In diesem Beitrag werden kinderrechtspolitische Hintergründe und forschungslogische Überlegungen eines Praxisforschungsprojekts skizziert. Ziel des Projekts ist es, zu einem empirisch fundierten Verständnis kommunikativer Schwierigkeiten in der Beratungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen zu gelangen und Anregungen und Konzepte zur Veränderung der bestehenden Gesprächspraxis in diesem Feld zu entwickeln, damit der Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention nicht nur programmatische oder moralische Haltung bleibt. Vorgestellt wird das Konzept der Fokussierungspositionen. Es findet Verwendung für mikroanalytische Untersuchungen von Beratungsgesprächen institutioneller Settings und dient sowohl dem empirisch-analytischen Zugang zu Konstitutionsprozessen kommunikativer Beteiligungsweisen als auch der Ausbildung einer praxisreflexiven und kinderrechtsbasierten Gesprächshaltung von pädagogischen und therapeutischen Fachkräften.
Schüsselwörter: Mikroanalyse, Beratung- und Therapie für Kinder, kinderrechtsbasierte Forschung und Praxis, praxisreflexives Untersuchungsmodell
Keywords: microanalysis, child therapy and counselling, children’s rights based research and practice, practice-reflexive model
This article outlines the political background to children’s rights as well as research-oriented reflections on a practice research project. The goal of the project is to achieve an empirically grounded understanding of communicative difficulties, and to develop suggestions and concepts for changing the existing counseling processes in this field so that Article 12 of the UN Convention on the Rights of the Child does not remain only a programmatic or moral stance. The concept of focus positions is presented. It can be used for a microanalysis of counseling processes between professionals and children/young people in a variety of institutional settings, and serves to provide empirical and analytical access to the constitutional processes of communicative participation methods as well as to provide education for professionals in pedagogy and therapy in a form of counseling that is practice-reflexive and based on children’s rights.
Schüsselwörter: Mikroanalyse, Beratung- und Therapie für Kinder, kinderrechtsbasierte Forschung und Praxis, praxisreflexives Untersuchungsmodell
Keywords: microanalysis, child therapy and counselling, children’s rights based research and practice, practice-reflexive model
Beratung und Therapie sind grundlegend an Kommunikation, Interaktion und Sprache gebunden – eine Feststellung, die zunächst selbstverständlich erscheint.
Relativiert wird dies jedoch durch eine Bestandsaufnahme zur Forschung im deutschsprachigen Raum (Frommer/Lange 2010): Vor allem die kommunikative Verständigung zwischen Berater_innen und Adressat_innen, der konkrete sprachlich-interaktive Austausch in Beratungskonzepten, wurde über Jahrzehnte in der Therapie- und Beratungsforschung wie auch in der alltäglichen Praxis vernachlässigt und nicht systematisch reflektiert (ebd.).
Beiträge zur gründlichen Erforschung der Gesprächspraktiken und Interaktionsstrukturen in Beratungs- und Therapiesettings finden sich in einigen wenigen – nicht zum Mainstream der Beratungsforschung zuordenbaren Forschungskontexten (Buchholz/Streeck 1999; Boothe 1994; Grothe 2008; Reitemeier 2006; Peräkylä et al. 2008).
Wenig beachtet wurden im deutschsprachigen Raum aber v.a. Forschungen zur Performanz, der konkreten Inszenierung sprachlicher (Beratungs)Handlungen mit Kindern in institutionellen Praxissfeldern, die einen interpretativen und handlungswirksamen Umgang mit intergenerationeller Differenz, also der empirisch-kommunikativen Konstitution von »Kindsein« im Kontext intersubjektiver Verstehensorganisation und Identitätszuweisungen untersuchen. Solche Forschungszugänge werden in der neuen und kontextuellen Kindheits- und Kinderforschung (Højholt 2012) im Zuge der Dekonstruktion von gesellschaftlichen Kindheits- und Kinderkonzepten – insbesondere für die Selbstbeforschung der im Umgang mit Kindern beteiligten Disziplinen über ihre eigenen interaktiven Konstruktionspraktiken und Sinnsetzungen (Honig 2011) dringend gefordert.
Der Grund für eine entstandene Forschungslücke ist u.a. in der traditionellen behavioral-experimentellen entwicklungspsychologischen und sozialisationstheoretischen Wissensbildung »über« Kinder mit dem Zwecke der Verallgemeinerung zu sehen, in der Kinder in ihren normativen und universellen Entwicklungsaufgaben und -phasen als Objekte von Bildung und »Objekte der Sorge« (Bühler-Niederberger 2010; Holzkamp 1995) konnotiert werden. Damit stehen Kinder als sozialisatorische Objekte des Werdens unter einer normativen und essenzialisierenden Beobachtungs-, Bewertungs- und Entwicklungszielperspektive. Qualitative Forschungspositionen kritisieren an dieser Perspektive, dass sie durch gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse – einseitig konstruierte Abhängigkeitspositionen in der generationalen Ordnungsmacht von Erwachsenen gegenüber Kindern – und durch eine »adultzentrische« defizitäre Perspektive geprägt sind (Mey 2001). Mit dieser Bewertung aus der Erwachsenenperspektive besteht die Gefahr, dass die kindliche Verschiedenheit zur Erwachsenengeneration stillschweigend am Erwachsenenstandard gemessen, als defizitär erlebt und beschrieben wird (Mey 2003; Holzkamp 1995).
Erst in den frühen 1990er-Jahren begann ein zaghafter Paradigmenwechsel, der inspiriert durch die Childhood Studies aus Skandinavien und UK eine neue soziologische und erziehungswissenschaftliche Kindheits- und Kinderforschung in Deutschland begründete. Es entwickelte sich zunehmend eine (Forschungs‑)Perspektive, in der Kinder als eigenständig handelnde und sich die Welt in sozialer Interaktion aneignende Akteur_innen im Hier und Jetzt als »Seiende« und nicht als »Werdende« angesehen werden. Der Blick begann sich zunehmend von der universalistischen experimentellen Wissensbildung »über« Kinder hin zum »empirischen« Kind in konkreten Lebenssituationen des Alltags zu wenden. Verbunden ist damit der Anspruch, jene kulturellen und wissenschaftlich tradierten Konstruktionen zu verabschieden, die Kinder als sich auf die Zukunft hin entwickelnde »Werdende« ansehen.
»Zentrales Anliegen soziologischer Kindheitsforschung ist es, eine erwachsenenzentrierte und zukunftsbezogene Sichtweise auf Kindheit zu verabschieden und Kinder zu befreien aus den Interpretationen, Rollenzuweisungen und Zukunfts- sprich Entwicklungswünschen ihrer pädagogischen Lehrmeister. Stattdessen rückt das Kind als eigenständig handelndes Subjekt in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.« (Herzberg 2003, S. 37)
Das Forschungsprojekt »Beteiligung und Befähigung von Kindern im Beratungsprozess« (kurz: BeKinBera)[2] geht verstehenstheoretisch der Frage nach, wie jene programmatischen Forderungen sich in den Mikropraktiken professionellen Beratungshandelns mit Kindern konsitutionslogisch realisiert. So selbstverständlich, wie das Sprechen mit Kindern im professionellen Alltag ist, wird die Verständigung zugleich aber auch aufgrund fähigkeitsakzentuierender Defizitannahmen im Horizont eines historisch-kulturell geformten »Bild vom Kind« problematisiert. Demzufolge kapriziert sich – so Delfos (2000/2013) – die Forschung über die Kommunikation zwischen Kindern und Erwachsenen immer noch zu sehr auf den Unterschied zwischen der erwachsenbezogenen Kommunikation und der »noch nicht ausgereiften« Kommunikation von Kindern und den daraus entstehenden Verständigungsproblematiken – für die Erwachsenen. Aus kinderrechtsorientierter Perspektive, die sich um gleichberechtigte Verständigungsverhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern stark macht, geht es aber um die Förderung und Anerkennung der spezifischen Ausdrucksmittel und -fähigkeit von Kindern und der Befähigung von Erwachsenen, sich auf die Orientierungsrelevanzen und Bedeutungszuschreibungen von Kindern einzulassen. Letzteres bildete einen Ausgangspunkt und eine Untersuchungsposition unseres gesprächsanalytischen Forschungsprojektes, das in der neuen Kindheits- und Kinderforschung eingebettet ist (vgl. u.a. Højholt 2012; Honig 2011; Herzberg 2003).
Insbesondere in der traditionellen entwicklungspsychologischen Forschung wie auch in der sich an diesen Wissensordnungen über Kinder orientierten professionellen Praxis wird an vielen Stellen deutlich, wie wenig kinderrechtsorientierte Denkansätze verfolgt und umgesetzt werden. Seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention 1989 mit dem darin verankerten »Achtungsanspruch« wird v.a. die mangelhafte Umsetzung des im Art. 12 kodifizierten Rechts auf »Gehörtwerden«, das sich auf die gesamte gesellschaftliche Lebenspraxis (Familie, pädagogische und juristische Institutionen, Kinderschutz, Politik) bezieht, kritisiert. Gerison Lansdown, eine u.a. für UNICEF arbeitende Kindheitsforscherin aus United Kingdom, resümiert in ihrer ausführlichen Expertise über die Umsetzung des Beteiligungsrechtes der UN-Kinderrechtskonvention: »The provision that children have a right to express their views and have them taken seriously in accordance with their age and maturity – has proved one of the most challenging to implement« (Lansdown 2011, S. vi).
Auch das Bundesjugendkuratorium sieht noch immer eine enorme Kluft zwischen Anspruch bzw. Absichtserklärungen und der Partizipationswirklichkeit von Kindern (BJK 2009, S. 4):
»Die Grenzen der Partizipation sind weniger bei den Kindern und Jugendlichen als vielmehr bei den Erwachsenen zu suchen. Der Umgang mit den Beteiligungsrechten und -chancen von Kindern und Jugendlichen drückt vorherrschende Kindheits- und Jugendbilder in einer Gesellschaft aus. Werden Kinder und Jugendliche primär als unfertige, sich in Entwicklung befindliche Wesen betrachtet, die erst in die Gesellschaft hineinwachsen müssen, wird Partizipation als etwas wenig Bedeutsames, Punktuelles und als eine durch wohlwollende Handlungen von Erwachsenen zu gewährende ›Belohnung‹ betrachtet. Werden Kinder und Jugendliche dagegen als vollwertige und grundsätzlich handlungsfähige Mitglieder einer Gesellschaft gesehen, die generell über dieselben Rechte wie Erwachsene verfügen, dann wird die Einräumung von Partizipationsrechten als eine systematische und kontinuierlich zu beachtende Dimension im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen anerkannt.« (ebd., S. 10f.)
In seiner qualitativ und quantitativ angelegten Studie über »Partizipation von Kindern in Beratung und Therapie« kommt Lenz (2001) nach Interpretation von 100 Kinderinterviews u.a. zu dem Befund, dass in der Beratungspraxis der Erziehungsberatungsstellen immer noch erwachsenenorientierte Diskursformen dominieren und Kinder in ihren Ausdrucksformen und Kommunikationsmöglichkeiten organisationsstrukturell wie auch in konkreten Beratungsinteraktionen vernachlässigt werden (ebd., S. 85). 78% der befragten Kinder äußerten sich nicht zufrieden über das traditionell familienorientierte Setting in der Beratung, da sie sich nicht genügend gesehen und verstanden fühlten (ebd.). In diesen familienzentrierten und erwachsenendominanten Settings würden die Relevanzen der Kinder zu wenig berücksichtigt, so Lenz (ebd.), ihre Autonomie und Eigenständigkeit würden nicht akzeptiert. Selbst Weiterentwicklungen und Konzeptualisierungen familientherapeutischer Modelle zeigten weder auf theoretischer noch praktischer Ebene weiterführende Diskussionen über die Rolle und die Bedeutung von Kindern im Beratungssetting und über mögliche Formen ihrer Einbeziehung und das konkrete Vorgehen (ebd., S. 129).
Hutchby (2007) betont in einer der wenigen konversationsanalytischen Studien im Bereich Kinderberatung »The discourse of child counselling«, dass bei einer sich auf die Interaktion zwischen Erwachsenen und Kindern beziehenden Gesprächsforschung im Kern zu analysieren sei, wie sich die unterschiedlichen thematischen Relevanzen und moralischen Überzeugungen, was richtig und falsch ist, auf die Beteiligung beider Akteur_innen auswirke und wie sich dies im konkreten Sprechen offenbart:
»This developmental emphasis has meant that sociolinguistic research has tended to restrict itself to studying children in interaction with adults […]. Such an emphasis […] can result in a downplaying of children’s skills verbal communication […]. One of the key themes to be drawn out in relation to such settings is the way in which differing agendas – and in many ways, differing moral imperatives – can inform the participation of adults and children, and how that can be revealed through a focus on talk.” (ebd., S. 11f.)
Aufgrund dieses bestehenden Mangels an kinderrechtsorientierter Bewusstseinsbildung in Psychologie und Pädagogik, wie in den sich daran anknüpfenden Realisierungsformaten von Therapie- und Beratungspraxen, fehlt bisher eine gesprächsanalytische Forschung über die Mikropraktiken im beruflichen Alltag (Liebel 2013). Die Umsetzung eines geforderten kinderrechtsorientierten Bewusstseins geschieht zwar im staatlichen Schutz kindbezogener Gesetzgebung, aber v.a. auch im sozialen Nahraum – und damit im alltäglichen sozialen Miteinander und kommunikativen Austausch.
Eine kinderrechtsorientierte Gesprächsforschung geht paradigmatisch von einer Verstehens- und Handlungsfähigkeit von Kindern aus. Ein solches Grundverständnis fordert im Kontext von Beratung und Therapie dazu auf, Mikropraktiken danach zu beobachten,
wie sich die konkreten Beteiligungspraxis von Kindern realisiert,
wie die kommunikativen Herstellung des Rederechts wechselseitig hergestellt wird,
wie die Herstellung von Transparenz sichergestellt wird,
wie sich eine Dominanz von Themensetzungen herstellt oder verhindert wird,
wie sich eine expertokratische Deutungshoheit auf den Beratungsprozess auswirkt,
damit Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention nicht nur programmatische oder moralische Haltung bleibt. Ins Blickfeld gerät damit das wechselseitige »sprechende Tun« zwischen Erwachsenen/Fachkräften und Kindern, das durch die Kommunikationsweise jene selbstverständlichen institutionellen Gesprächshandlungen hervorbringt. Insofern ist eine Forschung darüber wichtig, was wir – in Anlehnung an Austin (1962: »How to do things with words«) – gegenüber anderen mit Worten tun (Kuch/Herrmann 2007). Darüber hinaus sind Beratungssituationen mit Kindern in Anlehnung an die empirische Analyse von Gruppendiskussionen mit Kindern von Przyborski und Wohlrab-Sahr (2009, S. 119) als eine Verschränkung von Kinder- und Erwachsenendiskursen zu analysieren, mittels derer die Akteur_innen im relationalen Bezug auf beide Diskursformen eine gemeinsame soziale Wirklichkeit im Gesprächsverlauf herstellen (Hausendorf/Quasthoff 1996).
Eine systematische Rekonstruktion über die Beteiligung von Kindern im Beratungsprozess muss partikulare Bedingungen im Anspruch einer kontextualisierenden – im Gegensatz zu einer auf Universalität zielenden – Kinderforschung berücksichtigen (Højholt 2012). Mit dieser Forschungsperspektive versuchen wir im Forschungsprojekt »Beteiligung und Befähigung von Kindern im Beratungsprozess« (kurz: BeKinBera) zu verstehen, wie Kinder sich im Dialog mit Erwachsenen und Fachkräften in ihrer je eigenen Art und in Bewältigung ihrer sozialen Situation in Beziehung setzen und aktiv (mit)gestalten. In den Blick genommen wird dabei, wie die situative Weise der Beteiligung von Kindern durch den kommunikativen Akt des Positioniertwerdens als »Kind« interaktiv erzeugt wird und wie sich Kinder wiederum in einem relationalen Bezug zur Positionierungsaktivität der Erwachsenen selbst aktiv mittels Gesprächsaktivitäten versuchen, selbst zu positionieren, um »Gehör zu finden«. Ein Beispiel für die Erarbeitung solcher gesprächsanalytischer Befunde ist in Kapitel 4 dieses Artikels dargestellt.
Die Untersuchungsinteressen des Forschungsprojekts BeKinBera zielen nicht auf universelle Erkenntnisse über Verhalten von Kindern, sondern auf situationsgebundenes Beteiligungsverhalten von Kindern in Beratungsprozessen und auf die kommunikativen Voraussetzungen, unter denen sich ihre Beteiligung im Sinne der grundsätzlichen Achtungsansprüche und Partizipationsrechte der UN-Kinderrechtskonvention gestalten lässt.
In einer fallrekonstruktiven und situationsanalytischen Ausrichtung werden mittels ethnografisch gerahmter mikroskopischer Gesprächsanalysen einzelne Gesprächsaktivitäten in ihrer Zug-um-Zug-Folge und im Hinblick auf die sich daraus ergebenden interaktiven Gesprächsergebnisse genau untersucht. Es geht dabei nicht um eine Bewertung professionellen Handelns, sondern um ein Verständnis der interaktiv entstehenden sozialen Wirklichkeit über das Sprechen.
Wir folgen in unserem Forschungsprojekt einer gesprächsanalytischen Richtung, die Kommunikationsereignisse in ihren sozialweltlichen Einbettungen untersucht und ethnografisches Wissen in den Analyseprozess mit einbezieht (vgl. Deppermann 2000; Reitemeier 2006).
Die Verfolgung dieses Forschungsinteresses setzt enge Kooperationen mit pädagogischer und psychosozialer Praxis voraus, fordert aber auch Arbeits- und Vermittlungsformen, die Einsichten über Erzeugungsprozesse kommunikativer Wirklichkeiten in die Praxis transferieren können. Im Folgenden stellen wir kurz die Untersuchungsschritte vor, in denen wir die in Zusammenarbeit mit pädagogischen, psychosozialen, sozialen und therapeutischen Einrichtungen gewonnenen Gesprächsmaterialien auswerten, und zeigen, wie wir für den Dialog mit der Praxis zu einer Vermittlungsform der datenbasierten Praxisreflexion gelangt sind.
In einer ersten Analyseeinheit sichteten wir die in verschiedenen psychosozialen Settings aufgezeichneten Beratungssituationen nach dem in qualitativer Forschung üblichen Prinzip der Offenheit, um zu registrieren, welche interaktiven Phänomene sich uns in den Daten »zeigen«. So gelangten wir zu einer Fülle interaktiver Phänomene, die v.a. zu praxiskritischen Kommentaren anregten, da es sich größtenteils um Belege für erwachsenenzentrierte Interaktionsgestaltung handelte. Anschließend ging es um die genaue Erfassung, wie Erwachsenenzentrierung sich in kommunikativen Prozessen vermittelt, für Kinder erfahrbar wird und welche relationalen Aktivitäten und Beteiligungsweisen sie aufseiten der Kinder hervorruft. In dieser Phase der Datensichtung achteten wir z.B. darauf, wo und wie die Weichen für kommunikative Beteiligungsweisen der Kinder gestellt werden, wie sie tatsächlich zu Wort kommen, wie ihnen zugehört wird, wie ihre initiativen Handlungen aufgegriffen werden.
Diese Fragestellungen sind im gesprächsanalytischen Untersuchungsansatz verankert und zielen darauf, die interaktive Organisation von Gesprächen und die darin eingelagerten Prozesse sozialer Bedeutungsproduktion zu rekonstruieren. Dazu muss die Zug-um-Zug-Abfolge des kommunikativen Geschehens untersucht werden: die dabei erfolgenden wechselseitigen Bezugnahmen aufeinander, die dabei erwartbar gemachten Anschlusshandlungen wie auch deren Realisierungen (und die wiederum damit relevant gemachten Bedingungen für weitere »nächste Züge« usw.). In solchen Beobachtungen an Gesprächstranskripten konnten wir transparent machen, wie bestimmte Beteiligungskonstellationen interaktiv hervorgebracht werden, und auch, wie die spezifische Beteiligungsweise eines Kindes in der Interaktion mit einer Fachkraft »erzeugt« wird.
Mit Beratungskommunikation befassen wir uns nicht allein in fallrekonstruktiver Erkenntnisabsicht, sondern auch in Einnahme einer rekonstruktiven und selbstreflexiven, an Verbesserung von Beratungs- und Gesprächspraxis der Fachkräfte interessierten Analysehaltung. Wir verfolgen beide Zugänge zur kommunikativen Wirklichkeit der Beratungsarbeit mit Kindern, denn es geht uns um fallrekonstruktive Forschung und um den Transfer von Untersuchungsergebnissen in jene institutionellen Kontexte, in denen die Daten entstanden sind. Unser Ziel ist es, zwischen rekonstruktiver Forschung und rekonstruktiver Praxis mittels qualitativer Forschungszugänge zu vermitteln, sie produktiv aufeinander zu beziehen und diese sowohl im Forschungskontext wie in Praxiszusammenhängen angemessen zu adressieren (Schulze 2015).
Wie erste Erfahrungen im Rahmen von Praxiskooperationen und Fortbildungsveranstaltungen zeigten, ist eine an den gesprächsanalytischen Prinzipien der Sequenzanalyse orientierte Beschäftigung mit Interaktionstranskripten nur begrenzt praktikabel. Denn die Durchführung von Gesprächsanalysen bedeutet eine sehr intensive, systematische und zeitaufwendige Auseinandersetzung anhand des Datenmaterials in Form von Wort-für-Wort- und Zug-um-Zug-Analysen, die in einem von Handlungsdruck charakterisierten Praxisalltag nur schwer zu leisten ist. Zudem sind die für die Praxis relevanten und anwendungsbezogenen Erkenntnisse aus einer einzelfallorientierten Gesprächsanalyse auf einer Metaebene nicht gleich ersichtlich. Dies steht dem verständlichen Interesse von Praktiker_innen gegenüber, aus den Gesprächsanalysen auf eine zugängliche Weise zu lernen, um es in der Praxis anwenden zu können. Da uns der Dialog mit Praktiker_innen und die Rückführung der Ergebnisse in die Praxis aber sehr wichtig sind, haben wir für den Austausch mit der Praxis ein Modell zur Anregung und Wiedergabe von Gesprächsanalysen entwickelt. In Fortbildungsveranstaltungen dient das Modell dazu, die anhand zahlreicher Einzelfallanalysen generierten interaktiven Phänomene im Modus einer Wahrnehmungssensibilisierung zu fokussieren, die aufgrund unserer Forschungsbefunde für Erzeugungsprozesse von Beteiligungskonstellationen und Beteiligungsweisen von Relevanz sind (vgl. Kap. 3). Ermöglicht wird so eine am situativen Geschehen nahe und reflexive Kommunikation über die für den Interaktionsverlauf handlungswirksamen kommunikativen Phänomene, ohne sie in ihrem soziogenetischen Prozesscharakter strikt sequenzanalytisch von Fall zu Fall neu erarbeiten zu müssen. Immer betont bleibt dabei allerdings die Begrenztheit der Wissensgenerierung bzw. die Situiertheit des Wissens (Clarke 2012), die gleichzeitig dazu auffordert, offen für neue Positionen und die daran gebundene Wahrnehmung für neue Phänomene zu sein, um das Eigenleben von Situationen in seiner handlungsmächtigen Entfaltung neu zu betrachten zu können.
Unser »Modell« ist nicht als erklärendes bzw. programmatisches Konzept zu verstehen, sondern besteht einerseits aus der Bezugnahme vorausgehender sensitivierender Konzepte (Blumer 1954; Denzin 1979; z.B. Kinderrechtsorientierung oder psychosoziale Gewalttheorien), die während der Analysearbeit herangezogen wurden, andererseits aus der Generierung neuer sensitivierender Denkfiguren, die im Zuge der Datenauswertung auch immer wieder modifiziert wurden. Die damit eröffneten »Sichtfenster« bzw. Fokussierungspositionen ermöglichen es, innerhalb komplexer Interaktionsverläufe und länger dauernder Kommunikationssituationen situative Konstellationen und das wechselseitige Positionierungsgeschehen zwischen den Beteiligten zu erkennen und ihrem komplexen wechselseitigen Erzeugungsprozess konstitutionslogisch (also nicht subsumtionslogisch) zu beschreiben. Diese »Sichtfenster« lassen sich v.a. für Diskurse mit Praktiker_innen in einem Visualisierungsmodell so anordnen, dass insbesondere die Wirkzusammenhänge zwischen verschiedenen interaktiven Zügen der Akteur_innen in der Gleichzeitigkeit mit simultan laufenden handlungswirksamen Gestaltungsaktivitäten dargestellt werden können. Bei Anwendung auf empirisch eingegrenzte Phänomene der Interaktionsbeteiligung erlaubt das Visualisierungsmodell eine Offenlegung von sog. »Tools«, wie wir jene sprachlich-interaktiven und oftmals auf ein professionelles Vorverständnis zurückführbare »Werkzeuge« und Ressourcen bzw. kommunikative Praktiken nennen, die bei der Hervorbringung interaktiver Phänomene zur Anwendung kommen (vgl. Falldarstellung in Kap. 4.1).
In der weiteren Forschungsarbeit steht die Fortführung von Analysen zur Herstellung kontextspezifischer Beteiligungskonstellationen (zwischen Fachkräften und Kindern) sowie zur kommunikativen Ausgestaltung der jeweiligen Beteiligungsweisen im Vordergrund. Im nächsten Kapitel erläutern wir, wie dabei mittels der verschiedenen Fokussierungspositionen interaktive Phänomene unter die Lupe genommen werden.
Der empirisch-analytischen Frage, wie sich Beteiligung und Befähigung von Kindern im Beratungsprozess faktisch vollzieht (zur Analyse von De-Facto-Handeln in pädagogischen Settings Schmitt 2011), gehen wir mit einem Blick durch bestimmte »Sichtfenster« nach, wodurch wir positionsgebunden spezifische Phänomene fokussieren, unsere Blickrichtung bezeichnen wir deshalb auch als »Fokussierungspositionen«. Sie dienen uns dazu, Fachkraft-Kind-Interaktionen in ihren institutionellen Einbettungsverhältnissen und akteur_innenspezifischen Gesprächsgestaltungsaktivitäten transparent zu machen. Die gewählten Fokussierungspositionen erlauben uns nicht nur eine »funktionale« Analyseperspektive, um kommunikative Aktivitäten als Beitrag zur Herstellung einer bestimmten Interaktionsordnung zu untersuchen, sondern die Fokussierungspositionen sind auch Orientierungskategorien mit Anregungspotenzial für das Beratungshandeln und können als Reflexionsanstöße genutzt werden. Sie lenken den Blick auf kommunikative Züge und damit verknüpfte Gesprächsverläufe auch unter Aspekten »gelungener« oder »weniger gut gelungener« Gestaltung eines therapeutischen oder pädagogischen Arrangements. Die Einnahme der (interaktions)funktionalen Analyseperspektive liefert Einsichten, auf deren Grundlage sich kommunikative Gelingensvoraussetzungen des oben skizzierten Grundrechts auf Beteiligung und Gehörtwerden bestimmen lassen. Diese Erkenntnisse sind Grundlage dafür, in den »normativ« ausgerichteten Diskursen Positionen beziehen zu können. Auf welche prinzipiellen sprachlich-interaktiven Gestaltungsleistungen aus den jeweiligen »Sichtfenstern« geschaut wird und worin deren normative Relevanz für die psychosoziale Arbeit mit Kindern besteht, sei im Folgenden erläutert (Überblick vgl. Abb. 1).
Die empirische Untersuchung, wie Kinder ganz konkret in sprachlichen Gestaltungsprozessen der Beratung oder anderer professioneller Gesprächssituationen beteiligt werden bzw. zur sprachlichen Beteiligung befähigt werden (können), gehört zu den zentralen Anliegen des Forschungsprojektes BeKinBera. Die Fokussierungsposition Beteiligungsidentitäten ist ausgerichtet auf Prozesse des Relevantmachens eigener und fremder sozialer Eigenschaften. Beteiligungsidentitäten stellen die Gesprächspartner_innen gleichermaßen über das Zuschreiben, Annehmen oder auch Abwehren von personalen und statusbezogenen Kategorien auf der Basis von (impliziten) Erwartungsannahmen im Hinblick auf die Gesprächssituation her. Sie ergeben sich aus Rahmenbedingungen wie Setting oder Interpretation des Gesprächsanlasses, aber auch aus den akteur_innenspezifischen Sinnsetzungen und Erwartungsunterstellungen, die dazu führen, sich in einer bestimmten Art und Weise der Gesprächsbeteiligung einzubringen. Aus diesen wechselseitig sich herstellenden und innerhalb der Interaktion auch sich verändernden Identitätsherstellungsleistungen ergeben sich interaktionswirksame Effekte in Bezug auf die Beteiligungsweisen der Akteur_innen.
Wird Interaktion durch dieses »Sichtfenster« analysiert, geht es also v.a. darum zu erfassen, wie die jeweils eigenen und fremden Beteiligungsidentitäten definiert und für die aktuelle Situation relevant gemacht werden, denn daraus ergeben sich Möglichkeiten oder auch Schwierigkeiten für die Ausübung von Beteiligung. Dies wird besonders in der Fachkraft-Kind-Interaktion deutlich, da Fachkräfte in Ausübung ihrer Funktionsrolle häufig Gebrauch machen von spezifischen Vorannahmen über »das Kind« als anthropologisches und entwicklungsbezogenes Konstrukt oder darüber, wie ein Kind vor dem Hintergrund normativer Erwartungen »zu sein hat«. Mit einer solchen Herstellung der Beteiligungsidentität z.B. eines Mädchens, das »oft in Streitsituationen innerhalb ihrer Peergroup gerät« (Fallbeispiel 2 in Tab. 1), liegt dem Gespräch eine interaktionskonstitutive Vorannahme zugrunde. Die Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder sind damit innerhalb dieses Kontextes vorgegeben und eingeschränkt.
Anregungspotenzial für die Beratungspraxis: Die Herstellung von Beteiligungsidentitäten ist für die Fachkraft-Kind-Interaktion von zentraler Bedeutung, da sie die jeweiligen Beteiligungschancen, -aufgaben und -formen weitgehend festlegt. Sie sollte nicht als einseitig von der Fachkraft zu bewerkstelligende Aufgabe (oder als einseitig durchzusetzender Vorgang) gesehen werden, sondern als gemeinsam zu gestaltende interaktive Angelegenheit, die Kindern Aushandlungschancen sowie entsprechende Kompetenzen und Ressourcen zubilligt. Die Beteiligungweisen von Kindern zeigen sich zudem häufig nicht über verbale Beiträge, sondern auch in Form von Steuerungsaktivitäten, die außerhalb des gesprochenen Dialogs liegen – auch dafür gilt es, Sensibilität zu entwickeln.
Von diesem »Sichtfenster« aus betrachten wir, ob und wie rahmendefinierende Konstituenten für die Kinder in einer Gesprächssituation transparent gemacht werden oder ob sie implizit bleiben. Dies kann z.B. der bildungspolitische Arbeitsauftrag einer Kindertagesstätte, das institutionelle Setting eines Frauenhauses oder die professionelle Zuständigkeit für vortypisierte Probleme in Therapiesituationen sein. In der Analyse des Datenmaterials zeigte sich, welche Auswirkungen bei Gesprächen innerhalb eines professionellen Kontextes jene situationsübergreifenden Orientierungsrelevanzen wie z.B. die Annahmen über nationale und ethnisierte Konstruktion von Zugehörigkeitsdifferenzen (Schulze et al. i.Dr.) oder therapeutische/pädagogische Zielorientierungen wie Schutz oder Hilfe und auftragsbezogene Problematisierungsaktivitäten »Verhaltensänderung« oder »Informationsgewinnung« (vgl. Fallbeispiel in Kap. 4.1) haben. Die Auswirkung eines diesbezüglich transparenten bzw. nicht-transparenten Umgangs mit diesen Vorannahmen wird durch die Fokussierungsposition Transparenzherstellung analytisch verfolgt.
Anregungspotenzial für die Beratungspraxis: Aufgrund ihrer Definitionsmacht bezüglich der o.g. Aspekte sowie relevanter Interaktionsziele tragen Fachkräfte eine große Verantwortung für die Herstellung von Transparenz beim Bearbeiten von Gesprächsanlässen. Der Grad an Transparenz ist folgenreich für Beteiligungskonstellationen generell und – so unser Forschungsbefund – v.a. für Beteiligungsweisen von Kindern. In pädagogischen, therapeutischen und anderen institutionellen Settings ist eine Transparenz der Gesamtsituation sowie innerhalb der Handlungspläne und -abläufe eine Voraussetzung für eine mögliche Beteiligung von Kindern. Sie ist konstitutiv für die Schaffung von Orientierungssicherheit und Vertrauensbildung durch situationsunmittelbare Erfahrungen: »Die Fachkraft/die erwachsende Person meint es ehrlich mit mir, bei dem, was hier geschieht, gibt es nichts Hintergründiges«. Ein mit Kindern kooperativer, auf Augenhöhe geführter Dialog erfordert für die Kinder fühlbare Transparenz. Diese kinderrechtsorientierte Handlungspraxis sollte von den Fachkräften als besondere, ihnen obliegende Interaktionsaufgabe begriffen und bewusst angestrebt werden.
Prozesse der Verstehensorganisation nachzuverfolgen heißt, darauf zu schauen, wie aus den gemeinsam geteilten Wissensbeständen und den jeweiligen Interpretationsperspektiven der Gesprächspartner_innen ein gemeinsames Interaktionsfundament geschaffen wird (Deppermann et al. 2010). Unser Blick richtet sich hier v.a. auf den Aspekt des Verstehens und des Verstandenwerdens, ein wesentliches und fortlaufendes Bemühen in jeglichen interaktiven Prozessen. Aus der Perspektive des »Sichtfensters« Verstehensorganisation fokussieren wir damit einerseits interaktive Vorgänge, mit denen zum Ausdruck gebracht wird »verstehen zu wollen« oder »sich verstanden zu fühlen«, andererseits solche, in denen diese Aspekte misslingen oder auch ausdrücklich »gefordert« werden (zur Unterscheidung von angezeigtem und beanspruchtem Verstehen vgl. Sacks 1970/1992). Der Versuch, intersubjektives Verstehen, also ein gemeinsames Verständnis herzustellen, ist ein in jedem Zug von Kommunikation permanent mitlaufender Prozess.
Anregungspotenzial für die Beratungspraxis: Für die Praxis bedeutet dies, Sensibilität für diese Prozesse zu entwickeln und ihnen Raum zu geben, denn wenn »Verstehen« explizit beansprucht werden muss, wenn Verstehenssicherung aufwendig bearbeitet werden muss, haben wir es mit Beteiligungsformen des »Nicht-richtig-verstanden-worden-Seins« und des »Richtig-verstanden-werden-Wollens« zu tun, und dies wird dann zum gesprächsbestimmenden Thema. In der Interaktion von Erwachsenen/Fachkräften mit Kindern erschweren oft intergenerationelle Wissens- und Perspektivendivergenzen die Verstehensorganisation. In pädagogischen Settings sollten Fachkräfte darauf bedacht sein, mit Kindern gemeinsam Schritt für Schritt einen Verstehensprozess im dialogischen Austausch – und in ständiger Rückkopplung (Vygotskij 1934/2002; Schulze 2014) – zu gestalten und sich selbst und das Kind zu fragen, was und wodurch Schwierigkeiten auf beiden Seiten entstehen können, sich verstehbar zu machen.
Der Blick auf das interaktive Geschehen ist hier darauf gerichtet, wie Identitäten unter Moral- und Face-Gesichtspunkten anerkannt werden oder auf dem Spiel stehen (zur Analyse von Interaktionsprozessen unter Moralgesichtspunkten Bergmann/Luckmann 1999; unter Face-Gesichtspunkten Goffman 1967/1971). Züge, bei denen Moralität bzw. Selbstachtungsbedürfnisse von Kindern auf dem Spiel stehen, sind wichtige Schaltstellen für das Eröffnen oder Verschließen von Gesprächsräumen. Auch vermittelt sich darüber, in welchem Maße die Beteiligungsweise von Kindern als von Machtasymmetrien bestimmt erlebt wird. Das Konzept referiert somit auf die Verständigungsverhältnisse (Braun/Wetzel 2011), in denen sich intergenerationelle Machtasymmetrien im tatsächlichen Sprechen und in eingelagerten Denksystemen gegenüber Kindern widerspiegeln.
Anregungspotenzial für die Beratungspraxis: Über die Anerkennung ihrer jeweiligen Beteiligungsweisen am Interaktionsprozess erfahren Kinder ein Ernstgenommen-Werden und das Respektieren ihrer Beiträge und ihrer Interaktionsmodalitäten (z.B. Ernsthaftigkeit, Spiel), die sie in die Gesprächssituation einbringen oder präferieren. Nur wenn ihre Interaktionsbeiträge als wertvoll, passend, anregend usw. gewürdigt, in ihrem Relevanz- und Interpretationsrahmen verstanden und als Input für das weitere Geschehen aufgegriffen und verarbeitet werden, können Kinder sich selbst als anerkennungswürdige Individuen erfahren.
Diese Fokussierungsposition ist gerichtet auf kommunikative Formen und sprachlich-interaktive Mittel, in denen sich Beteiligung des Kindes sprachlich realisiert, in denen sich also kommunikative Mitwirkungsbereitschaft zeigt und kommunikative Präsenz manifestiert. In den Gesprächsaktivitäten, die Kinder vollziehen (oder auch nicht), manifestiert sich ihr Beteiligtsein. Ob Beteiligte nun ein starkes oder schwaches Gesprächsengagement zeigen: Ihre Beteiligungsweise ist symptomatisch für ihre situative Identitätsverfassung und ihre Haltungen zur aktuellen Situation. Darin wird narrative Identitätsarbeit (Lucius-Hoene/Deppermann 2002) geleistet, indem Kinder in Form erfahrungsnaher Erzählungen und impliziter wie expliziter Bedeutungszuschreibungen und eigener Begriffssysteme ihre Sicht auf ihre lebensweltliche Erfahrung außerhalb der Situation wie auch auf die konkrete Interaktionssituation äußern.
Anregungspotenzial für die Beratungspraxis: Um hierfür Ermöglichungsbedingungen zu schaffen, sollten Gesprächsaktivitäten in Form einer Prozesskompetenz in der psychosozialen Beratungsarbeit mit Kindern bewusst darauf zielen, eine Befähigung von Kindern zum Sprechen mit ihren eigenen Worten dialogisch zu unterstützen. Eingebettet in Vygotskijs tätigkeitsorientierte Entwicklungspsychologie lässt sich dies durch seine forschungsbasierten Ausführungen u.a. in seinem Werk »Sprechen und Denken« (1934/2002) rahmentheoretisch über die Gesprächsanalyse hinausgehend begründen. Überzeugend stellt er dar, wie sich Bewusstseinsbildung und kognitive Bildungsprozesse über das Sprechen vollziehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass wir uns an den Begrifflichkeiten der Kinder orientieren müssen und diese nicht in ein erwachsenes Kognitionsmodell übertragen sollten. Vielmehr steht die gemeinsame Suche nach Bedeutung der Begrifflichkeiten für die Kinder und nach den kindbezogenen Orientierungsrelevanzen im Mittelpunkt. Unterstützend wirken hier Fragen, die auf erfahrungsnahe Erzählungen hinwirken und die Kinder in der Äußerung ihrer bedeutungsgebenden sprachlichen Kompetenz(bildung) unterstützten. Mit Kindern selbst kann darüber gesprochen werden, welche kommunikativen Mittel (welche Fragen, welche Bedingungen) für sie »gut« und »hilfreich« sind. Das Gesprächsengagement eines Kindes – in ausgedehnten oder aber in selbstbeschränkenden Formen der Gesprächsbeteiligung (vgl. Fallbeispiel in Kap. 4.1) – enthält Hinweise auf emotionale Verfasstheit, Kooperationswilligkeit, Bereitschaft bzw. die Ermöglichungsbedingung, in der Situationen »handlungsmächtig« zu agieren. All diese Hinweise, die das Kind über sich und seine Situationsinterpretationen äußert, sollte als situative Orientierungsrelevanz aufgegriffen werden, im Verständnis, dass sich hier eine eigene kommunikative Beteiligungsaktivität zeigt.
Die Untersuchung von Beteiligungskonstellationen und -weisen erfolgt im BeKinBera-Projekt, indem bei der Durchsicht von Interaktionstranskripten zunächst »hervorstechende« Gesprächsaktivitäten und daraus entstehende Handlungsverkettungen erfasst werden. Dabei handelt es sich um interaktive Phänomene, die wir (a) in Kenntnis institutioneller Kontexte und sozialer Ausgangsbedingungen der Gesprächssituation sowie (b) vor dem Hintergrund der in Kapitel 1 aufgezeigten UN-Kinderrechtskonvention als notizwürdige Ereignisse registrieren. Es sind also kürzere Passagen und kleinräumige Interaktionsabschnitte, an denen wir Beteiligungskonstellationen und Ausgestaltungsweisen kindlicher Beteiligung detailliert untersuchen, nicht der Gesamtverlauf aufgezeichneter Situationen. Bevor wir dies exemplarisch aufzeigen, seien zunächst die Beratungssettings vorgestellt, aus denen die bisher vorliegenden Aufnahmen stammen. Zur Verdeutlichung der Resultate, zu denen die Durchsicht der Transkripte auf notizwürdige interaktive Phänomen führt, sei außerdem jeweils ein relevantes Phänomen aus den betreffenden Settings genannt (vgl. Tab. 1).[3]
Welche Rolle aber spielen die oben erläuterten Fokussierungspositionen bei der Beschäftigung mit diesen und anderen interaktiven Phänomenen? Wie bereits erwähnt, flossen in die Entwicklung der Fokussierungspositionen Erfahrungen aus psychosozialer Arbeit sowie praxiskritische Orientierungen ein, aber auch detaillierte sequenzanalytische Untersuchungen faktischer Gesprächsverläufe. Praktiker_innen nutzen die Fokussierungspositionen, primär aus didaktischen Gründen, für die abkürzende Hinführung auf interaktive Phänomene, die sie selbst erkunden können, sowie auf Phänomene, die zum Gegenstand von Praxisreflexionen werden sollen. Das heißt aber keineswegs, dass auch die wissenschaftliche Analyse der Gesprächsdaten in »abkürzender« Weise erfolgt. Schließlich handelt es sich bei den Fokussierungspositionen nicht um Bestandteile eines Kategorienschemas, das deduktionistisch anzuwenden wäre. Wie mit einer sequenzanalytischen Rekonstruktion von Gesprächsverläufen Einsichten in die Herstellung von Beteiligungskonstellationen und damit korrespondierende Beteiligungsweisen von Kindern gewonnen werden, sei im Folgenden am Beispiel des interaktiven Phänomens aus dem Fall 1 (Übersicht Tab. 1) gezeigt. Daran anschließend erfolgt eine Visualisierung kommunikativer Wirkzusammenhänge dieses Fallbeispiels, wie sie für den Dialog mit der Praxis eingesetzt und auch gemeinsam mit Praktiker_innen erarbeitet werden kann.
Im Folgenden wird ein als auffällig registriertes Interaktionssegment eines Gesprächs aus dem Forschungsprojekt BeKinBera analysiert. Die genaue Äußerungsabfolge lässt sich der strikt sequenziellen Beschreibung des Gesprächsverlaufs entnehmen (vgl. Zeilenangaben). Aufgezeigt wird, wie sich die Beteiligungskonstellation des Bedrängens in der Zug-um-Zug-Abfolge realisiert und wie dabei die Beteiligungsweise des Kindes strukturiert wird.
Im Gesprächsabschnitt wiederholt sich, was Frau Müller (Name geändert), psychosoziale Fachkraft in einem Frauenhaus, zuvor schon mehrfach versucht hat, nämlich, Lars (Name geändert) zum Konflikt zwischen seinen Eltern zu befragen. Da Frau Müller hierauf insistiert, ist dieser erneute Thematisierungsversuch als ein Bedrängen des Kindes zu sehen: Es wird eine Beteiligungskonstellation mit hoher Reaktions- bzw. Antwortverpflichtung für das Kind geschaffen. Dabei ist sich die Initiatorin (Frau Müller) aber bewusst, dass sie den Adressaten (den sechsjährigen Lars) mit einem Thema konfrontiert, zu dem er nur ungern Stellung nimmt.
Lars wird – einen neuen thematischen Fokus eröffnend – zunächst als Nichtwissender etabliert, und zwar unter Bezug auf sein eigenes vorgängiges »Aussageverhalten« und auch auf das seines Bruders (Sag mal, der Julian und du, ihr habt beide gesagt, ihr wisst gar nicht, warum Mama und Papa gestritten haben; Z. 256). Nach Lars‘ Bestätigung, »nichts zu wissen« (er antwortet mit kurzem ja; Z. 257), meldet Frau Müller Zweifel an der Stimmigkeit bzw. Wahrhaftigkeit des Aussageverhaltens der Brüder an (habt ihr denn das gar nie gehört, dass die sich streiten? Z. 258). Mit diesem Frageformat wird Lars adressiert als Beteiligter, von dem Wissenskompetenzen eines Dabei-Gewesenen, eines Insiders oder Zeugen erwartet werden können. Die Handlungsqualität des Bedrängens entsteht durch Druck auf Lars, sich äußern zu müssen als jemand, der über ganz besonderes Erfahrungswissen verfügt.
Mit einem knappen niemals (Z. 259) bestreitet er seine Zeugenschaft (und die seines Bruders). Frau Müller hakt mit Fragen nach, die sich erneut auf auditive »Zeugenschaft« beziehen (Niemals habt ihr das gehört? Z. 260; Auch nicht in eurem Zimmer? Z. 262). Lars reagiert jeweils mit einem kurzen ja (Z. 261, 263) und weist so die ihm unterstellte Zeugenkompetenz abermals zurück. Daraufhin geht Frau Müller zu einem Frageformat über, das Erklärungshypothesen zu seinem Antwortverhalten enthält (Oder darfst du mir das vielleicht nicht erzählen, oder willst du mir das nicht erzählen? Z. 264). Hier wird deutlich, dass Frau Müller zu einem bestimmten Verständnis seines Verhaltens gelangt ist (»nicht erzählen dürfen/können«). Diese inquisitorisch anmutende Fragesequenz verstärkt den Charakter des Bedrängens. Lars wird positioniert als Beteiligter, der unkooperatives und unaufrichtiges Gesprächsverhalten zu erklären hat. Zugleich macht ihn die dabei anklingende Annahme, er »dürfe« oder »könne« über die Streitigkeiten zwischen seinen Eltern nichts sagen, zu einem Beteiligten, der in elterlichen Untersagungen oder Verboten befangen ist.
Der Junge beharrt darauf, nichts zu erzählen (Ich will nicht; Z. 266), was Frau Müller zur Reformulierung Du willst mir das nicht erzählen? (Z. 268) veranlasst. Nicht zuletzt der darin enthaltene Frageakzent zeigt, dass Frau Müller Lars‘ Gesprächsverhalten für erklärungsbedürftig hält. Seine anhaltende Verweigerung (er reagiert mit kurzem ja; Z. 268) lässt Frau Müller nun nach seinen Beweggründen fragen (Warum möchtest du mir das denn nicht erzählen? Z. 268), was ihm abermals eine Bekräftigung der Erzählverweigerung entlockt (Weil, ich will auch gar nichts erzählen; Z. 269).
Lars wird daraufhin in die Bedrängnis gebracht, entweder Unbehagen bzw. komische Gefühle beim Reden über den Streit zwischen den Eltern einzugestehen (Frau Müller: Ist das doof, wenn man sowas erzählt? Z. 270) oder aber über »unschönes Erleben« reden zu müssen, das er anlässlich der Streitigkeiten zwischen den Eltern hatte (Frau Müller: War das nicht schön, wenn die sich gestritten haben? Z. 270). Lars ratifiziert nun die von Frau Müller angebotene Einordnungskategorie »nicht schön«, quasi in einer Steigerungsform (Das war ein bisschen gar nicht schön; Z. 273), als zutreffend. Es schließt sich eine Reformulierungs- und Bestätigungssequenz dieser Einordnung an (Frau Müller: Das war ein bisschen gar nicht schön. Lars: Das war nicht schön. Frau Müller: Das war nicht schön, wenn die sich gestritten haben; Z. 274-276). In der Reformulierungssequenz hält Frau Müller den Jungen unter Antwortverpflichtung bezüglich des Erlebens von Streitigkeiten zwischen den Eltern. Hierauf aber reagiert Lars nun mit einer Äußerung, die einen ganz anderen Gesprächsgegenstand relevant macht und daher funktional ist für den Ausstieg aus der ihm zugedachten Gesprächsrolle bzw. für die Auflösung des bestehenden kommunikativen Rahmens – er lenkt die gemeinsame Aufmerksamkeit auf die Zeitanzeige des Aufnahmegerätes (Kuck mal, noch zwei Minuten; Z. 277).
Frau Müller quittiert diesen Hinweis mit einem kurz ja (Z. 278) und nimmt dann die Problem markierende Einordnung des Elternkonflikts (war ... nicht schön; Z. 275) wieder auf, um jetzt das Gespräch auf den Bruder zu lenken (Für dich war das nicht schön, wenn die sich gestritten haben, war das für den Julian auch nicht schön? Z. 279). Nachdem Lars sich dazu als nicht kompetent erklärt hat (Ähm, weiß ich gar nicht; Z. 280), fragt Frau Müller nach seinem Wissen über das Erleben der Schwester (Und für die Amelie? Z. 281). Lars Antwort lässt sich entnehmen, dass er auch seinen Geschwistern – hinsichtlich der Vorkommnisse zwischen den Eltern – die pauschale Erfahrungsqualität des »gar nicht schön« zuspricht (War auch gar nicht schön, beide gar nicht, beide auch gar nicht schön; Z. 282). Zwar kommt Lars hier einer Antwortverpflichtung nach, aber ohne dabei wirklich etwas Neues zu sagen oder detaillierter zu werden.
Die dann folgende Frageinitiative von Frau Müller (Und was habt ihr denn gemacht, wenn die sich gestritten haben? Z. 283) fordert gezielt zu einer Erzählhandlung auf: Lars soll wiedergeben, was er und seine Geschwister gemacht haben, wenn die Eltern Streit hatten. Auch hierzu gibt sich Lars als nicht kompetent aus bzw. nicht wissend (Ähm, weiß ich nicht; Z. 284). Frau Müller lässt es darauf nicht beruhen und fragt nach konkreten Verhaltensweisen, indem sie Antwortalternativen anbietet. Deren sprachliche Fassungen zeugen von Frau Müllers Bemühen, Handlungs- und Erlebnisweisen so vorzugeben, wie sie auch aus der Perspektive eines Sechsjährigen formuliert sein könnten (Hast du manchmal geweint, oder hat du dich irgendwo versteckt? Oder hast du mit denen geredet? Oder hast du gesagt »Hör auf, Mama!« oder »Hör auf, Papa!«? Z. 285). Wieder folgt nur ein kurzes nein (Z. 286) – es scheitert also auch der Versuch, Lars zum Sprechen zu bringen durch Benennung konkreter Verhaltensweisen, die in Situationen elterlicher Streitaustragung von Kindern gezeigt werden können.
Mit ihrer nächsten Frage fordert Frau Müller Lars dazu auf, zu benennen oder zu erzählen, was er stattdessen gemacht hat – also statt des Weinens, statt des Versteckens oder des Dazwischen-Gehens (Z. 285). Er antwortet ausweichend und macht wieder Nichtwissen geltend (Weiß ich gar nicht; Z. 288). Die Frage, ob er dieses Situationserleben vergessen habe (Hast du das vergessen? Z. 289), bejaht Lars (Ja; Z. 290). Frau Müllers daran anschließende Fragekette Willst du das auch gerne vergessen? Magst du gar nicht daran denken? (Z. 291) zeigt zwar, dass sie Lars’ Umgang mit dem zur Debatte stehenden Situationsgeschehen (sich nicht erinnern zu wollen oder zu können) durchaus verstehen und erklären kann, sie hält ihn damit aber weiterhin unter Antwortverpflichtung – er soll jetzt Auskunft darüber geben, ob sein »Vergessen« etwas zu tun hat mit einer inneren Haltung zu dem Situationsgeschehen (gerne vergessen) bzw. mit einem Bedürfnis nach Verdrängen von etwas Belastendem (magst du da gar nicht dran denken). Mit den hier zugewiesenen Beteiligungsaufgaben (bzw. den aufgebauten Reaktionsverpflichtungen) geht Lars in ähnlicher Weise um wie schon zuvor: Er entledigt sich ihrer, indem er Nichtwissen geltend macht (Ich weiß das auch gar nicht; Z. 292). Frau Müller reformuliert auch diesen Gesprächsstand nochmals (Du weißt das auch gar nicht; Z. 293), und nachdem Lars diese Reformulierung als zutreffend bestätigt hat (Ja; Z. 294), führt Frau Müller einen Rahmenwechsel bzw. eine Auflockerung der Beteiligungskonstellation mit einem Spielangebot herbei (Ja, dann können wir ja jetzt mal, magst du die Burg bauen, oder magst du was anderes machen? Z. 295).
Durch insistierendes Nachfragen wird hier die Beteiligungsidentität eines Kindes bedrängt: Der Junge ist einer Situation ausgesetzt, in der er über Erlebnisse sprechen soll, über die er nicht sprechen mag oder nicht sprechen kann. Er ergreift zwar eine Initiative zur Veränderung der Situation (Kuck mal, noch zwei Minuten), er kann sich aber nicht wirklich dagegen wehren, dass die Befragungssituation so lange dauert und verhörähnliche Züge annimmt. Durch fortgesetzte – und die Abwehrhaltung des Jungen ignorierende – Ausübung des Fragerechtes seitens der Fachkraft gerät der Junge mehr und mehr in Bedrängnis.
Welche der im Visualierungsmodell genannten (bzw. für die Organisation und Ausgestaltung von Beteiligung wichtigen) interaktiven Vorgänge lassen sich hier in fallspezifischer Ausformung beobachten, und wie entfaltet sich ihr Zusammenspiel? Die Fragetechniken der Fachkraft implizieren hinsichtlich der Gestaltung von Anerkennungsverhältnissen sehr weitgehende interaktionsstrukturelle Effekte. Das Anzweifeln von Glaubwürdigkeit und Vollständigkeit des Antwortverhaltens des Jungen ist funktional für die Herstellung einer besonderen Beteiligungsidentität des Kindes, nämlich der, dass sein bisher gezeigtes Äußerungsverhalten sich nicht deckt mit dem tatsächlichen Wissen, über das das Kind unterstelltermaßen verfügt. Verstehensorganisation ist hier insofern virulent, als Frau Müller die Probleme im Elternhaus als noch nicht richtig verstehbar behandelt und Lars hierfür Verantwortung zuschreibt. Transparenzherstellung kann für diese Situation insoweit konstatiert werden, als die Fachkraft zu Beginn des Gespräches den Zweck der Tonbandaufzeichnung erklärt (»Studierende sollen daraus etwas lernen«) und insoweit, als bei der Themenetablierung darauf verwiesen wird, dass es sich um ein Thema handelt, das Lars und sein Bruder »eingeführt« haben (ihr habt mir jetzt beide gesagt, ihr wisst gar nicht, warum Mama und Papa gestritten haben). Worauf die expandierte Ausübung des Fragerechtes zielt, wird indes nicht weiter transparent gemacht. Im Gesprächsengagement des Jungen ist eine »Präferenz für minimalisierte Antwortformate« bzw. eine »Präferenz für Dethematisierungsstrategien« erkennbar. Diese Präferenzorientierung verweist darauf, dass die thematischen Relevanzen, die die Fachkraft verfolgt, für das Kind identitätsbedrohende Potenziale beinhalten.
Mit folgenden Tools wird das Kind in der analysierten Gesprächssituation bedrängt und in eine stark eingeschränkte Gesprächsbereitschaft manövriert:
Einseitiges Relevantmachen eines Themas (durch eine erwachsene Person bzw. Fachkraft);
Anzweifeln/Überprüfen von Glaubwürdigkeit kindlicher Äußerungen;
Nachfragen zu Themen, zu denen das Gegenüber Nichtwissen bekundet hat;
Befragung mittels Vorgabe von Antwortalternativen;
Einfordern von Erklärungen für fehlende Erzähl- und Kommunikationsbereitschaft;
Übergehen situativer Steuerungsversuche des Gegenübers;
Etablierung des Kindes als Auskunftgeber über Erfahrungen und Erlebnisse anderer;
Übergehen von Antwortverweigerungen.
Ob und wie psychosoziale Arbeit mit Kindern einer kinderrechtsorientierten Gesprächspraxis nahekommt (bzw. wie weit sie davon entfernt ist), lässt sich empirisch klären, indem Beteiligungskonstellationen und kommunikative Beteiligungsweisen in den Mikrostrukturen professioneller Interaktionsprozessen untersucht werden. Einsichten in die Herstellungspraktiken fallspezifischer Beteiligungskonstellationen lassen sich mithilfe der hier vorgestellten Fokussierungspositionen und der darin angelegten Aufmerksamkeit für interaktionsstrukturelle Implikationen von Äußerungen gewinnen. Sie ermöglichen darüber hinaus ein gesprächsanalytisch fundiertes Verständnis kommunikativer Beteiligungsformen von Kindern in Situationen mit Fachkräften. Mit der sequenzanalytischen Rekonstruktion kommunikativen Geschehens werden ferner die »Gesprächswerkzeuge« identifizierbar, mittels derer fallspezifische Beteiligungskonstellationen und -weisen hervorgebracht werden.
Die aus dem Datenkorpus generierten Fokussierungspositionen bieten aus unserer Sicht relevante Anschlussstellen für praxiskritische Beobachtungen, dies wurde im bisherigen Austausch mit Praktiker_Innen im Beratungskontext und in traumapädagogischen Weiterbildungen bereits erprobt und bestätigt (https://www.hs-rm.de/sw/forschung-weiterbildung/weiterbildung/qualifizierung-zumzur-traumapaedagoin-traumafachberaterin). Insbesondere das aus unserer Forschung hervorgegangene Visualisierungsmodell ermöglicht durch die aufeinander beziehbaren Fokussierungspositionen, spezifische Herstellungsprozesse von Beteiligungskonstellationen und Realisierungsweisen kommunikativer Beteiligung als »Beobachtungsmodell« für die Selbstbeforschung professioneller Praxen und praxisreflexive Auseinandersetzungen zu nutzen. Das innovative Potenzial dieses zu didaktischen Zwecken visuell aufbereiteten Beobachtungsmodells liegt darin, Handlungsselbstverständlichkeiten und eingespielte Kommunikationsroutinen der Fachkräfte aus neuen, differenzierenden Positionen heraus zu betrachten und zu hinterfragen, um – so unsere Vision – für eine kinderrechtsorientierte Gesprächs- und Beratungspraxis zu sensibilisieren. Professionelle Kommunikationsroutinen werden mit ihren wirklichkeitskonstruktiven Wirkungen im Kontext ihrer sozialen Voraussetzungen für die Fachkräfte nicht nur beobachtbar sondern in der Folge auch veränderbar gemacht.
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Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit schreiben wir hier und im Folgenden nicht mehr »Kinder/Jugendliche«: Im Sinne der Kinderrechtskonvention ist von »Kindern« die Rede, wenn auch immer Heranwachsende unter 18 Jahren mitgemeint sind.
Das Projekt wurde für 18 Monate mit Mitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst gefördert; weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt unter www.bekinbera.de.
Wir begnügen uns hier mit einer kleinen Auswahl analyserelevanter Phänomene, die sich in den jeweiligen Gesprächsdokumenten finden.