auf die anderen Karrierebrüche innerhalb der Abhängigkeitsstrukturen an den Universitätskliniken werfen. Der Karriereausstieg wird zum Weg aus einem Konfliktfeld innerhalb beruflicher Abhängigkeitsbeziehungen, indem er zum Ergebnis der eigenen Entscheidung und somit zum Symbol von Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber der Abhängigenposition in der Klinik wird. Als Konsequenzen für die Praxis schlagen wir vor: Eine Demokratisierung der (Universitäts-) Kliniken, eine bessere Strukturierung und Transparenz der fachärztlichen Weiterbildung, Aufnahme von Gender Studien in das Curriculum der Humanmedizin.

Literatur

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Beauvoir, Simone de (1949): Deuxième sexe: Les Faits et les Mythes, Paris (Gallimard).

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Endnoten:

[1]

Wenn möglich, wird ein genderneutraler Plural verwendet; ansonsten wird die feminine und maskuline Form abgewechselt, wenn beide Geschlechter angesprochen werden.

[2]

Die Längsschnittstudie Karriereverläufe von Ärztinnen und Ärzten in der fachärztlichen Weiterbildung (KarMed) wird seit 2008 vom BMBF und ESF im Rahmen des Themenschwerpunkts «Frauen an die Spitze« gefördert (Förderkennzeichen 01FP0801 und 01FP0802).

[3]

Alle Namen wurden anonymisiert. Die Zitierung der Transkripte (DCC) beginnt mit der Reihenfolge der Erhebungswelle; es folgt die Nummerierung der Paare von PA bis PZ, W steht für ›weiblich‹, M für ›männlich‹. Schließlich wird die Positionsangabe der Auswertungsdatei (Software MAX-QDA) genannt.

[4]

☺Text umrahmt von Smileys☺ steht für ›lachend‹ gesprochen«, ☺(.)☺ für Lachen.

[5]

Zur Kategorisierung der beruflichen Orientierungen sowie der Karriereorientierung s. Rothe et al. (2012).

Über die AutorInnen

Katharina Rothe

Katharina Rothe, Dr. phil., ist Psychologin und Sozialforscherin und zurzeit in psychoanalytischer Ausbildung am W.A. White Institute in New York. Zuletzt war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung« (BMBF, ESF) an der Universität Leipzig. Sie arbeitet qualitativ und psychoanalytisch orientiert zu den Folgen des Nationalsozialismus, in der Rechtsextremismus-, Antisemitismus- und Genderforschung sowie zu Stigmatisierungen, aktuell im Bereich der Psychoseforschung.

Dr. Katharina Rothe W.A. White Institute 20 W 74th St New York, 10023, NY USA

E-Mail: rotkathz@gmail.com

Kathleen Pöge

Kathleen Pöge, M.A., promoviert im Fach Soziologie im Bereich Geschlechterforschung an der Universität Kassel und ist Hans-Böckler-Stipendiatin. Sie war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt »Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung« (BMBF, ESF) an der Universität Leipzig. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Migrationssoziologie, Rechtsextremismusforschung und Postkoloniale Studien.

Kathleen Pöge Philosophenweg 54 34121 Kassel

E-Mail: kpoege@gmx.de

Carsten Wonneberger

Carsten Wonneberger, Dipl.-Psych., war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt »Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung« (BMBF, ESF) am Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf sowie an der Universität Leipzig.

Prof. Dr. Dorothee Alfermann Universität Leipzig – Sportpsychologie Jahnallee 59 04109 Leipzig

E-Mail: carsten.wonneberger@uni-leipzig.de

Dorothee Alfermann

Dorothee Alfermann, Prof. Dr. phil., Dipl.-Psych., vertritt den Lehrstuhl für Sportpsychologie an der Universität Leipzig. Sie leitet die Leipziger Teilstudie des Verbundprojektes »Karriereverläufe und Karrierebrüche bei Ärztinnen während der fachärztlichen Weiterbildung« (BMBF, ESF). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschlechterforschung sowie Karriereentwicklung im Sport und im Beruf.

Prof. Dr. Dorothee Alfermann Universität Leipzig – Sportpsychologie Jahnallee 59 04109 Leipzig

E-Mail: alferman@uni-leipzig.de