»Wie ein Frosch in der Sahne …«
Identität im organisationalen Wandel am Beispiel eines unternehmensseitig angestoßenen Ausscheidens aus dem bisherigen Berufsleben

Sylke Meyerhuber

Zusammenfassung

Der Beitrag ist Aspekten einer gelingenden Identität von Führungskräften in den letzten Jahren vor ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben in einer sich wandelnden Organisation gewidmet. Dazu wird untersucht, welche Handlungspraktiken im Reorganisationsprozess dazu beitragen, menschliche Bedürfnisse in der Arbeit zum Ende des Berufslebens hin eher zu befriedigen oder eher zu kränken. Zunächst werden konzeptionelle Erwägungen vorangestellt und eine methodologische Rahmung für die qualitative Diskussion eines Fallbeispiels gesetzt. Im Hauptteil wird das Beispiel einer leitenden Führungsperson im Organisationswandel eines Unternehmens eingeführt. Über mehrere Jahre in einem Forschungsprojekt begleitet, können aus Interviews exemplarische Stationen des Erlebens dargestellt und diskutiert werden, mit Blick auf die Erfahrungsbildung im Sinne von Identitätsarbeit. Ein Fazit mit Empfehlungen für die organisationale Handlungspraxis – an Management sowie an die einzelne Führungskraft – sowie theoriegeleitete Überlegungen zur Identitätsarbeit im Wandel von Organisationen runden den Beitrag ab.

Schüsselwörter: Führungskräfte, Narration, Identität, Vorruhestand, organisationaler Wandel, Demographie, soziale Nachhaltigkeit, qualitative Sozial- und Organisationsforschung

Keywords: Executives, narration, identity, early retirement, organisational change, demography, social sustainability, qualitative social and organisational research

Summary

This paper is dedicated to aspects of a successful identity of executives in their last few years before retirement in a changing organisation. It examines the practices which contribute to satisfy the human needs at work or those which rather lead to the suffering short before retirement in re-organisational processes. First precedence will be given to the conceptual considerations, and a methodological frame for a qualitative discussion of a case study will be set. In the main part, the example of an executive in a changing organisation will be introduced. Accompanied by a research project stretching over several years, exemplary stages of experience taken from interviews can be demonstrated and discussed with the consequences of work experience on identity in mind. A summary leads to recommendations for organisational practices for management as well as each executive individually. Additionally theoretical considerations, conducted with respect to the example, round up this article.

Schüsselwörter: Führungskräfte, Narration, Identität, Vorruhestand, organisationaler Wandel, Demographie, soziale Nachhaltigkeit, qualitative Sozial- und Organisationsforschung

Keywords: Executives, narration, identity, early retirement, organisational change, demography, social sustainability, qualitative social and organisational research

1. Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben als Entscheidung im organisationalen Reorganisationsprozess und Identität

Als langjährige Erfahrungsträger/innen in einem Unternehmen blicken ältere Führungskräfte oft auf eine Historie mit Prozessen und Partnern zurück, die bestenfalls in eine differenzierte Feldkompetenz mündet und wertvolles Expertenwissen darstellt (»tacit knowing«, Polanyi 1985).

Eigene berufliche Expertise ist eine wichtige Quelle, aus der sich die Identität eines Menschen in der Arbeitsgesellschaft in positiver Weise speisen kann. Entsprechend schwierig ist es im organisationalen Wandel, wenn ältere Erfahrungsträger/innen aus einem Unternehmen ausscheiden, da sie ihr Wissen und Können nur zum Teil weitergeben können. Aus psychologischer Perspektive kann dies schmerzlich für beide Seiten sein: scheidende Positionsinhaber/innen mögen den Eindruck gewinnen, dass wichtige Zusammenhänge anderen nicht vermittelbar sind oder auch kaum wertgeschätzt werden. Verbleibende Verantwortliche mögen bei Versuchen der Vermittlung den Eindruck gewinnen, dass viel zu komplizierte oder überkommene Zusammenhänge thematisiert werden, während man doch voranschreiten und Neues versuchen möchte. Vor diesem Hintergrund wird eine gewisse Frustration auf beiden Seiten erwartbar, wenn es um Informationsweitergabe und Nachfolge für ausscheidende Wissensträger/innen in Organisationen geht.

Ältere Führungskräfte finden sich zunehmend jüngeren Managementmitgliedern unterstellt, die im konkreten Handlungsfeld vergleichsweise unerfahren(er) sind. Im strategischen Management eine Organisation so weiterzuentwickeln, dass sie in ihrem Sektor bestehen und sich ändernden Bedingungen anpassen kann, macht es notwendig, in neuen Bahnen zu denken und die Anschlussfähigkeiten an Bisheriges zu ermöglichen – ein schwieriger Spagat nicht nur auf Ebene der Taten, sondern auch in Kopf und Herz entsprechender Personen! Hier geraten ältere Führungskräfte eines Unternehmens teilweise in die Rolle von Bedenkenträger/innen, die Prozesse mit ihrer Expertise (Polanyi) anders einschätzen als unerfahrenere Akteure und werden im Wandel womöglich als störend erlebt. Dies kann einer Tendenz des »Drumherumplanens« oder auch des »Rausplanens« Vorschub leisten.

Andere Organisationsmitglieder orientieren sich an ihnen langjährig vertrauten Führungspersonen, auf Basis der hierarchischen Abhängigkeiten und auch informell gewachsener Sozial- und Vertrauensstrukturen. Führungskräfte, die Vertrauen und Akzeptanz von Mitarbeitenden und Kolleg/innen genießen, sind in Reorganisationsprozessen als sozialrelevantes Rückgrat von spezifischer Bedeutung, denn v.a. im organisationalen Wandel bedarf es des sozialen Halteseiles durch Personen, denen man vertraut und die in der Position sind, Erwartungen, die in dieses Vertrauen gesetzt werden, auch erfüllen zu können (Meyerhuber 2013a). Was mag es für Funktionsinhaber/innen sowie soziales Umfeld bedeuten, wenn im Rahmen einer Reorganisation so eine Person bzw. Position eingespart wird?

Aus der Managementperspektive bedeuten Stellen »demnächst ausscheidender« Führungskräfte Einsparpotenzial sowie Ansatzpunkt für die Verschiebung von Aufgaben und Einfluss. Neben strukturellen sind aber stets auch dynamische Auswirkungen erwartbar, wenn Erfahrungsträger/innen und ihre Position im Sozialgefüge der Organisation zur Disposition stehen.

Aus arbeitspsychologischer Perspektive und mit Blick auf die Identität scheidender Mitarbeiter/innen fragt sich daher, wann und in welcher Weise Entscheidungen getroffen, kommuniziert und umgesetzt werden. Im Einzelfall kann eine vorzeitige Berentung mit 64 oder, so zeigt die Abfindungspraxis in Unternehmen, schon ab Mitte 50 erfolgen, d.h. zehn Jahre vor dem erwarteten Ruhestand. Gemessen an einer bis dato gehegten Erwartung, noch zehn Jahre aktiv im Berufsleben zu wirken, können strategische und individuelle Erwartungshorizonte also stark divergieren. Subjektiv mögen Selbst- und Welterwartung unter der Erkenntnis ins Wanken geraten, im Betätigungsfeld als entbehrlich angesehen zu werden. Im Licht des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses um demographischen Wandel, Fachkräftemangel sowie die Erhöhung des Rentenalters resultieren hieraus für die Selbstwahrnehmung und -beschreibung betroffener Menschen anspruchsvolle Bewältigungsaufgaben sowohl in der real existierenden äußeren Welt als auch in der psychischen Binnenwelt.

Organisationen gehen mit dem Ausscheiden langjähriger Führungskräfte im Reorganisationsprozess wertvolle Sozialpartner sowie deren Einsichten verloren. Wandel bezieht sich auf Prozesse und Schnittstellen nach Innen und Außen, und häufig sind langjährig erfolgreiche Führungskräfte dafür Experten/innen. Hier deutet sich ein Zwiespalt an, der für alle Beteiligten schwierig werden kann. Solange von organisationalen Einsparungen betroffene Menschen – vielleicht sogar noch einige Jahre – in ihrer Position verbleiben, werden Einschränkungen der Beteiligung am Prozess des Wandels für sie problematisch sein. Denn Partizipation ist, wie seit der Ottawa-Charta 1986 vielfach dokumentiert, eine zentrale Quelle der Gesunderhaltung in der Arbeit (jüngst bspw. Becke 2008; Badura/Ducki/Schröder/Klose/Macco 2011; Rudow 2011; Matyssek 2011). Hat eine Person sich viele Jahre gestalterisch für eine Organisation eingesetzt, so wird sie diesbezügliche Fähigkeiten und Ansprüche nicht einstellen. Auch in Bezug auf Kultur und Vertrauen im Unternehmen ist die Signalwirkung, wie mit geschätzten Rollenträger/innen verfahren wird, für künftige Situationen nicht zu unterschätzen. Aus diesen Gründen ist es auch strategisch wichtig, die Expertise von Erfahrungsträger/innen so lange wie möglich konstruktiv einzubeziehen.

Individuell-biographisch ist mit dem Wegfall der Arbeitsrolle eine Krise der Identität (innerpsychisch und sozial) angelegt, die vom Individuum bewältigt sein will: berufliche Rolle und Expertise bieten zentrale Ankerpunkte des positiven Selbstbildes und -erlebens. Als Reorganisationsergebnis stellt »Vorruhestand« selbst so ein problematisches Ausgrenzungskonstrukt dar; umso mehr, wenn er nicht selbst angestrebt wurde. Daraus ergibt sich für die Frage, wie so eine Entscheidung, wenn denn getroffen, sozial adäquat in der Zeit bis zum Ausscheiden einer Führungskraft umgesetzt wird; Entscheidungs- sowie Umsetzungsschritte sind allseits achtsam zu gestalten.

In sinnvoller Weise einbezogen und schrittweise gestaltet, kann eine erfahrene Führungsperson bis zu ihrem Ausscheiden in der Organisation konstruktiv mitwirken und gegen Ende ihres Berufslebens Erfahrungen und Aufgaben soweit als möglich weitergeben. Auf inhaltlicher sowie auf sozialer Ebene können mit solch einer Handlungspraxis insgesamt positive Akzente gesetzt werden, die zur nachhaltigen Arbeitsqualität beitragen. Es ist nach meinem Verständnis im organisationalen Wandel eine zentrale Aufgabe des Managements, positiv-gelingende Identität durch konstruktive Schritte – auch zum Abschluss der Berufsphase – zu unterstützen.

Als psychologische Sozial- und Arbeitsforscherin am artec / Forschungzentrum Nachhaltigkeit[1] orientiere ich mich an der Leitvorstellung der Nachhaltigkeitsforschung: ökonomische, ökologische und soziale Erwägungen sollten in einem Unternehmen gleichermaßen berücksichtigt werden (Grundwald/Kopfmüller 2006)[2]. Ansatzpunkte für sozial nachhaltiges Handeln in Organisationen sehe ich auf drei Ebenen: 1) Strukturen und Prozesse, die sozial konstruktive Wirkungen entfalten. 2) Die Art und Weise des Umgangs miteinander, vor allem in Hinsicht auf hierarchische Interaktionen, aber auch kollegial. 3) Verhaltens- und Verarbeitungsweisen des Individuums selbst (Meyerhuber 2012, S. 92).

Die Leitidee sozialer Nachhaltigkeit lässt sich mit Vorstellungen konstruktiver Identität(sarbeit) im Arbeitskontext gut verbinden, denn sie unterstützen bei der Konkretisierung, wie menschliche Bedürfnisbefriedigung, Gesunderhaltung, sozialer Schutz und Gerechtigkeit in der Arbeit des Einzelnen aussehen und wie arbeitende Menschen (in ihren jeweiligen Rollen strukturell, interaktionell und individuell) diese Ziele im Alltag verfolgen können (ebd. S. 93). Aus dieser Perspektive fragt sich, wie Reorganisationsprozesse so gestaltet werden können, dass sie (auch) sozialen Anforderungen genügen. Diese Frage drängt, da in Reorganisationen nicht nur »Positionen« wegrationalisiert werden, sondern Menschen ihr langjähriges Betätigungsfeld aufgeben müssen. Hierzu ist es gut zu erkennen, welche Praktiken sich unter sozialer Perspektive als förderlich erweisen und welche das Individuum in seiner Identität zusätzlich erschüttern können, womöglich auch in beschädigendem Ausmaß.

Aus dieser Überlegung heraus könnte »gelingende Identitätsarbeit« auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen und organisationalen Individualisierungsdynamik zu einem Kriterium dafür werden, wie gut es in Organisationen gelingt, Aspekte sozial nachhaltigen Handelns zu realisieren. Dabei verstehe ich es als eine gemeinsame Aufgabe von Individuum und umgebenden Sozialsystem, entsprechende Krisen konstruktiv zu gestalten. Denn während »die Fähigkeit zur individuellen Selbstkontrolle zu den Versprechungen der Moderne zählt«, wie der Sozialpsychologe Keupp (1997, S. 13) hervorhebt, muss die Idee, dass dies dem Subjekt allein obliege oder gelänge, als moderner Mythos gelten. Es ist ein Konstrukt (Horkheimer/Adorno 1969, S. 33).

Reorganisationsprozesse im Arbeitskontext stellen aus arbeitspsychologischer Sicht mit ihren krisenhaften Übergängen Herausforderungen sozialer und psychischer Natur bereit. Ebenso gilt die Vorbereitung auf den Ruhestand für das Individuum als krisenhafter Übergang (biographische Statuspassage, Heinz 1995). Treten beide Krisen parallel auf, was heutzutage für reifere Arbeitnehmende nicht selten der Fall sein dürfte[3], dann resultieren aus dieser Gemengelage für das Individuum schwierige Aufgaben der sozialen sowie psychischen Bewältigung. Ebenso ergeben sich hieraus mit dem Leitgedanken sozial nachhaltigen Handelns in Organisationen verantwortungsvolle Gestaltungsaufgaben für Personen, die Rollen als Unternehmensleitung oder in höheren Stabs- oder Vorgesetztenfunktionen innehaben.

2. Annäherung an das »narrative Gewebe des Lebens« – subjektive Perspektive und Sinnverstehen

Reorganisationsprozesse vollziehen sich als Interaktionsprozesse im sozialen Raum der Organisation. Im Sinne der qualitativen Sozialforschung verstehe ich soziale Interaktion als einen stets interpretativen Prozess, der sich zwischen handelnden Menschen in einem spezifischen Kontext vollzieht. Der qualitative Methodiker Wilson[4]:

»Der eine Handelnde nimmt das Handeln des anderen wahr als ein bedeutungs- und sinnvolles Handeln, in dem sich eine Absicht oder eine Haltung, in eine Rolle gefasst, ausdrückt. […] Folglich sind die wahrgenommenen Absichten und Bedeutungen im Handeln des anderen immer nur vorläufig, und sie unterliegen der ständigen Revision im Lichte nachfolgender Ereignisse« (Wilson 1973, S. 59f.).

In Interviews berichten Menschen, nach kontextbezogenen Erfahrungen gefragt, von ihren Wahrnehmungen. Im Sinne des interpretativen Paradigmas qualitativer Sozialforschung verstehe ich so entstehende Beschreibungen nicht als »objektiv« in dem Sinne, dass sie abbildende Beschreibungen von Wirklichkeit darstellten (Wilson 1973). Vielmehr, und dies ist m.E. umso wertvoller, verstehe ich sie als kontextualisierte »… Interpretationen, die von Beteiligten an den einzelnen Ereignisstellen der Interaktion getroffen werden, und die in der Abfolge von Ereignisstellen der Überarbeitung und Neuformulierung unterworfen sind« (ebd. S. 61). Liegen Interviews aus mehreren Jahren vor, so werden darin als zentral erlebte Ereignisstellen (Schlüsselszenen und Muster, welche die Festigung oder Überarbeitung einer Interpretation nach sich ziehen) und sich verdichtende Interpretationen nachvollziehbar.

Zentrale Inhalte dieses Beitrags bestehen aus empirischem Material in Form von narrativen Interviews mit einer Führungskraft im Reorganisationsprozess (Abschnitt 3). Eine Einfühlung in die subjektive (Er‑)Lebenswelt erlaubt wertvolle Einblicke nicht nur in die organisationale Praxis, sondern auch darin, wie sich ereignende Strukturentscheidungen und Interaktionsweisen auf das Individuum (auch: das soziale Umfeld) sowie seine Möglichkeiten des Erlebens und identitätswirksamen Verarbeitens auswirken. So wird nicht nur das »Was«, sondern auch das »Wie« im organisationalen Wandel für die Frage »gelingender Identitätsarbeit« exemplarisch erschließbar.

Identität basiert auf sozialer Anerkennung (Schütz/Luckmann 1979; Honneth 1992). Dies setzt soziale Zugehörigkeit voraus. In Umstrukturierungsprozessen verändern sich zugleich Arbeitsverhältnisse und Anerkennungsverhältnisse. Menschen, die verschiedenen sozialen Kontexten zugehören und gut darin sind, soziale Kontakte zu pflegen, haben es voraussichtlich leichter, dennoch in überdauernder Weise Identität(skontinuitäten) für sich zu sichern. »Gelingende Identitätsarbeit« möchte ich entsprechend in Anlehnung an den Sozialpsychologen Keupp hier vorläufig verstehen als eine positive Soll-Vorstellung, welche dem Individuum trotz chaotischer Außeneinflüsse konsistentes Selbstbeschreiben und -erleben ermöglicht. Als Gegensatz dazu zeichnet Keupp ein Bild, wonach Identität auch brüchiger, fragiler ausfallen kann, und spricht in diesem Falle vom Gegenentwurf eines »beschädigten Lebens« (Keupp 1997, S. 101ff., S. 207ff.). Ich stelle mir diese Begriffe als Eckpunkte in einem Kontinuum möglichen Selbsterlebens vor, in welchem das Individuum aus der Gänze seiner Eindrücke und im Fluss der Zeit fortwährend das »narrative Gewebe seines Lebens« (Brockmeier 2003, S. 9) rekonstruiert (s. a. Abschnitt 4).

Identität als Ergebnis der subjektiven Verarbeitung von Erfahrungen des »Seins-In-Der-Zeit« wäre demnach fortwährendes Konstrukt und Aufgabe der Persönlichkeitsbildung, lebenslang in der Innenwelt einer Person und in Auseinandersetzung mit äußeren und inneren Realitäten konstruiert. Der Kulturpsychologe Brockmeier schreibt über sein Verständnis menschlicher Lebenszeit, wonach Begriffe von Leben und Zeit als komplexe holistische Bedeutungskonstruktionen begriffen werden: »Bei der Untersuchung solcher Konstruktionen spielen lebensgeschichtliche Erzählungen sowie andere narrative Formen menschlicher Selbstvergewisserung eine zentrale Rolle, da sie eine Perspektive auf die individuellen wie die kulturellen Aspekte unserer Identität als ‚Sein in der Zeit’ eröffnen« (2003, S. 4). Entsprechend verstehe ich für den empirischen Teil, der diesem Abschnitt folgt, die lebensgeschichtliche Erzählung meines Gesprächspartners auch als eine Form der Selbstvergewisserung im Gespräch. Zudem erlauben seine Narrationen diesem Verständnis folgend Einblicke in individuelle Sichten auf subjektives »Sein-In-Der Zeit«, welche sich fortschreitend entfalten, verändern, entwickeln. Insgesamt lassen seine Erfahrungen sich als Beispiele lesen, wie sich strukturelle und interaktive Ereignisse auf Führungskräfte auswirken können, die in Reorganisationsprozessen mitwirken und sich zugleich auf ihr Ausscheiden aus dem Berufsleben vorbereiten.

Brockmeier zum »narrativen Gewebe des Lebens«, wie er es prosaisch nennt:

»Wann immer es darum geht, Leben als ein bedeutungsvolles Sein in der Zeit zu verstehen, befinden wir uns in einem narrativen Modus. […] Der Psychologie muss es daher vordringlich darum gehen zu verstehen, wie wir unter Bedingungen eines in der Regel unbereinigten und unbereinigbaren Alltagslebens Bedeutungen konstruieren und ihnen entsprechend handeln (oder auch nicht handeln). […] Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, über das menschliche Leben und seinen zeitlichen Horizont, die Lebenszeit, als über eine komplexe kulturelle Bedeutungskonstruktion[5] nachzudenken. […] Finden doch die Bedeutungskonstruktionen, um die es hier geht, in den offenen Diskursen und fließenden Kontexten menschlicher Selbstthematisierung statt, jenen Diskursen also, in denen das, was wir als unser Sein in der Zeit – unserer Identität – ansehen, überhaupt erst festgelegt und beschrieben wird« (Brockmeier 2003, S. 7).

In qualitativem Interviewmaterial zu findende, subjektive Bedeutungskonstruktionen verstehe ich entsprechend als vorläufige, manchmal brüchige und ambivalenzvolle Thematisierungen. Sie stellen individuelle Versuche dar, für gelingende Identitätsarbeit in sich schlüssige Konstruktionen zu erschließen. Identität(sarbeit) ist nach diesem Verständnis immer subjektiv zu leistende Biografiearbeit und stellt in der postmodernen Arbeitsgesellschaft eine individuelle Gestaltungs- und Konstruktionsaufgabe dar. Interviewmaterial in diesem Sinne zu verstehen und nachzuzeichnen erlaubt es, einerseits Einsichten in organisationale Praktiken zu gewinnen und andererseits, sich der Wirkungen dieser Praktiken auf Individuen bewusster zu werden.

Dabei ist zu beachten, dass Interviews nur Ausschnitte aus der individuellen Identitätskonstruktion abbilden, da zeitlich begrenzte Gespräche nicht ausreichen, komplexe, teilweise über Jahrzehnte entstandene Erfahrungen und Einordnungen angemessen darzulegen. Allerdings wählt die erzählende Person als Expert/in ihres Erlebens auch ihres Erachtens geeignete Passagen aus, welche zentrale Verbindungen und Schlüsse aus ihrer Perspektive nachzuzeichnen erlauben. Diese Exemplarität der Auswahl beinhaltet wiederum die Qualität sich verdichtender Interpretationen, wobei zugleich auch das Erzählen selbst einen Akt sozialen Handelns darstellt.

Selbstbeschreibungen des Erlebens, hier das an Arbeitserfahrungen sich konkretisierende »Sein-In-Der-Zeit« (d.h. Identität), spiegeln nach meinem Verständnis zudem innere Strukturkonflikte ebenso wie verinnerlichte Strukturkonflikte des sozialen Umfeldes sowie Akte einer innerpsychischen Vermittlung, um die aus diesen Strukturkonflikten resultierenden, inneren Spannungen zu reduzieren (Meyerhuber 2009, S. 99ff., 2001, S. 66ff.). Insofern beinhaltet Identitätsarbeit immer auch Vermittlungsarbeit äußerer Strukturmerkmale in der Innenwelt einer Person.

Brockmeier (2003) unterscheidet entsprechend zwei Formen, in denen Leben und Erzählung ineinander verflochten sind:

»Zum einen weist menschliches Handeln selbst eine Reihe von narrativen Strukturmerkmalen auf … Handlungsverläufe haben in der Regel einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende, sie sind auf ein Ziel hin ausgerichtet, realisieren ein Mittel-Zweck-Verhältnis, sind durch Intentionen geleitet und bilden ein bedeutungsvolle Ganzes. In diesem Sinne kann nun allerdings auch das Erzählen als ein Handeln verstanden werden. Erzähltheoretiker, Sozio- und Diskurslinguisten sprechen von Erzählakten als von Sprechakten, die in der Regel einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende haben, auf ein Ziel hin ausgerichtet sind, ein Zweckmittelverhältnis realisieren, durch Intentionen geleitet sind und ein bedeutungsvolle Ganzes, eben einen Plot bilden« (S. 9).

Der »Plot«, aus dem im Abschnitt 3 Facetten entfaltet werden, betrifft insofern immer auch diese beiden Seiten: das Erzählen selbst kann als ein sinnstiftender Akt in sich selbst begriffen werden, während die Erzählung zugleich Anteile von Geschehnissen in der realen sozialen Welt aus subjektiver Perspektive und konstruktivistisch-sinnverstehend spiegelt und verarbeitet.

Im empirischen Teil zugrunde gelegte Erfahrungen entlang exemplarischer Ereignisstellen des Reorganisationsprozesses aus Perspektive einer bald ausscheidenden Führungskraft beleuchten sich ereignende Strukturentscheidungen und Interaktionsweisen sowie mögliche identitätsrelevante Wirkungen aus der Subjektposition des Erzählers. Im »narrativen Gewebe« seines Arbeitslebens spiegeln sich insofern soziale und psychische Bewältigungsaufgaben, welche sich im Reorganisationsprozess einer Führungskraft, die den Prozess zugleich als Subjekt (mitwirkend, gestaltend) und Objekt (umorganisiert, wegrationalisiert in den Vorruhestand) stellen mögen.

3. »Bewältigungsaufgabe Reorganisation« als Identitätsarbeit – Ein Fallbeispiel

Identität(sarbeit) älterer Mitarbeiter/innen kann in doppelter Hinsicht herausfordernd sein: Durch organisationale Wandlungsprozesse, welche sich in vielen Organisationen nahezu überholen, ohne dass je noch strukturelle Ruhe einkehren würde. Sie berühren strukturelle Kooperations- und Arbeitszusammenhänge ebenso wie individuelle Rollen- und Selbstverständnisse. Zudem an jener kritischen Statuspassage im Lebenslauf (Heinz 1995), die als Übergang vom Beruf zur Berentung in der eigenen Biografie und unter Identitätsgesichtspunkten bewältigt werden muss (Erikson 1966). Letzteres wird womöglich umso herausfordernder für das Individuum, wenn der Ruhestand viel früher als erwartet Realität wird. Diese zwei Quellen der Herausforderung können sich in der organisationalen Praxis auch verzahnen und bilden so eine psychologisch ansprüchliche Gemengelage für das Individuum.

Dieser Abschnitt ist empirischen Erkenntnissen zu jenen zwei Ebenen des menschlichen Erlebens und Verarbeitens gewidmet. Er konkretisiert in 3.1 die kontextuelle sowie methodische Rahmung. In 3.2 werden subjektive Eindrücke aus empirischem Material, welches mit drei Interviews aus vier Jahren vorliegt, vorgestellt und diskutiert. In 3.3 erfolgt ein Resümee mit Blick auf Rollenträger in Organisationen.

3.1 Forschungspartner, methodische und identitätstheoretische Perspektiven, Balance erkenntnisbezogener und organisationsweltlicher Interessen

In einem Forschungsprojekt[6] wurden über mehrere Jahre hinweg subjektive Eindrücke von Führungskräften im Reorganisationsprozess dokumentiert. Bei der Beschäftigung mit diesem Material fielen mir Interviews aus 2010 und 2011 auf, die spiegeln, wie einem erfahrenen Hauptabteilungsleiter[7] nach und nach deutlich wird, dass seine Position im Hause eingespart werden soll. Dies stimmte mich nachdenklich. Im Mai 2013 wurde es mir möglich, mit ihm ein weiteres Interview zu führen und darüber zu sprechen, was aus den Prozessen wurde und wie es ihm in seiner Rolle weiter ergangen ist. Meinen Gesprächspartner nenne ich im folgenden Herrn Bertram.

Herr Bertram ist seit über 20 Jahren in der Organisation tätig. Sein Arbeitsfeld, hier verallgemeinert als Hauptabteilung bezeichnet, entwickelte er im Laufe seiner Tätigkeit zum größten mit ca. 200 Mitarbeiter/innen. Die gut etablierte Organisation schien vor einigen Jahren ihre finanzielle Stabilität einzubüßen und ist seit ca. 5 Jahren unter der Leitung eines neuen Managers mittels vielfältiger Reorganisationsmaßnahmen bemüht, diese Gefahr abzuwenden. Der neue Manager war bei Antritt seiner Tätigkeit Ende dreißig und wurde von außen angeworben.

In meiner Forschung beschäftigen mich an der Schnittstelle von Arbeit und Gesundheit zwei erkenntnisleitende Fragen: Was machen die Strukturen, Prozesse und Interaktionsweisen mit den Menschen in ihrer Arbeit? Und: Wie müssen diese Strukturen, Prozesse und Interaktionen beschaffen sein, damit Menschen ihre Potenziale in gesund erhaltender, produktiver Weise einbringen können? Also: Wie kann in sozial nachhaltiger Weise in Organisationen gehandelt werden? Paradigmatisch gehe ich dabei davon aus, dass objektive Bedingungen und subjektives Erleben im Kontext der Arbeit in Wechselwirkung stehen: Objektive Bedingungen wie organisationale Strukturen und Prozesse, hierarchische Konstellationen und zwischenmenschliche Interaktionen sowie weitere Gegebenheiten der realen Arbeitssituation wirken sich demnach auf das Individuum aus, haben nicht-beliebige Konsequenzen für sein Erleben und Handeln (Leithäuser/Volmerg 1988; Meyerhuber 2009, S. 95ff.). Eine weitere Überzeugung bezieht sich darauf, dass Menschen in ihrer Arbeit vielfältige Möglichkeiten der psychischen Bedürfnisbefriedigung vorfinden, aber ebenso in ihren psychischen Bedürfnissen gekränkt werden können.

Dieses Verständnis geht auf die psychoanalytische Konzeption S. Freuds (1930) zurück. Der Autor unterscheidet aggressive, libidinöse und narzisstische Grundbedürfnisse des Menschen, welche durch Arbeit mit angesprochen werden. Alltagssprachlich ausgedrückt: Er unterscheidet in menschliche Bedürfnisse nach Selbstwirksamkeit, Kontrolle und Einflussnahme, nach Beteiligung, Zuneigung und Anerkennung sowie nach Selbstdarstellung, Autonomie und Abgrenzung. Vor diesem tiefenpsychologischen Verstehenshintergrund, der greifbarer macht, was ein Subjekt in seiner Arbeit psychisch an- und umtreiben mag, lässt sich auch ableiten, woraus sich Identität stiftende sowie Identität bedrohende Erfahrungen in Arbeit und arbeitsbezogener Interaktion speisen. Es wird verstehbar, weshalb verschiedene Menschen bspw. objektiv gleiche Situationen sehr unterschiedlich erleben und verarbeiten. Andererseits erklärt sich damit auch, wie es sein kann, dass eine strukturell gleiche Situation von einer Person gänzlich anders erlebt werden kann (gut aushaltbar oder unerträglich), wenn sich auf der zwischenmenschliche Ebene eine Nuance im Umgang verändert. Beispiele wie diese illustrieren: Situativ und individuell werden Menschen objektiv gleiche Situationen für sich nutzen und verarbeiten können je nachdem, wie ihre subjektiven Grundbedürfnisse darin eher Befriedigung oder eher Kränkung erfahren. Sozial-situative und individuell-persönlichkeitsbezogene Aspekte verschränken sich hierin zu jenen Ebenen eines komplexen Wirkgeschehens, aus denen sich Arbeit als sozialpsychologisches Forschungsfeld zusammensetzt.

Daher ist Identitätsarbeit im Kontext von Arbeit nach meinem Verständnis nie rein innenweltlich und individualpsychologisch zu reflektieren, sondern zunächst systemisch-interaktionistisch. Entsprechend leitet mich in der Auswahl exemplarischer Textstellen aus themenzentrierten Interviews (Schorn 2000; Meuser/Nagel 2002) mit Herrn Bertram die Frage, welche Erfahrungen im organisationalen Wandel, von denen er berichtet, sich für ihn anscheinend psychisch befriedigend und stärkend auswirken, und welche er eher als kränkend und ihn beeinträchtigend beschreibt.

Bei der Erstellung des empirischen Teils (3.2) haben mein Interviewpartner und ich gemeinsam versucht, eine gute Balance zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der Berücksichtigung organisationsweltlicher Interessen zu finden. Ein erster, auf längeren Textpassagen basierender Entwurf erwies sich bei der kommunikativen Validierung für meinen Forschungspartner, Herrn Bertram, als lebensnahe Fassung einerseits persönlich sehr stimmig und erhellend, andererseits mit Bezug auf sein Arbeitsumfeld als zu »heiß« zu diesem Zeitpunkt, im laufenden Vorruhestandsprozess. Denn in seiner Situation ist für ihn zentral, in gutem Einvernehmen zu gehen. Trotz Anonymisierung wären Wortwahl und Situationen für Kenner des Betätigungsfeldes oder für seinen Vorgesetzten vielleicht zuzuordnen. Diese Vorstellung löst Ängste aus, denn Vorgesetzte haben, so Herr Bertram, immer auch »sehr empfindliche Antennen dafür, wie sie selbst womöglich vor anderen dastehen« [8], und er möchte niemanden kränken oder im Streit gehen.

In der Forschungssituation re-inszeniert sich womöglich, so reflektierten wir, eine vertraute Dynamik des Reorganisationsprozesses: Auch dort haben Führungskräfte oft gefunden, dass sie gut und richtig liegen, und sind dann vorsichtig zurückgerudert, um nicht den Manager ihres Hauses zu verärgern. Die Gestimmtheit der obersten Leitungsperson im Hause wird in solchen Momenten zum wichtigsten Gradmesser dessen, was und wie es im Reorganisationsprozess der Organisation geht oder nicht geht. Und dies eben auch im Falle der empirischen Beschreibung. Herr Bertram resümiert in einem Kernsatz[9]: »So wird der Personen- und Datenschutz ein Dilemma für die Wissenschaft, denn was wir inhaltlich herausgearbeitet haben, ist auch für andere sehr wegweisend und gerade in seiner Konkretheit so wertvoll!« (2013)

Wir beschlossen, von diesem Verlauf zu berichten, da er im psychoanalytischen Sinne einer Feldübertragung Hinweise auf die Dynamik im Reorganisationsprozess gibt: Prozesse des Wandels in Organisationen finden in ihrer Innenwelt statt und unterliegen einer Schweigepflicht, die sich aus Loyalität, dem Gebot der Wahrung des Betriebsfriedens, etc. ergibt. Das Tabu, interne Schwierigkeiten und Zumutungen nicht nach außen dringen zu lassen, wird verstärkt durch die Sensibilität der Leitungsperson, auf die sich abhängig beschäftigte Führungskräfte seismographisch beziehen (müssen). Forschungsvorhaben im Organisationskontext haben mit entsprechenden Realitäten umzugehen. Hier ist Vertrauensschutz höchstes Gebot, und zugleich besteht der Anspruch qualitativer Forschung, aus den Mustern subjektiver Erfahrungsbildung (Wilson 1973) wissenschaftlich wertvolle Erkenntnis abzuleiten.

Für diesen Beitrag haben wir uns daher auf ein Abstraktionsniveau für die Ergebnisdarstellung verständigt. In paraphrasierter Form, überwiegend gestützt durch Zitatstellen mit »Kernsatz« -Charakter, werden Erfahrungen dargestellt, die für »Identität im Wandel« geeignet sind aufzuzeigen, wie sich für das Individuum belebend-stärkende Erfahrungen sowie auch kränkend-zermürbende Erfahrungen aufsummieren und subjektiv in der realen sozialen Welt sowie psychisch bewältigt sein wollen.

3.2 Psychische Bewältigungsanforderungen für Reorganisation und Ruhestand – Exemplarische Erfahrungen aus subjektiver Perspektive

In drei Themenfeldern werden in diesem Kapitel Schlüsselszenen der psychischen Erfahrungsbildung aus Perspektive des Hauptabteilungsleiters Herrn Bertram im Reorganisationsprozess vorgestellt, basierend auf Interviews in 2010, 2011 und 2013. Von der gegenwärtigen Situation ausgehend, geht es im ersten Themenfeld vor allem um konstruktive Beispiele der psychischen Erfahrungsbildung, die zu einem positiven Ausscheiden aus seinem Berufsleben beitragen. Im Rückblick auf mehrere Jahre, die dem vorausgingen, werden im zweiten Themenfeld eher schwierige, kränkenden Erfahrungen aus einem fünfjährigen Prozess der Reorganisation dargelegt. Im dritten Themenfeld sind Beispiele dafür zusammengestellt, wie eine ermutigende Antizipation von Zukunft den Übergang vom erfüllenden Berufsleben in einen vorgezogenen Ruhestand unterstützen kann.

Vorbemerkung: Positive Entwicklung in Organisationen braucht Zeit, sowohl strukturell als auch zwischenmenschlich. Beide Aspekte haben sich in den Jahre, auf die dieser Text reflektiert, positiv entwickelt. Rückblickend jedoch geht es um subjektiv prägende Höhen und Tiefen auf dem Wege – was wurde als besonders positiv erlebt, was als besonders belastend? – arbeitsweltliche Lebenspraxis liegt dazwischen.

3.2.1 Beispiele konstruktiver Erfahrungen für einen positiven Berufsausstieg

Gegen Ende der aktiven Phase seines Berufslebens blickt Herr Bertram, 59 Jahre alt, sowohl auf problematische, ihn stark fordernde Jahre der Restrukturierung und der Auseinandersetzungen in seinem Berufsfeld zurück als auch auf gelungene, ihn zufrieden machende Prozessschritte. Er ist von seinem Arbeitgeber als Teil der Reorganisation in den Vorruhestand abgefunden worden, um die Funktion eines Hauptabteilungsleiters schon frühzeitiger einsparen zu können. Ausgangspunkt einer Darstellung seiner Erfahrungen sind zunächst Beispiele, die für ihn befriedigende Aspekte im Ausstieg aus seinem Berufsfeld darstellen.

3.2.1.1 Ein bisschen absurd, auf dem Höchststand meines Wissens auszuscheiden

Wie geht es Herr Bertram dabei, wenn er sich vorstellt, demnächst nicht mehr in seinem langjährigen Betätigungsfeld zu arbeiten? Der folgende Kernsatz fasst seine gemischten Gefühle zur aktuellen Situation zusammen:

»Es ist auch ein bisschen absurd, auf dem Höchststand meines Erfahrungswissens auszuscheiden« (2013, Z. 54f.).

Sich als kompetent in der eigenen Arbeit zu erleben entfaltet für Menschen eine spezifische Kraft, die positiv und befriedigend erlebt wird. Experte in seinem Feld zu sein bedeutet für die eigene Identität, das Ich-Erleben, sich im So-Sein erfahren zu können: zu sein, wer man ist durch das, was man tut. Mit ca. 59 Jahren aus dem Erwerbs(er)leben auszuscheiden geht mit entsprechend gemischten Gefühlen der Absurdität einher: Herr Bertram erläutert, »vielleicht auf dem Höchststand« (2013, Z. 56) seiner fachlichen Vernetzung und Erfahrung zu sein und zudem »bei guter Gesundheit« (2013, Z. 75). Seine Rolle nun niederzulegen beinhaltet, dass ihm sein Scheiden auch traurig, bitter ist, ein Verlust, der bewältigt sein will. Als »absurd, komisch, seltsam, merkwürdig« bezeichnet Herr Bertram sein Erleben dieses substanziellen Verlustes an verschiedenen Stellen im Interview.

3.2.1.2 Arbeit ist auch ein bisschen Lebenselixier

Herr Bertram nennt im Gespräch seine Arbeit »auch ein bisschen Lebenselixier« (2013, Z. 73), also einen Stoff, der das Leben erhält, kraftvoll auflädt oder auch lebenswert macht. Wenn man »mitarbeitet und auch etwas hinkriegt« (2013, Z. 74), dann resultiert daraus eine befriedigende Energie, die er sehr schätzt.

Wie geht es einem Menschen, der mehr als zehn Jahre vor seinem erwarteten Rentenalter erstmals verdeutlicht findet, dass er gern schon viel früher nach Hause gehen kann? In Hinblick auf Anteile der Identität, die auf das berufliche und persönliche Selbstbild bezogen sind, werden hier Erschütterungen für das bisherige Ich-Im-Sein-Bild erwartbar. Herr Bertram spricht im Interview 2013, nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung und Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt, von der Aussicht auf frei verfügbare Zeit einerseits als einem unbekannten »Luxus« (2013, Z. 79), auf den er sich auch freut, und nennt es andererseits »auch merkwürdig, seltsam« (2013, Z. 79-85), demnächst zu Hause zu bleiben und anderen das Feld zu überlassen. Absichernd fügt er allerdings auch hinzu: »erst mal« (2013, Z. 77) und deutet so auch eine Option an, dass dies nicht so bleiben muss. Er bezeichnet seine aktuelle Situation als eine ambivalente »Zwischenwelt« (2013, Z. 80), und spricht von wechselnden Gefühlen der Vorfreude und des Verlustes.

3.2.1.3 Wir versuchen mein Wissen in besonderer Art und Weise zu übergeben

Mit der Aussicht, künftig »Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht mehr einzusetzen, nicht mehr gefragt zu sein« (2013, Z. 79ff.), scheinen auch Gefühlsimpulse der Kränkung und Zurücksetzung auf sowie eine Verlorenheit, jedoch eher vage. Warum diese Seite des Geschehens im Gespräch 2013 eher implizit spürbar wird, lässt sich aus einer weiteren Facette des Erlebens von Herrn Bertram gut erschließen, die ein ihm wertvolles Gegengewicht bildet, wenn er sagt:

»Wir versuchen diese Dinge, mein Wissen, in besonderer Art und Weise zu übergeben« (2013, Z. 198-205).

Herrn Bertram berichtet vor der Beendigung seiner Berufstätigkeit als besonders positiv und befriedigend, dass in seiner Organisation gemeinsam eine Form gefunden wurde, wie er Teile seines Vernetzungs- und Erfahrungswissens an Führungskräfte, die bisher unter seiner Gesamtleitung tätig waren, weitergeben kann. Mittlere Führungskräfte formieren sich demnach neu als Leitungsteam und integrieren Teile der Aufgaben ihrer Hauptabteilungsleitung in die eigene Rolle. Herr Bertram unterstützt dies, wie er hier sagt, »in besonderer Art und Weise«, konkretisiert als ein schrittweises Coaching dieser Kolleg/innen für ausgewählte Aufgaben. Es ist ein Vorgehen, das er als sehr zufriedenstellend beschreibt, und damit als Hinweis darauf, wie verfrühte Abschiede in befriedigender Weise erfolgen können, der genaueren Betrachtung wert.

3.2.1.4 Im Wissen der Vor- und Nachteile als Team entschieden: ›Wir wahren das‹

In der Genese war keineswegs von vornherein klar, ob und wie die Führungskräfte unter der bisherigen Leitung von Herrn Bertram weitere Aufgaben neben ihren sonstigen übernehmen würden oder könnten. Herr Bertram hat, wie er erzählt, für eine ihm am Herzen liegende Chance geworben: sich untereinander so zu organisieren, dass Ideen gelebter Demokratie und flacher Hierarchien im künftigen Führungsteam umgesetzt werden. Dieser Idee ist die Führungsgruppe gefolgt, was Herr Bertram gut gefällt, da er hierin eine Weiterführung ihm wichtiger Werte erkennt. Zuvor hat ein gemeinsamer Prozess des Abwägens von Vor- und Nachteilen stattgefunden, erzählt Herr Bertram:

»Das war ja auch ein Prozess. Sie haben sich in dem Wissen der Vor- und Nachteile entschieden: Wir als Team,… wir machen das. Wir wahren das« (2013, Z. 1068ff.).

Dass die Entscheidung in gemeinsamen Dialogen abgewogen werden konnte, ist als Stärkere des Fallbeispiels zu werten und auch eine Befriedigung für den bisherigen Hauptabteilungsleiter. Die gemeinsame Entscheidung: »Wir wahren das« (2013, Z. 1090) betrifft von Herrn Bertram entwickelte Abläufe – das (Be)wahren würdigt als erhaltenswert, was er aufgebaut hat. Eine solche Würdigung macht ihn zufrieden und dürfte auf die Identität als ausscheidende Personen bestärkend-positiv wirken.

3.2.1.5 … sich aus Entlohnungssystemen der Gesellschaft nicht abkoppeln

Im begleitenden Austausch- und Klärungsprozess hat Herr Bertram, wie er berichtet, seinen Führungskräften auch für finanzielle Nachverhandlungen Rückhalt gewährt, aus der Überzeugung heraus, dass sonst auf Dauer Unzufriedenheit entstehen würde. Er hat darum seinen Führungskräften vor der Aufgabenübernahme seine Einschätzung gesagt: »Wenn ihr das tut, habt ihr mehr Verantwortung« (2013, Z. 1112f.), und in Bezug auf die Frage der Entlohnung seine Einschätzung betont:

»… das funktioniert nicht, man kann sich aus den Entlohnungs- und Rückkopplungssystemen dieser Gesellschaft nicht auf Dauer abkoppeln« (2013, Z. 1114f.).

Unterstützt durch ihren bisherigen Hauptabteilungsleiter übernahmen die verbleibenden Führungskräfte so nicht nur Aufgaben, sondern verhandelten auch eine angemessene Vergütung. Hieran wird spürbar, wie zentral es sein kann, dass eine vorgesetzte Person sich dafür ausspricht, dass Untergebene nicht nur Verantwortung annehmen, sondern auch für ihre Interessen eintreten; so dass eine faire Reziprozität im Reorganisationsprozess gewahrt bleibt. Ausgangspunkt der Einsparung der Funktion von Herrn Bertram waren finanzielle Erwägungen. In dieser Situation mit dem Manager in Verhandlung über mehr Geld zu treten, war vermutlich schwierig und nur erfolgreich, da die Kolleg/innen in dieser Frage solidarisch handelten.

3.2.1.6 …das, was bei mir im Umfeld ist, schwindet und nimmt sinnlich erfahrbar ab

Neben solch strategischen Erfolgen, in denen Herr Bertrams Werte und Überzeugungen in ihn bestätigender Weise Niederschlag finden, sind unmittelbar-zwischenmenschliche Erfahrungen und ein sinnlicher Charakter des Erlebens bei der Übergabe seiner Aufgaben von besonderem Wert. Im Arbeitsalltag erlebt er dies beim Coaching zur Aufgabenübergabe im eigenen Büro, wo er schrittweise Aufgaben an andere abgibt und sie so aus seinem Verantwortungsbereich schwinden sieht:

»Also das wird jetzt auch sinnlich erfahrbar, dass das, was bei mir im Umfeld ist, schwindet und abnimmt, und am letzten Arbeitstag … wird dieses Büro dann bis auf die Einrichtung auch leer sein« (2013, Z. 1059ff.).

Dieses auch im Außen erkennbare Erleben der Abgabe von Aufgaben, der sinnlich-erfahrbare Charakter dieses Vorgehens, ist aus psychologischer Perspektive von besonderem Wert. Der haptische und symbolische Gehalt im Vorgang des Überreichens von Aufgabenpaketen ermöglicht eine Lebendigkeit und Tatsächlichkeit, die über reine Absprachen weit hinaus reichen und eine Realität im Kontinuum von Zeit herzustellen erlaubt, die menschlicher Erfahrungsbildung entspricht. Auf Nachfrage bestätigt Herr Bertram, dass die beschriebene sinnliche Erfahrung des Schwindens von Akten bis zum letzten Arbeitstag, wo das »Büro fast leer sein« wird, zum bewussten Gestalten und Erleben des Abschieds konstruktiv beiträgt, ebenso wie der wertschätzende Austausch entlang ihm wichtiger Themen zur Übergabe an die Nachfolger/innen. Es ermöglicht es allen Beteiligten, kontinuierlich die Realität, dass ein Abschiedsprozess stattfindet, auch zwischenmenschlich zu gestalten und zu erleben.

3.2.1.7 Es ist auch schön zu erleben, das wird jetzt mal ein bisschen ruhiger

Ebenfalls scheint es befriedigend und wertvoll für das innere Erleben, zu wissen, dass Prozesse endlich sind und auch, dass es nicht mehr nötig ist, sich jedes Themas selbst anzunehmen, wie Herr Bertram sagt:

»An so einer Funktion haben Sie ja auch immer viel Stress und eine Menge Verantwortung […] Es ist auch schön zu erleben in dem, was ich abgebe, das wird jetzt mal ein bisschen ruhiger« (2013, Z. 1393f.).

Den mit der Leitungsfunktion verbundenen Stress und die Verantwortung bewusst abzugeben, eine ruhigere und mit Wahlmöglichkeiten verbundene Arbeitsweise zu erleben, dies beschreibt Herr Bertram als etwas, dass er in den letzten Monaten noch genießen kann und das dazu führt, dass er gelassen und gern zur Arbeit geht. Die Freiheit, die er dabei erlebt, erlaubt es ihm, um sich zu schauen, Kolleg/innen zu besuchen und mit ihnen sprechen. Vielleicht sind dies auch Dinge, die er in der zeitlichen und inhaltlichen Belastung seiner Rolle zuvor nicht so tun konnte, wie er es vielleicht gut gefunden hätte? Das als Hauptabteilungsleitung unbekannte Erleben von »Müßiggang und Gelassenheit« in der Arbeit weiß er als ein »großes Glück« (2013, Z. 1404f.) zu schätzen, das er auch anderen wünscht. Herr Bertram drückt eine hohe Zufriedenheit damit aus, sein Ausscheiden aus dem Berufsfeld in dieser Art und Weise gestalten und erleben zu können. Der so beschriebene Prozess am Ende seines Erwerbslebens erscheint in Herrn Bertrams Schilderung erfreulich gelungen.

3.2.1.8 Resümee konstruktiver Erfahrungsbildung zum Berufsausstieg

Herr Bertram beschrieb als befriedigend, dass seine demokratischen Wertvorstellungen in der Zusammenarbeit seiner Führungskräfte Fortbestand haben. Auch eine erfolgreich verhandelte geldwerte Anerkennung der Last seiner umverteilten Aufgaben auf diese Kolleg/innen trägt zur Zufriedenheit bei. Dialogische Prozesse zur Vorbereitung dieser Entscheidung und das Coaching zur Umsetzung beschreibt er als positiv. Ein sinnlich-erfahrbares Abgeben von Aufgaben in zeitlich und zwischenmenschlich gestaltbaren Schritten entspricht den Modi menschlicher Erfahrungsbildung und kommt ihm innerlich sowie sozial entgegen. Nicht zuletzt erweisen sich Schritte der Stress- und Verantwortungsminderung sowie die Gestaltung der sozialen Arbeitskontakte in der letzten Phase der Arbeit für positives Erleben als wertvoll.

Der Weg dorthin jedoch war, entlang der Schilderungen aus drei Interviews betrachtet, für Herr Bertram auch steinig. Prozesse des sozialen Miteinanders in der Reorganisation verlaufen bei weitem nicht transparent, friktionslos und zur Zufriedenheit aller. Es gibt in Alltags- und Reorganisationsprozessen Versuch und Irrtum, Irritationen und Reibungsverluste, inhaltliche und zwischenmenschliche Auseinandersetzungen, Erfolge und Kränkungen. Darum geht es im nächsten Abschnitt.

3.2.2 Beispiele schwieriger Erfahrungen im Prozess der Reorganisation

Personen im Management haben die schwierige Aufgabe, komplizierte und mutige Reorganisationen zu wagen in der Hoffnung, dass ihre Strategie den Fortbestand der Organisation sichern möge. In jahrelangen Prozessen erweisen sie sich dabei als Menschen mit Stärken und Schwächen, sie wecken Begeisterung und gehen ihren Mitarbeiter/innen auch auf die Nerven, verbuchen Erfolge oder liegen manchmal falsch. Unter der Fragestellung, wie sich entsprechende Schlüsselszenen auf beteiligte, hierarchisch und existenziell abhängige Menschen auswirken mögen, sind dies forschungsrelevante Aspekte für das Thema der Identität(sarbeit) im Wandel.

Herr Bertram blickt auf ca. fünf Jahre der Reorganisation unter seinem neuen und jüngeren Manager zurück, wobei sein Vorruhestand und der Wegfall seiner Funktionsebene ein Resultat im Umstrukturierungsprozess darstellt. Aus subjektiver Sicht sind es vor allem Szenen im sozialen Miteinander, die ihn in seinen psychischen Bedürfnissen auch kränkten. Rückblickend sagt er:

»Trotzdem bleibt natürlich, und damit muss ich meinen Frieden machen, [dass] vieles, was in der Organisation passiert, nicht so ist, wie ich es gerne hätte oder wie ich es machen würde. Das ist so. Und den Frieden damit machen, dass ich aber diese Macht nicht habe, das anders zu machen, führt natürlich auch zu einer Erleichterung, so einer Entscheidung zu sagen: Ich gehe« (2013, Z. 968-972).

Im Folgenden geht es um einige Erfahrungen im Reorganisationsprozess, mit denen Herr Bertram, wie er sagt, seinen »Frieden machen muss« und möchte und die dazu beitrugen, dass er seinem Vorruhestand auch mit Erleichterung entgegen sieht.

3.2.2.1 Überalterte Organisation – die Botschaft: ich bin zu teuer und unflexibel

Zurückblickend beschreibt Herr Bertram, wie es dazu kam, dass seine Stelle als Hauptabteilungsleiter, die Ebene unter dem zwanzig Jahre jüngeren Manager im Hause, nun eingespart wird. Im Rahmen der Frage, welche Ansatzpunkte für Einsparungen es geben könnte, sprach der neue Manager öfters von einem Eindruck der »Überalterung« (2013, Z. 104) der Organisation. Mit knapp Mitte 50, wenn man noch mehr als 10 Jahre an Arbeitszeit vor sich sieht und sich gesund und erfolgreich fühlt, kommt man vermutlich kaum auf die Idee, dies auf sich zu beziehen?

Insofern beschreibt Herr Bertram diese Anfangszeit des Themas als ziemlich »komisch« und berichtet, wie sich ein eigentümlicher Diskurs entfaltet hat. Schon länger im Hause beschäftigte Mitarbeitende stehen plötzlich nicht mehr als wertvolle Erfahrungsträger/innen in positivem Lichte dar, sondern finden sich als »unflexible Bewahrer« (2013, Z. 122f.) und durch die im Tarifsystem gesicherte Besitzstandswahrung als »finanzielle Belastung« (ebd. Z. 126) für die Organisationen diskreditiert. Als Kernsatz kann hierzu gelten:

»… beides ist natürlich für Leute, die lange dabei sind, die einen gewissen Anspruch haben, ihre Arbeit auch ordentlich und gut zu machen, in gewisser Weise auch kränkend: Ich bin zu teuer ist ja sozusagen die Botschaft, … und ich bin unflexibel« (2013, Z. 120ff.).

Herr Bertram führt ins Feld, dass gerade erfahrene Mitarbeiter/innen den Anspruch an sich haben, ihre Arbeit gut zu machen. Er resümiert die Botschaft »teuer, unflexibel« rückblickend für Menschen wie ihn selbst in der Organisation als »auch kränkend«. Zuschreibungen, die Machthabende einer Organisation in die organisationale Welt setzen, können nicht ignoriert werden; sie fordern zur Auseinandersetzung mit ihnen auf. So können im Selbstbild und im sozialen Umfeld Zweifel an Rollenträger/innen (ihren Ansichten, ihrer Legitimität) entstehen, die ihre Rolle untergraben.

Aus psychologischer Perspektive könnte man sagen: Das Individuum findet sich in seinem Selbstverständnis verunsichert, da es sich an Verlässlichkeiten in der sozialen Resonanz sowie an eigenen, auf soziale Zustimmung stoßenden Selbstbildern ausrichtet. Auch für das Vertrauen in Organisationen ist anzunehmen, dass öffentliche Reden der Leitung, die in vager Weise Erfahrungsträger/innen entwerten, ungünstige Auswirkungen auf das soziale Miteinander haben. Herr Bertram zeigt sich im Spiegel der Interviews aus vier Jahren entsprechend irritiert, in welcher Weise ihm mit der Zeit eine Strategie deutlich wird, wonach der neue Manager die Hauptabteilungsleitungen einsparen möchte.

3.2.2.2 Ich sage mal, meine Stelle ist gefährdet … und meinen Leuten graut es

Wie geht es Herrn Bertram anfangs mit der Vorstellung, dass seine Position eingespart werden soll? Im Interview setzt er dies in den Kontext einer generellen Tendenz des neuen Managements, die Organisation zu zentralisieren. Dabei wird in den Interviews 2010 und 2011 deutlich, dass Herr Bertram früh im Prozess abschätzt, auf was vage Andeutungen für ihn vermutlich hinauslaufen:

»Ich sag mal, meine Stelle ist sicher gefährdet. Deswegen gehe ich wahrscheinlich auch in Altersteilzeit in drei Jahren (lacht)« (2010, Z. 726f.).

Antizipatorisch spricht Herr Bertram aus, was er sich zusammenreimen kann. Er nähert sich der nichtoffiziellen, rational aber nicht unwahrscheinlichen Idee erzählend an und probiert vielleicht auch aus, wie es ist, sie auszusprechen. Entsprechend könnte man das Lachen am Ende dieser Passage so verstehen, dass er der Idee, die auch mit innerer Spannung einhergehen mag, durch Humor die Spitze nimmt. Ist noch nichts klar, so wirkt eine gewisse Wahrscheinlichkeit auch verunsichernd.

Herrn Bertram ist bewusst: er hat »nicht die Macht, es anders zu machen« (s.o.) und muss sich mit Entscheidungen des Managements arrangieren. Ein längerer Zeitraum mit vagen Andeutungen statt klaren Aussagen im Wandlungsprozess strengt an und lässt die Menschen ihre sozialen Antennen ausfahren, um mitzukriegen, was sie betreffen könnte. Zentralisierung und der Wegfall einer Hierarchieebene ermöglichen es, als Manager direkter in Arbeitsbereiche durchzugreifen. Wenn man 20 Jahre lang einen Bereich entwickelt hat, wirkt so eine Vermutung vermutlich emotional belastend, verärgernd, frustrierend, verunsichernd – schön aufgebaut, nun entbehrlich?

Strategisch eine Position einzusparen ist eine Sache, menschlich eine andere. Es stellt sich aber auch die operationale Frage, was aus den Aufgaben des Hauptabteilungsleiters wird:

»Wie das alles abgefangen werden könnte, das ist meine große Frage … das wird eine große Herausforderung« (2010, Z. 728ff.).

Viele Passagen in den Interviews 2010/2011 drehen sich um diese »große Frage«, die in 2010 noch nicht zu beantworten ist: Wie könnte abgefangen werden, was der Hauptabteilungsleiter in seiner Rolle tut? Ein Projekt mit allen Führungskräften soll deren Mitverantwortung zu stärken. Herr Bertram vermutet daneben als verborgenes Motiv des Managements, dass sie so auf mehr Aufgaben vorbereitet werden. Dies erschließt sich, so Herrn Bertram, auch ohne »besondere Intelligenz und viele Informationen« (2010, Z. 738ff.), denn nur so mache dieses Vorgehen »Sinn« (ebd.) für ihn.

Herr Bertram führt 2010 aus, dass diese Führungskräfte selbst sehr vielfältig eingespannt sind. Er sagt, sich schützend vor diese Gruppe stellend:

»Ja, die schütteln den Kopf und sagen: »Wie soll das gehen?« Denen graut es davor, ist doch klar. Ist doch klar« (2010, Z. 743f.).

Gemeinsam können die Führungskräfte sich zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, »wie das gehen soll«, »es graut ihnen«. Damit einhergehende Gefühle vermitteln sich als Bedrückung, Bedrohung, Unverständnis und Besorgnis.

3.2.2.3 Ich sehe das Ganze auch scherzhaft und muss es auch akzeptieren

Führungskräfte seines Bereichs wissen den Interviews zufolge, was Herr Bertram als Hauptabteilungsleiter an Arbeit bewältigt. Daraus resultiert für ihn eine wohltuende kollegiale Wertschätzung. Diese Wertschätzung wird nach Herrn Bertrams Einschätzung 2010 jedoch nicht geteilt von »Personen, die neu dazukommen und gar nicht so genau wissen, was treibt der da« (ebd. Z. 744ff.), d.h. Personen wie der neue Manager oder auf neu eingerichteten Stabsstellen. Dass diese Menschen, wie er humorvoll zusammenfasst, anscheinend denken, er »treibe sich irgendwie noch rum« (ebd. Z. 748), vermittelt auch einen Eindruck, wonach er sich mit seinen Aufgaben von den Neuen – ich vermute, ihm wäre vor allem eine Anerkennung durch den Manager als seinem direkten Vorgesetzten wertvoll – eben nicht wertgeschätzt fühlt. Wie geht Herr Bertram damit um?

»Ich sehe auch das Ganze ein bisschen scherzhaft. Weil, ich kann auch nicht jede Nacht darüber weinen und mir Gedanken machen und mich grämen, sondern ich muss zum Teil auch akzeptieren, dass es da so ein Konzept gibt« (2010, Z. 748ff.).

Herr Bertram erklärt, auf Humor und Akzeptanz zurückzugreifen, um die ihm inhaltlich und menschlich unklare Situation auszuhalten und sich zu distanzieren. Er begründet dies damit, dass er nicht »jede Nacht darüber weinen«, sich »Gedanken machen« und sich »grämen« kann, sondern zum Teil auch »akzeptieren muss, das es da so ein Konzept gibt«. Im Umkehrschluss gäbe es wohl einiges, worüber er weinen, sich grämen und sich Gedanken machen könnte, was er vermutlich auch tut. Für sein Gefühl der Identität, des »In-Der-Welt-Seins« stellt daher Humor eine wichtige Ressource dar, um sich Distanz und eine eigene, integrale Position zu wahren. Dies scheint nicht leicht zu fallen. Auch wird nachvollziehbar, dass Akzeptanz für Unabänderliches, gepaart mit der Sorge, wie es künftig gehen soll, für ihn als bisher verantwortliche Person nicht einfach zu entwickeln ist, nicht einmal »zum Teil«. Seine Worte verweisen auf einen schwierigen Balanceakt im Ringen um eine auch innerlich gangbare Position der Akzeptanz für Unabänderliches, während er sich inhaltlich und personell Sorgen macht.

Bei allen Zweifeln am eingeschlagenen Weg, im Wandel gibt es viele Optionen. Welche sich langfristig als gut für die Organisation erweisen mögen, ist auch für kompetente Erfahrungsträger/innen nur schwer abschätzbar. Herr Bertram:

»Ich wüsste auch nicht, was ich anders machen würde, wenn ich Gesamtverantwortung hätte. Ich müsste mir was einfallen lassen. Ob es das so wäre, wie es dieser Manager tut, oder ob es was anderes wäre, damit habe ich mich noch nicht beschäftigt« (2010, Z. 753ff.).

Herr Bertram räumt abgewogen ein, dass er, hätte er die Verantwortung, es keinesfalls besser wüsste als der jetzige Manager. »Ich müsste mir was einfallen lassen«, sagt er und zeigt Verständnis für die schwierige Aufgabe seines Vorgesetzten. Die sich abzeichnenden Zielperspektiven jedoch kann er sich »auch nicht vorstellen«, es scheint ihn ähnlich zu grauen, wie es auch «seinen Leuten graut« (s.o.).

3.2.2.4 Mich in dieser Welt zurechtzufinden ist mir nicht mehr möglich

Die sich in 2010 abzeichnenden Zweifel im Reorganisationsprozess haben sich 2011 verstärkt, sodass »verschiedene Wirklichkeiten« im Arbeitsalltag »fast absurde« Züge annehmen, so Herr Bertram. Die folgende Passage illustriert, wie er in seinem Ringen um Orientierung für angemessenes Rollenhandeln zunehmend an Halt verliert. In einer Vorlage hat der Manager seinen Führungskräften weitreichende Ideen zur Umstrukturierung aufgelistet und schriftliche Stellungnahme erbeten. Neben inhaltlichem Kopfschütteln belastet Herrn Bertram dabei vor allem die Art und Weise:

»In dieser Welt sich zurechtzufinden ist mir schlichtweg nicht mehr möglich. … Das ist da … einfach niedergeschrieben als Vorschlag, ohne dass mit den Menschen vorher mal gesprochen wurde, das wird mir in die Hand gedrückt … Da kann ich nur noch hintenüber fallen eigentlich … Welche Möglichkeiten habe ich überhaupt, das noch zu beeinflussen und in ein einigermaßen vernünftiges Miteinander zu bringen? Keine Ahnung« (2011, Z. 173ff.).

Reorganisationsvorschläge schriftlich zu erhalten, »ohne dass mit den Menschen vorher mal gesprochen wurde«, belastet Herrn Bertram besonders (neben inhaltlichen Fragen). Er kann sich in einer organisationalen Welt, wo mit Mitarbeitenden so umgegangen wird, »nicht mehr zurechtfinden.« Der Handlungsstil, statt eines Gespräches »ein Papier in die Hand gedrückt zu bekommen«, macht den sonst eloquenten Herrn Bertram sprachlos: Der inhaltliche Hammer wird durch die Schriftform quasi zur Bombe, die ihn trifft zum »hintenüber fallen«. Deutlich wird, dass das Vorgehen des Vorgesetzten, der sonst für Höflichkeit und Kommunikationsbereitschaft viel Anerkennung erfährt, in seinen Führungskräften z.T. starke Irritationen auslöst.

»Dinge noch in einer Weise zu beeinflussen, dass ein einigermaßen vernünftiges Miteinander zustande kommt«, läge Herrn Bertram besonders am Herzen. Ich verstehe ihn so, dass er ein auf Kommunikation und Beteiligung setzendes Miteinander »vernünftig« fände, vielleicht auch anständiger. Stattdessen eine Vorlage in die Hand zu bekommen erschließt sich aus der Erzählung im Umkehrschluss als unvernünftig auf zwei Ebenen: inhaltlich und zwischenmenschlich.

Erwartungen daran, wie hierarchische Kommunikation gestaltet sein sollte, können m.E. auch im Sinne eines Wertekonfliktes verstanden werden. Denn berufliche Identität ist u.a. gebunden an die Art und Weise, wie man die Dinge tut und als richtig empfindet. Die angesprochene irritierte Erwartung, »dass mit den Menschen vorher mal gesprochen« wird; verstehe ich in diesem Sinne als einen Angriff auf Herrn Bertrams Selbstverständnis davon, wie arbeitende Menschen miteinander umgehen sollten – einem Wert, dem der Vorgesetzte hier nicht folgt.

Sich nach 20 Jahren erfolgreicher Leitungstätigkeit im eigenen Arbeitsfeld »nicht mehr zurecht zu finden«, sich quasi in einer anderen »Welt« wiederzufinden, verweist auf Gefühle des Be- und Entfremdens. Im Reorganisationsprozess werfen Erfahrungen wie diese für das Individuum auch die Frage auf, ob man noch richtig ist in einem Kontext, wo Erwartungen an das Miteinander so stark differieren. Insofern verstehe ich diese Passage nicht nur als Ausdruck inhaltlicher Probleme, sondern auch als Indiz für grundsätzlichere Wertedifferenzen, die – im Wandel sowie als ausscheidende Führungskraft – vom Individuum auszuhalten und zu verarbeiten sind.

In ihrer Strategie setzen die Führungskräfte Herrn Bertram zufolge dann auf eine »sehr sachliche Stellungnahme« (2011, Z. 180ff.). Dabei ist ihnen wichtig, wie er erklärt, nicht emotional oder persönlich zu werden. Vielleicht gerade weil Gefühle verletzt wurden, scheint es umso wichtiger, diese Vulnerabilität zu verbergen, sich zu schützen. Hierin drücken sich auch Abhängigkeitsverhältnisse aus. Zugleich entsteht so eine spiegelbildliche Antwort auf den als zwischenmenschlich inakzeptabel konstatierten Stil: wer nicht menschlich mit uns spricht, dem zeigen auch wir unsere menschlichen Gefühle nicht, weisen ihm aber inhaltlich nach, dass er falsch liegt.

3.2.2.5 Um die Zentralisierung gab es viel Diskussion und Auseinandersetzung

Der neue Manager setzt für eine Verbesserung der Effizienz auf eine Zentralisierung von bisher dezentral organisierten Aufgaben. Rückblickend räumt Herr Bertram ein, dass dies zur Professionalisierung der Organisation beigetragen hat und ihn in seiner Leitungsrolle entlastete. »Das ist keine schlechte Idee gewesen«, fasst er zusammen. Allerdings wurde dabei sein bis dahin ganzheitliches Aufgabengefüge verändert:

»Zentralisierung … Da hat es viele Diskussionen und Auseinandersetzungen gegeben. Manches konnte bewahrt werden, anderes nicht, so dass sich in den letzten fünf Jahren meine Arbeit und mein Verantwortungsbereich, der ein sehr ganzheitlicher war, sehr verändert hat« (2013, Z. 682-686).

»Zentralisierung« bedeutet hier, dass Aufgaben der Hauptabteilungsleitung ins Management verlagert wurden, andere in Stabsstellen sowie in die mittlere Führungsebene (3.2.1). Umverteilung von Aufgaben beinhaltet auch Entmachtung, und Herr Bertram hat nach 20-jähriger Betätigung einigen Einfluss. Vielleicht auch deshalb hat es, wie er sagt, »viele Diskussionen und Auseinandersetzungen gegeben« um den Abbau seines »sehr ganzheitlichen Verantwortungsbereichs« in den letzten fünf Jahren.

Mit der Entscheidung zur Zentralisierung werden Prinzipien und Arbeitweisen, welche über Jahrzehnte sozialisiert wurden, durch das neue Management beendet. Die frühere Kultivierung dezentraler Arbeitsweisen hat auch mit Arbeitsinhalten zu tun[10] und führte vermutlich zu Mitarbeitenden, denen diese Arbeitsweise entspricht. Sie finden sich nun neuen Prinzipien gegenüber. Herr Bertram dazu, wie es vorher war:

»Das ist ein ganz anderes Modell als so eine dezentrale Aufstellung mit sehr viel Verantwortung vor Ort. […] Wir haben diese dezentrale Struktur durchgängig gemacht ... und damit sind wir ja viele Jahre sehr gut gefahren« (2013, Z. 691-694).

Herr Bertram spricht über die Tradition eines »gemeinsamen Geistes der durchgängigen Dezentralisierung«, mit dem ihm zufolge alle »viele Jahre sehr gut gefahren« sind. Er beschreibt ein hohes Maß an Mitbestimmung und Gestaltung auf allen Ebenen der Organisation und betont dabei das Menschenbild, welches diesem Leitungsverständnis zugrunde liegt: systematisch darauf zu setzen, Menschen etwas zuzutrauen, sie selbst Dinge verantworten zu lassen, »weil es eben menschengerechter ist« (2013, Z. 716). An anderer Stelle macht er deutlich, diese Art der Zusammenarbeit mit etabliert zu haben. Insofern dürfte dieser Stil seinen Werten für die Art und Weise des Miteinanders entsprechen. Mit einem zentralistisch(er)en Leitungsstil umgehen zu lernen ist auf diesem Hintergrund sicherlich nicht nur für ihn schwierig.

Herr Bertrams typisiert seine Arbeit rückblickend als »ganzheitlich«. Vielfalt und Unplanbarkeit beschreibt er als Quellen einer »Lebendigkeit«, die ihm »immer Spaß gemacht hat und warum er das so lange gemacht hat« (2013, Z. 702ff.). Einbußen im ganzheitlichen Tätigkeitsspektrum sowie ein autokratischerer Stil im Miteinander tragen dazu bei, dass Herr Bertram auch erleichtert ist, auszuscheiden (Beginn 3.2.2). Nachvollziehbar wird, dass es kaum ohne Frustration gelingen kann, als gestandener Selber-Macher autokratischer geführt zu werden, als man es gewohnt ist. Ist die vorgesetzte Person zwanzig Jahre jünger als man selbst, wirkt dies womöglich als weitere Schieflage in die soziale Situation hinein. Im Bemühen des Individuums um ein befriedigendes Selbstbild in der Arbeit, das an vorige Selbstbilder anschlussfähig bleibt, sowie um ein zufriedenstellendes Selbsterleben, welches bisher aus Erfolgserlebnissen durch Eigenständigkeit gespeist wurde, dürften diese Implikationen der Zentralisierung (strukturell, zwischenmenschlich) mit Blick auf Identität im Wandel schwierige Herausforderungen mit sich bringen.

3.2.2.6 Das sind Abwehrkämpfe, um bestimmte Formen und Standards zu retten

Der neue Manager ist seinen Führungskräften im Veränderungsprozess der Organisation oft nicht transparent genug. Dieser Eindruck aus allen Interviews prägt ein Klima, in dem sich der Wandel über Jahre vollzieht, und dies, obgleich es auch viel gute Kommunikation und Beteiligungsprozesse gibt. Herr Bertram beschreibt eine ihn belastende, fortwährende Unklarheit darüber, was sein Vorgesetzter möchte:

»Mich zurechtzufinden, ist ausgesprochen schwierig, weil ich nicht weiß, was die obere Führung wirklich will, ob sie einen Plan hat oder nicht, oder ob sie manchmal aus Not oder Angst kurzschlüssig agiert. Ich habe keine Ahnung, ich weiß das nicht« (2011, Z. 91-95).

Mitten im Reorganisationsprozess spricht Herr Bertram von der Schwierigkeit, sich zu orientieren. Dies liegt, wie er sagt, vor allem daran, dass für ihn nicht klar ist, »was die obere Führung wirklich will«: hat sie »einen Plan« oder agiert sie »aus Not oder Angst kurzschlüssig«? Diese Unsicherheit wirkt sich in der Wahrnehmung seiner Rolle und als Person aus – wie kann ein Hauptabteilungsleiter kompetent und vertrauenswürdig intern und extern wirken, wenn er nicht sicher ist, welche Ziele gelten und auf welchen Rückhalt seines Vorgesetzten er sich verlassen kann?

Herr Bertram scheint sich im Interview innerlich zu distanzieren von der Frage, ob es einen Plan gibt. Stattdessen richtet er seine Energie auf die Klärung von Fragen des Miteinanders, fast so, als sei dies etwas, wo er mehr Chancen sieht, Klarheit zu finden. Aber auch dies scheint schwierig: »Also, ich beschäftige mich mehr damit, ob es noch Möglichkeiten gibt, in vernünftiger Art und Weise hier anders zusammen zu kommen« (2011, Z. 104f.), sagt er. Er berichtet, statt sich um inhaltliche Dinge kümmern zu können, viel Energie in Auseinandersetzungen lassen zu müssen, die im Rahmen des managementseitig geführten Reorganisationsprozesses entstehen. Wie geht es ihm dabei? Er sagt: »… ausgesprochen schwierig, ja, schrecklich. Also schade. So geht es mir« (2011, Z. 107f.). Herr Bertram spricht hier m.E. angestrengt, unglücklich und resigniert über das Miteinander mit seinem Vorgesetzten.

Wie existenziell Herr Bertram die Situation seinerzeit erlebte, zeigt seine Wortwahl, wonach er »versucht, dass alle irgendwie überleben«:

»Ich versuche sozusagen, es irgendwie so hinzukriegen, dass alle irgendwie überleben können und mit einem blauen Auge davon kommen, und [ich] das nicht noch verschlimmere, was passiert …. Also das sind so Abwehrkämpfe, um bestimmte Formen und Standards zu retten« (2011, Z. 99-113).

Er thematisiert sein Bemühen, sich im Wandel schützend vor andere Menschen sowie Standards zu stellen, ohne dabei durch eigenes Verhalten die Situation zu verschlimmern. Seine Strategie der »Abwehrkämpfe« zielt darauf, »bestimmte Formen und Standards zu retten«, die dem neuen Manager nicht so wertvoll oder nicht zielführend erscheinen. Während hier einerseits ein kämpferisches Handeln angesprochen ist, bestärkt sich in der Passage andererseits eine Resignation darüber, dass sein Vorgesetzter seine Werte scheinbar nicht teilt. Dies kann Herr Bertram nicht verstehen, wie er sagt. Mein Eindruck ist, dass diese Kämpfe ihn müde und unglücklich hinterlassen, wobei er sich mit der Besinnung auf kämpferisches sowie diplomatisches Handeln ein wenig aus seiner Resignation herauszuarbeiten versucht.

3.2.2.7 Das war eine heftige Kränkung, in einer Sitzung öffentlich zu erfahren …

Neben einer verunsichernden Intransparenz über Vorstellungen des Managers der Organisation sowie kräftezehrende Abwehrkämpfe berichtet Herr Bertram von Erfahrungen, die definitiven Ärger in ihm wachriefen, z.B. die folgende Situation:

»Das war eine heftige Kränkung … in einer Sitzung [zu] erfahren, öffentlich, dass die Funktionen nicht wieder besetzt werden« (2013, Z. 922-924).

Herr Bertram berichtet, wie er in der Öffentlichkeit einer Sitzung erstmals von der Entscheidung hört, Funktionen wie seine nicht wieder zu besetzen. Er erzählt weiter, dass er »perplex« (2013, Z. 924) war, aber auch spontan innerhalb der Sitzung »seinem Ärger darüber Luft gemacht« (ebd., Z. 927) hat, weil dies nicht einmal kurz vorher mit ihm als Funktionsinhaber besprochen wurde: »Wenigstens kurz vor der Sitzung« (ebd., Z. 925) müsste man dies tun, findet er. Herr Bertram differenziert für den Stil, wie solche Entscheidungen zu kommunizieren sind, zwischen der »Funktion« sowie dem »Menschen« und betont die zwischenmenschliche Verantwortung von Leitung: »So etwas gehört sich einfach nicht« (ebd., Z. 928), wertet er diese Erfahrung.

Herr Bertram gibt Auskunft, wie er sich damals fühlte. Neben direkt geäußertem »Ärger, dem er Luft gemacht« hat, erlebte er die Situation als »eine riesenhafte Kränkung«. Ich verstehe dies so, dass der Eindruck kränkt, der Information vorab nicht wert zu sein. Auch erwächst Kränkung aus dem Umstand, sich in der Öffentlichkeit einer Sitzung überrascht zu finden. Dies Verhalten des Vorgesetzten zeigt ihm, soweit ich Herr Bertram verstehe, mangelnden Respekt, Verantwortung und Umgangsform. Er räumt seinem Vorgesetzten sehr wohl das Recht einer Entscheidung über die Zukunft der Position ein, nicht jedoch das Recht einer mangelnden Wertschätzung seiner selbst als Person. Spiegelbildlich wertet er das Verhalten des Managers als inakzeptabel und rügt es öffentlich in der Sitzung, weil es »sich einfach nicht gehört« – eine Formulierung, die an das Ausschimpfen kleiner Jungs erinnert.

Herr Bertram spricht in dieser Passage auch an, dass in Organisationen Macht und Umgangsformen in einem sensiblen Wechselverhältnis zu verstehen sind, er sagt:

«Selbst wenn man eine Funktion nicht schätzt oder sie fürchtet, dann redet man mit den Betroffenen darüber, macht das ein Stück offen, und wenn man die Macht hat, das zu entscheiden und abzuschaffen, dann hat man auch eine Verantwortung den Menschen gegenüber« (2013, Z. 928ff.).

Herr Bertram spricht einen Eindruck an, wonach sein jüngerer Vorgesetzter ihn in seiner Rolle eines älteren, erfahrenen Hauptabteilungsleiter vielleicht »nicht schätzt« oder auch »fürchtet«. Vielleicht vermutet er dies als einen Grund dafür, warum seine Position eingespart wird. Er akzeptiert die Machtposition des Managers, fordert aber auch ein, dass wer die Macht hat zu entscheiden, eine Position abzuschaffen, auch die Verantwortung trägt, es in einer menschlich akzeptablen Weise zu tun.

Die Identität einer Person bezieht sich nach meinem Verständnis auf eine interdependente Trias von Selbstbild und Selbsterleben sowie der Art und Weise, wie andere Menschen sie wahrnehmen und auf sie reagieren. Alle drei Aspekte sind in dieser kränkenden Szene angesprochen: die öffentliche Verkündung der Entscheidung wird sich auf die Art und Weise auswirken, wie Sitzungsteilnehmende Herrn Bertram und seine Funktion künftig wahrnehmen. Sich vom Vorgesetzten nicht vorab informiert und sich öffentlich vorgeführt zu finden, kränkt den Selbstwert durch zwischenmenschliche Missachtung. War der spontan geäußerte Ärger mit einem Gefühl des Entgleisens verbunden, mag hieraus eine kränkende Scham erwachsen; ansonsten wäre die Reaktion vermutlich eher als eine die Identität stärkende Erfahrung einzuschätzen, im Sinne des Für-Sich-Einstehens und des Zumutung-Zurückweisens.

3.2.2.8 Ich versuche, so wie ein Frosch in der Sahne irgendwo Halt zu kriegen

Durchgängiger Eindruck in allen Interviews ist ein zunehmendes »An-Halt-Verlieren« aufgrund einer wiederkehrend thematisierten Uneinschätzbar des Managers in einem sehr mannigfaltigen Reorganisationsprozess, der viel Unruhe und Handlungsbedarfe erzeugt. Zweifel am finanziellen Überleben der Organisation, strukturelle Umbrüche sowie zwischenmenschliche Unberechenbarkeit bilden eine belastende Gemengelage für die Führungskräfte, die den Prozess umsetzen sollen. Herr Bertram bescheinigt dem neuen Manager im Prozess durchaus »eine Menge an gutem Willen«, bspw. »Transparenz über alles Mögliche herzustellen« (2010, Z. 818ff.). Dennoch bleibt eine Unsicherheit darüber, »ob es sozusagen das ist« (ebd.), als Vorbehalt bestehen.

Es scheint einen Misstrauensvorbehalt zu geben, wonach der Manager seine wahren Ziele nicht offenlegt. Dies lässt im Perspektivenwechsel erahnen, dass es nicht leicht ist, eine Organisation mit dem Ziel ihres finanziellen Überlebens als neue, jüngerer Leitungsperson zu restrukturieren. Man ist den langjährig Mitarbeitenden nicht bekannt und kann nicht selbstverständlich darauf bauen, dass Vertrauen in die neue Person und ihre Entscheidungen besteht. Prozesse des Wandels tasten an eingelebte Selbstverständlichkeiten und berühren somit existenzielle Fragen – in Bezug auf die finanzielle Sicherheit ebenso wie den Mitarbeitenden wichtige Aspekte in ihrer Arbeit (Qualitätsansprüche, Werte): Wandel berührt so das Arbeits- und Selbstverständnis der Menschen und schürt Misstrauen. Kommt ein Leitungswechsel hinzu, gilt dies umso mehr. Vertrauen braucht Zeit und tragfähige Erfahrungen, es muss aufgebaut, in gemeinsamer Erfahrung bewährt und überdauernd bestätigt werden, um als sicherer Boden verfügbar zu sein. Sonst mag es doppelt schwierig werden, organisationalen Wandel sozial tragfähig zu gestalten (Meyerhuber 2013b).

Im laufenden Reorganisationsprozess verstärken sich dem zweiten Interview 2011 zufolge Eindrücke der Uneinschätzbarkeit. Es gibt Steuerungseingriffe des Managers, die den Eindruck von Willkür erwecken. So beschreibt Herr Bertram, dass ihm seine Gelassenheit als wichtige Ressource zunehmend verloren geht. Während er von mittleren Führungskräften, die sich an ihm orientieren, im Interview für seine Umsicht angesichts der schwieriger Situationen gelobt wird, beschreibt Herr Bertram selbst, wie ihm zunehmend der Boden unter den Füßen schwindet:

»Eine gewisse Gelassenheit braucht man auch, aber im Moment (lacht) geht mir die ein bisschen verloren, ehrlich gesagt« (2011, Z. 1188f.).

Wie das Lachen hier nahelegt, ist »im Moment« dabei womöglich ein Understatement, welches helfen mag, eine grundsätzliche Problematik etwas distanzierter zu benennen. Humor als Mittel der Distanzierung hat Herr Bertram zuvor schon als für ihn wichtig beschrieben. In 2011 hat die Situation ihn mehr zermürbt, scheint es mir, denn die in 2010 noch zurückgewiesene Idee (»nicht jede Nacht darüber weinen …«) scheint mehr zum Alltag geworden zu sein, wie die folgende Passage andeutet:

»Ich sitze da dauernd drüben und beschäftige mich dauernd mit diesem ganzen Kram und versuche, wie so ein Frosch in der Sahne irgendwo Halt zu kriegen und eine Ahnung davon zu kriegen, ‚was ist hier gewollt’ und ‚wo geht das hin’, und wie kriege ich sozusagen noch einigermaßen die Sahne geschlagen, dass da noch ein bisschen fester Grund ist. […] Und es ist so von Tag zu Tag auch, wo man gucken muss, wie entwickeln sich die Dinge. Also immer so ‚Hab-Acht’. … ich mache das auch mit, soweit ich kann« (2011, Z. 661-668).

Herr Bertram spricht in dieser Passage darüber, dass er »andauernd« über den organisationalen Entwicklungen sitzt und versucht, herauszubekommen »was gewollt ist und wo es hingeht«. Das »Gespenst« (2010, Z. 820ff.) vermeintlich im Dunkeln gelassener Motive des Managers hat ihn in eine Art Dauerbeobachterstellung manövriert, die anstrengend sein dürfte. Aspekte der Reorganisation und der Wille seines Vorgesetzten scheinen ihm im zweiten Interviews so unklar, dass er sich dauernd damit beschäftigt, auch wenn er sagt: »im Augenblick«, und zuvor »im Moment«, mit einem Lachen. Denn konkret bedeutet das für ihn: »von Tag zu Tag zu gucken, wie die Dinge sich entwickeln«, immer in »Hab Acht«-Stellung zu sein. Mit der Metapher, er fühle sich »wie so ein Frosch in der Sahne«, der »versucht, noch einigermaßen die Sahne zu schlagen«, um wieder ein »bisschen festen Grund« unter die Füße zu bekommen, zeichnet Herr Bertram ein Bild davon, wie es ihm in dieser Phase des Prozesses geht. Er kann keinen Halt mehr spüren und versucht täglich herauszubekommen, wie Dinge sich entwickeln und was gewollt ist. Er ist nicht (mehr) in seinem Element, könnte auch ermüden oder untergehen. In der Sache »macht er das mit, soweit er kann« und versucht, im »Hab-Acht« von Tag zu Tag seinen Halt zu finden.

Das klingt zermürbend: Abhängigkeit, Orientierungs- und Haltlosigkeit erzeugen auf Dauer ein Lebensgefühl, welches im Kontext von Arbeit als problematische Basis für adäquates Handeln als Hauptabteilungsleiter gelten muss. In 20 Jahren erfolgreicher Aufbau- und Leitungstätigkeit dürfte Herr Bertram sich lange als kompetent und geschätzt erlebt haben. Nach meinem Verständnis zeugt die Erzählung von zunehmender innerer Spannung und Verunsicherung, die sich entwickelt, da ihm der sozial sichere Boden eines verlässlichen und einschätzbaren Kontaktes zum direkten Vorgesetzten erschwert ist. Mit der sozialen Verunsicherung, in der Abhängigkeit vom Vorgesetzten, nehmen Selbsterleben, -sicherheit, -verständnis und -bezug Schaden, wo sie auf der ausgestalteten Berufsrolle basieren. Es wird der Person bisher selbstverständlicher, professioneller Boden entzogen, was die Identität erschüttern kann. Sich als nicht orientiert, abhängig und zunehmend haltlos zu erleben, dürfte sein Handlungsvermögen schwächen, sein Selbstbild kränken und unglücklich machen.

3.2.2.9 Ich bin auch froh, dass diese Abhängigkeit zu Ende ist

Herrn Bertram beschreibt, dass über die Jahre alle Beteiligten gelernt haben und sich eine gewisse Entspannung einstellte. Mit dem neuen Manager kommt er »inzwischen auf einer gewissen Ebene gut zurecht und kann auch vieles an ihm schätzen« (2013, Z. 1197); die Beziehung hat positive Züge gewonnen. Er spricht von grundsätzlichen Unterschieden zwischen ihm und seinem Vorgesetzten. Mit Blick auf den Vorruhestand kann er darum auch gut finden, dass die Kooperation zum Abschluss kommt:

»Ich bin auch ganz froh, dass … diese Abhängigkeit dann auch zu Ende ist, dass es dann gut ist. Weil, ich habe es nie wirklich herausgefunden, worum es ihm geht. […] Ich glaube, er freut sich auch, wenn ich weg bin« (2013, Z. 1185-1208).

Eine Arbeits- und Abhängigkeitsbeziehung zu beenden kann erleichtern, womöglich auch beide Parteien. Selbst nach mehrjähriger Zusammenarbeit kann Herr Bertram »nicht wissen, was [sein Vorgesetzter] wirklich will«. Diese Unsicherheit oder Unwägbarkeit führt, wie Herr Bertram erklärt, dazu, dass er auch weiterhin im Kontakt mit seinem Vorgesetzten einfach »bestimmte Dinge nicht versteht« und deshalb tastender mit ihm umgeht, als es ihm selbst entsprechen würde. Ich verstehe es so, dass er sich befangen fühlt oder nicht angenommen, so wie er ist. »Wo ich mich wohlfühle, das ist anders« (2013, Z. 1200), resümiert Herr Bertram. Wenn man merkt, dass es nicht wirklich gut geht im Miteinander, man nicht man selbst und entspannt im Umgang mit dem anderen sein kann, dann bedeutet es eine psychische Erleichterung, ein Ende abzusehen und getrennter Wege gehen zu können. Herr Bertram vermutet, dass nicht nur er diese Erleichterung verspürt.

3.2.2.10 Resümee kränkender Erfahrungen im Prozess der Reorganisation

Es wurde deutlich, dass für Herrn Bertram mit den Jahren der Reorganisation auch Kränkungen von psychischen Bedürfnissen einher gingen: Am meisten zu belasten scheinen das zunehmende Halt-Verlieren durch lange Zeiten der Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten im Reorganisationsprozess sowie ein direkter Vorgesetzter, den er nicht wirklich versteht und nicht ganz vertraut. Auch wirkt für ihn frustrierend, wie eigene Wertvorstellungen darüber an Gültigkeit verlieren, wie mit Menschen umgegangen werden sollte sowie zu Standards in der Arbeit, welche der jüngere Manager aufgibt. Schlüsselszenen, in denen Kränkungen erfahren wurden, wirken nach, wie eine öffentliche Diskreditierung (zu alt, teuer, unflexibel) und Bloßgestellt-Werden (öffentliche Sitzung) sowie verlorene Abwehrkämpfe. Kränkende Potenziale entspinnen sich entlang von Machtfragen und durch Eindrücke, wonach der jüngere Manager die Führungskräfte im Vagen lässt, nicht hinreichend einbezieht, dem Erfahrungsträger Aufgaben entzieht, scheinbar willkürliche Entscheidungen trifft, teilweise autokratisch führt und dann kaum Wertschätzung für sein Gegenüber erkennen lässt.

Positive Gegengewichte zu diesen belastenden Aspekten, über einen langen Zeitraum entfaltet, bilden ein guter sozialer Rückhalt und die Wertschätzung im Kreise der Führungskräfte im Hause, unterhalb des Managements (auch: Beziehungen zu externen Partnern, private Ressourcen). Ohne diese wertvollen zwischenmenschlichen Gegenerfahrungen wäre es wohl schwieriger, psychisch unbeschadet aus dem langjährig belastenden Prozess hervorzugehen. Zudem kann er für sich auf Strategien der inneren Distanzierung (Akzeptanz, Humor) zurückgreifen.

In fünf Jahren der Reorganisation stellen die dargelegten Kränkungen zwar individuell bedeutsame Erfahrungen dar, im Gesamtblick auf einen langen und komplexen Prozess werden sie aber auch situativ relativierbar in einem Kontinuum, welches sich insgesamt positiv entwickelt hat, wie Herr Bertram 2013 sagt. In Anerkennung seiner persönlichen Situation und der aufgezeigten Erfahrungen kann er seiner Entscheidung für den bevorstehenden Ruhestand Positives abgewinnen: er schaut mit einer gewissen Erleichterung nach vorne und darauf, wie es für ihn persönlich weitergehen kann. Darum geht es im nächsten Abschnitt.

3.2.3 Beispiele für eine ermutigende Antizipation von Zukunft

Identität(sarbeit) als Sinn- und Selbstkonstruktion hat auch etwas damit zu tun, in die Zukunft zu projizieren und sich Sich-Selbst in der Zukunft vorzustellen. Wie sich Herr Bertram seine Zukunft nach dem Ausscheiden aus seinem Berufsfeld vorstellt, wie er sich in den letzten Monaten vor dem Ruhestand konstruktiv darauf vorbereitet, gedanklich, im Austausch mit anderen und in der realen Welt, darum geht es nun.

3.2.3.1 Sich der eigenen Endlichkeit bewusster zu werden und zu stellen

Zur Auseinandersetzung mit dem Vorruhestand sagt Herr Bertram in einem Kernsatz: »Rente heißt auch, dem Tod ein Stück näher zu kommen, sich der eigenen Endlichkeit bewusster zu werden und sich diesen ängstigenden Gedanken zu stellen« (2013). Ihm zufolge hilft ihm eine bewusste Auseinandersetzung mit diesen Themen, zu einer positiven inneren Zukunftsausrichtung zu finden. Entsprechend verknüpft er sein Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben in den Vorruhestand mit der Möglichkeit, sich zu vitalen Lebenszeiten (»ich bin noch kerngesund«) auf Dinge zu besinnen, die ihm neben der Arbeit am Herzen liegen. Erfahrungen des Verlustes liebgewonnener Menschen tragen ihm zufolge im reiferen Erwachsenenalter dazu bei, sich über eigene Wertehaltungen in der Arbeit ebenso wie in Hinblick auf die Gestaltung privater Beziehungen intensiver Gedanken zu machen. Herr Bertram führt aus:

»Ich habe schon einige Gefährten auf dem Weg auch verloren, und manchmal geht das ganz plötzlich und ganz schnell. Dinge, die man dann eigentlich noch gern getan hätte, gesagt hätte, kann man nicht mehr …« (2013, Z. 1289ff.).

In Erinnerung an unerwartete Verlusterfahrungen im sozialen Umfeld und in Auseinandersetzung mit seinem frühen Vorruhestand unternimmt Herrn Bertram Reflexionen darüber, was ihm im Leben wichtig ist. Er sagt in einem Kernsatz: »Ich finde klare Übergänge wertvoll, denn sie unterstützen Klarheit« (2013). Der »Luxus«, von dem Herr Bertram (3.2.1) in Bezug auf die bevorstehende eigenverfügbare Zeit sprach, konkretisiert sich entlang dieser Überlegungen: Es ist z.B. der Luxus, private Zeit für Menschen zu haben, die einem am Herzen liegen, nicht nur »am Wochenende mal eine Stunde lang« (2013, Z. 1292), sondern mit Muße.

3.2.3.2 Ich möchte mal gucken: Was will ich wirklich?

Zeitliche Freiheit eröffnet, wie Herr Bertram reflektiert, auch die inhaltliche Freiheit, sich zu fragen: »Was will ich eigentlich, von wem, und mit wem« (2013, Z. 1291)? Während im beruflichen Alltag Rollen- und Sachzwänge dazu beitragen, mit wem man in welchem Maße und in welcher Hinsicht umzugehen hat, werden in der Eigenverfügung von Zeit andere Schwerpunktsetzungen vorstellbar. Biographisch erworbene Werte- und Sinnbezüge bewusst in den Dienst selbstbestimmbarer Schwerpunktsetzungen stellen zu können ist für Herr Bertram neu und macht neugierig:

»Ich möchte mal gucken: Was will ich wirklich? Und wie viel Bedeutung hat es wirklich? Und was macht mir wirklich Spaß?« (2013, Z. 1317ff.)

Herr Bertram möchte, wie er sagt, sich Zeit nehmen nachzuspüren, was er selbst will. Darum lehnt er, wie er berichtet, zunächst einmal Angebote für neue Funktionen oder Ämter dankend ab, weil er »ein bisschen tiefer spüren« (2013, Z. 1315) und schauen möchte, was er »wirklich« möchte und was ihm Spaß macht. Seine Beschreibung klingt ein wenig wie ein Abenteuer oder ein Selbstexperiment, auf dessen Ergebnisse und Selbsterkenntnisse er gespannt ist.

3.2.3.3 Im Austausch mit anderen und mit sich selbst sondieren

Herr Bertram berichtet von Dialogen, die er mit sich selbst und mit vertrauten Menschen in seiner Vorbereitung auf den Beginn des Ruhestandes führt. Auch die Interviews beschreibt er als eine gute Möglichkeit, im Gespräch Dinge für sich zu ordnen.

Einerseits überlegt er, dass er die durch seine Berufsrolle ermöglichten Erfahrungen vermissen wird, bspw. in Gestaltungsspielräumen eigene Ideen umzusetzen oder auch Feedback von anderen zu bekommen. Seine Kenntnisse und Fähigkeiten, deren Einsatz ihm auch Spaß machen, nicht mehr einzusetzen, wäre für ihn auch »ziemlich schade« und »ein großes Loch« (2013, Z. 1309ff.). Insofern stellt er sich dieser »Herausforderung« (ebd., Z. 1304), die er aber auch als eine Chance beschreibt, die er zunächst einmal ausloten möchte. In den Reflexionen wird deutlich, wie bewusst Herrn Bertram die in seiner Arbeit erfahrbaren wertvollen Potenziale sind, aus denen er Zufriedenheit, positives Selbsterleben sowie Kraft und Selbstwert schöpft.

3.2.3.4 Wahlfreiheit: Das soll und darf jetzt erst mal alles ein bisschen wachsen

Die antizipierten Wahlmöglichkeiten nennt Herr Bertram auch ein »Füllhorn« (2013, Z. 1352), ein mythologisches Symbol des Überflusses, aus dem sich Reichtum und Segen ergießen sollen. Entsprechend zuversichtlich äußert er sich darüber, dass sich schon »etwas ergeben« wird, das zu ihm passt. Er möchte sich Zeit nehmen, nicht aus Bedürftigkeit sofort jedes »unanständige Angebot« (2013, Z. 1311ff.) anzunehmen, wie er scherzhaft sagt. Ich verstehe ihn so, dass er sich nicht sogleich einlassen möchte auf jede Verführung, neue Rollen zu übernehmen. Er erklärt:

»Ich bin jemand, der gerne auch etwas für andere tut und sich gerne auch breitschlagen lässt … Aber das wollte ich jetzt nicht« (2013, Z. 1313).

In dem Wissen darum, schnell anderen zuliebe etwas zu tun, entscheidet er sich für eine Abstinenz von Zusagen, die die Wahl- und Suchbewegung um eigene Wünsche und Interessen zu diesem Zeitpunkt begrenzen würden.

Selbstreflexiv spricht Herrn Bertram an, dass eine Zeit ohne Aufgaben »auch schwierig werden« könnte für ihn; dass er erleben könnte »da fehlt mir etwas«, und dass es ihm dann womöglich »nicht so gut geht« (2013, Z. 1317ff.). Derzeit, in den Monaten vor dem Ausscheiden, ist jedoch keine Entscheidung notwendig. Er lässt die Dinge auf sich zukommen, hält sich zurück und weist Angebote zunächst ab. Er wünscht sich, so wird nach meinem Verständnis deutlich, einen offenen inneren und äußeren Raum der Wahlfreiheit zu erleben sowie auch, eine Auswahl unter verschiedenen Möglichkeiten treffen zu können. Entsprechend »soll und darf jetzt erst mal alles ein bisschen wachsen« (2013, Z. 1359f.), sagt er, innerlich und in der realen Welt.

3.2.3.5 Auch noch ein bisschen Geld verdienen ist eine gute Sache

Seine finanzielle Absicherung erlaubt es Herrn Bertram, wie er sagt, sich selbst zuzumuten, in Ruhe zu sondieren. Dabei leiten ihn »andere Ideen davon, in welche Richtung, in welches Klima, in welche Atmosphäre, in welche Stürme« (2013, Z. 1358ff.) er sich vorstellen kann, sich künftig zu begeben. Ich verstehe ihn so, dass er bestimmte Richtungen, Atmosphären und Stürme für sich als nicht passend ablehnt oder nicht (wieder) erleben möchte. Vor dem Hintergrund der zuvor entfalteten Erkenntnisse über kränkende Erfahrungen der Jahre im Restrukturierungsprozess seines Arbeitsfeldes wird vorstellbar, woran er dabei denken mag: zwischenmenschliche Umgangsformen, das soziale Klima sowie inhaltliche Ausrichtungen. Herr Bertram stellt sich vor, jedenfalls auch künftig ein bisschen Geld zu verdienen:

»Ich will auch noch ein bisschen Geld verdienen, weil, das gehört sich, finde ich, für einen Menschen mit 59 auch, wenn er nicht erwerbsunfähig ist«, (2013, Z. 1367ff.).

Herr Bertram kann sich nicht vorstellen, als gesunder, gut ausgebildeter und erfahrener Mensch gar nicht mehr zu arbeiten. Zu seinem Selbstbild würde das, wie er ausführt, nicht passen. Seine Verpflichtungen schätzt er so ein, dass er nicht völlig sorgenfrei über hohe Rücklagen »im Hintergrund« verfügen würde, obgleich er sich recht gut abgesichert sieht. Doch neben finanziellen Erwägungen geht es ihm um mehr: Zu arbeiten und Geld zu verdienen stellt in seiner Biographie einen Grundwert an sich dar, etwas, das »sich gehört« sowie »Spaß macht« und das auch familiär immer »eine Bedeutung« für ihn hatte, insgesamt eben »eine gute Sache« (2013, Z. 1370ff.). Arbeiten in dieser Weise als wertvoll für sich zu verstehen scheint in Selbstbild und Selbsterleben von Herrn Bertram eine zentrale Rolle innezuhaben, es ist Teil seiner Identität. Entsprechend äußert er sich selbst gespannt, was »ihm dazu einfallen« (2013, Z. 1374) und auf welche Weise er wohl neue Aufgaben für sich finden wird.

3.2.3.6 Resümee von Ansätzen einer ermutigenden Zukunftsantizipation

Für eine ihn ermutigende Antizipation seiner Zukunft führt Herr Bertram verschiedene Aspekte an: Einerseits ist eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit (Sterblichkeit) ihm Antrieb für eine Besinnung auf das, was ihm selbst (statt für andere) am Herzen liegt. Dies erkundet er im Dialog mit sich selbst und anderen. Es wird deutlich, dass die Chance einer Freiheit von Wahlmöglichkeiten, sich auf die innere sowie äußere Suche nach Richtung, Klima, Atmosphäre oder Stürmen, die ihm zusagen, zu begeben, eine faszinierende Vorstellung für ihn darstellt. Einher geht damit eine im beruflichen Kontext weniger erlaubte Freiheit, auch »Nein« zu sagen und Kooperationsangebote zurückzuweisen. Nicht zuletzt besteht als Orientierungspunkt für diese ergebnisoffene Reise eine innere Ausrichtung auf den familiär wichtigen Grundwert, auch künftig noch ein wenig Geld zu verdienen.

3.3 Empiriebasierte Folgerungen für Management und Individuum

Es können nach meinem Verständnis als Fazit aus den dargestellten empirischen Erfahrungen primär Hinweise auf zwei Ebenen abgeleitet werden: erstens für Personen, die in der Rolle des Managements oder höherer Führungskräfte Veränderungsprozesse sowie das Ausscheiden langjähriger Erfahrungsträger/innen verantworten und gestalten. Und zweitens für Personen, um deren Mitwirken im Veränderungsprozess sowie um deren Ausscheiden aus dem Arbeitsleben es geht.

Sekundär sind diese Hinweise auch in ihren Auswirkungen auf das organisational-soziale Umfeld dieser beiden (Aus‑)Handlungspartner zu lesen, denn nicht direkt betroffene Menschen im Arbeitsumfeld »lesen« die Zeichen des Umgangs miteinander mit, um sich daraus Hinweise für die eigene Rolle abzuleiten, für das soziale Klima, die geltenden Werte und Normen sowie die Richtung, die diese Themen (Reorganisation, Umgang mit langjährigen Mitarbeitenden) nehmen. Insofern verstehe ich die Frage, wie in einer Organisation für den Abbau von Positionen vorgegangen wird und auch, wie es sich ggf. von langjährigen Erfahrungsträger/innen trennt – sei es über eine Abfindung in den Vorruhestand, wie im gewählten Beispiel, oder am Ende des Erwerbslebens durch die Altersgrenze – als eine grundsätzlichere.

In Zeiten fortwährenden Wandels erhalten diesbezügliche Erwägungen grundsätzliche Bedeutung wegen der gesellschaftlichen, organisationalen und individuellen Auswirkung von Praktiken, die in einer fundamentalen Weise zwischenmenschliche Werte betreffen. Unter Perspektive der sozialen Nachhaltigkeit gewinnen soziale Ressourcen wie Toleranz, Solidarität, Integration, Gemeinwohlorientierung sowie Gerechtigkeit eine zentrale Bedeutung im Kontext der Arbeit. Ebenso sind aus dieser Perspektive zur Wahrung des sozialen Friedens in Organisationen akzeptable Lösungen bei Verteilungsproblemen, auch zwischen Altersgruppen, anzustreben. Das Fallbeispiel zeigt nach meinem Verständnis eindrücklich, wie Reorganisations- und Interaktionsprozesse Menschen über viele Jahre hinweg belasten können. In diesem Lichte ist sozialer Schutz in Organisationen mit Gestaltungszielen wie Gesundheit, die Sicherung der sozialen Stabilität sowie Möglichkeiten subjektiver Bedürfnisbefriedigung als ein Leitziel zu stärken. Hierüber – für die eigene Organisation, den eigenen Arbeitsplatz – ins Nachdenken zu kommen und nicht nur funktional-ökonomisch, sondern auch unter sozialen Gesichtpunkten adäquate Wege einzuschlagen wäre eine Zielvorstellung, zu der dieser Text einen Beitrag leisten soll.

Im Laufe vieler Jahre kann man als Rollenträger in Organisationen im Wandel viel erleben, wie das Fallbeispiel illustrierte. Es gibt gute und schwierige Momente. In psychischer Hinsicht ergeben sich Schlüsselszenen, die als positiv und befriedigend erlebt werden, andere hingegen fallen negativ und die psychischen Bedürfnisse kränkend aus. Letztlich stellt sich für das einzelne Individuum die Frage, wie es die Mischung verkraftet, verarbeitet, und wie sich die verschiedenen Eindrücke in der Summe in der eigenen Identität niederschlagen. Das kann sehr verschieden sein, so dass das Fallbeispiel einerseits durchaus typische organisationale Szenen beinhaltet und andererseits subjektive Verarbeitungsoptionen erkennbar werden lässt. Welche Folgerungen für eine gute organisationale Handlungspraxis – im Sinne sozial nachhaltigen Handelns und sozial nachhaltiger Arbeitsqualität in einer Organisation – lassen sich aus dem Fallbeispiel ziehen?

Menschliche Bedürfnisse kränkende Erfahrungen entstehen demnach in der sozialen Interaktion des organisationalen Alltags mit als relevant erlebten Partnern (v.a. Vorgesetzte, aber auch andere) und können auf die Funktion (Rolle) oder auf die Person (Mensch) bezogen sein. Aus beiden Aspekten resultieren für das Individuen im Arbeitskontext Erfahrungsbildungen, welche sich – je nach Verarbeitungsvermögen gelingend-integrativ oder auch beschädigend-brüchig – in der subjektiven Identität(skonstruktion) niederschlagen. Konkrete Quellen der Bedürfniskränkung können den empirischen Eindrücken zufolge sein: Strukturentscheidungen, die Art und Weise der Kommunikation und Beteiligung, längerfristige Unklarheiten und Vagheiten, Misstrauensvorbehalte, die Verletzung von persönlichen Wertvorstellungen in der Arbeit, Entzug bisheriger Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume, als willkürlich erlebte Steuerungseingriffe, verlorene Kämpfe um als sinnvoll angesehene Inhalte und Vorgehensweisen, unterschiedliche Wertehaltungen, mangelnde Anerkennung und Wertschätzung (v.a. durch Vorgesetzte) sowie Erfahrungen der mangelnden zwischenmenschliche Passung und Verständigung im Abhängigkeitsverhältnis.

Das Fallbeispiel zeigt zudem viele Ansatzpunkte für befriedigende Erfahrungen im Reorganisationsprozess sowie im Prozess zum Vorruhestand. Auch menschliche Bedürfnisse befriedigende Erfahrungen entstehen demnach vor allem in der sozialen Erfahrungsbildung des organisationalen Alltags mit als relevant erlebten Gegenübern (Vorgesetzte, Kolleg/innen, Untergebene, externe Kooperationspartner/innen) und mit Bezug auf die Funktion oder auf die Person. Zudem können sie aus Aufgaben sowie eigenen Möglichkeiten der Aufgabengestaltung erwachsen. Bedürfnisse befriedigende und die Identität damit stützende Erfahrungen resultieren der Empirie zufolge aus: Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, als sinnvoll erlebten Aufgaben, sich als kompetent zu erfahren, Wertschätzung anderer zu genießen, sozialen Austausch und Rückhalt zu finden, Bestätigung zu erhalten, Wahlmöglichkeiten für sich zu erkennen, den Fortbestand selbst entwickelter Prozesse etc. erkennen zu können, Auseinandersetzungen um als sinnvoll angesehene Inhalte und Prozesse zu führen und zu gewinnen, für andere einzutreten, dem Vermögen der Einfühlung in die Positionen Anderer, der Mitwirkung an als ‚gut’ befundenen Entscheidungen sowie der Fähigkeit zu innerer Gelassenheit, Akzeptanz und Humor. Entsprechende Erfahrungen bieten für das Individuum im Arbeitskontext Befriedigungspotenziale und können insofern zur subjektiven Identität konstruktiv beitragen.

Es wird in der Zusammenschau auch deutlich, dass Macht und Umgangsformen in Organisationen in einem besonders sensiblen Verhältnis zueinander stehen. Dies gilt vor allem für formale Abhängigkeitsbeziehungen. Je nach dem, ob diese als fair gestaltet oder machtstrategisch ausgenutzt erlebt werden, kann im sozialen Miteinander tragfähiger Boden entstehen oder auch Porzellan zerschlagen werden. Identitätsarbeit bedeutet für das Individuum, Deutungen zu finden, welche ihm eine konstruktive Integration seiner Erfahrungen im eigenen Gefühlshaushalt und im Selbstbild erlauben. Hierbei spielen (in Anlehnung an ein psychoanalytisches Verständnis) innerpsychische Abwehr- und Anpassungsvorgänge ebenso eine Rolle wie Geschehnisse in der realen, sozialen Umwelt. Kränkende Erfahrungen werden hierbei, so möchte ich konstatieren, eine höhere Integrationsleistung notwendig machen, um »unbeschädigt« zu bleiben, also Deutungen zu entwickeln, welche sowohl emotional als auch sozial für das Individuum akzeptabel und konstruktiv integrierbar sind. Andernfalls besteht eine erhöhte Gefährdung der Verbitterung oder des sozialen Rückzugs. Überwiegen kränkende Aspekte in der Erfahrungsbildung, so kann in Anlehnung an Keupp (1997) vom »beschädigten Leben« gesprochen werden für den Fall, dass es einem Individuum nicht gelingt, eine integrativ-verschmerzbare Verarbeitung entsprechender Erfahrungen im innerweltlichen Gefühl des Seins-In-Der-Welt zu entwickeln.

Aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive und gestützt auf den politischen Leitgedanken eines sozial nachhaltigen Handelns in Organisationen lässt sich ableiten, dass Menschen, die Reorganisationsprozesse gestalten und verantworten, auch Verantwortung für die zwischenmenschlichen Wirkungen tragen, die ihre Art und Weise des Handelns entfalten. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass eine Organisation durch ihre Hierarchien zugleich Strukturen der Abhängigkeit vorgibt.

Als Fazit für Verantwortliche im Management oder in höheren Führungspositionen, die einen Reorganisationsprozess sowie die Freisetzung langjähriger Mitarbeiter/innen verantwortlich gestalten, lässt sich festhalten, dass eine respektvolle und wertschätzende Haltung älteren Erfahrungsträger/innen gegenüber auf jeden Fall dazu beitragen kann, dass die Person in konstruktiver Weise im Reorganisationsprozess auch mit schmerzlichen Veränderungen umgehen und ggf. auch aus ihrem bisherigen Arbeitsleben ausscheiden kann. Dies ist an sich bekannt. Allerdings klappt es in praxi oft bei bestem Bemühen nicht so gut, weil sich das »Wie« in der Interaktion oft weniger gut steuern lässt, als es den Menschen lieb ist. Insofern kann aus den empirischen Erzählungen abgeleitet werden, dass in schwierigen Prozessen, welche Betroffenheiten bei Mitarbeitenden auslösen, strukturell sowie zwischenmenschlich besonderer Takt hilfreich wäre. Menschliche Einfühlung hilft dabei; über eine ihm besonders nachhängende Kränkung sagt Herr Bertram in einem Kernsatz: »Es wäre einfach heilend gewesen, einfach ein Wort der Entschuldigung zu hören« (2013).

Als Fazit für Personen, die als langjährige/r Erfahrungsträger/innen an Reorganisationsprozessen mitwirken sowie aus einer Organisation resp. dem Berufsleben ausscheiden (sei es durch vorzeitigen Ruhestand oder reguläre Berentung) lässt sich konstatieren, dass es sinnvoll ist, in psychosozialer Hinsicht für sich selbst gut zu sorgen. Entsprechende Strategien wurden im Fallbeispiel exemplarisch aufgezeigt. Sich nicht nur von direkt vorgesetzten Personen emotional abhängig zu fühlen, sondern sich im Netzwerk sonstiger sozialer Bezüge des Rückhalts und der Wertschätzung vergewissern zu können, kann als eine wertvolle Ressource herausgestellt werden. Letztlich liegt es am spezifischem Kontext und der Person, inwiefern dies gelingt. Daneben haben sich Möglichkeiten einer inneren Distanzierung wie Akzeptanz (auch: Verantwortung da lassen, wo sie formal liegt) und Humor als hilfreich erwiesen. Dennoch: Strukturentwicklungen sind und bleiben anstrengend, so dass ein konstruktiver zwischenmenschlicher Umgang umso wichtiger ist, um sie auszuhalten.

Am Ende der Beruflichkeit, wenn Abhängigkeiten und Loyalitäten weniger fest binden, kann sich auch die »Freiheit des klaren Blickes« erhöhen und manches unverstellter bewertet werden. Es wäre interessant, Herrn Bertram in fünf Jahren erneut zu fragen, wie er auf seine Erfahrungen der letzten Berufsjahre im Reorganisationsprozess zurückblickt. Dann liegt auch der passive Teil seines Vorruhestands hinter ihm, er konnte weiteren Abstand gewinnen und vielleicht auch neue Aktivitäten entfalten.

Nachdem ein empirie-immanentes Fazit gezogen ist, schließt der Beitrag mit grundsätzlichen, theoriegeleiteten Überlegungen zu Identität im organisationalen Wandel.

4. Theoriegestützte Folgerungen zum Verständnis von Identität im Wandel in Organisationen

Abschließend skizziere ich, mit Rückbezügen auf das vorgestellte Fallbeispiel, ein konzeptionelles Verständnis von Identität im organisationalen Wandel. Zum theoretischen Verständnis von Identität bieten sich verschiedene berufsbezogene Identitätskonzepte aus Psychologie und Soziologie an (exemplarisch seien genannt Schimank 1981; Heinz 1995; Kraus 1996; Behringer 1998; Keupp et al. 1999; Pongratz/Voß 2000), neben grundständigeren Ansätzen der Persönlichkeitspsychologie (bspw. Freud 1930, Erikson 1966, Petzold 1993). Das Anwachsen von Berufsidentitätspublikationen gerade in den 1990er Jahren kann als Indiz dafür aufgefasst werden, dass sich – mit den sich objektiv verändernden Arbeitsstrukturen der Spätmoderne (wie Lean Management, Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit) – auch Aspekte des subjektiven Erlebens und Verarbeitens jener neuen Arbeitsbedingungen wandeln (s.a. Pongratz/Voß 2003; Meyerhuber 2009, 2012). Es sind parallel zur zunehmenden Entgrenzung von Arbeit in den Sozialwissenschaften sowie in der Philosophie auch verschiedene Ansätze entstanden, welche »Narrative Identität« (Meuter 1995, Kraus 1996) und »Narrative Psychologie« (Sarbin 1986, Howard 1991, Vaassen 1996, Mancuso 1996) konstituieren.

Diese umfängliche Debatte möchte ich hier nicht in ihrer Fülle nachzeichnen, sondern einige Überlegungen aufgreifen, die sich auch praktisch-konkret dazu eignen, relevante Eckpunkte eines angemessenen Verständnisses von Identität mit Bezug zu Veränderungsprozessen mit Menschen in Organisationen thematisieren zu können.

4.1 Identität als »Wer bin ich« oder auch »Sein in der Zeit«

Der Sozialpsychologe Keupp beschreibt, dass sich Identitätsfindung darin zeigt, »…wie die Beantwortung der Frage: ‚Wer bin ich?’ gelingt, also für die Identitätsfindung einen Rahmen zu konfigurieren. Im Grundriss der modernen Lebensführung nimmt die … Berufsarbeit einen zentralen Stellenwert für die Lebensbewältigung und die Selbstdeutungen ein« (Keupp 1997, S. 207). Fünf Aspekte seien bedacht, die ein »praktisches« Identitätsverständnis im Kontext Arbeit unterstützen können:

  1. Über den Lebensverlauf hinweg ändern sich subjektive Selbstbeschreibungen des »Wer bin ich«, wie der Entwicklungspsychologe Erikson (1966) aufzeigt. Er differenziert acht Lebensphasen, die aus physischen und psychischen sowie sozialen Anforderungen resultieren und aus denen biographische Reifungsaufgaben für den Menschen erwachsen. Für die Frage nach »praktischer« Theorie interessant finde ich, wie sich dabei laut Erikson die innere Grundausrichtung, quasi als »Lebensmotto« fassbar, verschieben kann: Während im jungen Erwachsenenleben das Motto »Ich bin, was mich liebenswert macht« dafür spricht, dass eine jüngere Person zunächst einmal versuchen wird, dazugehören und zu gefallen (sich anzupassen), gilt für das reifere Erwachsenenalter als Motto: »Ich bin, was ich bereit bin zu geben«, d.h. eine stärker innengeleitete Auswahlhaltung unter der Perspektive, was man selbst einbringen oder auch zurückhalten möchte, bei schwindendem Anspruch, primär anderen zu gefallen. Und für den Übergang ins Alter lässt sich bei Erikson als Motto ableiten: »Ich bin, was ich als sinnhaft empfinde« – eine aus Erfahrung und Expertise resultierende Bewertung, die es erschwert, als nicht sinnvoll erlebtes mitzutragen. Unter dieser Perspektive verständnisvoll nach Alter und innere Ausrichtung von Organisationsmitgliedern zu fragen kann im Arbeitskontext darin unterstützen, sich wandelnde subjektive Ansprüche von Menschen und anstehende Aufgaben so anzugleichen, die sie dem inneren »Sein-In-Der-Zeit« von Menschen biographieadäquat entsprechen. In der Erzählung von Herrn Bertram (3.2) wurde analog erkennbar, dass er sich in den letzten Berufsjahren zunehmend fragen mochte, was er noch »bereit ist zu geben« angesichts von Entwicklungen, die er zunehmend nicht mehr mittragen mag. Die Frage, was »er selbst als sinnhaft empfindet«, stellte sich für ihn infolge seiner Erfahrungen immer schlüssiger, so dass er im Vorruhestand schauen will, »in welche Richtung, welches Klima, …« (2013, Z. 1358ff.) er sich künftig begeben möchte. Nicht zuletzt lassen der Beruf, seine Erfolge und Kämpfe, ein Individuum zu dem Menschen werden, der es ist.

  2. Arbeit in ihrer zentralen psychischen Bedeutung für individuelle Lebensbewältigung und Selbstdeutung zu begreifen ist nach meinem Verständnis der wichtigste Ausgangspunkt, um als Vertreter/in einer Organisation Mit-Verantwortung für diesbezügliche Prozesse zu erkennen sowie als Arbeitnehmer/in zu realisieren, welche Bezogenheiten und inneren Abhängigkeiten mit der eigenen Arbeit verbunden sein mögen. Es ist eine grundsätzliche Verflochtenheit von Arbeit und Psyche zu konstatieren, wie sie schon der Psychoanalytiker Freud in seinen Überlegungen zum Verhältnis von Individuum und Kultur aufzeigt:

    »Keine andere Technik der Lebensführung bindet den einzelnen so fest an die Realität wie die Betonung der Arbeit, die ihn wenigstens in ein Stück der Realität, in die menschliche Gemeinschaft, sicher einfügt. Die Möglichkeit, ein starkes Ausmaß libidinöser Komponenten, narzisstische, aggressive und selbst erotische, auf die Berufsarbeit und auf die mit ihr verknüpften menschlichen Beziehungen zu verschieben, leiht ihr einen Wert, der hinter ihrer Unerlässlichkeit zur Behauptung und Rechtfertigung der Existenz der Gesellschaft nicht zurücksteht. […] Und dennoch wird Arbeit als Weg zum Glück von den Menschen wenig geschätzt« Freud (1930, S. 31).

    Ein tiefenpsychologisches Verständnis von Möglichkeiten der menschlichen Bedürfnisbefriedigung oder -kränkung in der Arbeit – in 3.1. skizziert – geht von Freuds Überlegungen aus und bestätigt sich in entsprechender Forschung und in der Praxis (Meyerhuber 2009). Die Empirie dieses Beitrags basiert auf dieser Anschauung.

    Insofern möchte ich hier nicht zwischen den Begriffen Identität und Berufsidentität zu scharf unterscheiden, denn nach meinem Verständnis ist die Identität erwachsener Menschen in der Arbeitsgesellschaft stets stark auf Beruflichkeit bezogen. Dies bestätigt v.a. die Arbeitslosenforschung, der zufolge die objektiv-strukturell bestehenden Erlebensdimensionen von Arbeit sich auch im Falle von Arbeitslosigkeit – dann als Mangel – auf Selbstbild und -erleben des Subjekts auswirken (Jahoda 1983).

  3. Mit den Therapietheoretikerinnen Rahm, Otte, Bosse und Ruhe-Hollenbach (1993) möchte ich zudem ein Verständnis vorschlagen, wonach Identität letztlich auf fünf Säulen ruht resp. sich aus fünf Lebensbereichen speist: »Leiblichkeit, soziales Netzwerk, Arbeit und Leistung, materielle Sicherheit sowie Werteüberzeugungen«. Die Autorinnen führen für den Einzelfall aus: »Um die Wertigkeit dieser Identitätsbereiche abschätzen zu können, muss man natürlich Ihre Entwicklung im Lebenslauf und ihre Bedeutung der gegenwärtigen Situation mit betrachten (Kontext und Kontinuum)« (Rahm et al. 1993, S. 156). In der postmodernen Arbeitsgesellschaft kommt dem Lebensbereich »Arbeit und Leistung« für erwachsene Menschen und ihre Identität zentrale Bedeutung zu. Es bestehen zudem enge Verknüpfungen mit jenen Anteilen ihres »sozialen Netzwerks«, über die sie im Arbeitsfeld verfügen. Dies lädt ein zu fragen, wie es um soziale Kontakte in anderen Lebensbereichen bestellt ist. Arbeit ist für die meisten Menschen auch zentrale Quelle ihrer »materieller Sicherheit«. In Hinsicht auf gesundheitliches Wohlergehen und Selbsterleben, also Aspekte der »Leiblichkeit«, spielt Arbeit ebenfalls eine große Rolle, kontrastiert sich aber auch an der Lebensführung insgesamt, da viele Aspekte von Leiblichkeit im privaten Raum stattfinden. Und nicht zuletzt sind eigene »Wertehaltungen« meist nicht nur privater Natur, sondern auch in berufliche Sozialisation und Erfahrungsbildung eingebettet.

    Die Wichtigkeit der Arbeitstätigkeit für die Identität erwachsener Menschen ergibt sich auch daraus, dass es der Ort ist, wo sie einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen. Die schwedischen Arbeitsforscher Kjellström, Hakansta und Hogstedt (2007, S. 14) betonen daher: »The workplace is the most important environment for most people’s health, whether it is a home, office, factory or forest.” Der Wert einer therapietheoretischen Betrachtung von Identität, wie hier angedeutet, liegt m.E. darin, dass trotz eines Primats der Rolle von Arbeit eine Differenzierung der Quellen, aus denen Identität sich speist, für die Ausarbeitung der Subjektperspektive im Einzelfall vorgenommen werden kann. So erlaubt es das Konzept, bspw. in der Säule »Arbeit und Leistung« auch an Alternativen zur Erwerbsarbeit zu denken, um diesen Bereich des Lebens, z.B. mit Blick auf eine Person im Ruhestand, zu thematisieren.

    Im Einzelfall unterstützt es diese Differenzierung zudem, die »Säulen der Identität« als Gradmesser für eine Einschätzung zu nutzen, wie stabil oder gefährdet eine Person in ihrer Identität sein mag, wenn sie bspw. in einem Reorganisationsprozess starken Veränderungen ausgesetzt ist und/oder auch aus dem Arbeitsleben ausscheidet. Erscheinen einzelne Identitätssäulen stark erodiert oder die konkrete Lebensführung auf nur wenige Säulen gestützt, so ergeben sich daraus erste Hinweise, inwieweit Identität gelingen, brüchig oder gar beschädigt werden könnte.

  4. Unter methodologischer Perspektive wurde im zweiten Abschnitt Brockmann zitiert, der Identität auch als »Sein in der Zeit« beschreibt. Der Autor hebt insbesondere hervor, dass für eine Untersuchung komplexer holistischer Bedeutungskonstruktionen »… lebensgeschichtliche Erzählungen sowie andere narrative Formen menschlicher Selbstvergewisserung eine zentrale Rolle spielen, da sie eine Perspektive auf die individuellen wie die kulturellen Aspekte unserer Identität als Sein in der Zeit eröffnen« (Brockmann 2003, S. 4). Eine Verknüpfung dieser Überlegungen mit zuvor entfalteten, therapietheoretischen Erwägungen nach Rahm et al. bestärkt: Sein-In-Der-Zeit ist nicht unabhängig zu sehen vom Sein-An-Einem-Ort (Kontinuum und Kontext). Soziale Situation und Erfahrungsbildung führen über Narrationen zur subjektiven Sinnkonstruktionen und stehen unmittelbar in Zusammenhang.

    In Hinblick auf eine individuelle Verarbeitung von Erfahrungen eines Vorruhestandes, der nicht (etwa aus gesundheitlichen Erwägungen) selbst angestrebt wird, sondern Resultat eines Restrukturierungsprozesses ist, findet sich das Individuum in der Postmoderne vor besondere Verarbeitungsaufgaben gestellt, da gesellschaftliche Deutungsmuster erodiert sind, wie Keupp es ausdrückt:

    »Das Spezifikum der gegenwärtigen Situation ist eine doppelte Erosion. Technologisch-ökonomische Prozesse führen zu realen Umbauten im gesellschaftlichen Gefüge, die dramatische Einschnitte in Normalbiografien von Frauen und Männern zur Folge haben. Gleichzeitig erodieren aber auch die Deutungsmuster, die soziale Umbrüche zu normalisieren in der Lage wären. […] Solche Deutungsmuster liefern Normalitätsstandards und die Frage ist, ob es für aktuelle Veränderungen bereits solche Normalitätsmuster gibt, die es erlauben, eine persönliche Krise soziokulturell zu deuten und damit ihre individuelle Dramatik zu nehmen« (Keupp 1997, S. 208f.).

    Welche soziokulturellen Deutungsmuster können das Individuum unterstützen, einen sozialen Umbruch, wie ihn das frühe Ausscheiden aus dem Arbeitsleben bedeutet, einzuordnen und von seiner individuellen Dramatik auch zu entlasten? Im empirischen Material bspw. wurden hierzu Denkansätze erkennbar, die auf finanzielle Absicherung, den positiven Wert von zeitlichem Freiraum und inhaltliche Wahlmöglichkeiten sowie die Besinnung auf die eigenen Kompetenzen in Relation mit der eigenen Endlichkeit (Sterblichkeit) basierten. Aus Ausgangspunkten wie diesen wurde für Herrn Bertram positiv-konstruktivistische Zukunftsantizipation möglich. Daneben führte er auch gute soziale Kontakte an, die sein Selbsterleben-In-Der-Zeit soziokulturell eingebettet positiv kommentieren: In sinnstiftender Narration sowie im Austausch darüber mit anderen entstehen sozialer Rückhalt, Vergewisserung und Zuversicht für das Individuum. Wenn andere bestätigen, dass der Vorruhestand auch eine Chance darstellt, kann der Dramatik des Verlustes eines auch geliebten Betätigungsfeldes die Lust an der Chance für Neues und Wertvolles gegenüber gestellt werden.

  5. Der Psychologe Heiko Ernst erläutert, wie in Erzählmustern menschliche Identität thematisiert und auch ein Stück weit hergestellt wird:

    »Erzählungen und Geschichten waren und bleiben die einzigartige menschliche Form, das eigene Erleben zu ordnen, zu bearbeiten und zu begreifen. Erst in einer Geschichte, in einer geordneten Sequenz von Ereignissen und deren Interpretation, gewinnt das Chaos von Eindrücken und Erfahrungen, dem jeder Mensch täglich unterworfen ist, eine gewisse Struktur, vielleicht sogar einen Sinn. […] Zwar sind wir nur in sehr geringem Maße Autoren unserer Geschichte – zu groß ist inzwischen die Macht der Außeneinflüsse und der Abhängigkeit von persönlichen und sozialen Ressourcen, um diese sich selbst überschätzende Rolle durchzuhalten –, aber wir können gute und verständnisvolle Erzähler unserer Geschichte sein und so den nötigen Sinn und Zusammenhang stiften« (Ernst 1996, S. 202ff.).

    Die in 3.2. beschriebenen gemischten Erfahrungen im Reorganisationsprozess und auch das Resultat, die eigene Position »wegrationalisiert« zu sehen, können als Beispiel für die »Macht von Außeneinflüssen und Abhängigkeiten« im Arbeitskontext gelten. Persönliche und soziale Ressourcen, Situationen wie diese auch psychisch »gut« zu bewältigen, werden hierbei wichtig. Gerade dann spielt, so Ernst, die eigene Fähigkeit, sich selbst ein »guter und verständnisvoller Erzähler« zu sein, eine wichtige sinnstiftende Rolle. Insofern mögen auch ein Interview und ein Text wie dieser darin unterstützen, Zusammenhänge zu strukturieren, die in Hinsicht auf die Identitätsarbeit integrativ wirken. Gerade angesichts der Macht von Außeneinflüssen und Abhängigkeiten wäre es also nach diesem Verständnis für das Individuum wichtig, für sich selbst als gute/r und verständnisvolle/r Erzähler/in der eigenen Geschichte sinnstiftend aktiv zu sein. Dies kann von relevanten Sozialpartner/innen durch nicht-wertendes und interessiertes Zuhören unterstützt werden.

4.2 »Gelingende« oder »beschädigte« Identität und der Wert der Narration

Abschließend mag es lohnen, über eine Differenzierung des Begriffs der Identität in »gelingende Identität« vs. »beschädigte Identität« zu reflektieren, wie ich sie gelegentlich im Beitrag nutzte. Die Begrifflichkeiten sind Keupp (1997) entnommen, gestützt auf Erkenntnisse, wonach Identität u.a. auf sozialer Anerkennung basiert (Honneth 1992). Es wurde zuvor argumentiert, dass wegen der nicht nur formalen, sondern auch sozialen Zugehörigkeit zur Organisation gilt: Umstrukturierungsprozesse verändern soziale Gefüge und damit immer auch Anerkennungsverhältnisse; sie werden durch Wandel verändert oder aufgelöst. Menschen, die verschiedenen soziale Kontexten angehören und die gut darin sind, soziale Kontakte zu pflegen, mögen es also leichter haben, in überdauernder Weise Identität(skontinuitäten) für sich zu sichern. »Gelingende Identitätsarbeit« habe ich (in Anlehnung an Keupp) entsprechend für diesen Beitrag verstanden als eine positive Soll-Vorstellung, welche dem Individuum trotz chaotischer Außeneinflüsse konsistentes Selbstbeschreiben und -erleben ermöglicht. Als Gegensatz skizziert Keupp auch einen Entwurf, wonach Identität fragiler ausfallen kann; er spricht in diesem Falle vom »beschädigten Leben« (Keupp 1997, S. 101ff., 207ff.). Nehme ich diese Begriffe als Eckpunkte in einem Kontinuum möglichen Selbsterlebens an, in welchem das Individuum aus der Gänze seiner Eindrücke und im Fluss der Zeit fortwährend das »narrative Gewebe seines Lebens« (Brockmeier) erarbeitet und rekonstruiert, so ist der Identitätsbegriff weniger beliebig und die eingangs eingeführte Leitidee eines sozial nachhaltigen Handelns in Organisationen lässt sich für den Anspruch von Menschen auf »gelingende Identität« in ihrem Arbeitskontext konkretisieren.

Entsprechend wichtig mag es für das Individuum und »gelingende Identität« sein, angesichts äußerer Umstände, wie es ein Reorganisationsprozess ist, mitwirkend-aktiv zu sein und sich gestaltend, kämpfend oder sich-einmischend erleben zu können. Weiterer Aspekt einer identitätsstiftenden Strategie konstruktiver Selbstbeschreibung wäre auch, Alternativen für sich zu erschließen, um sich von Entwicklungen oder Personen im Arbeitskontext emotional oder real unabhängig(er) zu machen, die nicht gut tun oder mit dem eigenen Selbstverständnis nicht gut vereinbar scheinen.

Anforderungen an eine eigenständig zu leistende Identitätsarbeit für das Ziel der »gelingenden Identität« mögen in den 1960 Jahren, als Milieu- und Geschlechtergrenzen noch stärker Sozial- und Geschlechtscharaktere vorgaben, geringer gewesen sein. Für die heutige, auch »multioptional« genannte Gesellschaft (Schieder 1994) finden sich Keupp (1997, S. 201ff.) zufolge neue, sich gesellschaftlich ausprägende Typen von Narrationen, an denen sich eine solche Anschlussfähigkeit abzeichnet. Der Autor erläutert in diesem Zusammenhang, dass vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Individualisierungsdynamik, die das Potenzial kollektiver Lebenszusammenhänge und Solidaritätsformen abgebaut hat, die Frage des Zugangs zu sozialen Ressourcen, die eine Person hat, besonders relevant wird, denn:

»Handlungsmöglichkeiten einer Person hängen von ihrer Fähigkeit ab, für sich spezifische Ressourcen zu mobilisieren. Neben den ökonomisch materiellen Ressourcen gehören dazu die sozialen, die zugleich nicht ganz unabhängig von den ökonomischen Möglichkeiten zu begreifen sind. […] Diese strukturell unterschiedlichen Zugänge zu Lebenschancen und -optionen, aber auch die Abhängigkeit der Optionen von stützenden und unterstützenden Ligaturen [Bindungen] für die Wahrnehmung optionaler Angebote, wird in der Erzählung von der ‚Multioptionengesellschaft’ meist verschwiegen« (Keupp 1997, S. 216f.).

Entsprechend ist der Wert eines Zugangs zu Optionen, soziale Ressourcen neben der Arbeitsrolle zu pflegen, nicht hoch genug einzuschätzen. Entlang des differenzierenden Konzepts der »fünf Säulen der Identität« lässt sich im Einzelfall ausloten, wie es um stützende Bindungen bestellt sein mag, die es einem Individuum erlauben, entsprechende Optionen für sich tatsächlich wahrnehmen zu können.

Neben den tatsächlich verfügbaren individuellen Optionen stellt nach meinem Verständnis ergänzend das Vermögen, auf der »inneren Zeitachse« zu wandern, für gelingende Identitätsarbeit eine gute Voraussetzung dar. Dies wird auch in den ausgewählten Fallerzählungen (3.2) erkennbar, wonach in den Interviews Gegenwärtiges, Vergangenes und Antizipatorisch-Zukünftiges immer wieder neu interpretatorisch-sinnstiftend bewegt wurde. Das Vermögen eines »Wanderns auf der inneren Zeitachse« wird nicht nur als Gelingensfaktor für einige Therapienformen verstanden, sondern auch von der Phänomenologie betont, wie Brockmeier ausführt:

»Eine der zentralen Feststellung der Husserl’schen Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins betrifft genau diesen Aspekt unseres Zeiterlebens: die intentionale Einheit des Erlebensflusses bzw. des Bewusstseinsflusses in der vergehenden Zeit. Unser subjektives Zeiterleben ist bekanntlich nicht auf die Wahrnehmung des Hier und Jetzt … beschränkt, sondern … immer schon mit dem Gewesenen sowie … mit dem Werdenden verbunden. In der Wahrnehmung von Sprache … ist uns in jedem Augenblick… nicht nur dieses hic et nunc gegenwärtig, wir nehmen vielmehr im Jetzt auch jederzeit Momente als bedeutsam war, die ihm in der Vergangenheit vorausgingen und die wir in der Zukunft erwarten« (Brockmeier 2003, S. 9f.).

Erzählend sich stärkende Personen wären demnach mit Blick auf die Hoffnung »gelingender« Identitätsarbeit auf gutem Wege. Keupp (1997, S. 228) schreibt, dass es für eine narrations-orientierte psychosoziale Praxis vor allem darauf ankommt, Menschen den Zugang zu Erzähltypen zu verschaffen, die solidarische Vernetzung, den Zusammenhang von Autonomie und Bezogenheit und somit eine Förderung von »aufrechtem Gang« beinhalten, wie er es nennt. Er sieht hierin die Schaffung von Möglichkeiten zur Aufarbeitung einer Subjektposition, die ein veränderndes Eingreifen in die Lebenspraxis selbst thematisiert, selbst wenn dazu auch ungeliebte Erzählungen vom »beschädigten Leben« zählen mögen (ebd.).

Mit Blick auf diese exemplarischen Ausschnitte aus Identitätstheorien lässt sich folgern, dass es letztlich auf das Individuum ankommen wird, die persönliche Narration eines konsistenten »Seins-In-Der-Zeit« erzählend zu konfigurieren. Organisationen bzw. in Organisationen Verantwortliche haben allerdings durch die Art und Weise, wie sie Chancen einer positiven Erfahrungsbildung befördern oder eingrenzen (generell, bei Reorganisationen sowie bei Ruhestandsprozessen), erheblichen Einfluss darauf, wie schwierig dies für das Individuum wird oder ob es ihm leicht(er)en Herzens gelingt.

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Meinem Interviewpartner danke ich für vertrauensvollen und engagierten Austausch im Entstehungsprozess des Beitrags. Zudem gilt mein Dank PD Dr. G. Becke für seine Unterstützung.

Endnoten:

[1]

Das artec | Forschungszentrum Nachhaltigkeit ist ein interdisziplinäres Zentrum der Universität Bremen zur wissenschaftlichen Erforschung von Fragen der Nachhaltigkeit. Zweck des Zentrums ist die disziplinübergreifende Forschung zu nationalen und internationalen Themen der Nachhaltigkeit sowie die wissenschaftliche Beratungstätigkeit mit dem Ziel, nachhaltige Entwicklungen in relevanten Handlungsfeldern zu unterstützen. Im Projekt »Nachhaltige Arbeitsqualität intermediärer Akteure in Organisationen« erforsche ich Aspekte sozial nachhaltigen Handelns mit Blick auf mittlere Führungskräfte.

[2]

Politisch ist mit dem Begriff der Nachhaltigkeit eines der großen Ziele zur Korrektur globaler Entwicklungen gemeint, seit die UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro ein Leitbild nachhaltiger Entwicklung programmatisch festgelegt hat. In Deutschland wurde Nachhaltigkeit durch die Bundesregierung ab etwa 2002 als ein politisches Leitziel auf die Agenda gesetzt.

[3]

Vgl. Deutscher Alterssurvey (DEAS) 2011 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Impression aus der Tagespresse zu Daten der Rentenversicherung: »Fast jeder zweite Beschäftigte geht in Frührente« (Weser Kurier 29.12.2011).

[4]

Wilson bezieht sich hierbei auf die Phänomenologen Turner (1962, S. 28) und Blumer (1966, S. 540).

[5]

Zur narrativen Bedeutungskonstruktion von Zeit, Geschichte und Geschichtsbewusstseins vergleiche Carr 1986; Freeman 1993; Berkhofer 1997; Straub 1998; Freeman/Brockmeier 2001.

[6]

Forschungsprojekt* der Arbeitsgruppe »Arbeit und Organisation« unter Leitung von PD Dr. Guido Becke am artec / Forschungszentrum Nachhaltigkeit der Universität Bremen (*anonymisiert).

[7]

Funktionsbezeichnung sowie andere Aspekte des Beispielfalls sind anonymisiert.

[8]

Persönliches Gespräch 30.05.2013, alle Aussagen autorisiert für diesen Beitrag.

[9]

»Kernsätze« sind in der Methode der psychoanalytisch-interpretativen Sozialforschung natürliche Verallgemeinerungen aus Narrationen und geben den Kern dessen wieder, was in einem Abschnitt ausgedrückt wird (vgl. Leithäuser & Volmerg 1988).

[10]

Aus Gründen der Anonymisierung wird auf Ausführungen dieser Seite des Fallbeispiels verzichtet.

Über die Autorin

Sylke Meyerhuber

Diplompsychologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen am artec | Forschungszentrum Nachhaltigkeit, Arbeitgruppe »Arbeit und Organisation«, Projekt »Nachhaltige Arbeitsqualität intermediärer Akteure in Organisationen«.

Arbeitsschwerpunkte: Arbeit und Gesundheit, Vertrauen, soziale Nachhaltigkeit, intermediäre Akteure

Dr. phil. Sylke Meyerhuber Universität Bremen artec Enrique-Schmidt-Straße 7 28359 Bremen Deutschland

E-Mail: meyerhuber@uni-bremen.de