Psychiatrische Forschung ist aktuell vorwiegend in der Psychiatrie als medizinische Fachdisziplin und in der klinischen Psychologie verankert. Hier erfolgt Forschung primär auf Grundlage quantitativer Zugänge, sodass die subjektive Bedeutung von Psychiatrieaufenthalten unbeleuchtet bleibt. Diese qualitativ-rekonstruktive Studie adressiert jenes Desiderat mit der Forschungsfrage, welche Erfahrungen in der Psychiatrie biografische Relevanz entfalten – wobei das daraus resultierende Verhältnis der Betroffenen zur Psychiatrie sowie deren Identitätsentwicklung untersucht werden. Es wurden drei narrative Interviews, die mit Psychiatrieerfahrenen durchgeführt wurden, mit der dokumentarischen Methode ausgewertet. In allen drei Fällen dokumentiert sich, dass das Verhältnis zur Psychiatrie von der Problematik einer Degradierung zum Objekt von Fremdbestimmung – auch in Form von Fremdidentifikationen – geprägt ist, was zu einer (zumindest zeitweiligen) Abwehr der psychiatrischen Intervention führt. Implikationen für die psychiatrische Praxis werden besprochen.
Schüsselwörter: Biografieforschung, narratives Interview, dokumentarische Methode, Identität, psychische Krankheit, Psychiatrie
Keywords: biographical research, narrative interview, documentary method, identity, mental illness, psychiatry
Currently, psychiatric research is mainly conducted in the fields of psychiatry and clinical psychology. In these disciplines, research is based predominantly on quantitative methods, meaning that the subjective relevance of a stay in a psychiatric hospital for the patients is disregarded. This quantitative-reconstructive study addresses this desideratum by posing the question, which experiences during a stay in a psychiatric hospital have biographic relevance - examining both the resulting relationship of the former patients to the psychiatric hospital as well as the development of their identity. Three of the narrative interviews conducted with former patients of a psychiatric hospital were evaluated with the documentary method. According to the analyses, the personal relationship to the psychiatry was, in all three cases, strongly informed by the sense of being degraded by becoming the object of heteronomy - also in the form of identification with the other. This led (at least for some time) to the rejection of the psychiatric intervention. Implications for psychiatric practices are discussed.
Schüsselwörter: Biografieforschung, narratives Interview, dokumentarische Methode, Identität, psychische Krankheit, Psychiatrie
Keywords: biographical research, narrative interview, documentary method, identity, mental illness, psychiatry
Die Fälle stationärer Behandlungen innerhalb der ICD-10-Erkrankungsgruppe »Psychische und Verhaltensstörungen« nahmen von 1994 bis 2008 um beeindruckende 46,4 % zu (Schneider/Falkai/Maier 2011, S. 3). Diese Daten zeigen, dass die Psychiatrie statistisch betrachtet eine zunehmende Rolle innerhalb der Behandlung psychisch Erkrankter einnimmt. Worüber diese Daten keine Auskunft geben können ist, wie diese Rolle ausgefüllt wird. In der vorliegenden qualitativ-rekonstruktiven Studie sollen daher (ehemalige) Patientinnen und Patienten die Möglichkeit bekommen, sich innerhalb ihrer biografischen Erzählung zur Erfahrung eines Psychiatrieaufenthaltes zu äußern.
Anhand der zitierten steigenden Zahlen stationärer Behandlungen wird die gesellschaftliche Relevanz des Themas Psychiatrieaufenthalt bereits deutlich. Zudem weisen die Daten zur (Re‑) Integration psychisch Erkrankter auf eine, mit der Institution Psychiatrie zusammenhängende Problematik hin, die die Relevanz des Themas unterstreicht: »Nach mehreren Jahrzehnten Psychiatriereform ist die soziale Situation von arbeitsfähigen Menschen mit psychischen Erkrankungen von Arbeitslosigkeit, finanzieller Überschuldung und sozialer Isolation« (Becker/Hoffmann/Puschner/Weinmann 2008, S. 19) geprägt. Es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn sich die Bedeutsamkeit des Themas auch in einer blühenden Forschungslandschaft widerspiegeln würde. Dies kann jedoch nur eingeschränkt konstatiert werden. Psychiatrische Themen sind aktuell vorwiegend in der medizinischen Fachdisziplin Psychiatrie und in der klinischen Psychologie verankert. Dort erfolgt psychiatrische Forschung »primär als angewandte Versorgungsforschung, die sich mit dem Wandel der Versorgungsstrukturen sowie mit der Evaluation und Qualitätsentwicklung einzelner Einrichtungen« (Krumm 2010, S. 17) beschäftigt. Das subjektive Erleben ehemaliger Patientinnen und Patienten erhält in dieser Perspektive kaum einen Stellenwert. Im Fokus psychiatrischer Forschungen und Debatten des letzten Jahrzehnts, die teilweise auch das Erleben der Patientinnen und Patienten berücksichtigen, stehen Fragen der Zwangsbehandlung und -maßnahmen in der Psychiatrie (Priebe/Katsakou/Glöckner/Dembinskas/Fiorillo/Karastergiou/Kiejna/Kjellin/Nawka/Raboch/Schuetzwohl/Solomon/Torres-González/Wang/Kallert 2010; Längle/Bayer 2007; Steinert/Schmid 2014). Dabei deutet sich an, dass Patientinnen und Patientin als zentrale Emotionen in der Zwangssituation Wut, Ärger und Verzweiflung empfinden, retrospektiv dann jedoch auch Verständnis (Armgart/Schaub/Hoffmann/Illes/Emons/Jendreyschak/Schramm/Richter/Leßmann/Juckel/Haußleiter 2013). Unbeantwortet bleibt hingegen, was ehemalige Patientinnen und Patienten evtl. über Zwangsbehandlungen hinaus als Zwang und Fremdbestimmung erleben – und welches Verhältnis resp. welche Haltung zur Psychiatrie aus den entsprechenden Erfahrungen resultiert. Dies mag darin begründet liegen, dass den Patientinnen und Patienten in den zitierten Studien nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich innerhalb ihres Relevanzsystems zu äußern, so dass eine tiefere Beleuchtung der mikrosoziologischen Ebene ausbleibt.
Eine Disziplin, die hier anknüpfen und diese Fragen adressieren könnte – die Soziologie –, ist leider »beinahe zur Bedeutungslosigkeit im Bereich der Psychiatrie verkommen« (Richter 2003, S. 11). Dabei existiert durchaus eine Tradition originär soziologischer Ansätze und Untersuchungen zu psychiatrischen Problemstellungen. Die in den 60er und 70er Jahren entstandenen Untersuchungen trugen – vor dem Hintergrund eines allgemeinen Demokratisierungswillens in der Bevölkerung – sogar nicht unerheblich zu sozialpolitischen Reformbestrebungen bei, da in ihrer Folge v.a. das Organisationsmodell der Institution psychiatrische Anstalt unter heftige Kritik geriet. Kritisiert wurden insbesondere die stigmatisierenden Folgen der Aufenthalte für (ehemalige) Patientinnen und Patienten, die teilweise menschenunwürdige Verwahrungssituation sowie die soziale Isolierung der Langzeitpatientinnen und -patienten (Bosshard/Ebert/Lazarus 2007, S. 31). Innerhalb dieser psychiatriesoziologischen Forschung lassen sich drei Forschungsschwerpunkte identifizieren:
Eine Traditionslinie bilden sozialepidemiologische Untersuchungen, worunter standardisierte Ursachenforschung zu verstehen ist (z.B. Faris/Dunham 1939; Hollingshead/Redlich 1958). Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung sozialer Prozesse, die zur Rolle des »psychisch Kranken« führen (Goffman 1961/1981, 1963/2012; Scheff 1966/1980). Die jüngste Traditionslinie schließlich beschäftigt sich mit der subjektiven Seite von Psychiatrieaufenthalten (z.B. Wieser 1973; C. Fengler/T. Fengler 1980; Riemann 1987). Diese Untersuchung knüpft an die beiden letztgenannten Forschungsschwerpunkte an. Das soziologische Interesse an der subjektiven Seite der Psychiatrie – und damit eine qualitative Psychiatrieforschung – verebbte, bis auf wenige vereinzelte Studien (Floeth 1991; Voigt 2007; Krumm 2010), in den 90er Jahren. Da sich das psychiatrische Versorgungssystem seit den 80er Jahren verändert hat – so konstatiert Richter, dass sich die (Neuro‑) Biologie nunmehr zur zentralen Leitdisziplin für die Psychiatrie (Richter 2003, S. 11ff.) entwickelt hat – kann vermutet werden, dass sich auch die Erfahrungen der Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Kliniken verändert haben (zur Geschichte der Psychiatrie vgl. auch Brückner 2010). Mit der vorliegenden Untersuchung wird versucht, dieses Forschungsdesiderat zu adressieren.
Das Erkenntnisinteresse der Studie richtet sich zum einen darauf, welche Erfahrungen in der Psychiatrie biografische Relevanz erhalten und welches Verhältnis zur Psychiatrie aus diesen Erfahrungen hervorgegangen ist. Zum anderen soll beleuchtet werden, welche Auswirkungen Psychiatrieaufenthalte – und hier insbesondere die Konfrontation mit psychiatrischen Diagnosen – auf die Identitätsentwicklung haben. Den Untersuchungsgegenstand der Studie bilden folglich Biografien von (ehemaligen) psychiatrischen Patientinnen und Patienten. Die qualitativ-rekonstruktive Studie strebt an, einen wissenschaftlichen Beitrag zu einem besseren Verständnis der subjektiven Sicht von Psychiatrieerfahrenen sowie zur Reflexion der psychiatrischen Praxis zu leisten.
Im Folgenden wird ausführlicher auf bedeutende psychiatriesoziologische Untersuchungen und Arbeiten eingegangen, an welche die Arbeit anknüpft (2. und 3.). Im Anschluss daran werden das methodische Vorgehen erläutert (4.) und die wichtigsten Ergebnisse referiert (5.), was schließlich im Rahmen der Diskussion in eine Auseinandersetzung mit den klassisch zu nennenden soziologischen Untersuchungen mündet (6.).
Ein US-amerikanischer Soziologe, der in der Auseinandersetzung mit dem Thema Psychiatrieaufenthalt Erwähnung finden muss, ist Erving Goffman. Seine Studie Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen (1961/1981) steht an erster Stelle unter jenen Werken, die in den 60er Jahren zum Reformdruck auf psychiatrische Anstalten geführt haben.
In Asyle ist insbesondere das Kapitel »Über die Merkmale totaler Institutionen« (Goffman 1961/1981, S. 13ff.) für die vorliegende Studie relevant. Hier legt Goffman mittels teilnehmender Beobachtung soziale Prozesse in einer »totalen Institution« (Goffman 1961/1981, S. 11) – insbesondere in der Psychiatrie und mit Blick auf Patientinnen, Patienten und Personal – frei. Goffman kommt hinsichtlich der sozialen Situation des »Insassen« zu dem Ergebnis: »In der exakten Sprache einer unserer ältesten totalen Institutionen durchläuft er eine Reihe von Erniedrigungen, Degradierungen, Demütigungen und Entwürdigungen seines Ich. Sein Ich wird systematisch, wenn auch häufig unbeabsichtigt, gedemütigt« (Goffman 1961/1981, S. 25). Im Anschluss beschreibt Goffman Prozesse, durch die das Ich der Patientin oder des Patienten gedemütigt wird: Aufnahmeprozeduren wie das Wiegen oder Messen, wobei die Reduktion auf diese Attribute die Grundlage früherer Selbstidentifikation außer Acht lasse; Entwenden persönlicher Gegenstände und uniforme Kleidung; »Gehorsamstest« bzw. Probe zur Brechung des Willens; physische Entwürdigung durch Körperbewegungen; erzwungene Ehrerbietung; Beschimpfungen etc. (Goffman 1961/1981, S. 25ff.). Insbesondere die Verletzung der Autonomie des Handelns trage zur Demütigung des Selbst bei (ebd., S. 45ff.). Diese vollziehe sich u.a. durch Reglementierungen, das Um-Erlaubnis-Fragen und die Angst vor Sanktionen (ebd.). Goffman nennt fünf individuelle Strategien der Anpassung an die Demütigungsprozesse: die »Strategie des Rückzugs aus der Situation« (ebd., S. 65), d.h. der »Insasse« zeigt für nichts Interesse und bricht die Beteiligung an Interaktionsprozessen ab; den »kompromißlosen Standpunkt« (sic! ebd., S. 66), also die Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit dem Personal; die »Kolonisierung« (ebd., S. 66), wobei eine relativ zufriedene Existenz in der Psychiatrie aufgebaut wird; die »Konversion« (ebd.), d.h. das Spielen der Rolle des perfekten »Insassen«; das »ruhig Blut bewahren« (ebd., S. 68).
Eine Schwäche der Untersuchung ist darin zu sehen, dass Goffman den »Insassen« nur unter dem Aspekt der psychiatrischen Prozessierung betrachtet. Darüber hinaus kann als kritisch betrachtet werden, dass Goffman keine eindeutige analytische Trennung zwischen Identitätskonstruktionsprozessen der »Insassen« auf der einen Seite und ihrer Handlungspraxis bzw. ihres Habitus auf der anderen Seite vornimmt. Dadurch wird nicht deutlich, wie die verschiedenen Typen (siehe oben) mit spezifischen Identitätskonstruktionen zusammenhängen (zur methodologischen Differenzierung von Identität und Habitus in dieser Studie siehe 4.4.1.).
Der sogenannte »Labeling-Ansatz« – auch »Etikettierungs-Ansatz« genannt –, der wie Goffman einem »interpretativen Verständnis sozialwissenschaftlicher Analyse« (Keupp 1987, S. 346) folgt, befasst sich ebenfalls mit der sozialen Konstruktion psychischer Krankheit. Im Folgenden werden die zentralen Thesen aus Thomas Scheffs Buch Das Etikett »Geisteskrankheit«: Soziale Interaktion und psychische Krankheit (1966/1980) wiedergegeben.
Scheffs Theorie geht von der Unterscheidung der »Regelverletzung« als soziale Normverletzung und der »Verhaltensabweichung« als der Reaktion der sozialen Umgebung auf ein (regelverletzendes oder von der Norm abweichendes) Verhalten aus (Scheff 1966/1980, S. 24). Scheff argumentiert, dass die meisten psychiatrischen Symptome wie Realitätsflucht, Halluzinationen etc. als Verhaltensabweichung etikettiert würden, die sanktioniert werden. Darüber hinaus geht Scheff davon aus, dass in der Gesellschaft, bspw. vermittelt durch Medien, Stereotype des »psychisch Kranken« existierten, welche der von psychiatrischen Symptomen Betroffene übernehme. Dies geschehe vor allem, wenn »Sozialfürsorger und Personen seiner Umwelt auf ihn gleichförmig im Sinne des Geisteskranken-Stereotyps reagieren« (ebd., S. 69). Schließlich werde das Verhalten des in dieser Weise Stereotypisierten »dem anderer als geisteskrank bezeichneter Abweichender ähnlich und stabilisiert sich mit der Zeit« (ebd.). Auch die psychiatrische Anstalt sorge dafür, dass der Etikettierte seine Rolle des »Geisteskranken« spielt, da das Klinikpersonal die (Krankheits‑) »Einsicht«, die das medizinische Urteil bestätigt, belohne (ebd., S. 71).
Kritisiert an Scheffs Ansatz werden der fehlende Empiriebezug der Kategorien, das Ausbleiben einer Beschreibung, wie der Etikettierungsprozess sozial organisiert ist, sowie die nicht in die Analyse miteinbezogene Perspektive der Etikettierten, bspw. wie diese sich selbst kategorisieren würden (vgl. Riemann 1987, Kap. 1). Psychiatrische Patientinnen und Patienten erscheinen aus der Perspektive des »Labeling-Ansatzes« als passive Opfer, die der Patientenkarriere nicht entkommen können. In diesem Punkt unterscheiden sich Scheffs Annahmen von Goffmans Überlegungen, da dieser im Handeln von Psychiatriepatientinnen und -patienten durchaus Widerstände gegen die restriktive Umwelt der Anstalt erkennt. Auch in der vorliegenden Studie werden Patientinnen und Patienten als gestaltende Akteure verstanden. Dennoch musste Scheffs Arbeit Erwähnung finden, da sie den Blick dafür schärft, dass psychische Erkrankungen als sozial konstruiert verstanden werden können.
In den 70er und 80er Jahren wurde verstärkt die Perspektive der in der Psychiatrie behandelten Patientinnen und Patienten beleuchtet. Gerhard Riemann ist einer der wenigen Soziologen, der sich mit der subjektiven Seite der Psychiatrie, d.h. mit der Perspektive der (ehemaligen) Patientinnen und Patienten, auseinandergesetzt hat. Riemann strebte an, ganze Biografieverläufe psychiatrischer Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Mit dieser Analyseeinstellung war das Ziel verbunden, »auf der Grundlage von in narrativen Interviews erhobenen autobiographischen Erzählungen psychiatrischer und ehemaliger psychiatrischer Patienten den Blick auf die Prozeßstrukturen im Lebensablauf der Betroffenen zu richten, insbesondere auf die konditionellen Ereignisverkettungen, die von Schütze als Verlaufskurven bezeichnet worden sind« (sic! Riemann 1987, S. 29). Schließlich sollte eine Antwort darauf gefunden werden, in welcher Weise psychiatrische Interventionen biografisch relevant werden. Für Riemann war die subjektive Sicht der (ehemaligen) Patientinnen und Patienten relevant, da diese erlaube herauszuarbeiten, wie sich die »Betroffenen selber kategorisieren und was sie als ihr individuelles Lebensschicksal erfahren« (ebd., S. 15).
Riemann konnte nun anhand seiner Analysen von biografischen Einzelfällen zeigen, wie (ehemalige) Patientinnen und Patienten in »Verlaufskurven« geraten – bspw. durch Prozesse in der Familie oder im Beruf (Riemann 1987, S. 380ff.). Schließlich konnte Riemann herausarbeiten, wie es zu einer »Verlaufskurventransformation«, d.h. einer Erweiterung der »Verlaufskurve«, kommt: Hier nennt er psychosomatische Symptome, die Medikamenteneinnahme oder die Interaktion mit Professionellen in der Psychiatrie als Faktoren (ebd., S. 393ff.). Psychiatrische Interventionen, so können Riemanns Ergebnisse zusammengefasst werden, spielen also eine entscheidende Rolle bei der verlaufskurvenförmigen Entwicklung der Biografien – der Handlungsmodus wird ein Reagieren anstelle eines Agierens. Bei einigen Patientinnen und Patienten komme es letztlich zu einem »Sich-selbst-gegenüber-fremd-Werden« (ebd., S. 402), worunter Riemann u.a. die Entfremdung in Folge einer psychiatrischen Prozessierung, bspw. durch das Fremdwerden von Interaktionspartnern oder das Fremdwerden des eigenen Körpers durch die Einnahme von Medikamenten, fasst. Auch das Eindringen psychiatrischer Terminologie in die eigene Biografie führe dazu (ebd., S. 434ff.), dass die eigene Biografie schließlich als fremd erfahren werde (ebd., S. 500). Riemann nennt jedoch auch Prozesse, in denen sich ein Wiedergewinn der Beziehung zur eigenen Biografie vollziehen könne: bspw. durch das Erzählen der eigenen Biografie oder durch den Widerstand gegen die Prozessierung (ebd., S. 458ff.). Damit beleuchtet der Autor den Handlungsspielraum der »Etikettierten«. Als äußerst Bedeutsam muss die aus den Ergebnissen Riemanns deutlicher werdende Erkenntnis gelten, dass die Identitätsentwicklung von (ehemaligen) Psychiatriepatientinnen und -patienten zwar von Fremdidentifizierungen (mit‑) bestimmt wird, diese Zuschreibungen aber von Betroffenen unterschiedlich bearbeitet werden (ebd., S. 81).
Diese Studie knüpft in Bezug auf den referierten Forschungsstand insbesondere an Gerhard Riemanns Arbeit an. Hier soll der Fokus jedoch nicht, wie bei Riemann, auf die (biografischen) »Verlaufskurvenentwicklungen« der Patientinnen und Patienten gelegt werden, sondern es soll das sich in der biografischen Erzählung dokumentierende Verhältnis zur Psychiatrie rekonstruiert werden, das wiederum in Bezug zur Identitätsentwicklung gesetzt wird. Durch diesen Fokus rücken zwar andere (relevante) biografische Erfahrungen in den Hintergrund, doch jene des Psychiatrieaufenthaltes kann einer tieferen Analyse unterzogen werden. Der innovative Charakter dieser Studie ergibt sich vor allem durch die metatheoretische Trennung von Habitus und Identität, die im nun folgenden methodischen Teil erläutert wird.
Für die Untersuchung kamen Personen in Frage, die in ihrem Leben einen oder mehrere Psychiatrieaufenthalte erfahren haben. Insgesamt konnten zehn Personen interviewt werden. Die Kontakte ergaben sich überwiegend über eine psychiatrische Einrichtung und einen sozialen Träger. Es wurden drei Fälle nach dem »Prinzip des minimalen Kontrasts« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009, S. 297) für die Auswertung ausgesucht, um darüber eine gemeinsame zentrale Erfahrung bzw. »spezifische Orientierungsproblematik« (Bohnsack 2003b, S. 141) zu identifizieren. Die drei Fälle teilen, dass es innerhalb ihrer Biografie zu wiederholten Psychiatrieaufenthalten kam – aufgrund dessen wurde vermutet, dass die Psychiatrie im Leben der Interviewten Bedeutung entfaltet (hat), sich ein Verhältnis zur Psychiatrie aufgebaut hat und sich Identitätskonstruktionsprozesse vollzogen haben. Zudem wurden die drei Fälle ausgewählt, da sie sich durch inhaltliche Überschneidungen und dichte Erzählungen für die komparative Analyse anboten.
Als Erhebungsmethode wurde das narrative (biografische) Interview eingesetzt. Die Methode wurde gewählt, weil sie einen Zugang zu beiden Ebenen des Erkenntnisinteresses bietet: Zum einen können Daten dazu generiert werden, welche Erfahrungen in der Psychiatrie biografisch relevant werden und welches Verhältnis zur Psychiatrie aus diesen Erfahrungen hervorgegangen ist. Zum anderen erlaubt das narrative Interview der Frage nach der Identitätsentwicklung nachzugehen, da zu erwarten ist, dass sich Betroffene in ihren biografischen Erzählungen mit Fremdzuschreibungen bzw. -identifizierungen auseinandersetzen. In der Einstiegsfrage wurden die Befragten darum gebeten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.
Als Auswertungsmethode wurde die dokumentarische Methode gewählt, da sie nicht nur einen Zugang zum theoretischen und reflexiv zugänglichen Wissen der Befragten erlaubt, sondern auch zum handlungsleitenden Wissen der Befragten und damit auch zum Habitus (vgl. Bohnsack 2003b). Forschungspraktisch wird diesen Ebenen der Bedeutungskonstitution in einer Trennung von formulierender Interpretation (immanenter Sinn – interpretativ erfassbar) und einer reflektierenden Interpretation (Dokumentsinn – rekonstruktiv erfassbar) entsprochen. Beide Analyseebenen der Fragestellung können somit bearbeitet werden: In dem in Erzählungen und Beschreibungen vermittelten impliziten oder handlungsleitenden Wissen dokumentieren sich die Orientierungen, die es erlauben, das Verhältnis der Betroffenen zur Psychiatrie zu rekonstruieren. Des Weiteren kann herausgearbeitet werden, mit welchen Erfahrungen diese Orientierungen zusammenhängen. Dagegen dokumentiert sich der Prozess der Identitätskonstruktion v.a. in theoretisch-argumentierenden Passagen und dem darin vermittelten theoretischen Wissen (Bohnsack 2003a).
Da die Studie dem rekonstruktiven Forschungsprozess verpflichtet ist, wird vor der Durchführung der empirischen Untersuchung kein sich direkt auf den Untersuchungsgegenstand beziehendes theoretisches Vorwissen an denselben herangetragen. Trotzdem wird die Studie nicht ohne jegliches theoretisches Vorwissen bestritten. Am Anfang des rekonstruktiven Forschungsprozesses steht eine Fundierung der Untersuchung in metatheoretischen Kategorien bzw. in »begrifflich-theoretischen Grundlagen« (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009, S. 43), die den analytischen Rahmen bilden und von denen die Validität rekonstruktiver Forschung abhängt (Bohnsack 2013, S. 33).
Auf den Begriff der Biografie wird hier nur in Kürze eingegangen: Biografie wird dem verfolgten Paradigma entsprechend als vom Subjekt hergestellt verstanden. Da die erzählte Lebensgeschichte eine gegenwärtige, retrospektive und rekonstruierende Betrachtung vergangener Erfahrungen darstellt, können gegenwärtige Deutungsmuster und Orientierungen rekonstruiert werden (vgl. auch Nohl 2009, S. 29f.).
Bei dem Begriff Identität handelt es sich um ein theoretisch sehr aufgeladenes Konzept. Je nach grundlagentheoretischer Positionierung ändert sich der mit dem Begriff verknüpfte analytische Rahmen. Ein dem metatheoretischen Rahmen der Studie adäquater Identitätsbegriff ist von Erving Goffman entwickelt worden.
Bei Goffman stehen Fremdzuschreibungen und die Auseinandersetzung des Individuums mit diesen Zuschreibungen im Zentrum. Dabei differenziert er drei Identitätskomponenten: »soziale Identität«, »persönliche Identität« und »Ich-Identität« (Goffman 1963/2012). Letzteres Konzept kann hier ausgeblendet werden, weil nicht darauf fokussiert wird, wie das Individuum mittels oder trotz verschiedener sozialer Erfahrungen und »sozialer Identitäten« eine kontinuierliche »Ich-Identität« herstellt. Analytisch wertvoll ist hier dagegen der Begriff der »sozialen Identität«, der sich auf Prozesse sozialer (Fremd‑) Identifizierung bezieht. Diesen spaltet Goffman noch einmal: Die »virtuale soziale Identität« resultiert aus Annahmen darüber, »was unser Gegenüber sein sollte« (Goffman 1963/2012, S. 10), es geht um »‚im Effekt’ gestellte Forderungen« bzw. Normen (ebd.). Die »aktuale soziale Identität« betrifft die »Kategorie und die Attribute, deren Besitz dem Individuum tatsächlich bewiesen werden konnte« (Goffman 1963/2012, S. 10). Unter »persönlicher Identität« dagegen will Goffman »positive Kennzeichen oder Identitätsaufhänger und die einzigartige Kombination von Daten der Lebensgeschichte« (ebd., S. 74) verstanden wissen. Die »persönliche Identität« erlaubt es zu erfassen, wie ein Individuum eine Abweichung von der Norm mit Techniken der Selbstdarstellung bearbeitet. Das Individuum kann zu Inszenierungsstrategien greifen und somit »Informationskontrolle« (ebd., S. 56) betreiben.
An dieser Stelle soll zusammengefasst werden, wie sich Goffmans Identitätsmodell in dieser Arbeit für die dokumentarische Interpretation nutzen lässt. Fremdidentifizierungen (»soziale Identität«) und Selbstidentifizierungen (»persönliche Identität«), d.h. die Auseinandersetzung mit diesen Fremdidentifizierungen im Sinne einer »Informationskontrolle« bzw. der »strategischen Selbstpräsentation« (Bohnsack 2013, S. 11), sind im narrativen Interview Gegenstand expliziter bzw. theoretisch reflexiver Darstellungen (argumentative Passagen) und somit als Orientierungsschemata erfassbar. Darüber hinaus ermöglicht die Dokumentarische Methode über die Explikation des in Erzählungen und Beschreibungen eingelassenen impliziten Wissens bzw. über identifizierte Orientierungsrahmen die Rekonstruktion des (handlungspraktischen) Umgangs mit den Fremdidentifizierungen und somit des Habitus der Befragten. (Zur Einführung in die Grundbegriffe der Dokumentarischen Methode, wie bspw. Orientierungsrahmen und -schema, siehe u.a. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2009, Kap. 5.4).
Die zentralen Ergebnisse werden zusammenfassend dargestellt ohne die einzelnen Auswertungsschritte der dokumentarischen Methode darzustellen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass alle hier dargelegten Orientierungen im Zuge einer fallinternen komparativen Analyse auch an anderen Stellen in den Interviews herausgearbeitet und somit validiert wurden. Die dargestellten Ergebnisse basieren auf einer unveröffentlichten Masterarbeit.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die drei analysierten Fälle eine Orientierungsproblematik hinsichtlich der Psychiatrieerfahrung gemeinsam haben: Sowohl die 22-jährige Ramona, als auch die 27-jährige Karina und der 30-jährige Boris (Namen anonymisiert) setzten sich hinsichtlich der Psychiatrieerfahrung zentral mit der Problematik einer Degradierung zum Objekt von Fremdbestimmung auseinander. Es lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit der Problematik herausarbeiten.
Ramona erlebt eine Degradierung zum Objekt von Fremdbestimmung in Form einer »Identifizierungsmacht«:
Rf: (...) und dann wurde ich mit sechzehn auch nochmal eingewi:esen, da hab ich abba abgebrochen, (.) mit achtzehn hab ich abgebrochen, jetzt war ich wieder in der Klinik, (.) da hab ich=s länger ausgehalten (.) und (.) ja tätätä der Arzt is=n bisschen (.) ja keine Ahnung; wie soll ich sagen @bisschen zurückgeblieben@ ((beißt in Brötchen)) //mhm// mhm na der hat gesagt hier (.) ›ja, für Borderlinepatienten wie sie‹ und zwei Minuten später sagt der (.) ›ja, für Borderlinepatienten wie sie‹ //mhm// des äh naja, keine Ahnung.
Ramona zählt hier in der Eingangserzählung ihre zahlreichen Therapieabbrüche auf und schließt mit einer Episode über ihren behandelnden Arzt während des letzten Psychiatrieaufenthaltes. Implizit besteht also eine Verbindung zwischen ihrer wiederholten Abwehr der psychiatrischen Intervention und der mit dem Arzt erlebten Interaktion. Was dokumentiert sich in ihrer Erzählung über letztere? Der Arzt befindet sich hier in einer Machtposition, denn er bestimmt darüber, ob Ramona die psychische Erkrankung »Borderline« hat oder eben nicht. Er schwankt in dieser Fremdidentifizierung und Ramona ist seinem Urteil ausgeliefert. Durch die »Identifizierungsmacht« des Arztes wird Ramona zum Objekt von (medizinisch-diagnostischer) Fremdbestimmung degradiert. Ramona bezeichnet den Arzt im Gegenzug lachend als ein »@bisschen zurückgeblieben@«. Sie stellt ein Verhältnis sozialer Egalität her, indem sie ihrerseits den Arzt (zurück‑) pathologisiert und seine Stellung als Experte in Frage stellt.
Auch Karina schildert die Psychiatrieaufenthalte immanent als eine Erfahrung, die von der Degradierung zum fremdbestimmten Objekt geprägt ist. Auch sie leidet u.a. unter »falschen« Fremdidentifizierungen in der Psychiatrie, die sie als eine Bedrohung ihrer »persönlichen Identität« erlebt:
Kf: [...] und die ham mich dann (.) ins Landeskrankenhaus gesteckt un:d auf so=ner Akutstation wo ich dann: obwohl ich eigentlich relativ ruhig war weil ich hab ja nich geredet (.) ham die mi:r äh so: hohe Dosen: Tavor gegeben dass ich mich an an zwei Wochen nich erinnern kann. also ich muss zwei Wochen da nur gelegen haben, weil ich mich da nich- ich kann mich nich erinnern //mhm// und das is sehr paradox gewesen denn ich hab zwar nich geredet aber (.) die Ärzte ham mich so vollgepumpt dass ich auch nich in der Lage war (.) äh irgendwas zu machen //mhm// und dieses Johannes-Haus indem ich gelebt hab das hat eine Jugendhilfeeinrichtung und mehrere Behinderteneinrichtungen noch mit auf dem Gelände ich war natürlich in der Jugendhilfeeinrichtung (.) und die im LKH obwohl die mich aus den Akten ja hätten schon kennen müssen haben gedacht naja ok die redet nich die bewegt sich nich dann (.) stecken wir sie ma auf die Behindertenstation; und dann bin ich äh auf die Behindertensta- station gekommen und das war ganz ganz schlimm; das war ganz schlimm.(.) also da warn dann Leute mit Styroporhelmen auf die gegen die Wände gelaufen sind die mongloid wa:rn und (.) also des war ganz ganz schlimm; und ich hab das auch relativ schnell gemerkt und hab dann sofort (.) so wie ich des konnte ich war ja noch ziemlich vernebelt, (.) bin ich zum Oberarzt gegangen und hab gesacht hier des geht überhaupt nich; ich gehör nicht dazu; ich will sofort raus hier (.).
Karinas Erzählung ist immer wieder von Bewertungen durchbrochen, das bedeutet, sie erweitert/ändert die Informationen, die die Situation liefert, um nicht so beurteilt zu werden, wie es das Handeln der Ärztinnen und Ärzte impliziert (Goffman 1961/1973, S. 117).
Die starke Sedierung durch die Ärzte stellt in ihrer Erzählung einen Akt der Fremdbestimmung dar, da es in der Folge zum Kontrollverlust kommt. Wie Ramona enthebt sie die Ärzte ihrer Expertenstellung, indem sie die Intervention als paradox und somit als unprofessionell verurteilt. Auch die Einweisung auf die Behindertenstation erscheint in der Erzählung als eine Form der Fremdbestimmung, der sie ausgeliefert war und noch mehr als in der vorhergehend geschilderten Situation spielt hier die als falsch erlebte Fremdidentifizierung eine Rolle (»ich gehör nicht dazu; ich will sofort raus hier«). Karina verweist auf ihre Akte als Dokument für ihre »persönliche Identität« und wirft dem Personal im LKH vor, diese nicht konsultiert zu haben – wieder ein Vorwurf der Unprofessionalität und zugleich weist sie sich als Expertin aus, die die Abläufe im Krankenhaus kennt. Zudem redet Karina während der gesamten psychiatrischen Prozessierung nicht mit dem Personal – sie wehrt dadurch die psychiatrische Intervention ab und schützt zugleich ihre Identität durch einen Akt des Sich-Entziehens.
Boris erlebt Fremdbestimmung v.a. im Zusammenhang mit dem Medikamentenumgang in der Klinik:
Bm: Und ich hab Medikamente verschrieben bekommen die ich jetzt hier nicht zugesprochen bekomme also ich kann mein Leben nich selber strukturieren und leben und entscheiden mit den Medikamenten und mit meinem Leben und mit meim Dasein dass ich das zwar hier alles haben kann und bekomme und ich hab ja hier immer meine Hilfestellung gehabt und des war auch immer richtig so und ich hab mich dann auf kurze Aufenthalte eingelassen //mhm// weil=s dann hieß wir kennen sie nich und wir ham nur die Akten hier und wir kennen sie nich und sie warn lange bei einem andern Arzt und so äh wir können ihnen den Zuspruch nich machen und da fühl ich mich nich akzeptiert und angenommen.
Den positiven Horizont bilden für Boris implizit immer wieder Mitbestimmung und Vertrauen. An anderer Stelle im Interview wird deutlich, dass Boris das Misstrauen v.a. auf seine »soziale Identität« des »Schizophreniekranken« zurückführt (»es gibt so=n Spruchshirt und da steht vorne darauf ich bin schizophreniekrank ja und hinten steht halt drauf ich auch ja; und so behandelt man mich leider«).
Im Gegensatz zu Karina zeigen Ramona und Boris jedoch insgesamt ein ambivalentes Verhältnis der Psychiatrie gegenüber. Ramona erlebt die Psychiatrie auch als sozialen Kontaktraum:
Rf: (...) gestern hab ich auch nochmal mit nem Pfleger geredet mit dem ich mich voll gut verstehe, un:d der hat auch gesagt (.) wie hat er gemeint? wie geht=s dir? ich so gut er so sagst du des jetzt nur weil M des hörn will? ich so ne: mir geht=s wirklich gut er so ok. dann hat er noch gesagt wenn=s mir schlechter geht wieder dann kann ich für drei Tage in die Klinik kommen, mich stabilisiern.
Für Boris, der lange Zeit mehrmals zwangseingewiesen wurde, erfüllt die Psychiatrie (inzwischen) auch eine Hilfsfunktion:
Bm: Da hat=s dann Klick gemacht da hab ich gedacht oke (.) äh dann muss ich wirklich an mir arbeiten dann //mhm// muss ich des annehmen dann muss ich versuchen lassen mir zu helfen; und es war immer dieses Hin und Her ja und nein //mhm// ich wollte dass man mir hilft und ich wollte Hilfe und hab (.) Hilfe gesucht, und dann auch gefunden und bekomm.
Boris geht mit der erfahrenen Fremdbestimmung (heute) jedoch anders um als die beiden Frauen:
Bm: Ich fühl mich in allem angenommen und bestätigt //mhm// die Medikamente seit zweitausendacht seit ich jetzt in diesem Bezirk bin und ich war im September zweitausendacht das erste Mal hier in der Klinik drüben auf der zwanzig unten //mhm// und ähm (2) ich habe hier immer das Problem mit Ärzten und Ärzte dass wenn ich ambulant weil ich ja auch hier war und hier auch dann in der PIA war, nicht entscheiden darf und durfte und darf und man mir kein Vertraun entgegenbringt da bin ich ganz groß enttäuscht; und dass man äh mir da meinen Willen nicht zukommen lässt dass wenn ich sage man kann doch einem Krankenhaus vorbeugen und man kann sich doch mal Diazepam oder Atosil vorschlagen //mhm// natürlich weil es gut ein gut stark wirkendes Medikament ist natürlich macht es auch äh ist es suchtgefährdend und macht abhängig man hat auch Entzüge wenn man nur stationär ne gewisse Zeit ein paar oder mehrere Wochen das äh starke Benzodiazepine also starke Beruhigungsmittel nimmt sag ich mal; und dass ich nicht mein Recht zugesprochen bekommen hab vielleicht mal ambulant zwei drei Dosen für Diazepam.
Auffallend ist, dass Boris sagt, er fühle sich in »allem angenommen« und dann (wieder) eine gegenteilige Situation schildert. Sein Kommentar – »ich fühl mich in allem angenommen und bestätigt« – kann vor diesem Hintergrund im Sinne einer konformistischen Sprechhandlung interpretiert werden. Auch an dem, »wie« Boris argumentiert, kommt eine konformistische Handlungsorientierung zum Ausdruck: Er signalisiert, die Perspektive der Ärztinnen und Ärzte zu verstehen und einzusehen – er zeigt sich kooperationsbereit. Er erfüllt mit diesem Verhalten die Erwartungen der Ärztinnen und Ärzte. Dieses Verhalten kann als eine (implizite) Strategie verstanden werden, die Fremdbestimmung einzugrenzen und mehr Rechte auf Mitbestimmung zu erhalten. Zudem nimmt Boris, um sich gegen die Fremdbestimmung zu wehren, wie Karina die Haltung des Experten ein, indem er in Bezugnahme auf die suchtgefährdende Wirkung der Medikamente auf medizinisches Wissen zurückgreift.
Was konnte hinsichtlich der Identitätsentwicklung der drei Fälle herausgearbeitet werden?
Für Ramona bedeutet die Erkrankung bzw. die Diagnose »Borderline« ein Mittel, sozialen Kontakt und ein Hilfssystem zu erhalten. Bei ihr (konnte evtl. deshalb) eine »essentialistische« Selbstidentifikation mit der Diagnose »Borderline« festgestellt werden. Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit der Bedeutung einer Fremdidentifizierung als »Borderlinerin« konnte bei Ramona nicht festgestellt werden:
Rf: Ja i- also ich sag mal so ich weiß dass ich psychsch psychisch krank bin. (.) weil ich weiß dass ich Hilfe brauch damit ich alleine klar komme irgendwann (.) deswegen hab ich ja hier Maria und so, //mhm// und meine gesetzliche Betreuerin vom Amtsgericht (.) dann hab ich (.) dann: weiß ich auch dass ich nich alleine wohnen kann im Moment //mhm// ich bin zwar zwanzig aber (.) naja kann=s trotzdem nich, weil ich des einfach alles nich gebacken kriege alleine //mhm// Ämtergänge Arztgänge und so //mhm// schaff ich alles nich dafür (.) bin ich nich stressfähig ich darf auch nich richtig arbeiten gehn vom Amt aus (.) //mhm// (husten) ja. ich hab auch drei Gut- drei oder zwei Gutachten weiß ich nich wo drinne steht (.) dass ich Borderline hab.
Bei Karina findet eine reflektierte Auseinandersetzung statt: Zwar erkennt sie die Symptome ihrer Erkrankung und passt daher auf sich auf, doch in sozialen Interaktionen versucht sie, ihre Erkrankung geheim zu halten, um die Zuschreibung der »Kranken« zu verhindern. Sie möchte nicht auf die Erkrankung reduziert werden und »so behandelt« werden:
Kf: Grundsätzlich is es schon so dass ich ähm: (.) versuche davon unabhängig //mhm/ äh zu leben; auch wenn ich (.) das natürlich wahrnehme dass das so is und die Äußerungen also spü:re, auch von meim Verhalten: oder in Situationen in denen=s mich beeinflusst, (.) versuch ich trotzdem des nich permanent nach außen zu bringen weil=s nich ähm: (.) °ja weil=s einfach nich sein muss° dass andre das wissen und mich so behandeln //mhm// also=s ich möchte auch nich als (.) also ich war jahrelang das Pflegekind ich möchte jetzt nich die Kranke sein. //mhm// so.
Boris ist nicht ganz so eindeutig in seiner Auseinandersetzung mit der Diagnose:
Bm: (.) mhm Psychose; (.) na äh (3) ja naja ich hab halt gedacht das is notwendig dass is äh das hat alles äh Hand und Fuß weil wenn Ärztinnen und Ärzte und auch Psychologen und Psychologinnen die sagen (.) dass Sie nich so richtig zurechtkommen, und dass man das also wirklich erlebt und wahrnimmt, dass Sie halt nich normal sind in Ihrer Psyche und mit Ihren Gedanken und Äußerungen und letzten Endes äh ähm (.) im: Verhalten , da hat=s dann Klick gemacht da hab ich gedacht oke (.) äh dann muss ich wirklich an mir arbeiten dann //mhm// muss ich des annehmen dann muss ich versuchen lassen mir zu helfen; und es war immer dieses Hin und Her ja und nein //mhm// ich wollte dass man mir hilft und ich wollte Hilfe und hab (.) Hilfe gesucht, und dann auch gefunden und bekomm, und aber ich bin immer wieder abgedriftet halt.
Im Vergleich zu Karina fällt Boris’ demonstrierte Haltung des Einverständnisses mit der Meinung der Ärztinnen und Ärzte auf, was erneut eine konformistische Sprechhandlung darstellt. Des Weiteren fällt an Boris’ Umgang mit dem Thema auf, dass er die Feststellung der »Psychose« ausschließlich aus der Perspektive der Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologinnen und Psychologen beschreibt. Daraus kann geschlossen werden, dass die Diagnose »Psychose« eine Fremdidentifikation darstellt, die Boris zwar auf der kommunikativen Ebene annimmt, zu der er aber ein distanziertes Verhältnis hat.
Auf Grundlage der Analyse von drei Fällen konnte hinsichtlich der in der Studie verfolgten Frage, welche Erfahrungen biografische Relevanz entfalten, rekonstruiert werden, dass die Erfahrung der Fremdbestimmung und der mit dieser Form der sozialen Interaktion verbundenen Degradierung als gemeinsames biografisches Orientierungsproblem relevant wird. Die Problematik gewinnt insbesondere in der Interaktion mit Ärztinnen und Ärzten Relevanz. Anhand der Orientierungsrahmen konnte das aus dem gemeinsamen biografischen Orientierungsproblem resultierende Verhältnis zur Psychiatrie herausgearbeitet werden – es zeigten sich hier habituelle Differenzen. Bei Ramona dokumentiert sich ein ambivalentes Verhältnis zur Psychiatrie: Aufgrund der oben genannten Problematik wehrt sie die therapeutische Intervention ab, benötigt die Psychiatrie aber auch als sozialen Kontaktraum. Auch Boris weist ein ambivalentes Verhältnis zur Psychiatrie auf: Einerseits wehrt er ebenfalls die therapeutische Intervention ab, doch andererseits erfüllt die Psychiatrie auch eine Hilfsfunktion für ihn. Nur Karinas Habitus geht in der Orientierung an einer rigorosen Abwehr der therapeutischen Intervention auf. Eine habituelle Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich sowohl Boris als auch Karina der Degradierung mit der Haltung des »Experten« bzw. der »Expertin« entgegenstellen. Auf der Ebene der Identitätskonstruktionen, d.h. der Fremd- und Selbstidentifizierungen (»soziale« und »persönliche Identität«), lassen sich ebenfalls Unterschiede herausarbeiten. Ramona identifiziert sich als »Borderlinerin« und Boris zeigt eine ambivalente Haltung zur Diagnose »Psychose« – er nimmt sie auf kommunikativer Ebene an, bleibt aber implizit distanziert. Karina lehnt die Selbstidentifikation mit einer Diagnose ab.
In welchem Zusammenhang stehen nun die habituellen Gemeinsamkeiten/Unterschiede und die jeweiligen Identitätskonstruktionsprozesse? In allen drei Fällen dokumentiert sich, dass die Erfahrung einer Fremdidentifizierung (»soziale Identität«) mit einer psychiatrischen Diagnose als eine Form der Fremdbestimmung und Degradierung empfunden wird, was auf habitueller Ebene mit einer Abwehr der therapeutischen Intervention einhergeht. In zwei Fällen, Ramona und Boris, findet trotz dieser negativen Erfahrung eine Selbstidentifizierung (»persönliche Identität«) mit der Diagnose statt. Eine Erklärung für diesen Umstand könnte die habituelle Ebene geben: Bei beiden dokumentiert sich, wie erwähnt, nicht nur eine Abwehr der therapeutischen Intervention, sondern sie nutzen die Psychiatrie auch als einen sozialen Kontaktraum resp. eine Hilfsinstitution. Sie sind daher eventuell eher bereit, die Fremdidentifizierung anzunehmen – sie ermöglicht ihnen sozialen Kontakt und Hilfe. Karinas Verhältnis zur Psychiatrie dagegen ist ausschließlich von einer Abwehr der therapeutischen Intervention geprägt, sie »benötigt« daher auch keine Identifikation mit einer Diagnose.
Die Ergebnisse zeigen, dass ein qualitativ-rekonstruktiver Ansatz und die metatheoretische Trennung von Identität und Habitus sowie die Erarbeitung des Verhältnisses der Kategorien zueinander zu fruchtbaren Ergebnissen führen können. Fremdidentifikationen hinterlassen ihre Spuren nicht nur in den Identitätskonstruktionen ehemaliger Patientinnen und Patienten, sondern haben auch habituelle Konsequenzen. Die Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass die von den Ärztinnen und Ärzten als »mangelnde Krankheitseinsicht« bewertete und häufig mit einer Abwehr der psychiatrischen Intervention einhergehende ausbleibende Identifikation mit einer Diagnose zum Teil im als Degradierung erfahrenen Umgang mit den Betroffenen in der Psychiatrie und der Reduktion auf die »Krankheits-Identität« begründet liegt. Andererseits zeigen die Fälle, in denen eine Selbstidentifikation mit der Diagnose stattfindet, dass diese Form der kommunikativ vermittelten Compliance nicht mit einer Compliance hinsichtlich der therapeutischen Intervention gleichzusetzen ist.
In Bezug auf Forschungen zum Thema Zwang in der Psychiatrie kann vertiefend ergänzt werden, dass Zwang sich nicht nur in Zwangsunterbringungen und –medikationen vollzieht. Innerhalb der sozialen Realität ehemaliger Patientinnen und Patienten nehmen auch die Fremdidentifikationen durch Professionelle eine Zwangsdimension an, die sogar zur Bedrohung der eigenen Identität werden kann – am deutlichsten wird dies im Fall von Karina.
Wie lassen sich die Ergebnisse in den (psychiatrie‑) soziologischen Forschungsstand einordnen? Die Ergebnisse können v.a. an Goffmans Studie Asyle (1961/1981) und Riemanns Untersuchung über Das Fremdwerden der eigenen Biografie (1987) anknüpfen.
Die Problematik der Degradierung zum Objekt von Fremdbestimmung wurde in ähnlicher Weise auch von Goffman in der Studie Asyle benannt (siehe 2.). Offensichtliche Verletzungen der »persönlichen Identität«, wie das Tragen von Uniformen, das Entwenden jeglicher persönlicher Gegenstände oder »Gehorsamstests« gehören wohl nicht mehr zum Klinikalltag – zumindest wird dies in den vorliegenden Daten nicht evident. Dennoch leiden Patientinnen und Patienten vermutlich – auch nach der Psychiatriereform der 70er Jahre und den sozialpsychiatrischen Bemühungen – noch immer unter der Erfahrung der Degradierung und Fremdbestimmung. Auf der Grundlage des vorliegenden Materials kann vermutet werden, dass sich Degradierungen heute subtiler vollziehen – d.h. sie schleichen sich v.a. in soziale Interaktionen ein und sind nicht mehr an offensichtlichen Symbolen wie der Uniform zu erkennen.
Goffman nennt fünf Formen der Anpassung an die Degradierung und das Privilegiensystem in der Psychiatrie (siehe 2.). Die in dieser Arbeit erzielten Ergebnisse geben Anlass zu der Vermutung, dass diese »Typen« sich innerhalb der letzten Jahrzehnte verändert haben. Ramona könnte keinem dieser Typen zugeordnet werden, da sie sich zwar gegen die psychiatrische Intervention wehrt, aber zugleich sozialen Kontakt und Zuwendung in der Psychiatrie sucht. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Atmosphäre in der Psychiatrie tatsächlich »menschlicher« geworden ist (Floeth 1991, S. 119). Karina deutet auf eine ganz entscheidende und mit weiteren Fällen zu prüfende Entwicklung hin: Zwar könnte sie dem »kompromißlosen Standpunkt« nach Goffman (sic! 1961/1981) zugeordnet werden, doch bei ihr kommt eine wichtige Dimension hinzu – die Haltung der Expertin im Kampf gegen die Demütigung und Einschränkung ihrer Autonomie. Evtl. sind Patientinnen und Patienten heute versierter und selbstbewusster im Umgang mit einer »totalen Institution«. Dies wird durch Boris bestätigt, denn auch er wehrt sich gegen die Fremdbestimmung, indem er auf medizinisches Expertenwissen zurückgreift. Boris’ Entwicklung könnte im Sinne von Goffman als eine vom »kompromißlosen Standpunkt« hin zur »Konversion« verstanden werden.
Auch zu Gerhard Riemanns Arbeit Das Fremdwerden der eigenen Biographie (1987) können die Ergebnisse in Bezug gesetzt werden. Insbesondere Riemanns Ergebnisse hinsichtlich der Prozesse der Fremd- und Selbstidentifikation können herangezogen werden: So kann bei Ramona in der Übernahme des psychiatrischen Kategoriensystems die Entwicklung einer »essentialistischen Identitätszuschreibung« (Riemann 1987, S. 439) festgestellt werden, die bei ihr mit einem Verzicht auf die Zuständigkeit für die eigene Biografie einhergeht. Zwar findet auch bei Karina ein »Eindringen psychiatrischer Terminologie in das eigene autobiographische Kategoriensystem« (ebd., S. 446) statt. Jedoch entscheidet sie, welche Begriffe sie als zutreffend empfindet und sie setzt die psychiatrische Terminologie für ihre Rolle als Expertin – und zwar gegen psychiatrische Definitionsansprüche – ein. Auch Boris verwendet psychiatrische Fachtermini primär, um seine eigene Meinung damit zu verteidigen und sich gegen die Fremdbestimmung durch die Ärztinnen und Ärzte zu wehren. Riemann nennt das »Zum-Experten-Werden« (ebd., S. 468) zwar auch als ein Ergebnis, bezieht diese Kategorie aber v.a. auf die Haltung zur eigenen Biografie und nicht auf das Verhältnis zur Psychiatrie bzw. zu den Professionellen in der Psychiatrie. Auch Riemanns Untersuchung kann also auf Grundlage dieser Studie um diesen (neuen) »Typus« erweitert werden.
Die Ergebnisse der Studie müssen aufgrund ihrer methodischen Grenzen vorerst nur als Annahmen betrachtet werden. Die Grenzen der Studie selbst liegen vor allem in der sehr begrenzten Fallauswahl begründet. In einer anknüpfenden Forschungsarbeit sollten mehr Fälle, v.a. maximal kontrastierende Fälle, in die Analyse miteinbezogen werden, um eine Typenbildung vornehmen zu können.
Dennoch lassen sich auf Grundlage der Ergebnisse praktische Implikationen formulieren, die als Anregungen für die Praxis verstanden werden sollen. Es ist zu begrüßen, wenn die für die Patientinnen und Patienten in Bezug auf die psychiatrische Intervention bedeutsamen, sich begrenzenden Horizonte Autonomie und Fremdbestimmung in jeder sozialen Interaktion von Professionellen reflektiert werden. Hierzu gehört es auch, die Meinung sowie die Sorgen und Ängste der Betroffenen wahrzunehmen, ernst zu nehmen und auf diese einzugehen, sodass bei den Patientinnen und Patienten nicht das Gefühl der Degradierung entsteht. Auch sollten die Auswirkungen von (»essentialistischen«) Zuschreibungen (bspw. psychiatrischer Diagnosen) auf die Identitätsentwicklung reflektiert werden und, so schwierig das manchmal sein mag, eine Reduktion auf die »Krankheits-Identität« vermieden werden. Dazu gehört es auch, den Patientinnen und Patienten die Möglichkeit zu geben, ihr Bild von sich aufrechtzuerhalten und zu präsentieren – bspw. wenn es um berufsbiografische Entscheidungen oder das Problem der Gewichtszunahme durch Medikamente geht.
Schließlich kann auf Grundlage der Interviews davon ausgegangen werden, dass sich Patientinnen und Patienten eine über die Pharmakotherapie hinausgehende Behandlung wünschen, die durch die Schlüsselwörter »sozialer Kontakt« und »Zuwendung« umschrieben werden kann.
(nach Bohnsack, 2003b, S. 235)
⎣: | Beginn einer Überlappung bzw. direkter Anschluss beim Sprecherwechsel : |
⎦: | Ende einer Überlappung: |
(.): | Pause bis zu einer Sekunde: |
(2): | Anzahl der Sekunden, die eine Pause dauert: |
nein: | betont: |
nein: | laut (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin): |
°nee°: | sehr leise (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin): |
.: | stark sinkende Intonation: |
;: | schwach sinkende Intonation: |
?: | stark steigende Intonation: |
,: | schwach steigende Intonation: |
viellei-: | Abbruch eines Wortes: |
oh=nee: | Wortverschleifung: |
nei::n: | Dehnung, die Häufigkeit vom : entspricht der Länge der Dehnung: |
(doch): | Unsicherheit bei der Transkription, schwer verständliche Äußerungen : |
(: | ) unverständliche Äußerungen, die Länge der Klammer entspricht : |
etwa: | der Dauer der unverständlichen Äußerung: |
((stöhnt)): | Kommentare bzw. Anmerkungen zu parasprachlichen, nicht-verbalen oder gesprächsexternen Ereignissen; die Länge der Klammer entspricht im Falle der Kommentierung parasprachlicher Äußerungen (z. B. Stöhnen) etwa der Dauer der Äußerung. In vereinfachten Versionen des Transkriptionssystems kann auch Lachen auf diese Weise symbolisiert werden. In komplexeren Versionen wird Lachen wie folgt symbolisiert:: |
@nein@: | lachend gesprochen: |
@(.)@: | kurzes Auflachen: |
@(3)@: | 3 Sek. Lachen: |
//mhm//: | Hörersignal des Interviewers, wenn das »mhm« nicht überlappend ist: |
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