Das Verhältnis zwischen Forschen und Praxis unter dem Begriff der Partizipation steht im Fokus dieses Artikels. Der Autor versucht unter gemeindepsychologischer Perspektive »Ungereimtheiten« in der partizipativen Praxis von Organisationen und der Rolle von Forschung zu analysieren. Er spricht sich dafür aus Empowerment und Partizipation zusammen zu denken und zu handhaben. Zwei Praxisbeispiele veranschaulichen seine Sichtweise.
Schüsselwörter: partizipative Forschung, partizipative Organisation, Empowerment, Organisationsentwicklung
This article focuses on the relation of research and praxis. In applying a community psychology perspective, the author tries to analyze contradictions in the participatory praxis of organizations and research projects. He argues for a combined approach which includes empowerment and participation. Two empirical examples shed light on the author’s theoretical explications.
Keywords: participatory research, participatory organization, empowerment, development of organizations
Partizipation scheint ein modernes Zauberwort zu sein. Es klingt einfach toll und zeitgemäß, Klient/innen an der Einrichtung, Mitarbeiter/innen an der Unternehmensführung und Geldgeber/innen an der Steuerung des Mitteleinsatzes zu beteiligen. In diesen Kanon der partizipativen Ausrichtung einer Organisation scheint sich nahtlos auch partizipative Forschung einzufügen, in der sich die klassische Trennung zwischen Forscher/Forscherin und den Beforschten im gemeinsamen Prozess aufhebt. Aber wie genau erfolgt dieses Zusammenspiel zwischen der (partizipativen) Organisation und dem/der partizipativen Forscher/in[1]? Wo sind Möglichkeiten partizipativer Forschung und wo die Grenzen der Erforschung und Veränderung der Praxis psychosozialen Handelns?
In der Annäherung an diese Fragen werde ich eine gemeindepsychologische Perspektive einnehmen. Seckinger (2010) weist darauf hin, dass die Gemeindepsychologie ein Selbstverständnis entwickelt hat: »das sich als Disziplin des (auch disziplinären) Grenzenüberschreitens beschreiben lässt. Darin findet sich der Anspruch, Praxis und Theorie als unzertrennlich und aufeinander wechselseitig angewiesen zu verstehen. Das Wissen, das im Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens gewonnen wird, hat per se keine höhere Wertigkeit als das Alltagswissen des Einzelnen oder das aus einer psychosozialen Praxis heraus entstandene Wissen der Fachkräfte. Vielmehr ist es notwendig, in intensiven gemeinsamen Diskursen eine gemeinsame Wissensbasis zu schaffen (…).« Genau um die Förderung dieses gemeinsamen Theorie-Praxis-Diskurses[2] wird es mir in diesem Artikel gehen.
Zunächst möchte ich in meinem Vorgehen den Partizipationsbegriff aus Theorie (Forschungsseite) und Praxis (Organisationsseite) beleuchten, um auf Schwierigkeiten auf theoretischer Seite aufmerksam zu machen. Dabei verfolge ich nicht die Absicht in die Grundlagen und/oder vielfältigen methodischen Ausgestaltens partizipativen Forschens einzuführen. Meine Beschreibung erfolgt eher kurz und pointiert, um schlaglichtartig die unterschiedlichen Kontextbedingungen partizipativen Forschens und partizipativer organisationaler Praxis hervortreten zu lassen. Im Weiteren werde ich mich dafür aussprechen, Partizipation unter dem Blickwinkel des Empowerment zu betrachten (und zu analysieren). Im zweiten Teil werde ich zur Praxis zurückkehren und Erfahrungswissen partizipativer Praxis in Organisationen aufzeigen, die als empowermentorientierte Anregungen im Rahmen partizipativer Forschungsprozesse in Organisationen dienen können.
In den 70er Jahren wurden im Rahmen der Aktionsforschung auch im deutschen Sprachraum Menschen von zu beforschenden Objekten zu handelnden Subjekten (vgl. Bergold 2000a). Dieser Schritt geschah, als die Begrenztheit bis dahin herrschender Wissenschaftslogik deutlich wurde. Maslow (1977 zitiert in Breuer 1989) drückt diese Begrenztheit pointiert so aus: »Vermutlich liegt die Versuchung nahe, alles wie einen Nagel zu behandeln, wenn man als einziges Werkzeug einen Hammer besitzt« (ebd., S.78). Letztendlich ging es darum, zum Forschungsgegenstand geeignetere Forschungsinstrumentarien zu finden und einzusetzen. Oberstes Ziel des neu einsetzenden partizipativen Forschungsbestrebens war es, das Wissen über soziale Wirklichkeiten zu verbessern (es praxisnäher zu gestalten) und im besten Fall diese Wirklichkeiten im Forschungsprozess zu verändern bzw. Veränderungen anzustoßen. In der partizipativen Forschung wurden beforschte Objekte zu Subjekten der Forschung, die die Veränderungen selbst in die Hand nahmen und durch wissenschaftliche Methodik (und entsprechende Autoritäten) in diesem Veränderungsprozess unterstützt wurden. Erkenntniswille und Veränderungsbereitschaft scheinen die beiden Hauptmotivationen eines solchen partizipativen Prozesses (jedenfalls aus Forschungssicht) zu sein.
In dieser Sicht verbleibend müsste jede soziale Organisation ein Interesse an Partizipation im Sinne eines Impulsgebers zu eigener Fortentwicklung haben. Die Praxis aber gestaltet sich häufig ganz anders.
In einer kritischen Annäherung sind einige Auffälligkeiten in der psychosozialen Praxis wahrzunehmen, die den Schluss nahelegen, dass es das vorbehaltlose Loblied der Partizipation in der psychosozialen Praxis nicht geben kann.
In der Praxis der Anwendung von Partizipation in (sozialen) Unternehmen drängt sich der Eindruck auf, dass ein Erkenntniswille zwar noch rudimentär vorhanden zu sein scheint (im Sinne: Wie können wir Mitarbeiter/innen, Kunden/Kundinnen, Geldgeber/innen etc. an den Entscheidungen beteiligen?), aber die Entwicklungsidee scheint manchen Organisationen (zumindest teilweise) abhandengekommen zu sein. Dabei ist meine Aufzählung pointiert, aber durchweg mit Praxiserfahrung[4] unterlegt. Diese »Liste merkwürdiger Partizipationsbeispiele« im psychosozialen Versorgungsalltag ist durchaus als unvollständig anzusehen und könnte weiter ergänzt werden.
So scheinen Unternehmungen wie Nutzer/innen-Befragungen manchmal allein dem Zweck zu dienen, die Institution zu »beweihräuchern«. Es scheint sogar manchmal darum zu gehen, langfristig angelegte Abhängigkeitsbeziehungen unter dem Begriff der »Kunden/Kundinnen-Zufriedenheit« zu verschleiern. Beiräte werden als Feigenblätter der Institution installiert; sie suggerieren eine Beteiligung des gesellschaftlichen Umfeldes. Oder Betroffene gründen Vereine, deren Geschäftsführer/in durchaus mal ihr/e behandelnde/r Psychologe/Psychologin sein kann. Die Welt steht auf dem Kopf. Die Überschrift solcher Tendenzen könnte lauten: Bitte schön keine qualitative Entwicklung/Veränderung in unserer Organisation! Alles soll so bleiben, wie es ist!
Aus Forschungssicht ist dies gerade keine Partizipation im Sinne der Veränderungsbereitschaft (s.o.), sondern dient allein der Verschleierung einer bestimmten Praxis und dort herrschender Machtverhältnisse[5]. Wir sind (schon lange) im Bereich der Wirtschaft angekommen, indem der Ökonom Joseph Schumpeter bereits 1911 das Schicksal jedes innovativen Gedankens folgendermaßen skizzierte: »Resultat ist, dass das Neue dem statischen Organismus einverleibt wird« (ebd., S. 434). Ist es der Idee der Partizipation so ergangen? Und muss demzufolge partizipative Forschung immer wieder herhalten um entwicklungsunfähige Unternehmungen besser dastehen zu lassen? – so könnte man pointiert fragen.
Nun kann man in der Analyse des aufgezeigten Problems die Haltung einnehmen, dass es sich um ein Theorie-Praxis-Problem handelt. Praxis neigt in geradezu semantischer Deflation dazu theoretisch Begriffe auszuhöhlen, sie ihrer ursprünglichen Sinngehalte zu berauben. Im Falle der Partizipation bleibt eben die Beteiligung (von Klienten/Klientinnen, Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen etc.) übrig – der Anstoß einer Veränderung über die Erkenntnis ist in der alltäglichen Praxis verloren gegangen. Diese Problemanalyse erscheint mir aber zu kurz gegriffen. Ich will andere hypothetische Überlegungen wagen.
Partizipation und Empowerment sind zentrale gemeindepsychologische Konzepte. Laut Seckinger (2010) »zielen [sie] darauf ab, den Einfluss des einzelnen Menschen auf seine Lebensbedingungen zu erhöhen.« Was allerdings häufig geschieht, ist, dass beide Begriffe (auch in gemeindepsychologischen Veröffentlichungen) seltsam unverbunden nebeneinander stehen. Ich meine, dass sich darin die spezifische Sichtweise des theoretischen Zugangs ausdrückt. Auf einer Theorieebene kann man so (separat) die Welt denken; die Handhabung von Praxis aber verlangt die Schaffung von Verbindungen. In diesem Sinne sollte Theorie auch darum ringen, die Praxis anzuregen, um darüber zu neuen Vorgehensweisen zur Lösung der Praxisprobleme zu kommen (vgl. Beck & Bonß, 1989).
Da Partizipation eigentlich mit den Gedanken der Erkenntnis und der Entwicklung in Organisationen unmittelbar verbunden sein sollte (s.o.), liegt der Vorschlag nahe, ihn in Zusammenhang mit dem Begriff des Empowerment zu denken.
Auch in der Empowerment-Theorie geht es um Entwicklung. Selbstbefähigung (Empowerment) heißt die Maxime gegenüber dem Adressaten/der Adressatin von Hilfeleistungen hin zu mehr Unabhängigkeit vom professionellen Hilfesystem. Gerade in der Sozialen Arbeit besteht die Gefahr, den Begriff des Empowerment lediglich als moderne Übersetzung des alten »Hilfe zur Selbsthilfe« zu verstehen. Im Unterschied zu dieser eher pädagogisch geprägten Tradition geht das Empowerment-Konzept davon aus, dass sich solche Bestrebungen zu mehr Unabhängigkeit bei Klienten/Klientinnen nur in organisationalen Umfeldern realisieren lassen, wo innerhalb dieser ohnehin Empowerment geschieht. Mit anderen Worten: Nur dort werden Helfer/Helferinnen den Sockel des Experten / der Expertin verlassen, wo sie es gewohnt sind, ihre Rollen selbstreflexiv in Frage zu stellen. Welche pädagogischen Tricks auch immer angewandt werden – das fürsorglich-patriarchale Konzept ist aus Sicht der Empowerment-Theorie denkbar ungeeignet, Selbstbefähigung zu fördern. Stattdessen analysiert das Empowerment-Konzept kontinuierlich die verschiedenen Ebenen, in denen Empowerment parallel stattfinden muss: zwischen den Personen, innerhalb der Organisation und in der Gemeinde (vgl. Zimmerman 2000).
Deshalb greift es zu kurz, wenn man aus Forschungssicht lediglich appelliert, dass es in professionellen Hilfebeziehungen »einer Abkehr vom traditionellen paternalistischen Modell der Hilfebeziehung und einer Relativierung des Expertenstatus« (Lenz 2010) bedarf, um einen partizipativen, partnerschaftlichen Prozess in Gang zu setzen, »in dem sich das Expertenwissen ständig in einem Dialog mit dem Wissen der Betroffenen befindet« (a.a.O.). Für die Gemeindepsychologie liegt hier genau die Gefahr, auf der Ebene der Hilfebeziehung zu verharren und gerade nicht (gemäß ihrem Anspruch) sich von der personalen (Beziehungs-)Ebene zu lösen. Erst wenn die organisationalen Umgebungen und Gemeindeumfelder als partizipative Untersuchungs- und Veränderungsebenen in den konzeptuellen Blick gemeindepsychologischer Orientierung geraten, kann diesem Verharren im Haltungsdiskurs entgegengetreten werden. Geschieht dies nicht, wird es der Gemeindepsychologie wie der Gemeindepsychiatrie ergehen, der Zaumseil (2003) eine Erstarrung in »organisierter Fürsorglichkeit« (ebd., S. 16) attestiert. Wohlgemerkt: Alles unter der Prämisse der Partizipation – möchte man im Sinne dieses Artikels pointiert ergänzen.
Partizipation in Zusammenhang mit Empowerment gedacht, muss also der Reflexion der Organisation und der darin tätigen Mitarbeiter/innen dienen[6] und fördert damit die Entwicklung und nicht die Statik einer Organisation. Sie dient dem Aufspüren abhängigkeitsfördernder Orte und Verfahren und nicht der (weiteren) Etablierung selbiger. In diesem empowermentorientierten Sinn muss Partizipation immer auch selbstreflexiv in der auf die untersuchte soziale Wirklichkeit und für die in ihr agierenden Individuen wirksam werden. Partizipative Forschungsunternehmungen sollten so gestaltet sein, dass sie Selbstreflexion auch auf der Organisationsebene fördern (vgl. Neumann 2009, S. 189ff). Eingangsschlüssel eines solchen Anspruches scheint mir die Begleitungsverantwortung des Forschers / der Forscherin für eine (selbstreflexive) Interpretation der Ergebnisse in der Organisation zu sein. Dies kann aus meiner Sicht nicht dem Selbstlauf überlassen werden. Der Forscher / die Forscherin muss wach sein für versteckte fürsorglich-patriarchale Strukturen, die sich sonst durch partizipative Untersuchungen verfestigen[7] können.
Die Unterscheidungen in verschiedene Analyse- und Prozessebenen des Empowerment (vgl. Zimmerman 2000) zieht den Gedankengang nach sich, dass auch Selbstreflexion über Partizipation auch auf den verschiedenen Analyseebenen des Empowerment angeschoben werden muss. Eine Befragung/Untersuchung von Nutzern/Nutzerinnen in einer Organisation, die ansonsten in ihrer Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen-Führung als autoritär zu bezeichnen ist, ist wenig aussichtsreich im Sinne der Veränderung, wenn die Haltungen der Mitarbeiterschaft und der dort herrschende Führungsstil nicht ebenfalls in die Untersuchung mit einbezogen wird. Die Emowermenttheorie lehrt uns, dass die Entwicklungen immer auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig angeschoben werden sollten, wenn sie nachhaltig wirksam sein sollen. Dabei sollten Schein und Sein einer Organisation unterschieden werden. Die Organisationsebene muss differenziert betrachtet werden.
Eine Organisation, die in ihrem Leitbild einen partizipativen Führungsstil propagiert, sollte erkennbar zeigen, wie sie dies konkret und regelhaft umsetzt. Wenn es sich lediglich um den guten Willen einzelner Führungskräfte und um (beispielsweise) gesetzlich vorgegebene Beteiligung auf Betriebsratsebene handelt, dann scheint dies nicht das geeignete Umfeld einer partizipativen Untersuchung auf der Klienten-Helfer-Beziehungsebene zu sein, wenn nicht diese organisationalen Ebenen ebenfalls in die Untersuchung mit einbezogen werden. Wie also werden Entscheidungen in einem Unternehmen gefällt? – das ist dann die entscheidende (Forschungs)Frage und nicht: Wie können Klienten/Klientinnen im (autoritär-geprägten?) hierarchischen Milieu beteiligt werden?
Ich möchte im weiteren Verlauf den Blick auf diese organisationale Ebene[8] weiter fokussieren und mich hier auf die Partizipation von Mitarbeitern/Mitarbeierinnen im Sinne des Empowerment konzentrieren. Die Beteiligung von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen an den Führungsentscheidungen ist ein wesentlicher Teil des organisationalen Milieus. Ich werde zwei Beispiele partizipativen Verhaltens in der Organisation zeigen und hoffe mit diesen Beispielen auch Forschungsanregung geben zu können, wie unter dem Fokus organisationaler Gegebenheiten andere Untersuchungsentscheidungen gefällt werden können (und vor allem auch, wie Ergebnisse solcher Untersuchungen unter gemeindepsychologischem Fokus evtl. auch relativiert werden sollten). Praxisbeispiel I Die Weiterentwicklung einer konsensbasierten Teamkultur am Beispiel des »Nathansprinzips«
Stark (1996, S. 181f) formuliert: »Die Frage nach den Möglichkeiten, Empowerment-Prozesse im beruflichen Alltag psychosozialer Arbeit anzustoßen [ist] daher nicht zuletzt eine Frage der Entwicklung von Empowerment-Prozessen bei den beruflichen Helfern selbst.« Dieser Denkansatz des Empowerment legt den Schluss nahe, dass nur dort wirkliche Partizipation (von Klienten/Klientinnen) erfolgen kann, wo eben auch Partizipation der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen am Unternehmen erfolgt. Das Modell des basisdemokratisch geführten und damit nach Konsens ringenden Unternehmens drängt sich als Referenzmodell dieses empowermentorientierten Unterfangens auf. Ich will dies im Folgenden etwas relativieren.
Dieser basisdemokratischen Sichtweise kann man einen gewissen sozialromantischen Touch nicht absprechen. Die (gruppendynamische) Erfahrung konsensbasierter Unternehmungen zeigt allerdings, dass sie nach einer (kurzen?) Weile des Aufbruches ebenfalls statische und damit entwicklungshemmende Verhältnisse aufbauen. Allerdings sind diese nicht so schnell für den Außenbetrachter/der Außenbetrachterin (sprich Forscher/Forscherin) zu durchschauen. Erlebt habe ich solche basisdemokratischen Erstarrungen zum ersten Mal im basisdemokratisch geführten Team[9] des Berliner Krisenhauses Ende der 80er Jahren (vgl. Hoeckner 1991). Erlebt habe ich es noch viele, viele Male mehr in Erzählungen über oder in der Zusammenarbeit mit kooperierenden Einrichtungen innerhalb und außerhalb des Berliner Krisendienstes. Ich möchte mich aber auf mein erstgenanntes Beispiel konzentrieren und eine Möglichkeit zeigen, wie solche entwicklungshemmende Erstarrung sich auflösen kann.
Im Team des Berliner Krisenhauses hatten wir neben dem Leiter (der die Teambeschlüsse in Richtung der Trägerorganisation transportierte) einen jährlich neu zu wählenden »Nathan«. Diese Vertrauensperson (als Teil der Doppelspitze) wurde in geheimer Abstimmung gewählt und hatte genau definierte Befugnisse. Das dahinterstehende Entscheidungsprinzip wurde Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre in der von mir beschriebenen Weise angewandt (vgl. Höckner 1991, S. 416). Wurde eine Konsenssuche innerhalb des Teams wieder einmal endlos, dann genügte es, dass ein Teammitglied den Nathan »anrief«. Dieser befragte außerhalb(!) der Teamsitzung alle Mitarbeiter zu ihrer Meinung und ihren Argumentationen und setzte sich dann mit der Leitung zusammen, um eine Entscheidung zu fällen. Es entstanden in diesem Vorgehen immer Kompromisslösungen.
Nun ist es interessant diese partizipative Entscheidungskultur auf der Basis des Empowerments und der oben gemachten Ausführungen zu reflektieren: Im Zuge der Einführung dieses Entscheidungsprinzips lernten alle Teammitglieder sehr schnell, dass darüber niemals ihre persönliche Wahrheit durchsetzbar ist. Wenn sie andere Teammitglieder durch verbissene Diskussionen nervten, bestand immer die Gefahr, dass diese den Nathan anriefen und damit die Diskussion abbrachen. Dadurch gaben sie sich selbst kompromissfähiger, sie lernten vom Sockel ihrer Wahrheiten herunter zu steigen. Folge war, dass das Nathansprinzip nur äußerst selten angewandt wurde, gleichzeitig sich aber Diskussionen (und damit Teamsitzungen) verkürzten. Zeit war plötzlich wieder für Klientenarbeit vorhanden!
Dieses Beispiel einer partizipativen Entscheidungskultur in einer Organisation zeigt deutlich, wie hier auch Empowerment-Prozesse bei den an Entscheidungen zu Beteiligenden angestoßen wurden. Partizipation bedeutet ja (in Zusammenhang mit Empowerment gedacht) eben nicht, dass ich meinen Willen durchsetze, sondern, dass ich nachweislich auf eine bestimmte Art und Weise am Entscheidungsprozess beteiligt werde. Gleichzeitig herrscht Transparenz über den Abwägungsprozess. Praxisbeispiel II Partizipative Führungskultur am Beispiel der anonymen Leitungsbewertung
Mein zweites Beispiel stammt aus dem Jahr 2006. Wir[10] entwickelten zu diesem Zeitpunkt eine anonyme Leitungsbewertung. Im Berliner Krisendienst Region Ost hatte das Mitarbeiterteam im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprozesses seine Werte herausgearbeitet und im darauf folgenden Entwicklungsprozess zur Erarbeitung eines Qualitätsmanagementsystems auch festgelegt, wie diese Werte in Zukunft in der Organisation umgesetzt werden sollen. Dabei bin ich als Leiter auf den merkwürdigen Umstand gestoßen, dass Mitarbeiter/innen eine Scheu davor hatten, sich untereinander zu bewerten. Mündliche Rückmeldungen wurden (teilweise) gegeben, aber formalisierte wurden abgelehnt. Formalisierungen (im Sinne von Datenmaterial) sind aber eine Grundlage, um Prozesse zu erfassen und steuern (managen) zu können. In Interviews wurde mir deutlich: Jeder wusste, was er vom Anderen zu halten hatte, aber veröffentlicht wurde diese Meinung nicht, reflektiert (häufig) erst recht nicht. Den Anderen / die Andere am selbstreflexiven Entwicklungsprozess teilhaben zu lassen und an seinem / ihrem Prozess teilzuhaben,[11] war nicht gewünscht/erlaubt. Nachdem wir in einer Selbstbeforschung unsere Hilfebeziehungen zu den Klienten/Klientinnen beforscht hatten (vgl. Neumann 2009), entstand nun die Idee, doch eben nicht weiter auf dieser personalen Empowerment-Ebene in der Krisenberatung weiter partizipative Entwicklungen zu untersuchen, sondern auf die organisationale Ebene zu wechseln. Das Thema »Partizipation« wechselte die Prozessebene. Entwickelt werden sollte eine anonyme Bewertung der Leitung durch alle Mitarbeiter/innen12, die auch selbstreflexive Elemente enthalten sollte.
Folgende acht Aspekte wurden an Hand der Stellenbeschreibung und der »allgemeinen Anforderungen[13]« an Leitung(en) erarbeitet:
Die Leitung… fördert die fachliche Entwicklung der Arbeit. fördert ein gutes Betriebsklima. ist transparent bzgl. der verfolgten Ziele und der Qualitätspolitik. ist offen für Anregungen/Kritik der Mitarbeiter/innen. delegiert Arbeitsaufgaben. überprüft die Erledigung von Aufgaben. wirkt hilfreich in Konfliktsituationen. fällt Entscheidungen.
Die Mitarbeiter/innen wurden nun in Folgendem auf einem[14] Blatt zu einer anonymen Leitungsbewertung aufgefordert. Durch die SOLL-IST-Unterscheidung wurde diese partizipative Untersuchung selbstreflexiv[15] angelegt. Durch den Freitext wurde sie offen gestaltet.
Die Auswertung erfolgte über SPSS und ließ neben der Bewertung der Leitung über eine Clusteranalyse[16] auch einen Eindruck über die Mitarbeiterschaft zu. Folgende Ergebnisse ließen sich zusammenfassen: Freie Mitarbeiter/innen antworteten nicht anders als festangestellte. Die gewünschte Qualität der Leitung unterscheidet sich in einigen Aussagen von der wahrgenommenen. Mit Hilfe der gefundenen Faktoren der Leitungsaspekte und der Anregungen zum Fragebogen ließ sich der Fragebogen verbessern. Bezüglich ihrer Wahrnehmungen und Erwartungen bilden die Mitarbeiter/innen ein weitgehend homogenes Team. Die Bewertungen der Soll-Aussagen zeigten, dass durchgehend relevante Aspekte von der Leitung erfragt wurden.
Seit unserem ersten Modellversuch werden alle drei Jahre die Mitarbeiter/innen anonym befragt. Das gehört zur Selbstverpflichtung der Leitung im Rahmen unseres zertifizierten Managementsystems (Besser & Neumann 2006). In der folgenden Befragung im Jahre 2009 erfolgte keine Erhebung des Mitarbeiterstatus (das erhöhte den Grad der Anonymisierung der Aussagen der festangestellten Mitarbeiter/innen) und der Fragebogen wurde mit weiteren Aussagen bzw. Präzisierung vorhandener Aussagen aufgefüllt.
Im Ergebnis zeigte sich, dass die Idee, Partizipation durch ein Messinstrument innerhalb der Organisation bewerten[17] zu können, von der Mitarbeiterschaft angenommen wurde. Erst nachdem diese Rahmenbedingungen geschaffen waren, konnten auch Instrumente zur Untersuchung auf der personalen Empowerment-Ebene[18] weiter entwickelt und damit weitere partizipative Prozesse in der Organisation in Gang gesetzt werden.
Partizipation kann auf verschiedene Weisen gedacht werden: Partizipation der Klienten/Klientinnen an der Ausgestaltung der Organisation; Partizipation der Mitarbeiter/innen innerhalb der Organisation und ihrer Entscheidungen; und (nicht zuletzt) Partizipation der Mitarbeiter/innen untereinander an den jeweils eigenen (persönlichen) Entwicklungsprozessen. Ich habe gezeigt, dass im Rahmen von Empowerment solche Partizipationsprozesse auch immer mit eigenen Selbstreflexionsprozessen einhergehen sollten, die im Sinne des Empowerment befördert werden. Das erweitert die Ziele partizipativen Forschens aus gemeindepsychologischer Perspektive. In dieser Sichtweise kann man die Empowerment-Ebenen im Rahmen einer Forschung nicht voneinander trennen und separat behandeln. Deshalb sollte das Oszillieren zwischen den Empowerment-Ebenen zu einer gemeindepsychologisch orientierten partizipativen Untersuchung dazu gehören.
Ist dann überhaupt partizipative Forschung möglich, wenn die Organisationsebene regelhaft aus gemeindepsychologischer Sicht in den (differenzierten) Blick geraten muss? – wird vielleicht der Leser / die Leserin abschließend fragen. Ich denke diese Frage ist eindeutig zu bejahen. Ich denke aber auch, dass der Artikel die Grenzen partizipativer Unternehmungen aufgezeigt hat und vielleicht auch eine Ahnung über den Faktor »Zeit« auf dem Weg zu einer partizipativen Organisation (insbesondere an Hand der letzten beiden Beispiele) gegeben hat, zu der Forschung durchaus Anregungen und Impulse geben sollte.
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Ich versuche fast durchgängig die weibliche und die männliche Schreibform zu verwenden. Es gibt nur wenige Stellen in diesem Artikel, indem ich auf Grund der Lesbarkeit allein auf die männliche Schreibform zurückgreife. Ich möchte aber ausdrücklich anmerken, dass Frauen auch an diesen Stellen gleichberechtigt eingeschlossen sind.
Im Reviewverfahren dieses Artikels konnte ich Ablehnung und Begeisterung in der Resonanz auf diesen Artikel erleben. Diese Reaktionen scheinen mir in der Anlage des Artikels begründet zu sein: Ich versuche die unterschiedlichen Bezugssysteme und Kontextbedingungen partizipativer Forschung und partizipativer Praxis in ihrer Widersprüchlichkeit deutlich hervortreten zu lassen. Auf der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis kann dies durchaus polarisierend im Hinblick auf die Leserschaft wirken.
Die Videoaufzeichnung dieses Ausschnitts der Radiosendung war im Internet nachzusehen, URL: http://www.allvoices.com/contributed-news/6513585-videodr-laura-says-the-n-word-several-times-on-air-says-caller-too-sensitive-about-racism (letzter Zugriff am 30.8.2010). Inzwischen existiert zwar die Seite noch, aber die Verbindung zum Video ist gelöscht. Eine Zusammenfassung der Reaktionen inklusive des entsprechenden Ausschnitts der Radiosendung findet sich unter URL: http://www.youtube.com/watch?v=O7jkow7t0G8 (letzter Zugriff am 21.1.2011).
Bergold und sein Team hat von 1992-95 mit Hilfe von Fragebögen die Grundeinstellung der professionellen Helfer/innen der psychosozialen Versorgung ausgewählter Bezirke Ost- und Westberlins untersucht und einer exploratorischen Faktorenanalyse unterzogen (vgl. Bergold und Filsinger 1998). Zunächst traten in einem allgemeinen Vergleich nur geringe Unterschiede hervor, aber auf der Skala der »Fürsorgeorientierung« gab es deutliche, signifikante Unterschiede, die sich aus unterschiedlichen Tradition und Sozialisation der Mitarbeiter/innen ergaben. Auf den ersten Blick waren diese Unterscheide nicht erkennbar (vgl. Bergold 2000b). Schürmann (1997) unterscheidet in der psychosozialen Praxis zwischen Fürsorge-Kultur, Behandlungskultur, pädagogische Kultur und Empowerment-Kultur. Ihr Konzept der verschiedenen Versorgungskulturen will das Bezugssystem verdeutlichen, in denen sich Beziehungsformen realisieren und Handlungsformen entwickelt werden. Meine pointierten Praxisbeispiele wollen die Aufmerksamkeit auf diese »Ungereimtheiten« partizipativen Gebarens von Organisationen lenken, hinter der ganz (zum Anliegen der Partizipation) gegensätzliche Kulturen stecken können.
In Anlehnung an Bergold und Filsinger (1998) kann man die im Hintergrund zu entdeckenden Machtverhältnisse auch als »ideelles Milieu« kennzeichnen. Haselmann (2008) unterscheidet zum ideellen Kontext (= das ideelle Milieu) den strukturellen Kontext und meint damit die konkreten Angebots- und Organisationsformen. Sie unternimmt mit dieser Unterscheidung den Versuch aus systemischer Perspektive den ökologischen Begriff der »Landschaft« von Dörner und Plog (1996) zu differenzieren. Sie führt aus, dass die »ideellen Kontexte (…) von weit größerer handlungsleitender Bedeutung für die konkrete psychosoziale Arbeit als die strukturellen Kontexte« (Haselmann 2008, S. 32) sind. Sie sind auch wesentlich veränderungsresistenter – möchte man aus Praktikersicht ergänzen.
Auch im neuesten Impuls, der partizipativen Qualitätsentwicklung (Wright 2010), der Ansätze des Qualitätsmanagement mit der Aktionsforschung zu verbinden sucht, wird Empowerment fast ausschließlich auf der Ebene der Zielgruppe, also der Nutzer/innen der Dienstleistung besprochen. Die Folge einer solchen verkürzten Sichtweise des Empowerment-Konzeptes ist es dann, dass der Partizipationsgrad einer Organisation auch nur in Richtung der jeweiligen Zielgruppe analysiert wird (vgl. entsprechendes Stufenmodell – ebd., S. 42ff). Die Aussagekraft solcher Modelle erscheint mir aus Sicht des Empowerment-Konzepts höchst fragwürdig.
Ein solcher unreflektierter »Selbstlauf« ist zum Beispiel über den qualitätsmanagementgeprägten Begriff des Kunden entdeckbar. Im Rahmen des Aufbaus von Qualitätsmanagementsystemen (und das ist nichts anderes als eine partizipativen Untersuchung einer Organisation mit einer bestimmten Zielausrichtung!) wird »Kundenzufriedenheit« als neuer Begriff eines partizipativen Verständnisses patriarchal-fürsorglicher Organisationen kreiert. Solche dann qualitätsmanagementgestützten (oder -verfestigten) Organisationen nehmen (natürlich) auch nicht neuere Entwicklungen in der Wirtschaft (aus der der Begriff des Kunden stammt!) zur Kenntnis, in der man als Leitbegriff schon nicht mehr von der »Kundenzufriedenheit«, sondern vom »Kundenerfolg« (im Sinne von: Der Kunde hat mit meinem Produkt Erfolg) spricht (vgl. u.a. Peters 2007, S.89) – ein durchaus charmanter Begriff, der zu einer Empowerment-Orientierung, wie ich sie hier sozialen Unternehmungen nahe lege, passen würde.
Ich gehe auf die organisationale Ebene, weil sie die der personalen Beziehungsebene des Hilfeprozesses nächst »höher« gelegene Empowerment-Ebene ist. Ich ergieße mich hier nicht in politischen Forderungen auf einer gesetzlich-rahmenden Gemeindeebene, weil ich in der Praxis den Eindruck gewonnen habe, dass die Veränderung der eigenen Organisation von den daran beteiligten Akteuren teilweise gar nicht in ihren Möglichkeiten ausgelotet werden und schnell der Ruf nach Veränderung der politischen Rahmenbedingungen da ist. Der Verdacht liegt auch hier nahe, dass das »Überspringen« der organisationalen Selbstreflexion (hin zu politischen Forderungen) ebenfalls mit dem unantastbaren Expertenstatus zu tun hat. Meine Ausführungen sollen allerdings beim Leser/ bei der Leserin keinen Fatalismus gegenüber den politischen Verhältnissen erzeugen. Politische Forderungen und deren Durchsetzung sind weiterhin wichtig und richtig (die Selbstreflexion der patriarchalen Organisationszusammenhänge aber eben auch!).
Häufig steckt hinter dem basisdemokratischen Anliegen, alles (mit Ausnahme der Bilanzzahlen!) im Team durchzukauen, eine schwache Leitung (auch basisdemokratische Teams haben versteckte Leitungsstrukturen!), die ihre Entscheidungsschwäche vertuschen will oder (was die aggressivere Variante ist) eine Leitung, die die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen solange aneinander abschleifen lässt, bis der Raum für (diktatorische) Herrschaft vorhanden ist. Das Abschleifen funktioniert so, dass man das Konsensprinzip zum eigentlichen Partizipationsprinzip erklärt. Das aber ist nicht Partizipation, sondern Willkür über das (drohende) Veto. Es erzeugt den Stillstand der Organisation. Hat man einen gemeinsamen (Außen)Feind, dann funktioniert eine solche Organisation (wieder). Entwicklung aus intrinsischer Motivation heraus funktioniert in der Regel nicht oder nur mit vielen Hindernissen. Eine solche Organisation kann in der Regel keine schnellen Entscheidungen auf Grund veränderter Umweltbedingungen fällen. Die Organisation »kreist« um sich selbst.
Hier muss insbesondere Diplom-Psychologin Katrin Kordecky und das damalige Team des Berliner Krisendienstes Region Ost genannt werden.
Diese gegenseitige Teilhabe ist in meinem Verständnis Partizipation im Empowerment auf der Mitarbeiterebene der Organisation, die in der Regel gerne von professionellen Experten vermieden wird. Auch das ist ein Teil des Expertensockels. Man fokussiert nun mal lieber auf die Klienten/die Klientinnen und bleibt so von Kritik verschont.
Diese »allgemeinen Anforderungen« wurden als Kategorien aus Interviews mit den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen entwickelt, sowie aus den ISO-Anforderungen »übersetzt«.
Im Berliner Krisendienst Region Ost bemühen wir uns alle die Praxis begleitenden und somit kontinuierlich durchgeführten partizipativen Untersuchungen möglichst klein und handhabbar zu halten. (Hier: Der Fragebogen hat nur eine Seite.) Das mindert zwar manchmal den wissenschaftlichen Aussagewert, aber ist im Vorgehen näher an der Motivation der Praktiker/innen.
Die SOLL-IST-Unterscheidung ist ein praktisches Ergebnis des Blickwinkels Partizipation unter Empowerment-Gesichtspunkten in diesem Selbstbeforschungsinstrument. Unterm Blickwinkel des Empowerment-Konzeptes reicht es eben nicht nur die Beteiligung der Mitarbeiter/innen an den Entscheidungen der Organisation zu evaluieren und daraus Ableitungen zu treffen, sondern die Relativierung des persönlichen Wunsches nach Partizipation im Kontext der Beteiligung anderer (Mitarbeiter/innen) bzw. zu bewertender divergenter Ziele innerhalb der Fragestellungen wird im Sinne der Selbstreflexion eben auch (mit)befördert. Das Ausfüllen dieses Fragebogens setzt auf der Basis seines speziellen Designs bei dem/der Befragten einen Reflexionsprozess über die eigenen partizipativen Ansprüche in Bezug auf die Leitung(sentscheidungen) in Gang. Die Auswertungsergebnisse sind demzufolge differenzierter und von anderer Komplexität.
Vollständige Unterlagen beim Autor.
Wohlgemerkt es gibt ein Messinstrument, das kontinuierlich den Grad der organisationalen Partizipation bewertet – Aussagen, wie genau Partizipation in der Organisation des Berliner Krisendienstes Ost funktioniert, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Heute gibt es jährliche Prozessanalysen von Dauernutzern (Konzept dazu siehe Neumann 2002); Selbstbewertungen der Berater/innen im Supervisionsengagement (seit 2006); ein Auswertungsverfahren der zwischen den Beratern/Beraterinnen stattgefundenen Intervisionen(seit 2008) und eine Personalentwicklungskonzept (entwickelt und erprobt 2008, kontinuierlich jährlich durchgeführt ab 2009), dass über jährliche Selbst- und Fremdevaluationen Berater/Beraterinnen-Profile erzeugt, die in jährlichen Einzelgesprächen mit der Leitung ausgewertet werden. Die hier generierten Selbstbeforschungsthemen werden über zielgenaue Fortbildungsangebote durch die Organisation begleitet.