Zunehmende Armut aufgrund von Arbeitslosigkeit, prekären Beschäftigungsverhältnissen, bei gleichzeitig sich vergrößernder Kluft zwischen Arm und Reich, zunehmende Unsicherheit der Lebensperspektive für einen immer größer werdenden Kreis der Bevölkerung, immer weiter eingeschränkte Teilhabe am kulturellen und politischen Leben, die einen Verlust an Demokratie und Partizipation bedeutet, Veränderung der Zugangswege zu interessanteren und besser bezahlten Berufen, die für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung einer Verringerung der Chancen gleichkommt, solche Berufspositionen zu erreichen, Veränderung der Berufe selbst, Zunahme der Belastung, Abnahme der selbst erfüllenden Anteile, Veränderungen in der Arbeitsteilung der Geschlechter, überwiegend zulasten der Frauen, Zurückschrauben emanzipativer Perspektiven und Handlungsräume, Veränderungen im Bildungsbereich, Ausbildung, Erziehung, Verringerung der Zugangschancen für wachsende Bevölkerungsteile, Veränderungen der Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik, Familienpolitik, Altersarmut, Intergenerationenbeziehungen, Migration und Integration, zunehmende Militarisierung des Lebens, permanente Kriegsdrohung, bzw. Ausweitung der Bedrohung durch die Kriege überall, usw.
Diese gesellschaftlichen Veränderungen wirken sich zugleich auf die Arbeit der PsychologInnen aus, stellen eine Herausforderung für die praktisch arbeitenden PsychologInnen dar. Sie schlagen sich in der Zunahme psychischer Problemlagen und nicht mehr zu bewältigender Störungen der psychischen Selbstregulation nieder. Zugleich handelt es sich bei den genannten Veränderungen nicht um die Auswirkung und Folgen bloßer – vielleicht notwendiger – Umstellungsprozesse, an die »der Mensch sich vielleicht anpassen« müsste, vielmehr sind diese Veränderungen »politisch« hergestellt. Die »Verarmung« des Staates ist nicht die Folge einer nachlassenden Wirtschaftskraft, sondern der Senkung der staatlichen Einnahmen durch Senkung der Besteuerung der wirtschaftlichen Erträge. Und: die Verarmung trifft nicht alle Teile der Bevölkerung gleichmäßig, sondern wird ungleich verteilt. Und diese Verarmung wird weiter gesteigert, indem nach demselben Mechanismus die ärmeren Bevölkerungsteile die »Löcher« im Staatshaushalt wieder zu füllen herangezogen werden.
Welche Rolle übernimmt die Psychologie in dieser Lage, welches Menschenbild entsteht in dieser Zeit, wird propagiert, welche Strukturen werden gefördert und Kompetenzen gefordert? Die Menschen, die in die bedrohlichen Zonen der Veränderung geraten, sind überfordert und zugleich allein gelassen – nicht nur, sondern zusätzlich belastet durch Stigmatisierung und Schuldzuweisung.
Das neue Menschenbild der neoliberalen Steigerung der Ungleichverteilung überträgt ihnen die Verantwortung für das, was die gesellschaftlichen Veränderungen ihnen zumuten, abverlangen. Und: welche Feindbilder werden als negative Gegenidentifikation angeboten, den Enttäuschten und Gedemütigten vorgeworfen: durch die Medien, durch die Politik selbst, durch die Ökonomie und die Militarisierung und Verrohung des Alltags. Wie verhält sich die Psychologie zu diesen Veränderungen, Entwicklungen und Folgen. Nimmt sie diese überhaupt wahr, ist sie in der Lage, Antworten zu geben oder auch nur erst zu suchen, die diesen Bedrohungen und Realitäten einigermaßen gewachsen sind. In welchen Widersprüchen befinden sich die praktisch arbeitenden Psychologinnen und Psychologen? Sind die psychologischen Einrichtungen, Institutionen, Arbeitsmittel, Aufgabenstellungen, Arbeitsplatzbeschreibungen in der Lage, offen genug, solche notwendigen Antworten zu finden (oder schränken sie die Möglichkeit eher ein), welche Alternativen zur bisherigen Praxis, Haltung, Arbeit der Psychologie gibt es, sind zu entwickeln und durchsetzbar, können kritische Haltungen in der Praxis bewahrt, vertreten werden, kritische Inhalte umgesetzt werden.
Die Tagung wendet sich an praktisch arbeitende Psychologinnen und Psychologen in unterschiedlichen Arbeitsfeldern, an Mitglieder unterschiedlicher Berufsgruppen der psychosozialen Arbeit, an Studierende, Forschende und Lehrende der Psychologie und ihrer Nachbardisziplinen, sowie an Ausbildungskandidatinnen und Ausbildungskandidaten.