Innerhalb der psychosozialen Arbeit, in pädagogischen Zusammenhängen, aber auch in der Beratung oder dem Training im Allgemeinen, wird dem Faktor Geschlecht seit längerer Zeit eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Analyse und Reflexion vergeschlechtlichter Erfahrungs- und Erlebniszusammenhänge sowie ihrer Auswirkungen auf die jeweilige soziale Praxis stellen mittlerweile einen zentralen Ausgangspunkt für die professionelle Arbeit in diversen Berufsfeldern dar.
Dabei fällt aber unmittelbar auf, dass ein Großteil der Diskurse der aktuellen Geschlechterforschung oder Geschlechtersensibilisierung eher im Bereich der Frauenforschung verankert ist. Nach wie vor sind männerspezifische Ansätze und Zugänge oder eine systematische Beschäftigung mit den Lebenslagen und in sich widersprüchlichen und unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Männern (jugendlichen und erwachsenen) eher die Ausnahme. Die Beschäftigung mit damit einhergehenden Herausforderungen und Problemstellungen sowie Chancen und Potentialen befindet sich nach wie vor in einer vorwiegend randständigen Position.
Das hat auch historische Gründe. In einer historischen Betrachtung stand die Vormachtstellung ›des Mannes‹ bis vor kurzem überhaupt nicht zur Diskussion, weder im Alltag noch in der Wissenschaft. Sie war vielmehr gesellschaftliche Normalität und präsentierte sich in den unterschiedlichsten Feldern, der Familie, den öffentlich-politischen Belangen bis hin zur Berufswelt als unhinterfragt selbstverständlich. Erst das Erkämpfen von Grund- und Freiheitsrechten und ein Rütteln an dieser hegemonialen Position, ausgelöst durch die Frauenbewegungen, hat eine deutliche Veränderung im Denken über Geschlechterverhältnisse bewirkt, auch wenn wir heute noch weit davon entfernt sind von Geschlechtergerechtigkeit sprechen zu können. Die »feministische Emanzipationsperspektive«, so führt es Lothar Böhnisch aus, war »gegen die männliche Hegemonialität und Alltagsdominanz« (Böhnisch 2004, S. 18) gerichtet, und das zu Recht. Für Männer bedeutete dies wiederum vielfach eine – wie es Ulrich Beck sehr treffend beschrieben hat – »erlittene Emanzipation« (Beck 1990, S. 199), nicht von sich aus gewollt und forciert aber aufgrund der veränderten Verhältnisse gezwungen sich neu zu orientieren und zu positionieren. Bisher geglaubte Selbstverständlichkeiten und Handlungssicherheiten des ›Mann-Seins‹ sind, wenn schon nicht ganz verloren gegangen, dann doch zumindest deutlich in Frage gestellt.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind vielfältig und machen auch eine verstärkte Erforschung männlicher Lebenslagen und Lebenszusammenhänge notwendig. Zwar fehlte und fehlt es der Frauenforschung nicht an Aussagen und Analysen über Männer und Männlichkeit, denn in »einer Relation von zwei ›Elementen‹«, so Michael Meuser, »implizieren Aussagen über die eine Seite notwendig Annahmen über die andere« (Meuser 2006, S. 11). Männlichkeit wurde und wird dabei aber vor allem in Hinblick auf eine patriarchal strukturierte Gesellschaft, im Zusammenhang mit Macht, Dominanz und Gewalt gegenüber Frauen thematisiert. Kritische Männerforschung teilt zwar grundsätzlich diese Ansicht, kann dabei aber nicht stehen bleiben, sondern sieht sich gezwungen diese Themen auch in einem Binnenverhältnis zu diskutieren. Diese doppelte Fokusbildung ist keineswegs trivial und lässt sich beispielsweise an den sehr einseitig geführten Diskussionen über Geschlecht und Gewalt treffend demonstrieren. So sind Männer nämlich nicht nur Gewalt und Macht Ausübende, sondern zu einem großen Teil auch von männlicher Gewalt und männlichem Dominanzstreben Betroffene, weshalb es notwendig wird diese Phänomene sowohl in einer hetero- als auch homosozialen Dimension zu betrachten, je nachdem ob sie sich gegen Frauen oder andere Männer richten (dazu Meuser 2010). Damit kann zum Einen verhindert werden, dass man einem »Denken in binären Polaritäten« und »alltagsweltlichen Vorstellungen von ›Geschlechtscharakteren‹« (Meuser 2006, S. 277) aufsitzt, bei der auf der einen Seite ›aggressive Männer‹ den ›sanftmütigen Frauen‹ auf der anderen gegenübergestellt werden, was nicht nur männliche Opfererfahrungen systematisch tabuisiert (dazu Lenz 2000), sondern auch weibliche Aggression und Gewalt in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen negiert. Des Weiteren schärft es ein Bewusstsein über ein wesentliches Kriterium, was die Konstitution und Konstruktion von Männlichkeit selbst betrifft: Das ›Mann-Sein‹ entsteht nämlich nicht ausschließlich in seiner als überlegen dargestellten Relation zum Weiblichen, sondern konstituiert sich gerade in Bezug auf und in Konkurrenz mit anderen Männlichkeiten, in dem sich die vielzitierten »ernsten Spiele des Wettbewerbs« (Bourdieu 1997, S. 203) entfalten. Darüberhinaus ist nach wie vor selten ein Moment der Überwindung binär gedachter Geschlechterlogik in Diskursen über Männlichkeit und Mann-Sein zu finden.
Die habituellen Verunsicherungen, die durch ein Infragestellen der hegemonialen Position von Männern ausgelöst wurden, machen unterschiedliche Reaktionsformen möglich, angefangen bei Aufbrüchen zum ›neuen Mann‹, über das Zurückziehen in »homosoziale Männergemeinschaften« (Meuser 2001), in denen man(n) unter sich bleibt, um sich seiner selbst zu vergewissern und um – zumindest für diese Zeit – habituelle Sicherheit zu gewinnen, bis hin zu reaktionären und remaskulinisierenden Attitüden und Verhaltensweisen. Ungeachtet einer real existierenden Schieflage, gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich, vermeinen nicht wenige Männer darüber hinaus auch einen generellen Rollenwechsel im Geschlechterverhältnis zu erkennen und fühlen sich selbst zum neuen ›schwachen Geschlecht‹ degradiert, was mitunter sehr pathetisch vorgetragen wird. Hierbei handelt es sich um Phänomene, die nicht nur im Zusammenhang der Sozialforschung interessieren. Eine Bewusstseinsbildung darüber erscheint gerade für die Handhabe daraus resultierender Problemlagen und Konflikte relevant, sei es im Rahmen der Sozialen Arbeit, der psychosozialen Beratung, dem Training oder anderen interventionsbezogenen Maßnahmen, bei denen man mit Männern zu tun hat.
Das vorliegende Themenheft nimmt sich daher dieses Themas an und fokussiert auf eine ›kritische Männerarbeit‹ bzw. ›kritische Männerforschung‹ in Feldern, die in ihrem Selbstverständnis eine geschlechterreflektierende und gesellschaftspolitische Dimension tangieren. In der Geschlechterdebatte ist es eine mittlerweile geradezu ›klassische‹ und mit viel Spannung besetzte Frage, inwieweit es einerseits notwendig und andererseits zulässig ist, von ›Frauen‹ bzw. ›Männern‹ zu schreiben bzw. zu sprechen. Dies geschieht vielfach in der Absicht, bestehende Machtverhältnisse, Rollenerwartungen und Differenzen entlang der Kategorie Geschlecht (genauer: entlang der binären Kategorisierung Frau/Mann) zu benennen, mit dem Ziel, diese der kritischen Analyse wie auch der praktischen Veränderung zugänglich zu machen. Gleichzeitig bringt ein solches Sprechen aber die Gefahr mit sich, zwei strikt getrennte und in sich einheitliche Entitäten zu konstruieren, damit eine bipolare Geschlechterordnung aufrecht zu erhalten, und fixierte Zuschreibungen, was denn ›männlich‹ und was ›weiblich‹ sei, unhinterfragt fortzuführen.
Dieses Spannungsfeld beschäftigte auch uns als Herausgeber_innen-Team bei der Entwicklung und Entstehung des hier vorliegenden Schwerpunkthefts. Eine sich kritisch verstehende Männerarbeit impliziert in unserem Verständnis die Bereitschaft, einschränkende Geschlechterstereotype hinter sich zu lassen, heteronormative Zweigeschlechtlichkeit als gesellschaftliches Ordnungssystem insgesamt zu hinterfragen und klar Position zu beziehen gegen damit verbundene Ausschlussmechanismen, die oft bis hin zu Gewalt reichen. Das Dilemma bleibt aber bestehen, denn: Um dies zu tun, braucht es wohl auch das Sprechen über Männer und deren mannigfaltige und widersprüchliche Lebenswirklichkeiten, über Männlichkeiten und deren Einbettung in gesellschaftliche Strukturen, über Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellungspolitik, die eben auch Männer umfasst. Durch ein solches Sprechen bekommt die Notwendigkeit, Geschlechter- und Machtverhältnisse zu verändern, quasi von der ›Männer*seite‹ her Dringlichkeit und Relevanz.
Dies drückt sich auch aus in unterschiedlichen Zugängen kritischer Männerarbeit, deren gemeinsame Grundhaltung es vielleicht ist, in emanzipatorischem Bestreben und in alltäglicher psychosozialer Praxis auf spezifische vorgefundene Notlagen einzugehen und zu reagieren. Wir nehmen an, dass sich dem hier beschriebenen Spannungsfeld im Sprechen über Männer und im Arbeiten mit Männern nicht entkommen lässt, und dass es hier keine letztgültig ›richtige‹ Position geben kann, in der alle Widersprüche aufgehoben sind.[1] Diese Dynamik entspricht aber vielleicht auch einer ständigen Beweglichkeit, die dem Thema der Geschlechterverhältnisse innewohnt, und kritisches Denken wie Handeln immer wieder neu herausfordert, sich nicht mit vermeintlichen Sicherheiten zufrieden zu geben. Dies stellt eine Grundlage dar, um in der Arbeit mit Männern festgefahrene Vorstellungen von Männlichkeit zu hinterfragen, und alternative Konzepte von Männlichkeiten auszuleuchten und zu entwickeln. Dies wiederum berührt gleichzeitig scheinbar selbstverständliche, heteronormative Konstruktionen von Geschlecht und damit verbundene Zuschreibungen und Rollenerwartungen.
Die professionelle Arbeit mit Männern zeigt aber immer wieder, dass es sich hierbei um alles andere als ein einfaches Unterfangen handelt. Zwar spielen sozialisatorische Bedingungen, die Erfahrungen des Aufwachsens stets eine zentrale Rolle, die unterschiedliche Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen mitbedingen. Lothar Böhnisch und Heide Funk sprechen vom »männlichen Bewältigungsmodell« (Böhnisch & Funk 2002, S. 114ff), wenn sie jene Prozesse beschreiben, die Männer dazu bringen, gerade in prekären und kritischen Lebenskonstellationen ›geschlechtstypisch‹ zu reagieren, also so, wie es einer stereotypen Vorstellung von »Männlichkeit« entspricht. Vor allem da, wo Handlungssicherheiten brüchig geworden und verloren gegangen sind, komme es zu solchen Prozessen. Dies wirkt sich auf die Praxis der Beratungssituation mit Männern in verschiedenen Formen aus, wie es mehrfach beschrieben wurde (z. B. Brandes/Bullinger 1996; Böhnisch/Funk 2002; Neumann/Süfke 2004; Krall 2005; Krainz 2014). Die Bandbreite reicht von abwehrenden Mechanismen, wie einem Festhalten an einer Idealisierung von Stärke und Durchsetzungskraft, selbst dann, wenn es die lebensweltlichen Bedingungen nicht zulassen, über eine vorherrschende Kommunikationsarmut in Hinblick auf die eigene Befindlichkeit und Gefühlswelt bis hin zu zahlreichen Externalisierungstendenzen, bei denen betroffene Männer einer Außenorientierung folgen und die Ursachen des jeweiligen Problems nicht bei sich, sondern vorwiegend bei anderen suchen und so ihre eigene Verantwortlichkeit abspalten. Darüber hinaus sind in der psychosozialen Arbeit mit Männern immer wieder deutliche Rationalisierungsversuche erkennbar. Hierbei ist aber weniger der Wechsel auf die Sachebene oder eine Intellektualisierung der jeweiligen Situation oder des Konflikts gemeint. Entscheidend ist vielmehr die damit einhergehende »Entemotionalisierung« (Böhnisch/Funk 2002, S. 120), die es einem scheinbar erspart, über die eigene Befindlichkeit und Betroffenheit sprechen zu müssen. Es handelt sich um eine »Warnung vor dem Innen« (ebd., S. 119), da das Zulassen der eigenen Emotionen die eigene Hilflosigkeit offenbart, womöglich einen Kontroll- und Funktionsverlust bedeutet und damit idealisierten Ansprüchen widerspricht. Kritische Männerarbeit hat daher stets darauf zu achten, dass die Interventionen sich nicht nur auf Sachargumente beziehen, sondern vor allem die emotionale Seite beleuchten und diese zur Sprache bringen. Neben den hier skizzierten, durchaus herausfordernden Situationen für die professionelle Arbeit mit Männern zeigt der Beratungsalltag aber auch, dass immer mehr Männer ihre Unterstützungsnotwendigkeit erkennen, von sich aus Hilfe suchen und neue Orientierung gewinnen und etwas verändern möchten.
Die hegemonialen Strukturen, Vormachtstellungen und Privilegien, von denen Männer nach wie vor unbestrittenermaßen profitieren – Raewyn Connell spricht von der sogenannten »patriarchalen Dividende« (Connell 1999, S. 100) – führen aus Sicht kritischer Männerarbeit somit nicht einfach nur zu einer einseitigen Benachteiligungen von Frauen; gleichzeitig werden auch die negativen Kosten für Männer (Theunert 2012) sowie die negierte und marginalisierte Diversität von Männern (Connell 1999) in den Blick genommen. Diese Situation bedingt auch einen enormen Druck und Zwang, unter der Männer unterschiedlicher Altersstufen leiden. Dies betrifft insbesondere Männer, denen diese scheinbar idealisierten Ansprüche aufgrund ihres sozialen Hintergrunds, aufgrund verweigerter Anerkennung oder Ausgrenzungserfahrungen verwehrt bleiben. Auf sozialpolitischer Ebene impliziert dies eine enorme Sprengkraft, welche besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Der aktuell deutlich zu beobachtende Zustrom zu autoritären und extremistischen Gruppierungen und ›Bewegungen‹ unterschiedlichster Provenienzen, für die sich offensichtlich vorwiegend (junge) Männer als besonders anfällig zeigen (Heinsohn 2008), unterstreicht die Relevanz kritischer Männerarbeit, die sich aktiv in die Geschlechterdebatte einbringt und in dieser verankert.
Die hier versammelten Beiträge nähern sich diesem Thema von unterschiedlichen Blickwinkeln aus an. Besonders freut es uns, dass diese nicht nur aus der Feder von Berufs-Wissenschafter_innen stammen, sondern auch von Praktiker_innen, die in ihren unterschiedlichen Arbeitsfeldern mit heranwachsenden und/oder erwachsenen Männern zu tun haben und diese Erfahrungen theoretisch-reflexiv einordnen.
Sebastian Lehofer berichtet in seinem Beitrag »Kritische Männerarbeit: (therapeutische) Männergruppen und ihr Beitrag zur Konstruktion von Männlichkeit(en)« aus eigenen beruflichen Erfahrungen im Leiten einer psychotherapeutischen Männergruppe und den darin beobachteten typischerweise auftretenden männerspezifischen Themen und Problembereichen, welche anhand von Positionen kritischer Männerforschung (Bourdieu, Connell) einer vertieften Analyse unterzogen werden. In einem vorgestellten Vergleich mit traditionellen Männergruppen und Männerbünden wird deutlich, welches verändernde Potential psychotherapeutische Männergruppen, angereichert um eine kritische Geschlechterperspektive, in der psychosozialen Praxis aufweisen können.
Gerd Stecklina und Jan Wienforth beschäftigen sich in ihrem Beitrag »Queer-heteronormativitätskritische Reflexionen für die psychosoziale Arbeit mit Jungen und Männern« mit der Frage, inwiefern Queer Theorie eine Rolle spielt in Theorie und Praxis kritischer Jungen*– und Männer*arbeit. Welche Relevanz hat Geschlecht als Strukturkategorie, auch für die Praxis der Beratung, und mit welchen Konzepten von Männlichkeit wird gearbeitet? In ihrem Text geben sie Impulse für queertheoretische Reflexion und stellen ein Rahmenmodell vor, mit dessen Hilfe Anstöße zu einer reflexiven kritischen Männer*arbeit in Bezug auf Heteronormativitätskritik gegeben werden.
Harry Friebl greift in seinem Beitrag »Jungs und junge Männer, die sich selbst verletzen - ein Ansatz zur Biografie- und Lebensweltorientierung« ein Thema auf, dem erst wenig Beachtung geschenkt wurde bzw. das in Bezug auf Geschlecht bislang sehr stereotypisierend abgehandelt wurde. Als Ausgangspunkt sieht er eine neue männliche ›Verletzungsoffenheit‹, die nicht mehr mit dem ›klassischen‹ Prototypen der sich selbst verletzenden, psychisch gestörten jungen Frau zu vereinbaren ist. Es stellt sich die Frage, warum eigentlich selbstverletzendes Verhalten bei Jungen tabuisiert wird? Diskutiert wird dabei im Beitrag die geschlechterspezifische Festschreibung von Opfer und Täter und die Bedeutung von Männlichkeit als ›Stressfaktor‹. Schließlich wird die Notwendigkeit von geeigneten Beratungs- und Hilfsstrukturen diskutiert.
Elli Scambor und Romeo Bissuti setzen sich in ihrem Beitrag »Drei Seiten einer Medaille. Standortbestimmung gleichstellungsorientierter Männerarbeit im geschlechterpolitischen Feld« mit der Frage auseinander, wodurch sich gleichstellungsorientierte bzw. profeministische Zugänge in der Männerarbeit von antifeministischen Positionen unterscheiden. Die Autor*innen geben differenzierten Einblick in die österreichische Männerarbeits-Landschaft und beschreiben Beispiele für gleichstellungsorientierte Allianzen in der Geschlechterarbeit einschließlich der Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Vorgestellt wird ein Analysemodell, mit welchem sich »nicht-balancierte« Zugänge in der österreichischen Männerarbeit von balancierten Zugängen unterscheiden lassen, in welchen männliche Privilegien, (negative) Kosten männlicher Sozialisation sowie Diversität von Männern gleichermaßen in den Blick genommen werden.
Michael Tunç unternimmt in seinem Beitrag »Diversitätsbewusste Männer- und Väterarbeit. Intersektionalität und rassismuskritisch-migrationsgesellschaftliche Entwicklungen« den Versuch, Kritik mehrdimensional zu denken, um nicht bloß auf der Ebene der Geschlechterdifferenz zu verharren, sondern weitere zentrale Differenzen (Migration/Ethnizität, soziale Ungleichheit) in diese Betrachtungen miteinzubeziehen. Dieses Vorgehen wird nicht nur der Komplexität gesellschaftlicher Realität eher gerecht, es verhindert zugleich auch einfachen Stereotypisierungen aufzusitzen, die – insbesondere seit den Vorfällen zu Silvester 2015/16 in Köln – stark im Zunehmen begriffen sind. Der Beitrag diskutiert Herausforderungen und mögliche Antworten, die in Hinblick auf eine diversitätsbewusste Arbeit mit Männern und Vätern relevant erscheinen.
Bernhard Weidinger und Katharina Werner analysieren in ihrem Beitrag »›Finger weg von unseren Frauen!‹ Männlichkeit, extreme Rechte und sexualisierte Gewalt« eine doppelte Funktion des Bespielens des Themas sexualisierter Gewalt durch rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen – und dabei vor allem durch Männer. Einerseits dient die Einbindung sexualisierter Gewalt in eine generelle Politik der Ethnisierung des Sozialen dazu, die grundsätzliche Integrationsunfähigkeit bestimmter migrantischer Communities zu behaupten. Andererseits wird damit zugleich die Sicherung patriarchaler Herrschaft autochthoner Männer über ›ihre‹, als schutzbedürftig gezeichneten Frauen, konstruiert.
Manuel Mayrl befasst sich in seinem Beitrag »Männlichkeitskonstruktionen der Identitären Bewegung Österreich« mit der Kommunikation dieser rechten Organisation. Wenngleich es mittlerweile häufig mediale Berichterstattung über die IBÖ gab, gibt es wenig spezifische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den sogenannten ›Identitären‹. Unter Rückgriff auf die Arbeiten von Connell, Bourdieu und Meuser werden in seinem Beitrag auch die Identifikationsangebote hegemonialer Männlichkeit dieser Organisation aufgedeckt und in Bezug zu neokapitalistischen Funktionsweisen gesetzt, um somit auch den ›Erfolg‹ der Bewegung erklärbarer zu machen.
Mit diesem Heft decken wir ein breites Themenspektrum der kritischen Männerarbeit in Theorie und Praxis ab. Die darin enthaltenen Analysen und Überlegungen zu diesem wichtigen psychosozialen und gesellschaftspolitischen Aufgabenbereich sind jedoch keineswegs vollständig, sie können es gar nicht sein. Es werden keine endgültigen Antworten zur Verfügung gestellt, vielmehr sind die hier versammelten Beiträge als Anregungen zum Weiterdenken zu verstehen. Wir wünschen eine spannende Lektüre.
Beck, Ulrich (1990): Der späte Apfel Evas oder Die Zukunft der Liebe. In: Beck, Ulrich & Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hg.): Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt (Suhrkamp), S. 184–221.
Bourdieu, Pierre (1997): Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene & Krais, Beate (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt am Main (Suhrkamp), S. 153–217.
Böhnisch, Lothar (2004): Männliche Sozialisation. Eine Einführung. Weinheim und München (Juventa Verlag).
Böhnisch Lothar & Funk, Heide (2002): Soziale Arbeit und Geschlecht. Theoretische und praktische Orientierungen. Weinheim und München (Juventa Verlag).
Brandes, Holger &, Bullinger, Hermann (Hg.)(1996): Handbuch Männerarbeit. Weinheim (Beltz Verlag).
Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden (Springer).
Heinsohn, Gunnar (2008): Söhne und Weltmacht. Terror im Aufstieg und Fall der Nationen. München (Piper Verlag).
Krainz, Ulrich (2014): Männer in Beratung. Grundüberlegungen und Eindrücke aus der Praxis. In: Männerberatung Wien (Hg.): Typisch Mann? 30 Jahre in Bewegung – Männerberatung Wien. Festschrift. Melk, S. 17–21.
Krall, Hannes (Hg.)(2005): Jungen- und Männerarbeit. Bildung, Beratung und Begegnung auf der Baustelle Mann. Wiesbaden (VS Verlag).
Lenz, Hans-Joachim (Hg.) (2000): Männliche Opfererfahrungen. Problemlagen und Hilfeansätze in der Männerberatung. Weinheim & München (Juventa Verlag).
Meuser, Michael (2001): Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit. In: Janshen, Doris & Meuser, Michael. (Hg.): Schriften des Essner Kollegs für Geschlechterforschung. Heft II.
Meuser, Michael (2006): Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. (2. Auflage). Wiesbaden (VS Verlag).
Meuser, Michael (2010): Gewalt im Geschlechterverhältnis. In: Aulenbacher, Brigitte, Meuser, Michael & Riegraf, Birgit (Hg.): Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung. Wiesbaden (VS Verlag), S. 105–123.
Neumann, Wolfgang & Süfke, Björn (2004): Den Mann zur Sprache bringen. Psychotherapie mit Männern. Tübingen (Dgvt Verlag).
Theunert, Markus (2012): Männerpolitik. Was Jungen, Männer und Väter stark macht. Wiesbaden (VS Verlag).
Möglichkeiten des Umgangs mit diesem grundsätzlichen Dilemma sind auch die unterschiedlichen Formen einer geschlechtersensiblen Ausdrucksweise, sei es mit Binnen-I, Sternchen oder Unterstrichen usw. In dieser Hinsicht weisen die einzelnen Beiträge in diesem Heft auch einen unterschiedlichen Modus auf, der von uns mit Absicht nicht vereinheitlicht wurde, da dies nicht einfach eine Reaktion auf eine vorherrschende ›politische Korrektheit‹ darstellt, sondern stets auch Ausdruck einer spezifischen Haltung ist.