Polyamorie: Mono-Normativität – Dissidente Mikropolitik – Begehren als transformative Kraft?

Marianne Pieper & Robin Bauer

Zusammenfassung

Mit Mono-Normativität bezeichnen wir die Wissensproduktionen, Machttechnologien und Praktiken, die eine exklusiv dyadische Struktur von Paarbeziehungen als elementare und »natürliche« Form des Zusammenlebens produzieren. Nicht-monogame Konstellationen werden demgegenüber pathologisiert und als Effekt oder Verursachung eines Mangels oder Persönlichkeitsdefizits interpretiert.

Auf der Basis qualitativer empirischer Studien gehen wir der Frage des Begehrens im Zusammenhang mit polyamourösen Lebensformen nach. In unserer Empirie zeigt sich Begehren weniger als Mangel, sondern als affektive Intensität, die Fülle produziert. In der theoretischen Linie von Spinoza und Deleuze/Guattari untersuchen wir Begehren als produktive, dynamische Kraft, die Veränderungsprozesse antreibt. Wir erörtern, ob und inwieweit Lebensformen einer »ethischen Polyamorie« als "Fluchtlinien" und "unwahrnehmbare" Mikropolitiken gelesen werden können, die der mono-normativen Matrix entkommen und somit in bestehende Herrschaftslogiken intervenieren. 

Schüsselwörter: Polyamorie, Monogamie, Mono-Normativität, Nicht-monogamie, Begehren, Affekt, Agencement, Eifersucht, Verhandeln

Keywords: Polyamory, Monogamy, Mono-normativity, Non-monogamy, Desire, Affect, Agencement, Jealousy, Negotiation

Summary

We conceptualize knowledge productions, technologies of power, and practices that produce an exclusively dyadic structure of couple relationships as elemental and »natural« form of living together, as mono-normativity. Non-monogamous constellations are pathologized and interpreted as effect or cause of a lack or personality deficiency within this framework.

Based on qualitative empirical studies we trace the question of desire in the context of polyamory. In this empirical perspective, desire presents itself as affective intensity that produces plentitude and abundance rather than lack. Following the theoretical line of Spinoza and Deleuze/Guattari, we explore desire as a productive, dynamic power that stimulates processes of transformation. We discuss if and to what extent ways of life of «ethical polyamory” can be read as «lines of flight” and «imperceptible” micropolitics that escape the mono-normative matrix and therefore intervene in existing logics of domination.

Schüsselwörter: Polyamorie, Monogamie, Mono-Normativität, Nicht-monogamie, Begehren, Affekt, Agencement, Eifersucht, Verhandeln

Keywords: Polyamory, Monogamy, Mono-normativity, Non-monogamy, Desire, Affect, Agencement, Jealousy, Negotiation

Auf der Ebene psychologischer, psychoanalytischer und sozialwissenschaftlicher Wissensproduktion ebenso wie im Rechtssystem erweist sich die exklusiv dyadische Struktur von Paarbeziehungen und mithin der normative Apparat der Monogamie als selbstverständliches Orientierungs- und Ordnungsmuster, das durch Institutionen, Rituale, Gesetze, und Gefühlscodierungen abgesichert ist. Wir bezeichnen diese Struktur als Mono-Normativität. In diesem Beitrag gehen wir auf der Basis zweier qualitativer empirischer Studien, die in Deutschland und den USA zu nicht-monogamen Lebensformen durchgeführt wurden, der Frage des Begehrens im Zusammenhang mit polyamourösen[1] Lebensformen nach.

Generell stehen Konzeptionen des Begehrens in einer langen philosophischen Tradition der Deutung als Zeichen oder Effekt eines Mangels (Grosz 1994; Pieper et al. 2011; Pieper/Wiedemann 2014). Nicht-monogames sexuelles Begehren gilt darüber hinaus – wie z.B. in der einschlägigen psychologischen Ratgeberliteratur – pathologisierend als Defizit, das entweder in Problemen der Paarbeziehung oder in einer oder beiden beteiligten Personen verortet wird (z.B. Willi 1975; kritisch dazu: Mayer 2006). Davon grenzen wir uns ab und diskutieren Begehren in der theoretischen Linie von Spinoza und Deleuze/Guattari – anders als beispielsweise in der psychoanalytischen Tradition Freuds und Lacans – nicht als Korrelat eines uneinholbaren Mangels, sondern als affirmative, produktive, dynamische Kraft, die Veränderungsprozesse antreibt. Auf der Grundlage unserer Studien aus dem gelebten Alltag nicht-monogamer Beziehungsformen erörtern wir, ob und inwieweit Lebensformen einer »ethischen Polyamorie« als »Fluchtlinien« (Deleuze/Guattari 1992) bzw. als »unwahrnehmbare« (Mikro‑)Politiken gelesen werden können, die der mono-normativen Matrix entkommen und somit ein gesellschaftsveränderndes Potenzial besitzen. Oder ob es sich im Gegenteil – wie mitunter unterstellt wird – um eine Spielart sexueller Praktiken handelt, die den Logiken und Machttechnologien einer neoliberal verfassten Gesellschaft und Ökonomie folgt, die die gesamte Subjektivität mit all ihren Facetten wie auch Affekte im Sinne einer Verwertungslogik aneignen und nutzbar machen.

1. Monogamie als normativer Apparat: Mono-Normativität

Monogamie erscheint in unserer Gesellschaft nahezu unhinterfragt als die einzig legitime Form intimer Beziehungen. Die exklusive Dyade, das Paar, gewinnt den Charakter einer gleichsam in der »Natur« fundierten Institution, die als eine Grundlage menschlicher Existenz schlechthin angesehen wird. Sie stellt die vorherrschende Norm dar. Und als elementare, fraglos geltende Form des Zusammenlebens erscheint sie gar als Basiseinheit des Nationalstaates oder darüber hinaus generalisierend als Fundament der »westlichen Zivilisation« schlechthin (Hirsch 1995). Wir bezeichnen diese wirkmächtige Struktur als Mono-Normativität (Pieper/Bauer 2005), da sie als komplexer Apparat von Wissensproduktionen und Machttechnologien Rituale schafft, Affekte moduliert, Gefühle codiert sowie Abwertungen, Marginalisierungen und Ausblendungen jener Lebensformen produziert, die nicht dem monogamen Muster entsprechen.

Psychologische Arbeiten sehen in der frühen Eltern-Kind-Beziehung das psychogenetisch angelegte Modell der späteren Paarbeziehungen, die nach dem Modell dieser ersten Bindung geprägt seien (Willi 1975). In der psychoanalytischen Theorie Freuds (1989, S. 28) ist die heterosexuell-monogame Kernfamilie und die Bewältigung des Ödipuskomplexes das bestimmende Szenario, das die Begehrensstruktur und die spätere Objektwahl forme und die Introjektion der gesellschaftlichen Normen absichere.[2] Aus dieser Perspektive erhält jede Beziehungsform, die diesem Muster nicht entspricht, den Status des Anderen, der Abweichung, bedarf der Erklärung oder wird pathologisiert, marginalisiert, ignoriert und verschwiegen oder dient als Ausdruck einer – gemessen an sogenannten »westlichen« Standards – vermeintlich »rückständigen Kultur«.

Nicht-monogame Lebensformen und »Mehrfachlieben« hat es jedoch zu allen Zeiten gegeben. Sexualität und Formen der intimen Beziehungen als historisch veränderliche Gebilde des Begehrens wurden allerdings immer wieder auf bestimmte Strukturen – wie z.B. Zweigeschlechtlichkeit, Heteronormativität und Mono-Normativität – reduziert, auch wenn diese Verfahren der Reduktion nicht unbedingt immer repressiv, sondern produktiv und anreizend gewesen sind (vgl. Foucault 1995, S. 27ff.; Deleuze 1996).

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass erst die christliche Kirche im Mittelalter die Idee der monogamen, lebenslangen Ehe durchsetzte, als sie anlässlich des Konzils von Trient 1563 das Konkubinat verbot (Schenk 1987, S. 43). Monogamie als sexuelle Exklusivität wurde damit durch die christliche Kirche festgeschrieben und im Sakrament der Ehe verankert. Die gegenwärtig hegemoniale Mono-Normativität formierte und bündelte sich im Leitbild der bürgerlichen Ehe und Kernfamilie Ende des 18. Jahrhunderts, in der die heteronormative Arbeitsteilung als hinteres Stützbein der aufkommenden industriell-kapitalistischen Produktionsweise fungierte (Hausen 1976).

Die affektive Grundlage bildete das Ideal der romantischen Liebe, die mit dem Muster sexueller und emotionaler Exklusivität und lebenslanger Bindung verknüpft ist (Tyrell 1987, S. 588). Mit ihrem Aufkommen im 18. Und 19. Jahrhundert gerät die Paarbeziehung zum Exklusivraum von Intimität, den es gegenüber Eindringlingen von außen abzuschirmen und zu verteidigen gilt. Grenzen der Beziehung werden analog zur Rhetorik des Nationalstaates als nicht durchlässig oder flexibel empfunden (Finn/Malson 2008), sondern als streng überwachtes Kontrollregime, das grenzüberschreitende Verbindungen abwehren und die Illusion von Sicherheit und Stabilität der Dyade aufrechterhalten soll (Frank/DeLamater 2010).

Auch in der deutschen (und US-amerikanischen) Gegenwartsgesellschaft ist kein Rückgang des romantischen Narrativs und der begleitenden Affektmodulationen und Gefühlscodierung zu verzeichnen. Im Gegenteil: wie die Soziologin Eva Illouz (2003) beschreibt, wird die Sphäre der Romantik gleichsam ubiquitär und breitet sich über das Refugium des »Privatlebens« in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein aus, denn Romantik wird kommodifizierbar. Ihre Bilder zirkulieren mit hoher Präsenz in der Warenästhetik und in den Medien, ihre Praktiken und Rituale sind allgegenwärtig. So hat auch seit dem Beginn der 1980er Jahre nach der Infragestellung im Rahmen der sogenannten »sexuellen Revolution« in den 1960er und 1970er Jahren »Treue« als geforderte Beziehungsgrundlage ein Revival erfahren (Burkart 1997, S. 201; Schmidt et al. 2006).

Kollisionen von Monogamie-Norm und gelebten Praxen

In der sozialen Praxis hingegen ist Monogamie keineswegs so erfolgreich wie die Universalität der Norm nahelegen könnte. Selbst dort, wo Menschen vorgeblich monogam leben, wie in der US-amerikanischen oder deutschen Durchschnittsehe oder Zweierbeziehung, weisen Statistiken über sexuelle Aktivitäten außerhalb der jeweiligen Partnerschaften darauf hin, dass offenbar ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung keine Monogamie praktiziert. Hier zeigt sich eine Kollision von normativen Ansprüchen und Grenzen ihrer Umsetzbarkeit in der Praxis in Formen nicht-offener – heimlicher – Nicht-monogamie, die alltagsweltlich als »Seitensprünge« oder »Fremdgehen« gedeutet die semantische Kontur der »Abwege« vom gradlinigen Pfad der dyadischen Norm erkennen lassen. Insgesamt vermitteln quantitative Studien ein eher uneinheitliches Bild zur Frage der Häufigkeit solcher Praxen, so ergeben sich je nach Alter und Geschlecht der Befragten, dass zwischen 10 und über 60% der Befragten sexuelle »Außenkontakte« unterhalten haben (Schmidt et. al. 2006, S. 135; Durex Local Report 2004; Brokmann 1995, S. 62); in den USA schwanken die Angaben der Häufigkeit von »Ehebruch« zwischen 15 und 50% der Bevölkerung (Gardner 2005, S. 5). Festhalten lässt sich jedoch, dass eine Diskrepanz zwischen proklamierter Monogamie und tatsächlich gelebter sexueller Nichtexklusivität in vielen Beziehungen zumindest periodisch besteht.

Manche bereits für überkommen gehaltenen Sexualmoralen erweisen sich persistent, so vor allem auch die Doppelmoral, nach der promiskes Verhalten Männern ihre Männlichkeit positiv bestätige, während dasselbe Verhalten bei Frauen nach wie vor auf gesellschaftliche Ablehnung stößt (Klesse 2005), wie evident im Vorwurf der »Schlampe«, der Frauen selbstbestimmte und lustbejahende Sexualität zu versagen sucht. Jedoch zeigt die empirische Forschung nicht nur die fortdauernde Wirkungsmächtigkeit solcher sexistischen Diskurse, sondern auch Gegendiskurse in bestimmten Subkulturen, in denen teilweise nicht-monogames Verhalten von Frauen als feministisches Empowerment Anerkennung findet, während Männer, die Beziehungen mit mehreren Frauen führen, unter dem Verdacht stehen, patriarchale Werte zu reproduzieren (Klesse 2007; Sheff 2005, 2006; Mayer 2013).

2. Nicht-monogame Lebensformen – Polyamorie

Eine Minderheit jedoch entspricht weder dem mono-normativen Ideal noch geht sie verborgenen außerdyadischen Kontakten nach, sondern lebt das Bedürfnis nach sexueller und/oder emotionaler Nicht-Exklusivität offen und einvernehmlich ausgehandelt als Polyamorie.

Die empirische Forschung zu Polyamorie und nicht-monogamen Lebensformen befindet sich noch im Anfangsstadium (Barker/Langdridge 2010). Dieses Forschungsvakuum motivierte uns, eigene Studien zu alternativen Beziehungsformen durchzuführen. Die folgenden Ausführungen beruhen daher vor allem auf der Auswertung von 70 qualitativen Interviews mit Menschen, die offengelegt und verhandelt nicht-monogame Beziehungspraxen leben. Sie wurden im Rahmen eines gemeinsamen Lehrforschungsprojekts zu nicht-heteronormativen, nicht-monogamen und polyamourösen Lebensformen am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg und im Rahmen der Doktorarbeit von Robin Bauer zu queeren BDSM[3] Praktiken in Deutschland und den USA geführt. Es handelt sich teils um narrative Interviews (Schütze 1977), teils um halb-strukturierte leitfadengestützte Interviews. Ausgewertet wurden sie mit einer Version der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1990), also einem offen kodierenden Verfahren, in dem auf eine Hypothesenbildung ex ante verzichtet wird und das darauf abzielt, theoretische Aussagen zu generieren, die in den erhobenen Daten gegründet sind. Dabei sehen wir unsere Interviewpartner_innen und uns als Forscher_innen als in komplexen gesellschaftlichen und subkulturellen Machtstrukturen verortet. Diese beeinflussen, aber bestimmen nicht gänzlich, wie wir uns selbst und unsere Umwelt wahrnehmen bzw. wahrnehmen können. Die folgenden Aussagen, die wir basierend auf der Analyse unser Interviews machen, sind daher als situierte, verortete Wissen zu verstehen (Haraway 1991).

Für einvernehmliche, offen verhandelte Formen der Nicht-monogamie hat sich mittlerweile vielfach der Begriff Polyamory (oder eingedeutscht: Polyamorie) eingespielt. Dieser Neologismus, zusammengesetzt aus dem griechischen polýs (viele) und dem lateinischen amor (Liebe), wurde von Morning Glory Zell-Ravenheart (1990) propagiert, als sich in den USA in den 1990er Jahren eine Bewegung formierte, die sich die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung alternativer Beziehungsformen zum Ziel setzte. Polyamorie bezeichnet vor allem selbstgewählte Konstellationen mit multiplen Beziehungen oder »Mehrfachlieben«. Mit dem Verweis auf Liebe als zentralem Wert grenzen sich Teile der Polyamorie-Bewegung diskursiv von anderen Formen der Nicht-monogamie und dem Ruch von Promiskuität ab und reproduzieren die Vorstellung, Liebe und Sex gehörten zusammen (vgl. Klesse 2006; Wilkinson 2010). Solche Abgrenzungsbewegungen, die Polyamorie vor allem im sexualfeindlichen politischen Klima in den USA im Bestreben nach gesellschaftlicher Akzeptanzschaffung von kurzfristigen, nur auf Lust basierten sexuellen Beziehungen unterscheiden wollen, werden jedoch nicht von allen nicht-monogam lebenden Menschen geteilt. Sie scheinen vor allem im Kontext der explizit sich um Polyamorie als Hauptmerkmal für Szenezugehörigkeiten organisierenden Polyamory-Communities zu existieren, die sich vor allem im hetero- und bisexuellen Bereich von der Swinger-Szene abgrenzen. Diese Unterscheidungen sind hingegen in der schwulen Szene begrifflich gar nicht vorhanden, und in der BDSM-Szene gehen Poly-Lebensentwürfe Hand in Hand mit einer sex-positiven Philosophie einher (Bauer 2010). Zudem werden diese Abgrenzungstendenzen gegenwärtig auch aus den verschiedenen Polyamory-Communities selbst zunehmend kritisiert, weil sie neue Ausschlüsse – z.B. von sex-positiven Praxen – schafften (Julio Lambing mündl. 2013). Jedoch besteht hier sicherlich eine Herausforderung, mit der viele Bewegungen zu kämpfen haben: Der Versuch, gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen, geht allzu häufig einher mit der Abwertung und Ausgrenzung derjenigen Praxen und Individuen, die noch weiter von der gesellschaftlichen Norm entfernt sind als man selbst.

Unsere Interviews zeigen, dass der Einstieg in eine verhandelte Nicht-monogamie sowohl zufällig oder umständehalber als auch mit Vorsatz erfolgen kann. Bei etlichen Interviewpartner_innen konstelliert sich ein nicht-monogames Beziehungsgeflecht erst durch den Kontakt mit nicht-monogam lebenden Personen und durch die Auseinandersetzung mit Monogamie als gesellschaftlicher Norm im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen alternativen Kontexten. In linken, kapitalismuskritischen politischen Milieus werden beispielsweise Besitz- und Geschlechterverhältnisse und in diesem Zusammenhang auch Monogamie problematisiert. Die Aushandlungskultur der BDSM-Szene in Hinsicht auf sexuelle Praxen legt es nahe, auch Beziehungen individuell auszuhandeln. Zwar finden sich in unseren Studien auch Menschen, die keinerlei Kontakt zu solchen alternativen Szenen haben und nur im Hinblick auf ihre Beziehungspraxen aus der Norm fallen. Jedoch deutet viel darauf hin, dass im Zusammenhang von politischen bzw. »kulturkreativen Bewegungen« mit deren Versuchen, Gegenmodelle des Gemeinsamen und einer solidarischen Ökonomie zu entwickeln, auch eine Kritik an herkömmlichen Lebens- und Beziehungsformen und eine erklärte Offenheit gegenüber nicht-monogamen und polyamourösen Praxen besteht. So beschreibt der bisexuelle/queere Bauwagenbewohner Hans, wie innerhalb seiner damaligen Beziehung eine gemeinsame Politisierung stattfand: »Und da gehörte auf jeden Fall auch irgendwie das herrschende Beziehungssystem dazu. [Nicht monogam zu leben] war so eine doch ziemlich politische Entscheidung auf jeden Fall für uns zu der Zeit.« Aufgrund der Vielfalt der Kontexte, in denen sich unsere Interviewpartner_innen bewegen, kann nicht von einer oder gar »der« Polyamorie-Szene gesprochen werden. Zwar formieren sich Gruppen, in denen sich polyamourös lebende Menschen zusammenfinden und sich selbst als Bewegung mit einem politischen Anliegen positionieren. Doch sind die Konstellationen, Lebensformen, sexuellen Wünsche, Beziehungen und Praktiken derart vielfältig, dass es sich hier keineswegs um eine homogene, fassbare Szene handelt. Dies sollte auch im Rahmen von Forschung berücksichtigt werden, um der Versuchung zu widerstehen, eine vermeintlich homogene Szene zu konstruieren, mit der das überbordende Begehren eingemeindet und regierbar gemacht werden kann.

Praxen der Aushandlung

Als Lebensform findet Polyamorie entweder in Gestalt von offenen Netzwerken oder von geschlossenen Gruppen statt. Idealerweise besitzen in solchen Konstellationen alle Partner_innen Mitspracherecht bei Vereinbarungen. In der Praxis bedeutet das jedoch nicht automatisch, dass diese Beziehungen symmetrisch sind, sondern vielmehr, dass grundsätzlich alle Beteiligten das Recht haben sollen, ihre Bedürfnisse »gleichberechtigt« miteinander auszuhandeln, und keine Beziehung von vornherein privilegiert ist. Die in verschiedenen Polyamorie-Subkulturen dominierenden Selbsthilfediskurse (z.B. in Ratgebern, aber auch in Community-Netzwerken) tendieren zum Psychologisieren und Individualisieren sozialer Prozesse aufgrund des Schwerpunkts auf persönlicher Autonomie und Agency. Dabei gerät die soziale Konstruktion von Gefühlen und Begehren ebenso aus dem Blick (Haritaworn et al. 2006) wie Machtdynamiken in Beziehungen, die Auswirkungen auf die Aushandlungen und damit auf die Validität der hergestellten Einvernehmlichkeit haben (Klesse 2007; Bauer 2013).

So kann es auch schlicht die Dauer und Intensität einer Beziehung sein, die dieser ein größeres Gewicht gegenüber einer neu hinzugekommenen verleiht – wie es Karl formuliert, der mit zwei Frauen in einer »festen offenen Dreierbeziehung« lebt, in der alle Beteiligten noch weitere Beziehungen haben:

»Wir sind eben schon lange zusammen, und wenn jemand dazu kommt, da gibt es eigentlich keine Gleichberechtigung, keine wirkliche. Also Gleichberechtigung schon, aber keine Gleichheit in dem Sinne. Ich kann das halt nicht wegdiskutieren. Ich bin zwanzig Jahre mit Klara zusammen und jetzt kenn ich Julia ein Jahr oder noch nicht mal.«

Die neoliberale Vorstellung, Konsensualität sei durch einen einfachen Aushandlungsprozess zwischen mündigen autonomen Bürger_innen herstellbar, ist angesichts einer mit Machtdynamiken und Affektmodulationen durchsetzten sozialen Realität kaum haltbar. Gabriele beschreibt das erste Mal, dass ihr Mann bei einem gemeinsamen Besuch eines Swinger-Clubs mit einer anderen Frau sexual aktiv wird:

»Wir haben immer gesagt: ‚Ja, erstmal fragen, ist das OK’ und so, aber in dem Moment, als er mich gefragt hat, und die Gummis geholt hat aus seiner Tasche, es war bei diesem Paar zuhause, da war ich schon aus allen Wolken gefallen. Ich war so geschockt, in dem Moment, als er mich gefragt hat, dass ich ‚ja’ gesagt habe.«

Diese Situation führte zu einer derartigen emotionalen Belastung für Gabriele, dass es zu einer Beziehungskrise kam. Sie fühlte sich unter Druck, ebenfalls außerehelichen Sex zu vollziehen, um wieder ein Gleichgewicht in der Beziehung herzustellen. Neben strukturellen Ungleichheiten wie Konstruktionen von Geschlecht, Race, Alter, Ability usw. kommen im Beziehungskontext noch weitere Machtdynamiken und Abhängigkeiten ins Spiel: Der »sexuelle Marktwert« (die Attraktivität für potenzielle Beziehungspartner_innen) und die damit verbundenen Möglichkeiten Partner_innen zu finden, können ebenso zu Hierarchien in einer Beziehung führen wie finanzielle Abhängigkeit von einer/m Partner_in oder Verlustängste (wenn etwa jemand nur in die Öffnung einer Beziehung einwilligt, um den/die Partner_in nicht zu verlieren). Gabriele erklärte sich beispielsweise die Diskrepanz im Erleben mit geschlechtsspezifischen Sozialisationseffekten: Es fiel ihr weitaus schwerer, Sexualität und Liebe zu trennen als ihrem Mann. Darüberhinaus erscheint die Validität ihrer Zustimmung problematisch: Ihr Mann übt generell starken Druck auf sie aus, die Beziehung zu öffnen, und sie findet sich in einer Situation wieder, in der es ihr nicht möglich erscheint, ein Veto einzulegen. Ihre Zustimmung ist eher formell und sie ist nicht aktiv an der Aushandlung dieser Praxen beteiligt.

Da Asymmetrien und Machtverhältnisse Aushandlungspositionen der Beteiligten unterschiedlich strukturieren können, ist Bewertung der Polyamorie-Praktiken als per se ethisch überlegen gegenüber informeller oder heimlicher Nicht-monogamie zu simplifizierend. Denn die Freiwilligkeit von Entscheidungen in derart affektgeladenen und machtgesättigten Lebensbereichen wie intimen Beziehungen ist in der Praxis abhängig von den möglichen Alternativen. Jenseits eines vereinfachten Verständnisses von Einvernehmlichkeit zeigt sich in einer Reihe von Interviews bei den verhandelten nicht-monogamen Praxen jedoch eine Kultur der Kommunikation, in der ein machtsensibles Reflektieren der Frage der Konsensualität angewandt wird.

In Abgrenzung zum »Fremdgehen« sprechen polyamourös lebende Menschen daher von ethischer, einvernehmlicher, oder verhandelter Nicht-monogamie: Idealerweise finden die nicht-monogamen sexuellen Handlungen unter der Zustimmung aller Beteiligten statt, und die Bedingungen werden gemeinsam ausgehandelt. Damit wird eine Art »ethischer Code« etabliert, der Transparenz, Kommunikation, Aushandlung und Einvernehmlichkeit betont und die monogame Sexualmoral der »Treue« gewissermaßen verschoben. Kommunikation und absolute Offenlegung bilden nun Verhaltensnormen, die es allerdings auch um den Preis der Verletzung eigener Gefühle und der Empfindungen von Partner_innen einzuhalten gilt.

Diese Normen der Selbsttransparenz von emotionalen Bedürfnissen und Grenzen und der absolut offenen Kommunikation gegenüber Dritten fordern Kompetenzen, die nicht allen gleichermaßen zugänglich sind. Einige Interviewte berichten beispielsweise, dass auch Poly-Vereinbarungen gelegentlich nicht eingehalten werden und z.B. Verliebtheitsgefühle gegenüber Dritten der Partner_in (aus Angst jemanden zu verletzen oder zu verlieren, oder aus eigener Überforderung mit der Situation und den möglichen Konsequenzen) nicht mitgeteilt werden. Für den schwulen Transmann Jonas stellt sich die praktische Umsetzung des Ideals der Offenheit als schwierig dar:

»Also was ich in den letzten Jahren gemerkt habe, was das Allerwichtigste dabei ist, ist Offenheit und Vertrauen. Und das ist genau der Punkt, wo es immer wieder schief gelaufen ist. [...] Ich merke selber, dass ich da an meine Grenzen komme, von dem wie ich kommunizieren kann, bzw. was ich bisher gelernt habe zu kommunizieren und wie unbefangen ich das kann. Kann ich jemandem sagen, dass ich mich in jemand anders verliebt habe, ohne da gleich ein Problem draus zu machen ((lacht kurz))?«

Wie Jonas Beispiel zeigt, setzt diese Art der offenen Kommunikation über Sex, Verlieben und Liebe gegenseitiges Vertrauen und einen Lernprozess voraus, in dem kommunikative Fähigkeiten erworben werden. Hier wird überdies deutlich, dass es auch für nicht-monogam lebende Menschen in einer mono-normativen Gesellschaft eine Schwelle bedeuten kann, mit bisherigen Partner_innen über ein Verlieben in eine dritte Person zu sprechen. Darüberhinaus argumentieren auch einige Autoren (z.B. Finn 2010, S. 234), dass die Normen von Offenheit und Kommunikation den Betroffenen ein hohes Maß an Selbstüberwachung aufbürdeten, die Freiheitsspielräume drastisch reduziere. Das »Poly-Mantra« der Kommunikation und Offenheit kann insofern auch als eine Machttechnologie im Sinne der Foucault’schen Pastoralmacht, als »Geständniszwang« (Foucault 1995, S. 76) interpretiert werden. Gelegentlich wird dies als »Kontrollzwang« auch von Interviewpartner_innen problematisiert. Katrina beschreibt diese Haltung wie folgt: »Solange Du mir alles erzählst, behalte ich die letztendgültige Kontrolle.«

Doch unterscheidet sich die Praktik des Offenlegens von Gefühlen und Verhaltensweisen insofern von der pastoralen Machttechnologie der Beichte, als diese innerhalb eines mono-normativen Moralcodex operiert, in dem das nicht-monogame Empfinden und Verhalten als Fehltritt, als Sünde und als Persönlichkeitsdefizit gedeutet wird und durch Schuldzuweisungen Gefühle von Scham, Unzulänglichkeit, Reue usw. verursacht. Die Polypraktik der Transparenz hingegen interveniert in diesen Kontext und verändert ihn durch die oben beschriebene neue Sexual- und Beziehungsmoral, die nicht-monogame Praktiken nicht per se als verwerflich betrachtet.

Dass dennoch auch polyamourös lebende Menschen gelegentlich mit ambivalenten Gefühlen zu kämpfen haben, ist hingegen als Altlast der mono-normativen Affektmodulation zu verstehen. Gabriele berichtet z.B., sie habe einmal »sehr guten Sex mit einem Mann gehabt da im Club. Und ich hab zu [meinem Mann] gesagt, ich hatte eigentlich fast ein schlechtes Gewissen, weil es einfach so gut war.« Hier kommen möglicherweise Relikte einer mono-normativen Exklusivität und Konkurrenz ins Spiel, in denen der Partner in einen Vergleich geraten könnte und das Genießen von Sex mit einem anderen nicht »besser« sein darf als mit dem langjährigen Partner.

Auch das Brechen eigener Absprachen kann – wie in monogamen Beziehungsgefügen – zu Schuldgefühlen und Krisen führen. Dabei handelt es sich jedoch um einen anderen Kontext als im kulturell verordneten Schuld- und Beichtszenario, beispielsweise bei der bisexuellen Franka und ihrem Partner: »Wir haben so ein Gentleman-Agreement: Er fragt nicht, weil ich auch nicht lügen will. Aber deswegen fragt er auch nicht. Also ich musste nur eines versprechen: ich soll keine Sachen machen, wo er sich Sorgen machen müsste.« Hier besteht zwar eine generelle Transparenz, aber es kommt zu keinerlei Geständnis- oder Beichtinszenierungen, da innerhalb der Beziehung die Details von Frankas Liebesleben nicht diskutiert werden. Auch die bisexuelle Toni beschreibt einen Balanceakt zwischen dem Ideal der Offenheit und dem Wunsch, die Gefühle des Partners nicht zu verletzen:

»So wie ich auch anderen Leuten, die mir wichtig sind in meinem Leben, immer erzähle, was in meinem Leben los ist, so erzähl ich das halt auch Philipp, was manchmal halt auch ein bisschen schwierig ist, weil ich halt immer so begeistert bin: ‚Hurra! Weißt du, was ich erlebt hab’?«

Hier produziert polyamouröses Begehren eine affektive Intensität, eine Lebensfreude und eine kaum zu bändigende Lust an einem gemeinschaftlichen Erleben. Daher kämpft Toni offensichtlich nicht mit Schuldgefühlen. Im Gegenteil, hier besteht das Problem nicht im Geständniszwang, sondern darin, dass ihr spontanes Bedürfnis, alles mit allen Partner_innen zu teilen, mit den aus einer aus der mono-normativen »Affektmodulation« (Massumi 2010, S. 107) stammenden Konkurrenz- und Verletzungsdisposition ihrer Partner_innen zu kollidieren droht. Daher versucht Toni nun, eine Balance zwischen den mono-normativen Gefühlscodierungen und ihrer Euphorie zu finden und diese aus den Schilderungen der jeweils anderen Beziehungen herauszuhalten.

Dass es sich bei polyamourösen Praxen keineswegs um ein egozentrisches Ausleben der eigenen Bedürfnisse auf Kosten anderer handelt, demonstriert Tonis Zurückhaltung ebenso wie folgendes Bespiel der polysexuellen Transfrau Anna:

»Was für uns auf Feten ganz klar war und was wir auch wichtig fanden war, dass wenn wir zusammen weggehen, dann spielen wir zusammen oder wir machen gar nichts. Weil wir einmal sozusagen eine blöde Situation hatten, als ich jemanden zum Spielen gefunden hatte, ein Pärchen. Und meine Ex-Freundin sich außen vor fand, eigentlich nicht mitmachen wollte, sich aber gezwungen fühlte mitzumachen, um nicht alleine rumzustehen oder blöd rumzustehen. Und das ging einfach gnadenlos in die Hose.«

Mit »Fete« nimmt Anna in diesem Fall Bezug auf BDSM Playpartys. Die von Anna beschriebene Situation macht deutlich, dass es Absprachen zwischen Partner_innen bedarf, um nicht mit unausgesprochenen unterschiedlichen Erwartungshaltungen konfrontiert zu sein. Absprachen beschreibt auch Karl für die Dreierbeziehung, die er mit Klara und Julia lebt. In ihrem Beziehungsgeflecht gehe es darum, »Grenzen abzustecken, was wessen Bereich ist«, und somit einerseits teil-exklusive Räume zu schaffen, andererseits zu definieren, was gemeinsam getan bzw. erlebt werden kann, um auch Verletzlichkeiten der jeweils Beteiligten zu respektieren:

»Es gibt feste Absprachen. Also, in dem Moment, wenn sie sich ändern, wird gesagt: Es ändert sich was ((lacht)). [...] Zu sagen: OK, das ist jetzt eine feste Dreierbeziehung, ist einfach eine Definition in dem Moment […] Also das sind auch so Definitionen, dann kann denn auch sagen, dass wir hier halt in der Konstellation, wenn wir hier zu dritt sind, eben auch zu dritt schlafen, dass wir uns eben halt nicht aufteilen, nicht sagen, ja gut, eine Nacht die beiden, in der anderen Nacht die beiden.«

Annas und Karls Beispiele verdeutlichen, dass Regeln und Verhaltenscodices nicht als starre normative Struktur gelten, sondern in Form individueller Absprachen den Bedürfnissen der Personen angepasst werden. Es sind also Technologien der Fürsorge und Selbstsorge im Spiel. Dabei handelt es sich nicht um allgemeingültige Regeln für Nicht-monogamie, sondern um die aus den konkreten Praxen abgeleiteten Handlungsmaximen für spezielle Konstellationen. Mit den Veränderungen von Situationen, Bedürfnissen, Menschen und Beziehungen finden Aushandlungen immer wieder erneut und unter veränderten Vorzeichen statt.

Zugleich ist in einer Reihe von Interviews zu erkennen, dass die mono-normativen Affektmodulationen und mit diesen die Wünsche nach Exklusivität in Paarbeziehungen und damit verbundene Gefühle von Konkurrenz, Eifersucht und Bedrohung des Selbstwertgefühls und des sich ausgeschlossen Fühlens usw. nicht automatisch mit einer polyamourösen Beziehung abgestreift werden. Hier müssen durch Aushandlungsprozesse Balancen gefunden werden. So besteht z.B. in einer Reihe von Poly-Beziehungsgeflechten eine Strategie darin, das mono-normative Muster der Exklusivität in Räume von »Teil-Exklusivitäten« umzuschreiben. Solche Teil-Exklusiv-Räume können zum Beispiel bei Fernbeziehungen unterschiedliche Städte sein, es kann sich auch um Wohnungen oder Räume oder die Vereinbarung von Zeiträumen handeln, die exklusiv nur mit einer Person genutzt werden. In den Erzählungen unserer Interviewpartner_innen wird allerdings deutlich, dass mit wachsendem gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Zuneigung zueinander solche Exklusivregelungen auch wieder verändert werden.

3. Affekt und Begehren als produktive Kräfte

Die Wirkungsmacht der Mono-Normativität zeigt sich auch in den Erzählungen der nicht-monogam lebenden Interviewpartner_innen, von denen viele zunächst versucht haben, monogam zu leben und dies dann als »Scheitern« erlebten, wie der schwule Transmann Craig:

»Die mono[gamen] Beziehungen, in denen ich war, machten mich extrem frustriert. Denn ich denke für mich ist es eine Einsicht, dass ich viele Bedürfnisse habe und meine Bedürfnisse sehr unterschiedlich sind. Und ich denke, es wäre sehr naiv zu glauben, dass irgendjemand genau dieselbe Übereinstimmung von Ideen hat wie ich, obwohl ich immer mal zwischendurch denke: Wäre das nicht romantisch? Du wirst tatsächlich von der Gesellschaft programmiert. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht die Art und Weise ist, auf die ich funktioniere.«[4]

In Darstellungen wie dieser zeigt sich das Oszillieren zwischen einer hegemonialen normativen Folie der Monogamie und einem überschüssigen Begehren, das sich zunächst in einem eher unbestimmten Gefühl von »Frustration« artikuliert. Diese erweist sich als produktiv, weil sie zum Anlass wird, die eigenen Beziehungspraxen und die gesellschaftlichen Normen zu hinterfragen und zu einer affirmativen Haltung zu den eigenen Wünschen zu gelangen, die nicht dem mono-normativen Muster entsprechen. Gleichzeitig bleiben jedoch mono-normative Affektmodulationen als Gefühlscodierungen wie beispielsweise als romantische Liebesideale virulent. Daher empfinden manche von uns interviewten Menschen ihren Wunsch, mit mehreren Partner_innen gleichzeitig sexuelle und/oder emotionale Beziehungen zu haben, zunächst oft als Irritation, geraten in Konflikte und Selbstzweifel. Einige erleben ihre nicht-monogamen Wünsche, Lieben und Praxen gar als persönliches Defizit, als individuellen emotionalen Mangel. Dies kann in der Frage ob man »richtig lieben« könne, wenn man sich nicht auf eine Partner_in beschränken kann, Ausdruck finden, anstatt dies als Vervielfältigung von Liebe als Fülle positiv zu deuten. Ihre erste, »streng monogamen« Beziehung rief beispielsweise bei Alexandra Selbstzweifel hervor:

»Und ich [habe] mich eigentlich immer eher gewundert, ob ich nicht richtig lieben kann oder sowas ((lachend)). Weil wenn man jemanden richtig liebt, dann will man ja nur die eine Person und gar nichts anderes. Und ich das gar nicht kannte als Grundgefühl und deswegen dachte, mit mir stimmt was nicht. Bis ich dann irgendwann festgestellt habe, nee, nee, mit mir ist schon alles okay ((lachend)) und das Drumherum stimmt halt nicht, also die Annahme, dass es so sein muss, ist halt falsch.«

Die Vorstellung nicht-monogamer Wünsche und Praktiken als Symptom individueller psychischer Probleme oder als Symptom eines innerhalb der Beziehung liegenden Problems, entspricht popularisierten psychologischen Wissensproduktionen. Hier werden nicht-monogame Praktiken oft als »Bindungsunfähigkeit« oder »Promiskuität« gedeutet und beispielsweise als Folge frühkindlicher Beziehungsstörungen oder gar sexuellen Missbrauchs interpretiert und pathologisiert (z.B. Lehmann 2005).

Darüber hinaus kann aber auch, wie Jonas hier darstellt, das Auftauchen einer neuen Person in bestehenden Beziehungsgefügen als Verursachung von Mangel gedeutet werden:

«Weil’s ja meistens eigentlich ein bad news Gespräch ist, dass man seinem festen Partner erzählt, dass man sich in jemand anders verliebt hat. Was ja meistens damit gepaart geht, dass man weniger Energie für seinen festen Partner haben will, bzw. hat. Was ja für den festen Partner erstmal einen Verlust bedeutet. Nicht auf Dauer ein Verlust sein muss, aber so in der ersten Zeit erstmal wahrscheinlich einen Verlust bedeutet. Ja, ich hab da noch keine ideale Lösung für gefunden.” 

Mit diesen Narrativen des »Verlustes« und des Mangels: »weniger Energie«, weniger Zeit«, »weniger Intensität«, die auch in anderen Interviews auftauchen, formuliert Jonas ein zentrales Element mono-normativer ökonomischer Logiken der Szenarien von Liebe als begrenzter und »knapper Ressource« (Easton/Lizst 1997, S. 125ff.) sowie deren Exklusivität und »Unteilbarkeit«. Diese sind gleichsam ein Erbe romantischer Liebesvorstellungen und zirkulieren mit hoher Präsenz und Intensität. Denn sie sind sowohl in der Warenästhetik als auch in den Medien sowie in Praktiken und Ritualen allgegenwärtig. Deleuze (1996) spricht von »agencements de désir«, also Heterogenen-Verkettungen oder affektiven Verbindungen zwischen menschlichen Körpern, beziehungsweise deren Teilen sowie Atmosphären, Pheromonen, Dingen, Worten, Diskursen, Ritualen, Situationen, Orten usw. In denjenigen agencements de désir, die wir als Beziehungen wahrzunehmen gewohnt sind, operieren diese mono-normativen Narrative, Praktiken und Rituale als affektive Vektoren der Dispositive der (Bio‑)Macht, die nicht-monogame Fluchtlinien des Begehrens gleichsam wieder einzufangen, zu brechen und in eine normative Ordnung einzupassen suchen. Das geschieht nicht nur über Wissensproduktionen einer »guten Zweierbeziehung«, Institutionen, Praktiken und Rituale, sondern auch auf einer wesentlich subtileren Ebene, die mit Brian Massumi (2010, S. 106f.) als »Affektmodulation« bezeichnet werden kann. Im Wechselspiel von glückverheißenden Bildern und verunsichernden, eher angstauslösenden Szenarien des drohenden Verlusts eines als unteilbar imaginierten knappen Gutes Liebe wird durch eine Adressierung auf einer prä-subjektiven, affektiven Ebene eine Art affektive Abstimmung erzeugt, die die Körper gleichsam in eine Angstbereitschaft versetzen kann. In der Tradition von Spinoza gehen Deleuze und Guattari dabei nicht von einem Körper/Geist-Dualismus aus. Affizieren und Affiziert werden berührt beide »Ebenen«, da sie zur selben Substanz gehören. Statt Freude als Bejahung eines Potentials viele lieben zu können, wird in bestimmten Situationen Angst evoziert. So spricht Karl z.B. vom »Minenfeld Eifersucht«, das auch in polyamourösen Beziehungen existiere:

»Da gibt’s eben diese Verlustangst-Eifersucht für mich […] und dann gibt’s eben diese Selbstwertgefühl-Eifersucht […]. Für Klara taucht das immer wieder auf. So, halt jetzt zum Beispiel bei dieser jungen Frau, bei Kira [eine frühere Beziehung vor dem jetzigen Beziehungsgeflecht [M.P./R.B.], da war’s einfach dieses, die war 25 und ((seufzt)) ach, sah auch noch jünger aus. Und es ist nur ein Film im Kopf, aber es reicht ja eben zu sagen: ‚Die ist schöner.‘ Und weiß der Teufel was. Das ist immer wieder ein Faktor. […] Also das hatte ich jetzt mit Julia auch schon. Am Anfang war das, da hatte sie Geburtstag. Ich war auf der Party, Klara nicht, und dann merkte ich eben: Ja, da sind noch zwei andere Männer ... und wer ist das jetzt, nicht, für wen wird sie sich denn jetzt entscheiden? So. Und denn habe ich schon gemerkt: Ja, das ist für mich nicht so toll, da irgendwie zu denken: Ja, ich bin auch noch da, und irgendwie entscheidet sie sich für ihn.«

Auch wenn sich hier Effekte einer mono-normativen Affektmodulation präsentieren, ließ sich das weitverbreitete Vorurteil, in nicht-monogamen Beziehungsgeflechten würde verstärkt Eifersucht hervorgerufen oder zirkulieren, in unserer Untersuchung nicht bestätigen. Die mono-normative Affektmodulation wirkt nicht auf alle Individuen gleichermaßen. So erleben polyamourös lebende Menschen Eifersucht als eine Gefühlscodierung, die veränderbar ist, und deuten sie als gesellschaftliches Konstrukt. Viele beschreiben wie die bisexuelle Katrin, dass sich im Laufe der Zeit die negative Affizierung durch Eifersucht entdramatisiert hätte, wenn sie feststellt: »Man kriegt auch irgendwann Routine drin. Ich mach das jetzt irgendwie seit 12 Jahren, 13, 14 Jahren irgendwie in verschiedenen Variationen von Nicht-Monogamie, und mittlerweile kann ich über Eifersucht genauso lässig plaudern wie über das Wetter.« Auch Karl stellt dar, wie sich im Laufe der Zeit eine Veränderung eingespielt habe, die auf gegenseitigem »Vertrauen« basiere:

»Ist eher so dass wir sicherer sind, weil: wenn jetzt jemand anderes in unser Leben tritt, müssen wir nicht sofort Verlustangst haben. [...] Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass dadurch dass das offener ist, dass ich weniger Angst haben muss. Ich erlebe das ja sonst so im Bekanntenkreis eher, dass die, die eher so monogam leben, dass wenn denn jemand kommt, denn wird die eine Beziehung aufgegeben und denn kommt die nächste. Also die können sich zum Beispiel entlieben. Ich kann das immer nicht. [...] Es ist eher so, wenn man sich den Raum schafft, dass die Verlustängste weniger werden, weil ich sage: oh, wir können das machen, ohne dass ich dich jetzt gleich verlassen muss. Ich muss dich nicht betrügen, ich muss nichts heimlich machen.«

Eifersucht tritt für viele Interviewpartner_innen auch in den Hintergrund, wenn Erfahrungen von Fülle und Reichhaltigkeit gemacht werden, die ihnen durch die Vervielfachung von Beziehungen zuwächst, beispielsweise in den Worten der lesbischen Connie: »Insofern hab ich so die positive Erfahrung, dass das toll ist, dass ich was teilen kann, von vielen was bekomme. Insofern ist schon dieses Polymäßige positiv besetzt«. Nicht die »starvation economies« (Easton/Liszt 1997, S. 35) einer kapitalistischen Mangellogik mit Eifersucht und Verlustängsten dominieren hier, sondern die affektiven Qualitäten des Teilens, der Fülle und des Gemeinsamen angesichts einer Vielzahl, Mannigfaltigkeit und Intensität affektiver Bindungen. Es sei »diese Großzügigkeit, die es uns erlaubt, unsere Fantasien zu leben. So, also jetzt ohne Schrecken«, wie es Karl formuliert.

Die mono-normative Mangellogik bringt, wie in unseren Interviews deutlich wird, unterschiedliche affektive Re-aktionen hervor. Die Butch-liebende Femme Lisa, die in einer offenen Beziehung lebt, beispielsweise erklärt: «Also ich kann nicht mehrere Leute wirklich lieben, da komm ich echt ins Bedrängnis, da fehlt mir die Energie zu, schlicht und ergreifend. Ich find eine Freundin lastet mich echt aus.” Während bei Lisa begrenzte Ressourcen dazu führen, dass Mehrfachlieben eine Überforderung darstellen würden, ist dies offenbar keine zwangsläufige Dynamik, denn für Katrin stellt es sich genau andersherum dar: «Diese Logik von einer Person, die so’n ein und alles ist, das überfrachtet so, also das erschöpft so. Also ich will auch nicht eine für einen sein, das strengt mich auch total an.” Sie genießt beispielsweise die Situation, in der einer ihrer Partner mit einer anderen Beziehung zusammenlebt, die sich um ihn kümmert, wenn «der eine Grippe hat”. Wie in den Zitaten von Craig und Jonas lässt sich auch in anderen Interviews erkennen, dass auftauchende Wünsche immer wieder in vereinheitlichende – monogame – Strukturen kanalisiert werden (sollen); durch die Logik eines vermeintlichen Defizits und einer von der Norm »abweichenden« Liebe. Aber wir finden Bewegungen oder »Fluchtlinien« (Deleuze 1996, S. 30), die diesen Strukturen zu entkommen suchen. Wie Katrin zeigt, produziert ein bestimmter normativer Kontext keineswegs eindeutige Reaktionen, und schon gar keine gleichförmigen Subjektivitäten und Beziehungsformen. Die Anrufung, alles für eine/n sein zu sollen, ist für Katrin keine romantische Versuchung, sondern produziert vielmehr eine Fluchtlinie aus dem monogamen Modell, das sie zu ersticken droht. Das Begehren bricht aus.

Begehren ist keine Mangelware!

Das Konzept von Begehens als Korrelat eines Mangels ist in eine lange europäische Philosophietradition eingeschrieben, in der seit Platons Symposion (2006) Begehren vor allem als basierend auf einem zu füllenden Mangel verstanden wurde, der nach Hegel (1993) unerfüllt bleiben müsse. Bei Freud (1991) und ähnlich bei Lacan (1964/1978), der sich auf Freuds Theorie des Wunsches bezieht, wird Begehren durch das Bestreben verursacht, die (fantasierte) verlorene Vollkommenheit der frühen Mutter-Kind-Dyade wieder zu erlangen. Hier wird also Begehren als Ideal des Wunsches nach der vollkommenen Verschmelzung mit einer anderen Person festgeschrieben. Da dies nach Freud und Lacan unmöglich sei, richte sich das Begehren auf eine Reihe von Ersatzobjekten, um diesen ursprünglichen Mangel in der Subjektwerdung zu kompensieren. Denn ausgehend von Freunds Theorie des Wunsches verortet Lacan (1964/1978) den Ursprung des Begehrens in der frühen Beziehung zum primären Objekt. Sobald das Kind die Fiktion der unmittelbaren Präsenz des Objekts (primäre Bezugsperson) aufgibt und bei der Suche nach der Wiedererlangung des nicht vorhandenen Objekts zur Symbolverwendung greife und in die symbolische Ordnung eintrete, werde das Begehren an die ursprüngliche Einheit mit der Bezugsperson verdrängt, bleibe jedoch als Spur erhalten, ohne das verlorene Objekt jemals einholen zu können. Hinsichtlich der Partner_innenwahl bleibt in diesem theoretischen Kontext Begehren mithin in die mono-normative und heterosexuelle Matrix eingegossen, so dass alle sich von diesem Muster entfernenden Begehrensformen in einer Mangellogik erscheinen müssen – als Defizit in den Persönlichkeitsstrukturen der beteiligten Personen oder als Defizit in der Paarbeziehung.

In unseren Interviews finden wir jedoch keine einheitlichen Muster, die Begehren immer nur auf einen Mangel – sei es in der Beziehung oder in der eigen Person oder der Partner_innen –zurückführen. Zwar existieren diese Erzählungen und die Logik des Mangels als Legitimations- und Erklärungskommentare, wenn z.B. wie bei Craig die Rede davon ist, dass einem eine Person nicht alle Bedürfnisse erfüllen könne, dass einem in der Beziehung etwas »gefehlt« habe usw. Was aber gleichsam durch die Lücken der diskursiven Produktionen der Mangellogik hindurch in den Erzählungen auftaucht, sind vielfältige, oft gar nicht klar definierbare Wünsche, Formen des Affiziertwerdens und Affizierens von Körpern und Körperteilen, Verbindungen und Intensitäten, die sich ereignishaft, in spezifischen Situationen und Atmosphären, in Begegnungen mit Menschen, aber auch mit Phantasien und Ideen herstellen. So beschreibt Karl die Situation eines Netzwerktreffens, in dem sich spontan Formen des Affizierens von Körpern, einer entsprechenden räumlichen Anordnung (»wir haben das Zimmer komplett mit Matratzen ausgelegt«) einer spezifischen Atmosphäre und des Genießens von Nähe konstellieren:

»Und wir hatten jetzt hier so ein Treffen, da ging es zwar um Unternehmensberatung und trotzdem kann man so ein Knäuel machen auf dem Boden und gemeinsam liegen und gemeinsam kuscheln und so weiter. Das sind vielfach verbindende Elemente, ein normales Paar kann sich das nicht so einfach erlauben. Da taucht dann gleich auf: ‚Ach, du hast ja Lust auf Andere.‘ Und denn stellst du die Beziehung in Frage und und und. Und das ist bei uns natürlich anders, dass ich halt sehe: Ja, wir haben ganz viele Freunde und ganz viele liebe Leute.«

Diese Formen des Affiziertwerdens und Affizierens scheinen sich vielfach gleichsam eigendynamisch herzustellen und deuten anstelle eines Mangels eher auf eine Fülle ein affektives Potential, eine Mannigfaltigkeit von Beziehungen und Verbindungen einzugehen. In den Interviews tauchen häufig Formulierungen folgender Art auf: »und andere [Partner_innen] kamen dann noch dazu«, wie auch Alexandra, die auf einem Bauwagenplatz wohnt, ihre Beziehungsbiografie beschreibt. Hier führen die Intensitäten eines zirkulierenden Begehrens zu ungeplanten und unerwarteten Verbindungen, es »passiert«, blitzt quasi hinter dem Rücken der Akteure auf. Beziehungskonstellationen folgen nicht einem vorgefertigten Konzept, sei es gesellschaftlich-normativ oder individueller Lebensplanung geschuldet, sondern stellen sich als ständiger Prozess des Werdens (Deleuze/Guattari 1992, S. 317ff.) her.

Das lässt sich auch am Beispiel von Karl verdeutlichen. Er positioniert sich als bisexuell und

lebt neben einer »festen offenen Dreierbeziehung« mit Klara, mit der er seit 20 Jahren zusammen ist und Kinder hat, und mit Julia (die beide auch noch andere Beziehungen haben) in einem Geflecht mit weiteren zum Teil langjährigen, zum Teil spontanen, kurzen Beziehungen:

»Und dass wir jetzt praktisch so die Konstellation, also wir zu zweit als Paar und jetzt suchen wir uns jemand. Und das ist nicht so. Nein, so geht das nicht, weil mir passiert das anders. Also es ist eben so: OK, ich treffe auf jemand, ja, vielleicht verliebe ich mich, vielleicht hab ich auch einfach Lust auf den und so. Und nicht halt irgendwie der Gedanke: OK, welche Lücke in meinen Bedürfnissen kann jetzt noch gestillt werden.«

Movens ist ein wechselseitiges Affizieren und Affiziertwerden oder – wie Karl es in ein Gefühl übersetzt: Liebe. Diese bezieht er jedoch explizit nicht auf ein romantisches Ideal der Zweierbeziehung. Sie sei für ihn Voraussetzung für Erotik und Sexualität, aber er versteht sie darüber hinausgehend als eine Intensität bzw. jenes Potenzial, das auch andere, nicht sexuelle Beziehungen ermöglicht und trägt, als expansive Kraft, die die Öffnung zu anderen Personen und die Herstellung von Gemeinsamkeit kreiert:

»Also, wenn ich jemanden kennenlerne, da ist Liebe da. Liebe kann für mich sehr verschieden sein. Also ich kann eigentlich keinen Sex mit jemand haben, den ich nicht irgendwie liebe. Und wenn es in dem Moment ist. Aber das ist immer Liebe. Also das finde ich das Primäre. Das ist Liebe. […] Bloß ich kann jemanden lieben und muss keine Sexualität mit ihm haben, denn ich meine, also jetzt zum Beispiel für mich jetzt als Bisexuellen muss ich sagen, also die meisten Männer, die ich liebe, mit denen habe ich eigentlich keinen Sex.«

Für Karl ist Liebe etwas, das sich situativ ereignet, und in diesem Moment verweilen oder darüber hinaus andauern kann. Es ist etwas, das für ihn mit »Großzügigkeit« verbunden ist. Daher lehnt er Exklusivansprüche auch explizit ab und sieht in den »Außenbeziehungen« aller an seinem Beziehungsgeflecht beteiligten Personen eine Bereicherung: »Da leben wir im Luxus! ((lacht)) Im absoluten Luxus! Weil wir das können, ohne uns verletzen zu müssen.«

Nicht die Logik des Mangels fungiert als treibender Motor, sondern die Bejahung einer Fülle, eines Überflusses, wie es auch der queere Transgender Stone Butch Terry ausdrückt: »Es geht darum, unsere Weltsicht zu verschieben, um Sex und Liebe als etwas zu sehen, das kein Nullsummenspiel ist; es gibt eine unendliche Menge, also nimmt dir niemand dein Stück vom Kuchen!« Einer mono-normativen Logik der Konkurrenz um begrenzte Ressourcen oder Begehren und Affektivitäten als Mangelware setzt Terry hier eine Philosophie der Üppigkeit und der affektiven Solidarität entgegen; Verteilungskämpfe sind überflüssig, wenn es genug Kuchen für alle gibt.

Daher bedarf es alternativer Lesarten von Begehren und Affekt, wie sie in Anlehnung an die Philosophie Spinozas (2010) von Deleuze (1988) bzw. Deleuze/Guattari (1992) entwickelt und von Autoren wie Brian Massumi (2010) aufgegriffen wurden und die mit der Mangellogik brechen. Deleuze leitet Begehren aus Spinozas Theorie der Affekte ab. Letzterer versteht unter Affekten nicht einfach »Triebe«, Gefühle oder Emotionen, sondern Affektionen des Körpers, eine prä-subjektive Intensität, die dessen Wirkmacht entweder erhöhen oder vermindern können (Spinoza 2010, S. 223; Shouse 2005). Als Begierde (conatus) könne beispielsweise das Streben eines Körpers verstanden werden, sein Tätigkeitsvermögen zu steigern. Ausgehend von dieser Grundannahme Spinozas formuliert Deleuze, dass Körper nicht durch ihre Morphologie etc. bestimmt seien, sondern durch ihre Fähigkeit affiziert zu werden und zu affizieren. Man wisse nicht von vornherein, was ein Körper vermag und zu welchen Bindungen mit anderen Körpern er fähig sei (Deleuze/Guattari 1992, S. 350). Begehren (Spinozas conatus) sei nicht auf ein fehlendes Objekt gerichtet, nicht Korrelat einer Entbehrung, sondern bezeichne eine durchweg positive Kraft, eine produktive und kreative Energie: Dem Begehren fehle nichts, es erstrecke sich auf alles, es sei mit dem gesellschaftlichen Feld, ja mit der Welt im Ganzen ko-extensiv (vgl. Balke 1998, S. 131). Anstelle der Vorstellung eines gesellschaftlich oder subjektiv unterdrückten Begehrens finden wir hier ein Konzept des Begehrens, das Intensitäten, Differenzen, Bewegungen und Verbindungen hervorbringt, wenn Deleuze (1996, S. 31) anmerkt:

»Für mich beinhaltet Begehren keinen Mangel; es ist auch keine natürliche Gegebenheit; es ist nichts anderes als ein Heterogenen-Gefüge [agencement hétérogenique]; es ist Prozess im Gegensatz zu Struktur oder Genese; es ist Affekt im Gegensatz zu Gefühl; […] Es ist Ereignis im Gegensatz zu Ding oder Person.«

Dem Begehren fehlt nichts, es ist nicht auf etwas gerichtet. Es sei vielmehr, wie Karl anmerkt, »diese Offenheit an sich anderen Menschen gegenüber, dass das ganz viel Verbindendes hat.« Nach Deleuze wird Begehren nicht auf sexuelles Begehren verengt begriffen, es ist nicht im individuellen Subjekt verankert, sondern ist eine prä-subjektive, prä-personale Intensität, die in den Verbindungen zwischen einer Heterogenität von Körpern (menschlichen und nicht-menschlichen, Dingen, Atmosphären usw.) zirkuliert und Beziehungen schafft. Karl übersetzt diese affektive Intensität für sich in ein Empfinden von »Liebe«, die auch in relativ anonymen Begegnungen – als »sich gut fühlen«, als »Moment der Berührung« eintreten könne.

Generell kann nicht davon gesprochen werden, dass Begehren monogam oder nicht-monogam, heterosexuell oder bisexuell sei. Vielmehr handelt es sich um eine prozessual wirkende Kraft, die Verbindungen herstellt und immer neue Prozesse des Werdens und Anderswerdens initiiert (Pieper et al. 2011). Es sind die »Dispositive der Macht« (Foucault 1975, S. 76), die Begehrensströme, Intensitäten, und Affektzirkulationen immer wieder einzufangen suchen und das Feld immer wieder zu strukturieren bzw. zu »strategisieren« suchen, d.h. in unseren Beispielen: immer wieder in eine mono-normative Struktur zwängen zu wollen.

Diese Auffassung steht im Gegensatz zur Vorstellung der Vorab-Regulierung eines Begehrens durch eine normative Matrix bzw. durch Dispositive der Macht. Vielmehr zeige sich Begehren als kontinuierlicher Prozess vielfältiger Verbindungen zwischen heterogenen Elementen. Daher sprechen Deleuze/Guattari auch von »Begehrensmaschinen« (machines désiderantes) und von Gefügen[5] (agencements de désir) (Deleuze/Guattari 1977; Deleuze 1996). Begehrensmaschinen seien das produktiv – und nicht repressiv – besetzte Unbewusste, das »maschinell« funktioniere. Dabei legen die Autoren die Betonung auf die Fähigkeit, Konnexionen einzugehen, auf den produktiven Prozess der Herstellung von Verbindungen. Das, was alltagsweltlich als Beziehung verstanden wird, ist in dieser komplexen Sicht eine bewegliche und prozessuale affektive Verbindung einer Vielzahl von Komponenten: Köpern/Körperteilen, Pheromonen, Atmosphären, Dingen, Umgebungen. Das Beziehungsgeflecht der bisexuellen Femme Anya beispielsweise umfasst ihren männlichen »Sklaven«, die Frauenkleider, die er gerne trägt, das bekannte Poly-Handbuch »The Ethical Slut« von Easton und Liszt, das sie ihm zu Beginn der Beziehung gibt, ihre Berichte von BDSM-Begegnungen mit anderen, die Lust, die diese bei ihm auslösen, die kreativen Ideen, die er ihr aus der »Sklaven«-Sicht für das Spielen mit Dritten gibt, Sexspielzeug, die Stiefel-Fetisch-Fotos, die ein schwuler Freund für sie herstellt, die Gruppe für dominante Frauen und ihre Partner, die sie ins Leben gerufen hab, die BDSM-Spielräumlichkeiten, die Boxershorts, die von ihrer lesbischen, eher männlich-identifizierten Spielpartnerin zuhause auf der Wäscheleine hängen. Affekt und Affizierbarkeit sind Movens beständiger Möglichkeiten, neue Konnexionen herzustellen. Mithin wird Begehren über den engen Fokus auf Sexualität hinausgehend als Intensität und produktive soziale Kraft verstanden, Verbindungen einzugehen und die Kräfte der beteiligten Körper zu erhöhen. Zugleich evoziere diese Produktivität einen beständigen Konflikt zwischen Begehrensproduktion und gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen. Von diesen homogenisierenden Kräften gehen beständige Bestrebungen aus, das Begehren einzudämmen, es einzufangen, zu durchdringen und es gegebenenfalls auch zu unterdrücken. Dies kann sich beispielsweise in Eifersucht oder wie bei der in einem polyamourösen Beziehungsgeflecht lebenden Nina darin äußeren, dass »sich manchmal schon irgendwie bei mir so ein Gefühl einschleicht, dass die Leute mich ja blöd finden könnten: Was ist denn das für eine Schlampe, hat ständig irgendwie mit mehreren was am laufen«.

Die Versuche des «Eindämmens« von Begehren können sich – wie hier – in den internalisierten Monogamie-Normen oder z.B. auch darin artikulieren, dass die soziale Kontrolle des monogam codierten gesellschaftlichen Umfeldes einsetzt – in Form der Diskriminierung eines offen gelebten polyamourösen Beziehungsgeflechts. Oder dass in Begegnungen und Beziehungen mit anderen Personen Exklusivansprüche auftauchen, die der nicht-monogamen Lebensform entgegenstehen, wie in dieser Situation von Karl.

»Letztes Jahr ist mir das passiert, da war ich auf so einem Kongress und habe da eine Frau kennengelernt aus Österreich. Verliebt. Beide, beide ((seufzend, kopfschüttelnd)). Oh Gott. Hilfe! Ganz schön ((lachend)). Schön, aber auch, na ja und sie […] wollte mich dann mit Haut und Haaren […], sie wollte mich ganz für sich alleine.«

Allerdings ist das Begehren dadurch gekennzeichnet, dass es Fluchtlinien produziert, anstatt etwas zu repräsentieren, es produziert Neues anstatt bestehende Strukturen zu wiederholen. Affekte operieren als Dynamiken des Begehrens, sie ereignen sich, wenn Körper (menschliche und nicht-menschliche) mit gleicher Affektfrequenz (Seifert 2011, S. 78) aufeinandertreffen. Sie verändern Bedeutungen und Beziehungen, speisen und fabrizieren Begehren und generieren Intensitäten. (Vgl. Colman 2005, S. 11). Oder es kommt zum Abbruch oder zur Trennung, wenn Affektfrequenzen – wie im Beispiel von Karl, dessen Poly-Begehen sich nicht eingrenzen lässt – letztlich nicht übereinstimmen.

Angesichts der Heterogenität, die den affektiven Verbindungen und agencements de désir als prozessualem Geschehen eigen ist, kann nicht davon gesprochen werden, dass Polyamorie (ebenso wenig wie Monogamie oder Hetero-, Homo und Bisexualität) einfach eine Form der individuellen oder kollektiven Identität sei. Beziehungen konstellieren sich ereignishaft in Prozessen des wechselseitigen Affizierens, d.h. des Affiziertwerdens und Affizierens einer Vielzahl von Komponenten, so dass jede Verbindung – auch eine als strikt monogam erlebte Beziehung – bereits immer »heterogen« ist.

Statt eines Schlusswortes: Mikropolitiken des Begehrens – Praxen der Solidarität

Affekte und Begehren sind prä-personale Intensitäten, die zwischen einer Mannigfaltigkeit von Körpern (menschlichen und nicht-menschlichen) zirkulieren und agencements de désir, d.h. Verbindungen, Beziehungen und Allianzen stiften.

Die affektive Kraft des Begehrens besitzt ein transformatives Potential, sie erzeugt Fluchtlinien des Werdens und Anderswerdens, die sich den bestehenden Herrschaftslogiken und normalisierenden mono-normativen Strukturen entziehen, sie umformen und umnutzen können, so dass neue Lebens- und Beziehungsformen sowie Netzwerke entstehen, in denen sich die Beziehungen beständig neu erfinden. Diese entwickeln ihre eigenen Arrangements und Praktiken, die wir mit Deleuze/Guattari (1992) als »Mikropolitiken« beschreiben können.

Beispielhaft führen wird noch einmal Karl an, der feststellt:

»Ich brauche einfach nur mein Leben zu leben, dann ist das politisch. Ich sehe, dass ich auch wirklich was verändere, in dem Moment, wo wir hier zu Dritt händchenhaltend durchs Dorf laufen. Nicht mit der Absicht, es zu ändern, sondern einfach dadurch dass ich es tu. […] Und die Folge ist, wenn ich für mein Leben eintrete, dass ich gesellschaftliche Regeln übertreten muss. Ich mache das nicht wegen der Übertretung, ich mach es für mich. Aber in dem Moment ändere ich natürlich was, weil ich die Regeln übertrete. Aber politisch, klingt für mich ein bisschen weit weg. Das ist die Politik des Alltags.«

Es sind die kleinen infinitesimalen Schritte einer Transformation, Politiken, die »unwahrnehmbar« sind – nicht unsichtbar –, die wir aus der Perspektive eines etablierten Politikverständnisses nicht als solche wahrzunehmen und zu erkennen gewohnt sind und die nicht adressiert werden können im System politischer Repräsentation. Hier zeichnen sich Fluchtlinien eines Exodus aus überkommenen Strukturen ab, die individuelle und kollektive Situationen verändern können. Nicht als revolutionäre Umwälzung, sondern in den Mikropraktiken der Erfindung und Aushandlung, die nicht in unverrückbaren Strukturen erstarren, sondern gleichsam im Werden, Prozess bleiben, um immer neue Verbindungen, die nicht den normativ vorgegebenen, starren Beziehungsformen entsprechen – wie Deleuze und Guattari es ausdrücken – »Mannigfaltigkeiten« und »Meuten« (Deleuze/Guattari 1992, S. 51f.) bilden.

Der mono-normativen Matrix von Liebe als »knapper Ressource«, der Notwendigkeit der Begrenzung von Paarbeziehungen, abgesichert durch das Muster der romantischen Liebe und die dyadisch-exklusive Beziehungsstruktur, setzen unsere Interviewpartner_innen neue Lebens- und Beziehungsmodelle entgegen. Für sie bedeutet intime Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen zu unterhalten, nicht notwendig Konkurrenz miteinander. Affektive Intensitäten ihrer Beziehungsnetzwerke erzeugen nicht nur einen Überschuss an erotischen, sexuellen und emotionalen Beziehungen und Lebensformen in der Verbindung mit einer Mannigfaltigkeit anderer. Hier entstehen auch neue Formen des Gemeinsamen, der Fürsorge, Verantwortung und Anteilnahme, solidarische Netzwerke, in denen sich Formen gegenseitiger emotionaler und auch materieller Unterstützung entwickeln.

So beschreibt Karl zum Beispiel die »verbindenden Elemente«, die in den (sexuellen) Beziehungen mit einer Pluralität von Menschen bestehen:

»Also dass so ein Netz halt wirklich entsteht. Und das kann ich jetzt eigentlich schlecht von meinem Tanzen halt trennen, weil das damit zu tun hat: »Und wenn es mehr sind, dann hat man mehr Menschen, mit denen man ganz viel zusammen hat.«

Dass sich solche Netzwerke des Gemeinsamen als stabil erweisen, erlebt Karl, als er auf Grund einer Krankheit längere Zeit arbeitsunfähig wird, was für ihn als Freiberufler ein existenzielles Problem bedeutet hätte: »Und da sind meine Freunde auf die Idee gekommen, eine große Aktion zu starten. Da hat jeder für uns praktisch jeden Monat auf ein Konto Geld gezahlt [...] Und ich möchte mal wissen, wo das möglich ist, wo so ein Netz da ist […] und so viele Leute, die für mich was ausgeben wollen.« Karl deutet diese Form der Solidarität als Effekt seiner Lebensform, die dieses Netzwerk ermöglicht habe.

Affektive Verbindungen sind nicht unmittelbar an körperliche Präsenz gekoppelt. Sie werden oft auch über räumliche Distanzen hinweg aufrechterhalten, wenn sich das Beziehungsgeflecht über mehrere Städte und Orte erstreckt. Hier werden neue Strategien der Konnektivität, des affektiven In-Verbindung-Bleibens über große Distanzen, zur Überbrückung längerer Zeiträume der körperlichen Abwesenheit z.B. durch eine digitale Medienpräsenz erfunden (Pieper et al. 2011). Solche Netzwerke der Solidarität und Anteilnahme unterbrechen die mono-normativen und neoliberal-kapitalistischen Logiken von Konkurrenz, Kampf um begrenzte Ressourcen und individualisierter Selbstverantwortung durch eine Kultur gegenseitiger Fürsorge, Achtsamkeit, Anteilnahme und Anerkennung. Hier erkennen wir Elemente einer Mikropolitik, in denen Momente gesellschaftlicher Transformationsprozesse liegen.

Gleichwohl stellt sich in Zeiten eines »biopolitischen« neoliberalen Kapitalismus (Negri 2007; Pieper 2007), der sich das gesamte Leben und damit auch die Affekte aneignet und nutzbar macht, die Frage, ob nicht auch diese Formen der agencements de désir, diese neuen Formen der Kollektivität wiederum angeeignet und ausbeutbar werden. Solche Tendenzen sind in dem Maße zu erwarten, in dem neue kollektive (und individuelle) Identitäten wie Polyamorie sich als feste Entitäten einschreiben und adressierbar werden. Historisch betrachtet sind Politiken der Sichtbarmachung und der Repräsentation zwar bei vielen Minderheiten ein Schritt gewesen, um einen Ort Sprechens und der Einforderung von Rechten zu beanspruchen. Jedoch gehen mit diesen Identitätspolitiken immer auch Formen der Ausschlüsse von »Anderen« und Versuche einer Regierbar- und Nutzbarmachung einher. Allzu leicht kann es in einer Gesellschaft, die im Zeichen neoliberaler Politiken öffentliche Unterstützungsleistungen abbaut, zu einer systematischen Indienstnahme und Verantwortlichmachung solidarischer polyamouröser Netzwerke wie dem von Karl beschriebenem kommen, um den Wegfall öffentlicher Versorgungsleistungen zu substituieren.

Obwohl auch in polyamourösen und nicht-monogamen Beziehungsgeflechten selbst kapitalistische Logiken und Besitzindividualismus nicht automatisch verschwunden sind, zeigt unsere Studie, dass keineswegs alle aufgrund der mono-normativen Affektmodulation in gleicher Weise agieren. Prozesse des Aushandelns, die unsere Interviewpartner_innen gleichsam als Gegenstrategien entwickeln, können nur dann als Elemente von Machttechnologien gelesen werden, wenn sie in starren und unverrückbaren Strukturen münden; bleiben sie jedoch im Prozess, dann sind sie jene Möglichkeitsbedingungen, in denen sich neue Fluchtlinien entstehen. Konzepte – wie Liebe – werden in den Praxen gleichsam von innen heraus umgeschrieben – als Bejahung von Affektion, Verbindung und exzessiven Intensitäten, als Formen der Beziehung, der Freundschaft, der Begegnung, unabhängig von Dauer, Romantik oder Verbindlichkeit.

In den Poly-Praxen formieren sich neue Muster des Gemeinschaftlichen in der Herstellung von agencements de désir. Sie erzeugen gleichsam einen Überschuss an Affektivität, der nicht ohne weiteres vollständig in kapitalistischen Verwertungsprozessen aufgeht und von diesen angeeignet werden kann. Hier liegt das Potenzial, mono-normative, heteronormative, sexistische und andere Machtstrukturen und Herrschaftslogiken zu unterbrechen und durchkreuzen. Dies kann vor allem dann gelingen, wenn eine kritische Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Kommunikations- und Aushandlungskultur, der Ethik und Politik des Konzepts der Einvernehmlichkeit und der Aneignung solcher mono-normativ belasteten Begriffe wie »Liebe« stattfindet.

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Endnoten:

[1]

Das aus dem Englischen stammende Adjektiv »polyamorous« wurde auf verschiedene Arten von der sich formierenden deutschsprachigen Polyamory-Community ins Deutsche übertragen, als »polyamo(u)rös«, »polyamid«, »polyliebend«, »poly-« und in den letzten Jahren zunehmen auch »polyamor«. Verschiedene Teile der Community scheinen bestimmte Begriffe zu bevorzugen. Da unsere Interviewpartner_innen vor allem die Begriffe »nicht-monogam«, »polyamourös« und »poly-« verwenden, haben wir diese Sprachregelung übernommen.

[2]

Dass dies bei Freud im Wesentlichen auf die psychosexuelle Entwicklung des männlichen Kindes gerichtet ist, wurde bereits hinlänglich diskutiert (vgl. Rhode-Dachser 2003).

[3]

Das Akronym BDSM steht für Bondage (Fesselungs- bzw. Immobilisierungspraxen), Dominanz/Submission (Inszenierung von Machtgefällen) und SadoMasochismus (Einsatz von intensiven Körperstimulationen bzw. Schmerz) im sexuellen Kontext. Dieser Dachbegriff stammt aus der organisierten BDSM-Szene selbst, die eigenen ethischen Standards folgt (Einvernehmlichkeit). Er dient daher auch zur Abgrenzung des Gebrauchs der Begriffe SM/Sadomasochismus für pathologisches oder kriminelles Verhalten (z.B. das von Sexualstraftätern).

[4]

Alle im Original englischen Zitate wurden von Robin Bauer übersetzt.

[5]

Um dieser etwas unglücklichen Übersetzung entkommen verwenden wir den französischen Begriff »agencement« (s.a. Pieper et.al. 2011; Pieper/Wiedemann 2014).

Über die AutorInnen

Marianne Pieper

Marianne Pieper, Prof. Dr., Soziologin, Lehrstuhl für Kulturen, Geschlechter, Differenzen am Institut für Soziologie, Universität Hamburg.

Arbeitsschwerpunkte: Gender, Queer, Postcolonial Studies, Qualitative Sozialforschung, Critical Ableism Studies und Assemblage-Theorien. Forschung zu Lebensformen, Rassismus, Migration, Multidiskriminierung, urbanen Transformationsprozessen.

Prof. Dr. Marianne Pieper Institut für Soziologie Allende-Platz 1 20146 Hamburg

Robin Bauer

Robin Bauer, Soziologe, derzeit Lehrbeauftragter der Sozialen Arbeit an der DHBW Stuttgart. Arbeitsschwerpunkte: Queer Studies, BDSM, Nicht-monogame Lebensformen, Transgender Studies, Sexualität, Gender & Science Studies, Qualitative Sozialforschung.

Kontakt via Prof. Dr. Pieper Institut für Soziologie Allende-Platz 1 20146 Hamburg

E-Mail: Robin.Bauer@gmx.de