Verunsicherung und Eigensinn. Bildungsarbeit in Reorganisationsprozessen

Karin Lohr, Thorsten Peetz & Romy Hilbrich

Zusammenfassung

Wir diskutieren in diesem Artikel ausgewählte Ergebnisse des Forschungsprojekts »Bildungsarbeit im Umbruch?«, in dem wir die Konsequenzen bildungspolitischer Reformen für Arbeit und Organisation im Bildungssystem untersucht haben. Dabei konzentrieren wir uns auf zwei Problembereiche. Wir zeichnen, erstens, die Verunsicherungsprozesse nach, die die Stellenstrukturen und die professionelle Identität der Beschäftigten betreffen. Daran anschließend untersuchen wir, zweitens, den Eigensinn der Beschäftigten, der sich in ihrem Umgang mit Organisationsreformen beobachten lässt. Wir schließen mit einer Reflexion zum Wechselverhältnis zwischen Organisationsreformen und daraus resultierenden Verunsicherungen und dem Eigensinn der Beschäftigten.

Schüsselwörter: Bildungsreform, Bildungsorganisationen, Professionen, Identität, Eigensinn

Keywords: Organizational sociology, Educational reform, educational organizations, professions, identity, Eigensinn

Summary

This article discusses selected results from the research project »Educational Labour in Transition« that analyzed the consequences of educational policy reform on labor and organizations within the educational system. We focus on two issues: First, we reconstruct the increasing uncertainty of positional structures and professional identities. Second, we observe the «Eigensinn” of educational workers that expresses itself in their way of tackling organizational reforms. We close our discussion by reflecting on the interaction of educational, increasing uncertainties and employees’ Eigensinn.

Schüsselwörter: Bildungsreform, Bildungsorganisationen, Professionen, Identität, Eigensinn

Keywords: Organizational sociology, Educational reform, educational organizations, professions, identity, Eigensinn

1. Einleitung

In kaum einem anderen gesellschaftlichen Teilbereich wurden die Verhältnisse in den vergangenen Jahren derart in Bewegung gebracht wie im Bildungssystem. PISA & Co. sowie der Bologna-Prozess haben zu einer Reihe politischer Initiativen geführt, die zur Steigerung der Qualität des Bildungssystems beitragen sollen. Notwendig erscheint dies dem Gros der bildungspolitischen Kommentator/inn/en vor allem vor dem Hintergrund des proklamierten Wandels zur »Wissensgesellschaft«: Um auf globalisierten Märkten bestehen zu können, müsse nicht nur verstärkt »Humankapital« gebildet, sondern der Bildungsprozess als solcher effektiver und effizienter organisiert werden. Für die Organisationen des Bildungssystems schlägt sich dies in einem gesteigerten Veränderungsdruck nieder, der sich in Erwartungen zur Reorganisation, die am rationalen Organisationsmodell des Unternehmens (vgl. Meier 2012) orientiert sind, ausdrückt.

Vor diesem Hintergrund präsentieren wir hier ausgewählte Ergebnisse des Forschungsprojekts »Bildungsarbeit im Umbruch?«, in dem wir die Konsequenzen bildungspolitischer Reformen für Arbeit und Organisation im Bildungssystem untersucht haben (3).[1] Wir konzentrieren uns auf die Diskussion von zwei interessanten Problembereichen: Zum einen zeichnen wir die Verunsicherungsprozesse nach, die insbesondere die Stellenstrukturen und die professionelle Identität der Beschäftigten betreffen (4). Zum anderen werfen wir einen Blick auf den Eigensinn der Beschäftigten (5), der sich anhand ihres Umgangs mit Organisationsreformen beobachten lässt. Wir schließen mit einer Reflexion zum Wechselverhältnis zwischen Organisationsreformen und daraus resultierenden Verunsicherungen einerseits und dem Eigensinn der Beschäftigten andererseits (5). Bevor wir uns der Empirie zuwenden, werden wir im nun folgenden Abschnitt (2) jedoch kurz den theoretischen Bezugsrahmen des Forschungsprojektes vorstellen.

2. Bildungsorganisationen, Bildungsarbeit und Eigensinn – Theoretische Perspektiven

Organisation ist nicht gleich Organisation – und Arbeit nicht gleich Arbeit. Wenn man den Spezifika unterschiedlicher Arbeits- und Organisationsformen auf die Spur kommen will, dann bietet es sich an, die organisations- und gesellschaftstheoretischen Überlegungen Niklas Luhmanns (1988, 1998, 2000) zu Rate zu ziehen. Mit Blick auf Luhmann wird deutlich, dass sich Organisationen auf unterschiedliche gesellschaftliche Funktionssysteme beziehen und dass dieser Bezug prägend für die Ausgestaltung organisationaler Strukturen ist (Peetz/Lohr 2010; Tacke 2001): Die organisationalen Entscheidungsstrukturen – Programme, Kommunikationswege, Personen und Stellen – variieren in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Problemen, deren Bearbeitung sie spezifizieren. So werden (bzw. wurden zumindest lange Zeit) zum Beispiel Krankenhäuser anders strukturiert als Industrieunternehmen. Diesen Unterschied kann man auf unterschiedliche gesellschaftliche Bezugsprobleme »ihrer« Funktionssysteme zurückführen. Relevant ist der Gesellschaftsbezug darüber hinaus auch für die Selbstbeschreibungen, mit denen Organisationen eine spezifische Organisationsidentität ausbilden (vgl. Kirchner 2010; Seidl 2003).

Bildungsarbeit und Bildungsorganisationen beziehen sich auf das gesellschaftliche Problem der Bildung von Personen (Luhmann 2002), das durch die Einrichtung von Lehr-Lern-Verhältnissen bearbeitet werden soll (Lohr/Peetz/Hilbrich 2013). Die Konstruktion von Personen in Bildungsprozessen sieht sich dabei vor das Problem gestellt, dass ihr Gegenstand (Personen) keine rein »objektiven« Qualitäten aufweist, sondern gemeinhin als »Subjekt« gefasst wird. Und Subjekte sind eigensinnig, oder, in einer anderen Theoriesprache, »nicht-triviale Maschinen« (Heinz v. Foerster). Damit stößt ein in Bürokratien oder Wirtschaftsunternehmen erprobter Weg der Leistungsproduktion, die Programmierung, Standardisierung und Generalisierung von Verwaltungs- und Produktionsvorgängen, im Bereich der Bildung an seine Grenzen. Subjekte zeigen nicht nur eine gewisse Autonomie gegenüber Veränderungserwartungen, schon ihre Funktionsweise ist nicht hinreichend durchsichtig. Die Transformation von gelehrtem Wissen in gelerntes Wissen ist aus diesem Grund nicht in einfache Kausalverhältnisse übersetzbar. Dan Lortie (1969, S. 9) spricht entsprechend von der »relative unrationalized nature of teaching technique«. Aus systemtheoretischer Perspektive wurde dann die These formuliert, »daß das Erziehungssystem strukturell durch ein Technologiedefizit geprägt« ist (Luhmann/Schorr 1982, S. 14).

Das aus dem Gesellschaftsbezug von Bildungsorganisationen resultierende organisationale Problem der Bildung trotz Technologiedefizit prägt sowohl die organisationalen Strukturen von Bildungsorganisationen als auch die Arbeit von Personen in ihnen und hat sich in historisch gewachsenen Strukturkonfigurationen und Arbeitsmustern verfestigt. Stichpunktartig können diese wie folgt zusammengefasst werden:

Diese Eigentümlichkeiten von Bildungsorganisationen, die sich auch in ihrer Organisationsidentität niederschlagen, verweisen auf die besondere Bedeutung der in ihnen agierenden Personen. Im »Normalbetrieb«, insbesondere aber bei Organisationsreformen wie den hier interessierenden bildungspolitischen Reformen, treffen organisationale Entscheidungsprogramme auf relativ autonome, an professionellen Standards und weniger an organisationalen Erwartungen orientierte, eigensinnig handelnde Personen. Reformprozesse lassen sich bekanntlich nicht problemlos umsetzen, sondern stoßen auf Trägheiten, Widerstände und werden mal mehr, mal weniger kreativ uminterpretiert. Zentral sind in diesen Prozessen die subjektiven Erwartungen, Ansprüche und Vorstellungen der Organisationsmitglieder in Bezug auf die Funktionsweise der Organisation und die konkrete Bildungsarbeit, die in Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden geleistet wird. Dabei liegt die theoretische Herausforderung darin, die Personen und ihr eigensinniges Handeln in Bildungsorganisationen zu konzeptualisieren. In der arbeitssoziologischen Debatte wird diese Frage unter den Stichworten »Subjektivierung« und »Subjektivität« in der Arbeit verhandelt.[2] Besonders im angelsächsischen Diskurs wird herausgestellt, dass Subjektivität vielfältig, veränderbar und fragmentarisch ist (McCabe 2007, S. 260) und sich personale Identitäten ausbilden, die eine »social reality through which we transact with our environment« (Thompson/McHugh 2002, S. 327) verkörpern. Subjektive Identität »makes human beings highly creative and productive« (O'Doherty/Willmott 2009, S. 937) und »personality becomes a resource or vehicle of self conscious strategy« (ebd., S. 943). Daran anschließend, aber stärker aus einer organisationssoziologischen Perspektive, sind wir der Auffassung, dass man auch dieses Problem innerhalb eines systemtheoretisch informierten Ansatzes bearbeiten kann. Personen werden systemtheoretisch als eine Strukturdimension von Organisationen gefasst. Es werden organisationale Fremderwartungen an sie adressiert, sie formulieren aber auch Selbsterwartungen. Die anschließende Frage lautet daher: Was kann man unter »Selbsterwartungen« bzw. Arbeitsorientierungen verstehen, die eine Seite der Person ausmachen?

Wir versuchen, diese Frage mit dem Begriff des »Eigensinns« zu beantworten. Während subjektives Arbeitshandeln in arbeitssoziologischen Forschungen oftmals mit dem Attribut der »Eigensinnigkeit« ausgestattet wird, ist ein theoretisch-konzeptionelles Verständnis von Eigensinn bisher eher wenig entwickelt (Lohr 2010, S. 247). Aufbauend auf zwei, in der arbeitssoziologischen Debatte kaum aufgegriffene, theoretische Ansätze, stellen wir im Folgenden unseren Vorschlag zur Konzeptualisierung von Eigensinn vor (vgl. Lohr/Hilbrich/Peetz 2011). Theoretischer Bezugspunkt sind hier zunächst die Arbeiten von Oskar Negt und Alexander Kluge (1981, S. 45ff.), die in der Selbstregulierung das zentrale Prinzip von Eigensinn identifiziert haben. Gleichzeitig heben sie hervor, dass Eigensinn immer relational, als eine Kategorie des Zusammenhangs lebendiger Arbeit (ebd., S. 64), gedacht werden muss. Personen setzen sich mit ihrer Umwelt auseinander. Sie tun dies auf Basis psychischer Dispositionen, sozialer (Klassen‑) Lagen, erworbener Fähigkeiten, struktureller Bedingungen von Arbeit usw. und entwickeln so selbstregulative Kompetenzen. Dieses Verständnis von Eigensinn ermöglicht es, soziale Strukturen sowohl als Beschränkungen als auch als Objekte eigensinnigen Handelns zu denken. Der Historiker Alf Lüdtke (1993) verweist dann mit Rekurs auf Hegels Phänomenologie des Geistes – »der eigene Sinn ist Eigensinn, eine Freiheit, welche noch innerhalb der Knechtschaft stehenbleibt«, zitiert nach Lüdtke (1993, S. 9) – darauf, dass Eigensinn auch innerhalb bestehender struktureller Begrenzungen möglich ist und als ein »Moment im Kräftefeld von Herrschaft und Freiheit« (ebd., S. 9) zu verstehen ist, in welchem es um »selbstbewusste (Wieder‑)Aneignung und Distanz-Nehmen« (ebd., S. 11) geht. Eigensinn lässt sich dabei nicht ausschließlich als widerständiges oder gar emanzipatorisches Handeln verstehen, sondern kann auch Praktiken der Unterdrückung und Dominanz unter Gleichen hervorbringen (Lüdtke 1986, S. 111). Während Negt und Kluge (1981) Eigensinn als subversives Verhalten, das sich den Unterwerfungs- und Nivellierungsbestrebungen des Waren-Regimes widersetzt, fassen, plädiert Lüdtke eher für eine Unterscheidung von Eigensinn und Widerstand. Er beschreibt in seinen historischen Studien die Grenzen zwischen Eigensinn und Widerstand als fließend. Neben den kollektiven Widerstand trete »private Politik«, die »die Artikulation und das Geltendmachen von individuellen Bedürfnissen« (Lüdtke 1993, S. 145) umfasse. Eigensinn muss also nicht unbedingt Widerstand bedeuten.

Auch in der arbeitssoziologischen Diskussion (besonders im Kontext der Subjektivierungsdebatte) finden sich Überlegungen, die darauf abstellen, dass selbst in Unternehmensorganisationen Arbeit nicht nur fremdbestimmt und -kontrolliert ist. So verweist Böhle (2002, 2010) auf subjektives Arbeitshandeln, welches auf komplexen sinnlich-körperlichen Wahrnehmungen, assoziativem und anschaulichem Denken, Erfahrungswissen, Gefühlen und Empfindungen beruht und selbst unter Bedingungen tayloristischer Arbeitsorganisation nicht ausgemerzt werden konnte. Er führt das subjektive Arbeitshandeln darauf zurück, dass »eine Besonderheit menschlicher Kompetenz in der Fähigkeit besteht, nicht strikt regelgeleitet zu handeln, sondern allgemeine Regeln situativ an jeweils variierende konkrete Gegebenheiten anzupassen und zu modifizieren bzw. erst im praktischen Handeln zu entwickeln« (Böhle 2010, S. 160) und damit zur »Bewältigung der im praktischen Verlauf auftretenden Unwägbarkeiten« (ebd.) beizutragen. Ein in unserem Kontext interessantes Konzept entwickelte auch Harald Wolf (1999), der sich mit der Heteronomie von Arbeit im informationellen Kapitalismus auseinandersetzt und argumentiert, dass subjektives Arbeitshandeln als »eine anders geartete ‚Methode‘ des Arbeitens« (ebd., S. 63) Raum gewinnt. Er bezeichnet diese Form ‚aneignender‘ Arbeit als »Selbsttätigkeit«,  als »ein Arbeitshandeln, das nicht abgedeckt ist von offiziellen betrieblichen Vorgaben (Definition der Arbeitsrolle bzw. der konkreten Arbeitsaufgabe)« (ebd., S. 81). Selbsttätigkeit wird zum Gegenpol von Fremdbestimmung und birgt Potenziale von Widerstand, Leistungszurückhaltung, Sabotage, Unterlaufen, aber auch von Übereifer, Aneignung und schöpferischer Teilhabe. Es entwickeln sich so »vielfältige Varianten und Muster der Aneignung oder des ‚Eigen-Sinns‘, der Subjektivität und ‚kleinen‘ Politik, von widerständigen Bewusstseins- und Wissensformen und sozialen Normen« (ebd., S. 141).

Personen in Organisationen bilden eigensinnige Selbsterwartungen aus, die zugleich situativ veränderbar sind. Eigensinn ist also unmittelbar an das Subjekt, mit seinen je spezifischen individuellen Orientierungen, Dispositionen, Ressourcen und lebensweltlichen Bezügen gebunden. Eigensinn basiert auf der Fähigkeit der Individuen zur aktiven Auseinandersetzung mit der der Welt und ihrer individuellen Aneignung durch die Ausbildung individueller Wahrnehmungen, Deutungen und Handlungsstrategien, die jenseits formulierter Erwartungen sowie vorgegebener Strukturen und Logiken liegen. Insofern kann Eigensinn auch über mehr oder weniger genau formulierte und organisatorisch vorstrukturierte Arbeitsanforderungen hinausgehen und der Realisierung individueller Interessen, Vorstellungen und Werte dienen. Indem Personen eigensinnige Selbsterwartungen formulieren und eine eigene (durchaus wandelbare) Identität ausbilden, deuten sie organisationale Fremderwartungen in einer spezifischen Weise aus oder um und verändern damit auch organisationale Praktiken.

In den uns hier interessierenden Bildungsorganisationen haben sich im Laufe der Entwicklung spezifische Organisations- und personale Identitäten ausgebildet, die durch Reformprozesse in Frage gestellt werden. Bevor wir uns empirisch mit der Frage befassen, welche Konsequenzen Letztere für die personale Identität von Lehrenden haben und wie diese eigensinnig damit umgehen, sollen kurz die zentralen Veränderungen in unseren Untersuchungsfeldern, Schule und Universität, charakterisiert werden.

3. Bildungsorganisationen im Umbruch

In den letzten Jahren ist das traditionelle Arrangement organisationaler Strukturen und Identitäten im Bildungssystem unter einen enormen Veränderungsdruck geraten (vgl. z.B. Hartong 2012; Münch 2009). Eingebettet in einen übergreifenden Trend des gesellschaftlichen Wandels unter den Vorzeichen von wirtschaftlicher Globalisierung, Umbau des Sozialstaates und transnationaler Governance (insbesondere im Rahmen der fortschreitenden europäischen Integration) werden Bildungsorganisationen neuen »Sachzwängen« ausgesetzt. Die »Ökonomisierung der Gesellschaft« (Schimank/Volkmann 2008) äußert sich für Bildungsorganisation darin, dass sie einerseits selbst vermehrt an wirtschaftlichen Effizienzkriterien gemessen werden und andererseits mit der Be- und Verarbeitung der Folgen der Ökonomisierung befasst sind. So werden zum Beispiel die Debatten um Schulautonomie und Evaluation von Begriffen wie etwa Qualitätsmanagement, Organisations- bzw. Schulentwicklung und Effizienz geprägt, die ihren semantischen Ursprung im Wirtschaftssystem haben (Fuchs 2000, S. 185). In der Debatte um Hochschulpolitik und die Reform von Hochschulen werden unter den Stichworten »Ökonomisierung« und »Liberalisierung« neue Modelle der Hochschulorganisation diskutiert, die Hochschulen in die Nähe des Marktes rücken sollen (vgl. u.a. Hoffacker 2000; Hoffmann/Neumann 2003; Sieg/Korsch 2005; Welte/Auer/Meyer-Scheytt 2006; Wernicke/Brodowski/Herwig 2005). Es ist die Rede von einer Orientierung »am kapitalistischen Modell des Unternehmens«, von »Verbetrieblichung« oder auch von der Universität als »knowledge factory« und von der Entstehung eines »academic capitalism« (Slaughter/Leslie 1997, 2001).

Die in diesem Diskurs formulierten Erwartungen an Bildungsorganisationen werden mittlerweile auch politisch umgesetzt und erreichen die Praxis von Bildungsorganisationen (vgl. Lohr/Peetz/Hilbrich 2013). Identifizierbar sind Veränderungen in den Entscheidungsprogrammen, Kommunikationswegen und Stellenstrukturen und damit auch veränderte Erwartungen und Anforderungen an Lehrende. In Schulen werden hierarchische Koordinationsmechanismen wichtiger, wobei klassische vertrauensbasierte Mechanismen ihrerseits nicht an Bedeutung verlieren. Entscheidende Veränderungen zeigen sich auf der Leitungsebene: Neue Kompetenzen von Schulleitungen und veränderte Arbeitsanforderungen sowie -orientierungen können als Ökonomisierung des Schulmanagements interpretiert werden (Peetz/Lohr/Hilbrich 2010). Generell berichten Lehrerinnen und Lehrer außerdem von Arbeitsintensivierung sowie gestiegener Arbeitsbelastung. Die Situation an Universitäten ist charakterisiert durch hybride organisationale Strukturen, die traditionelle Elemente mit neuen Finanzierungsmodi und gestiegener universitärer Eigenverantwortung kombinieren. Innerhalb der Universität findet man verstärkt hierarchische Koordinationsmechanismen sowie eine Konkurrenz zwischen Fachbereichen und Instituten um knappe Ressourcen. Wie unsere empirischen Befunde zeigen, haben die Veränderungen organisationaler Entscheidungsprogramme Konsequenzen für die in Bildungsorganisationen Beschäftigten. Im Weiteren werden wir zwei Aspekte herausgreifen und exemplarisch empirisch belegen: Veränderte Fremderwartungen führen einerseits zu neuen Unsicherheiten und einer Verunsicherung der Beschäftigten und fordern andererseits den Eigensinn der Beschäftigten heraus. Beide Aspekte berühren zugleich die Identität der Bildungsorganisationen sowie die personale Identität.

4. Verunsicherung im Reformprozess

»Unsicherheit« und »Verunsicherung« werden in der gegenwärtigen Debatte vor allem im Kontext der These zum Ende des Normalarbeitsverhältnisses diskutiert. Unsichere Arbeit ist dann »eine Abweichung von Normalarbeit - und zwar nach unten« (Nickel/Hüning/Frey 2008, S. 133). Sie ist verbunden mit dem Abbau materieller und rechtlicher Standards, Defiziten in der betrieblichen Integration, der Anerkennung von Arbeit (Mayer-Ahuja 2003) und einer Re-Kommodifizierung von Arbeit, die insbesondere unter den Stichworten »prekäre« und »atypische« Beschäftigungsverhältnisse diskutiert wird. Selbst in den Bereichen, in denen das Normalarbeitsverhältnis (noch) dominant ist, wirken diese Entwicklungen als Verunsicherung auf die »Zone der Integration« (Castel 2000) zurück. Verunsicherung zeigt sich also in Veränderungen in den Beschäftigungsverhältnissen, die auf organisationaler Ebene im Umbau von Stellenstrukturen hinsichtlich Art und Dauer der Beschäftigung, Entgeltstrukturen, sozialer Absicherung etc. ebenso sichtbar werden wie in einer Neudefinition von Stellen, veränderten Arbeitsanforderungen und Koordinationsweisen.

Neben dieser strukturellen Dimension von Verunsicherung ist zu fragen, welche Aspekte von Verunsicherung sich daraus ergeben, dass Beschäftigte im Zuge von Reformprozessen mit neuen Arbeitsanforderungen konfrontiert werden. Dörre (2005) unterscheidet hier zwischen einer »Arbeitskraftperspektive«, die die vertragliche Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse umschreibt, und einer »Subjektperspektive«, die die qualitativen Ansprüche der Beschäftigten an ihre Arbeit betont. Verunsicherung kann sich hier u.a. auf das (professionelle) Rollenverständnis, Handlungs- und Entscheidungsspielräume, die Anerkennung von Arbeit, die von bisherigen Routinen abweichende Organisation und Koordination von Arbeit, den Umgang mit Klient/inn/en und berufsbiographische Entwicklungsmöglichkeiten beziehen (Dörre 2005; Nickel/Hüning/Frey 2008). In unserem Kontext der Analyse von Bildungsarbeit soll an dieser Stelle insbesondere das Verhältnis zwischen den Reformprozessen und den professionellen Ansprüchen und Orientierungen der Beschäftigten untersucht werden.

Wir greifen dabei auf Daten zurück, die wir zwischen 2009 und 2010 im Rahmen des Forschungsprojektes «Bildungsarbeit im Umbruch?» gewonnen haben. Den Untersuchungsgegenstand bildeten die Konsequenzen bildungspolitischer Reformen in Schulen, Universitäten und Organisationen der Weiterbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Uns interessierten die Veränderungen der organisationalen Strukturen und Arbeitspraktiken in Bildungsorganisationen und ob deren Wandel als Ökonomisierung interpretiert werden kann. Unsere Datengrundlage waren Analysen des bildungspolitischen Diskurses sowie zwölf Fallstudien in Organisationen, die paradigmatisch die Tendenzen der bildungspolitischen Entwicklung widerspiegeln (je vier in Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen). Dazu gehörten Gymnasien, die ihren Reformwillen durch die Teilnahme an bildungspolitischen Modellprojekten wie dem Projekt «Selbstständige Schule NRW» deutlich ausgedrückt haben, oder aber von Expert/innen der Bildungslandschaft als reformaffin eingeschätzt wurden; Universitäten, die an Modellversuchen teilgenommen haben, in (Exzellenz‑)Wettbewerben erfolgreich waren oder als Stiftungsuniversitäten neue Organisationsformen implementierten; und Organisationen der beruflichen Weiterbildung, die sich vor allem durch öffentliche Mittel finanzieren, da wir hier davon ausgehen konnten, dass der Druck bildungspolitische Reformerwartungen (z.B. bzgl. des Konzepts des »Lebenslangen Lernens« oder der Qualitätssicherung) aufzunehmen aus Legitimationsgründen am größten ist. Zusätzlich stützten wir uns auf die Einschätzungen von Expert/innen, die uns auf besonders »erfolgreiche« bzw. »anpassungsfähige« Organisationen verwiesen. Im Rahmen der Fallstudien haben wir Analysen organisationaler Dokumente vorgenommen sowie insgesamt 88 qualitative Interviews mit Expert/innen, Management, Personalvertretungen und Beschäftigten in den Organisationen durchgeführt, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden.[3] Im Folgenden präsentieren wir Ergebnisse des Projektes in Bezug auf die Verunsicherung von Stellenstrukturen und professionellen Identitäten in Schulen und Universitäten und fragen daran anschließend nach dem eigensinnigen Umgang der Beschäftigten mit Organisationsreformen.

4.1 Unsicherheit durch Umbau der Stellenstrukturen

Empirisch ist festzustellen, dass in Schulen und Universitäten die Stellenstrukturen im Zusammenhang mit Reorganisationsprozessen in Bewegung geraten. Verbunden mit der schrittweisen Verlagerung von Entscheidungskompetenzen von den staatlichen Verwaltungen zu einzelnen Bildungsorganisationen werden die Leitungspositionen gestärkt. Sowohl die Stellen der Schul- als auch die der Universitätsleitungen, ehemals primus inter pares, werden so zu Stellen von Organisationsmanager/inne/n, die gegenüber dem Personal als Dienstvorgesetzte in Erscheinung treten. Während sich die Veränderungen der Leitungspositionen als Ökonomisierung des Managements beschreiben lassen (Peetz/Lohr/Hilbrich 2010), verändert sich die Stellenstruktur des Lehrpersonals hauptsächlich durch Prozesse der Flexibilisierung und Differenzierung.

In Schulen führt die neue Möglichkeit der Personalkostenbudgetierung[4] zu einem Nebeneinander von unbefristet beschäftigten und teilweise verbeamteten Lehrer/inne/n einerseits und befristet Beschäftigten mit teilweise sehr kurzen Vertragslaufzeiten andererseits.[5] Die Aufspaltung des Lehrkörpers in eine stabile Kernbelegschaft und eine flexible Randbelegschaft wird zusätzlich durch den Einsatz von Honorarkräften für nicht direkt unterrichtsbezogene Aktivitäten (bspw. Musik, Theater) befördert. Mit dieser numerischen Flexibilisierung der schulischen Stellenstruktur mittels Vertretungs- und Honorarkräften, kann die Organisation sich in Zeiten von geringerem Arbeitsaufkommen (Schulferien) von Personalkosten entlasten.

Auch wenn einige der von uns befragten Vertretungslehrer/innen ihre Situation durchaus schätzen, überwiegen seitens der Beschäftigten kritische Perspektiven. Zwar wird die befristete Beschäftigung der Beschäftigungslosigkeit vorgezogen und auch Anerkennung und Sinn aus der Tätigkeit gezogen, die perspektivische Unsicherheit wird jedoch genauso als Belastung erfahren. So beschreibt eine Berliner Vertretungslehrerin, die nach dem ersten Staatsexamen auf einen Referendariatsplatz wartet, ihre Situation als »frustrierend«[6] und »deprimierend«. Ein Vertretungslehrer in NRW »sehnt« sich danach, »endlich mal […] einen längeren Vertrag haben, und dann einfach mal, ganz normal jetzt arbeiten, nicht mehr auf diesem Studentenstatus zu leben, [...].«

Innerhalb der Kollegien wird die Einführung von kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen als äußerst ambivalent eingeschätzt. Eine Schulleiterin ist »begeistert von dem, was da eben hier gemacht wurde mit dieser Personalkostenbudgetierung«. Zwar hat auch sie selbst die Erfahrung gemacht, dass der Arbeitsmarkt für Vertretungskräfte nicht jeden schulischen Bedarf decken kann, sie hebt aber die Chancen hervor, die darin liegen, als Schule flexibel auf Personalprobleme reagieren zu können und bei der Auswahl der Vertretungskräfte auf deren Passung mit Kollegium und Schulprogramm achten zu können. Zudem bestünde die Möglichkeit, gezielt Honorarkräfte zu beschäftigen, die an der Schule zum Beispiel stark im musischen und künstlerischen Bereich eingesetzt werden: »Da kann man sehr viel Zusätzliches machen, was auch Schulqualität bedeutet.«

Eine eher kritische Perspektive wird von den Personalvertretungen eingenommen. Die Verunsicherung der Stellenstruktur durch den Einsatz von Vertretungskräften sei nicht nur mit »sehr, sehr viel Arbeit«, sondern auch mit »einer unglaublichen Fluktuation im Kollegium verbunden, was die guten Beziehungen ja auch stört. Nicht nur die pädagogischen, sondern auch die innerhalb des Kollegiums« (Personalrat). Diese Einschätzung wird von einer Lehrerin bestätigt, die die »Verjüngung« des Kollegiums ihrer Schule durch Vertretungskräfte zwar als »sehr positiv« einschätzt, die »große Fluktuation« aber durchaus problematisiert, weil sie »also ganz viele inzwischen gar nicht beim Namen kenne und so ein Gefühl habe, ich falle da auch jetzt so ein bisschen raus.« Dieses Gefühl des Herausfallens zeigt sich nicht nur bei der fest angestellten Lehrerin. Auch eine befragte Vertretungslehrerin berichtet von unterschiedlicher Akzeptanz im Kollegium.

In Universitäten lassen sich Flexibilisierungsbewegungen in der Stellenstruktur anhand der Zunahme von Teilzeitarbeit, befristeter Beschäftigung und Nebenberuflichkeit ausmachen, die in engem Zusammenhang mit der Veränderung der Finanzierungsstruktur von Universitäten – sinkende Grundmittelanteile bei steigenden Drittmittelanteilen – stehen. Natürlich handelt es sich bei befristeter Beschäftigung des akademischen Mittelbaus keineswegs um ein neues Phänomen. Obwohl Befristung charakteristisch für die traditionellen wissenschaftlichen Karrierewege des deutschen Wissenschaftssystems ist, lässt sich aber zeigen, dass die Flexibilisierung der universitären Stellenstrukturen zunimmt. Unbefristete Stellen unterhalb der Professur wurden sukzessive reduziert. Der kleine Teil der universitären Kernbelegschaft[7] – also der dauerhaft Beschäftigten – schrumpft auf die Gruppe der Professorinnen und Professoren[8] zusammen. Die ohnehin schon vergleichsweise flexible universitäre Stellenstruktur wird im Kontext von Unterfinanzierung, steigenden Drittmittelanteilen und rechtlicher De-Regulierung (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) nochmals flexibilisiert. Davon zeugen auch die verkürzten Vertragslaufzeiten, die für die Hälfte der befristet beschäftigten Wissenschaftler/innen bei unter einem Jahr liegen (Jongmanns 2011, S. 73).

Abgesehen von den Professoren und Professorinnen war bei allen Befragten die Unsicherheit in Bezug auf die eigene Beschäftigungssituation, insbesondere die zukünftige berufliche Entwicklung, eines der hervorstechendsten Probleme und einer der zentralen Kritikpunkte an der aktuellen Arbeitssituation. Nicht nur die nebenberuflich beschäftigten und eher symbolisch entlohnten Lehrbeauftragten, auch akademische Räte und Rätinnen (auf Zeit), Juniorprofessor/inn/en und wissenschaftliche Mitarbeiter/innen berichten von (Beschäftigungs‑) Unsicherheiten als hauptsächlichen Problempunkt ihrer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse.

Neben der Flexibilisierung der Stellenstruktur scheinen die universitären Organisationsreformen auch Ausdifferenzierungsprozesse anzustoßen, die die Aufrechterhaltung der Verbindung von Lehre und Forschung in einigen Positionen der Stellenstruktur deutlich erschweren. Dies trifft insbesondere auf sogenannte Hochdeputatsstellen zur Bewältigung der gestiegenen Lehr- und Prüfungsanforderungen zu. Für Inhaber/innen dieser Stellen ist die Verfolgung wissenschaftlicher Karriereambitionen ungleich schwieriger, da Forschungsaktivitäten fast ausschließlich in der Freizeit und damit unbezahlt unternommen werden müssen. Aber auch die Professionalisierung der Verwaltung führte in einem unserer untersuchten Fachbereiche zu neuen Stellenkonstruktionen, in denen wissenschaftliche Mitarbeiter/innen, aufgrund des hohen Verwaltungsanteils ihrer Stelle, ihre wissenschaftliche Karriere hauptsächlich in ihrer Freizeit verfolgten.

4.2 Verunsicherung professioneller Identitäten

Wie bereits deutlich wurde, kommt in den Arbeitsorientierungen der befragten Lehrer/innen und Dozent/inn/en ihre professionelle Identität deutlich zum Ausdruck: Lehrer und Lehrerinnen orientieren sich in ihrer Arbeit vor allem an der Entwicklung ihrer Schüler und Schülerinnen. Vom universitären Lehrpersonal wird unisono die Chiffre des »Denken Lernens« bemüht, wenn es darum geht, die eigenen Lehrziele in Bezug auf die Studierenden zu benennen. Neben der Wissensvermittlung sollen Studierende im Rahmen der Lehrveranstaltungen eine fachliche Sozialisation durchlaufen. Diese soll sie dazu befähigen, Probleme unter Anwendung der jeweils fachspezifischen Methoden und insbesondere der fachspezifischen Denkweise (»Art zu Denken«) eigenständig zu bearbeiten. Die Anwendung einer professionellen Perspektive auf die jeweilige Klientel drückt sich in Schulen und Universitäten in der Berücksichtigung der jeweiligen Fallgeschichten im Lehrhandeln aus.

Diese professionelle Orientierung wird allerdings zunehmend in Frage gestellt. In Schulen und Universitäten erzeugen Prozesse der Formalisierung und Standardisierung und veränderte Anforderungen und Voraussetzungen seitens der Schüler/innen, deren Eltern und der Studierenden neue Herausforderungen für das professionelle Selbstverständnis des Lehrpersonals. Formalisierungs- und Standardisierungsbewegungen in Bildungsorganisationen stellen traditionelle Handlungsspielräume, die den Professionellen in den Organisationen zur Verfügung stehen, in Frage. Ursprünglich als Voraussetzung professionellen Arbeitshandelns innerhalb von Organisationen verstanden, werden diese Freiräume (und damit auch der Koordinationsmodus kollektiver Koordination) zugunsten bürokratischer Kontrollmechanismen beschränkt. Entsprechend werden diese Veränderungen auch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden De-Professionalisierung diskutiert.

In Schulen wird die zunehmende Standardisierung von Unterrichtsabläufen durch die steigende Bedeutung von Vergleichstests und durch die Be- und Überlastungssituation des Lehrpersonals befördert. In den Schulen wird die Gefahr, dass standardisierte Vergleichstests zu Phänomenen des »teaching und learning to the test« führen und damit zumindest partiell fallbezogenes Lehren und Lernen verdrängen, kritisch thematisiert. Auch die zunehmende Belastung von Lehrerinnen und Lehrern macht einen Rückgriff auf standardisierte Arbeitsmaterialien und didaktische Konzepte wahrscheinlicher, da hierdurch zumindest teilweise Entlastungen erzielt werden können. Betont werden daneben auch die gestiegenen Erwartungen der Eltern, die in direkter Konfrontation und vermittelt über die Schüler/innen an das Lehrpersonal gerichtet werden. Diese Erwartungen werden als Resultat der elterlichen Ängste um die (wirtschaftliche) Zukunft der Kinder interpretiert.

Vom universitären Lehrpersonal wird insbesondere die Studienstrukturreform und die damit zusammenhängende Modularisierung und Standardisierung von Lehrveranstaltungen problematisiert.[9] Die Festlegung von Seminar- und Vorlesungsinhalten über teils mehrjährige Zyklen wird als »Endlosschleife« erlebt, die zwar auch Entlastung schafft, generell jedoch Langeweile und Motivationsprobleme erzeugt und die Verbindung von Lehre und Forschung erschwert. Auch die detaillierte und hochformalisierte Konditionalprogrammierung von Studienverläufen führt zum Verlust von Flexibilitätsspielräumen, die für eine fallbezogene Studienplanung unverzichtbar scheinen. Insbesondere die Administration der Studienabläufe über elektronische Systeme wird als rigide und nur schwer zu umgehende Beschränkung erlebt, die die professionelle Einschätzung des Entwicklungs- und Leistungsstands der Studierenden durch die Lehrenden (bspw. in der Frage der Zulassung zu einer Veranstaltung) in Frage stellt. Als weitere wichtige Herausforderungen für ihre professionelle Identität werden von den Dozent/inn/en veränderte Orientierungen und Einstellungen der Studierenden genannt. Mit ihrer »Punkteorientierung«, ihren primären Ansprüchen an einen effizienten und reibungslosen Studienverlauf und einer als konsumistisch beschriebenen (Kund/inn/en‑) Haltung sehen sich die Dozent/inn/en durch die Studierenden in eine Dienstleistungsrolle gesetzt, die in Widerspruch zu ihrem professionellen Selbstverständnis als Lehrende steht. Das professionelle Selbstverständnis des Lehrpersonals wird also durch die Umprogrammierung von Bildungsarbeit und die veränderte Klientel herausgefordert.

Die Verunsicherung der Stellenstrukturen in Schulen und Universitäten und die Infragestellung professioneller Identitäten sind strukturelle Konsequenzen der untersuchten Organisationsreformen. Individuelle und kollektive Dispositionen von Beschäftigten führen allerdings dazu, dass strukturelle Veränderungen auf den Eigensinn von Beschäftigten treffen und darüber modifiziert werden. Die Identifikation der Lehrenden mit der sie beschäftigenden Organisation wird zumindest bei kurzfristig Beschäftigten in Frage gestellt. Bedeutender erscheint es jedoch, dass die beschriebenen Verunsicherungen die personale Identität der Lehrenden berührt. Ihr professionelles Selbstverständnis wird problematisiert und Auswege aus dieser Situation werden gesucht, die von der Orientierung auf andere berufliche Perspektiven bis hin zu einem eigensinnigen Umgang mit Organisationsreformen reichen. Auffallend ist, dass individueller oder kollektiver Widerstand empirisch kaum zu identifizieren ist, aber an den Vorstellungen von guter Bildung festgehalten wird, so dass Organisationsreformen unterlaufen oder umgedeutet werden.

5. Eigensinniger Umgang mit Organisationsreformen

In unserer Untersuchung haben wir den Umgang von Bildungsarbeiter/inne/n mit neuen organisationalen Erwartungen (Arbeitsanforderungen) unter Verwendung des Begriffs des Eigensinns analysiert. Hierbei wurde deutlich, dass Reformen nicht ohne weiteres in den untersuchten Bildungsorganisationen umgesetzt werden. Lehrer/innen und wissenschaftliches Personal an Universitäten nehmen vielfältige Einflussmöglichkeiten, Gestaltungs- und Distanzierungsoptionen gegenüber organisationalen Anforderungen wahr. Die Suche nach dem Eigensinn der Beschäftigten in Schulen und Universitäten brachte sowohl verschiedene Ausdrucksformen als auch Logiken bzw. Quellen von Eigensinn hervor. Eigensinn ließ sich in den meisten Fällen als Prozess der Aneignung und Distanzierung (von Zeit, Raum, Identität) beobachten. Die wichtigsten Bezugspunkte und Begründungszusammenhänge eigensinnigen Handelns bildeten zum einen das professionelle Selbstverständnis der Beschäftigten – professioneller Eigensinnund zum anderen ihre außerberuflichen Orientierungen, die sich als reproduktiv motiviert zusammenfassen lassen – reproduktiver Eigensinn.[10]

5.1 Professionelle Identitäten als Bezugspunkt von Eigensinn

Prozesse der Distanzierung der Lehrenden gegenüber neuen Anforderungen, nicht nur aus der politischen Umwelt, sondern auch seitens der Schüler/innen und deren Eltern oder der Studierenden, lassen sich in Schulen und Universitäten mit Verweis auf den Professionsstatus der Lehrenden erklären. In Schulen ist professionelle Gelassenheit eine der Dispositionen von Lehrern und Lehrerinnen, die eine Distanzierung von externen Erwartungen ermöglicht. Anzeichen dafür finden sich in den Beschreibungen einer Schulleiterin, die von Lehrer/inne/n als den »Pubertätserprobten« spricht. Mit diesem Begriff deutet sie auf die »professionelle Erfahrung« der Lehrerinnen und Lehrer hin, die Leistungsschwankungen ihrer Schüler/innen erwarten und deshalb aushalten können,

»dass da einer jetzt nicht läuft. Oder mal gerade nicht so ist. Oder er grade seine Persönlichkeit ausbildet und jetzt Englischvokabeln nicht lernt. Kann ja vorkommen, kommt später dann, es kommt dann manchmal noch. Es wird ja aus den meisten Kindern ja noch was.«

Anders als Eltern, die hauptsächlich den aktuellen Entwicklungsstand ihres Kindes im Blick haben, sind Lehrer und Lehrerinnen eher in der Lage, das Verhalten von Schülerinnen und Schülern in ihren Entwicklungsprozess einzuordnen. Sie erwarten Fluktuationen in der Leistung der Schüler/innen und sind in der Lage, diese professionell zu handhaben. Ihre fallspezifische Beurteilung der Situation von Schüler/inne/n und der Rückgriff auf professionelles Erfahrungswissen ermöglichen ihnen dann, sich von den unmittelbaren Erwartungen der Eltern zu distanzieren, indem sie auf ähnliche Situationen in ihrer beruflichen Laufbahn verweisen. Durch die Distanzierung von externen Erwartungen verteidigen die Lehrer/innen ihr professionelles Selbstverständnis, das sich in der Orientierung an der jeweiligen Fallgeschichte der Schülerinnen und Schüler ausdrückt.

Ganz ähnliche Distanzierungen lassen sich bei der Implementierung von Organisationsreformen durch Lehrer und Lehrerinnen beobachten. »Lehrer«, so die Beobachtung einer Schulleiterin,

»sind zum Teil stur, sie lassen das vorbeiziehen, weil sie wissen: ‚Na ja, heute die Vokabel, morgen die Vokabel, macht ihr mal da oben, es ist uns Wurst, wir machen unser Ding’. So läuft Schule. Also sie haben eine gewisse Sturheit mit der Zeit, die tut gut, anders kann man es auch nicht.«

Im Bewusstsein und mit der Erfahrung des wiederkehrenden und damit auch vorübergehenden Charakters schulischer Reformen sind Lehrer/innen in der Lage, ihr Arbeitshandeln von Veränderungsanforderungen (teilweise) zu entkoppeln. Auch diese Form der Distanzierung kann als professionelle Gelassenheit interpretiert werden, da sich das Lehrpersonal von externen Anforderungen distanziert, um pädagogisches (professionelles) Arbeitshandeln zu ermöglichen.

Ähnliches zeigt sich in Universitäten. Auch hier wird professioneller Eigensinn in Anschlag gebracht, um sich von bestimmten Anforderungen zu distanzieren. Eine der größten Herausforderungen für die befragten Wissenschaftler/innen stellt – unabhängig vom Fach – die Veränderung studentischer Orientierungen und Kompetenzen dar. Aus der Perspektive des universitären Lehrpersonals sind die »Dienstleistungsmentalität« der Studierenden, ihre »Punkteorientierung« sowie »Kundenorientierung« den eigenen Lehrambitionen, die das »Denken Lernen« der Studierenden zum Ziel haben, diametral entgegengesetzt. Diese Veränderungen werden vor allem auf eine veränderte schulische Sozialisation sowie die Umstrukturierung des Studiums im Rahmen von Bologna (Abrechenbarkeit über Punkte, Planbarkeit durch Standardisierung, Abarbeiten von Aufgaben) zurückgeführt. Schließlich werden auch Studiengebühren als Katalysator für die Installierung einer Dienstleistungsbeziehung zwischen Lehrenden und Studierenden beschrieben. Studierende wandeln sich in den Augen der Befragten zunehmend von eigenverantwortlich studierenden, motivierten und herausfordernden Personen zu »kleinen Vögelchen, die gefüttert werden wollen« oder »Schäfchen, auf die man aufpassen muss«.

Diese Veränderungen auf Seiten der Studierenden fordern die professionellen Orientierungen der Lehrenden heraus und stellen ihr professionelles Selbstverständnis in Frage. Das fast refrainhaft artikulierte Lehrziel des »Denken Lernens« kann als Chiffre für die fachliche Sozialisation der Studierenden in den jeweiligen Disziplinen gelesen werden und stellt neben der Wissensvermittlung das pädagogische Anliegen der Lehrenden dar. Der Umgang mit den studentischen Herausforderungen ist geprägt von professionell motiviertem Eigensinn der Lehrenden. Die Distanzierung von den von studentischer Seite formulierten Ansprüchen ist die dominierende Reaktion unter den Befragten. Insbesondere die noch im Diplom-System sozialisierten Wissenschaftler/innen bestehen auf professionellen Standards und Ausbildungszielen.

»Bei uns ist es so, um ein Beispiel zu nennen, beim Praktikum haben wir vorher eine Besprechung, also wenn es um Elektrizität geht, möchte man nicht, dass die Leute zwei Kabel in die Steckdose stecken und einen Schlag kriegen, das sieht nicht so gut aus. Und deswegen fragen wir sie ab und wenn es wirklich nicht geht, schmeißen wir sie raus und sagen gut, kommst du dann nächste Woche nochmal, machen wir einen Termin oder du bist einfach durchgefallen. In den USA da habe ich das auch gemacht, als Student eben, da war ich Tutor und da fragte ich, was mache ich denn jetzt, wenn sie es nicht können, "ja dann erklärst du es denen nochmal". Also da war es dann so die Mentalität "bitte jetzt nicht die Studenten böse angucken, die laufen uns weg, die zahlen hier Geld." Und vielleicht aus dem Grund ist es vielleicht bei mir eine Art Trotzreaktion, versuche ich mich da gar nicht beeinflussen zu lassen, so gut es geht. Vielleicht nicht politisch korrekt, aber das ist mir egal.«

Die Distanzierung von Erwartungen, das Zurückweisen von Zuschreibungen als Dienstleister und das Verteidigen der professionellen Identität kennzeichnen den Umgang der Befragten mit neuen studentischen Orientierungen.

Die professionelle Identität drückt sich auch in einem Interesse an und der Verantwortung für den Lernerfolg der Studierenden aus. Die Einsicht in die veränderten schulischen Voraussetzungen sowie in die neuen Rahmenbedingungen des Studiums (Inflexibilität, Bürokratisierung, Zeitdruck) erzeugt für die Lehrenden ein professionelles »Double Bind«, das geeignet ist, die Lehrziele zumindest partiell zu kompromittieren. Lehrende berichten von Modifikationen ihrer Lehrpraxis, die es den Studierenden trotz veränderter Voraussetzungen ermöglichen sollen, das Lehrziel zu erreichen. Dozent/inn/en unterrichten kleinteiliger und anschaulicher, bauen mehr Wiederholungen in ihre Kurse ein, verwenden zunehmend Arbeitsblätter etc. Die Orientierung an den Voraussetzungen der Studierenden kann aus dieser Perspektive auch als eine Verschiebung ihrer professionellen Identität verstanden werden.

In diesem Zusammenhang sind Lehrevaluationen als Elemente der neuen universitären Selbststeuerung insofern von Bedeutung, als dass sie die studentischen Erwartungen in organisationale Erwartungen gegenüber den Lehrenden übersetzen und somit prinzipiell geeignet sind, die eigensinnigen Strategien professioneller Distanzierung zu unterlaufen. Die, in unseren Fällen, geringe Bedeutung von Lehrevaluationen hängt damit zusammen, dass diese bisher nicht unmittelbar mit Sanktionen verknüpft sind und deshalb einen geringen Grad an Verbindlichkeit aufweisen.

Weitere von den Befragten als wichtig erachtete Veränderungen sind die Formalisierungs- und Standardisierungsprozesse in der Organisation und die inhaltliche Gestaltung der Lehre. Der Einsatz elektronischer Systeme zur Administration der Studienverläufe, Studienleistungen, Prüfungen etc. rigidisiert die Abläufe von Studium und Lehre insofern, als dass Abweichungen von den detaillierten Vorgaben nur mit hohem Aufwand möglich sind. So werden bspw. Entscheidungen über die Zulassung von Studierenden zu Veranstaltungen von Lehrenden nicht mehr im Modus der verantwortlichen Autonomie getroffen, sondern vom »System«, das die Übereinstimmung des bisherigen Studierverhaltens mit den Vorgaben abprüft und eine Anmeldung für eine Lehrveranstaltungen ermöglicht oder auch nicht.

Im Umgang mit Phänomenen der Standardisierung und Formalisierung zeigen die Beschäftigten professionell motivierten Eigensinn. Entsprechende administrative Kenntnisse ermöglichen einigen Dozent/inn/en, das elektronische System »auszutricksen« und Studierenden damit eine individuelle (fallspezifische) Lehrveranstaltungswahl zu ermöglichen. Andere distanzieren sich dezidiert von bestimmten formalen Vorgaben, wie Abgabetermine für studentische Arbeiten, und insistieren stattdessen auf wissenschaftliche und fachliche Normen. So argumentiert eine Professorin:

»Und ich bin zum Beispiel völlig relaxed was also so Deadlines angeht. Wenn die mir dann die Aufgaben oder die Papers etwas später bringen ist mir auch ganz, korrigier´ ich dann immer noch. Weil den Druck den die haben,, ihre ganzen Hausarbeiten termingerecht abzuliefern, den find´ ich sehr hart. Und ich find´ daran soll´s nicht liegen. Bloß weil die jetzt einmal eine Deadline nicht geschafft haben, ein Semester verlieren, das find´ ich ganz schlecht. Also da bemüh´ ich mich auch wirklich immer da ein bisschen dagegen zu arbeiten. Aber die Qualität muss stimmen.«

Indem die Lehrenden ihren professionellen Orientierungen auch gegen organisationale Erwartungen folgen und organisationale Erwartungen umgehen, ignorieren und uminterpretieren, zeigen sie (professionell motivierten) Eigensinn.[11] Seinen Ausdruck findet Eigensinn in der Distanzierung von Erwartungen und der Aneignung bzw. Verteidigung professioneller Identität.

5.2 Reproduktion als Bezugspunkt von Eigensinn

Während die obigen Beispiele den professionellen Eigensinn illustrieren, der über vielfältige Prozesse von Distanzierung (von externen Erwartungen) und Aneignung bzw. Verteidigung (professioneller Identität) operiert, scheint eine andere Form von Eigensinn im Umgang mit Zeit – sowohl Arbeitszeit als auch Freizeit – auf. Um Arbeitsanforderungen entsprechen zu können und diese gleichzeitig auch mit außererwerblichen Verpflichtungen und Aktivitäten in Übereinstimmung zu bringen, reduzieren viele Lehrer und Lehrerinnen[12] ihre Lehrverpflichtungen, wie eine Lehrerin erläutert:

»Also ich habe natürlich meine Stunden reduziert […] Wie gesagt, ich hatte schon immer eigentlich Teilzeit, seitdem ich eben Familie, also die Kinder hatte und habe immer so ein bisschen gewechselt mal zwischen 16 Stunden, 17 Stunden und habe jetzt eigentlich nur 13 Stunden, weil es mir von den Anforderungen auch her einfach doch relativ hoch war und ich gesagt habe, meine beiden Kinder sind fertig, Ausbildung, finanziell brauche ich es nicht mehr hier so viel zu arbeiten und ich mache halt jetzt nur noch so viele Stunden, dass es mir auch noch Spaß macht und ich nicht sage, ich geh’ auf dem Zahnfleisch hier und zumal wenn ich nur Mathematik habe, viel Korrekturen zuhause, viel vorzubereiten und das muss ich mir einfach nicht mehr antun.«

Eine andere, weniger offizielle, Form die steigende Arbeitsbelastung mit dem Bedürfnis nach Erholung und Freizeit bzw. Privatleben in Übereinstimmung zu bringen, ist die Anpassung des Arbeitshandelns an die zur Verfügung stehenden (und bezahlten) zeitlichen Ressourcen. Indem Lehrer/innen ihre Arbeitsleistung auf die Arbeit mit den Schüler/inne/n beschränken, statt sich bspw. auch darüber hinaus in der Schulprogrammarbeit zu engagieren, oder sich weniger engagieren und ihre Vorbereitungsarbeit reduzieren, schaffen sie in ihrem Alltag Zeiträume (so klein sie auch sein mögen) für nicht unmittelbar arbeitsbezogene Aktivitäten[13]: »Ich muss abschalten, ich bereite es nicht vor, ich mach’ kein Arbeitsblatt, ich geh’ morgen einfach hin und sag’: ‚Buch auf, guckt da rein und lest es.’« (Lehrer)

In diesen Beispielen wird deutlich, dass die Begrenzung von Arbeitszeit durch Lehrer und Lehrerinnen aktiv und eigensinnig hergestellt wird. In diesen Prozessen der aktiven Grenzziehung zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit können professionell motivierter und reproduktiv motivierter Eigensinn in ein konfliktreiches Verhältnis zueinander geraten. Die Aneignung und Aufrechterhaltung der professionellen Identität einerseits und die Aneignung von Zeit für reproduktive Zwecke sind nicht ohne Probleme miteinander zu vereinbaren. Dies wird im Fall einer Lehrerin deutlich, die »gefragt [wurde], ob ich nicht Samstag hier so ein Kurs leiten könnte, […], alle 14 Tage. Und ich habe gesagt: ‚Nein, das geht nicht, also samstags kann ich nicht, das schaffe ich nicht.’« Dass diese Grenzziehung im Lehrberuf nicht einfach ist, zeigt sich dann daran, dass die befragte Lehrerin ihre Entscheidung so kommentiert: »Aber ich habe mich trotz allem ganz lange ganz schlecht gefühlt, weil ich da abgesagt habe«. Trotzdem hat sie sich »einfach mal raus genommen zu sagen: ‚Nein, samstags geht das nicht’. Also innerhalb der Schulzeit gerne, aber.« Dieser Fall ist aber auch deswegen besonders interessant, weil die so gesicherte freie Zeit nicht zwingend zur Freizeit wird. An einer anderen Stelle beschreibt die Lehrerin ihre Strategie, ihrem Arbeitstag selbst Grenzen zu setzen:

»Na ja, ich versuche mir schon so eine Grenze zu setzen. Weil ich merke ja auch, ich bin abends dann auch müde von dem langem Tag und habe auch nicht mehr so viele Ideen und dann denke ich mir oft: ‚Na ja, es bringt jetzt auch nichts, jetzt wirklich noch länger zu arbeiten, weil ich müde bin und es wird wahrscheinlich auch nicht besser werden, was ich jetzt noch herstelle.’ Und wenn ich Korrekturen habe, dann versuche ich die eigentlich immer aufs Wochenende zu legen, weil ich dann abends einfach, wie gesagt, mich nicht mehr konzentrieren kann.«

Nimmt man beide Aussagen zusammen, so dient die Begrenzung der Wochenendarbeit (an der Schule) als Möglichkeit der Begrenzung des Arbeitstages, aber auch der Entgrenzung der Wochenendarbeit (Korrektur).

Auch in Universitäten ließ sich eine Form von Eigensinn identifizieren, die reproduktiv motiviert war. Diese Form von Eigensinn wurde in engem Zusammenhang mit Fragen der Be- und Entgrenzung von Arbeitszeit sichtbar. Die Zurückhaltung von Arbeitskraft zu Gunsten von Freizeit, Familie oder anderen nicht arbeitsbezogenen Aktivitäten verweist auf Eigensinn, der sich nicht ohne Weiteres mit der professionellen Identität der Befragten vereinbaren lässt. In der Wissenschaft ist die Figur des intrinsisch hoch motivierten Wissenschaftlers, der sich mit Hingabe und Leidenschaft ausschließlich der Forschung widmet und andere persönliche Bedürfnisse dahinter zurückstehen lässt, noch immer sehr wirkmächtig (Beaufays 2003, bes. S. 146ff.). Über die Artikulation des Bedürfnisses nach wissenschaftsfreien Lebensbereichen laufen Wissenschaftler/innen Gefahr, die eigene wissenschaftliche Identität in Frage zu stellen. In unserer Untersuchung finden sich dennoch Beispiele für eigensinniges Verhalten, das nicht auf professionelle Orientierungen zurückgeht, sondern auf die Abgrenzung von arbeitsbezogenen Anforderungen und auch -orientierungen gerichtet ist.

»Also, ich find’ es nicht normal, sagen wir, dass ich am Wochenende arbeite, das hab’ ich mir mittlerweile abgewöhnt und das finde ich auch super, eigentlich. Aber ich weiß, dass manche das als Gewohnheit ansehen, vielleicht sogar irgendwie drauf stolz sind. Am Wochenende, also die sehen sich halt als diesen arbeitenden Menschen. Diesen dauerhaft arbeitenden Menschen. Und, das ist, da sehe ich mich eigentlich nicht so. Also ich versuch’ schon soviel Freizeit zu kriegen wie es geht.«

Die Formen von Eigensinn, die sich aus reproduktiven Interessen ergeben, beziehen sich einerseits auf zunehmende Belastungen im Kontext von organisationalen Reformen und resultieren andererseits aus der konkreten Lebenssituation und den individuellen Ansprüchen an eine Lebensführung, die Arbeit und Leben vereinbar werden lässt.

Eigensinnig formulierte und in der Arbeitspraxis realisierte Selbsterwartungen der Beschäftigten führen zum einen zu einer Distanzierung von organisationalen Erwartungen (Arbeitsanforderungen) und zum anderen streben sie nach Aneignung von Zeit, von professionellen Spielräumen und autonomen Entscheidungskompetenzen. Personen in Organisationen versuchen damit ihre professionelle und individuelle Identität zu wahren. Es ist jedoch zu vermuten, dass abhängig von der jeweiligen Position in der Organisation, dem Lebenskontext, dem Geschlecht und Alter Unterschiede in den Möglichkeiten bestehen, eigensinnige Strategien zu verfolgen und Selbstregulationspotenziale zur Anwendung zu bringen. Verschiedene Wahrnehmungen, Deutungen und Identitätskonzepte treffen aufeinander und führen auch zu Konflikten innerhalb von Organisationen, auch wenn diese in den von uns untersuchten Bildungsorganisationen kaum offen zu Tage treten.

6. Fazit: Verunsicherung und Eigensinn

Die unter dem Vorzeichen der Effizienzsteigerung und der Rationalisierung vorgenommenen Organisationsreformen werden in Schulen und Universitäten nicht ohne Weiteres umgesetzt. Eigensinnige Arbeitsorientierungen der Beschäftigten modifizieren und verändern Reformmaßnahmen. Hierbei bilden insbesondere professionelle Orientierungen einflussreiche Interpretationswelten, die eine Re-Kontextualisierung von Reformerwartungen ermöglichen und den Beschäftigten die Distanzierung von externen Erwartungen und das Beharren auf eigenen Arbeitsorientierungen erleichtern. Dies ist insbesondere dann zu beobachten, wenn für die Beschäftigten organisationale Reformen und professionelle Identitäten miteinander in Widerspruch geraten. In den untersuchten Bildungsorganisationen zeigte sich professioneller Eigensinn im Umgang mit Organisationsreformen beispielsweise in der Nichtberücksichtigung von Schulprogrammen oder im Unterlaufen von bestimmten formalen Studienanforderungen (Deadlines), die jeweils mit Verweis auf professionelle Orientierungen und Ansprüche des Lehrpersonals begründet werden. Auch nicht-professionell motivierter Eigensinn, der in der Abgrenzung von Personen gegenüber arbeitsbezogenen Anforderungen überhaupt deutlich wird und der die (partielle) Entlastung von Arbeitsanforderungen erzeugen sowie die Möglichkeiten sonstiger Lebensaktivitäten offenhalten soll, kann zur Distanzierung von Organisationsreformen beitragen – insbesondere dann, wenn sie mit einer erhöhten Arbeitsbelastung verbunden sind.

Während einerseits gezeigt wurde, dass der Eigensinn von Beschäftigten für die Begrenzung, Interpretation und Modifizierung von Reformmaßnahmen entscheidend ist, konnten wir auch feststellen, dass Eigensinn und die Möglichkeiten seiner Artikulation von organisationalen Reformen nicht unberührt bleiben. Die Verunsicherung von Stellenstrukturen, aber auch die oftmals damit verbundene Infragestellung professioneller Arbeitsorientierungen, scheint die Möglichkeiten eigensinnigen Arbeitshandelns zu verändern. Besonders die Kurzfristigkeit von Beschäftigungssituationen und die damit verbundene fehlende langfristige Orientierung, Planbarkeit und Sicherheit spielen in diesem Zusammenhang eine herausragende Rolle.

Das ambivalente Verhältnis von professionellem und reproduktivem Eigensinn ist in diesem Zusammenhang besonders interessant. In unserer Untersuchung finden wir Hinweise darauf, dass, wenn Reformen zu Überlastungssituationen führen bzw. diese verschärfen, dies insbesondere den reproduktiven Eigensinn von Beschäftigten herausfordert. Wenn die Entlastung von Arbeitsanforderungen insgesamt vordergründig wird, kann dies allerdings nur zu Lasten professioneller Orientierungen umgesetzt werden. Dies ist nur eine Art und Weise, in der Organisationsreformen die Möglichkeiten des Ausdrucks professionellen Eigensinns begrenzen. Inwieweit professionelle Orientierungen darüber hinaus durch die Verunsicherung von Stellenstrukturen verändert und beschnitten werden, muss jedoch zum Gegenstand weiterer Forschungsanstrengungen gemacht werden.

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Endnoten:

[1]

Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert und beruhte auf Fallstudien in Schulen, Universitäten und Organisationen der Weiterbildung.

[2]

Allerdings vor allem unter dem Vorzeichen, dass fremdbestimmte, »objektivierte« Arbeit im Zuge des wirtschaftsstrukturellen Wandels und als Ergebnis neuer Strategien des Arbeitskräfteeinsatzes in Unternehmen durch eine veränderte Verwertung von Arbeitskraft gekennzeichnet ist, in der die betriebliche Nutzung aller subjektiven Potenziale menschlicher Arbeitskraft zunehmend wirtschaftlich rational wird, siehe dazu Kleemann (2012), Kleemann et al. (2002), Lohr/Nickel (2005). Arbeit in Bildungsorganisationen hingegen ist traditionell subjektivierte Arbeit, basiert sie doch auf professionellem Wissen, einer relativen Autonomie der Beschäftigten und einem geringen Maß an Formalisierung und Standardisierung.

[3]

Vgl. zu den Details von Fallauswahl und Auswertung ausführlich Lohr et al. (2013).

[4]

Über die Budgetierung der Personalkosten (im Gegensatz zur diskretionären Zuweisung) sollen Schulleitungen in die Lage versetzt werden, einen Teil der Personalausgaben bedarfsorientiert und eigenständig vorzunehmen.

[5]

Von uns befragte Lehrer/innen berichten von Halbjahresverträgen als der Norm, aber auch von kürzer befristeten Verträgen zur Krankheitsvertretung (in diesem Fall von sechs Wochen).

[6]

Hier und im Folgenden setzen wir direkte Zitate aus dem Interviewmaterial kursiv.

[7]

Wir beziehen uns nur auf das wissenschaftliche Personal, da dieses sich mit den universitären Kernprozessen Forschung und Lehre beschäftigt.

[8]

Und auch hier verändern sich die Beschäftigungsbedingungen, wie die Zunahme der Professuren auf Zeit (bspw. bei W2-Professuren oder Stiftungsprofessuren) zeigt.

[9]

Dies ist allerdings auch stark von den jeweiligen Fächern abhängig. Während in der Teilchenphysik mit einem eher kanonisierten Wissensbestand die Modularisierung der Lehre kaum als Einschnitt wahrgenommen wurde, stellte sie für die Kultur- und Literaturwissenschaften durch eine stärkere Orientierung auf Interpretationswissen eine starke Einschränkung dar.

[10]

Diese Typologie ist nicht als abgeschlossen zu verstehen, sondern als erweiterungsfähig und -bedürftig.

[11]

Professioneller Eigensinn muss sich allerdings nicht zwangsläufig im Widerspruch mit organisationalen Erwartungen befinden. Auch die Integration von neuen organisationalen Erwartungen (Öffentlichkeitsarbeit, Outreach, Gleichstellung) in das professionelle Selbstverständnis ist denkbar, wie wir am Beispiel eines Physik-Professors beobachten konnten.

[12]

Zur Geschlechtsspezifik dieses Umgangs mit Arbeits- und sonstiger Lebenszeit vgl. Hilbrich et al. (2011).

[13]

Im weiteren Sinne lassen sich auch Freizeitaktivitäten als Reproduktion von Arbeitskraft und damit arbeitsbezogen verstehen.

Über die AutorInnen

Karin Lohr

Arbeitsschwerpunkte: Arbeits-, Industrie- und Organisationssoziologie: Subjektivierung von Arbeit, Veränderungen von Arbeit und Organisation in Wirtschaftsunternehmen und im Bildungssystem, Arbeitsbeziehungen, Interessenvertretungsstrukturen.

Prof. Dr. Karin Karin Humboldt-Universität zu Berlin Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse Unter den Linden 6 10099 Berlin

E-Mail: karin.lohr@rz.hu-berlin.de

Thorsten Peetz

Arbeitsschwerpunkte: Soziologische Theorie und Methodologie der Sozialwissenschaften; Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftssoziologie; Ökonomisierung.

Dipl. Soz.-Wiss. Thorsten Peetz Humboldt-Universität zu Berlin Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse Unter den Linden 6 10099 Berlin

E-Mail: thorsten.peetz@sowi.hu-berlin.de

Romy Hilbrich

Arbeitsschwerpunkte: Arbeitssoziologie; Wissenschaftsforschung; qualitative Sozialforschung.

Dipl. Soz.-Wiss. Romy Hilbrich Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Collegienstraße 62 06886 Lutherstadt Wittenberg

E-Mail: romy.hilbrich@hof.uni-halle.de