Der Beitrag geht der Frage nach, was reflexive Beratung in einer Gesellschaft reflexiver Modernisierung bedeutet. Dazu werden theoretische Befunde der Soziologie und der reflexiven Sozialpsychologie auf die Zeitdiagnosen einer reflexiven Modernisierung hin befragt. Systemtheorie und systemisch-konstruktivistische Pädagogik geben Aufschluss über die Konstrukte »Reflexivität« und »Reflexion«. Im Anschluss daran wird das Praxisfeld der Beratung und dabei insbesondere das der erwachsenenpädagogischen Weiterbildungsberatung beleuchtet. Die Ergebnisse der theoretischen Auseinandersetzung werden abschließend um die Sicht von Praktiker/innen der Weiterbildungsberatung ergänzt. Dazu werden erste Ergebnisse einer Studie vorgestellt, die Reflexivität und Reflexion gegenstandsverankert aus den Aussagen von Praktiker/innen der Erwachsenenbildung mit Schwerpunkt Beratung rekonstruieren will. Es zeigt sich, dass Beratung eine wichtige Stützfunktion zukommt in einer Gesellschaft, die mehr und mehr von Individualisierung und Unsicherheit geprägt ist. Reflexivität und Reflexion sind dabei wichtige Voraussetzungen für Lernen und Veränderung.
Schüsselwörter: Reflexivität, (Selbst‑)Reflexion, reflexive Modernisierung, Beratung, Erwachsenenbildung
Keywords: reflexivity, (self‑)reflection, reflexive modernization, counseling, adult education
Abstract:The article addresses the question of the meaning of reflexive counseling in a society of reflexive modernization. It does so by examining theoretical findings in sociology and reflexive social psychology for a diagnosis of times of reflexive modernization. Systems theory and systemic-constructivist pedagogy provide definitions concerning the constructs of reflexivity and reflection. In this connection, the practical area of counseling and especially of counseling in continuing adult education is illuminated. Finally, the results of the theoretical analysis are complemented by the point of view of continuing education practitioners. This is accomplished by introducing initial results of a study which reconstructs reflexivity and reflection in a grounded manner from the statements of practitioners of adult education with an emphasis on counseling. The article reveals that counseling has an important supportive function in a society that is increasingly characterized by individualization and uncertainty, and that reflexivity and reflection are crucial conditions for learning and change.
Schüsselwörter: Reflexivität, (Selbst‑)Reflexion, reflexive Modernisierung, Beratung, Erwachsenenbildung
Keywords: reflexivity, (self‑)reflection, reflexive modernization, counseling, adult education
Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, welche Bedeutung Reflexion und Reflexivität für die Bewältigung individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Herausforderungen in der Moderne haben. Das Leben in gegenwärtigen Gesellschaften ist geprägt von Nicht-Wissen, Unsicherheit und einer zunehmenden Individualisierung aller Lebensbereiche. Beratungsangebote gewinnen daher kontinuierlich an Bedeutung nicht nur für die individuelle Lebensgestaltung. Beratung wiederum setzt auf Reflexion und Reflexivität sowohl seitens der Beratenden als auch seitens der Ratsuchenden.
In einem ersten Kapitel werden begriffliche Verortungen der theoretisch anspruchsvollen Konstrukte »Reflexivität« und »Reflexion« vorgenommen. Um den Blick für eine überdisziplinäre Diskussion zu öffnen, werden wichtige Aspekte »reflexiver Modernisierung« (Beck/Giddens/Lash 1996) aus soziologischer Sicht, Befunde der reflexiven Sozialpsychologie (Keupp 1994, 2004), Definitionen von Reflexivität und Reflexion aus systemtheoretischer Perspektive (Luhmann 1987) und das Konstrukt einer »selbsteinschließenden Reflexion« (Varela/Thompson/Rosch 1992; Siebert 2011) von pädagogisch-konstruktivistischer Warte aus auf Parallelen und Unterschiede hin untersucht. Anschließend werden Bezüge zum Praxisfeld der Beratung hergestellt, über Möglichkeiten einer »reflexiven Beratung« nachgedacht und insbesondere das Feld der erwachsenenpädagogischen Weiterbildungsberatung beleuchtet. Der letzte Teil des Beitrags stellt erste Ergebnisse einer Studie vor, die auch anhand der Aussagen von Berater/innen in der Erwachsenenbildung Reflexion und Reflexivität gegenstandsverankert rekonstruieren will.
Es zeigt sich, dass das verbindende Element der unterschiedlichen theoretischen und praktischen Zugänge der Aspekt der Veränderung, Weiterentwicklung und des Wandels ist angesichts gesellschaftlicher und individueller Herausforderungen, wie sie sich gerade in Lernprozessen Erwachsener manifestieren.
Die folgenden Abschnitte widmen sich der begrifflichen Annäherung an die Konstrukte »Reflexivität« und »Reflexion«. Dabei finden unterschiedliche, sozialwissenschaftliche Sichtweisen Berücksichtigung. Aus soziologischer, sozialpsychologischer, systemtheoretischer und pädagogisch-konstruktivistischer Perspektive soll damit eine überdisziplinäre Klärung der theoretisch hoch komplexen Begrifflichkeiten unterstützt werden.
Ulrich Beck definiert »reflexive Modernisierung« wie folgt:
»‚Reflexive Modernisierung‘ soll heißen: Selbsttransformation der Industriegesellschaft (was nicht identisch ist mit der Selbstreflexion dieser Selbsttransformation); also Auf- und Ablösung der ersten durch eine zweite Moderne, deren Konturen und Prinzipien es zu entdecken und zu gestalten gilt. Das heißt: Die großen Strukturen und Semantiken nationalstaatlicher Industriegesellschaften werden (z.B. durch Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse) transformiert, verschoben, umgearbeitet, und zwar in einem radikalen Sinne; keineswegs – wie das Allerweltswort ‚reflexive‘ Modernisierung nahelegt – unbedingt bewußt und gewollt, sondern eher unreflektiert, ungewollt, eben mit der Kraft verdeckter (verdeckt gehaltener) ‚Nebenfolgen‘« (Beck 1996a, S. 27, Hervorhebungen im Original).
Damit widerspricht Beck in seiner Anwendung des Begriffs »reflexiv« solchen Begriffsverwendungen, die gerade von bewussten Prozessen der Reflexivität ausgehen, wie in den folgenden Abschnitten noch zu zeigen sein wird. Die dort der Reflexivität zugeschriebenen Transformations-, Gestaltungs- und Veränderungsprozesse werden nicht als »Nebenprodukte« aufgefasst. Ob sie auf Grund von ungewollten »Nebenfolgen« in Gang gesetzt werden, wird dagegen nicht expliziert. Verwiesen wird hier lediglich auf unerwartete Ereignisse und – ähnlich wie bei Beck (vgl. 1996a, S. 66) – auch auf Ungewissheit. Gemeinsam ist allen hier zu diskutierenden Konstruktionen, dass sowohl Reflexivität als auch Reflexion Transformationen und Veränderungen nach sich ziehen, die es zu gestalten gilt. Die Unterscheidung nach bewusst und unbewusst bezieht sich bei Beck eher auf den zwischen (bewusster) (Selbst‑)Reflexion/Reflektiertheit und (ggf. auch unbewusster, »reflexartiger«) Reflexivität. So führt Beck (1996a, S. 66, Hervorhebungen im Original) weiter aus:
»Während die einfache Modernisierung den Motor sozialen Wandels letztlich in Kategorien der Zweckrationalität (Reflexion) verortet, denkt ‚reflexive‘ Modernisierung das Movens der Gesellschaftsveränderung auch in Kategorien der Nebenfolge (Reflexivität): Was zunächst nicht gesehen, nicht reflektiert, aber externalisiert wird, summiert sich zu dem Strukturbruch, der die industrielle von den ‚anderen‘ Modernen in Gegenwart und Zukunft trennt. ‚Reflexive‘ meint also auch sozusagen reflexartige und zugleich geschichtsmächtige Modernisierung (die allerdings […] begriffen, also reflektiert werden kann).«
Was bedeutet das nun auf soziologischer Ebene und mit Blick auf die Institution »Beratung«? Hierzu sagt Beck (1996a, S. 31f., Hervorhebungen im Original):
»In der Phase reflexiver Modernisierung geht es überall um den Bestand von Prämissen – bisheriger Lebensführung, Arbeit, Produktion, Organisation, Politik und damit auch spezieller Soziologien. Es geht normativ und faktisch, wissenschaftlich und politisch darum, ob und wie Selbstverständlichkeiten erodieren, weitergelten, erneuert und gegen Infragestellungen und Infragesteller abgesichert werden können.«
Tiefel (2004, S. 22) argumentiert, dass diese Kritik Becks am Beharren klassischer Soziologie auf bewährten Annahmen auch auf andere sozialwissenschaftliche Disziplinen und alle (sozialen) Professionen ausgeweitet werden kann. Es würden Kontinuität und Stabilität suggeriert anstatt der »divergenten Komplexität moderner Entwicklungen« (Tiefel 2004, S. 22) angemessen zu begegnen. Sie (vgl. Tiefel 2004, S. 23f.) folgert daraus u.a., dass soziale Institutionen jedweder Art ihre Standards, Grundannahmen und Ziele offen zur Diskussion stellen sollten, damit Widersprüchlichkeiten bewusster und nicht gesehene Nebenfolgen zumindest mit einkalkuliert werden könnten. Außerdem sollten Beratungsangebote (sie bezieht sich dabei auf die Erziehungsberatung) zu Ko-Instanzen werden, die künftig weniger die bestehenden Institutionen durch Reintegration stützten, sondern vielmehr deren Routinen und Prämissen einer kritischen Reflexion unterziehen sollten. Was ergibt sich daraus für eine »reflexive« Beratung? Beck (1996a) verweist darauf, dass sich Institutionen und Professionen in der reflexiven Moderne vermehrt mit Risiken auseinanderzusetzen hätten, die sie in Form von Nebenfolgen selbst verursacht haben. Für Beratung als reflexive Institution der Gesellschaft und die professionellen Akteure einer reflexiven Beratung bedeutet das (vgl. Tiefel 2004, S. 28ff.):
Professionelle Akteure sollen im Bewusstsein der Nebenfolgen, die sie ggf. verursachen, handeln und damit Verantwortung übernehmen dafür, dass sie u.U. an der Potenzierung von Risiken mitwirken auch unter der Bedingung des Nichtwissens (vgl. auch Beck 1996b, S. 289ff.).
Die öffentliche Thematisierung von Widersprüchlichkeiten wird zu einer Zunahme von Nichtwissen führen, womit das Handeln unter Bedingungen der Unsicherheit und Ungewissheit zum Normalfall wird.
Im Anschluss an Giddens (1996, S. 113ff.) ergänzt Tiefel (2004, S. 28ff.):
Trotz Unsicherheit und geforderter Selbstkritik soll das Handeln der professionellen Akteure auch die Entwicklung von Identität und Gemeinschaften unterstützen.
Angesichts wechselnder individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Bedingtheiten sind Innovation einerseits und Konstanz bzw. Stabilität andererseits immer wieder neu bewusst auszubalancieren.
Es geht also gleichermaßen um den Umgang mit Nichtwissen und Unsicherheit einerseits und die Unterstützung von Identität und Stabilität andererseits.
Ähnlichen Fragen und Herausforderungen widmet sich auch die reflexive Sozialpsychologie. Sozialpsychologie setzt sich mit dem Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft allgemein auseinander, kommt dabei jedoch je nach Ansatz zu recht unterschiedlichen Definitionen (vgl. Keupp 1994, S. 7). Die u.a. von Keupp vertretene reflexive Sozialpsychologie knüpft auch an die Zeitdiagnosen der reflexiven Modernisierung (vgl. z.B. Beck/Giddens/Lash 1996) an. Sie fordert Reflexivität gegenüber dem Alltagsbewusstsein und möchte Marie Jahoda folgend »das Unsichtbare sichtbar […] machen« (vgl. Fryer 1986, S. 108 zit. n. Keupp 1994, S. 16f.), d.h. einer theoretischen Verdoppelung der faktischen Nichtbeachtung der »Pseudokonkretheit« des Alltagsbewusstseins entgegenwirken (vgl. Keupp 1994, S. 16). Insbesondere die Individualisierungsprozesse im Zuge der reflexiven Modernisierung sind Gegenstand der – nun bewussten – theoretischen Auseinandersetzung. Das zentrale Merkmal dieser Individualisierungsprozesse ist die Identitätsarbeit, die das Individuum heute verstärkt zu leisten hat. Keupp (2004, S. 470) argumentiert im Anschluss an Giddens (1995), dass das gesellschaftliche Leben gegenwärtig von »disembedding« oder Enttraditionalisierung gekennzeichnet ist. Für das Individuum bedeutet das, dass es sich mit weitreichender Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen auseinandersetzen muss (Keupp 2004, S. 470). Ausdruck findet die Pluralisierung auch in einer Pluralität von Lebensstilen und Wertvorstellungen, die in einer »chaotischen Vielfalt« nebeneinander existieren (Keupp 2004, S. 476). In ihrer Pluralität verlieren sie zunehmend an orientierender Kraft für die Identitätskonstruktion der Subjekte. Dies gilt umso mehr, als dass »Identität […] als ein subjektiver Konstruktionsprozess zu begreifen [ist], in dem Individuen eine Passung von innerer und äußerer Welt suchen«, was angesichts »einer fragmentierten und widersprüchlichen Welt« immer herausfordernder wird (Keupp 2004, S. 476). Im Gegenteil konstatiert Keupp (vgl. 2004, S. 479), dass wir uns heute in einer Phase gesellschaftlicher Entwicklung wiederfinden, in der sich bisher verlässliche kulturelle Orientierungspunkte für die Lebensbewältigung des Einzelnen auflösen, ohne dass sich neue entwickeln würden. Vielmehr »kommt es auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an, also auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation, zum ‚Selbsttätigwerden‘ oder zur ‚Selbsteinbettung‘« (Keupp 2004, S. 479). Identitätsarbeit wird damit zu einem lebenslangen Prozess. Hinweise auf gelingende Identitätsarbeit sind Kohärenz und Authentizität einerseits und Anerkennung und Handlungsfähigkeit andererseits (vgl. Keupp 2004, S. 480). Folglich »lässt sich Identitätsarbeit in der Gegenwartsgesellschaft als ein permanenter Prozess der Verknüpfung und Balancierung von inneren Subjektansprüchen und der jeweiligen Gesellschaft ansehen« (Keupp 2004, S. 480).
Was bedeutet dies nun für (eine reflexive) Beratung? Beratung steht vor der Herausforderung, dass sie es weder mit psychisch einheitlich konstituierten Subjekten zu tun hat noch auf allgemein gültige Menschenbilder als Bezugspunkte sowohl für die Subjekte als auch für die eigenen Beratungsangebote zurückgreifen kann. Keupp (2004, S. 482) spricht von einer »doppelten Erosion«, von gesellschaftlichen Veränderungen mit drastischen Folgen für die Normalbiographien der Gesellschaftsmitglieder einerseits und andererseits dem gleichzeitigen Abhandenkommen von Deutungsmustern, die helfen könnten, diese Einschnitte wieder zu normalisieren. Dem Gefühl der kulturellen »Entbettung« stehen »Identitätsbausätze« gegenüber, aus denen das Individuum auswählen kann und die ihm die eigene Identitäts- und Sinnkonstruktion vereinfachen (vgl. Keupp 2004, S. 482). Keupp (2004) identifiziert dafür zwei Typen von sogenannten Erzählungen. Zum einen die »Fitness-Narration«, die dem Individuum ungeahnte Möglichkeiten durch beständige Anpassung verspricht und »unreflektierte Einzigartigkeit« pflegt, und zum anderen die Erzählung vom allgegenwärtigen Zerfall, die Ängste schürt und ein »fundamentalistisches Selbst« hervorbringt, das an einfache Identitätskonstruktionen glaubt und die vermeintliche Sicherheit mit dem Verlust »reflexiver Individualität« bezahlt (Keupp 2004, S. 483). Gerade diese aber sollte zur Zielkategorie gegenwärtiger Beratungsprozesse werden. So resümiert Keupp (2004, S. 483): »Es gilt Wege zu bahnen, auf denen sich Menschen Klarheit über ihre Handlungsmöglichkeiten verschaffen, Optionen und Alternativen abwägen, eigene Ressourcen klären und für sich Handlungssinn entwickeln können«, also der »Vorstellung eines ‚kritikfähigen Menschen‘« als dritte Alternative zu den beiden genannten Vorschub zu leisten. Beratung, die den Ansprüchen einer reflexiven Sozialpsychologie folgt, wäre im Beck´schen Sinne nicht reflexiv, da sie einer unhinterfragten Verstärkung der Nebenfolgen reflexiver Modernisierung begegnen möchte, indem sie die Entwicklung kritikfähiger, reflektierter Subjekte unterstützt. Sie ist im Beck´schen Sinne reflektiert, indem sie die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der zweiten Moderne bewusst analysiert und einem theoretischen Zugang öffnet.
Bevor aber die Fragen, wie eine reflexive Beratung – auch jenseits des Beck´schen Begriffsverständnisses – aussehen müsste und welcher Stellenwert ihr in einer von den Phänomenen einer reflexiven Modernisierung geprägten Gesellschaft zukäme, eingehender diskutiert werden können, sollen die Begriffe »Reflexivität« und »Reflexion« weiter fundiert werden. Dazu wird in diesem Abschnitt die systemtheoretische Sichtweise expliziert. Luhmann (1987, S. 599ff.) beschreibt Reflexivität und Reflexion als Formen der Selbstreferenz. Reflexivität oder prozessuale Selbstreferenz basiert auf der Unterscheidung von Vorher und Nachher, d.h. sie bezieht sich auf Prozesse. Luhmann (1987, S. 601) definiert entsprechend: »Von Reflexivität soll immer dann die Rede sein, wenn ein Prozeß als das Selbst fungiert, auf das die ihm zugehörige Operation der Referenz sich bezieht«. Dabei muss Reflexivität die typischen Charakteristika des betreffenden Prozesses ihrerseits umfassen. Bezogen auf Beratungsprozesse kann Reflexivität also nur in Form von Beratung erfolgen, d.h. muss Beratung von Beratung bzw. von Beratenden sein (vgl. Luhmann 1987, S. 601). Damit »verstärkt und verdichtet Reflexivität die prozeßtypischen Merkmale« (Luhmann 1987, S. 601). Da in sozialen Systemen alle Prozesse Kommunikationsprozesse sind, erfolgen alle reflexiven, auf sich selbst gerichteten Prozesse in Form von Kommunikation über Kommunikation (vgl. Luhmann 1987, S. 610). Reflexiv werden können dabei nur Prozesse, die auf sich selbst angewandt werden können, was für bloße Abfolgen von Ereignissen etwa nicht zutrifft (vgl. Luhmann 1987, S. 610). Luhmann (1987, S. 611f.) spezifiziert seine Definition von Reflexivität folglich, indem er sagt: »Mit dem Begriff der Reflexivität fassen wir demnach die Ausdifferenzierung der Funktion, die Einheit des Prozesses im Prozeß zur Geltung zu bringen, und bezeichnen dies als Anwendung des Prozesses auf sich selbst«. Reflexivität im Sinne Luhmanns erlaubt damit »Steuerungs- und Kontrolleistungen des Prozesses durch sich selbst« (Luhmann 1987, S. 616). Im Unterschied zu Becks Auffassung von Reflexivität ist sie gerade nicht durch unbewusste Prozesse und ungewollte, gar selbstzerstörerische Nebenfolgen gekennzeichnet (vgl. Beck 1996a,b). Davon abzugrenzen ist der Begriff der Reflexion. Reflexion basiert auf der Unterscheidung von System und Umwelt, wobei »das Selbst das System [ist], dem die selbstreferentielle Operation sich zurechnet. Sie vollzieht sich als Operation, mit der das System sich selbst im Unterschied von seiner Umwelt bezeichnet« (Luhmann 1987, S. 601). System- und Selbstreferenz sind in diesem Fall deckungsgleich. Bedeutung kommt der Reflexion zu, da dem Selbst besondere Möglichkeiten der (Selbst‑)Erkenntnis zugebilligt werden, die kein anderes System der Umwelt in gleichem Maße für sich beanspruchen kann. Das bringt es auf der anderen Seite mit sich, dass das Selbst seine Selbstbeobachtung nicht mit Beobachtungen der Umwelt abgleichen kann, sondern damit auf sich allein zurückgeworfen bleibt (Luhmann 1987, S. 622). Indem Reflexion die Beobachtung der eigenen Handlungen und ihrer Auswirkungen auf die Umwelt ebenso wie ihrer Rückwirkungen auf das System ermöglicht, ist sie auch in der Lage, die Selbststeuerung des Systems zu verbessern (vgl. Zech 2013, S. 100).
Um die überdisziplinäre Annäherung an das Konstrukt Selbstreflexion zu erweitern, soll im Folgenden eine pädagogisch-konstruktivistische Sicht darauf ausgeführt werden (vgl. ebenfalls Pachner 2013a,b). Arnold (vgl. z.B. 2009) und Siebert (vgl. z.B. 2011), zwei wichtige Vertreter der systemisch-konstruktivistischen Erwachsenenbildung, diskutieren in diesem Zusammenhang eine »selbsteinschließende Reflexion« und stützen sich dabei auf Varela, Thompson und Rosch (1992, S. 50). Dabei spielt Aufmerksamkeit eine zentrale Rolle. Aufmerksamkeit bedeutet hier – in Abgrenzung zur »gewohnheitsmäßigen Unaufmerksamkeit« (Varela et al. 1992, S. 50) – »achtsam zu verfolgen, wie der Geist seine eigenen Wege geht« (Varela et al. 1992, S. 55). Kern der »selbsteinschließenden Reflexion« ist damit eine bewusste Beobachtung des Selbst, eine »Beobachtung II. Ordnung« (vgl. z.B. Siebert 2011, S. 10). Darüber hinaus umfasst eine solche selbsteinschließende Reflexion aber auch körperliche Aspekte:
»Wir schlagen vor, die Art der Reflexion zu verändern und sie nicht als abstrakte, entkörperte Aktivität, sondern als verkörperten (aufmerksamen), offenen Prozeß zu begreifen. Mit verkörpert meinen wir eine Reflexion, in welcher Körper und Geist zusammenfinden. Reflexion findet also nicht bloß über Erfahrung statt, sondern ist ihrerseits eine Form der Erfahrung – und diese reflexive Form von Erfahrung kann mit Achtsamkeit/Gewahrsein gemacht werden. So ausgeführt, durchbricht sie die Kette der gewohnten Denkmuster und Vorurteile, wird zu einer offenen Reflexion, offen für andere Möglichkeiten als jene, die in den geläufigen Repräsentationen des Lebensraums enthalten sind. Diese Form nennen wir achtsame, offene Reflexion« (Varela et al. 1992, S. 49, Hervorhebungen im Original).
»Verkörpert« ist dabei wörtlich zu nehmen, da mit »Achtsamkeit/Gewahrsein« eine Form buddhistischer Meditation gemeint ist (vgl. Varela et al. 1992, S. 49). Dabei handelt es sich laut Arnold (Arnold/Siebert 2006, S. 142) jedoch »nicht um eine esoterische Entgleisung Varelas, sondern um die Radikalisierung seiner beobachtertheoretischen Reflexionen. […] [Varela] skizziert Kognitionsforschung als eine notwendig reflexive – auf den Beobachter und dessen Erfahrung rückbezogene – theoretische Bemühung«. Selbsteinschließend ist folglich eine Reflexion, die den Reflektierenden selbst mit einbezieht und die Fragen, die er (sich) stellt, nicht »entkörpert« behandelt. Indem sie die gewohnten Denkmuster und Vorurteile zu durchbrechen vermag, ist selbsteinschließende Reflexion offen für Veränderungen. Solche – und nur solche – Arten von Selbstreflexion, welche Veränderung ermöglichen, können schließlich auch für Lehr-Lern- und Entwicklungsprozesse fruchtbar gemacht werden (vgl. Siebert 2011).
Dieses Kapitel geht in einem ersten Abschnitt darauf ein, was Beratung als wichtige gesellschaftliche Instanz charakterisiert, was das Konzept einer Selbst-Beratung (Zech 2013) impliziert und wann Beratung als »reflexiv« gelten kann. Der zweite Abschnitt behandelt dann eine spezielle Form der Beratung, die Weiterbildungsberatung, da sie Gegenstand der empirischen Studie ist, die im darauffolgenden Kapitel vorgestellt werden soll.
Schon die Frage, was Beratung eigentlich ist, gestaltet sich als schwierig. Engel, Nestmann und Sickendiek (2007, S. 33) halten fest, dass es sich bei Beratung insofern um einen »problematischen Begriff« handelt, als dass er eine Vielzahl von Bedeutungsinhalten umfasst und eine eindeutige Definition somit schwierig ist. Einigkeit herrscht darüber, dass Beratung in modernden Gesellschaften dazu dient, um in institutionalisierter Weise »Veränderungen und resultierende Anforderungen und Probleme abzufedern und zu puffern. […] Im Zuge dieser Entwicklungen wurde Beratung zur zentralen Hilfe- und Unterstützungsform in psychosozialen, sozialen und gesundheitsberuflichen, psychologischen und pädagogischen Arbeitsfeldern mit geregelten Institutionalisierungs- und Professionalisierungsformen« (Engel et al. 2007, S. 34). Bisweilen ist sogar die Rede von unserer Gesellschaft als einer Beratungsgesellschaft (Fuchs/Pankoke 1994). Beratung tritt nicht nur dort in Erscheinung, wo sie explizit unter dem Etikett »Beratung« angeboten wird, sondern mehr und mehr auch als begleitende Aufgabe in den unterschiedlichsten Berufsfeldern. Die Nachfrage nach Beratungsangeboten steigt dabei stetig an, so dass »Beratung mittlerweile sämtliche Lebenssphären und unseren Alltag [durchdringt]. Beratung ist auch eine Reaktion auf die Pluralisierung von Lebensformen und Lebensentwürfen und bietet eine offenbar zeitgemäße Form der persönlichen sozialen Be- und Verarbeitung von Modernisierungsprozessen« (Engel et al. 2007, S. 34). Von professioneller Beratung ist nach Engel und Kollegen (vgl. 2007, S. 35) dann zu sprechen, wenn die Beratenden sowohl über feldunabhängige Beratungskompetenzen (Beratungs- und Interaktionswissen, Kommunikationsmodelle, Prozessmodelle, Beratungsmethoden etc.) als auch über handlungsfeldspezifisches Wissen verfügen. Die inhaltliche Breite des Begriffs »Beratung« gerät dort zum Vorteil, wo es um die gesellschaftliche Eingebundenheit des Phänomens geht. Die begriffliche Offenheit erleichtert es Beratung, mit den gesellschaftlichen Veränderungen Schritt zu halten (im Unterschied z.B. zu etablierten Disziplinen wie der Soziologie, so Beck (vgl. 1996a), die mangels Begriffen oder begrifflicher Flexibilität Schwierigkeiten haben, die reflexive Modernisierung überhaupt zu »erfassen«). Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit sind zentrale Voraussetzungen für eine Beratung, die ihren Klienten gerecht werden und nicht an ihren Problemlagen »vorbeiberaten« will (Engel et al. 2007, S. 38). Dies gilt umso mehr, als dass Beratende genau wie ihre Klienten sich verstärkt mit Unsicherheit und Nichtwissen in allen Lebenssphären konfrontiert sehen. Engel und Kollegen (2007, S. 43) kommen dementsprechend zu dem Schluss, dass die »öffentlich-institutionell übernommene und von den Ratsuchenden erwartete professionelle Beraterrolle […] in ihrer Paradoxie zu balancieren [ist]« und »Planungssicherheit« für die Beratungstheorie und -praxis »nur durch eine kontinuierliche Selbstreflexion« zu erlangen ist.
Andernfalls können sich im Kontext von Beratung in mehrfacher Hinsicht Risiken ergeben. Wird Beratung z.B. nach ökonomischen Maßstäben bewertet, zahlt sie sich dort für die Gesellschaft und das Individuum aus, wo sie hilft, die Folgen psychischer, sozialer und materieller Problemlagen zu vermindern (vgl. Nestmann/Sickendiek/Engel 2007, S. 600). Umgekehrt könnte eine z.B. aufgrund knapper werdender Finanzmittel der öffentlichen Haushalte zu starke Orientierung an Kosten-Nutzen-Kriterien dazu führen, dass – u.U. auch unbewusst – nur noch »leichtere Fälle« zur Beratung angenommen werden (vgl. Nestmann et al. 2007, S. 601). Eine solchermaßen institutionalisierte Beratung würde dann unbewusst und ungewollt die Probleme, zu deren Minimierung sie angetreten ist, innerhalb der Gesamtgesellschaft eher vergrößern und somit indirekt noch zur Verschärfung der »Zerbrechlichkeit sozialer Lagen und Biographien«, wie Beck (1996a, S. 87) sie konstatiert, beitragen. Problematisch ist Beratung auch dort, wo sie unter Zwang »verordnet« wird und Nichtteilnahme z.B. mit der Streichung von Geldmitteln sanktioniert wird. Beratung erfüllt dann eher Kontrollfunktionen, die Unterstützung bei einem Beratungsanliegen gerät zur Nebensache (vgl. Nestmann et al. 2007, S. 602). Auch die berechtigten Forderungen nach Qualitätssicherung und Professionalisierung bergen Gefahren. Beide sind mit Standardisierung und Standardsicherung verbunden. Dies kann auf der Kehrseite aber auch mit einem Verlust von Offenheit und Diversität einhergehen, was den vielfältigen gesellschaftlichen wie individuellen Ansprüchen an eine zeitgemäße Beratung jedoch zuwiderlaufen würde (vgl. Nestmann et al. 2007, S. 603ff.). Je nach Kontext, in dem Beratung stattfindet, sind diese Gefahren und ungewollten Nebenfolgen unterschiedlich stark ausgeprägt.
Zech (2013) fordert ebenfalls eine reflektierte Beratung und geht noch einen Schritt weiter, indem er Beratung als Selbst-Beratung entwirft. Aus systemtheoretischer Perspektive beschreibt er das Beratungssystem als ein Drittsystem, das entsteht, wenn Beratersystem (ein oder mehrere Beratende) und Kundensystem (ein oder mehrere Organisationsmitglieder bzw. eine Einzelperson im Coaching z.B.) sich einigen, in einen Beratungsprozess einzutreten (vgl. Zech 2013, S. 97). Die beiden Ausgangssysteme (Berater- und Kundensystem) werden in der Beratungssituation zu Umwelten des Beratungssystems. Dass sich ein Drittsystem bildet, hat zur Folge, dass dieses sich nun selbst berät und zwar »im Sinne eines Sichberatens, eines reflektierenden Mit-sich-zurate-Gehens« (Zech 2013, S. 98). Reflexion beschreibt Zech (2013, S. 100, Hervorhebungen im Original) dabei wie folgt:
»Reflexion braucht Beobachtungsverhältnisse zweiter Ordnung und Rückspiegelung der Beobachtungen in das beratene System. Das führt zum Erkennen der, dem eigenen Denken und Handeln zugrunde liegenden, Strukturmuster und ermöglicht so qualitative Veränderungen. Reflexion meint die Beobachtung der Wirkungen der eigenen Handlungen in der Umwelt inklusive der Rückwirkungen auf das System (vgl. Luhmann 1991a, S. 617 ff.). Sie ist deshalb von herausgehobener Bedeutung, weil sich hierdurch die Fähigkeit zur Selbststeuerung des beratenen Systems erhöht«.
Im Kontext von Organisationsberatung führt Zech (vgl. 2013, S. 103) weiter aus, dass gute Beratung es voraussetzt, dass das Beratersystem sich im Beratungsprozess auch selbst berät. Solch eine Selbst-Beratung verhindert zum einen, dass Beratung nur die Eigenlogik des Kundensystems »verdoppelt«, was Zech (2013, S. 103) als »Ansteckung des Beratersystems mit dem Problem des Kunden« bezeichnet. Zum anderen ermöglicht eine kontinuierliche Selbstanalyse auch erst »Selbstüberraschung« (Zech 2013, S. 103f.), welche es erlaubt, die eigenen Sicherheiten, Überzeugungen und Operationen immer wieder transparent zu machen, neu als kontingent zu erleben und zur Diskussion zu stellen. Aufgabe der (Organisations‑)Beratung ist es, Organisationen dabei zu helfen, zukunftsfähig zu bleiben oder zu werden. Dies gelingt nur, »wenn Beratung die eigenen orientierungsleitenden Folien offen legt und sich nicht nur moderierend versteht« (Zech 2013, S. 106). Beratung kann Organisationslernen auslösen, indem sie der Organisation deren eigene, unhinterfragte Selbstsichten spiegelt und durch das Einbringen der fremden Perspektive die vorhandenen Selbstgewissheiten der Organisation irritiert und auf produktive Weise verstört (vgl. Zech 2013, S. 106). Solche sogenannten Perturbationen sind vor allem dann erfolgreich, wenn mit den Selbstbeschreibungen des beratenen Systems operiert wird z.B. in Form von Wieder- bzw. Fremdbeschreibung (vgl. Zech 2013, S. 107). Im Zentrum der Beratung steht das »Wie« und nicht der Inhalt der Kommunikation. Sie leistet folglich eine Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. Zech 2013, S. 107).
Eine solchermaßen verstandene Beratung ist also selbst nicht reflexiv im Beck´schen Sinne (vgl. 1996a, b), da sie ihre eigenen Prämissen offen legt und immer wieder zur Diskussion stellt (vgl. auch Tiefel 2004, S. 23f.), um für Selbstüberraschungen offen zu sein. Selbstüberraschungen sind nach Zech (vgl. 2013, S. 103ff.) die Voraussetzung dafür, dass Beratung als Institution einer reflexiven Modernisierung nicht zusätzlich dazu beiträgt, deren ungewollte Nebenfolgen und Risiken zu erhöhen. Dies gelingt dadurch, dass Beratung die beratenen Systeme mittels Selbstbeschreibungen zur Reflexion im Sinne Luhmanns (vgl. 1987, S. 617ff.) anregt und herausfordert, nicht an ihren unhinterfragten Gewissheiten festzuhalten um den Preis der Zukunftsfähigkeit. Reflexiv ist diese Beratung, indem sie sich selbst berät, also, um mit Luhmann (vgl. 1987, S. 611f.) zu sprechen, den (Beratungs‑)Prozess auf sich selbst anwendet und so die Steuerung und Kontrolle des Prozesses »durch sich selbst« ermöglicht (Luhmann 1987, S. 616).
Beratung in der Erwachsenenbildung vollzieht sich meist als sogenannte Weiterbildungsberatung. Die Veränderungen, die für die Gesellschaft als Ganzes nachgezeichnet wurden, schlagen sich auch im Lernen Erwachsener nieder und gehen mit besonderen Beratungsbedürfnissen einher (vgl. Schiersmann/Thiel 2007, S. 891f.): Einheitliche Berufs- und Fortbildungsverläufe weichen zunehmend individualisierten Bildungs- und Berufsbiographien, die die Menschen eigenverantwortlich gestalten müssen. Immer öfter benötigen sie hierbei orientierende Unterstützung in Form von Beratung. Der Lernkulturwandel hin zu selbstgesteuertem und selbstorganisiertem Lernen und in diesem Zusammenhang der Bedeutungszuwachs von non-formalen und informellen Lerngelegenheiten verschiebt den Fokus von der Lehrperson auf den Lernenden. Selbststeuerungskompetenz kann aber nicht für alle Lernenden vorausgesetzt werden und bedarf häufig geeigneter Unterstützung. Dies gilt umso mehr für medienbasierte Umgebungen des Selbstlernens. »Beratung«, so resümieren Schiersmann und Thiel (2007, S. 892), gewinnt »angesichts der Individualisierung von Weiterbildung und der Ausdifferenzierung der Lernkontexte einen hohen Stellenwert«. Die personen- im Unterschied zur organisationsbezogenen Beratung lässt sich dabei sinnvollerweise in Bildungslaufbahn- bzw. Kompetenzentwicklungsberatung einerseits und Lernberatung andererseits unterscheiden. Erstere stellt die Weiterbildungsberatung im engeren Sinne dar. Aufgrund der angesprochenen Individualisierungsprozesse, die auf brüchige Erwerbsbiographien, neue Beschäftigungsformen, gegenwärtige Konzepte des Human Ressource Management und die Anforderung des lebenslangen Lernens zurückzuführen sind, verschiebt sich jedoch ihre Schwerpunktsetzung weg von einer Laufbahn- und hin zu einer Kompetenzentwicklungsberatung (vgl. Schiersmann/Thiel 2007, S. 894). Klar umrissene Berufsprofile und Karrierewege werden immer seltener und vermögen immer weniger Orientierung zu geben. In Prozessen der Weiterbildungsberatung gilt es daher, bei der punktgenauen Entwicklung von Kompetenzen zu unterstützen. Diese orientiert sich an der individuell gestalteten bzw. zu gestaltenden Berufsbiographie. Zielgruppen der Beratung sind dabei besonders häufig Menschen, die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, Frauen allgemein und solche, die einen Wiedereinstieg in den Beruf planen sowie Fach- und Führungskräfte bzw. allgemein Zielgruppen, die einen beruflichen Aufstieg vorhaben. Entsprechend der Zielgruppen und ihrer Beratungsanliegen haben sich unterschiedliche Weiterbildungsberatungsstellen entwickelt. Lernberatung, der zweite Aspekt personenbezogener Bildungsberatung, spricht v.a. Personen an, die bereits in Lernprozesse eingebunden sind. Sie entwickelte sich in den 1980er Jahren konzeptionell heraus, um insbesondere bildungsfernen Zielgruppen bei der Überwindung von Lernproblemen zu helfen (vgl. Schiersmann/Thiel 2007, S. 896). Dabei herrschte ein defizitorientiertes Beratungsverständnis vor. Heute sind diese an einem Defizitmodell orientierten Ansätze nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr erlangen ressourcenorientierte Konzepte an Bedeutung, die die Lernenden bei der Entwicklung von Selbstverantwortung und Selbststeuerungskompetenz unterstützen. Im Zentrum steht die eingehende Reflexion des Lernprozesses – individuell ebenso wie in der Lerngruppe (vgl. Schiersmann/Thiel 2007, S. 896). Für die Zukunft wird sich die Lernberatung vermehrt auf die Unterstützung immer stärker individualisierter, auch medienbasierter Lernprozesse einstellen müssen.
Trotz einer gestiegenen Nachfrage nach Weiterbildungsberatung gibt es noch kein ausgeklügeltes, theoretisches Konzept dafür. »Von Beratung sprechen wir nur dann, wenn es sich um eine nicht standardisierte Situation handelt, d.h. die Interaktion individuell bedeutsam ist und ein reflexives Element enthält« (Schiersmann/Thiel 2007, S. 899). Die Beratenden müssen dazu über Beratungskompetenzen allgemeiner Natur ebenso verfügen, wie über weiterbildungsspezifisches Wissen und Informationen. Allerdings, so fügen Schiersmann und Thiel (2007, S. 900) hinzu, wird zusätzlich zur »kommunikativen, reflexiven, systemischen und wissensbasierten Beratungskompetenz […] zukünftig ein weiterer Aspekt (nicht nur) für eine Weiterbildungsberatung von zentraler Bedeutung sein: Wie, d.h. mit welchen Beratungskonzepten und spezifischen Methoden/Verfahren, können Selbstorganisationskompetenzen bei Individuen, Gruppen und Institutionen gefördert bzw. ‚organisiert‘ werden?« Hier könnte die von Zech (2013) postulierte Selbst-Beratung Bedeutung erlangen, dann verstanden als Beratung, welche die Verantwortung für den Beratungsprozess sukzessive in die Hände des beratenen Individuums übergibt, wodurch es sich – im Wortsinne – vom Beratenden emanzipiert und eigenständig wird. Neben der konzeptionellen sind auch bzgl. der strukturellen Gestaltung der Weiterbildungsberatung noch viele Fragen offen. Konsens dürfte jedoch darüber bestehen, dass Weiterbildungsberatung eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist, um eine »Spaltung der Gesellschaft« je nach Zugang zu Wissen zu verhindern und um die »hohen Anforderungen, die angesichts des gesellschaftlichen Wandels auf die Individuen zukommen« abzufedern (Schiersmann/Thiel 2007, S. 903). Auch im Feld der Weiterbildung wird Beratung folglich als wichtige Instanz angesehen, um die (ungewollten) Folgen gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse und der damit einhergehenden Individualisierung zu mildern.
Zuletzt sollen nun erste Ergebnisse aus einer empirischen Studie vorgestellt werden, die das bisher Gesagte aus praktischer Sicht ergänzen und veranschaulichen.
Wendet man selbsteinschließende Reflexion auf den Bereich der Forschung an, heißt dies, »die Interessen und Erfahrungen der PraktikerInnen zu berücksichtigen« (Siebert 2011, S. 17). In diesem Kapitel sollen erste Ergebnisse einer Studie vorgestellt werden, die Reflexivität und (Selbst‑)Reflexion aus den Aussagen von professionellen Akteuren der Erwachsenenbildung gegenstandsverankert rekonstruieren will (vgl. auch Pachner 2014). Der Fokus liegt für diesen Beitrag auf Erwachsenenbildner/innen, die in der Weiterbildungsberatung tätig sind.
Die zentralen Fragestellungen lauten dementsprechend:
Was bedeuten »Reflexivität« und »Reflexion« im Kontext professionellen erwachsenenpädagogischen Handelns mit dem Schwerpunkt Beratung?
Welchen Stellenwert messen ihnen die Akteure in diesem Kontext bei?
Wie konstruieren sie »Reflexivität« und »Reflexion« und welche Teilaspekte davon erachten sie als wichtig?
Beantwortet werden sollen diese Fragen, indem Textmaterial analysiert wird, das im Rahmen eines Kompetenzbilanzierungsverfahrens verfasst wurde und anhand dessen Erwachsenenbildner/innen über ihr eigenes pädagogisches Handeln nachdenken.
Entstanden ist das für die Analyse herangezogene Textmaterial an der Weiterbildungsakademie Österreich (wba) mit Sitz in Wien (für weitere Informationen siehe auch http://wba.or.at/). Bei der wba handelt es sich um eine Zertifizierungs- und Anerkennungsstelle, bei der sich Praktiker/innen der Erwachsenenbildung auch informell erworbene Kompetenzen anerkennen lassen können. Anschließend an eine sogenannte Standortbestimmung kann ein landesweit gültiger, zwei-stufiger Abschluss zum/zur zertifizierten Erwachsenenbildner/in und zum/zur diplomierten Erwachsenenbildner/in erworben werden. Das wba-Diplom öffnet zudem den Weg an die Hochschule. Für das Diplom stehen die vier Schwerpunkte Lehren/Gruppenleitung/Training, Bildungsmanagement, Beratung und Bibliothekswesen zur Auswahl. Seit ihrer Gründung am 01. Februar 2007 hat die wba insgesamt 1249 Standortbestimmungen durchgeführt. 704 Studierende haben anschließend das wba-Zertifikat erzielt und 164 Studierende das wba-Diplom (vgl. http://wba.or.at/ueber_uns/Zahlen_Daten_Fakten.php, Stand: 11.02.2014).
Um das wba-Diplom erwerben zu können, muss eine Abschlussarbeit angefertigt werden (vgl. wba 2012, S. 19). Ziel dieser Abschlussarbeit ist es, dass die Studierenden zusätzlich zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Thema auch kritisch über ihr eigenes, professionelles Handeln nachdenken. Sie sollen so ihre reflexive Kompetenz nachweisen. Folglich ist dieses Textmaterial geeignet, um Ableitungen darüber zu treffen, wie Erwachsenenbildner/innen »Reflexivität« und »(Selbst‑)Reflexion« in ihrem Tätigkeitsfeld auffassen, wie sie damit umgehen und wie sie diese letztlich »konstruieren«.
Für die Analyse wurden die wba-Abschlussarbeiten der Jahre 2011, 2012 und Anfang 2013 (n=39) herangezogen. Es liegen relativ gleichmäßig verteilt Arbeiten aus den drei Bereichen Lehren/Gruppenleitung/Training (n=14), Bildungsmanagement (n=12) und Beratung (n=13) zur Auswertung vor. Die für diesen Beitrag ausgewählten ersten Ergebnisse entstammen den Abschlussarbeiten des Bereiches Beratung.
Ausgewertet wurde das Textmaterial unter Zuhilfenahme der Verfahren der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996). Sie ermöglichen es, den Gegenstand im Zentrum des Interesses aus dem Material heraus zu rekonstruieren und schrittweise eine gegenstandsverankerte Theorie dazu zu erarbeiten. Dazu werden die drei, sich teilweise überschneidenden Kodierverfahren des Offenen, Axialen und Selektiven Kodierens durchgeführt (vgl. auch Pachner 2014). Im ersten Schritt, dem Offenen Kodieren, werden die Daten »aufgebrochen«, d.h. es werden Phänomene konzeptualisiert und kategorisiert. Die auf diese Weise ermittelten Kategorien werden anschließend nach ihren Eigenschaften und deren Dimensionen ausdifferenziert (vgl. Strauss /Corbin 1996, S. 43ff.). Die Ergebnisse, die im folgenden Kapitel vorgestellt werden, wurden so gewonnen. Die Auswertung wurde mit Hilfe der Auswertungssoftware MAXQDA10 realisiert.
In diesem Abschnitt werden nun diejenigen Ergebnisse vorgestellt, die der erste Verfahrensschritt des Offenen Kodierens für die Analyse der Abschlussarbeiten des Bereiches Beratung erbrachte.
Die Aussagen der wba-Studierenden legen die große Bedeutung von (Selbst‑)Reflexion für das professionelle Handeln und das Selbstverständnis von Weiterbildungsberater/innen nahe. In ihren Abschlussarbeiten nennen die Beratenden Wertschätzung für die Klienten und Klarheit über die eigenen Vorannahmen und Prämissen ihres Tuns als wichtige Aspekte ihrer Arbeitshaltung. Denken sie über Mission, Aufgabe und Anliegen im Zusammenhang mit ihrem Beratungshandeln nach, spielen Ermutigung und Begleitung der Klienten eine besondere Rolle.
»Als Berufs- und Bildungsberaterin habe ich immer mit Menschen in Veränderungssituationen zu tun. Veränderung und Berufswahl sind prozesshafte Geschehen. Meine Aufgabe sehe ich in der Begleitung und Anleitung dieser Prozesse.« (C_2, 434)
Die wba-Studierenden nutzen die Abschlussarbeiten auch, um über ihre Rolle, Profession, ihr Berufsbild zu reflektieren. Die meisten sehen sich dabei als Prozessbegleiter/in, wobei die Verantwortung für den letztlich einzuschlagenden Weg bei dem/der Ratsuchenden bleibt:
»Beratung ist für mich ein transparenter Prozess, in dem sich die ratsuchende Person entfalten und entwickeln kann, bis ich als Beraterin gänzlich entbehrlich bin.« (C_35, 161-327)
»Vor allem aber muss hier der Kunde/die Kundin selbst Verantwortung übernehmen und entscheiden, welcher Weg eingeschlagen wird. An dieser Schnittstelle von der Erarbeitung und Planung konkreter beruflicher Vorhaben zur gezielten Information sehe ich mich als Bildungsberaterin.« (C_21, 2056-2342)
Weitere wichtige Kategorien, in denen die Studierenden über ihr Selbstbild als professionelle Beratende in der Erwachsenenbildung nachdenken, sind die Leitsätze, die die eigene Arbeit bestimmen, die Verantwortung als Experte/in für den Beratungsprozess an sich aber auch die Weitergabe relevanter Informationen und die Rollenvielfalt bzw. Doppelrolle als Trainer/in und Berater/in, die es immer wieder auszubalancieren gilt.
Die wba-Studierenden weisen in ihren Arbeiten auf die große Bedeutung von (Selbst‑)Reflexion für den/die Erwachsenenbildner/in in der Beratung hin:
»Als besonders wichtig erachte ich daher die Reflexion meiner eigenen ethischen Haltungen wie auch den Austausch mit KollegInnen (Intervision), bei schwierigen Fällen Supervision. Es besteht immer die Gefahr, die eigenen ethischen Haltungen als die einzigen zu betrachten und so die Coachees zu manipulieren […].« (C_10, 694-1031)
Sie erachten (Selbst‑)Reflexion als Voraussetzung für professionelles Beratungshandeln in der Erwachsenenbildung, da sie es erst ermöglicht, den Ratsuchenden gerecht zu werden. Dementsprechend erachten sie (Selbst‑)Reflexion als Praxiserfordernis für die Beratung:
»Als Berufs- und Bildungsberaterin, Lebens- und Sozialberaterin und Supervisorin ist es für mich selbstverständlich, meine Arbeit supervidieren zu lassen.« (C_2, 420)
Zudem betonen sie in ihren Arbeiten die Bedeutung von (Selbst‑)Reflexion für den/die Beratungsklienten/in. Sie bezeichnen dabei Selbsterkenntnis als Wert an sich und als Zielkategorie von Beratung:
»Dabei fällt mir auf, dass KundInnen neben den »klassischen« Erwartungen an Coachingprozesse wie kontextbezogene Standortbestimmung und Unterstützung in Veränderungsphasen inzwischen auch verstärkt Coaching als Reflexionsgelegenheit und Lernchance über die reine Verhaltensebene hinaus sehen.« (C_8, 914-1216)
»Genaue Beobachtung und differenziertes Feedback gehören zum Instrumentarium und müssen mit großer Achtsamkeit ausgedrückt werden. Mir ist dabei wichtig, darauf hinzuweisen, dass meine Eindrücke sehr subjektiv sind und immer, bevor ich ein Feedback abgebe, die Selbsteinschätzung des Klienten/der Klientin abzufragen.« (C_2, 436)
Die Ratsuchenden sollen in ihrer eigenen Reflexion und Reflexivität unterstützt werden und im Feedback des Beratenden Unterstützung finden.
Als weitere wichtige Aspekte, die helfen Reflexivität und Reflexion im Kontext von Beratungshandeln in der Erwachsenenbildung zu rekonstruieren, finden sich in den Arbeiten u.a. Hinweise auf Motive, Arten und Erträge von Reflexion. Gründe oder Motive, die die Beratenden für die Reflexion über das eigene Berufshandeln nennen, sind z.B. erfolgreiches Handeln als Berater/in in der Erwachsenenbildung und die persönliche Weiterentwicklung. Als Arten oder Formen der Reflexion ihrer eigenen Tätigkeit nutzen die Beratenden v.a. Supervision und Peer-Feedback bzw. Intervision aber auch Schreibanlässe wie die wba-Abschlussarbeit oder selbst erstellte Sitzungsprotokolle. Als Erträge solcher auch selbstreflexiver Prozesse schätzen die Beratenden besonders ein erhöhtes Bewusstsein das eigene Tun betreffend und eine Zunahme von Selbsterkenntnis.
Das professionelle Selbstverständnis der Weiterbildungsberater/innen, wie es sich in Aussagen zu ihrer Arbeitshaltung nieder schlägt, ist geprägt von Wertschätzung für die Klienten und Transparenz der Vorannahmen und Prämissen für das eigene Handeln. Sie kommen damit der Aufforderung Becks (1996a, b; vgl. auch Tiefel 2004) nach, immer wieder das eigene professionelle Handeln auf seine Grundannahmen hin zu überprüfen und so auch angesichts von wachsendem Nichtwissen und Unsicherheit sensibel zu sein für die möglichen »Nebenfolgen« des eigenen Tuns – auch und gerade wenn dieses dazu dienen soll, die Begleiterscheinungen einer reflexiven Modernisierung abzufedern. Dass dem so ist, lässt sich daraus ableiten, dass als zentral für die Mission, Aufgabe und das Anliegen im Zusammenhang mit dem eigenen Beratungshandeln von den Erwachsenenbildner/innen Ermutigung und Begleitung der Klienten genannt werden. Beides wird angesichts der zunehmenden Individualisierung aller Lebensbereiche (Beck 1996a) erforderlich. Schiersmann und Thiel (2007) konstatieren diese Individualisierung angesichts immer brüchiger werdender Berufsbiographien und eines Lernkulturwandels hin zum selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernen auch für den Bereich der Weiterbildung. Insofern kann das Selbstverständnis, das die Erwachsenenbildner/innen in Bezug auf ihr professionelles Beratungshandeln äußern, durchaus als »reflektiert« interpretiert werden. Unterstützt wird diese Sicht dadurch, dass die Berater/innen sich im Zusammenhang mit ihrer Rolle, Profession, ihrem Berufsbild v.a. als Prozessbegleiter/in sehen.
Was den Stellenwert von Reflexivität und Reflexion in der Weiterbildungsberatung betrifft, weisen die wba-Studierenden in zweifacher Hinsicht auf die große Bedeutung von (Selbst‑)Reflexion für den/die Erwachsenenbildner/in in der Beratung hin. Zum einen sehen sie Selbstreflexion als Praxiserfordernis für die Beratung. Das entspricht auch der Auffassung von Schiersmann und Thiel (2007), die diesen Aspekt wiederholt als wichtiges Charakteristikum von Weiterbildungsberatung betonen. Aber nicht nur für den Beratenden ist Reflexion ein wichtiges Kennzeichen der eigenen Professionalität. Es ist auch für die Ratsuchenden zentral. So finden sich in den Texten Hinweise auf die Bedeutung von (Selbst‑)Reflexion für den/die Beratungsklienten/in, indem die Erwachsenenbildner/innen Selbsterkenntnis als Wert an sich und als Zielkategorie von Beratung beschreiben. Reflexion hilft dem Individuum mit den gestiegenen Anforderungen an Selbststeuerung und Selbstorganisation im Lernprozess bzw. an Selbstverantwortung für die Gestaltung der eigenen (Berufs‑)Biographie allgemein (vgl. Schiersmann/Thiel 2007) umzugehen. Pädagogische (vgl. z.B. Siebert 2011) Auffassungen von Selbstreflexion sehen in ihr die entscheidende Voraussetzung für Lernen, Veränderung und Weiterentwicklung. Dazu passen auch die weiteren Aspekte von Selbstreflexion im Kontext von Beratung in der Erwachsenenbildung, wie sie sich aus den Aussagen der Praktiker/innen rekonstruieren lassen. So nennen die wba-Studierenden als Gründe oder Motive für die Reflexion neben erfolgreichem Handeln als Berater/in in der Erwachsenenbildung auch die persönliche Weiterentwicklung, womit auch ein reflexives Moment angesprochen ist. Als Arten von Reflexion und Reflexivität zeigen sich auch selbstreflexive Prozesse einer Selbstberatung (vgl. Zech 2013; Luhmann 1987). Dies gilt auch für die Erträge dieser Prozesse. Hier führen die Berater/innen u.a. ein erhöhtes Bewusstsein bzgl. des eigenen professionellen Tuns sowie eine Zunahme von Selbsterkenntnis an. Indem diese Veränderungsbereitschaft ermöglichen, können sie als Hinweise für das Vorhandensein einer selbsteinschließenden Reflexion nach dem Verständnis Sieberts (2011) gedeutet werden.
Bereits aus der Analyse des Textmaterials mit Hilfe des ersten Verfahrensschrittes der Grounded Theory lassen sich aus den Aussagen der Erwachsenenbildner/innen erste fruchtbare Hinweise zur Rekonstruktion von Reflexivität und (Selbst‑)Reflexion sowie ihrer Bedeutung für das professionelle Beratungshandeln ableiten. Differenzierter wird diese Rekonstruktion sich gestalten, wenn die Analyse auch mit Hilfe der beiden weiteren Kodierverfahren abgeschlossen sein wird.
Sowohl die theoretische Auseinandersetzung aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln, der Transfer auf das Praxisfeld Beratung als auch die empirische Annäherung mit Hilfe der Aussagen von Praktiker/innen der Weiterbildungsberatung machen deutlich, wie komplex und facettenreich die Konstrukte Reflexivität und Reflexion sind.
Anhand der Analyse soziologischer, sozialpsychologischer, systemtheoretischer und pädagogischer Begriffsverständnisse zeigt sich, dass mit »Reflexion« und »reflexiv« jeweils ganz unterschiedliches gemeint sein kann. Übereinstimmend ist jedoch der Kontext von einerseits Unsicherheit, Offenheit und Individualisierung und andererseits Veränderung, Wandel und Weiterentwicklung, in dem Reflexivität und Reflexion Bedeutsamkeit erlangen. Beratung wird dabei immer öfter als Antwort oder zumindest Stützfunktion für den Umgang mit den damit verbundenen Herausforderungen gesucht. Die Stimmen der Praktiker/innen schließlich lassen Rückschlüsse darüber zu, inwiefern Reflexivität und Reflexion professionelles Beratungshandeln ermöglichen und den Umgang mit Unsicherheit erleichtern können.
Verdienstvoll wird es sein, auch auf empirischem Wege weiter zu fragen, wie eine gleichermaßen reflektierte wie reflexive Beratung aussehen muss und was sie beitragen kann zur Bewältigung der Herausforderungen einer »reflexiven Modernisierung«.
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