Trauma und Traumatisierung haben als Begriffe Eingang in die Umgangssprache gefunden. Betroffene finden heute ein – diese gesellschaftliche Akzeptanz widerspiegelnd- breites, oft nicht nur für KlientInnen unüberschaubares Behandlungs- und Therapie-Angebot vor. Dennoch werden immer noch zu viele Betroffene in ihrer Traumatisierung nicht erkannt und/oder nicht adäquat behandelt.
Wie jede Diagnostik birgt diese auch im Fall einer Traumatisierung nicht nur die Chance auf passende hilfreiche Angebote sondern auch individualisierende Stigmatisierung, Genesung absprechende Etikettierung, Ressourcen aus dem Blick verlierende Viktimisierung und eventuell sogar Retraumatisierung.
Nicht alle Personen, die ein sogenanntes traumatisches Ereignis erleben, erleiden eine Traumatisierung. Gleichzeitig können verschiedenste Belastungen bzw. Krisen für Betroffene traumatisierend wirken. Die Genese von Traumen spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, ebenso die Diagnose, ob es sich um eine Akutbelastung, eine einmalige Traumatisierung oder mehrere voneinander unabhängige Hochstress-Erfahrungen, sequenzielle Traumatisierung mit Beginn in der Kindheit oder später oder eine Chronifizierung von Folgeerkrankungen nach Traumatisierung handelt.
Im ersten Teil dieses Heftes wird zunächst ein Überblick über die wesentlichen empirischen Erklärungsmodelle zu Entstehung und Aufrechterhaltung der Posttraumatischen Belastungsstörung (Gernot Brauchle) geboten.
Den Fokus auf zumeist vernachlässigte kulturelle Dimensionen legt Olga Kostoula in ihrem Beitrag. Ausgewählte Aspekte von Traumatisierung in ihren individuellen und kollektiven Zusammenhängen behandelt auch Michael Lindenthal und stellt damit allumfassende Traumadefinitionen in Frage. Die Dialektik von Widerstand und Anpassung im Brückner’schen Sinn ist Ausgangspunkt für Klaus Ottomeyers Beschäftigung mit Traumatherapie und – therapeutInnen. Die Analyse von Viktimisierung aufgrund erlebter sexueller Gewalt und die der individuellen Bedeutung von Traumatisierung sind Themen des Beitrags von Bodil Pedersen. Roland Urban bricht in seinem Beitrag eine Lanze für eine konsequente Implementierung gesundheitsfördernder Rahmenbedingungen als Mittel der Prävention von Traumafolgeerscheinungen.
Die Ansätze international führender Psychotrauma-TherapeutInnen beschreiben sinngemäß alle unterschiedliche Therapiephasen, wobei als – bei komplex Traumatisierten – zeitlich umfangreichste Phase diejenige der Stabilisierung unterstrichen wird. Hier geht es um das Fördern des sich-Verstehens, Aufbau von Selbst-Kompetenzen und Ressourcen.
Gabriele Kastner (frauenspezifisch-psychodramatische Therapie), Reiner Seibold (Ego-State-Therapie) und Wolfgang Till (Psychoanalyse) diskutieren in ihren Beiträgen theoretisch-praktische Perspektiven, die zu einem hilfreichen Verstehen von Traumatisierung führen.
Trauma-Konfrontation ist eine späte(re) Psychotrauma-Therapie-Phase, die bereits eine gewisse Stabilisierung voraussetzt. Eine relativ junge, standardisierte und validierte Methode ist das EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing).
Martina Hopfner und Christine Gruber bzw. Romana Tripolt stellen zwei experimentelle Anwendungen des EMDR zur Diskussion: die Kombination mit craniosakraler Körperarbeit bei vor allem präverbaler Traumatisierung einerseits und die Einbeziehung bzw. Vollendung von als Fragmente im Körpergedächtnis eingefrorener Bewegungen anderseits. Eva Münker-Kramer stellt EMDR den verhaltenstherapeutischen Haltungen und Techniken gegenüber bzw. zur Seite. Anhand von anschaulichen Praxisbeispielen gelingt es den Autorinnen ihr theoretisch fundiertes Vorgehen begreifbar zu machen.
Dass Psychotrauma-spezifische Perspektiven, Ansätze und Vorgehen in der Praxis hilfreich sind, kann sowohl bei Primär-Opfern (Betroffene), Sekundär-Opfern (Angehörige, EinsatzleiterInnen) als auch bei Tertiär-Opfern (Einsatzkräfte) beobachtet werden.
Clemens Hausmann beschreibt dies anhand von Entlastungsgesprächen für Pflegepersonen, Ruth Heidinger stellt ein Konzept für Asylwerberinnen vor, und Barbara Juen beschreibt gemeinsam mit Heidi Siller und Susanne Gstrein die Vielfalt psychosozialer Akutinterventionen und deren Wirksamkeit.