Der nachfolgende Artikel beschreibt eine von uns entwickelte Traumaverarbeitungsmethode, die wir als »PreVerb Trauma Integration« bezeichnen. Es werden dabei Körperarbeit mittels craniosacraler Techniken sowie traumaspezifische Ressourcenarbeit und schonende Trauma-Konfrontation zur Verarbeitung traumatischer Erfahrungen, welche vor Erreichen der Sprachreife erlebt wurden, kombiniert eingesetzt.Im gegenständlichen Artikel geben wir einen Überblick über Relevanz und Folgen früher (Hoch-)Stresserfahrungen und beschreiben, wie die von uns entwickelte Methode der Traumakonfrontation insbesondere bei somatoformen, dissoziativen Zuständen zur Anwendung kommt. Unsere praktische Erfahrung zeigt, dass diese Methodenkombination geeignet scheint, Traumafolgen bei Erwachsenen aus (Stress-)Erfahrungen in der präverbalen Entwicklungsphase zugänglich und integrierbar zu machen. Schlagwörter: bilaterale Stimulierung, craniosacral, präverbale Stresserfahrung, PreVerb Trauma Integration, Traumatherapie.
Schüsselwörter: bilaterale Stimulierung, craniosacral, präverbale Stresserfahrung, PreVerb Trauma Integration, Traumatherapie.
It is the aim of the present article to describe a specific method of trauma processing we have developed and consequently named »PreVerb Trauma Integration«. In order to process and integrate traumatic events that happened in the pre-verbal development phase, we combined techniques of craniosacral bodytherapy with trauma specific resource generation and gentle trauma confrontation.Furthermore, the article provides an overview of the relevance and consequences of early and extreme stress experience and describes how this method of trauma confrontation we developed is applied, especially in case of somatoform, dissociative symptoms. Based on what we have seen so far during our practical work we conclude that this combination technique seems to be an appropriate means to access and integrate traumatic memories in adults caused by traumatic events in the pre-verbal development phase.
Keywords: bilateral stimulation, craniosacral, preverbal stress experiences, PreVerb Trauma Integration, trauma therapy.
Der nachfolgende Artikel beschreibt eine von uns entwickelte Traumaverarbeitungsmethode, die wir »PreVerb Trauma Integration« nennen, in der Körperarbeit sowie traumaspezifische Ressourcenarbeit und schonende Trauma-Konfrontation zur Verarbeitung früher traumatischer Erfahrungen kombiniert eingesetzt werden. Im Laufe der nunmehr etwa zweieinhalbjährigen praktischen Anwendung etablierten wir ein Setting der Traumakonfrontation mittels EMDR (Standardprotokoll, Schmerzprotokoll), das durch imaginatives Einweben auf der »Inneren Bühne« (Ressourcentechniken wie »Sicherer Ort«, »Tresor«, »Inneres Helferteam« etc.) und durch gleichzeitige Unterstützung der Körperebene durch Craniosacraltherapie ergänzt wird.
Wie kam es dazu?
In der Literatur liegen viele Beschreibungen der Folgen von frühkindlichen (Hochstress-) Erfahrungen vor, in den unterschiedlichen Trauma-Behandlungsansätzen fanden wir jedoch wenig Berücksichtigung der spezifischen Auswirkungen traumatisierender Hochstresserfahrungen, die sich vor Erreichen der Sprachreife eines Kindes ereignen. Trotz der besonderen Relevanz dieser Entwicklungsphase für die Gehirnentwicklung – und entsprechender Symptombildung – werden diese Erfahrungen in Psychotherapien oftmals kaum thematisiert und bleiben daher auch der Bearbeitung weitgehend entzogen. Diese Traumafolgen sind, da die verursachenden Ereignisse vor Erreichen der Hirnreife angesiedelt sind, eher in »frühen« Strukturen und somatisch gespeichert. Die gegenwärtigen Symptome dieser frühen Traumaerfahrungen können von der betroffenen Person einem bestimmten Geschehen oft nicht gut zugeordnet werden, sondern sind in der Behandlung (z.B. mit EMDR) eher über Affektbrücken bzw. über Retraumatisierungserfahrungen zugänglich. Daher haben wir für die Behandlung der Folgen sehr früher Traumatisierungen nach einer Möglichkeit gesucht, Ressourcen über Körperwahrnehmung und -erfahrung zu generieren und auch eine Behandlungsstrategie zu finden, in der die Körperwahrnehmung eine zentrale Rolle spielt.
Dieses Anliegen, Körpererfahrung in die therapeutische Arbeit mit frühtraumatisierten KlientInnen mit einzubeziehen, hat uns zur Craniosacraltherapie geführt; einer Methode, mit der über eine sanfte manuelle Berührung eine kontrollierte Form des Körperkontakts hergestellt und an den Strukturen wirksam wird, an denen traumatische (Schock-)Erlebnisse körperlich manifestiert sind (Upledger 2002).
Die Überlegung, Traumafolgen, deren Genese im Bereich vorsprachlicher Entwicklung liegt, mit einer Traumakonfrontationsmethode zu behandeln, die durch craniosacrale Therapie unterstützt wird, basiert insbesondere auf dem Konzept des somatoemotionalen Gedächtnisses (Upledger 1999), nach dem Emotion (Energie) – resultierend aus physischer und/oder emotionaler Traumaerfahrung – zurückgehalten, unterdrückt und im Körper isoliert wird, wenn eine Verarbeitung und Integrierung zum Zeitpunkt des Geschehens nicht möglich ist.
In gegenständlichem Artikel wollen wir einen Überblick über Relevanz und Folgen früher (Hoch-)Stresserfahrungen geben und beschreiben, wie die von uns entwickelte Methode der Traumakonfrontation insbesondere bei somatoformen, dissoziativen Zuständen zur Anwendung kommt. Unsere bisherige praktische Erfahrung gibt Hinweise darauf, dass diese Methodenkombination hilfreich darin ist, Traumafolgen aus Erfahrungen in der präverbalen Entwicklungsphase für erwachsene KlientInnen zugänglich und die Erfahrungen dadurch besser integrierbar zu machen. Es sei jedoch an der Stelle auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beschreibung des konkreten Settings lediglich dazu dient, eine Vorstellung von der Form der praktischen Anwendung zu bekommen; es sollte keine Einladung zum »Ausprobieren« sein. Dafür wäre es auf alle Fälle notwendig, viel ausführlicher die Voraussetzungen zu beschreiben – Erfahrungshintergrund und Know-how der TherapeutInnen, sowie Stabilität der KlientInnen betreffend – unter denen das Einsetzen dieser Methodenkombination zielführend ist, was allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.
Wir, die AutorInnen dieses Artikels, sind klinisch-psychologische bzw. psychotherapeutische BehandlerInnen in freier Praxis. Unser beruflicher Werdegang und unser Interesse haben uns beide jeweils zu einer Schwerpunktsetzung im Bereich Traumabehandlung bzw. Traumatherapie geführt. Die Freude darüber, immer mehr wirksame Ressourcen- und Distanzierungstechniken (»Sicherer Ort«, »Inneres Helferteam«, »Tresor« etc.) sowie auch Konfrontationstechniken (EMDR, Screentechnik, etc.) zur Verfügung zu haben und auch erfolgreich einsetzen zu können, führte zu viel intervisorischem Austausch darüber, wann welche Methoden / Strategien hilfreich sein können und wann nicht. Für viel Diskussion sorgten und sorgen immer wieder Fragen im Umgang mit Traumatisierungen, welche im vorsprachlichen Entwicklungsstadium erlebt wurden. Probleme bereitete uns als BehandlerInnen vor allem die in der Praxis häufig anzutreffende Form komplexer Traumafolgestörungen und hier besonders die somatoforme dissoziative Symptomatik, wie sie bei KlientInnen mit frühkindlicher Traumatisierung häufig beobachtet werden kann (van der Hart, Nijenhuis & Steele 2008).
Da der Leidensdruck der davon betroffenen Personen besonders hoch ist, haben wir uns auf die Suche nach Behandlungselementen gemacht, die hier Linderung bzw. Heilung bewirken könnten. Die zentrale Komponente, um die wir letztlich unsere Behandlungsmethoden erweitert haben, ist der direkte Einbezug des Körpers in die Behandlung. Dies sowohl, um über diese Ebene Ressourcen zu installieren, als auch um den Körper als »Träger« abfragbarer, früher Erinnerung einzubeziehen.
Welche Hintergrundüberlegungen zu der Entwicklung des Vorgehens beigetragen haben, wollen wir der konkreten Beschreibung des Vorgehens voranstellen.
Eine der vielen Definitionen von Trauma sei an den Beginn gestellt:
Nach Fischer und Riedesser (1998, 79) wird psychisches Trauma definiert als ein »vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt«.
Das Ausmaß von Traumatisierung hängt von den objektiven Merkmalen des Ereignisses sowie von den subjektiven Komponenten der Integrationsfähigkeit (im Sinne mentaler Energie und Effizienz) ab (van der Hart et al. 2008). Das Alter spielt bei der Verarbeitung von Stresserfahrungen eine wesentliche Rolle. Van der Hart meint dazu beispielsweise »Je jünger ein Mensch in dieser Situation (Anm. der Autorinnen: in einer potenziell traumatisierenden Situation) ist, um so wahrscheinlicher entsteht bei ihm ein Trauma« (van der Hart et al. 2008, 45).
Eine einlangende Information – auch jede Stresserfahrung – wird normalerweise in den zwei Reizverarbeitungs- bzw. Speichersystemen unseres Gehirns – Hippocampus und Amygdala (beide im limbischen System) parallel bewertet. Die Amygdala (auch »heißer Speicher«) entspricht einem »Frühwarnsystem« – sie ist entwicklungspsychologisch früher angelegt und funktioniert primitiver als der Hippocampus. Sie stellt unser implizites Gedächtnis mit fragmentarischer Speicherung der komplexen Stressreize und der dazugehörigen affektiven 'Begleitmusik' dar, ohne Raum-Zeit-Zuordnung (also auch ohne biographische Zuordnung), bei gleichzeitiger Supprimierung des Broca-Sprachzentrums und Unterbrechung der Verbindungen zum Thalamus ohne verbale Ausdrucksmöglichkeit, also nicht »narrativ«. Demgegenüber stellt das »kühle« Hippocampus-System das später entwickelte (ca. 2.-3. Lebensjahr), zeitlich geordnete, explizite Gedächtnis dar. Dort werden Informationen sprachlich ausdrückbar, episodisch geordnet, kognitiv überprüfbar und emotional wenig triggerbar, also moderiert verarbeitet und gespeichert. Der Hippocampus ist eng verbunden mit dem Broca-Sprachzentrum und dem Thalamus (Besser 2002; Besser 2003; Besser 2005).
Wenn Traumata durch Überflutung mit Stress und nachfolgender »Abschaltung« des Hippocampus (im Sinne des Reaktionsmechanismus der sog. »peritraumatischen Dissoziation«) im »heißen Speicher« verbleiben, d.h. nicht zu einer »abgeschlossenen Geschichte«, deren Anfang, Verlauf, Ende und Bedeutung der betreffenden Person bewusst sind – gemacht wurden, sind die so gespeicherten Traumafragmente jederzeit durch unkonditionierte Reize von außen »triggerbar«, d.h. eine für die gegenwärtige Situation der Person inadäquate körperliche Flucht- oder Kampfbereitschaft oder auch Erstarrungsreaktion kann ausgelöst werden. Das Erleben und das Verhalten einer Person können dadurch stark beeinflusst und verzerrt werden, oft ohne dass für die betreffende Person der Zusammenhang zwischen der damaligen Situation und den irritierenden, ängstigenden Sinneseindrücken oder Veränderungen der Wahrnehmung und Reaktionen in der Gegenwart ersichtlich ist (Besser 2002; Hofmann & Besser 2003; Besser 2005).
Essenziell für unsere Betrachtung ist, dass bereits vielfältige Erfahrungen vor der Ausreifung des Hippocampus, das heißt vor dem 2.-3. Lebensjahr, gemacht werden. Diese Erfahrungen werden sehr wohl ebenfalls gespeichert, so wie es derzeit scheint, zwar wenn überhaupt, dann nur unvollständig im Hippocampus, jedoch sehr wohl in den Bereichen der Amygdala im limbischen System. Wir nehmen daher bei unserem therapeutischen Herangehen an, dass Traumatisierungen vor Ausreifung des Hippocampus ähnlich wie traumatische Informationsverarbeitung im Sinne peritraumatischer Dissoziation nach Erreichen der Sprachreife (siehe oben) zu verstehen sind. Erschwerend kommt nach unserem Verständnis hinzu, dass bei frühem Trauma aufgrund der Abhängigkeit und Vulnerabilität des jungen Organismus letztendlich außer Erstarren und Totstellen kaum situative Bewältigungsmöglichkeiten gegeben und gedankliche Verarbeitungs- und Einordnungsmöglichkeiten der Stresserfahrung ebenfalls noch nicht möglich sind. Wir nehmen daher einerseits an, dass die Erfahrungen, je früher sie erfolgt sind, desto stärker auf der somatischen Ebene repräsentiert werden und auch, dass sie (zumindest in relevanten (Trigger-)Situationen mit darauf folgenden Reaktionen in Form von emotionalen oder körperlichen Flashbacks) mehr oder weniger den ganzen Organismus betreffend und in erster Linie somatisch oder diffus emotional spürbar sind. Aufgrund der Frühe der Erfahrungen liegt außerdem nahe, dass es biographisch bei Betroffenen keine Erinnerung an eine Zeit geben wird, in der solche Symptome und Reaktionen nicht vorhanden waren, was üblicherweise bei der Erhebung von später erworbenen Traumafolgestörungen Relevanz hat bzw. auch deutlich macht, dass begleitende Ressourcenarbeit bedeutsam ist. Inzwischen aus der praktischen Erfahrung schon hellhörig, beachten wir derlei Hinweise, die das Vorhandensein von traumatischen Erfahrungen im vorsprachlichen Entwicklungszeitraum bedeuten könnten. In vielen Fällen gelingt es dann auch, konkretere Hinweise durch Nachfragen zu erhalten; oft wissen KlientInnen (meist über Erzählungen von Familienmitgliedern) über Ereignisse (Spitalsaufenthalte, Verlust von Bindungspersonen, Komplikationen bei der Geburt, etc.) Bescheid. Im Sinne der Psychoedukation bewirkt oft schon die Erklärung, dass auch diese Erlebnisse Spuren hinterlassen haben können, mehr Verständnis für die aktuelle Befindlichkeit bzw. Symptomatik. Diese Form der Anamnese macht es für die betreffenden Personen auch plausibler, warum wir über aktuelle Retraumatisierungssituationen (besonders somatoforme Fragmente, Affektdurchbrüche, etc.) in eine Behandlung »einsteigen«.
Nach derzeitigem Stand der Neurowissenschaften – verbunden mit Namen wie Gerald Hüther (Hüther 2002) oder Manfred Spitzer (Spitzer 2000; Spitzer 2005) wird davon ausgegangen, dass das Gehirn sich nutzungsabhängig selbst strukturiert. D.h. die neuronalen Verschaltungen im Gehirn des Neugeborenen sind bei der Geburt nicht von vornherein festgelegt – nur die Reaktionsmuster, die dem Überleben dienen, sind genetisch determiniert, die Fähigkeit zur Vernetzung mit der daraus resultierenden Lernfähigkeit funktioniert situationsbedingt. Dementsprechend kann sich das Gehirn, wie es Lutz Besser ausdrückt, auch 'traumaplastisch' strukturieren.«…»es automatisiert Überlebensreaktionen bei traumatischen Erlebnissen, wie z.B. schnelles Anfluten von Erregung / Angst (Stressreaktionen mit Flucht- und Kampftendenzen) und Dissoziation (Abschalten, Wahrnehmungsveränderungen…), auf die es später auch reflexartig zurückgreift, oft schon bei kleinen alltäglichen Stress-Anlässen« (Hofmann & Besser 2003).
Gerald Hüther vertritt die Meinung, dass vor Spracherwerb, also bereits im Säuglingsalter oder intrauterin gemachte Erfahrungen, »im Gedächtnis der Zellen, einzelner Organe, einzelner Hirnbereiche oder des ganzen Körpers gespeichert« sind (Hüther 2004, 72). Seiner Ansicht nach können sie nicht bewusst erinnert oder mitgeteilt werden, kämen jedoch bisweilen auf andere, zum Beispiel körperliche Weise zum Ausdruck (Hüther 2004).
Hüther weist ebenfalls darauf hin, dass es im Gehirn insbesondere in den höheren assoziativen Zentren des Kortex innerhalb der ersten drei Lebensjahre zu tief greifenden Reorganisationsprozessen kommt. Er räumt die Möglichkeit ein, dass von diesen Umbauprozessen auch solche Schaltungsmuster mit erfasst werden, die durch vorher gemachte, frühere Erfahrungen entstanden sind: »Dann ließen sich auch später, wenn die Fähigkeit zum bewussten Erinnern voll ausgereift ist, diese früh entstandenen inneren Bilder unter Umständen zumindest noch bruchstückhaft und verschwommen abrufen« (Hüther 2004, 73).
Brisch (2002) beschreibt, dass Kinder auf emotionale Belastungen noch deutlicher psychosomatisch reagieren als Erwachsene, da ihre Fähigkeiten, intensive Gefühle auszuhalten und zu verarbeiten sehr gering sind. Sie erleben und fühlen ganzheitlich mit intensiver Reaktion ihres Körpers. Wenn die Hauptbezugsperson aufgrund eigener psychischer Überforderung, etwa aufgrund schwerwiegender sozialer Belastungen oder eigener psychischer Erkrankung (wie etwa bei postpartaler Depression oder Psychose), überängstlich bis paranoid und in raschem Wechsel auch inkonsistent mit teilweisem Rückzug und mit fehlender emotionaler Verfügbarkeit in der Interaktion reagiert, kann dieses Verhalten zu einer Bindungsstörung führen.
Die emotionale Irritation des Kindes ist sehr groß, wenn etwa das mütterliche Verhalten nicht vorhersagbar ist. Äußert eine Mutter überwiegend ambivalente Gefühle ihrem Kind gegenüber, kann es auf dem Boden dieser affektiven Beziehungsspannung zu einer psychosomatischen Symptombildung kommen, weil die Affekte des Kindes nicht in der Beziehung mit der Bindungsperson aufgefangen werden. Dies könnte auch besonders dann der Fall sein, wenn Bindungsbedürfnisse gegenüber der Bindungsperson unterdrückt werden müssen. In Folge kann sich eine Bindungsstörung entwickeln. Wir wissen aus den psychophysiologischen Untersuchungen nach einer kurzen Trennung von Mutter und Kind, dass die unsicher-vermeidend und die unsicher-desorganisiert gebundenen Kinder die höchsten Stresswerte (gemessen am Wert des Speichelkortisols) aufweisen, obwohl sie das Stresserleben in ihrem Verhalten wenig oder gar nicht zum Ausdruck bringen. Bei diesen Kindern kommt es bei gehemmtem oder unterdrücktem Verhaltensausdruck zu einer ausgeprägten psychosomatischen Reaktion, die physiologisch messbar ist. Klinisch kann es zur Ausbildung von psychosomatischen Störungen, wie etwa Schrei-, Schlaf- und Esssymptomatik im Säuglingsalter, oder auch zu ausgeprägten somatoformen Störungen, wie etwa Bauchschmerzen und Kopfschmerzen, kommen (Brisch 2002).
Eine weitere wesentliche Folge massiver und vor allem auch früher Traumatisierung besteht im Auftreten von somatoformer Dissoziation. Nach Nijenhuis gibt es deutliche Hinweise darauf, dass »insbesondere Bedrohungen und Verletzungen der körperlichen Integrität somatoforme dissoziative Symptome hervorrufen« (Nijenhuis 2006, 197). Diese sind nach Nijenhuis negative Symptome wie Anästhesie verschiedener Sinnesmodalitäten (z.B. Taubheitsgefühle, Tunnelblick, Nicht-Wahrnehmen von Körperteilen), Analgesie und Hemmungen in der Bewegungsfreiheit (in Form von Erstarren beispielsweise) aber auch positive Symptome wie lokal begrenzte Schmerzen oder unkontrollierte Bewegungen sowie Geruchs- und Geschmacksveränderungen (Nijenhuis 2006, 183).
Für unser Verständnis der Folgen frühen Traumas scheint uns insbesondere das von Nijenhuis entwickelte Modell der Ähnlichkeit somatoformer dissoziativer Reaktionen und vergleichbarer Verteidigungsreaktionen bei Tieren in Lebensgefahr relevant. Diesem Modell zufolge »rufen Gefährdungen der Integrität des Körpers somatoforme dissoziative Reaktionen hervor, die den Verteidigungsreaktionen von Tieren ähneln« (Nijenhuis 2006, 203). Die beobachteten Reaktionen sind insbesondere Erstarren und Anästhesie, welche sich beim Menschen als Bewegungs- und Sprechunfähigkeit sowie als Veränderung verschiedener Wahrnehmungsmodalitäten äußern können. Nijenhuis folgert aus diesen Beobachtungen auch, dass solche dissoziative Zustände keine willkürlichen Schöpfungen der Phantasie, sondern sehr wohl nichtintegrierte Zustände sind, welche der Verteidigung dienten.
Für unsere praktische Arbeit bedeutet das, dass wir immer dann, wenn KlientInnen von dissoziativen Symptomen wie beispielsweise »Erstarren«, »Wegtreten« oder »diffusen Schmerzen« oder »ganzkörperlichen Reaktionen« in bestimmten Situationen berichten, auch an die Möglichkeit früher und sehr früher Traumatisierung denken und diese Möglichkeit in die Behandlungsplanung bzw. -gestaltung mit einbeziehen.
Stauss (2006, 68) beschreibt, dass es für Integration und Verarbeitung solcher Erfahrungen einer emotionalen Beteiligung bedarf, sie »ist notwendig, um die in den subkortikalen limbischen Strukturen gespeicherten emotionalen Erfahrungen vollständig zu aktivieren«. Der emotionale Gehalt einer Erfahrung bedeutet, dass auch die Bewertungen, die physischen und psychischen Reaktionen, also auch die Körperempfindungen und die Bewertungen der Situation sowie die erfolgten Abwehr- und Schutzmechanismen in Form neuronaler Netzwerke abgelegt und bei entsprechender Stimulation wieder aufgerufen werden können, allerdings ohne dass uns der Zusammenhang jeweils bewusst wäre. Die gespeicherten emotionalen Erfahrungen zuzulassen und ihnen Ausdruck zu verleihen, bedeutet, sie fühlbar und damit emotional verstehbar zu machen. Ängste, die aus früheren Erlebnissen resultieren, können dadurch mit Hilfe von Realitätsprüfungen relativiert, gemildert und kontrolliert werden.
Unser Anliegen, den Körper in die primär psycho- bzw. traumatherapeutische Arbeit bei frühtraumatisierten KlientInnen in einer integrationsfördernden Form mit einzubeziehen, um damit unter anderem mit dem Phänomen der somatoformen Dissoziation besser umgehen zu können, hat uns zur craniosacralen Therapie geführt. Diese Methode stellt über eine sanfte manuelle Berührung eine kontrollierte Form des Körperkontakts her und wird an den Strukturen wirksam, an denen traumatische (Schock-)Erlebnisse körperlich manifestiert sind (Upledger 2002). Der Überlegung, die bereits etablierte Traumabehandlung mittels bilateraler Stimulation, kombiniert mit Arbeit auf der »inneren Bühne« mit craniosacraler Therapie zu unterstützen, lag unter anderem das Konzept des somatoemotionalen Gedächtnisses bzw. der somatoemotionalen Entspannung (Upledger 1991, 1999) zugrunde, nach dem Emotion (Energie) – resultierend aus physischem und/oder emotionalem Trauma – zurückgehalten, unterdrückt und im Körper isoliert werden kann.
Upledger vertritt aufgrund seiner Beobachtungen in seiner therapeutischen Praxis die Theorie, dass »die Organe, das Gewebe und vielleicht jede einzelne Zelle ein Gedächtnis, emotionale Fähigkeiten und Verstand besitzen«. Nach seiner Beobachtung erfolgt die »Freisetzung und Lösung zurückgehaltener Emotionen oder Schmerzen im Gewebe« entweder direkt zum Zeitpunkt der somatoemotionalen Entspannung oder bis zu 48 Stunden danach. Auch die bewusste Erinnerung an vergangene Vorfälle im Zusammenhang mit diesen Gewebeerinnerungen findet meist direkt bei oder innerhalb weniger Stunden nach der somatoemotionalen Entspannung statt (Upledger 1999, 19).
Die craniosacrale Behandlung geht von einem Körpergedächtnis aus, das während der Behandlung aktiviert werden kann, um in der Folge entspannt zu werden. Unser kombinierter Ansatz baut auf der Annahme auf, dass der Körper durch diese Körperentspannungstechnik in einen ressourcenreicheren Zustand gebracht wird und damit wird eine bessere Ausgangsposition für Traumakonfrontation geschaffen. Gleichzeitig können somatoform gespeicherte Erinnerungen (also der Hauptteil der präverbalen Erinnerungen) direkt und gezielt aufgefunden und fokussiert werden.
Diese Form der Traumabehandlung wird unter vergleichbaren Rahmenbedingungen eingesetzt, unter denen man auch andere Formen der Traumakonfrontation (z.B. EMDR) einsetzt. Das bedeutet, dass eine gute Vertrauensbasis zwischen KlientIn und BehandlerIn gegeben sein muss, Psychoedukation (PatientInnen bzw. KlientInnen wissen über Trauma und Traumafolgen und die Methode der Behandlung bescheid) stattgefunden hat und dass die zu behandelnden Personen über Distanzierungs- und Stabilisationstechniken verfügen, die es ihnen ermöglichen, eine BeobachterInnenposition einzunehmen und den Prozess zu unterbrechen, wenn eine »Überflutung« mit traumatischen Erinnerungen droht, bzw. sie sich destabilisiert fühlen.
Die Form der Kombination von bilateraler Stimulation, Ressourcentechniken und Craniosacral-Behandlung ist abhängig von der aktuellen Symptomatik. Die Behandlung findet (bis auf Ausnahmen, wo Sitzen besser geeignet erscheint) im Liegen auf einer entsprechend für Craniosacralbehandlung geeigneten Liege statt. Prinzipiell haben wir zwei Behandlungsansätze herausgearbeitet, die – je nach Symptomatik und ggf. vorhandener Erinnerung – zur Anwendung kommen. Wir werden nachfolgend beide Möglichkeiten beschreiben und Unterschiede und Gemeinsamkeiten darstellen.
Bei beiden Varianten wird darauf geachtet, dass gegebenenfalls vor jedem Positionswechsel der Hände durch die Craniosacraltherapeutin erfragt wird, ob eine Berührung an der vorgesehenen Stelle in Ordnung ist – wenn nicht, wo es stattdessen angenehm wäre. Dieser achtsame Körperkontakt ist vor allem deshalb notwendig, damit keinesfalls Grenzverletzungen erlebt werden. Es wird zu Beginn der Behandlung von der CraniosacraltherapeutIn erfragt, ob es sensible Bereiche gibt, wo nicht berührt werden sollte, und klargestellt, dass ein Positionswechsel jederzeit auf Wunsch der KlientIn stattfinden kann. Es erfolgt eine bilaterale Stimulation (Tapping an den Füßen) durch die TraumabehandlerIn, während die KlientIn auf die wahrnehmbaren Körperempfindungen, Gefühle, Gedanken und Bilder fokussiert. Die Länge der Sets entspricht denen beim klassischen EMDR, ebenso wie das Hinterfragen in den jeweiligen Pausen erfolgt. Wenn Situationen aus der Vergangenheit über Affektbrücken auftauchen, wird die KlientIn angeleitet, mit den entsprechenden jüngeren »Ichs« in Kontakt zu gehen und das Kind bzw. die jüngere Erwachsene aus der wiedererlebten Situation in die Gegenwart zu holen, um es/sie, an einem sicheren Ort zu versorgen und nachzunähren.
Variante 1: Ist es möglich, die gegenwärtigen Symptome (z.B. zu erstarren und in dissoziative Zustände zu geraten bei unerwarteten, neuen Situationen, was als inadäquat für die gegenwärtige Situation erlebt bzw. beurteilt werden kann) zu benennen und es ist ein plausibler Zusammenhang herzustellen mit einer traumatisierenden Situation aus der präverbalen Entwicklungszeit (z.B. Trennung von der Mutter wegen Spitalsaufenthalts etc.), dann erfolgt die Vorbereitung auf die Behandlung nach dem EMDR-Standardprotokoll (Shapiro 1998). Vor der Behandlung wird im Rahmen eines Gesprächs auf den am meisten belastenden Moment aus der (ersten, letzten oder schlimmsten) Retraumatisierungssituation fokussiert und Kognitionen, VOC (»Validity of Cognition Scale«, ein Maß für das Zutreffen der positiven Überzeugung bzw. Zielkognition), SUD (Subjective Units of Disturbance Scale; ein Maß für das Belastungsniveau beim Gedanken an die belastende Situation und die negative Kognition) und Körpergefühl werden wie beim EMDR Standardprotokoll erhoben (Shapiro 1998). Danach findet der Wechsel auf die Behandlungsliege statt. Die bilaterale Stimulation erfolgt durch die TraumabehandlerIn mittels Tapping an den Füßen, sobald die KlientIn die Vorstellung des schlimmsten Moments und die dazugehörige negative Kognition präsent hat. Die Berührung durch die CraniosacraltherapeutIn erfolgt im Anschluss an den entsprechenden Stellen. Der Abschluss der Sitzung erfolgt – wie beim EMDR-Standardprotokoll – durch Abfragen des SUDs und die Durchführung des Körpertests.
Variante 2: Wenn sich die aktuelle Symptomatik – vorwiegend bei psychosomatischen Beschwerden oder bei somatoformen dissoziativen Zuständen – nicht einem früheren Erlebnis zuordnen lässt, erfolgt der Einstieg in die Behandlung über das Setting und die Techniken der Craniosacraltherapie. Hier wird im Rahmen des Vorgesprächs die Symptomatik geklärt und das Auftreten in der Gegenwart (sind Triggersituationen erhebbar?) besprochen. Auch die Erhebung von Kognitionen, VOC, SUD und Körpergefühl zur jeweils aktuellen Retraumatisierungssituation sind sinnvoll, falls eine konkrete aktuelle Retraumatisierungssituation erinnerbar und präsent ist. Falls keine Situation präsent ist, weil es sich entweder um ein generelles Gefühl handelt bzw. der Zugang dazu nicht bewusst bzw. beabsichtigt hergestellt werden kann, vertrauen wir auf das Auftreten der jeweils relevanten Erinnerungen bzw. Erfahrungen in der craniosacralen Behandlung. Dann erfolgt der Wechsel auf die Behandlungsliege. Wird im Rahmen der Behandlung Körpererinnerung durch das Auftauchen von körperlichen Schmerz- oder Spannungszuständen spürbar, wird von der TraumabehandlerIn die Frage gestellt, wie alt sich der jeweilige Zustand anfühlt. Es ist erstaunlich, wie einfach es für die meisten PatientInnen ist, die jeweilige Erfahrung einem konkreten Alter zuzuordnen. Alternativ können durch die Behandlung auch direkt Bilder, Gedanken und/oder Gefühle aus in der Vergangenheit erlebten Situationen auftauchen, wenn die Körpererinnerung bzw. das Körpergedächtnis aktiviert wird. In diesem Fall wird wiederum im Sinne einer »Inneren Bühne-Arbeit« von der gegenwärtig erwachsenen KlientIn ein Kontakt in der Vorstellung zu der jüngeren hergestellt, diese wird in der Folge imaginativ in die Gegenwart und in Sicherheit gebracht und entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten gut versorgt. Diese Anleitung einer Ressourcentechnik wird begleitet von bilateraler Stimulation (Tapping an den Füßen) durch die TraumatherapeutIn. Auch hier werden beim Tapping immer wieder Pausen gemacht, in denen nach dem Auftauchen von Gedanken, Bildern und/oder Gefühlen gefragt wird. Es ist durchaus möglich, dass im Rahmen solch eines Vorgehens mehrere belastende Situationen (über Affektbrücken) auftauchen. Der Erfolg dieser Behandlung lässt sich unserer Erfahrung nach durch eine Reduktion von unangenehm hoher Körperspannung, dissoziativer Schmerzzustände und der damit verbundenen unangenehmen Gefühle feststellen.
Die Sitzung wird abgeschlossen, wenn die PatientIn sich in einem entspannten, ressourcenreichen Körperzustand befindet.
Unserer Erfahrung nach sind – das betrifft beide Varianten – vorbereitende Gespräche und Nachbesprechungen erforderlich, damit das während der Sitzung Erlebte gut verarbeitet und kognitiv einordnet werden kann. Die durch das Setting (Durchführung der Behandlung im Liegen) bedingte Gefahr eines »Kontrollverlustes« muss Berücksichtigung insofern finden, als die Methode nur für KlientInnen, die eine gute Fähigkeit zur Distanzierung und zur Aufrechterhaltung einer Hier-und-Jetzt-Perspektive haben, geeignet ist. Entsprechende Psychoedukation, sowie eine genaue Beschreibung des Ablaufs und der Vorgänge während der Behandlung sind diesbezüglich unterstützend. Auch das möglicherweise Auftreten von Übertragungsgefühlen während der Behandlung wird vor der Durchführung einer solchen kombinierten Sitzung thematisiert.
Übertragung kann auch durch die körperliche Berührung ausgelöst werden, die beim Auftreten von Körpererinnerungen plötzlich ganz anders und möglicherweise zeitweilig unangenehm wahrgenommen werden kann. Hier ist es hilfreich, in der jeweiligen Situation immer wieder gezielt Rückfragen zu stellen, welcher, wann bzw. in welchem Alter erlebten Situation die wahrnehmbaren Empfindungen oder Gefühle zuzuordnen sind.
Zur Illustration vielleicht jeweils ein Beispiel: eine KlientIn erwähnte im Laufe einer Behandlung spontan, wie sehr sie sich durch einen kurzen verbalen Austausch zwischen Trauma- und CraniosacraltherapeutIn, während der Behandlung »zurückgesetzt« gefühlt habe. Dieses »sich zurückgesetzt zu fühlen« konnte sie, nachdem es entsprechend hinterfragt wurde, einer Erinnerung an frühere Situationen in der Herkunftsfamilie gut zuordnen. In der Nachbesprechung konnte die Klientin zusätzlich reflektieren, dass sie dieses Gefühl im Alltag vor den Behandlungen sehr oft erlebte und es sozusagen wie eine »Hintergrundfolie« latent vorhanden und jederzeit triggerbar gewesen war. Durch das Zuordnen des Gefühls zu entsprechenden Situationen der Vergangenheit gelang es, im Alltag wesentlich weniger davon betroffen zu sein.
Über die spezifische Berührung (im Sinne der craniosacralen Therapie) werden auch ursprünglich dissoziierte Körpererinnerungen wiedererlebt: d.h. so können z. B. KlientInnen bei Auftauchen von Erinnerungen an unangenehme Geburtserlebnisse plötzlich bei ganz sanfter Berührung durch die CraniosacraltherapeutIn massiven Druck auf der Brust spüren, oder es wird z.B. ein starkes Druckgefühl am Kopf bei einer sanften Berührung der Scheitelbeine wahrgenommen, etc… Diese Körpergefühle klingen, wenn sie als »alte Erinnerungen« entlarvt sind, wieder ab und bewahren die KlientInnen davor, zukünftig diese unangenehmen Körpererinnerungen als Retraumatisierungsfolge erleben zu müssen.
Das mögliche Auftreten solcher Phänomene wird mit den KlientInnen vor der Behandlung besprochen, um Irritationen während der Behandlung zu vermeiden. Wir hoffen, dass wir über die Beispiele deutlich machen konnten, dass KlientInnen, für die diese Form der Behandlung passend ist, entsprechend stabil sein müssen, und dass die Beziehung zur TraumatherapeutIn gut und sicher sein muss, und auch entsprechendes Vertrauen in die Kompetenz der CraniosacraltherapeutIn nötig ist.
Plassmann (2010) beschreibt den Heilungsprozess, der in traumatherapeutischen Sitzungen (EMDR nach Standardprotokoll) passiert, als einen Reorganisationsprozess, auf dem seelische Heilung beruht. Dieser Reorganisationsprozess geht als selbstgesteuertes Geschehen vor sich und vollzieht sich als Umorganisation negativer belastender Emotionen, die immer mit Körperreaktionen verbunden sind.
In seinem Artikel »Was wissen wir über Heilungsprozesse« schreibt er: »Wir sehen hier zum einen, dass die Zelle sich erinnert, indem sie sich verändert. Das Psychische ist kein körperloses Abstraktum, sondern bedarf der physischen Plastizität aller beteiligten Zellen. Wir verstehen zum Zweiten, warum es falsch ist, wenn in einer Psychotherapie belastende Erinnerungen nur aktiviert, jedoch nicht reorganisiert werden. Das Erinnerungsmuster wird dadurch jedes Mal gestärkt, die Patientin wird kränker, das emotionale Belastungsmaterial wächst physisch durch Steigerung der Zahl der Synapsen« (Plassmann 2010, 25). Der Ressourcenkontakt ermöglicht eine Musterunterbrechung, die Ausbreitung des emotionalen Belastungsmusters wird dadurch in einem selbstregulatorischen Prozess begrenzt. Musterunterbrechungen durch Ressourcenkontakt sind keine abstrakten, sondern sehr konkret fühlbare Dinge, da es sich um emotionale Vorgänge handelt (Plassmann 2010, 26).
Die oben beschriebene körpertherapeutische Unterstützung, um den Körper während der Traumakonfrontation immer wieder in einen ressourcenreicheren Zustand zu bringen, wird noch ergänzt durch weitere Stabilisierungs- und Distanzierungstechniken (wie z.B. »Sicherer Ort«, »Inneres Helferteam«, »Tresorübung« etc.), die die jeweiligen PatientInnen bereits – auf die eigenen Vorlieben abgestimmt – eingeübt haben.
Wenn im Laufe des Behandlungsprozesses die Steuerungsfähigkeit im präfrontalen Kortex aktiviert und unterstützt wird und zu der jeweiligen traumatischen Erinnerung eine andere körperlich und emotional spürbare Erfahrung in der Gegenwart (über die craniosacrale Arbeit sowie über die Arbeit auf der Inneren Bühne) ebenfalls präsent ist, können so der Schmerz, die Angst usw. bewusst der Vergangenheit zugeordnet werden und das emotionale Schema kann sich neu organisieren. In dieser Phase werden neuroplastische Transmitter ausgeschüttet, die bestehende synaptische Verbindungen lösen und neue bilden. Sind die schmerzhaften Gefühle ausgedrückt, erfolgt oft ein »Umschalten von sympatisch-adrenerger Erregung zum parasympatischen System« (Stauss 2006), in dem eine tiefe Entspannung, Lebensfreude, Selbstannahme und körperliches Wohlbefinden empfunden werden. Dieses ist die Grundlage für die weiteren, vorwiegend kognitiven Schritte zur Schemaveränderung.
Wir vermuten, dass im Prozess auch das motivationale System aktiviert wird, Dopamin ausgeschüttet und der Organismus in einen Zustand von Handlungsbereitschaft und Zuversicht versetzt wird.
Nach aktuellem Verständnis ist die weit verbreitete These, dass das Erinnern von Erlebnissen vor Erreichen der Sprachreife nicht möglich ist, nicht haltbar. Ebenso wird immer deutlicher, wie weitreichend auch schon vor der Geburt gemachten Erfahrungen für unsere weitere Entwicklung und für unser späteres Denken und Fühlen bestimmend sind: das Gehirn bzw. der Organismus vergisst nichts Erlebtes, weder vorgeburtlich noch nach der Geburt.
Die ungarischen Psychoanalytiker Hidas und Raffai beispielsweise haben sich intensiv mit pränataler Bindung und Erfahrung beschäftigt. Sie geben an, dass bisher ca. 10 000 psychotherapeutische Fälle bekannt sind, »bei denen es gelang, entscheidendes Erfahrungsmaterial aus der Zeit vor der Geburt oder über die Geburt zu dokumentieren« (Hidas & Raffai 2006, 56). Die beiden Autoren beschreiben ebenfalls sehr anschaulich, wie Informationsübertragung in der pränatalen Zeit von der Mutter auf das Kind möglich wird: »Es ist allgemein bekannt, dass die Mutter dem Fetus biochemische Botschaften übermittelt, weniger bekannt ist aber die Übermittlung mentaler Informationen. Die Wahrnehmung unserer Umgebung wird von Gefühlen begleitet – Angst, Zorn, Liebe, Hoffnung – welche physiologische Reaktionen im Körper auslösen. Das sich entwickelnde Kind kennt zwar nicht die Details, durch welche die Reaktionen ausgelöst wurden, erfasst aber über die »Nabelschnur-Affekte« die physiologischen Folgen und Wirkungen der Gefühle.« (Hidas & Raffai 2006, 73-74).
Stressfaktoren in der Schwangerschaft können vielfältiger Natur sein: die Schwangerschaft kann unerwünscht oder aus medizinischen Gründen problematisch sein. Medizinische Eingriffe können zu negativen Eindrücken führen wie auch Lebensereignisse, welche die Mutter schockieren bzw. unter Stress setzen. Auch Erfahrungen mit Zwillingsgeschwistern (z.B. in Form des Verlustes durch intrauterinen Tod derselben) können als massive Bedrohung erlebt werden (Hidas & Raffai 2006; Steinemann 2006).
Medizinische Traumatisierungen können ebenfalls wesentlichen Einfluss auf das Stresserleben des Fetus bzw. Neugeborenen haben. Auch auf die berichteten Folgen von überlebten Abtreibungsversuchen und Misshandlungen des Kindes im Mutterleib sei hingewiesen. Ebenso kann natürlich jeder Schock bei Traumatisierung der Mutter während der Schwangerschaft sowie auch die Wirkung medizinischer Eingriffe bei der Mutter (insbesondere Narkosen!) durch die Nabelschnur an das Kind weitergegeben werden (Janus 2000; Hidas & Raffai 2006).
Last, but not least kann die Geburt selbst ein massiv Stress erzeugendes Erlebnis sein, welches für das weitere psychische Erleben vielfältige Konsequenzen haben kann. Bereits Rank (1998) beschreibt die psychischen Folgen des Geburtserlebens. In seinem 1924 erschienenen Buch »Geburtstrauma« beschäftigt er sich mit einer entsprechenden psychologischen und therapeutischen Theorie. Auch Fodor (1949) setzte sich intensiv mit dem Geburtserleben und seiner Bedeutung für die psychische Entwicklung auseinander.
Winnicott (1991) beschäftigte sich ebenfalls in seiner Arbeit mit den psychischen Folgen von frühen Erlebnissen. Er nahm an, dass jeder massiven Angst vor einem Zusammenbruch, wie sie bei manchen PatientInnen entweder bereits zu Beginn der Behandlung oder auch erst nach deren Fortschreiten bei Verschwinden von Abwehrsymptomatik beobachtet wurde, ein bereits erlebter Zusammenbruch vorausging, welcher nicht erinnert werden kann. Die von ihm beschriebenen damit einhergehenden Gefühle sind vor allem die Angst vor dem Tod, ein Gefühl von Leere und das Gefühl der Nichtexistenz, welche insgesamt nicht nur als Angst, sondern in vollem Ausmaß aufgrund ihrer Stärke und Totalität eher als (vernichtende wenngleich diffuse) Agonie zu beschreiben sind. Bei diesen Symptomen im Hier und Jetzt sieht er als Ziel der therapeutischen Arbeit, sie als Erfahrungen der Vergangenheit zu begreifen anstelle der Befürchtung für die Zukunft oder Gegenwart, wie sie üblicherweise symptomhaft auftreten.
Zu den im Rahmen der Geburt auftretenden Komplikationen kann eine lange Liste erstellt werden, hier seien insbesondere Frühgeburten sowie andere potenziell lebensbedrohliche Situationen wie Komplikationen während des Geburtsvorganges (mit fallweise auftretenden Verletzungen, Umwicklungen der Nabelschnur, etc.) und diversen Abweichungen eines natürlichen Geburtsvorganges (Kaiserschnitt, Zangengeburt, etc.) erwähnt.
Natürlich gibt es auch noch eine Fülle von möglichen Traumatisierungen nach der Geburt vor Ausreifung eines komplett visuell und sprachlich erinnerungsfähigen Gehirns. Hierzu zählen beispielsweise medizinische Traumatisierungen (in Form diverser Behandlungen wie z.B. Hüftschienen, Gipskorsette, Operationen, Misshandlungen oder Vernachlässigung durch die Bezugspersonen, Unfälle und Zeugenschaft der Traumatisierungen anderer (auch Geschwister) sowie natürlich auch Abwesenheit oder Erkrankungen naher Bezugspersonen.
Mittlerweile existiert zur präverbalen Zeit eine Fülle an Literatur, für interessierte LeserInnen seien beispielsweise die Arbeiten von Lorenz (1993), Dornes, (1993), Janus (1997, 2000), Janus und Haibach (1997), Piontelli (1996) und Hüther und Krens (2005) genannt.
Die von uns praktizierte Kombination von Traumakonfrontation mit Unterstützung durch Elemente der craniosacralen Therapie erfolgte ursprünglich mit der Intention der körperlichen Stabilisierung, insbesondere bei Vorliegen einer somatoformen dissoziativen Symptomatik (d.h. körperliche Symptome ohne primär medizinisch begründbare Ursache).
Die praktische Erfahrung zeigt nun auch Hinweise darauf, dass die Herstellung eines Rückbezugs der dissoziativen Körperwahrnehmung auf das ursprünglich zugrunde liegende traumatische Geschehen eine Erhöhung der Mentalisierungsfähigkeit bewirken kann. Mentalisierungsfähigkeit (höhere mentale Energie / Effizienz) ist aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge (van der Hart et al. 2008) für eine Verarbeitung des Traumas und somit eine Behandlung der komplexen Traumafolgestörung erforderlich.
Unser Anliegen mit diesem Artikel war, einerseits auf die Relevanz früher Erfahrungen für die traumatherapeutische Arbeit hinzuweisen und andererseits einen Behandlungsansatz vorzustellen, der traumatherapeutische Elemente mit körpertherapeutischen Elementen kombiniert und nach unserer bisherigen Erfahrung gut geeignet scheint, Traumafolgen bei Erwachsenen aus (Stress-)Erfahrungen in der präverbalen Entwicklungsphase zugänglich und integrierbar zu machen.
Wir schließen mit einem Zitat von John Upledger:
»Wenn man etwas beschreibt, was sich mit großer Geschwindigkeit weiter entwickelt, muss man an irgendeinem Punkt beginnen. Über die Grenzen, innerhalb derer ein Therapeut nach seinen Fähigkeiten arbeiten kann und darf, wird heftig gestritten, und diese Kontroverse wird noch lange bestehen bleiben. Meines Erachtens wird sie erst beigelegt werden können, wenn allgemein anerkannt wird, daß (sic!) wenn Körper und Geist schon keine einzige Einheit sind, sie jedoch zumindest so eng miteinander verbunden und verschlungen sind, daß keine Gesetzgebung sie zu getrennten Einheiten machen kann, so daß für die eine die »Therapeuten des Geistes« und für die andere die »Therapeuten des Körpers« zuständig sind« (Upledger 1999, 17).
Besser, Lutz Ulrich (2002): Vom Vergessen und Wiederholen medizinischer Traumata zum heilsamen Erinnern. Posttraumatische Belastungs- und Somatisierungsstörungen bei Frühgeborenen und Kleinkindern. In Ulrich Sachsse, Ibrahim Özkan & Anette Streeck-Fischer (Hg.), Traumatherapie – was ist erfolgreich? (174-206). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Besser, Lutz Ulrich (2005): Psychotraumata, Gehirn und Suchtentwicklung. In Christoph Möller (Hg.), Drogenmissbrauch im Jugendalter. Ursachen und Auswirkungen (124-167). 3. Auflage 2009. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Brisch, Karl Heinz (2002): Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Brisch, Karl Heinz & Theodor Hellbrügge (Hg.) (2003): Bindung und Trauma – Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern. Stuttgart: Klett-Cotta.
Dornes, Martin (1993): Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt am Main: Fischer.
Fischer, Gottfried & Peter Riedesser (1998): Lehrbuch der Psychotraumatologie. München/Basel: Reinhard.
Fodor, Nandor (1949): The Search For the Beloved: A Clinical Investigation of the Trauma of Birth and Prenatal Conditioning. New York: University Books.
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Hofmann, Arne & Lutz Ulrich Besser (2003): Psychotraumatologie bei Kindern und Jugendlichen. Grundlagen und Behandlungsmethoden. In Karl Heinz Brisch & Theodor Hellbrügge (Hg.), Bindung und Trauma – Risiken und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Kindern (172-202). Stuttgart: Klett-Cotta.
Hüther, Gerald (2002): Biologie der Angst – wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Hüther, Gerald (2004): Die Macht der inneren Bilder – Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Plassmann, Richard (2010): Was wissen wir über Heilungsprozesse? In Richard Plassmann (Hg.), Im eigenen Rhythmus (11-31). Gießen: Psychosozial-Verlag.
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Rank, Otto (1998): Das Trauma der Geburt- und seine Bedeutung für die Psychoanalyse. (Nachdruck der Ausgabe Leipzig-Wien-Zürich, 1924). Gießen: Psychosozial-Verlag.
Sachsse, Ulrich, Ibrahim Özkan & Anette Streeck-Fischer (Hg.) (2002): Traumatherapie – was ist erfolgreich? Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Upledger, John E. (1999): Somatoemotionale Praxis der craniosacralen Therapie / Somatoemotional release, 1. Auflage. Heidelberg: Karl F. Haug Verlag (Original von 1990, Somatoemotional release. Florida, USA: Ul Publishing, Inc).
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