Prozesstheorie der Elternschaft
Grundlage zur Reflexion und Offenlegung von Elternschaftskonzepten in Forschung und Berufspraxis

Désirée Waterstradt

Zusammenfassung

Bislang verfügen Forschung und Berufspraxis über kein expliziertes Elternschaftskonzept, sondern können lediglich auf unhinterfragte Vorstellungen von Elternschaft zurückgreifen, diese hilfsweise systematisieren und durch theoretische Fragmente ergänzen. Statt die Orientierung in Hinblick auf Elternschaft zu verbessern, wird so die Normativität der Diskurse über Elternschaft ungewollt fortgeschrieben. Dieser Beitrag skizziert eine theoretische Beschreibung von Elternschaft, basierend auf der Prozesstheorie von Norbert Elias. Elternschaft wird darin nicht nur als psycho-soziales Prozessphänomen von Individuen verstanden, sondern zugleich als langfristiger psycho-sozialer Metaprozess von Gesellschaften, den Menschen über ihre Beziehungsgeflechte sozialhistorisch miteinander bilden. Über diesen unverzichtbaren Kernprozess der Elternschaft gewährleisten Gesellschaften ihre Generativität und prägen damit jeweils Kanon, zugehörige Ideale und Habitus der Elternschaft.

Schüsselwörter: Elternschaft, Elternidentität, Familie, Habitus, Gender, Generativität, Macht

Summary

Process theory of parenthood

Basics for the reflection and disclosure of parenthood concepts in research and professional practice

Up to now research and professional practice do not have any consistent theoretical concept of parenthood. Therefore they can only fall back on unquestioned ideas which they try to systemize and amend with theoretical fragments. Instead of improving a theoretical perspective they unwillingly fuel the normative discourse on parenthood. This paper now lines out a theoretical approach to parenthood, based on the process theory by Norbert Elias. Parenthood is not only understood as a psycho-social process of individuals but at the same time as a long-term psycho-social process of societies, in which individuals are socio-historically embedded via their networks. Through this indispensable core-process of parenthood societies ensure generativity and mold standards, ideals and habitus of parenthood.

Keywords: parenthood, parental identity, family, habitus, gender, generativity, power

In der psychischen Entwicklung von Menschen wird Eltern eine zentrale Bedeutung zugeschrieben. Nicht nur die Psychologie sieht dies so, sondern beispielsweise auch die Soziologie, Sozialisationsforschung und Pädagogik. Umso erstaunlicher ist es, dass bislang kein Elternschaftskonzept als theoretische Basis für Forschung und Berufspraxis entwickelt wurde, wie sowohl der Soziologe Norbert Schneider (Schneider 2002, S. 10) als auch die Psychologin Sharon Ramey (Ramey 2002, S. 56) konstatieren.

Bis heute wird der Elternschaftsbegriff weder in Handbüchern und Lexika noch in Fachbeiträgen systematisch und konsistent expliziert bzw. definiert (Waterstradt 2015, S. 93). Die Elternschaftsforschung verfügt insofern bislang über kein wissenschaftliches Elternschaftskonzept, sondern kann lediglich auf unhinterfragte Vorstellungen von Elternschaft zurückgreifen, diese hilfsweise systematisieren und durch theoretische Fragmente ergänzen. Um wissenschaftlichen Anforderungen zu genügen, können Schlüsselbegriffe jedoch nicht lediglich implizit oder subjektiv angelegt sein, sondern bedürfen einer expliziten, intersubjektiven Verständigungsbasis als nachvollziehbare Arbeitsgrundlage.

1. Mythisierung von Familie

Einige Forscher_innen bemängeln schon seit Längerem, dass Forschung und Berufspraxis über die mangelnde Reflexion ihres Verständnisses von Familie normativ-ideologisierende, ahistorische Vorstellungsmythen bzw. Ideale transportieren. Problematisch werden diese in dem Moment, wenn bei der Beurteilung des Familienalltags Abweichungen als defizitär aufgefasst werden (Lenz 2002, S. 148) – etwa im Familiengericht, bei Therapien, der Jugendhilfe, der Erziehungsberatung oder der Elternarbeit von Kitas und Schulen; aber auch in der Medienberichterstattung, familienpolitischen Maßnahmen oder wissenschaftlichen Studien. Im fachlichen Kontext gefährdet ein solch verdecktes Einfließen von normativen Maßstäben letztlich die Professionalität, denn »hinter der begrifflichen Schlamperei steckt oft Ideologie« (Sieder 2008, S. 55). Forschung und Berufspraxis müssen sich insofern im Sinne der eigenen Professionalität um eine Klärung der Begriffskonzepte rund um die Familie bemühen.

Bis heute sind Mythen von Familie jedoch bedeutsame gesellschaftliche Orientierungsmittel und damit zugleich Machtinstrumente:

»Wo der Mythos als Element der Doxa, der unbefragten Seinsgewissheit, verteidigt wird, entsteht aus der Doxa Orthodoxie, in den Religionen wie in den Wissenschaften, und auch in den psychotherapeutischen Theorien. Genau in diesem Moment wird der Mythos aggressiv, verbirgt, leugnet und verhüllt, was ihn (und die Interessen seiner Prediger) gefährden könnte.« (Sieder 2010, S. 46)

Deshalb forderte Norbert Elias, dass Wissenschaftler_innen sich als »Mythenjäger« verstehen sollten, um Vorstellungsmythen durch Tatsachenbeobachtung als faktisch nicht fundiert zu entlarven und so zur Weiterentwicklung des sozialen Wissens beizutragen (Elias 2006a [1970], S. 65f.). Tatsächlich haben Forschung und Berufspraxis die Mythenbildung rund um die Familie jedoch oftmals selbst bedient, begleitet und befördert. Sozialhistorisch ist dies verständlich: Denn für die kleine gesellschaftliche Oberschicht des Bürgertums war ihr Familienkonzept zugleich das »Herzstück der bürgerlichen Kultur« (Budde 2009, S. 25). Mit der Verbürgerlichung moderner Nationsgesellschaften wurde es zum gesamtgesellschaftlichen Ideal – empfunden quasi als »Natur« der Familie. In den Erschütterungen des Sozialgefüges durch Aufklärung und Säkularisierung griff dieses Ideal auf das mythische Bild der christlichen Urfamilie von Nazareth zurück (Sieder 2008, S. 13), so dass die Familie vielen Menschen bis heute als »heilig« gilt.

»Die Triade von Vater, Mutter und (leiblichem) Kind umhüllt die mythische Aura einer Zusammengehörigkeit von Natur. Sie entsteht aus der kulturellen Deutung der biologisch-sozialen Filiation in Metaphern wie der vom »eigenen Fleisch und Blut«. Obwohl leicht zu belegen ist, dass Ehe und Elternschaft synchron – in den verschiedenen sozialen Klassen – und diachron – in den verschiedenen historischen Epochen – höchst vielfältig entworfen, gestaltet und erfahren werden, zeichnet sie der Familien-Mythos dennoch als zeit- und ortlos. Er suggeriert, die Herrschaft des Mannes über die Frau und die Herrschaft der Eltern über die Kinder seien unveränderlich, ewig, heilig. Wer dies nicht respektiere, versündige sich.« (Sieder 2010, S. 46)

2. Folgen der Mythisierung für Elternschaft

Bis heute tun sich moderne Zivilgesellschaften schwer, die sozialhistorisch entstandene »Familienreligion« (Nipperdey 1990, S. 44) und die zugehörigen Beziehungs- und Identitätsideale in ihren struktur- und habitusbildenden Wirkungen zu reflektieren. Dadurch werden Familie, Elternschaft, Kindheit und Ehe in zahlreichen Vorstellungsmythen naturalisiert, was die Weiterentwicklung des sozialen Wissens blockiert (Bühler-Niederberger 2005; Lenz/Böhnisch 1997, S. 11; Mitterauer 1977a; Nave-Herz 2004; Oelkers 2005, S. 116; Schmidbauer 2015; Sieferle 2008a, S. 1; Waterstradt 2015). Die fehlende Diskussion und Klärung des familialen Schlüsselkonzepts der Elternschaft ist hierfür ein anschauliches Beispiel.

Darüber hinaus gibt es bis heute keine Sozialgeschichte, Entwicklungspsychologie oder Soziologie der Elternschaft. Durch die »Entdeckung« der Kindheit und das wachsende Interesse am Kind wurde der Blick auf Elternschaft zunehmend kritisch, distanziert-funktionalistisch und erschwerte eine Identifizierung mit Menschen in Elternposition. Die westchristliche Ehrung und Charismatisierung der Elternposition des Mittelalters – unter Vorrang des Mannes – ging in der Neuzeit zunehmend auf die Kindposition über. Dies bedeutete komplementär für die Elternposition eine schleichende Ent-Charismatisierung, die mitunter in eine Stigmatisierung und Beschämung überging. Mit der Erschütterung des Konzepts »patriarchaler Elternschaft« (Sieder 2008, S. 310) war nicht mehr nur die weibliche, sondern zunehmend auch die männliche Elternposition angreifbar. Aus dem elternzentrierten Verwandtschaftskonzept des Mittelalters wurde das heutige kindzentrierte Familienkonzept – damit wandelten sich auch die Erziehungsideale von der Eltern- zur Kindzentrierung.

Die Entdeckung von Eltern als Individuen und menschlichen Wesen stößt deshalb auf erhebliche Widerstände (Omer/Schlippe 2002, S. 76). Denn dies ließe die Verabsolutierung des Kindeswohls und die Zuschreibung totaler Fürsorgeverantwortung für das Kindeswohl im modernen Konzept der verantworteten Elternschaft fraglich erscheinen (siehe Wutzler, in diesem Themenschwerpunkt). Zwischen den Institutionen von Staat, Privatwirtschaft, Gemeinnützigkeit und Familien schaukelte sich ein fataler Konkurrenzmechanismus rund ums Kind auf, wobei der kindzentrierte Perfektionsanspruch in der expertengeleiteten Sozialisation zur Profilierungschance und zum Geschäftsmodell wurde. Gesellschaftlich geraten Eltern unter wachsenden Druck, da Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen (Merkle/Wippermann 2008; Schneider/Diabaté/Ruckdeschel 2015; Sieder 2010; Trotha 2008).

Im modernen »Patchwork der Identitäten« (Keupp et al. 1999) ist davon auch die Entwicklung einer adoleszenten Teilidentität der Elternschaft betroffen. Während Identitätskonstruktionen des Mittelalters die Elternrolle mit Charisma und Autorität ausstatten, kommt es in der Moderne zu einer »Labilisierung der Elternidentität«; Vorbildfunktion und Kompetenz von Eltern werden infrage gestellt – ein Phänomen, mit dem sich »weite Teile der ›Forschungsgemeinschaft‹ (der Humanwissenschaften inklusive Psychoanalyse) […] nicht auseinandersetzen« (Zenaty 2001, S. 46f.). Als unverzichtbare Teilidentität bei der gesellschaftlichen Entwicklung in Generationenketten und Baustein der Identitätsentwicklung im mittleren Erwachsenenalter wird die Ausbildung einer Elternidentität ausgeblendet und entwertet. Damit werden die Konflikte zwischen moderner Elternidentität und anderen Teilidentitäten – insbesondere der heute so zentralen Berufsidentität – individualisiert und bleiben als zunehmend schwer zu bewältigende Aufgaben moderner Identitätsentwicklung weitgehend unreflektiert. Geht es – ungeplant und unbeabsichtigt – um ein »Vergessen, was Eltern sind«, um die »Institutionalisierte Verdrängung« von Eltern (Reidy 2012, S. 330) und Elternschaft?

Der Blick auf Elternschaft scheint in einem Teufelskreis gefangen, bei dem die erforderliche Reflexion, Differenzierung und Offenlegung von Elternschaftskonzepten und die Ängste davor sich wechselseitig blockieren. Während in zahllosen Wissensbereichen – insbesondere in den Naturwissenschaften – eine Weiterentwicklung von Mythen als früher Form sozialen Wissens gelungen ist, steht dies bei Elternschaftsmythen noch aus.

3. Begriffsklärung: Wortherkunft von Elternschaftsbegriffen

»Eltern« und »Elternschaft« sind zentrale Begriffskonzepte der Verwandtschaftsterminologie und doch gibt es sie keineswegs in allen menschlichen Gesellschaften. Allerdings scheinen sie uns so selbstverständlich und zur »zweiten Natur« geworden zu sein, dass bislang nicht die Notwendigkeit gesehen wurde, ihre Entstehung zu reflektieren. Doch die Wortgeschichte des deutschen Elternbegriffs zeigt den dahinter stehenden langfristigen sozialen Wandlungsprozess. Der Wandel der Verwandtschaftsterminologie in Europa spiegelt einen über die vergangenen 2.500 Jahre beobachtbaren »großen Transformationsprozess« wider (Mitterauer 2003b, S. 70–108). Dabei schwächt sich die patrilineare, patrilokale und patriarchale Prägung der Sozial- und Verwandtschaftsverhältnisse der Frühzeit allmählich zugunsten einer bilateralen, gatten- bzw. elternzentrierten und gewandelt partriarchalen Prägung im Mittelalter ab. Es kommt zu einer Parallelisierung bzw. Angleichung von Begriffskonzepten der Verwandtschaft. Dieser Transformationsprozess setzt sich in der Neuzeit bis heute fort und lässt erheblichen Wandlungsdruck in den Sozial- und Verwandtschaftsverhältnissen auf allen Ebenen der Gesellschaft erkennbar werden.

Wie Mitterauer (2003a) zeigt, kommt es auf der Basis verschiedener Einflussfaktoren wie Religion und Grundherrschaft im Mittelalter zur »Gleichsetzung des Begriffs für Eltern und über die Eltern laufende Verwandtschaftsbeziehungen« vom klassischen Latein bis in die heutigen europäischen Sprachen: »Man könnte in diesem Sinne von einem ›elternzentrierten‹ Verwandtschaftssystem sprechen« (Mitterauer 2003a, S. 179). Der erste deutsche Elternbegriff »eltiron« ist ab dem frühen Mittelalter (ca. 765) nachweisbar und geht auf die indogermanische Sprachwurzel »al-« (nähren, wachsen machen, wachsen) zurück. Der Begriff »Elternschaft« ist ein personaler Kollektivbegriff, der mithilfe des früher selbständigen althochdeutschen Substantivs »scaf« (Beschaffenheit, Ordnung, Plan, Rang) gebildet wurde. Komposita mit »-schaft« entstanden ab dem 8. Jahrhundert, allerdings dürfte sich der Begriff »Elternschaft« erst gegen Ende des Mittelalters entwickelt haben.

Sowohl das deutsche als auch das englische Kompositum »Elternschaft« bzw. »parenthood«[1] sind personale Kollektivbegriffe, die die kollektive Beschaffenheit der Beziehungsgeflechte rund um Eltern verdeutlichen. Verhalten, Denken, Wissen und Empfinden in Bezug auf Elternschaft stehen nicht in der beliebigen, willkürlichen Entscheidung einzelner Menschen, sondern werden als kollektiver Sinn mit Standardisierungen zu Ordnung, Rang und Status gesellschaftlich entwickelt. Gerade in Anbetracht heutiger Ideale von Individualismus, Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit lassen die Entwicklungen dieser Begriffskonzepte bereits zugrundeliegende Grenzen erkennen. Menschen hatten wohl zu keiner Zeit und haben auch heute nicht die vollständige Wahlfreiheit, Elternschaft nach ihren rein persönlichen Bedürfnissen oder Empfindungen zu gestalten. Um die Unterschiede der Beschaffenheit von Elternschaft verschiedener Zeiten, Gegenden und sozialer Milieus beschreiben zu können, kann ein theoretisches Elternschaftskonzept als ein wichtiges Hilfsmittel dienen.

4. Entwicklung eines ersten Elternschaftskonzepts: Prozesstheorie von Norbert Elias als Basis

Biografisch erscheint es selbstverständlich und trivial, Elternschaft als Prozess psycho-sozialer Entwicklung zu verstehen. Doch erst auf der Basis eines ausreichend differenzierten Prozessverständnisses (Miebach 2008, S. 373) ist die Entwicklung eines differenzierten Konzeptes möglich. Die Prozesstheorie von Norbert Elias wird heute als visionär eingestuft (Miebach 2009, S. 117) und bietet eine passende Grundlage. Denn sie beschreibt gesellschaftliche Entwicklung als langfristigen Prozess, nämlich als eigendynamischen, sich wechselseitig bedingenden Zusammenhang von Psycho- und Soziogenese (Elias 1997 [1939])[2]. Die Prozesstheorie ist damit zugleich »Langzeitpsychologie« (Gleichmann 2006, S. 257) und Prozess-Soziologie, d.h. sie erklärt individuellen und gesellschaftlichen Habituswandel[3] und -vererbung im Bedingungskontext des langfristigen sozialen Wandels in Generationenketten.

Die Prozesstheorie versteht nicht nur Menschen als bio-psycho-soziale Prozesse, die sich laufend weiterentwickeln. Auch Beziehungsgeflechte, die Menschen aufgrund ihrer fundamentalen Angewiesenheit aufeinander bilden, sieht sie als Prozesse, die sich über ihre immanente Verflechtungsdynamik laufend weiterentwickeln. Unabhängig von Größe und Funktionsbereich werden sie als Figurationen bezeichnet. Die kleinste Figuration ist eine Zweierbeziehung, die größte die gesamte Menschheit.

Durch das Synthesepotenzial dieses langfristigen Verflechtungsmodells werden langfristige psycho-soziale Veränderungsprozesse erkennbar und als Wandel beschreibbar, in den kurzfristige psycho-soziale Veränderungsprozesse von wenigen Jahren oder Jahrzehnten eingebettet sind. Doch ohne eine langfristige Einbettung bleibt die Beobachtung psycho-sozialer Veränderungen relativistisch und nur sehr bedingt erklärbar. Aufgrund dieser weitreichenden gedanklichen Synthese spielten bei Elias auch Familie und die Eltern-Kind-Beziehung eine wichtige Rolle.

Bislang steht bei Erforschung und berufspraktischer Beschäftigung mit Elternschaft vielfach die damit einhergehende relationale Praxis im Vordergrund, d.h. es geht um bestimmte Aspekte des Habitus von Eltern (vgl. Ramey 2002). Dabei bleiben die gesellschaftlichen Entstehungs- und Bedingungszusammenhänge sowie Bewertungsmaßstäbe jedoch weitgehend im Dunkeln. Der im Folgenden vorgestellte erste theoretische Ansatz[4] befördert ein differenziertes Gesamtverständnis des komplexen bio-psycho-sozialen Prozesses der Elternschaft.

4.1 Elternschaft als Kernprozess sozialer Generativität

In ihrem Konzept der psycho-sozialen Identitätsentwicklung beschrieben Erik und Joan Erikson Generativität als siebte Phase (Erikson/Erikson 1997). Generativität ist »das Interesse an der Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation«, deren Mangel zu Selbstabsorption, Stagnation und Langweile führt sowie psychisches Wachstum verhindert. Ziel ist die Entwicklung von Fürsorgefähigkeit für die Folgegeneration und die diesbezügliche Übernahme von Fürsorgeverantwortung (»elterliche Verantwortung«), ohne sich selbst zu vernachlässigen (Erikson 1991, S. 117f.). Die Entwicklung von Generativität oder Elterlichkeit wird dabei nicht auf Elternschaft beschränkt, sondern kann auch in anderen Kontexten wie Beruf oder Politik entwickelt werden. In der individuellen Psychogenese des mittleren Erwachsenenalters beruht sie auf gesellschaftlichen Grundlagen, wie die »Theorie der Generativität« (McAdams/St. Aubin 1992) und die dazugehörige Forschung zeigen:

»Generativity is shaped by and expressed through cultural norms, social movements, societal institutions, and public policy. As do individuals, societies themselves may differ dramatically with respect to the content and the form of generative expression. Generativity happens in society. Yet until very recently, psychologists and other social scientists have not thought systematically about the societal dimensions of generativity.« (McAdams/Logan 2004, S. 27)

In einer psycho-sozial nicht ausreichend entwickelten, »unerwachsenen Gesellschaft« muss es Menschen – gesamtgesellschaftlich und individuell – insofern relativ schwer fallen, den »Freiheitswillen auf pubertärer Stufe« zur »Stufe der Elterlichkeit« weiterzuentwickeln (Richter 2006, S. 56). Denn dies bedeutet, Freiheiten zugunsten der Übernahme von Fürsorgeverantwortung für die Folgegeneration aufzugeben. Die Auseinandersetzung mit Generativität zeigt insofern, dass Elternschaft nicht lediglich als ein von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unabhängiger, individueller Prozess verstanden werden kann: Elternschaft ist der für jede Gesellschaft unverzichtbare, gesamtgesellschaftliche Kernprozess sozialer Generativität – und damit Grundlage zur Entwicklung persönlicher Generativität.

Die Unverzichtbarkeit für alle Gesellschaften liegt darin begründet, dass Teilprozesse aus drei grundlegenden Funktionsbereichen gekoppelt und miteinander verflochten werden:

  1. die biogenetischen Teilprozesse der Fortpflanzung im Sinne der biologischen Stiftung von Menschenleben einer Folgegeneration,

  2. die psychogenetischen Teilprozesse der Habitusentwicklung dieser Menschen und

  3. die soziogenetischen Teilprozesse zur Aufrechterhaltung oder Veränderung von Beziehungsgeflechten, innerhalb derer die bio- und psychogenetischen Teilprozesse funktional verankert sind. So wandelt sich beispielsweise das sogenannte »Haus« als zentrale Lebens-, Wirtschafts- und Rechtseinheit des Mittelalters in der Neuzeit zur »Familie«.

Elternschaft bezieht sich einerseits auf die genetische Beziehungsebene der Generationsstiftung von einem weiblichen und einem männlichen Elter zu mindestens einem genetischen Nachkommen. Andererseits bezieht sich Elternschaft auf die soziale Beziehungsebene von mindestens einem entwicklungsälteren sozialen Elter zu mindestens einem entwicklungsjüngeren sozialen Nachkommen. Aufgrund der unzureichenden genetisch basierten Verhaltensausstattung des Menschen erweist sich Elternschaft als fundamental sozial geprägter Prozess. Allerdings besteht wegen der unverzichtbaren biogenetischen Prozessanteile die Neigung, den sozialen Prozess der Elternschaft mithilfe pseudo-biologischer Konnotationen auszudeuten – insbesondere geschlechterbezogen. Im Vergleich verschiedener Zeiten, Kulturen und Schichten zeigt sich, dass die Ausgestaltung sozialer Elternschaft äußerst variabel ist (Alber 2013).

Im Sinne des eigenen Fortbestehens in Generationenketten kann jedoch keine Gesellschaft darauf verzichten, Elternschaft als generativen Kernprozess zu gewährleisten. Entsprechend der Entwicklungsanforderungen anderer psycho-sozialer Grundprozesse wie Symbol-, Staats- oder Wirtschaftsentwicklung wird der Elternschaftsprozess komplementär überformt, gewandelt und angepasst. Die sozialhistorische Forschung bestätigt diese Hierarchie gesellschaftlicher Wandlungsprozesse:

»Betrachtet man die Wechselwirkungen zwischen der Familie und umgreifenden Sozialgebilden im historischen Ablauf, so lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass die Dynamik der Entwicklung mehr von letzteren ausgeht. Veränderungen der Familienverfassung erfolgen eher als Reaktion auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse, als dass sie diese initiieren und stimulieren.« (Mitterauer 1977b, S. 18)

Dabei verändern sich die Antworten auf die vier generativen Schlüsselfragen: 1. Was wird generativ weitergegeben? 2. Wer profitiert davon? 3. Wann kann daraus Nutzen gezogen werden? (Erikson 2004, S. 52ff.) 4. Wer investiert? Die jeweiligen Antworten machen eine generative Ordnung mit den zugehörigen Beziehungsstärkeverhältnissen bzw. Machtbalancen beschreibbar. Diese Gesamtkonstellation kann als »generative Machtarchitektur« bezeichnet werden, die wiederum ein unverzichtbarer Teil der gesamten Machtarchitektur einer Gesellschaft ist (Waterstradt 2015). Die Zuordnung generativer Rechte und Pflichten verläuft dabei entlang der vielfältigen Linien sozialer Differenz von Geschlecht, Alter, Schicht, Herkunft etc.

4.2 Figurationen der Elternschaft

Generative Funktionen für junge Menschen werden in Gesellschaften praktisch nie ausschließlich durch die Eltern übernommen, sondern durch eine Vielzahl von Personen (d.h. habituell »Ältere«). Das generative Funktions- und Beziehungsgeflecht kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. In der Entwicklung oder Soziogenese einer Gesellschaft entwickeln sich verschiedene Typen von Figurationen, denen generative Funktionen zugeordnet werden. Diese können sehr unterschiedliche Konstellationen aufweisen und weichen dabei vielfach sehr wesentlich von modernen westlichen Figurationstypen wie Kernfamilie, Kita, Schule oder Ausbildungsbetrieb ab[5]. Ob das Stillen eines Säuglings beispielsweise mit Milch oder Milchersatz durch eine Amme, eine Säuglingskrankenschwester, ein männliches oder weibliches Elter übernommen wird, ob diese Funktion in der gleichen Figuration wie die Eltern angesiedelt ist oder außerhalb (Loytved 2006) – im Haushalt der Amme, der Säuglingsstation eines Krankenhauses oder bei Kronprinzen der höfischen Gesellschaft in einem eigenen Haushalt mit separatem Hofstaat.

Je mehr sich Gesellschaften ausdifferenzieren, desto mehr werden generative Funktionen auf unterschiedlichen Ebenen organisiert. Während Stämme noch relativ einfach organisiert waren, so weisen moderne Nationsgesellschaften eine hohe Komplexität auf und sind insofern komplexe generative Mehrebenenfigurationen. Sie regeln beispielsweise nicht nur Abstammungsrecht, sondern auch Vorstellungen zum Kindeswohl oder zur Habitusbildung von Kindern und auch von Eltern. Durch die zunehmende Verflechtung menschlicher Gesellschaften werden generative Funktionen immer vielfältiger, anspruchsvoller und innerhalb der sich entwickelnden, zunehmend komplexen generativen Machtarchitektur einer Figuration geordnet. Politische, wirtschaftliche und soziokulturelle Figurationen einer Gesellschaft bedingen den sozialen Elternschaftsprozess komplementär, schließen ihn damit quasi figurativ ein, ordnen ihn anderen sozialen Meta- oder Grundprozessen funktional zu. Die relativ autonomen, sozialen Verflechtungsprozesse wirken auf Elternschaft ein und entfalten ihren selbstregulierenden Charakter – für die darin verflochtenen Menschen spürbar als von außen wirkende Fremdzwänge und als verinnerlichte Selbstzwänge.

4.3 Kanon der Elternschaft

Zur Ordnung der Generativität entwickelt sich in jeder Gesellschaft ein vielschichtiger Kanon der Elternschaft, der quasi die geschriebenen und ungeschriebenen »Spielregeln« der Elternschaft umfasst. Über diese generativen Standardisierungen werden wichtige Fragen beantwortet:

Der Kanon der Elternschaft enthält insofern immer auch Standardisierungen bezüglich Ehre und Scham, d.h. auch zu Moral, Peinlichkeit, Geschmack oder Stolz der Elternschaft. Allerdings sind diese Standardisierungen Menschen größtenteils nicht bewusst.

Der Elternschaftskanon enthält auch Figurationsideale, die als sehr reale Ideale und Traumbilder für die Art von Beziehungsgeflechten stehen, in denen Menschen einer Gesellschaft Elternschaft gerne leben würden. Diese Ideale enthalten immer ein Gemenge gefühlsgeladener Phantasien und realistischer Vorstellungen. Sie müssen deshalb nicht konsistent sein, sondern können Widersprüchlichkeiten enthalten. Elternschaftsideale beinhalten nicht nur Ich-Ideale bezüglich der eigenen Umsetzung des sozialen Elternschaftskanons, sondern auch Du-Ideale, Wir-Ideale oder Sie-Ideale und entfalten darüber einen Aufforderungscharakter, der als Selbstzwang und Fremdzwang wirkt. Elternidentitäten und -bilder sind mit Elternschaftsidealen meist nicht deckungsgleich, sondern weichen mehr oder weniger von diesen ab. Abweichungen können starke Spannungen und Konflikte innerhalb von Menschen oder in ihren Beziehungsgeflechten verursachen.

Nicht nur Kanon und Ideale der Elternschaft sind relativ dauerhaft, zäh und wandlungsresistent, sondern auch die zugehörigen Identitäten und Bilder. Ihr Wandel kann weit über die persönliche Elternschaft hinaus Krisen der Identität, des Selbstbildes und der Ideale verursachen und persönliche Elternschaft vorübergehend beeinträchtigen oder nachhaltig beschädigen.

4.4 Sozialer und persönlicher Habitus der Elternschaft

Am Elternschaftshabitus lässt sich beobachten, wie der Kanon der Elternschaft von Menschen gelebt und umgesetzt wird, welche Bestandteile aufrechterhalten und welche verändert werden. Er hat zwei Ebenen: die Ebene von Figurationen als sozialer Habitus und die Ebene von Menschen als persönlicher Habitus. Der soziale Elternschaftshabitus ist das »spezifische Gepräge« (Elias 2001 [1987], S. 244), das Menschen mit anderen Angehörigen ihrer Gesellschaft in Bezug auf Elternschaft habituell gemeinsam haben. Er ist die Grundlage, aus der heraus sich der jeweils persönliche Elternschaftshabitus von Individuen im Laufe ihres Lebens entwickelt. Dieser ist mit dem persönlichen Elternschaftshabitus von anderen nie vollständig identisch, sondern weist immer mehr oder weniger große Unterschiede auf.

Nur wenn Menschen den Elternschaftskanon habitualisieren, d.h. physisch und psychisch verinnerlichen, können sie ihn persönlich verkörpern, innerhalb ihrer Figurationen weitertragen und dadurch aufrechterhalten oder verändern. Sie werden damit zu Träger_innen und Akteur_innen des Elternschaftshabitus. Menschen eignen sich von Anfang an den Elternschaftskanon ihrer Gesellschaft an und spiegeln ihn in ihrem Habitus wider. D.h. lange bevor Menschen selbst zu »Eltern« werden können, eignen sie sich über ihre eigene Habitusentwicklung den Kanon der Elternschaft an.

Der im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklung ausgeformte soziale Elternschaftshabitus wird sowohl für die Gesellschaft selbst als auch für ihre Menschen als sozialer bzw. persönlicher Elternschaftshabitus quasi zur »zweiten Natur«. Deshalb empfinden Menschen den für ihre Gesellschaft spezifischen Elternschaftshabitus als »natürlich« und den anderer Zeiten, Gesellschaften oder gesellschaftlicher Gruppierungen als »unnatürlich«, oftmals sogar als bedrohlich oder unmenschlich – teilweise aber auch romantisierend als »natürlicher«.

Spannungen zwischen sozialem und persönlichem Elternschaftshabitus lassen Menschen wissen, ob sie sich mit ihrem persönlichen Elternschaftshabitus noch innerhalb oder schon außerhalb des sozialen Elternschaftshabitus bewegen. Dies zeigen auch die gesellschaftsspezifischen Muster des Lob- und Schimpfklatschs über Elternschaft, die oftmals über viele Generationen weitergegeben werden. Beispiele sind Begriffskonzepte wie »gute Mutter«, »neuer Vater«, »Affenliebe«, »Rabeneltern« oder der jüngst entstandene Schmähbegriff »Helikopter-Eltern« (Waterstradt 2014, S. 55ff.). Auch in der Fachsprache zeigen sich Wertungen und Umwertungen des Kanons der Elternschaft.

Je nach Spielräumen werden Verstöße gegen den jeweiligen gesellschaftlichen Elternschaftshabitus durch die umgebende Gesellschaft mehr oder weniger stark sanktioniert. Dabei reichen Sanktionen von Belehrungen über Beschämungen, Schimpfklatsch und Zurechtweisungen bis hin zu Strafen. Konnte beispielsweise in der Antike die Tötung eines Neugeborenen eine legitime Form der Geburtenregelung sein, so ist sie heute strafbar. Als Träger_innen des sozialen Elternschaftsprozesses ihrer Gesellschaft »wissen« Menschen, in welchen Figurationen und Habitus der Elternschaft sie selbst oder andere agieren sollten.

Durch den Elternschaftshabitus anderer Menschen bekommen Menschen den Kanon der Elternschaft der eigenen Figurationen vermittelt, indem er vorgelebt, erklärt, eingeübt, eingefordert und kontrolliert wird – insofern über Fremdzwänge auf die Menschen einwirkt, bis diese meist ein inneres Verlangen zur Einhaltung als Selbstzwänge entwickelt haben. Sozialer und persönlicher Elternschaftshabitus haben Aufforderungscharakter. Den persönlichen Elternschaftshabitus spiegeln Menschen in der gesamten Bandbreite ihres Verhaltens und Empfindens wider, einschließlich ihrer Ehr- und Schamstandards. Menschen inkorporieren den sozialen Elternschaftshabitus – in ihrer gesamten physischen und psychischen Existenz werden und sind sie insofern Eltern.

Der Wandel des sozialen Elternschaftshabitus geht meist langsam vor sich. Er wird durch gesamtgesellschaftliche Verflechtungsprozesse, durch resultierende Spannungen und Konflikte vorangetrieben sowie durch Wandlungsblockaden oder Gegenschübe gebremst. Abrupter Figurationswandel kann zu Ungleichzeitigkeiten im Habitus und damit zu Spannungen und Konflikten führen. Dies erleben Gesellschaften als soziale Konflikte und Menschen als innere Konflikte und/oder Beziehungskonflikte. Der Wandel des sozialen Elternschaftsprozesses weist immer gewisse Ungleichzeitigkeiten auf und lässt mehr oder minder große Spannungen entstehen.

4.5 Machtbalancen der Elternschaft

Macht ist generell und auch in Bezug auf Elternschaft ein allgegenwärtiger Aspekt aller menschlichen Beziehungen, so dass es in allen Beziehungen bewusst oder unbewusst immer auch um Beziehungsstärkeverhältnisse bzw. Machtbalancen geht. Da Beziehungsstärke aus einer Vielzahl von Machtquellen gespeist wird, gibt es in menschlichen Beziehungen nichts, was nicht machtrelevant ist. Alles was ein anderer braucht, kann zur Machtquelle werden: Essen, Geld, Zeit, Wissen, Gefühle oder Anerkennung. In Bezug auf Elternschaft können dies auch Kinderbetreuung, Förderung, wirtschaftliche oder rechtliche Absicherung, Infrastruktur, Noten oder Schulabschlüsse sein. Je nach sozialem und persönlichem Habitus sind die Beziehungs- bzw. Machtstrategien sehr unterschiedlich: offensiv bis defensiv, aggressiv bis unterwürfig, rational bis emotional, beschämend bis selbstbeschämend, fordernd bis aufopfernd. Da Menschen die Machtaspekte ihrer Beziehungen jedoch vielfach als peinlich empfinden, tabuisieren und verschleiern sie diese.

Wie alle sozialen Prozesse kann auch Elternschaft nur adäquat verstanden werden, wenn die damit verbundenen, gesellschaftsspezifisch höchst unterschiedlichen Machtquellen und die sich wandelnden, mehr oder weniger asymmetrischen Machtbalancen beleuchtet werden. Denn Elternschaft ist an Figurationen mit einer entwicklungsspezifisch ausgeformten, generativen Machtarchitektur gebunden. Welche Machtbalancen Elternschaft – auf und zwischen allen Ebenen – prägen, ist gesellschaftsspezifisch und wirkt stets zusammen mit anderen Differenzkriterien.

Machtbalancen der Elternschaft bilden das Verhältnis der Beziehungsstärke von Eltern(-positionen) gegenüber (den Positionen von) Dritten ab – nicht nur in Beziehung zum biologischen und/oder sozialen Mit-Elter sowie zum Kind, sondern auch gegenüber Verwandten, Ex-Partner_innen, anderen Eltern, Nachbar_innen, Lehrkräften, Arbeitgeber_innen, Politiker_innen oder anderen. Diese Beziehungen sind immer von den sie umgebenden, sozialen Machtverhältnissen und Entwicklungen geprägt. Menschen können die sozialen Machtverhältnisse der Generativität als mehr oder weniger geschickte Spieler oder Spielerinnen nutzen, sie können sich der sozialen Eigendynamik der generativen Machtarchitektur jedoch kaum entziehen. Die generative Machtarchitektur gibt über Figurationen, Kanon und Habitus vor, was generativ weitergegeben werden soll, wer davon profitieren soll, wer daraus Nutzen ziehen soll, wer investieren soll und gestaltet damit den sozialen Elternschaftsprozess auf allen Ebenen.

Die in dieser generativen Machtarchitektur entstehenden Konkurrenzmechanismen führen zu gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten. Je komplexer eine Gesellschaft wird, desto vielfältiger sind die auf Elternschaft wirkenden Konkurrenzmechanismen. Sie lassen – ungeplant und unbeabsichtigt – eine Entwicklungsdynamik entstehen, durch die sich die gesamte generative Machtarchitektur wandeln kann. Dabei können sich Zentralpositionen verändern. Diese können als persönlich konstituiert erscheinen, wie etwa bei männlichen Eltern, weiblichen Eltern, Ehegatten, Verwandten oder Kindern; sie können aber auch als institutionell-entpersönlicht erscheinen, wie etwa bei Kitas, Schulen, Beratungsinstitutionen, Unternehmen, Medien, wissenschaftlichen Institutionen oder Ministerien. Hierbei balancieren die Inhaber_innen der Zentralposition im Zentrum auf einer Spannung des Beziehungsgeflechts, innerhalb dessen sich Menschen als interdependente Gegner_innen und Aktionspartner_innen wechselseitig in Schach halten und damit die Spannungsbalance kultivieren.

Je stärker Zentralpositionen innerhalb einer generativen Machtarchitektur verankert sind, desto weniger Geschick ist zur Aufrechterhaltung notwendig. Je geschickter jedoch die Konkurrenzen durch die Zentralposition kultiviert werden, desto stärker wird der/die Positionsinhaber_in. In Figurationen, in denen Kindern die Zentralposition zukommt, wie etwa im Modell der kindzentrierten Familie, wachsen Kinder habituell in diese hinein und können zu geschickten Spielern bzw. Spielerinnen der Zentralposition werden; sie können von den Positionsanforderungen jedoch zugleich auch überfordert sein. Der Aufstieg oder Abstieg von Zentralpositionen innerhalb einer generativen Machtarchitektur entwickelt sich in ungeplant-unbeabsichtigten, langfristigen Entwicklungszyklen.

Je umfassender die Figurationsideale sozialer Gleichheit innerhalb einer generativen Machtarchitektur sind, desto weniger werden fortbestehende Machtdifferenziale akzeptiert und desto eher müssen sowohl die Machtdifferenziale selbst, als auch die dahinterstehenden Blockaden des Figurationswandels sowie das Hinterherhinken von Kanon und Habitus gewandelt oder symbolisch verschleiert bzw. tabuisiert werden.

Generative Machtarchitekturen sind – auch in der Moderne – von mehr oder weniger zwiespältigen Ehr- und Moralkanons geprägt, auf denen Balancen von Ehre und Scham für Positionen der Elternschaft und deren Komplementärpositionen beruhen. Die Empfindungen von Ehre und Scham sind ein wichtiger Indikator, der die Position in der hierarchischen Ordnung der Generativität einer Gesellschaft anzeigt. Sozialer Aufstieg oder Abstieg von Positionen der Elternschaft spiegeln sich in einem Wandel der Ehre wider. Allerdings werden Ehrkonzepte in modernen Gesellschaften meist ausdifferenziert und verdeckend über zahlreiche Ehrersatzbegriffe ausgedrückt – etwa als soziale Geltung, Anerkennung oder Wertschätzung.[6]

Wo die Anforderungen der Ehr- und Moralkanons der Elternschaft habituell nicht eingehalten werden können, fühlen sich Menschen beschämt. Dies kann so weit gehen, dass sie meinen, den sozialen Tod zu sterben und Gewalt gegen sich selbst oder andere ausüben. Die Beschämungsbalance der Elternschaft zeigt an, wer sich für Abweichungen vom Kanon der Elternschaft schämen muss und soziale Scham als Strafe für unerfüllte Ehre empfinden muss. Umgekehrt zeigt die Ehrbalance an, wer sich für die Einhaltung des Kanons geehrt und wertgeschätzt fühlen kann. Ein Wandel der Balancen von Ehre und Scham weist auf einen Figurationswandel hin. Generative Machtarchitekturen sind insofern immer auch generative Ehr- und Schamarchitekturen, die Habitusentwicklung auf der Gefühlsebene vorstrukturieren.

4.6 Geschlechterhabitus der Elternschaft

Der Geschlechterhabitus ist ein zentrales Merkmal, über das (Macht‑)Differenz in Bezug auf generative Funktionen hergestellt wird. Dies gilt trotz einer sozialhistorisch beobachtbaren Angleichung des Habitus männlicher und weiblicher Elternschaft bis heute auch in westlichen Gesellschaften. Zum Anstoßen der komplementären biogenetischen Teilprozesse sind – zumindest bis heute – von weiblicher Seite Eizellen und ein weiblicher Körper mit Gebärmutter sowie von männlicher Seite Spermien unverzichtbar. Dies scheint eine Vergeschlechtlichung des generativen Kernprozesses der Elternschaft befördert und sich über die gesellschaftlichen Entwicklungen tief in die resultierenden Menschen- und Gesellschaftsbilder eingeschrieben zu haben. Trotz der erkennbaren Pluralisierung der Familienformen[7] in westlichen Gesellschaften (Peuckert 2012) führt der Übergang zur Elternschaft zu einem meist ungewollten[8] Schub der Re-Traditionalisierung im Geschlechterhabitus (Auth/Buchholz/Janczyk 2010; Kortendiek 2010; Lück 2009; Possinger 2013; Reichle 2002; Thelen/Baerwolf/Grätz 2006; Wippermann/Calmbach/Wippermann 2009; Wippermann/Wippermann 2013). Nur ganz allmählich scheinen in den psycho- und soziogenetischen Teilprozessen pseudo-biologische Konnotationen und Differenzideale weiblicher und männlicher Elternschaft zu verblassen. In westlichen Gesellschaften weist der Geschlechterhabitus der Elternschaft heute zwar bereits erheblich größere Spielräume im Vergleich zu traditionellen Polarisierungen auf – doch zugleich scheint insbesondere der wachsende kindzentrierte Perfektionsanspruch für Mütter als zunehmend unausweichliche Pflicht, für Väter jedoch lediglich als optional wahrnehmbares Recht eingestuft zu werden (Schneider et al. 2015).

Welche generativen Fürsorgefunktionen Frauen, Männern oder beiden Geschlechtern zugeschrieben werden, ist gesellschaftsspezifisch. Diesbezügliche Elternschaftskanons sind bis heute in praktisch allen Gesellschaften so tief in soziale Elternschaftsprozesse eingeschrieben, dass weibliche und männliche Elternschaft in vielen Aspekten auch jenseits der unverzichtbaren biogenetischen Teilprozesse psycho- und soziogenetisch geschlechterpolarisierend fortgeschrieben werden. Die Geschlechterpolarisierung der generativen Machtarchitektur verändert sich ebenfalls nur langsam. Der soziale Elternschaftshabitus wird als generatives Prinzip von klein auf verinnerlicht und ist eine zentrale Grundlage des Geschlechterhabitus. Soziale Entwicklungs- und Verflechtungsprozesse können die Distanzierung von biogenetisch-geschlechtlicher Körperabhängigkeit vergrößern oder verringern.

5. Ausblick

Zwar gibt es interdisziplinär eine Fülle an Arbeiten mit Bezug auf Elternschaft, doch trotz der Schlüsselrolle, die Eltern zugewiesen wird, fehlt bislang eine Synthese und Konsolidierung der vielfältigen Wissensbestandteile. Die skizzierte Prozesstheorie der Elternschaft bietet hierfür einen Rahmen.

Bei der Untersuchung von Elternschaft als Kernprozess der Generativität könnte nach und nach eine Sozialgeschichte der Elternschaft entstehen, die die unterschiedlichen Entwicklungen von Elternschaft zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Gesellschaften aufzeigt. Schweizer (2007) ist davon überzeugt, dass diese den wachsenden öffentlichen Druck auf moderne Eltern zeigen würde, auch unter widrigen Bedingungen, die Erziehung von Kindern ständig zu optimieren. Die nicht deckungsgleichen Ansprüche von Eltern, Erzieher_innen, Lehrer_innen, Kindern und vielen anderen Beteiligten begünstigen eine kindbezogene »Anspruchsinflation«. So entsteht ein »Spannungsfeld zwischen einer ständig anspruchsvoller interpretierten ›verantworteten Elternschaft‹ sowie der Selbstständigkeit und ›subversiven‹ Verhandlungspraxis der Kinder« (Schweizer 2007, S. 74ff.). In einer solchen Elternschaftsgeschichte würde die Abkehr von der Elternzentrierung eventuell als ein Teil des modernen Staatsbildungsprozesses erkennbar, der zu einer »Zivilisierung der Eltern« führt (Elias 2006b [1980]), die »patriarchale Elternschaft« zunehmend umstritten werden lässt (Sieder 2008, S. 310) und auch in den Erziehungsstilen einen Wandel von der Eltern- zur Kindzentrierung einfordert (Schütze 1988).

Die wissenschaftliche und berufspraktische Reflexion von Figurationen, Kanons und Machtbalancen der Elternschaft würde dazu beitragen, zahlreiche Ideale harmonischer Ungleichheit in ihrer Zwiespältigkeit kritisch zu beleuchten und zu enttabuisieren. Dazu gehört beispielsweise die harmonische Ungleichheit zwischen Kindeswohl und Elternwohl (Bertram/Deuflhard 2015; Waterstradt 2015), zwischen den Leitbildern weiblicher und männlicher Elternschaft (Schneider et al. 2015), zwischen Experten für Kindesentwicklung und Eltern als Laien (Sacher 2008, S. 68). Eine kritische Selbstreflexion der verdeckten Elternschaftsideale wäre nicht nur für Menschen in ihrer persönlichen Elternschaft – bei der Lektüre von Elternratgebern oder den Elternbildern der Werbung – höchst aufschlussreich. Für die Arbeit von Wissenschaft und Berufspraxis ist sie eine wichtige Voraussetzung für die weitere Professionalisierung im Umgang mit Elternschaft.

Die Beschäftigung mit dem Habituskonzept in Hinblick auf Elternschaft macht für Wissenschaft und Berufspraxis eine Auseinandersetzung mit der Entwicklungspsychologie des Erwachsenenalters unerlässlich. Auch wenn die Vorstellung von der menschlichen Entwicklung als lebenslanger Prozess heute verbreitet ist, bleibt dies noch immer ein blinder Fleck (Flammer 2009, S. 346). Das ist erstaunlich, da bereits der alltägliche Blick auf Elternschaft die psychischen Anforderungen der unterschiedlichen Phasen der Elternschaft erkennbar macht. Die Erarbeitung eines fundierten, systematischen Überblicks wäre hilfreich.

Auch die genauere Beobachtung des »Habitus der Kindzentrierung« (Hummrich 2011, S. 285) und seiner langfristigen Entwicklung ist bedeutsam – nicht zuletzt weil damit höchst widersprüchliche Anforderungen an Eltern einhergehen. Ein solch kindzentrierter Habitus kann auch – wie etwa im Familiengericht – in einen Berufshabitus einfließen und zur paradoxen Situation führen, dass Eltern Kindzentrierung quasi staatlich verordnet wird (Schulze 2009, S. 131f.). Um bedeutsame langfristige Phänomene wie beispielsweise transgenerationale Vererbung (Moré 2013) zu erklären, erweist sich das prozessuale Konzept der Habitusvererbung in Generationenketten ebenfalls als vielversprechend.

Wenn Elternschaft nicht nur als persönlicher Prozess, sondern als komplexer sozialer Prozess in Generationenketten verstanden werden kann, ermöglicht dies ein breiteres, differenzierteres Verständnis von Elternschaft. Dann muss Generativität nicht mehr auf die bloße Verantwortung von Elternindividuen reduziert werden, sondern kann als Verantwortung auf allen Ebenen der Gesellschaft gesehen und getragen werden. So könnte erkannt werden, dass die Überforderung der heutigen Elterngeneration gesellschaftlich selbsterzeugt ist (Bertram/Deuflhard 2015). Statt weiterer Steigerung des moralischen und alltagspraktischen Drucks zur Zivilisierung der Eltern oder weiterer Verdrängung, Romantisierung oder Mythisierung von Elternschaft ist das Gegenteil notwendig: Aufklärung und Wissenschaft – im Sinne der Beschaffung von Wissen. Wissenschaft und Berufspraxis sind dabei gefordert, die Elternschaftsmythen aufzudecken und damit die Inseln des Wissens über Elternschaft allmählich zu vergrößern.

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Endnoten:

[1]

Im Englischen steht das prozessuale – auf das »doing« fokussierte – Begriffskonzept »parenting« im Vordergrund. Es wird jedoch bislang ebenfalls theoretisch nicht konsistent expliziert (Ramey 2002, S. 56; Waterstradt 2015, S. 93ff.). Auch die Bezüge zu den nahen Begriffskonzepten einer im Vordergrund stehenden »motherhood« und einer im Hintergrund stehenden »fatherhood« sowie zum Synthesekonzept von »parenthood« bleiben ungeklärt – siehe beispielsweise Marshall und Scott (2009). Auch im Spanischen (paternidad) und Französischen (parentalité) steht eine Explikation der Begriffskonzepte aus.

[2]

Eliasߣ Prozesstheorie ist keineswegs auf seine bekannteste Publikation zum Zivilisationsprozess (1939) reduzierbar, sondern erschließt sich in ihrer theoretischen Bandbreite und Tiefe erst über das bis 1990 weiterentwickelte Gesamtwerk.

[3]

Bourdieu (1982) konzipiert sein später entstandenes, heute weit bekannteres Habituskonzept ähnlich wie Elias. Ein entscheidender konzeptioneller Unterschied ist, dass er es im Gegensatz zu Elias nicht langfristig-prozessual einbettet (Barlösius 2004, S. 124; Fußnote 67).

[4]

Die ausführliche Herleitung bei Waterstradt (2015) umfasst einen interdisziplinären Überblick zum wissenschaftlichen Verständnis von Elternschaft heute sowie eine Studie zur Entwicklung von Elternschaft im modernen deutschen Nationsbildungsprozess im 19./20. Jahrhundert. Auf dieser Basis erfolgt eine Ableitung und ausführlichere Darstellung des hier in Grundzügen skizzierten Theoriekonzepts.

[5]

Zur Entstehung westlicher Figurationstypen und zum zugrundeliegenden Figurationswandel siehe Mitterauer und Sieder (1977); zum Vergleich westlicher und anderer Figurationskonstellationen siehe Alber (2013), Sieferle (2008b) und Peukert (2008).

[6]

Weitere Ersatzbegriffe sind (Menschen‑)Würde, (Sozial‑)Prestige, Image, (Selbst‑)Achtung, Stolz, Ansehen, Respekt, Renommee, Reputation, Status, Anstand/Anständigkeit, Ehrlichkeit, Fairness oder Integrität.

[7]

Neben Familien mit traditionellem Ernährer-Hausfrauen-Modell gibt es nicht nur dessen modernisierte Variante (Ernährer-Zuverdienerin-Modell), sondern zahlreiche weitere Varianten wie Alleinerziehende, Patchwork-Familien, multilokale Mehrgenerationenfamilien, Regenbogenfamilien etc.

[8]

Wie bei vielen Wandlungsprozessen scheint die Modernisierung der gesellschaftlichen und persönlichen Ideale auch diesbezüglich weit schneller vor sich zu gehen als die Modernisierung des Verhaltens, Empfindens und der institutionalisierten Rahmenbedingungen von Kultur, Politik, Wirtschaft und anderen Funktionsbereichen. Die ernüchternde Langsamkeit im Wandel kann zu erheblichen Selbsttäuschungen bezüglich der im Geschlechterhabitus tatsächlich erreichten Modernität zu führen.

Über die Autorin

Désirée Waterstradt

Dr. Désirée Waterstradt, Kommunikationsberaterin und Assoziiertes Mitglied am Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der PH Karlsruhe; Wissenschaftlicher Arbeitsschwerpunkt: Elternschaftsforschung.

E-Mail: desiree.waterstradt@ph-karlsruhe.de