Aspekte prekärer Beschäftigung bei Arbeitspsycholog_innen in Österreich

Lisa Hopfgartner , Christian Seubert & Jürgen Glaser

Zusammenfassung

Arbeitspsycholog_innen sind darin geschult, die in der Arbeitswelt zunehmenden psychischen Fehlbelastungen zu erkennen, zu bewerten und Maßnahmen für eine gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung abzuleiten. Gleichwohl sind die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit als Arbeitspsycholog_in in Österreich unzureichend. Die vorliegende Studie untersucht die Frage, wie sich prekäre Beschäftigung bei Arbeitspsycholog_innen zeigt und welche Wirkungen sie entfaltet. An der Onlinestudie nahmen = 122 Arbeitspsycholog_innen teil. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmung eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes mit verstärktem Erleben von Rollenambiguität einherging und diese wiederum das psychische Wohlbefinden beeinträchtigte. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Wichtigkeit eines klar definierten Berufsbildes für Arbeitspsycholog_innen. Es werden Ansätze aufgezeigt, wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitspsycholog_innen in Österreich verbessert werden können.

Schüsselwörter: prekäre Beschäftigung, Arbeitspsycholog_innen, Berufsbild, Rollenambiguität, psychisches Wohlbefinden

Summary

Aspects of precarious employment for work psychologists in Austria

Psychological stressors are on the rise in today’s work systems. Work psychologists are trained to analyze and evaluate such stressors and to derive effective interventions to promote healthy working conditions. However, the general working conditions for work psychologists in Austria are deficient. The present study investigates how precarious employment manifests in work psychologists and identifies its impact on the individual level. = 122 work psychologists participated in an online study. An insecure and undefined occupational profile was found to be associated with an increased experience of role ambiguity, which, in turn, impaired psychological well-being. These results highlight the importance of a clearly defined occupational profile for work psychologists. We discuss viable approaches to improve working conditions for work psychologists in Austria.

Keywords: precarious employment, work psychologists, occupational profile, role ambiguity, psychological well-being

1. Bedeutung der Arbeitspsychologie für den Arbeitnehmer_innenschutz in Österreich

Parallel zu Veränderungen in der Arbeitswelt, die mit einer Verschiebung von körperlichen hin zu psychischen Belastungen einhergehen, ist auch eine Zunahme arbeitsbedingter psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmer_innen zu beobachten, während die Arbeitsunfallraten rückläufig sind. Vor allem Stress, Depressionen und Angstzustände sind zwischen 2007 und 2013 in Österreich auf mehr als das Doppelte angestiegen (Statistik Austria 2009, 2014). Seit Mitte der 1990er Jahre haben sich die Krankenstandstage aufgrund psychischer Erkrankungen fast verdreifacht und sind mittlerweile die häufigste Ursache für Invaliditätspensionen in Österreich (Leoni 2015). Zudem dauerten Krankenstände bei psychischen Erkrankungen fast dreimal so lang (rund 39 Tage 2012/2013/2014) wie die durchschnittliche Krankenstandsdauer pro Kopf von rund 13 Tagen 2012/2013 bzw. 12 Tagen 2014 (Leoni 2014a, 2014b, 2015). Eine ähnliche Entwicklung ist auch in Deutschland zu beobachten: Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen nehmen zu und machten im Jahr 2014 deutschlandweit rund 11% aller Krankenstände aus, zudem dauerten diese im Schnitt 25 Tage, während die durchschnittliche Krankenstandsdauer bei 12 Tagen lag (Meyer/Böttcher/Glushanok 2015).

Um Arbeitnehmer_innen vor Gesundheitsgefährdungen durch arbeitsbedingte psychische Belastungen zu schützen, wurden Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsycholog_innen (nachfolgend als Arbeitspsycholog_innen bezeichnet) in Österreich bereits stärker in den Arbeitnehmer_innenschutz eingebunden, indem die verpflichtende Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen mit der Novellierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) vom 01.01.2013 gesetzlich klargestellt wurde. Allerdings sind Arbeitspsycholog_innen, obgleich ihnen eine wichtige Funktion für den Arbeitnehmer_innenschutz und die betriebliche Prävention zugestanden wird, nicht im ASchG als Präventivfachkräfte (wie Arbeitsmediziner_innen und Sicherheitsfachkräfte) verankert und müssen somit in der Praxis nicht verpflichtend eingesetzt werden. Zwar stellt die Evaluierung psychischer Belastungen nur einen kleinen Teil des Kompetenzprofils von Arbeitspsycholog_innen dar, in der Praxis ist sie jedoch oft der entscheidende erste Schritt für die initiale Beauftragung und damit für mögliche Folgeaufträge bis hin zur langfristigen arbeitspsychologischen Betreuung von Unternehmen. Eine weitere (rechtliche) Unsicherheit ist die Tatsache, dass der Beruf »Arbeitspsycholog_in« in Österreich gesetzlich nicht geschützt ist, d. h. jede_r Psycholog_in kann sich ohne Nachweis spezifischer Qualifikation als Arbeitspsycholog_in betiteln. Da die Arbeitspsychologie im Arbeitnehmer_innenschutz langsam Fuß fasst und sich erst noch entwickelt, ist auch die berufliche Rolle bisweilen unzureichend definiert. Anders als bei Arbeitsmediziner_innen und Sicherheitsfachkräften ist das Berufsbild für Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen weitgehend unklar, teilweise sogar innerhalb des Fachgebietes der Psychologie.

2. Atypische und prekäre Beschäftigung

Aufgrund dieser unzureichend ausgestalteten Rahmenbedingungen haben es Arbeitspsycholog_innen am Arbeitsmarkt oft schwer: die Beschäftigung in einem Normalarbeitsverhältnis ist nur selten anzutreffen, nach Molnar und Geißler-Gruber (2004) erfolgt die Tätigkeit als Arbeitspsycholog_in in Österreich sogar fast ausschließlich in Solo-Selbständigkeit. Normalarbeitsverhältnisse sind gekennzeichnet durch eine Vollzeittätigkeit mit gesichertem Einkommen, einem unbefristeten Arbeitsvertrag, die Integration in Sozialsysteme (Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung), die Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen sowie eine Weisungsgebundenheit von Arbeitnehmer_innen durch Arbeitgeber_innen (Definitionskriterien nach Mückenberger 1985, 2007, 2010). Zu den atypischen Beschäftigungsformen werden laut Keller und Seifert (2013) hingegen Arbeitsverhältnisse gezählt, die von den oben genannten Kriterien des Normalarbeitsverhältnisses in mindestens einem Punkt abgegrenzt werden können. Weit verbreitete atypische Beschäftigungsformen sind befristete, geringfügige und Teilzeitbeschäftigung, Leiharbeit sowie Solo-Selbständigkeit. In einer Studie mit solo-selbständigen Österreicher_innen gaben 18% der Befragten an, dass sie noch einer unselbständigen Zusatzbeschäftigung nachgehen müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Alle Befragten bezeichneten die Sorge um finanzielle Absicherung als größten Belastungsfaktor (Lukawetz/Ebner 2014). Da es bislang keine wissenschaftlichen Studien zur Arbeitssituation von Präventivfachkräften und insbesondere von Arbeitspsycholog_innen gibt, bleibt unklar, inwiefern atypische Beschäftigungsformen für Arbeitspsycholog_innen auch Prekaritätsrisiken mit sich bringen.

Der Begriff der prekären Beschäftigung weckt unterschiedlichste Konnotationen. Oft werden damit befristete Arbeitsverhältnisse, geringe Entlohnung, Bedrohung durch Kündigung, Leiharbeit, Schichtarbeit usw. assoziiert. Bei genauer Betrachtung zeigt sich aber, dass viele dieser Merkmale von Beschäftigungsverhältnissen nicht per se als prekär (im Wortsinne von »schwierig, heikel, misslich«, vgl. Duden 2015, S. 1379, Stichwort prekär) angesehen werden. Manche der genannten Aspekte werden auch unter atypischer Beschäftigung subsumiert, was eine Abgrenzung von prekärer Beschäftigung erschwert. Da es unterschiedliche Begriffsbestimmungen von Prekarität bzw. prekärer Beschäftigung gibt (Castel 2000; Dörre 2006; Keller/Schulz/Seifert 2011), ist bis zu einem gewissen Grad variabel, was darunter verstanden wird. Gemäß Keller und Seifert (2013) wird ein prekäres Arbeitsverhältnis durch das Fehlen von mindestens einem der folgenden vier Kriterien charakterisiert:

Prekäre Beschäftigung ist nicht mit atypischer Beschäftigung gleichzusetzen und auch ein Normalarbeitsverhältnis ist nicht zwingend von Prekarisierung ausgenommen, wenn beispielsweise Stellenabbau oder Umstrukturierungen drohen (Keller/Seifert 2013; Knittler/Stadler 2012). Bardasi und Francesconi (2004) fanden Hinweise darauf, dass atypische Beschäftigung (in diesem Fall: Leiharbeit und Teilzeitarbeit) allein nicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führte.

Allerdings geht die Zunahme von atypischen Arbeitsverhältnissen auch mit einer Verunsicherung der Beschäftigten einher, da Marktrisiken nicht mehr vom Unternehmen abgefedert, sondern an die Arbeitnehmer_innen durchgereicht werden. Durch befristete Arbeitsverträge und flexible Einsatzzeiten ermöglichen solche Beschäftigungsverhältnisse oft keine mittel- und langfristige Zukunftsplanung mehr. Rodriguez (2002) fand in seiner Untersuchung mit über 10.000 deutschen Erwerbstätigen, dass Vollzeit-Erwerbstätige mit einem befristeten Arbeitsvertrag viel häufiger von gesundheitlichen Problemen berichteten als Erwerbstätige mit unbefristeten Arbeitsverträgen. Diese Verunsicherung im Rahmen atypischer Beschäftigungsverhältnisse rührt auch daher, dass Kriterien der prekären Beschäftigung dort häufiger als in Normalarbeitsverhältnissen anzutreffen sind. So können Teilzeitbeschäftigte möglicherweise kein existenzsicherndes Einkommen erzielen oder Solo-Selbständige vernachlässigen die private Arbeitslosen- oder Rentenversicherung bei schlechter Auftragslage.

Daher ist anzunehmen, dass der Umbruch in der Arbeitswelt mit zunehmenden atypischen Beschäftigungsverhältnissen zum Teil auch prekären Beschäftigungsverhältnissen Vorschub leistet. Dem deutschen Sachverständigenrat (2008) zufolge ist der Anteil der Normalerwerbstätigkeit von 1992 bis 2007 in Deutschland deutlich gesunken, während atypische Beschäftigungsformen stark zugenommen haben. Im Jahr 2013 waren rund 24% der Erwerbstätigen in Deutschland atypisch beschäftigt (Sachverständigenrat 2014). Eine Verschiebung von Normalarbeitsverhältnissen zu atypischer Beschäftigung ist auch in Österreich zu bemerken. Von 2005 bis 2011 sind unselbständige Teilzeit- sowie atypische Beschäftigungen um rund 22% gestiegen (Knittler/Stadler 2012), wobei Frauen von dieser Entwicklung stärker betroffen sind als Männer. Da diese Zahlen zu atypischer Beschäftigung nur bedingt Anhaltspunkte für prekäre Beschäftigung liefern, gleichzeitig aber valide Erhebungsmethoden sowie verlässliche Daten zu prekärer Beschäftigung fehlen, müssen weitergehende Betrachtungen zu Prävalenz und Inzidenz von prekärer Beschäftigung vorerst zurückgestellt werden. Unstrittig ist jedoch, dass präventiv Tätige selbst günstige Arbeits- und Rahmenbedingungen vorfinden müssen, um den gesetzlichen Auftrag der betrieblichen Prävention effektiv erfüllen zu können.

3. Fragestellung und Hypothesen

In dieser Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich prekäre Beschäftigung in der Berufsgruppe der Arbeitspsycholog_innen zeigt und welche Wirkungen sie entfaltet. Aus psychologischer Perspektive ist hierbei insbesondere der Prozess interessant, durch den sich Prekarität im Erleben und Verhalten von Menschen manifestiert. Weiterhin werden die Aspekte eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes der befragten Arbeitspsycholog_innen genauer beschrieben. Schließlich werden Ansätze aufgezeigt, wie prekäre Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitspsycholog_innen verbessert werden können.

Ein Review von Häusser, Mojzisch, Niesel und Schulz-Hardt (2010) bestätigt, dass sich eine Reihe von psychischen arbeitsbedingten Faktoren negativ auf psychisches Wohlbefinden auswirkt. Arbeitsbedingungen sind wesentliche Determinanten für mentale Gesundheit und Wohlbefinden (Kopp/Stauder/Purebl/Janszky/Skrabski 2008; Schütte/Chastang/Malard/Parent-Thirion/Vermeylen/Niedhammer 2014). Insbesondere Arbeitsunsicherheit wird mit Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Gesundheit sowie des psychischen Wohlbefindens in Verbindung gebracht (z. B. Cheng/Chan 2008; Greenhalgh/Rosenblatt 2010; Kopp et al. 2008; Sverke/Hellgren/Näswall 2002). Nach Hellgren, Sverke und Isaksson (1999) bezieht sich Arbeitsunsicherheit entweder auf eine Ungewissheit bezüglich des Fortbestands des Arbeitsplatzes (quantitativer Aspekt) oder bezüglich des Weiterbestehens von subjektiv wichtigen Arbeitsmerkmalen (qualitativer Aspekt). Die Wahrnehmung eines unklaren und unsicheren Berufsbildes bei Arbeitspsycholog_innen steht vor allem mit quantitativer Arbeitsunsicherheit in Zusammenhang, da sich Arbeitspsycholog_innen in ihrem Beruf besonders beweisen müssen, um auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Es wird deshalb angenommen, dass sich ein wahrgenommenes unsicheres und undefiniertes Berufsbild negativ auf psychisches Wohlbefinden auswirkt.

H1: Ein wahrgenommenes unsicheres und undefiniertes Berufsbild hängt negativ mit psychischem Wohlbefinden bei Arbeitspsycholog_innen in Österreich zusammen.

Ein unklares und gesetzlich nicht definiertes Berufsbild kann außerdem zu Unsicherheiten bezüglich der beruflichen Rolle führen und Konflikte hervorrufen, wodurch Rollenstress entsteht. Der Begriff »Rolle« beschreibt dabei spezifische Verhaltensformen, die mit einer gegebenen beruflichen Position assoziiert werden (Katz/Kahn 1978). Alle Mitglieder einer Organisation entwickeln Vorstellungen und Einstellungen darüber, was für die jeweilige berufliche Rolle angemessen ist und was nicht. Ein_e Rolleninhaber_in ist deshalb mit verschiedenen Erwartungen von unmittelbar relevanten Organisationsmitgliedern (z. B. Arbeitgeber_innen und Arbeitnehmer_innen), an sein_ihr Verhalten konfrontiert und versucht, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Nach Semmer (1984) führen unklare Rollenerwartungen (z. B. in Form unklarer oder widersprüchlicher Aufträge) zur Zielunsicherheit. Regulationsunsicherheit ist dadurch gekennzeichnet, dass Handlungsschritte zur Erreichung des Ziels nicht bekannt sind – bei unklaren Zielen ein kaum vermeidbarer Zustand. Aus solchen Ziel- und Regulationsunsicherheiten resultieren Rollenambiguität und ggf. auch Rollenkonflikte.

Da das Berufsbild »Arbeitspsycholog_in« noch relativ jung ist und die Aufgaben und Kompetenzen nicht ausreichend definiert sind, kann für Arbeitspsycholog_innen eine Unklarheit und Unsicherheit über das adäquate Rollenverhalten auftreten. Angenommen wird aus diesem Grund, dass die Wahrnehmung eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes mit erhöhter Rollenambiguität in Verbindung steht. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Rollenambiguität mit geringerem psychischen Wohlbefinden (Schütte et al. 2014) oder Depression einhergeht (Borritz/Bültmann/Rugulies/Christensen/Villadsen/Kristensen 2005; Frone/Russel/Cooper 1995). Es wird daher vermutet, dass Rollenambiguität eine vermittelnde Funktion für den Zusammenhang eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes mit psychischem Wohlbefinden zukommt.

H2: Der negative Zusammenhang des unsicheren und undefinierten Berufsbildes mit psychischem Wohlbefinden wird durch Rollenambiguität mediiert.

4. Methode

4.1. Stichprobe

Die Daten entstammen der von der Bundesarbeitskammer (BAK) und den Berufsgruppenvertretungen[1] geförderten Studie »Bestandsaufnahme der Arbeitssituation von Arbeitsmediziner_innen, Sicherheitsfachkräften und Arbeitspsycholog_innen in Österreich«. Zunächst wurden explorative Interviews mit Praxis- und Berufsgruppenvertreter_innen durchgeführt, um daraus relevante Themenbereiche der Arbeitssituation von Arbeitspsycholog_innen in Österreich für eine anschließende österreichweite Onlinestudie (N = 122) zu gewinnen. Dieser Beitrag konzentriert sich vor allem auf die Ergebnisse der Onlinestudie, relevante Ergebnisse und prägnante Zitate aus den Interviews der Vorstudie werden an geeigneter Stelle berichtet. Die Rekrutierung für die Onlinestudie erfolgte mit Hilfe der Berufsgruppenvertretungen (BÖP und GkPP), die ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Studie aufforderten. Exakte Aussagen zur Beteiligungsquote sind leider nicht möglich, da es keine gesicherten Zahlen über die Grundgesamtheit der Arbeitspsycholog_innen in Österreich gibt. Aus den von BÖP und GkPP zurückgemeldeten Zahlen über die Reichweite der Einladungen zur Teilnahme ließe sich eine Beteiligungsquote von 7,1% errechnen. Diese Quote ist allerdings nach oben zu korrigieren, da nicht jede_r zertifizierte_r Arbeitspsycholog_in aktiv tätig ist. Der Großteil der Teilnehmer_innen war weiblich (71,3%; männlich 27,9%; 0,8% keine Angabe) und das Durchschnittsalter lag bei 42,01 Jahren (SD = 8,86; Antwortspanne von 25 bis 66 Jahre). Fast die Hälfte (40%) der teilnehmenden Arbeitspsycholog_innen gab an schwerpunktmäßig in Wien tätig zu sein. Weitere Bundesländer, in denen Arbeitspsycholog_innen hauptsächlich arbeiteten, waren Steiermark (17%), Niederösterreich (13%), Oberösterreich (12%), Vorarlberg (6%), Salzburg (5%), Tirol (4%) und Kärnten (3%). Die Mehrheit der Arbeitspsycholog_innen war selbständig tätig (57%). Für Arbeitspsycholog_innen in einem Anstellungsverhältnis ergab sich folgendes Bild: 27% waren bei einem privatwirtschaftlichen Unternehmen angestellt, 13% waren bei einem öffentlichen Dienst, 7% bei einem überbetrieblichen Dienst (z. B. arbeitsmedizinisches Zentrum) und 3% bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) angestellt. Wichtig zu erwähnen ist, dass bei den Beschäftigungsformen Mehrfachnennungen möglich waren. Die überwiegende Mehrheit der angestellten Arbeitspsycholog_innen (88%) arbeitete in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Für den Großteil der Studienteilnehmer_innen (68%) war Arbeitspsychologie der Hauptberuf, die restlichen Teilnehmer_innen (32%) übten die arbeitspsychologische Tätigkeit nur als Nebenberuf aus. Die mittlere Berufserfahrung betrug 9,14 Jahre (SD = 7,10; Antwortspanne von 1 Jahr bis 35 Jahre).

4.2. Erhebungsinstrumente

Zur Untersuchung der Arbeitssituation und der Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitspsycholog_innen in Österreich wurden aus den Ergebnissen der Vorstudie Items generiert und für die Auswertung zu ungewichteten additiven Indizes zusammengefasst (Bortz/Döring 2006). Daneben wurde auch auf bereits etablierte Skalen zurückgegriffen.

Unsicheres und undefiniertes Berufsbild

Aus den Interviews ging hervor, dass das Berufsbild der Arbeitspsycholog_innen noch relativ unscharf und unklar ist (Zitat: »Die Arbeitspsychologie ist noch jung, kommt langsam in die Gänge.« oder »Arbeitspsychologie muss ihre Identität entwickeln.«) und dass es Arbeitspsycholog_innen in Unternehmen oftmals schwer haben (»Arbeitspsychologen haben ein echtes ›Standing-Problem‹ gegenüber Sicherheitsfachkräften und Arbeitsmedizinern.« oder »Wenn ich sage ›Holen wir uns einen Arbeitspsychologen‹, dann sagt der Unternehmer ›Spinnst du, wir brauchen keine Psychologen‹.«). Für die Onlinestudie wurden spezifische Fragen zur Untersuchung dieses unsicheren und undefinierten Berufsbildes formuliert und daraus ein Index mit elf Items (siehe Tabelle 1) gebildet. Die interne Konsistenz gilt mit Cronbach’s α = ,82 als zuverlässig. Der Index beinhaltet Items, die auf einer fünfstufigen Antwortskala (1 = »nein, gar nicht« bis 5 = »ja, genau«) zu beantworten waren.

Tabelle 1. Items des Indexes »unsicheres und undefiniertes Berufsbild« (berufsb).

Psychisches Wohlbefinden

Psychisches Wohlbefinden wurde mit dem Index für Wohlbefinden der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1998), kurz WHO-5, gemessen. Dieser validierte und reliable Index ist weltweit eines der am häufigsten verwendeten Messinstrumente für psychisches Wohlbefinden und wird auch als Depressionsscreening verwendet (Topp/Østergaard/Søndergaard/Bech 2015). Der WHO-5 besteht aus fünf Items (Beispielitem: »In den letzten zwei Wochen habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt.«, Cronbach’s α = ,87) und ist auf einer sechsstufigen Antwortskala zu beantworten (1 = »zu keinem Zeitpunkt«, bis 6 = »die ganze Zeit«).

Rollenambiguität

Rollenambiguität wurde mit drei Items einer anerkannten Skala von Rizzo, House und Lirtzman (1970) erhoben. Rollenambiguität (Beispielitem: »Ich weiß genau, was von mir erwartet wird.«, Cronbach’s α = ,78) war anhand eines fünfstufigen Antwortformats (1 = »nein, gar nicht« bis 5 = »ja, genau«) zu beantworten. Damit hohe Rollenambiguität durch einen hohen Skalenwert repräsentiert wird, wurden alle verwendeten Items der Skala umgepolt.

4.3. Statistische Analysen

Zur Prüfung korrelativer Hypothesen wurden Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten nach Pearson verwendet. Die Mediationshypothese wurde mithilfe der Software PROCESS (Hayes 2013) analysiert, wobei zur Signifikanzprüfung von indirekten Effekten Bootstrapping-Konfidenzintervalle verwendet wurden. Bei der Analyse wurde für die Variablen Geschlecht, Alter und Berufserfahrung kontrolliert, da die Stichprobe einen hohen Frauenanteil, sowie eine relativ hohe Altersvariabilität und sehr unterschiedliche Berufserfahrung aufwies. Als Signifikanzniveau wurde p<,05 gewählt. Alle Analysen wurden mit SPSS 21 gerechnet.

5. Ergebnisse

Zunächst werden die Antworttendenzen auf die Items zum unsicheren und undefinierten Berufsbild dargestellt. Die meisten der befragten Arbeitspsycholog_innen würden aus heutiger Sicht keinen anderen Beruf ergreifen (M = 1,91; SD = 0,91). Tendenzielle Zustimmung fanden die Aussagen, dass sich Arbeitspsycholog_innen am Markt noch nicht etabliert haben (M = 3,64; SD = 1,06) und dass ein beruflicher Existenzaufbau schwierig sei (M = 3,58; SD = 1,10). Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Verankerung für Arbeitspsycholog_innen wurde durchweg bestätigt (M = 4,43; SD = 0,82). Die befragten Arbeitspsycholog_innen stimmten auch zu, dass 25% Präventionszeit für sonstige Fachleute für eine Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen nicht ausreichend sei (M = 4,15; SD = 1,02). Das Leisten von unbezahltem Zusatzaufwand zur Qualitätssicherung (M = 3,12; SD = 1,31) wurde von den befragten Arbeitspsycholog_innen dieser Studie teilweise bestätigt. Von den befragten Arbeitspsycholog_innen wurde auch bestätigt, dass die meisten Menschen nicht wissen würden, was ein_e Arbeitspsycholog_in macht (M = 4,10; SD = 0,91) und dass Arbeitgeber_innen die Kompetenzen von Arbeitspsycholog_innen nicht kennen würden (M = 4,08; SD = 0,94). Die in dieser Untersuchung befragten Arbeitspsycholog_innen fanden es nicht schwer, die Arbeit von Arbeitspsycholog_innen zu erklären (M = 1,86; SD = 0,91). Teilweise bejaht wurde, dass ein selbstbewussteres Auftreten von Arbeitspsycholog_innen die Arbeit erleichtern würde (M = 2,85; SD = 1,35). Eher nicht bestätigt wurde, dass das allgemeine Berufsbild der Arbeitspsycholog_innen so unscharf sei, dass sich die Befragen manchmal selbst unklar über ihre eigenen Kompetenzen seien (M = 2,33; SD = 1,10).

Tabelle 2 gibt einen Überblick über die Mittelwerte, Standardabweichungen, Reliabilitätskennwerte (Cronbach’s α) und Korrelationskoeffizienten der Variablen unsicheres und undefiniertes Berufsbild, Rollenambiguität, psychisches Wohlbefinden sowie der Kontrollvariablen Geschlecht, Alter und Berufserfahrung.

Tabelle 2. Mittelwerte, Standardabweichungen, Reliabilität (Cronbach’s α) und Korrelationen nach Pearson.

Das unsichere und undefinierte Berufsbild von Arbeitspsycholog_innen zeigte eine moderate Ausprägung. Schwach ausgeprägt war Rollenambiguität. Psychisches Wohlbefinden war bei den untersuchten Arbeitspsycholog_innen relativ hoch ausgeprägt. Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, fielen die bivariaten Korrelationen nach Pearson wie angenommen aus. Das unsichere und undefinierte Berufsbild hängt wie erwartet positiv mit Rollenambiguität (r = ,47; p<,01) und negativ mit psychischem Wohlbefinden (r = -,36; p<,01; Hypothese 1 bestätigt) zusammen. Auch Rollenambiguität korreliert, wie angenommen, negativ mit psychischem Wohlbefinden (r = -,45; p<,01). Bezüglich Hypothese 2 konnte mittels Mediationsanalyse ein partiell vermittelnder Effekt von Rollenambiguität für den Zusammenhang zwischen unsicherem und undefiniertem Berufsbild und psychischem Wohlbefinden bestätigt werden (β = -,14; 95%-CI [-,29; -,04]; siehe Tabelle 3).

Tabelle 3. Mediationsanalyse von Rollenambiguität für den Zusammenhang zwischen unsicherem und undefiniertem Berufsbild und psychischem Wohlbefinden.

6. Diskussion

Das Ziel dieses Beitrags war es, Merkmale prekärer Beschäftigung von Arbeitspsycholog_innen in Österreich zu untersuchen. Hierbei wurde das unsichere und undefinierte Berufsbild als wesentliches Prekaritätsmerkmal gefunden. In einem zweiten Schritt wurde dieses unsichere und undefinierte Berufsbild mit der Entstehung von Rollenambiguität in Verbindung gebracht und die gemeinsamen Auswirkungen auf psychisches Wohlbefinden untersucht. Es konnte bestätigt werden, dass Arbeitspsycholog_innen in Österreich überwiegend auf selbständiger Basis tätig sind. Für mehr als 50% der Studienteilnehmer_innen war Arbeitspsychologie der Hauptberuf. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten übten ihre arbeitspsychologische Tätigkeit in Teilzeit aus. Befristete Arbeitsverhältnisse trafen nur auf 12% der angestellten Arbeitspsycholog_innen zu. Rollenambiguität, eine Unsicherheit über das richtige Verhalten als Arbeitspsycholog_in, war in dieser Stichprobe gering ausgeprägt. An dieser Stelle sollte allerdings erwähnt werden, dass die mittlere Berufserfahrung der Teilnehmer_innen bei über neun Jahren lag, woraus geschlossen wird, dass überwiegend erfahrene Arbeitspsycholog_innen an der Studie teilgenommen haben. Für die Arbeitspsycholog_innen dieser Studie schien jedoch eine Reihe von Aspekten eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes zuzutreffen. Es wurde bestätigt, dass eine gesetzliche Verankerung der Arbeitspsycholog_innen im ASchG notwendig ist, da 25% Präventionszeit für sonstige Fachleute für eine Evaluierung der psychischen Belastungen nicht ausreicht. Zudem bejahten die Studienteilnehmer, dass sich ein Existenzaufbau als Arbeitspsycholog_in schwierig gestaltet. Weiters bestätigte auch diese Studie, dass die Kompetenzen und Aufgaben von Arbeitspsycholog_innen in der Gesellschaft und auch in Unternehmen (aus der Perspektive von Arbeitspsycholog_innen) oftmals unbekannt sind.

Wie die Untersuchung der Auswirkungen eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes auf arbeitsrelevante Faktoren (Rollenambiguität und psychisches Wohlbefinden) bestätigte, ging die Wahrnehmung eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes mit verringertem psychischem Wohlbefinden einher (Hypothese 1). Arbeitspsycholog_innen, die ein unsicheres und undefiniertes Berufsbild bejahten, erlebten also weniger psychisches Wohlbefinden als Arbeitspsycholog_innen, die ein besser definiertes und sichereres Berufsbild wahrnahmen. Zusätzliche Kovarianzanalysen zeigten, dass Arbeitspsycholog_innen mit geringerem Wohlbefinden dem Item berufsb1 (p<,10) sowie den Items berufsb7, 9 und 11 (p<,05; vgl. Tabelle 1) signifikant stärker zustimmten als Arbeitspsycholog_innen mit höheren Wohlbefinden (Gruppenbildung durch Mediansplit, kontrolliert für Alter, Geschlecht, Berufserfahrung).

Der angenommene vermittelnde Effekt von Rollenambiguität zwischen einem unsicheren und undefinierten Berufsbild und psychischem Wohlbefinden (Hypothese 2) wurde ebenfalls bestätigt. Demnach kann der psychologische Prozess des negativen Effekts des unsicheren und undefinierten Berufsbildes auf psychisches Wohlbefinden teilweise durch Rollenambiguität erklärt werden. Es konnte auf Basis des zugrunde gelegten Modells ein negativer Effekt des unsicheren und undefinierten Berufsbilds auf psychisches Wohlbefinden belegt werden, welcher durch Rollenambiguität vermittelt wurde. Dies kann so interpretiert werden, dass Arbeitspsycholog_innen, die ein unsicheres und undefiniertes Berufsbild wahrnehmen, nur schwerlich eine klare berufliche Rolle identifizieren können, wodurch sie zunächst Rollenambiguität und in weiterer Folge ein verringertes psychisches Wohlbefinden erleben.

Bemerkenswert erscheint dieser statistisch signifikante Befund, da Rollenambiguität in dieser Studie im Mittel eher niedrig, und das unsichere und undefinierte Berufsbild moderat ausgeprägt war. Es ist plausibel anzunehmen, dass sich die negativen Effekte eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes in dem Maße verstärken, in dem mehr Unsicherheiten und Unklarheiten im Beruf wahrgenommen werden – was insbesondere bei Berufsanfänger_innen gehäuft der Fall sein dürfte.

7. Limitationen

Die Skala Rollenambiguität wurde in einer Kurzversion mit nur drei Items erhoben. Außerdem wurde der Index »unsicheres und undefiniertes Berufsbild« aus selbsterstellten Items gebildet, welche aus den durchgeführten Interviews abgeleitet worden waren. Wenngleich die interne Konsistenz dieses Indexes in dieser Untersuchung zufriedenstellend ausfiel, ist insbesondere die Validität nicht ausreichend nachgewiesen. Während dieser Index konkrete Arbeits- und Rahmenbedingungen der Tätigkeit von Arbeitspsycholog_innen umfasst, abstrahiert die Skala Rollenambiguität als umfassenderes Konstrukt von konkreten Situationen und Berufen. Ob diese beiden Konstrukte trotz einer relativ hohen Korrelation auch empirisch voneinander abgrenzbar sind, kann aufgrund der kleinen Stichprobe nicht abschließend geklärt werden. Zukünftige Untersuchungen sollten vollständige, validierte Skalen verwenden.

An dieser Stelle muss auch erwähnt werden, dass der angenommenen Wirkrichtung vom unsicheren und undefinierten Berufsbild auf Rollenambiguität und in weiterer Folge auf psychisches Wohlbefinden keine gesicherte Kausalität zu Grunde liegt. Da die Ergebnisse auf Querschnittsdaten basieren, sind alternative Wirkrichtungen möglich. Eine Langzeitstudie zur Arbeitssituation und dem Berufsbild von Arbeitspsycholog_innen in Österreich wäre eine sehr interessante Ergänzung dieser Querschnittstudie, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung einer beruflichen Identität und eines sicheren Berufsbildes von Arbeitspsycholog_innen in Österreich.

Aufgrund der relativ hohen Berufserfahrung der Stichprobe kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine große Zahl an Arbeitspsycholog_innen mit geringer Berufserfahrung in Österreich noch problematischere Arbeitsverhältnisse vorfindet und die gefundenen Effekte dort verschärft auftreten. Zukünftige Untersuchungen sollten auf eine repräsentative Zusammensetzung der Stichprobe von Arbeitspsycholog_innen in Österreich achten und die Ergebnisse dann mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie vergleichen.

Angesichts der Hinweise auf ein unsicheres und undefiniertes Berufsbild von Arbeitspsycholog_innen in Österreich sind weitere Studien zum Berufsbild notwendig, um Entstehungsbedingungen und Wirkmechanismen systematisch zu untersuchen und daraus Interventionen abzuleiten. Arbeitspsycholog_innen sind in Anbetracht der arbeitsbedingten Beschwerden von Arbeitnehmer_innen in Österreich wichtige Akteur_innen in der Arbeitswelt, allerdings momentan noch ohne klare berufliche Rolle und mit unsicherem und undefiniertem Berufsbild.

8. Implikationen

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Wahrnehmung eines unsicheren und undefinierten Berufsbildes die Entstehung von Rollenambiguität erhöht und psychisches Wohlbefinden vermindert. Wichtig ist daher, dass Arbeitspsycholog_innen andere Akteur_innen über ihre Kompetenzen und Tätigkeitsfelder aufklären und aufzeigen können, worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu anderen Disziplinen (z. B. Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik) liegen. Arbeitspsycholog_innen müssen alle Organisationsmitglieder in diesen Aufklärungsprozess einschließen. Solche Aufklärungskampagnen sollten von den Interessens- und Berufsgruppenvertretungen in die breite Öffentlichkeit hinausgetragen werden, sodass mehr Menschen über die Aufgaben und Kompetenzen von Arbeitspsycholog_innen informiert werden und deren Potenzial zur Bewältigung gegenwärtiger Herausforderungen in der Arbeitswelt (z. B. psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz, demographischer Wandel, etc.) erkennen können.

Zur Entwicklung eines klaren Berufsbildes ist eine gesetzliche Verankerung der Arbeitspsycholog_innen mit definierten Aufgaben- und Tätigkeitsbereichen notwendig, wie es bei Arbeitsmediziner_innen und Sicherheitsfachkräften durch die Bestimmungen des ASchG bereits der Fall ist. Zudem sollten Arbeitspsycholog_innen durch die Aufnahme ins Psychologengesetz ein klar definiertes Berufsbild und einen rechtlichen Schutz des Berufstitels »Arbeitspsycholog_in« erhalten, wie es bei Klinischen und Gesundheitspsycholog_innen geregelt ist. Die Interessens- und Berufsgruppenvertretungen der Arbeitspsycholog_innen sollten sich daher für die stärkere Verankerung von Arbeitspsycholog_innen im ASchG und deren Aufnahme ins Psychologengesetz einsetzen. Eine mögliche Argumentationsgrundlage und Rechtfertigung hierfür bietet diese Arbeit. Die gesetzlich vorgeschriebenen, gemeinsamen Begehungen für Arbeitsmediziner_innen und Sicherheitsfachkräfte sollten auch für Arbeitspsycholog_innen gelten, um sie stärker in die Praxis betrieblicher Prävention einzubinden. Zudem wäre es in Anbetracht der gegenwärtigen allgemeinen Arbeitssituation der österreichischen Bevölkerung und deren Auswirkungen auf die (psychische) Gesundheit sinnvoll, fixe Einsatz- bzw. Präventionszeiten für Arbeitspsycholog_innen festzulegen. Festgelegte Präventionszeiten könnten zudem mehr Sicherheit und Klarheit bezüglich der Tätigkeiten und Aufgaben für Arbeitspsycholog_innen bedeuten und sich wiederum positiv auf Rollenklarheit und psychisches Wohlbefinden auswirken. Die Entwicklung eines klaren und definierten Berufsbildes ist ein langer Prozess, der sich aber besonders durch eine kontinuierlich stärker werdende Präsenz von Arbeitspsycholog_innen in der Praxis manifestiert. Die Gesetzgebung könnte durch eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen, wie oben skizziert, diesen Prozess wesentlich erleichtern und ist deshalb zum Handeln aufgefordert.

Literatur

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Endnoten:

[1]

ÖGA (Österreichische Gesellschaft für Arbeitsmedizin), VÖSI (Verband Österreichischer Sicherheits-Experten), BÖP (Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen) sowie GkPP (Gesellschaft kritischer Psychologen und Psychologinnen)

Über die AutorInnen

Lisa Hopfgartner

Lisa Hopfgartner, BA BSc MSc, Doktorandin am Institut für Psychologie, Stipendiatin der Universität Innsbruck. Arbeitsschwerpunkte: ArbeitnehmerInnenschutz, betriebliche Prävention, Evaluierung psychischer Belastungen.

Lisa Hopfgartner Institut für Psychologie Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Innrain 52 A-6020 Innsbruck

E-Mail: lisa.hopfgartner@student.uibk.ac.at

Christian Seubert

Dipl.-Kfm. Mag. Christian Seubert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie, Fachbereich Angewandte Psychologie. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit & Gesundheit, betriebliches Gesundheitsmanagement, Präsentismus, statistische Methoden.

Christian Seubert Institut für Psychologie Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Innrain 52 A-6020 Innsbruck

E-Mail: christian.seubert@uibk.ac.at

Jürgen Glaser

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Glaser, Professur für Angewandte Psychologie. Arbeitsschwerpunkte: Analyse und Gestaltung gesunder Arbeit, mitarbeiterorientierte Flexibilisierung von Arbeit, psychischer Stress und Burnout.

Jürgen Glaser Institut für Psychologie Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Innrain 52 A-6020 Innsbruck

E-Mail: juergen.glaser@uibk.ac.at