EMDR und VT in der Behandlung von Traumafolgestörungen – Charakteristika und Kombinationsmöglichkeiten

Eva Münker-Kramer

Zusammenfassung

Fokus dieses Beitrages ist, aus der konkreten Praxis mit Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) und traumafokussierter Verhaltens-therapie (TF-VT) / Kognitiver Verhaltenstherapie heraus eine persönliche Einschätzung optimaler Indikationsstellungen für die eine oder andere Methode beziehungsweise vor allem gute Kombinationsmöglichkeiten im Sinne der besten Effekte primär für die Betroffenen von Traumafolgestörungen Typ I darzustellen.Dazu sollen zunächst einmal einige grundsätzliche Vorbemerkungen über beide Ansätze erfolgen, danach ein Vergleich im Überblick in den wichtigsten Bereichen. Darauf folgend findet sich eine Erläuterung der wichtigsten Wirkmechanismen und einige Überlegungen zu Kombinationsmöglichkeiten im Hinblick auf einen »added value« für die Betroffenen. Der Beitrag endet mit zwei illustrierenden Beispielen. Schlagwörter: EMDR, Traumatherapie, Kognitiv Behaviorale Therapie, Typ I-Typ II Traumatisierung, Psychoedukation, Komorbidität

Schüsselwörter: EMDR, Traumatherapie, Kognitiv Behaviorale Therapie, Typ I-Typ II Traumatisierung, Psychoedukation, Komorbidität

Summary

This article is focusing on indications for senseful combinations between trauma-focused (TF-BT and cognitive behaviour therapy (CBT) and EMDR primarily for patients suffering from type I traumatisation. These reflections express personal thoughts and experiences from practical work with both methods. Firstly there will be general remarks concerning both therapeutical methods, then a comparison between both methods in some crucial aspects followed by indications for combinations vice versa. Finally two clinical examples will illustrate the theoretical and practical remarks. Key words: EMDR, traumatherapy, CBT, Type I, Type II traumatisation, psychoeducation, comorbidity Neben den zahlreichen und breitgefächerten Beiträgen in diesem Sonderheft zum Thema »Arbeit mit Menschen, die unter den Folgen von psychischer Traumatisierung leiden«, soll dieser methodenspezifische Beitrag – EMDR und VT vor allem in der Behandlung von Traumafolgestörungen Typ I – die Palette ergänzen.

Keywords: EMDR, traumatherapy, CBT, Type I, Type II traumatisation, psychoeducation, comorbidity

Neben den zahlreichen und breitgefächerten Beiträgen in diesem Sonderheft zum Thema »Arbeit mit Menschen, die unter den Folgen von psychischer Traumatisierung leiden«, soll dieser methodenspezifische Beitrag – EMDR und VT vor allem in der Behandlung von Traumafolgestörungen Typ I – die Palette ergänzen.

Es soll nicht darum gehen die beiden Ansätze – traumafokussierte verhaltenstherapeutische Ansätze (TF-VT) und Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) – jeweils detailliert vorzustellen oder auch eine seit zwei Jahrzehnten andauernde Diskussion über Vorzüge der einen oder anderen Methode zu argumentieren. Hierzu gibt es sehr viele kontrollierte Studien sowie Metaanalysen (van Etten & Taylor 1998, Bisson, J., Ehlers, A., Matthews, R., Pilling, S., Richards, D., Turner, S.2007, NICE Guidelines 2005). Die beiden Methoden beziehungsweise besonders die Frage der besten Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung als »Mutter der Diagnosen nach psychischer Traumatisierung« sind dadurch außerordentlich gut untersucht – dem ist nichts hinzuzufügen und die wissenschaftliche Beforschung dieser Frage erfolgt woanders kompetenter.

Fokus dieses Beitrages ist hingegen, aus der konkreten Praxis mit beiden Angeboten heraus eine persönliche Einschätzung optimaler Indikationsstellungen für die eine oder andere Methode beziehungsweise vor allem gute Kombinationsmöglichkeiten im Sinne der besten Effekte für die Betroffenen darzustellen. Dazu werden zunächst einige grundsätzliche Vorbemerkungen über beide Ansätze erfolgen, dann ein tabellarischer Vergleich in den wichtigsten Bereichen. Weiters findet sich eine Erläuterung der wichtigsten Wirkmechanismen und einige Überlegungen zu Kombinationsmöglichkeiten – deutlich auf der Basis dessen, wovon die Betroffenen jeweils bei klarer Indikation und aus klinischer Erfahrung heraus »mehr« profitieren können. Der Beitrag endet mit zwei illustrierenden Beispielen.

Allgemeine Vorbemerkungen zu Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapie hat ihre Wurzeln in behavioristischen Ansätzen zur Beforschung der Gesetzmäßigkeiten von Verhaltensänderungen, in der frühen Lerntheorie mit Pawlow (»klassische Konditionierung«) und später Skinner (»operante Konditionierung«). Auf dieser Basis hat die Methode zunächst immer auch einen eher mechanistischen Ruf gehabt im Vergleich zu den anderen sich parallel entwickelnden und bereits entwickelten psychotherapeutischen Ansätzen und hat sich aber auch immer mehr ausdifferenziert.

Besonders mit der sogenannten »kognitiven Wende« in den 1970er/1980er Jahren (Ellis, Beck) vollzog sich der Schritt von der oft als reduktionistisch bewerteten »Reiz-Reaktions«-technischen Sichtweise menschlichen Verhaltens. Es kam die Betrachtung des Erlebens innerhalb der »black box – des Gehirns« als Wirkmechanismus und Forschungsfeld dazu. Dies bedeutete die wichtige und deutliche Aufwertung der »subjektiven Bewertung« von Verhalten und Erleben und somit eine Metaebene, der verhaltens- und erlebnismodifizierender Charakter mittels Vernunft und Einsicht zugebilligt wurde. Hiermit wurde die Verhaltenstherapie sozusagen wieder »salonfähig« neben den humanistischen, systemischen und tiefenpsychologischen Ansätzen.

Die letzte, dritte wesentliche Ergänzung in der Entwicklung der VT vollzog sich mit dem Ansatz der Schematherapie (Young & Klosko 2006), die weitere Betrachtungen aus bewährten Therapieansätzen vor allem zur Behandlung chronisch psychisch Kranker einschließt.

Im Bereich der störungsspezifischen Behandlung von Traumafolgeerkrankungen finden sich Adaptierungen und Kombinationen aus klassischen Ansätzen – z.B. die traumafokussierte VT (TF-VT) beziehungsweise die CBT (Cognitive Behavioral Therapy, Ehlers 1999).

Verhaltenstherapie ist klassisch und aktuell letztlich auch sehr evidenzbasiert und symptom- beziehungsweise verhaltensorientiert, d.h. die sichtbare Wirksamkeit der Behandlung hat immer als wichtigster Wirkfaktor gegolten und auch viel Forschung ermöglicht. Auf der anderen Seite hat dies über die Jahrzehnte zur Kritik geführt, dass es »egal sei, warum etwas wie sei, Hauptsache, es ändere sich.« Dies trifft sicher nicht die Haltung des Großteils der PraktikerInnen und MethodenentwicklerInnen, hält sich aber beharrlich.

Diagnostisch arbeitet man in allen Ansätzen der VT im Sinne potentieller Ursachen natürlich auch immer an der »Lerngeschichte« entlang, legt den Fokus aber auf erinnerbare Lebensereignisse sowie deren potentielle kognitive und emotionelle Verarbeitung und deren Bezug zu aktuellen Beschwerden. Hier kristallisiert sich logisch schon die Haltung von partnerschaftlicher Arbeit gemeinsam mit den Betroffenen und höchstmögliche Transparenz des Vorgehens heraus sowie die stark lösungsorientierte Vorgehensweise. Nicht zufällig hat sich hieraus eine Präferenz für spezielle Schwerpunktdiagnosen wie Depressionen, Ängste, Zwänge ergeben und die Behandlung erfolgt »klassisch« in Kombinationen mit kognitiver Arbeit und – wenn diese Störungen sich als »Komorbiditäten« z.B. von traumaspezifischen Störungen zeigen, mit noch deutlicherer Fokussierung wie in der CBT bei Typ I – Traumatisierungen. Dies sind Mono- und Multitraumatisierungen mit jeweils einmaligem Charakter, die aufgrund ihres Verhältnisses zwischen Risikofaktoren und Ressourcen aber potentiell traumatisierend wirken und entsprechende Folgen haben können (vgl. auch Münker-Kramer 2009). Hier liegen klare und spannende Parallelen zu traumatherapeutischen Grundhaltungen und auch Eckpunkten beim EMDR.

Allgemeine Vorbemerkungen zu Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

EMDR ist zunächst als auf herkömmliche Therapieverfahren aufsetzende spezifische Technik zur Behandlung von vor allem Typ I Traumatisierungen entwickelt worden (Shapiro 1998), Hofmann 2006). In den letzten Jahren gibt es eine Ausweitung im Sinne eines Ansatzes zur erfolgreichen Behandlung weiterer Störungen – allen voran Komorbiditäten wie Angst, Depressionen, Zwänge, Suchterkrankungen beziehungsweise auch jegliche Art von dysfunktional gespeicherte Erinnerungen, wenn diese Basis für aktuelle Probleme sind oder sein können. Der Fokus dieses Beitrages soll jedoch in der Behandlung von Folgen psychischer Traumatisierungen liegen.

Die Wirksamkeit von EMDR basiert auf der Annahme einer grundsätzlichen spontanen Informationsverarbeitung (AIP-Modell, Hofmann 2006, 75f), die einer autonomen Gesetzmäßigkeit mit dem Ziel der Regulierung und Integration von Erlebnissen unterliegt. Bei Vorhandensein traumatischen Stresses (Münker-Kramer 2009) kann die Kernaufgabe Verarbeitung und Speicherung nicht mehr störungsfrei erledigt werden. Die Behandlungsabfolge bei EMDR, die die äußere Repräsentanz der belastenden Erinnerung, die kognitive Repräsentanz, die emotionale Repräsentanz sowie die körperliche Repräsentanz genau erfasst, erfolgt in sehr strukturierten Schritten.

Dabei sind die Arbeit mit den blockierenden Kognitionen, die Fokussierung auf die Belastung, die Rolle der bilateralen Stimulation während des Assoziationsprozesses und die bifokale Aufmerksamkeit auf das »Dort und Damals« aus dem sicheren (auch durch die therapeutische Beziehung garantierte Setting) »Hier und Jetzt« heraus Kernpunkte der Wirksamkeit; hier wird fieberhaft und erfolgreich geforscht (Hornsfeld 2011, Sack 2011, Gunter & Bodner 2008). EMDR bei Typ I Traumatisierungen (Terr 2002, zitiert nach Rothschild 2002) ist sehr »evidenzbasiert« und »symptomorientiert« und unterzieht sich wie erwähnt auch seit ca. 20 Jahren kontrollierten Studien, besonders in diesem Störungsbereich. Daher ist es bei Schwerpunktdiagnosen am besten evaluiert (einfache PTSD und immer mehr Komorbiditäten).

Wo passt Verhaltenstherapie beziehungsweise traumafokussierte Verhaltenstherapie (TF-VT) per se zu EMDR und Traumatherapie?

Wenn man sich die Hintergründe und Haltungen genauer ansieht, ergeben sich etliche Berührungspunkte, die in untenstehender Tabelle angeführt sind. Meistens sind andere Worte für ähnliche Haltungen zu finden, was auf keinen Fall heißt, dass die Methoden auswechselbar wären oder gleich funktionieren. Es soll nicht über spezifische Wirkmechanismen, die ein besonderes Benefit für diese oder jene Störungsbilder beziehungsweise PatientInnen bergen, hinweg »angeglichen« werden, aber die Grundannahmen sind frappant vergleichbar.

Tabelle 1: Aspekte von TF-VT und EMDR im Vergleich Thema EMDR/Traumatherapie VT Repräsentanz von Trauma Körper spezifisch, Gedanken, Gefühle, Verhalten Arbeitet hauptsächlich mit Gedanken, Verhalten, Gefühlen, Körper allgemein im Sinne von Grundentspannung Haltung des/der TherapeutIn PatientIn als ExpertIn für sein/ihr Leben, TherapeutIn als ExpertIn für Theorie und Methode, Behandlungsplanung gemeinsam TherapeutIn ist Wissens- und MethodenlieferantIn und PatientIn soll verstehen, was abläuft Prämisse Ressourcenorientierung, PatientInnenbeteiligung PatientIn ist lernfähig, PatientIn kann mitbestimmen, Hilfe zu Selbsthilfe Therapeutische Beziehung partnerschaftlich, PatientIn soll immer mitbeteiligt sein TherapeutIn kein Guru, TherapeutIn liefert Ideen, gemeinsame Arbeit zwischen den Sitzungen Prozess bewusst wahrnehmen, dokumentieren, weiterverfolgen Hausaufgaben erledigen, Prozesse und Themen reflektieren Aufrechterhaltung der Probleme Nicht-Integration/nicht adäquat gespeicherte Erinnerungen/Teile des Erlebten in den verschiedenen Repräsentanzebenen schaffen »dysfunktionales Verhalten und Erleben« im Hier und Jetzt sich selbst verstärkende negative, beeinträchtigende Gedanken/Verhalten durch »dysfunktionale Kognitionen und Verhaltensweisen« Rolle der Gedanken »Macht der Imagination«/Rolle der Kognition z.B. bei EMDR »kognitive Umstrukturierung« beeinflusst auch Gefühl/Körper, sokratischer Dialog Leitsymptom Hyperarousal Beeinflussung u.a. mit Stress-Coping-Techniken und Psychoedukation, direkte Beeinflussung des Paraysympatikus durch bilaterale Stimulation Entspannung, körpernahe Verfahren, Übungen zur Unterstützung des Parasympatikus Auslöser Trigger – Symptom – Automatismus trennen Reiz – Reaktion, Konditionierung auflösen Erklärungen an PatientInnen Psychoedukation, hohe Beteiligung z.B. bei Belastungs- und Ressourcenlandkarte/Behandlungsplanung alles erklären, was man tut mit dem Ziel »PatientIn = ExpertIn für sein/ihr Problem

Wenn man sich die obigen Themen und Haltungen sowie die Ziele im Vergleich anschaut, beschreibt vieles die therapeutischen Grundhaltungen und Rahmenbedingungen für die PatientInnen, aber auch mögliche Hypothesen über die Aufrechterhaltung von Problemen. Diese Erkenntnisse fließen in die konkrete Behandlung ein. Es ist nur verwunderlich, dass auch nach dem verständlichen Ehrgeiz der Proponentinnen (Edna Foa, Francine Shapiro) seit langem auch weiterhin sehr viel Energie in Beweise für »Überlegenheit« der jeweils eigenen Methode zu erbringen, anstatt in differentielle Indikationen zum besten Wohl der Betroffenen. Dies soll hier mehr betont werden: Kombination oder klare Indikationen anstatt Überlegenheitsdiskussion!

Aus einer Meta-Analyse von 38 kontrollierten Studien zur Behandlung von Traumafolgestörungen Typ I und Komorbiditäten (Bisson et al 2007) sind die folgenden wichtigsten Ergebnisse zu vermelden, die für diese Fragestellung relevant sind. Verglichen wurden unter anderen einerseits traumafokussierte verhaltenstherapeutische Verfahren wie Reizüberflutung (nach Foa) und kognitive Verfahren (Ehlers 1999) sowie EMDR nach Shapiro (1998). Psychotherapie ist Medikamenten überlegen traumafokussierte Therapie ist anderen Behandlungen überlegen TF-VT und EMDR sind am effektivsten auch die Komorbidität bessert sich signifikant

Diese Ergebnisse flossen in die Leitlinienaktualisierung des National Institute of Clinical Excellence, die seit 2005 zum Thema PTBS eindeutige Empfehlungen gab, in gesellschaftspolitisch dramatischer Weise ein: vor allem die Erkenntnisse, dass EMDR und TF-VT als sehr effektiv eingestuft wurden, führte zu der Empfehlung, eine Behandlung mit diesen Verfahren solle jedem/r PatientIn. mit chronischer PTBS zugute kommen – dies war Sprengstoff im Sinne eines Auftrages an das Gesundheitssystem und war an politische EntscheidungsträgerInnen gerichtet und eine wichtige »Adelung« beider Methoden.

Logik der Behandlung mit traumafokussierter, kognitiver Verhaltenstherapie

Folgende Behandlungsschritte prägen die verhaltenstherapeutische Behandlung von Traumafolgestörungen (Ehlers 1999): Behandlungrational und Erarbeiten eines Modells der Störung Information und Problemlösen / Psychoedukation imaginatives Nacherleben des Traumas (imaginierte. Exposition) Identifikation und Diskrimination von Auslösern des intrusiven Wiedererlebens in vivo Exposition kognitive Umstrukturierung Modifikation aufrechterhaltender Verhaltensweisen und kognitiver Strategien Rückfallprophylaxe

Es wird deutlich, dass von Beginn an die Mitbeteiligung des/der PatientIn und deren Verständnis für das, was in ihm/ihr hinsichtlich der Beschwerden, aber auch hinsichtlich dessen, was der/die TherapeutIn in der Therapie macht oder machen wird, im Fokus steht und auch als wesentlicher Wirkmechanismus im Sinne des Wiedererstarkens des Selbstmanagement gesehen wird. Hier wird noch einmal deutlich, dass diese Behandlungen vor allem im Bereich der sogenannten »einfachen PTBS« und der Komorbiditäten ihren Wirkungsbereich (sowie einen Großteil ihrer Forschungsklientel) haben. Um im Sinne der o.g. Behandlungsschritte profitieren zu können, braucht es ein gewisses Ausmaß an Alltagsstabilität, Affekttoleranz, kognitiver Differenziertheit und Ansprechbarkeit und Selbstreflexions-/beobachtungsfähigkeit.

Logik der Behandlung mit Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)

Die Grundlinien des EMDR sind folgendermaßen zu beschreiben (auch Shapiro 1998, Hofmann 2006, Münker-Kramer, Hofmann & Wintersperger 2007):

EMDR ist Teil eines Behandlungsplanes in stabiler therapeutischer Beziehung, oft als Ergänzung einer bestehenden psychotherapeutischen Behandlung, bei der traumaspezifische Inhalte mit der herkömmlichen Methode nicht mehr erreicht werden können -im Fokus des aktuellen Artikels etwa, wenn bei einer Grundbehandlung mit VT die Sprache und die kognitive Reflexion nicht mehr reichen (siehe auch Fallbeispiele unten).

Im EMDR geht man in acht Behandlungsphasen vor, nämlich Anamnese, Beziehungsaufbau, Stabilisierung (sozial, psychisch, körperlich), Bewertung, Reprozessieren, Verankern, Körpertest, Abschluss, Nachbesprechung, Überprüfung. Dies erfolgt als standardisiertes »Protokoll« bei Typ I Traumatisierung von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Rückfallprophylaxe im Sinne einer »Zukunftsprojektion«.

In der sorgfältigen traumaspezifischen Anamnese erfolgt neben der Erfassung und Verankerung von Ressourcen eine gemeinsame (TherapeutIn und PatientIn) Hypothesenbildung über vermeintliche Verbindungen und Bezüge der aktuellen dysfunktionalen Reaktionen und Symptomatiken mit potentiell zugrundeliegenden früheren Erlebnissen. Im Gesamtüberblick über die Biographie hinweg nennt sich dies Traumalandkarte oder Belastungslandkarte.

Nach entsprechender Stabilisierung wird die Bearbeitung einer repräsentativen Einzelerinnerung, aus einem vorher gemeinsam identifizierten und benannten »Cluster« in Form einer »Szene« durchgeführt. Dies geschieht in sogenannter bifokaler Aufmerksamkeit der sicheren therapeutischen Beziehung und Umgebung »aus dem 'Hier und Jetzt' heraus mit dem Blick ins 'Dort und Damals'« unter gleichzeitiger Einbeziehung aller Repräsentationsebenen des Traumas (Bild, Gedanken, Gefühl, Körper) im Fokus. Es bildet den Teil des »Reprocessing«, des Reprozessierens der alten Szene. Man geht davon aus, dass diese repräsentativ für die blockierte Informationsverarbeitung steht, da es dysfunktionale Erlebens- und Verhaltensweisen gibt. In der traumaspezifischen Anamnese und gemeinsamen Behandlungsplanung hat man diese Verbindung hergestellt und sie bildet die Begründung für die Auswahl einer bestimmten Szene als »repräsentativ«. Durch die sorgfältige Fokussierung, Auswahl und Vorbereitung im Sinne des »Ausmessens des Traumafeldes« über die verschiedenen Ebenen (siehe oben) hinweg überlässt man nun die »Desensitization« – nachträglich beschleunigte Informationsverarbeitung mit Hilfe bilateraler Stimulationen (z.B. Augenbewegungen, Tapps, akustisch…) – dem inneren Prozess. Damit bringt man den blockierten an sich autonomen Informationsverarbeitungsmechanismus wieder in Gang – immer gehalten durch die sorgfältige Vorbereitung, das Setting und die Aufmerksamkeit des/der TherapeutIn. Reprocessing ist vergleichbar dem autonomen Verarbeitungsmechanismus im REM-Schlaf und hat Parallelen zur »in vivo« und »in vitro« Desensiblisierung im Flooding-Prozess in der VT. Beim EMDR gibt es allerdings zwei zusätzliche beeindruckende Effekte – die automatische Einbeziehung der Körperprozesse und somit autonome Integration aller vier Repräsentationsebenen und die Geschwindigkeit des Prozesses an sich. Damit kann in einer gut vorbereiteten Sitzung der gleiche und mehr Effekt entstehen als manchmal bei monatelanger klassischer und/oder kognitiver Arbeit in der Verhaltenstherapie.

Gedanken zur Kombination beider Methoden

Die als letztes geschilderte Dynamik ist m.E. ein »added value«, den ich als Verhaltenstherapeutin meinen PatentInnen bieten möchte, weil ich dieses Ziel mit Einbeziehung von EMDR schneller und oft auch nachhaltiger erreiche. Hier passiert Ordnen, Einorden, neu Ordnen, Zuordnen – Integrieren von alleine – wenn die Vorbereitung und die Begleitung optimal war/ist. Man kann dies alles natürlich in der Verhaltenstherapie schon vorher auch im Sinne des o.g. sehr partnerschaftlichen Umgangs/Ansatzes mit den diagnostischen Leitfragen zur »Identifikation von aufrechterhaltenden Verhaltensweisen und kognitiven Strategien« vorbereiten, die gleichzeitig Intervention sind und als Psychoedukationsmöglichkeit genutzt werden können. Bei vielen PatientInnen und Störungsbildern kann man vereinfacht sagen: wenn der/die PatientIn in der Lage ist, seine/ihre Problematik zu reflektieren und im Sinne eines »sokratischen Dialoges« selbst Verbindungen herzustellen, dann »ist der halbe Weg gegangen«. Die Unterstützung durch konkrete Methoden, Übungen und Hilfsmittel, deren Wirksamkeit und Wirkung wiederum miteinander reflektiert werden und somit den Handlungsspielraum und die Einsicht in die eigene Problematik sukzessive und gezielt erweitern, sind bei dieser PatientInnengruppe von größter Selbstbild stabilisierender und somit heilender Bedeutung: Was haben Sie bisher getan, um das Trauma hinter sich zu lassen? Was vermeiden Sie seit dem Trauma? Wie gehen Sie mit den Symptomen des Wiedererlebens um? Was wird passieren, wenn sie über das Erlebte nachdenken? Was wird passieren, wenn Sie Ihren Gefühlen freien Lauf lassen? Grübeln Sie über das Erlebnis/dessen Folgen nach? Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Hier gibt es – eine Randbemerkung – auch starke Parallelen zu EMDR im Sinne der Triggeridentifikation und der Fokussierung der Wirkung der dysfunktionalen Erlebens- und Verhaltensweisen in der sogenannten Phase 4 – Konfrontationsphase.

Dies alles kann ausreichend sein und mit klassischen Methoden zum Erfolg führen. Wenn man das beschleunigen möchte oder damit per se keine Nachhaltigkeit erreichbar ist, kann man kombinieren.

Klinische und persönliche »Indikationen« für Kombinationen

Wie bereits mehrfach ausgeführt, haben beide Richtungen faszinierend viele Ähnlichkeiten (Haltung, technische Teile, Hausaufgaben…), ohne im Wirkmechanismus deckungsgleich zu sein. EMDR wird ohnehin in jede bestehende Therapiemethode indikationsbezogen eingebunden, so gilt auch »man ist VerhaltenstherapeutIn und kann auch EMDR«. Hier liegt eine wunderbare Kombinationsmöglichkeit oder auch die Erkenntnis, dass manchmal ganz klar die Erstindikationen für das »Entweder-oder« auf der Hand liegen. So kann es z.B. für EMDR sprechen, wenn der/die PatientIn hohen Leidendruck hat, diagnostisch das Vorliegen einer gesunden Grundpersönlichkeit klar ist und hier schnelle Integration mittels EMDR gut möglich scheint. Hier wäre es salopp gesagt, wie »unterlassene Hilfeleistung«, einen längeren kognitiven und klassischen Prozess in Gang zu setzen, wenn schnelle nachhaltige Behandlung die/den PatientIn wieder »auf die Füße stellen könnte«.

Das Vorgehen im Sinne der herkömmlichen VT (oder auch einer anderen psychotherapeutischen Methode) ist anzuraten, wenn es diagnostische Unklarheiten gibt im Hinblick auf mögliche Entwicklungstraumatisierungen, Alltagsstabilität, innere und äußere Sicherheit (vgl. auch Reddemann & Dehner-Rau 2004, Münker-Kramer 2009) und möglicherweise durch Arbeit mit EMDR zu diesem Zeitpunkt Prozesse ungesteuert in Gang kämen.

Welche Kombinationsmöglichkeiten sind sinnvoll?

EMDR ergänzend zu VT:

Wenn kognitive und/oder klassische Verhaltenstherapie zu lange dauert und physiologisch nicht greift (siehe beide Beispiele in diesem Artikel), wenn man das Gefühl hat, »es ginge mehr (v.a. Körper) oder die PatientInnen sagen »ja, ich weiß das jetzt schon, warum ich das habe und wie das alles kommt und was die Auslöser sind und was ich machen kann, aber in der Situation ist das alles weg und ich spüre nur noch die Angst.« Hier kann EMDR als Beschleuniger wirken und darüber hinaus als eine Methode, die diese Trennung von Kopf und Bauch (»ich weiß es, aber ich fühle es anders« und das Wissen hilft mir nicht für die Physiologie) aufhebt im Sinne einer wirklichen Integration. Dies sind großartige Momente in der Psychotherapie, man hat als Therapeutin das Gefühl, »dem Hirn beim Arbeiten zuschauen zu können.« Wenn viele belastende Erfahrungen, die zu dysfunktionalen Attributionen geführt haben sich sozusagen kumulativ angesammelt haben und zu blockierenden Überzeugungen – Belastungsnetzwerken – Selbstwertproblematiken geführt haben, die schon genug »begrübelt« worden sind und schon zur »2. Haut« geworden sind; entweder mit handfesten Diagnosen wie Sozialangst oder Depressionen versehen oder einfach nur Leidensdruck machen. Dann kann EMDR über das gleichzeitige Arbeiten in allen vier Repräsentationsebenen einen völlig neuen Aspekt beziehungsweise Anstoß bringen, eben genau im Sinne von »desensitization and reprocessing« als autonomem Prozess, der nicht zwischendurch durch cortikale Aktivität im Sinne gemeinsamer Analysen unterbrochen wird.

Eine weitere Indikation, die bestehende VT durch EMDR zu ergänzen, möchte ich mit einer Metapher verdeutlichen: »Man hat schon fast alles fertig, aber »da ist noch was« – Metapher »Zahnwurzel…«. Dies bedeutet: hier muss noch eine Wurzel gezogen werden, um die man sich bisher »gedrückt« hat im Rahmen der Therapie oder die man bewusst zurückgestellt hat im Sinne der Belastbarkeit und Behandlungsplanung. Dies kann im Beispiel zwei in diesem Artikel nachvollzogen werden.

VT ergänzend zu EMDR: Es gibt Situationen, wo mit EMDR als Erstindikation gearbeitet wurde und sich dann aus der Arbeit Fragen und Notwendigkeiten ergeben, die klassisch verhaltenstherapeutisches Vorgehen als Ergänzung sinnvoll erscheinen lassen. Zum Beispiel: Im Zuge der Behandlung eines Lokführers nach einem belastenden Ereignis kommt nach erfolgreicher Behandlung der aktuellen Belastungssituation als Nebenaspekt heraus, dass es eine Verbindung zu einer schon länger bestehenden Lebenssituation gibt. Es zeigt sich, dass wichtige Erkenntnisse aus dem EMDR in die allgemeine aktuelle Lebenssituation eingeordnet und das Verhaltensrepertoire erweitert werden sollten. Dies kann mit VT (Arbeit an konkreten Verhaltenssequenzen und Mustern) geschehen. Diese dient hier somit als ENTschleuniger und Einordnungshilfe, mit deren Hilfe man »in Ruhe nacharbeitet«. Möglicherweise wäre diese Person sonst vielleicht gar nicht mit Psychotherapie in Kontakt gekommen und ohne EMDR gar nicht zu der Erkenntnis gekommen, hier vielleicht noch etwas zu brauchen beziehungsweise zu dem Vertrauen, dass Psychotherapie ein Mittel zur Arbeit an Veränderung sein kann. VT als Zwischenarbeit beim Festigen von Erkenntnissen und Ergebnissen aus durchgearbeiteten Cluster: Beim EMDR und in der Traumatherapie arbeitet man sorgfältig nach der traumaspezifischen Anamnese und dem gemeinsamen Überblick über die zu bearbeitenden »Baustellen«- auch »Cluster« – zusammenhängende Belastungsnetzwerke genannt. Im Zuge dieser genauen Arbeit wechseln sich »Konfrontationssitzungen« und »gemeinsames auf die Traumalandkarte Schauen« ab. Darüber hinaus ist es immer wieder – wie auch unter 1 für Monotrauma beschrieben – nötig und sinnvoll nach zu justieren, zu festigen, mit der bisherigen Arbeit – in der VT zum Beispiel vertikalen und horizontalen Verhaltensanalysen, Angsthierarchien etc. – in Verbindung zu bringen. Dies kann folgende Fragen umfassen: Was kennen wir davon schon, wo könnte diese Erkenntnis jetzt auch nützlich sein, sollte diese Erkenntnis jetzt einmal in konkretem Verhalten ausprobiert werden u.v.m. – hier ergeben sich mannigfaltige sinnvolle Verknüpfungen. Ein Spezialfall dieses Transfers kann auch sein, dass man VT direkt einsetzt bei der Erarbeitung der Szenarien »wenn denn dann nun Traumaexposition gemacht wird…« Entweder in dem Sinne, dass man vorwegnimmt, was dann mit dem System, den Reaktionsweisen der anderen passieren könnte oder auch wenn es um ein verändertes Selbstbild und somit Verhalten geht, das dann Irritationen in der Umgebung hervorrufen kann: Beispiel: aufgrund einer chronifizierten PTBS und Komorbidität »generalisierte Angststörung« nach einem Überfall hat sich die Rollenverteilung in der Beziehung komplett verschoben – im Zuge der Behandlung mit EMDR konnte das Ereignis integriert werden, nun ist es ein langer Weg zurück in kleinen sorgfältigen Schritten, die verschobenen »Folgen« miteinander zu analysieren und zu bearbeiten und wenn dies nicht geschehen würde, würde ein entscheidender Teil fehlen. Es wäre therapeutisch nicht verantwortungsvoll zu sagen: so, nun ist die PTBS behandelt, nun sind wir fertig.

Fallbeispiele

Zur Illustration der bisher eher theoretisch gebliebenen Überlegungen und des Plädoyers für die sinnvolle Kombination beider jeweils wertvoller Ansätze möchte ich PatientInnenbeispiele abschließend für sich sprechen lassen. Es handelt sich einerseits um einen männlichen Patienten mit Typ I (Unfall – Monotrauma) – Traumatisierung (Münker-Kramer 2006), andererseits um eine Patientin mit Typ II (Gewalt in der Beziehung – sequentielles Trauma): Mann, 58 Jahre, Typ I, Monotrauma

Ein 58jähriger Mann, der 2 Jahre nach einem schweren Verkehrsunfall (28 Brüche – Kopf, Schulter, Becken, Beine, Füße, eine Vielzahl von Operationen – ohne jegliche psychologische Betreuung während dieser ganzen Zeit) vom Facharzt für Psychiatrie überwiesen wurde. Nach 1-jähriger Rehabilitation hatte er seine ursprüngliche Arbeit wieder aufgenommen (Botendienste in einer Großstadt, die seiner körperlichen Leistungsfähigkeit angepasst waren). Er wurde aber nach drei Wochen von seinem Arbeitgeber wieder freigestellt, da er nicht in der Lage war, sich unbeeinträchtigt im Straßenverkehr zu bewegen: er litt unter massiven Schreckreaktionen, sobald er im Augenwinkel Autos kommen sah, Bremsen oder Hupen hörte. Er beschrieb es so, dass er »nichts mehr mitbekomme, außer sich stehe, 'rot sehe', wenn das passiere und sich irgendwo an einer Hauswand kauernd wiederfände oder über den Gehsteig taumelnd«. Außerdem klopfe sein Herz übermäßig und er könne sich lange nicht beruhigen. Weiters habe er einen festen Alptraum nahezu jede Nacht, bei dem er immer wieder die Scheinwerfer des Autos sehe, das auf ihn zukäme und wo er dann schweißgebadet (er könne seinen Schlafanzug auswringen) mit stärkstem Herzklopfen, Schmerzen in der Schulter und den Beinen, Benommenheit aufwache und auch immer sehr stark spreche und um sich haue. Dadurch sei seine Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit massiv eingeschränkt. Zeichen von Selbstwertproblematik und Depressivität waren selbstverständlich auch vorhanden. Er verließ das Haus kaum noch, weil ihm sein Verhalten auch peinlich war.

Der Beginn der Therapie stand nach der Diagnostik ganz im Zeichen von Psychoedukation. Er war sehr interessiert an den Erklärungen und sehr erleichtert über die neuen Attributionsmöglichkeiten, die er hatte. Es half ihm, seine »ich werde verrückt«-Selbstzuschreibungen (und die seiner Umgebung) zu überwinden und er machte sehr konsequent seine Entspannungsübungen zur Unterstützung der Reduktion des Dauerarousals, seine »Realitätsübungen« zum Thema »was ist eine angemessene Vorsicht im Straßenverkehr und was ist eine Reaktion, die ihm peinlich ist und die ihn u.U. auch ironischerweise wieder in Gefahr bringt« – er übte diese Dinge dann ganz konkret im Straßenverkehr. Weiters machten wir eine systematische Desensibilisierung in vitro, er übte in vivo. Dies reduzierte die Symptome im Alltag, die Selbstwertproblematik und die Depressivität maßgeblich. Trotzdem blieb ein Rest und vor allem ließen die Alpträume fast überhaupt nicht nach. Hier waren ca. 10 Sitzungen EMDR mit Traumakonfrontation notwendig, im Wechsel mit »normalen« Therapiesitzungen, bei denen das jeweils erarbeitete in den Alltag integriert wurde. Im EMDR wurde die gesamte Geschichte deutlich, außerdem wurde ein perioperativer Zwischenfall erinnert – die Narkose hatte zu früh nachgelassen und das hatte dann niemand geglaubt. Die EMDR-Sitzungen führten dazu, dass der Traum immer weiterging, bis er immer durchträumte (mit weniger »Hauen«, Schwitzen und Herzklopfen), sich die Frequenz überhaupt reduzierte und dann ganz aufhörte, als er (im EMDR und im Traum) ankam an dem Punkt, wo er dann »in Sicherheit war«. Frau, 56 Jahre, Typ II, sequentielles Trauma

überwiesen durch praktischen Arzt wegen jahrelanger erfolgloser Depressionstherapie mittels Antidepressiva, zunehmender Somatisierung im Sinne einer somatoformen Funktionsstörung. Die traumspezifische Differentialdiagnostik ergab F43.1 – Posttraumatische Belastungsreaktion (stark chronifiziert) und Komorbidität F41.2 Angst und depressive Störung gemischt und F45.4. anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

Zum Zeitpunkt des Therapiebeginns ist Frau X. noch verheiratet, erleidet jahrzehntelange Gewaltausbrüche des Ehemannes (physisch, psychisch), sie leidet unter Schlafstörungen, Hyperarousal und Panikattacken in Situationen, wo er lauter wird, wo es emotional eng wird und wenn er sie psychisch in die Enge treibt, ebenso nach Gewaltausbrüchen, nachdem er dann das Haus verlassen hat.

Im ersten Jahr geht es nur um den Aufbau des Selbstbewusstseins, um eine Veränderung der Kommunikation und eine Wahrnehmung des Unrechts, das ihr 28 Jahre lang passiert ist, dies gelingt langsam. Somit tritt eine gewisse Alltagsstabilisierung ein, die Häufigkeit der Panikattacken lässt nach, die komorbide Depression muss nach diesem Jahr nur noch leicht medikamentös behandelt werden. Ein Jahr danach flüchtet sie nach einem erneuten Gewaltausbruch aus dem gemeinsamen Haus und nach psychischen Demütigungen und kehrt nicht zu ihrem Mann zurück. Mit Hilfe von Freunden bekommt sie eine kleine Wohnung und wird finanziell zuerst von ihren Eltern unterstützt, ein Dreivierteljahr später wird die Ehe geschieden. Die gesamte Auseinandersetzung vor und nach der Scheidung sowie die erneute Destabilisierung (Finanznot, keine Wohnung, Unterhaltsklage, u.a.) werden im Rahmen der Therapie kognitiv und klassisch verhaltenstherapeutisch begleitet, Mit EMDR geplante Traumakonfrontation bzgl. der chronischen PTBS muss warten, bis kein Täterkontakt und vor allem Abhängigkeit mehr bestehen. Währenddessen arbeiten wir lange und ausführlich stabilisierend am weiteren Aufbau des Selbstwertgefühls, da es auch immer wieder Rückschläge und Konfrontationen gibt. Frau X. hat dann massive körperliche Symptome, sie wird getriggert und möchte diese Problematik nun angehen, um »die Dinge hinter sich zu lassen«. »Im Kopf« ist ihr schon klar, dass alles real hinter ihr liegt, aber sie sieht dann intensiv immer wieder alte Szenen und spürt eben die körperlichen Symptome von Extremstress. Dies ist genau der Punkt, wo sie von EMDR über die kognitive Arbeit hinaus deutlich profitieren kann – beim »ich weiß es ja, aber in der Situation ist alles weg und ich bin wie ferngesteuert und mein Körper spielt verrückt«. Wir machen trotz nunmehr langjähriger therapeutischer Beziehung vor der Traumakonfrontation mit EMDR noch einmal eine traumaspezifische Anamnese, Trauma- und Ressourcenlandkarte und »gehen es an auf der Basis einer sehr langen und guten therapeutischen Beziehung«.

Das EMDR ist lange geplant und sie freut sich einerseits darauf, hat aber andererseits auch Angst – das merkt man in den Anfangsszenen. Seit 1 Monat ist die finanzielle und soziale Situation und die Wohnsituation so stabil, dass mit der Traumakonfrontation begonnen werden kann. Die Patientin benötigt zwei lange und heftige EMDR Sitzungen und die Kognition ändert sich von »Ich bin minderwertig« in »ich verdiene Respekt«. Dies und andere Details des EMDR Prozesses werden ausführlich in die bisherigen Therapieerfahrungen und Erkenntnisse eingearbeitet und mit ihr generalisiert – z.B. in Bezug auf andere Alltagserfahrungen, wo jemand über ihre Grenzen geht. Hier findet sich also Material für bisherige und zukünftige Themen – es ist aber sozusagen »innen im Turbotempo etwas klar geworden« (O-Ton der Patientin) und vor allem geht es ihr physiologisch »wie 1000 und 1 – ich bin überhaupt nicht mehr so 'wurlert' (innerlich physiologisch aktiviert, Herzklopfen, Schwitzen u.ä.) Dies hätte meiner therapeutischen Erfahrung nach mit reiner kognitiver VT nicht erreicht werden können, ein massiver Kern der traumatischen Erfahrungen lag im Körper (gerade nach diesen spezifischen Erfahrungen) und man konnte ihr den spezifischen Effekt der Integration durch EMDR förmlich ansehen und anhören. Hier war ein Musterbeispiel der klinischen Beschreibung von Traumaintegration sichtbar, die sich bei Fischer und Riedesser (2003) sinngemäß findet: Integration heißt, dass der Betroffene in der Lage ist, in einem narrativen Ganzen und in adäquatem Affekt über das Ereignis zu berichten. Dies war videodokumentiert (Verhalten) und im Erleben der Patientin zu beobachten (»Lassen sie uns mit dem alten Zeug aufhören, ich habe das hinter mir gelassen).

Abschließend möchte ich den PatientInnen für ihr Vertrauen in meine Kombinationsfreudigkeit danken und den AusbildungskandidatInnen an unserem Weiterbildungsinstitut für die Offenheit – egal von welcher Richtung her kommend – sich auf das Abenteuer der Kombination der eigenen herkömmlichen Therapiemethode mit Traumatherapie allgemein und EMDR im Speziellen und die gegenseitige Übersetzung und Verbindung einzulassen. In diesem Kontext sei auch abschließend verwiesen auf »EMDR als integrativer psychotherapeutischer Ansatz« (Shapiro 2004). Es ist ein tolles Abenteuer und eine Freude zu sehen, wie Betroffene immer mehr davon profitieren können.

Internethinweise

www.uni-duesseldorf/leitlinien – deutschsprachige Leitlinien für PTBS Behandlung

www.emdr-netzwerk.at – Österreichische Fachgesellschaft für spezifische Traumatherapie mit EMDR

www.emdr-europe.eu – Europäische Dachgesellschaft für EMDR

www.emdr-institut.at – Österreichisches Partnerinstitut des Francine Shapiro Institute, USA

www.oegvt.at – Österreichische Gesellschaft für Verhaltenstherapie

Literatur

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Ehlers, Anke (1999): Posttraumatische Belastungsstörung. Göttingen, Bern, Toronto: Hogrefe.

Fischer, Gottfried & Peter Riedesser (2003): Lehrbuch der Psychotraumatologie. München: Reinhard Verlag.

Gunter, Raymond & Glen Bodner (2008): How Eye Movements affect unpleasant memories: Support for a working memory account. Behavior Research and Therapy, 46, 913-931.

Hofmann, Arne (2006): EMDR Therapie posttraumatischer Belastungssyndrome. Stuttgart: Thieme.

Hornsfeld, Helen (2011): Workmechanisms of EMDR, Workshop beim 12. Europäischen EMDR Kongress, Wien, 3.-5.6.2011, www.emdr2011.eu

Lasogga, Frank & Eva Münker-Kramer (2009): Psychosoziale Notfallhilfe. Edewecht: Stumpf und Kossendey.

Münker-Kramer, Eva (2006): F43.0, F43.1 – Grundlagen, Diagnostik und Behandlungsansätze. In Wolfgang Beiglböck, Elisabeth Honemann & Senta Feselmayer (Hg.), Handbuch klinisch-psychologischer Behandlung (293-322). Wien, New York: Springer.

Münker-Kramer, Eva, Arne Hofmann & Sylvia Wintersperger (2007): Zum Verständnis von EMDR als Behandlungsmethode für PTBS auf dem Hintergrund der modernen Psychotraumatologie. Psychologie in Österreich, 1, 53-60.

Münker-Kramer, Eva (2009): Eustress – Distress – Extremstress – und was dann? Folgestörungen und Behandlungsansätze. Psychologie in Österreich, 1, 54-62.

Rothschild, Babette (2002): Der Körper erinnert sich. Zur Psychophysiologie des Traumas und der Traumabehandlung. Essen: Synthesis.

Reddemann, L. & C. Dehner-Rau (2004): Trauma: Ungelöste Folgen erkennen, überwinden und an ihnen wachsen. Stuttgart: Trias in MVS Medizinverlage.

Sack, Martin (2011): Workmechanisms of EMDR, Vortrag beim 12. EMDR Europe Kongress, 3.-5.Juni 2011, Wien, www.emdr2011.eu

Shapiro, Francine (1998): EMDR Grundlagen und Praxis. Paderborn: Junfermann.

Shapiro, Francine (2004): EMDR als integrativer psychotherapeutischer Ansatz. Paderborn: Junfermann.

Van Etten, Michelle L. & Steven Taylor (1998): Comparative Efficacy of treatment for posttraumatic stress disorder: A Meta Analysis. Clinical psychology and Psychotherapy, 5, 126-144.

Young, Jeffrey E., Janet S. Klosko, Marjorie E. Weishaar & Theo Kierdorf (2006): Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann.

Autorenhinweis

Eva Münker-Kramer

Klinische Psychologin, Supervisorin, Notfallpsychologin, Psychotherapeutin (VT, EMDR, Traumatherapie). Eva Münker-Kramer ist selbständig in eigener Praxis in Krems/Donau und Wien, Miteigentümerin EMDR Institut Austria (www.emdr-institut.at) und Zentrum für Angewandte Psychotraumatologie Wien (www.zap-wien.at), Vorsitzende EMDR Fachgesellschaft Österreich, Mitglied der Arbeitsgruppe Akuttrauma der Deutschen Gesellschaft für Psychotraumatologie (www.degpt.de), des Standing Committee "Disaster and Crisis Psychology" der European Association of Psychological Associations (www.disaster.efpa.eu). Seminarleitung, Publikations-, Vortrags-, Supervisionstätigkeit im Bereich der Wirtschaftspsychologie, Psychotraumatologie, traumaspezifischen Psychotherapie u.a. Donau Universität Krems, Österreichische Akademie für Psychologie, Propädeutikum ÖAGG, Webster University Vienna.

Mag. Eva Münker-Kramer Brandströmstr. 7/7 A-3500 Krems/D. Penzinger Str. 52/7 A-1140 Wien

E-Mail: muenker-kramer@emdr-institut.at