Seit Axel Honneths 1992 erstmals erschienenem, seitdem vielbeachtetem Buch »Kampf um Anerkennung« lässt sich eine verstärkte Auseinandersetzung um den Begriff und die Thematik der Anerkennung und ihrer Bedeutung für Individuum und Gesellschaft feststellen. Dies gilt insbesondere für die Philosophie, aber auch für jene Teile der Sozialwissenschaften, die sich durch philosophische Diskurse anregen lassen, beispielsweise für die Soziologie. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass innerhalb der Psychologie dieses Thema im Grunde gar nicht behandelt wird, obgleich mit dem Begriff und dem Konstrukt der Anerkennung ein Phänomen und Forschungsobjekt angesprochen wird, welches zutiefst mit psychologischen Fragestellungen verbunden ist. So dürfte etwa in der Sozialpsychologie oder aber in der Entwicklungspsychologie – um nur zwei Beispiele zu nennen – die Auseinandersetzung mit psychosozialen Situationen, die auf Anerkennung in Interaktionen verweisen, eigentlich nicht fehlen. Ein Blick in die einschlägigen Lehrbücher auch über den deutschsprachigen Sprachraum hinaus zeigt aber sehr schnell, dass in beiden Teildisziplinen der Psychologie Anerkennung kein Thema ist.
Dies betrifft ebenso die großen Teilgebiete der Angewandten Psychologie, die Klinische Psychologie, die Pädagogische Psychologie und die Wirtschaftspsychologie, insbesondere die Arbeits- und Organisationspsychologie. Mag es sich in jenen Teilen der Klinischen Psychologie, wo der Diskurs der Psychoanalyse noch Gewicht hat, insofern anders verhalten, als insbesondere bei Autorinnen und Autoren, welche eine intersubjektivitätstheoretische Perspektive einnehmen, Anerkennung tatsächlich thematisiert wird (vgl. dazu Sichler in diesem Heft), so können wir für die beiden anderen wichtigen Anwendungsgebiete schlicht von einer Fehlanzeige sprechen. Natürlich wird man schnell fündig, wenn man nach verwandten Begriffen wie Feedback, Rückkopplung oder gar Verstärkung sucht, doch handelt es sich dabei eben nur um verwandte Begriffe. Wer von Anerkennung spricht, kann dies eigentlich nur dann sinnvoll tun, wenn er oder sie den Menschen als Subjekt begreift. Für die Entwicklungspsychologie und die Pädagogische Psychologie würde beispielsweise die Thematisierung von Anerkennungsinteraktionen mit einer Konzeptualisierung von Prozessen der Subjektkonstitution einhergehen müssen, doch damit tut sich die gegenwärtige Psychologie in ihren Hauptströmungen aus vielerlei Gründen schwer.
Für die Arbeits- und Organisationspsychologie stellt die Vernachlässigung der Anerkennungsthematik ein besonders gravierendes Problem dar, weil dies auch zu einer verkürzten Sicht auf den zentralen Gegenstand – der menschlichen Arbeit – führt. Insofern stellt auch dieser Befund keine große Überraschung dar (vgl. hierzu Sichler in diesem Heft). Greift man eines der wenigen Beispiele heraus (vgl. Rosenstiel 1999), wo Anerkennung (hier im Kontext des Personalmanagements) explizit thematisiert wird, so sieht man schnell, dass der Begriff keine eigenständige Bedeutung einnimmt und auch keine neuen theoretischen Perspektiven eröffnet, sondern im Rahmen von bewährten psychologischen Theoriediskursen (etwa der behavioristischen Lerntheorie, der Informationstheorie und der Leistungsmotivationstheorie) aufrollt wird. Insofern sind die im genannten Beitrag formulierten Hinweise für die Praxis auch nicht wirklich überraschend, sie entsprechen mehr oder weniger einem Alltagswissen zur Personalführung, das wahrscheinlich von Führungskraft zu Führungskraft – manchmal unter Rekurs auf sogenannte bewährte psychologische Erkenntnisse – weitergegeben wird.
Mit dieser Ausgabe des Journals für Psychologie intendieren wir, einen Schritt weiter zu gehen. Es wird versucht, sowohl die theoretische Auseinandersetzung um den Begriff der Anerkennung als auch die empirische Forschung dazu ein Stück voranzutreiben. Dabei sollen insbesondere Einsichten und Diskurse zum Themenfeld Anerkennung im Kontext des wirtschaftlichen und beruflichen Handelns aus Nachbardisziplinen wie Philosophie, Soziologie, aber auch den Wirtschaftswissenschaften ebenfalls mit Berücksichtigung finden. Ohne Zweifel sind wir mit dem, was aus (wirtschafts-)psychologischer Perspektive zu diesem Themenkomplex zu sagen wäre, in dieser Ausgabe des Journals für Psychologie nur einen kleinen Schritt voran gekommen. Methodisch lassen einige der Beiträge in dieser Ausgabe eher an ein Abklopfen an der Oberfläche als eine tiefgehende und differenzierte Analyse denken. Gleichzeitig macht dies deutlich, wie schwer es ist, das soziale Phänomen der Anerkennung zufriedenstellend zu erfassen und zu beschreiben. Oft werden Aspekte von Anerkennungsinteraktionen auch eher an Indizien im sozialen Umfeld als an der Anerkennungskommunikation selbst erkannt. Sollte es aber mit diesem Heft gelingen, zu einer weiteren und vertieften theoretischen Beschäftigung mit dem Thema anzustoßen und zu weiteren Studien anzuregen, so wäre damit aus unserer Sicht schon sehr viel gewonnen.
Um die Dimensionen des Phänomens der sozialen Anerkennung im Feld von Arbeit und Beruf wenigstens nur in Grundzügen anzudeuten, sollen in Anlehnung an eine Differenzierung von Frey (2009, 85f.) verschiedene Ebenen der Anerkennung unterschieden und kurz charakterisiert werden:
Auf der gesellschaftlichen Ebene gründet sich die Anerkennung des oder der Einzelnen in seiner oder ihrer Teilhabe an der sogenannten Arbeitsgesellschaft. Wer Arbeit hat, kann sich so durch die Gesellschaft als anerkannt betrachten. In gewisser Weise zählt erst jemand mit einem Arbeitsplatz als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Der Verlust von Arbeit geht meist mit Prestige- und Statuseinbußen einher. Es braucht natürlich an dieser Stelle nicht eigens hervorgehoben werden, dass diese Form oder Ebene der Anerkennung zutiefst mit dem Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit verbunden und damit an die Grundverfassung einer marktwirtschaftlichen (und damit auch arbeitsmarktwirtschaftlichen) Gesellschaft gebunden ist.
Auf der Ebene der Organisationen finden sich Beschäftigte zunächst mit institutionalisierten Formen der Anerkennung konfrontiert, etwa der Entlohnung oder besonderen Gratifikationssystemen. Anerkennung auf dieser Ebene kann sich aber auch in verbaler oder symbolischer Form ausdrücken, etwas durch ein Lob des oder der Vorgesetzten oder durch eine Auszeichnung auf einer Betriebsfeier.
Schließlich besteht noch ein Zusammenhang von Arbeit und Anerkennung auf individueller Ebene. Hier ist der sozialphilosophische Diskurs um den Begriff der Anerkennung von besonderer Relevanz. Denn Anerkennung bedeutet für das Individuum mehr als nur eine Verstärkung bislang gezeigten Arbeitsverhaltens. Sie zielt vor allem auf Prozesse der beruflichen Professionalisierung und Identitätsbildung ab. Dies bedeutet, dass Anerkennung zutiefst mit der Herstellung von Sinn im Bezug zur eigenen Arbeit und damit mit der Subjektkonstitution verbunden ist (hier bezogen auf die Ausbildung von beruflicher und organisationsbezogener Identität).
Schon ein Blick auf diese Ebenen zeigt die Komplexität der Anerkennungsthematik in den Feldern von Arbeit, Beruf und Organisation. Dies erschwert selbstredend sowohl die theoretische Auseinandersetzung als auch die empirische Forschung in diesem Bereich. Und es ist nicht weiter überraschend, dass die arbeits-, organisations- und wirtschaftswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Anerkennung – sofern sie überhaupt stattfindet – vorwiegend jeweils nur eine dieser Ebenen in den Fokus nimmt.
Auch die in diesem Heft versammelten Beiträge lassen sich diesen Ebenen zuordnen, manchmal sind es auch zwei Ebenen oder die Schnittmenge benachbarter Ebenen, welche ausgeleuchtet werden. Im ersten Beitrag von Ralph Sichler wird der Versuch unternommen, das Thema Anerkennung für den Kontext von Arbeit und Beruf fruchtbar zu machen. Dabei spielt naturgemäß die gesellschaftliche Ebene eine besondere Rolle. Es wird darauf hingewiesen, dass Anerkennung eine wesentliche Integrationsfunktion in durch Arbeitsteilung differenzierten Gesellschaften einnimmt. Dies wirkt sich auch auf den Begriff der Arbeit selbst aus. Gleichzeitig besitzen die berufliche Anerkennung und die Wertschätzung geleisteter Arbeit eine wichtige Bedeutung für die Herausbildung von professioneller Identität und einem Anerkennungsmodus, bei dem die Betreffenden die Fähigkeit erwerben, sich auch selbst Anerkennung zuzusprechen.
Stephan Sielschott analysiert das Anerkennungsthema vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit. Im Zuge einer Content Analyse der Berichterstattung von Regionalzeitungen wird erkennbar, wie stark Anerkennung mit gesellschaftlicher Integration, aber auch mit dem Konstrukt der personal attribuierten Kompetenz oder Inkompetenz verknüpft ist. Vor diesem Hintergrund leuchtet der Autor mehrere Stereotype des oder der Arbeitslosen aus und diskutiert sie im Kontext der Anerkennungsthematik.
Hermann Mitterhofer, Stefanie Groppe und Maria Stippler widmen sich einem weiteren Aspekt der gesellschaftlichen Dimension: der intergenerationalen Zusammenarbeit. Sie gehen dabei der Frage nach, wie Anerkennung und die Existenz von Altersstereotypen mit der Kooperation zwischen verschiedenen Altersgruppen zusammenhängen. Im Zuge einer qualitativen Studie in einem ausgewählten Unternehmen kommen sie zu einem überraschenden Ergebnis. Denn der Gewinn an beruflicher Anerkennung zwischen den Generationen kann als Tauschgeschäft interpretiert werden, welches zur Anhäufung von sogenanntem symbolischem Kapital unter den Akteuren führt. Diese auf der Unternehmensebene gewonnene Erkenntnis besitzt natürlich auch eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Tragweite.
Mit dem Beitrag von Harald Stummer, Elisabeth Nöhammer und Claudia Schusterschitz betreten wir explizit die Ebene der Organisation. Im Rahmen einer multi-methodischen Fallstudie in einem Industriebetrieb in der Metall- und Maschinenbaubranche wird der Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Wertschätzung durch die Unternehmensleitung, dem subjektiven Wohlbefinden, dem individuellen Krankenstand und dem Direkteffekt der Unterstützung durch unmittelbare Vorgesetzte zu erfassen versucht. Dabei wird deutlich, dass sich selbst wertschätzendes Verhalten des oder der direkten Vorgesetzten kontraproduktiv auf die Belegschaft auswirken und zu einer double bind Situation führen kann, wenn Anerkennung nicht auch durch die Firmenleitung ausgesprochen wird.
Stephanie Göll und Philipp Rettler berichten von ihrer Studie, die den Nachweis zu erbringen sucht, dass bestimmte Formen und Modi der Anerkennung mit dem Führungsstil der Vorgesetzten im Zusammenhang stehen. Auch hier wird das Thema vor allem auf der Unternehmensebene, aber ebenso auf der Individuumsebene behandelt. Im Rahmen einer Korrelationsanalyse wird deutlich, dass vor allem kooperatives Führungsverhalten mit einer Reihe von Anerkennungsformen verknüpft ist, bei denen die Person und die Leistung des Mitarbeiters direkt gewürdigt und wertgeschätzt wird. Mit dieser Studie ist natürlich nur ein erster Schritt getan. Die Zusammenhänge zwischen Führung, Führungssituation und der Art und Weise der Anerkennung sind sehr komplex und können durch Korrelationen nur unzureichend zum Ausdruck gebracht werden. Hier gilt es, sich durch weitere Untersuchungen vor allem mit qualitativen Methoden ein vollständigeres Bild zu schaffen.
Im Rahmen der Rubrik »Psychologie in der Berufspraxis« haben wir zwei weitere Beiträge zum Thema Anerkennung aufgenommen. Philipp Rettler und Stephanie Göll streichen die Bedeutung von Anerkennung und Kritik als moderne Führungs- und Managementmethoden heraus. Die Autorin und der Autor weisen darauf hin, dass Unternehmen sich heute daran bewerten lassen, inwieweit sie dem Thema Anerkennung in der Praxis Wichtigkeit zumessen und entsprechend handeln. Simone D. Wiedenhöft schließlich bezieht die Diskussion um Anerkennung und Wertschätzung auf den Diskurs um nachhaltige Unternehmensführung. Sie zeigt auf, inwiefern eine anerkennende und wertschätzende Haltung durch das Management als ein grundlegender Baustein von Nachhaltigkeitskonzepten betrachtet werden kann. Damit ist neben der Unternehmensebene natürlich auch die gesellschaftliche Dimension des Anerkennungskonstrukts angesprochen.
Die in diesem Heft versammelten Beiträge beruhen auf verschiedenen Paradigmen wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit psychosozialen Phänomenen. Dies hat nicht nur zur Folge, dass teilweise sehr unterschiedliche methodische Zugänge vorherrschen. Auch das Erkenntnisinteresse und das meist implizit unterstellte Menschenbild in den verschiedenen Texten kann nicht als identisch betrachtet werden. Während in einigen Beiträgen ein emanzipatorisch-kritisches Erkenntnisinteresse zumindest anklingt, werden in anderen die Möglichkeiten der Nutzung von Wertschätzung und Anerkennung durch betriebswirtschaftliches Handeln akzentuiert. Die Diskussion zu prinzipiellen Unterschieden zwischen den verschiedenen Paradigmen konnte in diesem Heft nicht geführt werden. Auch dies bleibt ein Desiderat der weiteren psychologischen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialer Anerkennung durch Arbeit und berufliches Handeln in der spätmodernen Gesellschaft.
Die Herausgeberin und Herausgeber dieser Ausgabe danken schließlich herzlichst Martin Dege, Günter Mey, Sebastian Ruppel, Hans-Jürgen Seel, Thomas Slunecko und Barbara Zielke für konstruktive kritische Anmerkungen zur Konzeption und Umsetzung dieses Schwerpunkts und die wertvolle Mitarbeit bei der Lektorierung der vorliegenden Beiträge.
Frey, Michael (2009): Autonomie und Aneignung in der Arbeit. Eine soziologische Untersuchung zur Vermarktlichung und Subjektivierung von Arbeit. Mering: Hampp.
Honneth, Axel (1992): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Rosenstiel, Lutz von (1999): Anerkennung und Kritik als Führungsmittel. In Lutz von Rosenstiel, Erika Regnet & Michael E. Domsch (Hg.), Führung von Mitarbeitern. Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement (243-253). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.